Was zweifellos vorhanden ist: ein starker inszenatorischer Zugriff auf die Schauspieler, sie spielen jedenfalls auffallend ernst, ernsthaft und konzentriert. Ferner ist vorhanden die Grundidee eines Plots, eher das Setting eines Plots: Kinder aus einer Kommune kommen zu Beerdigung des Oberhirsches dieser Grossfamilie, Hans, zum Teil nach Jahrzehnten das erste Mal wieder zusammen und dabei wird unter dem Vorwand der Vergangenheitsbewältigung viel Weisheitsstroh über Familie und Beziehung und Erziehung und menschliche Anerkennung mit der Mine grossen Wahrheitsgehaltes gedroschen.
Was die Regisseurin sicher auch gelernt hat, das ist das Sich-Zeit-Lassen. Sätze wirken lassen. Den Menschen auch inneren Monolog lassen.
Woran es mangelt hinsichtlich eines spannenden Kinofilmes: das Thema zu einer spannenden Geschichte zu bürsten und eventuell auch auszudünnen oder auf eine Hauptperson zu fokussieren: Deshalb kommt das Setting, die Story, die die Regisseurin wohl im Hinterkopf hat, eher daher wie das Produkt eines schönen, sommerlichen Schauspielerworkshops in und um ein einsames Gehöft in idyllischer österreichischer Landschaft. Fast wie ein Fremdkörper wirkt die Beerdigung ganz am Schluss: plötzlich ist da ein sehr bevölkerter Friedhof in einer gut besiedelten Gegend. Dabei ist den ganzen Film über der Eindruck erweckt worden, die Szenerie spiele in einer Location fernab jeglicher Zivilisation.
Was der Glaubwürdigkeit der Story einen weiteren Tiefschlag versetzt – und ich finde, beim Kino sollte man auf ein Minimum an Glaubwürdigkeit achten, besonders wenn es sich um eine Familiengeschichte handelt – das ist der Sprachensalat: ein, zwei Figuren, die lassen sehr viel österreichisch zu, andere weniger, der Sohn Nick, der schon früh nach München ging, dort Arzt studiert hat und auch praktiziert, der spricht preußisch. Also auf die Sprache scheint die Regisseurin überhaupt keinen Wert gelegt zu haben, wobei doch die gleiche Zunge eines der identitätsstifdendsten Merkmale unter Menschen überhaupt ist, ob Kommune oder Kleinfamilie. So wie aber hier mit der Sprache umgegangen worden ist, wird praktisch schon qua Besetzung behauptet, dass die Figuren herzlich wenig miteinander zu tun haben. Das könnte als Hinweis darauf genommen werden, dass die Regisseurin mehr für die Arbeit innerhalb einer laborähnlichen Situation interessiert war, denn an der Glaubwürdigkeit des Story.
Ein weiteres Indiz für diese Behauptung ist die szenische Aufdröselung der Geschichte. Diese wirkt ständig so, als kämen die Akteure zusammen, um ein Familienleben vorzuspielen. Ein Get-together im Sommergehöft um verschiedene mögliche Szenen einer solchen Grossfamilie durchzusimulieren. Äusserer Anlass ist Sterben und Tod des Oberbockes der Familie, Hans.
Ich halte das für vollkommen unrealistisch. Auch passiert die Annäherung ohne jede Hemmung. Insofern bleibt das für mich alles ein, wenn auch stellenweise sehr schönes Spiel im theoretischen Wolkenkuckucksheim einer weltfremden Regisseurin, die Kunst machen will, die den unbändigen Willen zur Kunst und Schauspielerführung überzeugend demonstriert, am liebsten als Glucke immer alle um sich versammelt. Ein bisschen brechtischer Zugriff vielleicht.
Solche Arbeiten bleiben durch ihre Anlage notgedrungen insiderisch. Sie ergeben eher sowas wie Einblick in eine mögliche – und vielleicht angenehme – Art von Arbeit mit Schauspielern. Sie ermöglichen allerdings dem nicht-insiderischen Zuschauer, den nicht primär der Blick in die Werkstatt interssiert, nur sehr bedingt anzudocken. Weil die Figuren hier, auch das ist entfernt brechtisch, zu Thesenträgern mutieren und nicht in einem Zusammenhang die Story vorwärtstreibendere Konflikte stehen, der wohl am ehesten Kinospannung zu erzeugen imstande ist. Denn die Hauptfrage ist nicht die, wie geht Figur X oder Y, eine positionierte Hauptfigur, mit einem Grundkonflikt um, der dann ganz nebenbei das intendierte Thema, zum Beispiel Vaterlosigkeit, spannend umreißen und vermitteln könnte.
Frau Kreutzer entwickelt ein Modell. Da mag man über diesen und jenen Satz schmunzeln, ihn als Gedankenanregung nehmen; aber in der Beliebigkeit können sie genauso gut in der Kirche oder in einer Talkshow vorkommen; das ist nicht kinospezifisch; oder man könnte sagen, Frau Kreutzer hat für ein Kinoprojekt das Spezifische des Mediums Kino viel zu wenig genutzt. Effektvoller wäre vermutlich sogar, die Thesen-Szenen als Theater aufzuführen.
So aber bleibt es meines Erachtens ein abgehobenes Experiment mit Kunstanspruch.
Übrigens erzählt sie aus dem Heute und schneidet immer wieder Rückblenden auf die grosse Zeit der Kommune vor 23 Jahren. Immerhin lässt sie die Rückblenden – das ist nun wirklich konsumentenfreundlich – mit bleichenden Rot- oder Gelbfiltern und in meist schönen Farben verklärt erscheinen. Was zwar inhaltich einigermaßen widersprüchlich ist zu dem eher problematischen Umgang der Geschwister miteinander, zu der Entfremdung, denn die muss ja ihren Grund gehabt haben.
Am schönsten fand ich übrigens die Zeichnungen aus dem Tagebuch von Hans, wenn ich das richtig gesehen haben, da war nun wirklich ein Ansatz zu einer Geschichte und sogar zu einer künstlerischen. Diese Bildfolgen waren aber erst dem Abspann beigefügt.
Hier noch einzelne Sätze, Beobachtungen und Eindrücke.
Das Motto für den Film dürfte der erste Text sein. Er kommt aus dem Auto-Radio, ist sehr gedehnt gesprochen. Der Zuhörer innerhalb des Filmes ist Nick, der Sohn, der Arzt ist in München, und jetzt zum sterbenskranken Vater nach Österreich fährt. Bei der Annäherung an den Hof heißt es: DIE WILDE SEELE KOMMT LANGSAM ZUR RUHE, beschwingt ihre Flügel … der Geist, der bereit ist … dann folgt ein Rezeptionsproblem meinerseits.
Aus der Distanz besehen wirkt es absurd, wenn ein Radiosprecher einen Satz sagt, der dem Sterbenden gilt, den der Hörer gerade besuchen will und der sein Vater ist. Das wird mir im Nachhinein klar. Aber im Moment des Hörens glaubt man, das sei so eine Überschrift über den Film.
Vater liegt im Sterben. Ein Dialog zwischen Vater und dem Sohn, der Arzt ist: Bist ein Deutscher geworden, ein deutscher Fleischhacker. Nick: ein Sammelalbum.
Hättest Du mich auch aufgeschnitten – bist Du ein guter Arzt?
(die Dialoge sind schon sehr sehr gekünstelt, sehr bühnenhaft)
Du bist feige.
Wenn man es allen recht machen will, da macht man Fehler.
(alles schöne Sätze, die aber keine Geschichte erzählen oder in Gang setzen).
Durch diese Befremdlichkeit der Texte und den Überernst, mit welchem sie vorgetragen werden, transportieren sie als Untertext vor allem den: wir sind Schauspieler (und zwar gute!).
Schönes Stimmungsbild vom Weiher mit Schilf, in der Wasserfläche halb herausragend ein roter Holzklappsessel; künstlerische Installation.
Wenn die Familie so zerrüttet war, wie behauptet wird, so ist es schwer verständlich, dass jetzt anlässlich des Todes alle Familienmitglieder unisono und urplötzlich die eigene Geschichte aufarbeiten wollen. Woher der Impuls und die Bereitschaft?
Es gibt keine Frösche mehr (auch so ein schön literarirscher Satz, der für die Story keinerlei Bedeutung hat, der das Kino nicht zur Spannung bringt, sondern zur Andachtskapelle umfunktioniert).
Gespräch über den alten Wipperl, der Hund, das tote Tier, das tote Tiere immer zur Tür gebracht hat.
Man diskutiert die Stadt-Land-Problematik. Auf dem Land hat man die Türen offen. (das beeindruckt Städter immer, wird aber nicht in Zusammenhang mit der Familienproblematik gesetzt).
Die Regisseurin betreibt mit ihrer Methode auch ganz schön Menschenklitterung. Das sind nicht Menschen aus Fleisch und Blut und mit Widersprüchen, das sind angepasste Darsteller, die ohne Körpergeruch und Akzent eine Riesenmenge an Allgemeinplätzen schön rezitieren und dabei vorgeben, eine Geschichte zu erzählen, was sie aber gar nicht tun.
Im Gegenteil, mit dieser Methode der Aufarbeitungsbereitschaft, verhindert die Regisseurin und Autorin das Ausbrechen von Konflikten, die kokeln.
Alles ist bedeutungsvoll, das Überreichen einer Bierdose.
Kiara, das ist die Tochter, die ganz früh nach Hamburg abgehauen ist. Sie hat wohl einen Schaden, denn ihr Bruder, der heutige Arzt, hat ihr, als er noch ein Bub war und sie hüten musste, zu lange die Luft abgeschnürt.
Wie eine weltfremde Predigt.
Es wird auch über Besitzverhältnisse diskutiert und über Alimente.
Mizzi will vielleicht in die Politik.
Eine Erinnerungsszene. Ein Nachbar liefert die beiden Brüder am Schlawittchen ihrem Häuptling Hans mit Indianerschmuck ab.
Das ist das Problem, dass die Regisseurin sich nicht für eine Hauptfigur entscheiden kann; die Frauen interessieren sie mehr als die Männer, die kommen auch differenzierter rüber. Aber die Figur, die alles auslöst ist Hans, der im Sterben liegt. Aber sie kann sich auch nicht für ihn als die durch den Film führende und Empathie schaffende Figur entscheiden.
Das Kollektiv, wie sie die Kommune nennen, übt die 7 Tibeter. (sorry, solche Gruppen- und Gymnastikübungen sind zu Zeit leider so inflationär in vielen bemühten Filmen zu sehen, dass ihre Anwendungshäufigkeit für mich inzwischen zu einem sicheren Gradmesser für Themenunklarheit eines Filmemachers geworden ist ).
Wie war Euer Vater?
Cool, er hat sie nix gschissen, er wollt immer, dass wir stark werden,
ein bisschen hat er uns gewzungen, dass wir frei sind.
Was machst Du? (das sind diese Fragen, die Fernsehdialoge initiieren).
Ich such mein altes Taschenmesser.
Eine späte Beichte: ich war nicht zur Fortbildung.
Warst bei einem anderen?
Ich war in der Abtreibungsklinik.
Einmal wird eine Hausgeburt eingeblendet, wie der Hans die Schwangere von hinten hält.
Was ist das mit Deiner Haut?
Sauerstoffunterversorgung im Kindsalter.
Durchgängig humorlose und beklemmende Atmosphäre, wobei aber nicht klar wird, welche Geschichte nun erzählt werden soll. Und woher die Beklemmung stammt. Geschichten sollten was Befreiendes haben..
Eine der Töcher bandelt mit dem Milchbauern an, der die Milch bringt.
Zweiergespräche in wechselnden Kombinationen.
Der Vater hat Ärzte nicht gemocht, solange er gesund war.
Dann wird Tango getanzt. Wieso? Weils halt schön ist und man diesen schönen Workshop irgendwie auch auflockern muss.
Weisheitssatz: die urbane Kapitalismusgesellschaft frisst uns auf.
Sie wollen das Richtige (die Eltern)
Man kann alles reparieren.
Du kannst eine Vase kitten.
Aber nie mehr Wassser hineintun.
Der Töpfer war ein Trottel.
Mir kommt es vor, als sei die Regisseurin eine Tapetenfrau, sie beklebt die Wand mit einer Tapete mit lauter schönen Szenen und Dialogen drauf. Alles schöne gearbeitet, Sätze mit lockerer Hand verteilt auf die Akteure ohne Rücksicht auf den Fortgang der Handlung.
Mama, mein Name ist Maria und draussen in der Welt werde ich gesiezt.
Dann wieder der rote Klappstuhl im Wasser. Der wird später nochmal kommen, dann sitzt eine der Töchter drin und liest.
So langsam erschliesst sich mir die Problematik so einer Lebensform.
Du bist ein Schwätzer und ein Poser, mit so einem will ich kein Kind.
Ob das Publikum mit so einem Film 104 Minuten im Kino verbringen will, das wird sich ab heute zeigen.