White Night – Byakuya (Filmfest München)

Diese Weisse Nacht auf einer roten Brücke in Lyon ist zwar ein Liebesexperiment des Regisseurs und Autors mit einem Paar, was nicht zusammengehört, bezieht sich aber explizit weder auf die Weissen Nächte von Dostojewski noch auf deren Verfilmung durch Luchino Visconti mit Maria Schell und Marcello Mastroianni von 1957; explizit erwähnt wird die Weisse Nacht nur als die von Schweden und Norwegen, bei der man nicht weiss, wann schlafen und die eben nicht kalt sei, wie der Tag und der Ort der Handlung in diesem winterlichen Lyon, in welchem gerade eine Demonstration gegen den kriegerischen Überfall Israels auf Palästina stattgefunden hat. Wer den Dostojewski und den Visconti im Hinterkopf hat, der mag schnell enttäuscht sein, hat andererseits einen wunderbaren Vergleich zur Hand, mit welchem er möglicherweise einen anregenden Zugang zu diesem eher forschenden und improvisierenden Film eines Japaners finden wird. Nachsatz: dem Thomas Willmann, so war bei artechock zu lesen, hat der Soundtrack, den ich eher für die penetrante Geräuschkulisse von Lyon hielt, das Vergnügen offenbar ziemlich vermasselt.

Am Set von „Sommer in Orange“

Der Marcus H. Rosenmüller dreht mal wieder in der bayerischen Provinz, und diesmal wurde ich zum Setbesuch eingeladen. Der Drehort lag praktischerweise nur 20 km die Straße runter von meinem Zuhause im Speckgürtel Münchens, und so begab ich mich mit großer Vorfreude und meiner kleinen Kamera ans Set von Sommer in Orange. (Fotos hier)

Wieso Vorfreude? Nun, als ich noch selber Filmemacher werden wollte, durchlief ich zwischen 1994 bis 1999 einen wahren Bewerbungsmarathon bei so gut wie allen deutschen (und einigen ausländischen) Filmhochschulen, allesamt erfolglos. Eigentlich sollte ich ja hauptberuflich mein Biologie/Chemie-Studium an der LMU München bestreiten, aber die Anziehungskraft von Hollywood war dann doch stärker, das kreative Knistern am Filmset viel faszinierender als der Zitronensäurezyklus, die RNA-Synthese und die Allen’sche Regel.

Also stand ich für diverse Hochschulfilme an diversen Sets, bewachte nachts eine Kamera im Olympischen Dorf, sperrte tapfer Straßen (ungefähr so, nur dass die Autofahrer auf dem Weg zur Arbeit meist kein Einsehen haben), fuhr Negative von Kötzschau zum Entwickeln nach München und die Muster zurück (mit einem brandneuen 525er-BMW, was für eine Rakete!), föhnte nachts Abschnitte der Sommerrodelbahn am Blomberg trocken, und schlug mich mal fast mit einem Regisseur, der meinte, seine Chefposition auch außerhalb der Dreharbeiten durchdrücken zu müssen. Am Set von „Sommer in Orange“ weiterlesen

Tetro (Filmfest München)

Großmeister Coppola treibt die Frage um, wieviel Genie eine gewisse Parzelle, nämlich die der Familie, ertrage; es ist die Frage, wieviel Platz oben auf dem Affenfelsen ist, oder auch, was die Falter und die Motten an der Glühbirne fasziniert. Da die Antwort eher unergiebig ist und Coppola das Thema außerdem in lehrbuchhaftem Schwarz/Weiß mit allen möglichen verspielten Spiegel- und Blinkeffekten gedreht hat, da auch eingefügte Farbsequenzen aus der Opernwelt die 127 Minuten nicht voll machen, muss noch eine Inzestgeschichte her und auch das Gastspiel einer freien Truppe aus Buenos Aires mit einer schrillen Faustaufführung bei den Patagonienfestspielen, welche vom Prototyp einer mächtigen Kritikerin präsidial geleitet werden.

Me Too – Wer will schon normal sein? (Filmfest München)

Alles dreht sich ums Down Syndrom, welches der Hauptdarsteller, im Film Daniel genannt, auch hat. Der Film dürfte eine Insider-Veranstaltung oder eine für Gutmenschen bleiben mit dem Charme und der Verbindlichkeit eines privaten Homemovies, welches mit kindlicher Freude vor allem die Möglichkeit der Kamera zum Nah-Rangehen nutzt, in den Kühlschrank, auf ein Graffiti, auf den Teller, und das vom Fernsehen gelernt hat, dass keine Szene zu lang sein darf und es schick findet, wenn die Kamera noch dazu ständig in Bewegung ist, sich auch von schönen Licht- oder Verschwemmungseffekten verführen lässt. So tut sich immerhin und immer was auf der Leinwand. Nur tut sich keine Geschichte, denn die Aussage, dass auch ein Mensch mit Down-Syndrom nur ein Mensch sei, ist nicht abendfüllend.

Little Baby Jesus of Flandr (Filmfest München)

Bildschöner Versuch einer flämisch-malerischen Fortschreibung der Ikonographie der Weihnachtsgeschichte in drei Anläufen, wobei einer surrealer und verlorener anmutet als der andere und storymässig zum Scheitern verurteilt ist. Die Darsteller sind Behinderte, die auch Tramps oder Obdachlose, arme Schlucker halt sind. Dieses cineastische Triptichon wendet sich explizit gegen eine allfällige Vereinnahmung durch die Kirche, denn auch der Klerus unterscheidet sich von den armen Schluckern nur durch sein Kostüm, heisst es an einer Stelle.

American Boy (Filmfest München)

An diesem vor 30 Jahren unangekündigt in einem Hotelzimmer stundenlang gedrehten Interview fasziniert einerseits, wie persönliche Erlebnisse frisch von der Leber erzählt einen einmaligen Input zum Kino leisten können; fast mehr noch fasziniert aber der Schnellsprecher Scorsese selbst, im perfekten weissen Hemd und mit voller Che-Frisur, wie er mit Argusaugen gierig jede Geste, jeden Satz von Steve Prince aufsaugt, dabei diskret die Kamera dirigierend und gleichzeitg minutiös die vorher aufgeschriebene Geschichte, die er vor sich hat, kontrolliert und penibel darauf achtet, dass Prince nicht eine Story auslässt. Diesen Film sollten sich insbesondere deutsche Filmstudenten anschauen, die allzu gerne dem Missverständnis unterliegen, Filmemachen habe primär was mit dröger Seminararbeit zu tun.

That Evening Sun (Filmfest München)

Hier meint es einer ernst mit dem Thema, dass alte Leute nicht gegen ihren Willen und nur der Bequemlichkeit der Jungen halber ins Altenheim bugsiert gehören. Wenn dieser Alte dann noch ein knorriger Amerikaner ist, der den Drang nach Selbstjustiz mit jeder Faser seines Körpers ausstrahlt, so ist bei seinem Ausbruch aus dem Altenheim und der Rückkehr ins inzwischen vom egoistischen Sohn fremdvermietete Haus für jede Menge Zündstoff gesorgt.

Je suis heureux que ma mère soit vivante (Filmfest München)

Wie es in der Literatur das Sachbuch gibt, so könnte man bei diesem Film von einem Sachfilm sprechen, der sachlich versucht, ein Thema ordentlich auszubreiten, zu behandeln und zu beleuchten. Es geht um Adoption. Ein Junge, Thomas, der noch einen jüngeren Bruder hat, wird mit diesem von einer überforderten, alleinerziehenden Mutter zur Adoption frei gegeben. Wie er halbwüchsig ist möchte er endlich wissen, wer seine leibliche Mutter ist, macht sie ausfindig und entwickelt ein problematisches Verhältnis zu ihr, das mit einer unkontrollierten Handlung und vor Gericht endet. Der Preis für diese Sachlichkeit ist allerdings der, dass es schwer fällt, Empathie für die Figuren zu entwickeln, denn die Dialoge sind nach Gesichtspunkten der Sachlichkeit geschrieben. Die Figuren agieren zugunsten des Themas und nicht um unsere Sympathie zu gewinnen. Doch der „Fall“ beschäftigt einen über den Kinosaal hinaus – vielleicht, weil so vieles offen bleibt.

Amelia

Abfliegen, landen, abfliegen, landen, abfliegen, landen, abfliegen, landen, abfliegen, landen, dann, irgendwann, abstürzen. Verschollen auf Nimmerwiedersehen. Doch die deutsche Synchronstimme lispelt munter weiter in der Ich-Person.

Anknüpfen mit seinem Interesse möchte man da, wo Amelia, dargestellt von Hilary Swank, erzählt, dass ihr Vater Alkoholiker war. Hier flasht in Relation ihrer Worte zu ihrem Gesicht abgrundtiefe Spannung. Von da aus liesse sich vielleicht der (dramaturgische) Bogen spannen, eine Begründung finden für den unzähmbaren Pioniergeist.

Stattdesssen I: ein Mädchen steht in einem Kornfeld, träumerisch versonnen einem Propellerflugzeug nachschauend – das haben schon viele Mädchen getan, kaum je ist daraus eine Flugpionierin geworden.

Stattdessen II: abfliegen, landen, abfliegen, landen, abfliegen, landen. Dazwischen Meer von oben, Berge von oben, Savanne von oben, Giraffen von oben, Wolken, Wolken und Menschen, die das landende Flugzeuge begrüssen, einige Takes von Richard Gere, der immer noch fotogen ist, und dann wieder Abflüge. Eine Erdumrundung dreht sich gezwungenermassen im Kreis.

Für einen Film über eine bemerkenswerte Frauengestalt ist es leider undankbar, wenn diese nullkommaplötzlich aus dem Äther und damit aus der Weltgeschichte verschwindet. Dieses Handicap wird nicht dadurch aufgewogen, dass von Anfang an immer wieder auf diesen letzten Flug vorausgeblendet wird.

Biopic begriffen als schlichtes, nachzeichnendes Kinderbilderbuch. Für die gebildete Klientel zu wenig: für die Massen kaum attraktiv genug. Die Möglichkeiten des Kinos nur an der vermeintlich leicht handhabbaren Äusserlichkeit und Oberfläche genutzt.

Go ahead, make my day.