StreetDance 2

Eine coole britische Lektion in 3D über die Differenz zwischen solipsistischem Streetdance und partnerbezogenem Paartanz wie dem Salsa.

Der Film konzentriert sich klug auf zwei Haupt- und zwei Hauptnebenfiguren. Die männliche Hauptfigur ist der Amerikaner Ash, gespielt von Falk Hentschel. Er träumt davon Tänzer zu werden. Bei einem Wettbewerb schmuggelt er sich als Popcorn-Verkäufer bis an die Bühne und schließlich auf dieselbe. Er tanzt wunderbar, fällt aber an einer Stelle auf den Hintern. Und wird verlacht. Ein Popcorn-Regen ergießt sich über ihn.

Eddie, gespielt von George Sampson mit dem lustig-jungenhaft-spitzbübischen Gesicht, bietet sich ihm als Manager an und schlägt vor, eine Truppe der besten Streetdancer in ganz Europa zusammenzustellen und dann die Revanche zu fordern.

Ruck zuck ist Europa bereist und jeder Ort bekommt eine kurze Charme-Chance, und schon ist die Truppe in Paris, wo in einigen Wochen dieser Wettkampf stattfinden soll. Da stößt Ash auf Eva, gespielt von Sofia Boutella. Sie tritt in einem Box-Ring als Salsa-Tänzerin auf; modernistisch zwar, eingespannt in Seile. Der Betreiber des Clubs ist Manu, gespielt von Tom Conti, der Onkel, der Seelentröster, der Katalysator im Hintergrund.

Logisch, dass Ash gleich hin und weg ist von der Kirschäugig-Schwarzhaarigen mit dem schönen Mund, mit den ausdrucksvollen Augen und den wunderbaren Bewegungen. Dramaturgisch knapp und gut kalkuliert findet nun die Annäherung der beiden inklusive Widerstände statt; sie will schließlich mitmachen in der Truppe; dafür muss diese aber auch den Salsa mit aufnehmen. So kann sie Ash den Unterschied zwischen egomanischem Solotanz, der einzig auf die Bravos und Resonanz des Publikums giere und dem klassischen Salsa hinweisen, in dem in erster Linie die Partnerbezogenheit sei, die Tänzerin soll gut dastehen durch die unterstützende Eleganz und Hingabe des Tänzers. Schön auch, dass Ash das kapiert, aber es gibt ihm auch zu kauen.

Wie es sich für eine professionelle Dramaturgie gehört, türmen sich Hindernisse auf bis zuletzt, somit den Boden bereitend für das grandioses Finale. 3D ist in diesem Falle sicher nicht verkehrt. Das Buch schrieb Jane English. Die Regie führten Max Giwa und Danila Pasquini.

Kochen ist Chefsache

Das Filmemachen als Zubereitung eines feines Mahles begriffen. So jedenfalls wird das Team in den Titeln am Anfang vorgestellt, wer für das Würzen, für das Schnetzeln etc. zuständig sei. Das Kino als Gourmet-Leckerei verstanden und also nach den Michelin-Sterne greifend, würde hier jedenfalls einen Vorabstern verdienen allein für die Besetzung der Antagonisten-Rolle des Alexandre Lagarde mit Jean Reno.

Wetten, er hat den Film „El Bulli“ gesehen. Jedenfalls mimt er perfekt den Meisterkoch, der um seine Sterne bangt. Er ist die Figur, an der sich der Protagonist, Jacky Bonnot gespielt von Michael Youn abarbeitet und hochrankt. Während Lagarde um seinen Stern bangt, denn der Besuch der Michelin-Tester steht gerüchteweise bevor, hat Jacky seine liebe Not mit seiner Freundin, die zwar von ihm schwanger ist, der er aber noch keinen verlässlichen Lebensunterhalt mittels sicherem Job bieten kann, was ganz schön nervig ist. Denn Jacky ist ein Küchenträumer, ist aber auch voll von sich überzeugt, meint immer überall seine Kochweisheit breit treten zu müssen, was leider in den Küchen von durchschnittlichen Lokalen gar nicht gut ankommt.

Ein kleiner dramaturgischer Kunstkniff über einen Anstreicherjob bei einer feinen Altersresidenz inklusive Einblick in die Küche mit einem abgefuckten, ambitionslosen Kochtrio bringt ihn schließlich mit seinem Idol Lagarde zusammen. Sie lieben sich, sie necken sich, sie bewundern sich, sie trietzen einander und sie schaffen es mit vereinten Kräften fast immer an den Rand des Zusammenbruchs.

Lagarde, schon etwas müde geworden, vertritt die alte Schule, Jacky ist allem Neuen, Innovativen gegenüber aufgeschlossen wie der Molekular-Küche. Das feine Filmmenü wird mit einer Musik besprengt, die wie eine Jahrmarkt-Orgel in ewigem Umlauf erzählt, wir machen das alles nicht so schwer, wir erzählen Euch eine leichte Geschichte, wir tischen Euch ein leichtes Gericht auf, was nicht zu schwer verdaulich ist.

Menükritik: Das Hauptproblem in der Komposition dieses Filmes scheint mir zu sein, dass Daniel Cohen, der Regisseur und Autor dieses Filmes zwar den Reno drin haben wollte, andererseits aber die Hauptrolle auf Jacky zuschrieb. Und dann vielleicht, um dem Reno nicht unrecht zu tun, diesem ein paar kleine Probleme ins Buch schrieb und auch noch ganz am Rande eine kleine Liebesgeschichte, was aber alles nicht so richtig gar gekocht ist und andererseits auch dem Jacky nicht die ganze Breite, die seine Problemsituation erforderte, gibt, wohl aus Rücksicht auf Reno, um den nicht in den Schatten zu stellen. So bleibt die Geschichte leider medium, aber das Vergnügen am Vergnügen des Regisseurs und des Teams am Themenbereich der Story und an der Zusammenarbeit mit Jean Reno das blitzt trotz allem durch. Für drei Sterne dürfte es allerdings nicht reichen.

Die Sensibilität dieser Art von Meisterköchen zeigt sich daran, dass sie zum Beispiel eine Aubergine, die schlecht behandelt worden ist, sprich verkocht worden ist, „schreien hören“.

Über die Molekular-Küche gibt es eine satirische Szene, wenn zuviel Stickstoff drin ist und den Essern plötzlich Dampf aus dem Mund steigt.
Und sich selbst geben die Filmemacher hier etwas viel Applaus, wenn was gelungen ist.

Deutschland von oben

Diese Dokumentation von Freddie Röckenhaus und Petra Höfer versammelt eine Fülle von Bildern, die Deutschland aus der Luft zeigen und auch, was sich in der Luft über Deutschland so alles tut. Wie nach einem Zufallsgenerator-Prinzip hupft sie wild von oben in Deutschland nach unten, von Westen nach Osten und hin und her und her und hin, geordnet einzig nach Monaten. Die Monate als Ordnungsgröße zu nehmen enthebt die Filmemacher der allfällig leidigen Pflicht einer politischen oder kulturellen Wertung, Stellungsnahme oder Kritik des Landes. Sie sehen sich wahrscheinlich eher als eine Art Kuddelmuddel-Postkartenfabrikanten.

Viel Geist gibt es nicht in diesem Postkarten-Deutschland, gerade mal die Namen Heine, Hesse oder Luther fallen. Wir leben ja auch nicht in einer geistigen Zeit, wir leben in einer Zeit der unendlichen Kameramöglichkeiten, Kameras an Hubschraubern, Kameras an Abfangjägern der Bundeswehr, Kameras an Hochhausspringern, Kameras an Fallschirmspringern, Kameras an Seeadlern und Kameras an Wildgänsen.

Der Luftraum über Deutschland ist aber nicht nur voller Kameras, er ist auch voll der vielfältigsten Flugdinger, vom Segelflugzeug, was eine deutsche Spezialität sei als Folge aus dem Krieg, weil die Deutschen keine motorisierten Flugzeuge mehr fliegen durften, von Kleinflugzeugen, die Verkehrszählungen durchführen oder die Menge der in einem Jahr abgebauten Braunkohle messen, von Flugzeugen, die den Proviant in eine Berghütte bringen oder Lotsen auf ein Schiff in der Nordsee, von Helikoptern, die vom Borkenkäfer infizierte Fichten aus einem Naturschutzgebiet abtransportieren, von riesigen Airbussen, überhaupt vom Flugverkehr, der in wunderbar computeranimierten Linien nachgezeichnet werden kann wie auch die Flugwege von Zugvögeln, sei es nach Sibirien oder nach Afrika, Störche, Wildgänse, Kraniche.

Wir fliegen von der Zugspitze bis zur Nordsee, wir fliegen über Industriebrachen im Ruhrgebiet, Fachwerkstädtchen noch und nöcher, die oft vom Krieg, das wird in traurig opferhaftem Ton genölt, leider zerstört worden sind, wir sehen Bilder von der Zerstörung Hamburgs, computeranimiert, wir sehen Sommerfrischler, Kletterer, Surfer, Angler, Rafter, Grundrisse von Städten, Verkehrsstaus.

Wir bekommenTexte zu hören wie:
Die Böcke (= die Steinböcke) entspannen sich in einer Männer-WG bis zur nächsten Brunftzeit.
Nein, das ist nicht der Mond, das ist Braunkohletagebau in der Lausitz.
Von Sylt bis Föhr nur Dünen und Meer und ein paar Dutzend Millionäre.
Magdeburg geht am 15. Januar 45 unter.
Wie unberührt dürfen wir die Natur lassen, ohne den Spass daran zu verlieren?
Pfingsten steht vor der Tür und wir stehen im Stau.
Dresdens Frauenkirche dagegen sieht aus wie aus dem Ei gepellt.

Der Film fängt mit Steinböcken im Allgäu an und hört mit ihnen wieder auf.

Wer vieles bringt, wird vielen etwas bringen werden sich die Filmemacher gesagt haben. Ein Film für Menschen, die gerne mal auf einen Kirchturm steigen des Perspektivenwechsels wegen, die den Blick gerne schweifen lassen im Rund und sich von den Bildern und Aussichten treiben lassen und sicher für Kinder, die anfangen zu entdecken, was es so alles auf der Welt gibt, wovon sie in ihrem Kinderzimmer noch nicht zu träumen wagten.

Die Filmemacher zeigen auch, wie es durchaus schwierig ist, aus dieser Überfülle an technischen Möglichkeiten und Material (etwa 300 Stunden) einen spannenden Film zu machen.

Der inhaltlichen Dürftigkeit der gesprochenen Texte wird eine bombastische Filmmusik entgegengesetzt, die alle paar Minuten einen nicht unbedingt eintreffenden Höhepunkt ankündigt. Bei der Queen Mary 2 in Hamburg würde man das noch verstehen.

Schön, vielleicht der poetischste Moment im ganzen Film, wenn nach der Schilderung des Oktoberfestes von oben (München wird als die Hauptstadt des Sommers tituliert, Berlin als die Stadt der Monumente der Macht), wenn sich die Kamera entfernt, die Stadt im Dunkeln liegt und das Quadrat von Festwiese leuchtet und die Musik ganz leise wird.

Eindrucksvoll auch die GPS-gesteuerten Erntemaschinen. Und nett: die einzigen 400 Wildpferde Deutschlands in Dülmen. Die gedämpfte Sprecherstimme ist leider zu routiniert, zu bemüht, den doch harmlosen bis verharmlosenden Sätzen Bestimmtheit zu geben. Ein fruchtloses Unterfangen.

Und die Kamera ist vernarrt in Reisszooms.

Amador und Marcelas Rosen

Film kann vieles mit unserem Bild von Realität anstellen. Es kann dieses dehnen, kürzen, komprimieren, verbiegen wie mit einem Hohlspiegel oder verzerren wie mit einem Zerrspiegel, kann dieses beschleunigen, verlangsamen, gar stehen lassen, kann einzelne Teile herausarbeiten, hervorheben oder darauf verzichten; was Film selten kann oder kaum, das ist die Qualitäten eines Zeichners als pointiertes Abbild unserer Realität herzustellen. Kino kann nicht Sempé – oder allenfalls als Echo.

Dieser Film jedoch fängt mit einem Bild an, was von einem Zeichner stammen könnte. Eine einzige Rose steht blühend auf einem flachen Hügel, der dicht vor uns die Horizontlinie bildet. Sonst ist nur kärglicher Bewuchs. Dieses Bild will uns wohl bewusst auf eine Art der Betrachtung, die für diesen Film vielleicht hilfreich werden könnte, einstimmen. Kino als ein Alternativ-Versuch, Realität mit einem spitzen Bleistift und traurig-ernst und wie ich sogar vermute rabenschwarz-humorig abzubilden.

Wobei sich Fernando León de Aranoa, der Autor und Regisseur dieses Filmes, ganz keck dann noch der Bildwelt des italienischen Neorealismo bedient. Und zwar vor allem in sehr ruhigen statischen Bildern. Ohne überflüssige Requisiten oder Möblierungen. Auf das Wesentliche reduziert.

Am Anfang gibt’s ein wenig Action. Die Kamera weitet nach dem Bild mit der einzelnen Rose am Horizont das Gesichtsfeld. Einige Männer, eher gedrungene, südliche Typen, schleichen sich den Hügel hinan. Schauen auf der anderen Seite hinunter. Da sind Leute damit beschäftigt, Blumen in große Container zu werfen. Jetzt machen die Beschäftigten Pause. Unsere, wie sich bald herausstellen wird: Blumenverkäufer preschen vor, um möglichst viele dieser Schnittblumen, vor allem Rosen, in mitgebrachte Taschen zu stecken. Aber sie werden von der Polizei entdeckt und vertrieben.

Nelson ist einer von ihnen. Er bringt die Blumen zu sich nach Hause. Seine Frau ist Marcela, die Hauptfigur in diesem Film. Sie bringt den spröden Ausdruck mit, den wir bei Frauen schon im italienischen Neorealismus gesehen haben. Sie ist immer wie naiv, ausdruckslos der Welt gegenüber. Ihr wunderbar sinnliches schwarzes Haar bedeckt ihren ganzen Rücken, aber das wird nur so ganz nebenbei kurz gezeigt. Sie ist eine Frau, die keine Geschichte aus sich macht. Die das Schicksal nimmt wie es kommt.

Bald wird sie erfahren, dass sie schwanger ist. Die Blumen werden im Kühlschrank aufbewahrt, damit sie frisch bleiben, später werden sie parfümiert, damit sie nach Blumen riechen. Marcela und Nelson wollen einen neuen Kühlschrank kaufen. Aber mit dem spärlichen Geld aus den aufgemotzten Abfall-Rosen ist das kaum zu bewältigen.

Marcela bewirbt sich für eine Stelle als Pflegerin bei einem bettlägerigen, schwerkranken alten Mann. Das ist Amador. Sie erhält die Stelle ohne weiteres und eine Anzahlung auf den Kühlschrank bekommt sie umgehend überwiesen.

Es gibt jetzt viele stille Bilder, wie sie den Alten betreut, wie sich die beiden unterhalten, über das Meer, das beim Puzzle besonders schwer zusammenzustecken sei, über Meerjungfrauen. Oft sitzt sie still da. Die äußerliche Hauptszenerie, auch das erinnert an den Neorealismo, ist der ausfransende Rand einer wachsenden Großstadt mit anonymen Wohnblocks im Übergang zum Niemandsland.

In all dieser Ruhe und spannend gedehnten Zeit, entwickeln sich nun Dinge, die den Traum vom neuen Kühlschrank gefährden können, auf dem alten war anfangs des Filmes noch in bunten Magnetbuchstaben der Name Marcela zu lesen.

Leicht surreal wirken diese Pflegebesuche bei Amador auch dadurch, dass die Verwandten nie zu sehen sind. Die Kinder sind nämlich mit dem Bau eines Hauses beschäftigt und wenig an ihrem Vater interessiert. Lediglich eine Dame, Puri, was Purismus anklingen lässt, es aber höchstens in sehr eigenwilliger Interpretation ist, besucht Amador jeweils donnerstags für eine Stunde. Spätestens im Augenblick, wo Puri Marcela von einem Mann erzählt, der ein „Podium“, was Marcela verunsichert, also ein „Medium“ gewesen sei, gibt sich der schräge Beobachterhumor an dieser feingezeichneten Komödie kurzfristig zu erkennen.

Sonst vermeidet der Filme jeden Anschein, er wolle hintersinnig oder hinterfotzig sein. Er gibt sich ernsthaft und diverse Mittel der Künstlichkeit, die dem Kino soviel Reiz verleihen können, benutzend. Um uns am Schluss klarzumachen, dass er die Menschen doch als recht sonderbare Wesen sieht, die wie Krokodile oder was auch immer, je nur ihren eigenen Zielen nachgehen, dem roten Faden ihres Lebens folgen, immer auch das eigene Ziel und den eigenen Vorteil lange vor jeder Moral suchend. Kreuchende und fleuchende Existenzen.

Ein lakonisches Beispiel dafür ist das Fake-Telefonat, das Marcela mit einer vorgeblichen Freundin oder einem Freund führt, damit der Alte sein Vorurteil bestätigt bekommt, dass diese Hilfen immer nur an ihren Freund oder an ihre Freundin denken.

Zur Begründung, dass Blumen ein Geschäft seien, erfahren wir, dass das Leben, die Liebe und der Tod die Momente sind, die immer wieder kommen und bei denen Blumen gekauft werden.

Die Menschen in diesem Film versuchen, am Schicksal zu zupfen, zu rütteln, es in Richtung ihrer Absichten, in ihrem Sinne zu verändern; dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Andererseits gibt es Momente, da denkt man: eine Groschenroman-Geschichte. So simpel. Aber so ganz simpel ist sie eben nicht. Und gegen die Sünde gibt es die Kirche. Auch da findet später eine sehr komische Szene statt, wie der Priester Marcela, die der Ansicht ist, sie tue etwas Unrechtes, dies aber abstrakt schildert, vom Priester den Segen dafür erhält – das ohne jede Flachserei oder Distanziererei des Filmemachers. Es gibt Momente, da könnte die Nacherzählung fast in eine Schauermär ausarten.

Zwischendrin spielt der Filmemacher auf die Tonspur einige wie kommentierende Musikrefrain-Takte. Irgendwie ist doch alles immer das Ähnliche, dasselbe.

Momentweise ein surreales Kino. Was aber in der Menschenbeobachtung wieder nah an die Menschen und deren Realität rankommt, was nah heran gezoomt manche Dinge vergrößert und verdeutlicht ohne jeden Zeigefinger sondern aus Spaß und Neugier, wie ein Mensch sich in einer bestimmten Situation doch verhalte.

Eine surreale Komödie über das Sein, die Schönheit und über Versuche, das Schicksal auszutricksen. Blumen und Leichen sind sich in vielen Dingen nicht unähnlich. Von der Sterblichkeit der Schönheit, vom Sterblichen in der Schönheit, von der Schönheit im Tod, von der Schönheit der Blumen und dem Geschäft mit ihnen.

Wie zwischen Himmel und Erde

Tibet-, Frauen- und Mutterschaftssehnsüchte gepaart mit Sehnsucht nach Mitleid für unterdrückte Menschen scheinen sich in diesem Film von Maria Blumencron nach der Methode „wahre Geschichten muss man umschreiben“ artikulieren zu wollen.

Zwei Geschichten müssen zur Beschreibung dieser Gefühle herhalten.

Zum einen eine Art Kinderabenteuerfilm, der zwar unter der Prämisse „Flucht aus Tibet“ steht mit ganz unzimperlichen Politik- und Natureinflüssen, aber meist lachen die Buben doch, so als hätten sie mächtigen Spass an den Dreharbeiten oder als wollten sie der Regisseurin gefallen. In diesem Geschichtsstrang geht es darum, den „Golden Boy“, der zum nächsten Dalai Lama ausersehen ist, aus dem von den Chinesen okkupierten Land zu bringen. Diese spielen die Schurken in dem Stück, sind einerseits recht freundlich zur Hauptfigur der anderen Geschichte, können aber auch ganz rabiat und herzlos foltern.

Die andere Geschichte ist die einer suchenden jungen Frau (Hannah Herzsprung als Johanna), einer Deutschen die weder Mann noch Kind hat, und die in Richtung Himalaya und Tibet unterwegs ist aus durchaus diffusen Gründen. Ihre Mutter war, wie sie erzählt, Extrembergsteigerin, zum anderen hat sie eine Art Erweckungserlebnis, wie sie in eine Gletscherspalte fällt und darin zwei tote Kinder findet. Sie fühlt plötzlich Mutter-, Beschützer- und Verantwortungsinstinkte in sich erwachen und die Gelegenheit dazu in Form der anderen Geschichte kommt ihr gerade recht.

Die beiden Geschichten greifen jetzt ineinander oder vagieren nebeneinander her. Plötzlich findet sich Johanna in einem flohbestückten Hotelzimmer mit einem Spielkameraden vom Golden Boy, der in der Anfangsszene des Filmes drachenspielend auf einem Dach angeschossen worden ist, weil er von den Chinesen für den Golden Boy gehalten wurde. Nebst Flohstichen beschäftigt Johanna auch die Wunde vom sehr glücklichen Streifschuss an der Stirn direkt am Gehirn vorbei. Später im Film, wenn sie dem Jungen wieder begegnet, wird sie glücklich feststellen können, dass beider Flohstiche verheilt sind.

Diese beiden ineinandergreifenden und auseinanderdriftenden Geschichten werden zusammengehalten durch die wunderbare Kamera von Jörg Schmidt-Reitwein, der uns später, wie das Drehteam in die Schweiz übergesiedelt ist, noch eine Schneesturmszene schenkt, die an „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ von Arnold Fanck erinnert. Wobei die Darsteller allerdings noch ein Mü authentischer wirken, wenn sie wirklich am Himalaya auf 4000 Metern Höhe oder mehr drehen und nicht in der im Vergleich dazu gemütlichen Schweiz.

Stichworte: Razzia, Flüchtlingstrecks in Schneegebirge, Zug mit Tragesänfte mit dem Golden Boy drin, Wildwest-Polizistenmord in Selbstjustiz, Statement von Schmuggler, der keine Arbeit mehr hätte, wenn Tibet ein freies Land wäre.

Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden

Ein Tabu-Thema tabulos zu behandeln, das scheinen sich die Autorin Ursula Mauder und der Regisseur Christoph Stark vorgenommen zu haben. Die Geschwisterliebe dargestellt als normale Beziehungskiste mit Seitensprungqualität. Es ist insofern keine gewöhnliche Geschwisterliebe, als es sich bei den handelnden Personen um Prominenz handelt, um literarische Prominenz. Georg Trakl und seine Schwester, die ficken hier mehrfach miteinander, tabulos, wie die Filmemacher vorgeben. Das wäre vielleicht recht apart, wenn dafür schöne, erotische Körper ausgewählt worden wären, vor allem hinsichtlich des männlichen Darstellers wären da noch Wünsche übrig, die Frau, die passt schon auf die Leinwand.

Aber vielleicht ist mal wieder die Degeto schuld, die die Finger mit im Spiel hat und einmal mehr den Versuch startet, großes mainstreamtaugliches Bildungskino zu machen.

Die Darsteller sprechen miteinander so, als wären sie auf der Bühne, sehr deutlich, sehr prononciert, damit auch die hintersten Ränge es verstehen, einzig Trakl macht ein zwei Ansätze zum Mikrosprechen – als gäbe es noch keine hochempfindlichen Richtmikros oder Mikroports.

Das Drehbuch reiht wie eine Chronik Szenen aus dem Leben von Georg Trakl und seiner Schwester und deren Liebe aneinander. Es gibt, stöhn, einmal mehr im subventionierten deutschsprachigen Kino, was ja die große Chance fürs Kino wäre, nicht den subjektiven Point of View einer Figur, keine Identifikationsmöglichkeit mit der Hauptfigur noch mit irgend einer Nebenfigur. Der Film betreibt Themenkino.

Der Film setzt irgendwann im Leben der Familie Trakl, die nicht in Wien wohnt, ein. Ein bürgerliches Haus, es gibt Gesellschaften. Man ist gebildet. Georg lebt schon in Wien. Was er genau macht, ist nicht klar, denn den Durchbruch hat er noch nicht, da ist er weit davon entfernt. Weiteres Bruchstück aus dieser Geschichte: Seine Schwester Grete darf zuhause dem Herrn Komponisten und Musikprofessor Brückner aus Wien vorspielen und er nimmt sie in ihre Klasse auf. Die Mutter ist dagegen und soviel zu sehen ist, tut sie so, als sehe sie die Geschwisterliebe nicht.

Der Film verzichtet allerdings auf die Möglichkeit, in einer Nahaufnahme einen inneren Monolog der Mutter, zum Beispiel nach einer Begegnung von Sohn und Tochter, und, was im Film möglich wäre, zu zeigen, wie sie darüber denkt. Da bräuchte es nicht einmal einen sprachlichen Text dazu. Aber die kinofernen Macher verzichten auf solche Reaktionen, die für ein zentrales Verhältnis in einem Film unbezahlbar sind, weil sie es in einem bestimmten Licht erscheinen lassen.

Grete geht nach Wien, sehr deutlich inszeniert ist der Vorfall, dass sie den Anfang ihres Studiums bei Professor Bruckner verpasst, weil sie mit ihrem lange nicht gesehenen Bruder in innigen Liebesszenen zugange ist. Allerdings scheint mir gerade eines zu fehlen in diesen Liebesszenen, was sie vielleicht einzig prickelnd machen könnte, das ist doch der von Geburt auf vertraute Umgang von Geschwistern miteinander. Darauf scheinen weder die Akteure noch die Regie ein besonderes Augenmerk geworfen zu haben.

Der Professor weist seiner Schülerin erst die Tür, sie habe die Einschreibung verpasst, und dann, das ist recht stereotyp inszeniert, dass erstens Grete was Besonderes sei, nicht wegen der Geschwisterliebe, das hätte ja Reiz, sondern wegen musikalischen Genies und sie bittet und bettelt, dass der Professor sie aufnehmen möge. Er nimmt sie, weil er sie für was Besonderes hält, musikalisch.

Zum Darsteller des Professors. Da ist wohl ein Chargenspieler ausgesucht worden, der immer so spricht als sei er ein Subalterner, der jetzt ganz ordentlich und ohne eigenen Geruch oder Couleur was von sich geben dürfe, womöglich ohne Speichel. Eine schlichte Fehlbesetzung meiner Meinung nach.

Trakl veröffentlich seinen ersten Gedichtband. Das wird bildlich verdeutlicht dadurch, dass er große Überseekisten mit Büchern drin durchwühlt und endlich ein Exemplar seines ersten Gedichtbandes findet und stolz ist.

Im Rhythmus von etwa alle Viertelstunde, im Sinne telegener Cliffhänger-Paxis rezitiert der Trackl-Darsteller Trakl-Gedichte, und er tut es mit so getragener Stimme, das Degeto-Publikum wird sich glücklich wie in der Degeto-Kirche fühlen, dass man glaubt ein verehrender Schauspieler würde lesen; wer einmal eine Dichterlesungen erlebt hat, welche Hemmungen so einer mitunter hat, wird sich wundern.

Die Zimmerwirtinnen sind in diesem Film, der sich schwer tut, einen Handlungsbogen zu spannen, auch wichtig. Denn sie dürfen nicht hinter die Geschwisterliebe kommen. Die Wirtin von Trakl, die lässt sich wenigstens bestechen. Es könnte allerdings sein, dass die Zimmerwirtin von Grete einmal gesehen hat, wie Georg von ihr rausgegangen ist. Aber diese Zimmerwirtinnendinge sind so dick aufgetragen, damit ja keinem entgeht, dass hier eine Geschwisterliebe, die im Film noch dazu als hochunerotisch dargestellt wird, auffliegen könne. Statt Spannungsbogen durch eine solide Struktur von Geschichte, die den Konflikt der Hauptperson zur Spannungserzeugung einsetzt, muss also Spannung dadurch gekünstelt werden, dass Zimmerwirtinnen hinter die Geschwisterliebe kommen könnten. Ein eher einfältiges Verständnis von Kinodramaturgie scheint mir.

Ein Szenenfaden ist der mit Ludwig, einem Studienkumpel von Trakl, der ihn vom Koks wegbringen möchte und ihn zur Moral drängt. Mit ihm scheint er auch zu besprechen, wie er es mit der Dichterlesung in Bayreuth bei Wagners auf dem Grünen Hügel halte.

Ferner gibt es diffus dazwischen geschnittene Szenen mit Oskar Kokoschka, dessen Muse abgehauen ist.

Gegen Ende zu lichtet sich der Inszenierungs- und Schnittnebel etwas. Trakl macht eine Lesung in Bayreuth. Dort taucht seine Schwester auf, kurz vor Ende steht sie hinterm spärlichen Publikum und entsprechend bescheidenem Applaus, den Trakl für gigantisch hält. Wie die Blickfolge der beiden, wie er sie sieht, abläuft, das ist auch so was von vorhersehbar und dazu noch schwerfällig inszeniert; nie davon gehört hat, wie schnell ein Augenschlag sein kann. Hier kann man im Kinofoyer gefühlt noch eine Tüte Popcorn holen bis diese schwere Aktion vorbei ist.

Es gibt dann wieder eine Szene, wie sie halbangezogen vor einem Spiegel steht und sich eine Zigarette anzündet – überhaupt rauchen die soviel, das dürfte der historischen Genauigkeit geschuldet sein, während das Hauptthema „Tabu“ gleich vollkommen durch die Enttabuisierung weggeholzt worden ist, also man kapiert nicht, wie lange sie vorm Spiegel steht, denn es gab keine besonders emotionale Szene vorher, die sie hätte verarbeiten müssen, zumindest zeigt das das Kino von Christoph Stark-Degeto nicht. Ja, dann kommt, kommt der Bruder und es wird wieder gefickt, gefickt, gefickt.

Die Storyline, die geht dann so weiter, sie ist schwanger, das hat sie vorher auf dem WC sitzend mit dem Messteil im Mund herausgefunden. Vorher gabs noch ein Gespräch mit ihrem Mann in ihrer weißen Villa vor einem Fenstergeländer und die haben darüber geredet, dass das mit den Kindern halt dauern kann.

Eine Zeitorientierung gibt’s nirgends in diesem Film, also schwanger, sie kommt einmal mit einem Korb mit Maiskolben unbekannter Herkunft (das war ganz gewiss die Requisite!) drin, es gibt null Handlungszusammenhang, warum sie das bräuchte, da bricht sie zusammen und stolpert.

Sätze: „Stell mich nicht bloß vor den Leuten, er dirigiert das Auftragskonzert“.
Professor Brückner, Degetosatz: „Ihre Technik ist brilliant, aber es ist das Herz, was sie über andere hinaushebt.“
Zu Georg: „Dein Vater hat auf Dein Vordiplom gewartet. Und jetzt, Du hast ihn ja gesehen.“

Sie: „Ich kann nicht bis zum Winter warten.“
Degetosätze: „Die sind alle verkauft … Heute lesen die Leute auch jeden Schund“ (einen ähnlichen Satz hatten wir neulich schon bei der Literaturverfilmung von Kehlmanns „Ruhm“).

Closzene und Schwangerschaftstest und Arschfick. Sie zeigen genau das, was ein Tabuthema langweilig macht.

Trakl: “Das darf nicht sein. Das ist die größte Sünde“
Über die wahre Vaterschaft: Grete über Brückner: „Er weiß es nicht, er darf es nicht wissen“.

Brückner zu Trakl: „Sie haben sie mir doch nur geliehen“.

Überschminkt-verschwitzte Gesichter beim Gespräch Trakl/ Brückner
„Sie sind ein Monster“
Degeto-Satz von Grete: „Egal was ich mache, ich kann immer nur verlieren“.

Eindrücklich: die Autoreifenspuren eines modernen LKWs im Rasen vorm Haus von Prof. Brückner.

Safe – Todsicher

Das ist zweifellos alles ganz seriös gemachte Action und wer Action mag, bekommt auch die Action geboten und die seriösen oder auch sehr grob skizzierten Gangstergesichter, die Anzüge, die Krawatten, die Limousinen, die Schusswechsel, die passende Buntheit, die New York als Hintergrund bietet, Clubs und Salons, Hotels, und ein kleines Chinesenmädchen, das für diverse Mafia-Gruppierungen, egal ob russische, chinesische oder halbseidene Cops aus den Staaten, deshalb von Interesse ist, weil es ein Mathegenie ist, das sich die längsten Zahlenreihen nach nur einem kurzen Blick drauf merken kann; was, wenn es sich um den Code zur Öffnung eines Safes handelt, in dem 30 Millionen in Bar liegen, durchaus von Interesse sein kann.

So ein Bijoux von Mädchen soll man nicht allein in einer großen Stadt wie New York lassen. Zu leicht gerät es in Gangsterhände. Es in Gangsterhänden zu sehen, macht jedoch nicht glücklich. Da es aber schnell von Begriff ist nicht nur in Zahlendingen, hat es auch sofort kapiert, was „Geschäft“ ist und was das so alles mit sich bringt. Und nutzt die erstbeste Schießerei um abzuhauen.

Da wir das Mathemädchen nicht lange allein in New York umherirren lassen wollen, so haben wir auch noch den Actionhelden Jason Statham engagiert, der hier Luke Wright spielt, und im Moment nicht gerade in bester seelischer Verfassung ist. Eben ist ihm von den Hintermännern eines gekauften Boxkampfes, den er gegen die Verabredung nicht verloren hat, vorgeführt worden, dass sie seine Frau erschossen haben, er musste so wie die Kardinäle vorm Papst vor den Ganoven niederknien. Aber sie fanden es lustiger, ihn gedemütigt am Leben zu lassen, um ihn weiter schikanieren zu können. So ist er in gewisser Weise auch ein alleiniges Mädchen, was die Seelenverwandtschaft betrifft und, da kennt eine logische Dramaturgie keine Gnade, lässt die beiden verlorenen Seelen aufeinander stoßen.

Wobei Statham inzwischen einen Heldentypus entwickelt hat, dem die Seriosität, dass er ein ehrlicher Held sei, auch noch in der beschissensten Situation anzusehen ist; nie würde man Mitleid mit ihm bekommen; das erlaubt sein inneres schauspielerisches Need keinesfalls. Immer strahlt er aus, dass er an die Sinnhaftigkeit seiner Figuren glaubt. Immer strahlt er aus, dass er die Sache, auch die Erniedrigung im Griff habe. Dass ihm mal etwas entgleitet, das könnte so eine Figur nie zulassen, ich meine, echt entgleitet, so dass im Zuschauer die bange Frage entstünde, hm, wie wird er da wohl wieder raus kommen.

Er kommt hier dadurch raus, dass er durch das Mädchen immer tiefer hineingerät in die Machtspiele um die Zahlenkombination und um eine geheime CD mit verräterischen Daten über Triadenhandel und –wandel.

Statham wird also dadurch, dass er immer weiter in den Strudel um diese Geheimnisse und die rivalisierenden Gruppen hineingerät, er selber war mal Cop, hat also auch Drähte zu dieser hier auch nicht lupenreinen Seite, dadurch also kann er all seine Actiontalente ausleben. Das ist schon interessant, wie ein erwachsener Mann, zumindest so wie er sich kleidet mit Anzug und Hemd, wenn dieses auch offen und ohne Krawatte und immer piekfeiner Haarschnitt und gut rasiert, wie so einem nichts anderes einfällt, als schnell mal ein paar andere zu erschießen, die selbst auch nicht viel anderes angezogen sind, sogar meist mit dicken Krawattenknoten, und die auch nicht allzu nuancierte Gesichtsausdrücke haben, und genau so schnell um sich ballern, nullkommnichts fangen sie an und an einem Ort voll ruhiger Menschen, ob Hotel oder Club bricht in einem Moment die große Panik aus. Das setzt ein Gerenne. Also alles äußerlich Gentlemen aber sie haben nicht viel anderes im Sinne, als rumzuballern und hinter einigen Geldscheinen, die in einem Safe drin sind, her zu sein. Ziemlich einfach gebaute Gemüter also. Vielleicht ist das das Entlarvende an diesem Genre. Weil wie würde das aussehen, wenn diese Akteure nicht so fein angezogen wären?

Das ist vielleicht dieser Widerspruch: aussehen tun alle diese Gangster, auch der ehrliche Hauptheld, wie seriöse Geschäftsleute oder Politiker, aber verhalten tun sie sich alle durchs Band wie Selbstjustizler, primitiv gleich zur Knarre greifen. Ein merkwürdiges Menschenbild. Denn der Hauptheld möchte Vorbild sein. Er ist einer, der sich zu wehren weiß. Und will durch die vom Buch her gegebene Verzweiflung noch klarer herausstellen, was für ein toller Kerl er doch ist, der sich eines solchen Mädchens annimmt. Strahlt dazu noch Sendungsbewusstsein aus. Er müsse der Menschheit diesen Typen vorspielen. Was soll diese von ihm lernen bittschön? Ehrlichkeit? Wer ehrlich ist, darf gerne Unehrliche abknallen? Ist der Actionheld á la Statham, wie er hier vorgeführt wird, überhaupt noch zeitgemäß? Reicht es aus, ihn erst kurz auf den Knien zu zeigen, um dann die ganze alte, ausgebeulte Ballerei damit zu rechtfertigen?

Buch und Regie: Boaz Yakin

Snow White and the Huntsman

Ein mächtiges Monumentalgemälde, wert im Grimmschen Vatikan aufgehängt zu werden, falls es einen solchen gibt, geben sollte.

Wie die Amis es so halten, sonst wären keine zwei Stunden aus einem kurzen Grimmschen Märchen zu machen, angereichert oder geräubert aus x anderen Geschichten, an Herr der Ringe erinnert der Film, im „Dark Forest“ erinnert Schneewittchen, wenn ihr Haupt von Schlangen umringt ist, an das Medusenhaupt und wenn sie das Reiterheer zur endgültigen Schlacht gegen die böse Königin mit Ritterrüstung anführt, so muss man unweigerlich an Jeanne d’Arc denken.

Eine Gagdoppelung gibt es, der an die kürzliche „Spieglein Spieglein“-Verfilmung ebenfalls aus Hollywood erinnert: die Zwerge hier haben die genau gleiche Methode, Menschen zu fangen und ihr Handwerk ist auch das Wegelagern. Hier erwischt es Schneewittchen und den „Huntsman“, den anderen Protagonisten des Filmes, während es beim Spieglein-Film den rettenden König und seinen Knappen am Seil kopfüber hochschnellen liess.

Die Machart ist meisterhaft, hat Staatstheaterklasse von der Schauspielerführung her, auch wie sie sprechen, hat aber alles auch die inhaltliche Schwere des Monumentalen. Man müsste das direkt messen, wie viele Minuten in diesem Film Schlachtengetümmel sind. Auch der Spiegel, der schien mir in der vorhergehenden Inszenierung leichter. Hier schmilzt eine große Edelmetallplatte; aus dem zähen Teig formt sich eine Menschenskulptur, die mit männlicher Stimme zur Königin spricht. Unglaublich monumental, opernhaft.

Überhaupt wurde der Märchen- und Opern- und SciFi-Fundus, den Hollywood zu bieten hat, gründlich geplündert. Kostümschinken könnte er teilweise auch genannt werden. Die prunkvollen Aufzüge am Hof, mit Statisten en Masse. Aber was will die Geschichte uns nun erzählen? Wieso ist die neue Königin verärgert über Schneewittchen. Warum kerkert sie sie ein? Schneewittchen unternimmt auch hier lauter Aktionen, die wenig mit weiblicher Schönheit oder Reinheit zu tun haben.

Sie entflieht dem Kerker und ab durch die Kloake in eine meerumbrandete Felsenwand, und Sprung in die Gischt und ab ans Land: dort wartet schon ein weißes Pferd. Ab durch die Mitte gewissermassen. Bis die Häscher der Königin hinter ihr her sind. Flucht durch den Dunklen Wald, der ein wirklich fantastisches Bühnenbild abgibt. Mythenrankig.

Stellenweise droht die ganze Inszenierung, die Geschichte in der Schwere von Pomp und Prunk und Staatstheatralik schier zu ertrinken. Da war „Spieglein Spieglein“ deutlich leichter. Aber hier ist das Können der Schauspieler vorrangiger, ihre Sprache, ihre Stimmen, ihre Typisierung.

Wobei man über Schönheit nachdenken müsste, ob es nur noch diese hollywoodsch zurechtgerichteten Karriereschönheiten gibt, die so gar nichts Reines mehr haben. Obwohl doch Schneewittchen genauso eingeführt wird  wie bei Grimm, die Königin verliert Blutstropfen, die fallen in den Schnee und dann wünscht sie sich das entsprechend (reine) Kind.

Im Gegensatz zum „Spieglein Spieglein“-Film fehlt hier der Humor. Und ob der Film für Kinder geeignet ist, obwohl doch die Küsse, die zu sehen sind, puritanischer geht’s nicht, ganz sanft nur die Lippen berühren. Oder die böse Königin stürzt sich auf den König, diesen erdolchend, noch bevor Liebe stattfinden kann.

Pomp auch die Kerzen vorm Spiegel, wie ein Altar in einer Kirche.
Das Setting bei der Flucht durch Schlamm und Gewürm lässt momentweise an Hieronymus Bosch denken. Hollywood räubert wie immer, aber was erzählt es uns Neues mit diesem eklektischen Verfahren?

William mit Pfeil und Bogen wie Wilhelm Tell oder der Huntsman mit der Axt (die Axt im Haus erspart den Zimmermann).

Inszenierung ist fesselnd gemacht, die Ausstattung auch, auch das vergessene Fischerdorf, wie ein Pfahlbaudorf. Hollywood scheute keinen Aufwand, keine Kosten, um uns was zu erzählen?

Es geht um einen ganzen Themenmix, um Treue und Verrat, um Liebe, um Gerechtigkeit, sogar Rache am Vater und auch um die Selbständigkeit der (Schneewittchen)Frau. Folksmusik im Zwergenland.
Szene im Birkenwald, William und das schöne Schneewittchen: Love always betrays us.

Die flammende Schneewittchen-Rede nach der Auferstehung, die wieder an Jeanne-d’Arc erinnert oder pompös gotisch die Aufbahrung in der gotischen Kathedrale.

Endet als schweres Schlachtengemälde, das sich zum Teil in reinen Effekten auflöst.

Mark Lombardi

Der Titelzusatz dieser Dokumentation über den Künstler Mark Lombardi „Kunst und Konspiration“ scheint mir nicht das zu treffen, was nachher im Film zu sehen ist.

Nie ist davon die Rede, dass Lombardi sich irgendwie konspirativ verhalten würde. Er war ein hellwacher Rechercheur von Finanzbeziehungen zwischen Banken, Politik, Terrorismus. Er hat sich öffentlich zugänglicher Informationen bedient, das Internet spielte zu seiner Zeit noch kaum eine Rolle. Er hat seine Erkenntnisse zuerst eifrig auf Karteikarten gesammelt und sie dann in Form von bestechend schönen Graphiken dargestellt.

In einem Kreis steht zum Beispiel von Hand geschrieben der Name George W. Bush. Vom Kreis aus gehen verschiedene gebogene Linien zu anderen Kreisen mit anderen Firmennamen, mit Bankennamen. Es gibt verschiedene Arten und Richtungen der Linien. Je nachdem, was zwischen den Figuren am Ende passiert ist. Ob kurz vor einem Firmenzusammenbruch noch massiv Aktien abgestoßen worden sind, wie es bei Bush Junior mehr als einmal zu lesen ist.

Kurz vor dem Attentat von 9/11 hat Lombardi sich in seinem Atelier in New York erhängt. Es gibt Verschwörungstheorien. Viele zweifeln daran, dass es sich um einen freiwilligen Freitod gehandelt habe. Aber so genau geht der Film dieser Frage nicht nach. Er zitiert Galeristen, die sich wunderten, dass nach seinem Tod sich plötzlich Geheimdienste nicht nur für seine Zeichnungen, sondern auch für seine Karteikartensammlungen interessierten.

Zur Dokumentation selbst. Sie bringt diese Informationen über den Künstler. Man bekommt von ihm das Bild eines sehr wachen Mitbürgers, der die Gegenwart sehen wollte, der wahrnehmen wollte, was sich tut auf der Welt. Es gibt Archivaufnahmen von ihm, wie er seine Zeichnungen macht; er gibt einige Auskünfte.

Sonst ist es der übliche TV-gängige Interviewmix, Vater und Mutter, Geschwister, andere Künstler, Galeristen, Kunstexperten und –funktionäre geben ihre Statements ab. Da die alle unglaublich ruhig und brav sind, wird ein erschütternder Gegensatz zum hellwachen Mark Lombardi markant und der Film mutiert unfreiwillig zu einer Doku über einen netten, schläfrigen Kunstbetrieb. Wie weltfremd doch diese Galeristen, Kunstexperten, Kunstfunktionäre sich verhalten im Gegensatz zum weltneugierigen, wachen, offenen Künstler Mark Lombardi.

Mareike Wegener, die Dokumentaristin, scheint dies jedoch nicht bewusst eingesetzt zu haben, sondern eher durch eine gewisse, fast möchte ich sagen, untertänige Haltungslosigkeit dem Objekt ihrer Neugierde oder Verehrung gegenüber. Eine liebe, nette Doku fürs Nachmittagsfernsehen konzipiert und wohl nur dort zu verwenden. Im Kino dürfte die Energie nicht mal für eine Sonntagsmatinee taugen.

Die müden Kunstverwalter. Keine cineastischen „Grandes Machines“, wie das größte Bild von Lombardi von einem Experten genannt wird. Abseits vom Thema kommt die kleine Geschichte aus der UN vor, wie die das Bild „Guernica“, von Picasso eine wahrhaftige „Grande Machine“, zwengs der Irakkriegserklärung mit Stoff zugehängt haben.

Ein bescheidenes Filmlein. Über einen spannenden Künstler.

LOL

Der Film ist das amerikanische Remake des gleichnamigen, französischen Filmes derselben Autorin und Regisseurin Lisa Azuelos, bei der Bearbeitung für das Buch hat ihr Kamir Ainouz geholfen.

Im französischen Original von 2009 hatte Sophie Marceau die Mutter gespielt, hier wurde sie herber mit Demi Moore besetzt, was vielleicht ganz signifikant ist für den Unterschied der beiden Fassungen. Im Original dominierten noch Charme und Kurzatmigkeit, welche wohl mit Tempo verwechselt worden ist. Hier ist gründlich über den Stoff gegangen worden und wie mir scheint, hat die Autorin/Regisseurin diesmal den Stoff gezielt auf ein Feel-Good-Movie zum schnellen Ablachen getrimmt, ohne Rücksicht auf Charme, Story oder Charaktere.

Da die Klasse diesmal in Amerika lebt, geht der Schulausflug nach Frankreich und die Franzosen werden extrem karikiert. Eine französische Gastgeberfamilie ist Jeanne-d’Arc-Fan, überall hängen Portraits der Heldin, im Flur steht eine Ritterrüstung, das kleine Mädchen heißt Jeanne und ist nach dem Portrait der Heldin frisiert, eine Heizung scheint es in dem Haus nicht zu geben, was die Girls zu dem Kommentar veranlasst, hier sei alles so wie bei der Heldin, und eine Heizung sei ja wohl nicht nötig, denn sie habe doch den Scheiterhaufen gehabt. Dies vielleicht ein gutes Beispiel, wie hier der Humor um des Humors willen eingesetzt wurde.

Die Story geht um Coming-of-Age, es geht um das erste Mal, die Verliebtheit in den Mathe-Lehrer oder in diesen oder jenen Lümmel, der eine scheint mir eine recht aufgespritzte Lippe zu haben und macht Musik dazu.

Die Szene mit dem Mathelehrer, wie Emily diesen anhimmelnd vor ihm steht und er in einen Apfel beißt, und das Crack-Geräusch dazu, ziemlich wenig subtil, ziemlich überdeutlich. Sozusagen kleine Gags auf die Spitze getrieben, kleine Witze groß gemacht.

Auch die Psychiatrin ist wie aus einem Karikatur-Album, die immer nur ähäm sagt, was die Patientin, die Mutter von Lola ziemlich nervt. Viel Raum braucht auch der kleine Gag mit der Frage nach dem Nachfolger des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, die Lehrerin versucht zu helfen, Ro, Ro, Ronald… und die Schülerin antwortet Ronald MacDonald.

Die erwachsenen Männer, bis auf die beiden schnuckeligen Lehrer (der Mathelehrer und der Antidrogenlehrer), die sind alle wie Dumpfbacken gezeichnet. Die erwachsenen Frauen, andere Mütter oder Lehrerinnen, dürfen nie weniger herb als Demi Moore sein.

Typische Teenie-Bemerkung über eine dicke Mitschülerin: dieser Arsch ist ein Fulltimejob für sie. Hier geht man lieber über die Essenz der Story für eine Pointe. Auch die Oma ist eine reine wie in Stein gehauene Karikatur, die zuviel Alkohol trinkt, wie LOL während der Abwesenheit von Mutter zuhause Party macht.

Der Spielort ist Chicago und die Auslandsreise geht nach Paris. Beim ursprünglichen Film ging es von Paris nach London. Es gibt auch ein Kapitelunterteilung. Die erste Stunde läuft unter „1. Halbjahr“ und die letzten knapp vierzig Minuten unter „2. Halbjahr“. Auch der Vater von Kyle ist grobschlächtig gezeichnet, wie er dem Sohn die Gitarre zertrümmert. Und wie er dann beim Konzert am Schluss im Saal auftaucht und plötzlich strahlt, nun, das ist doch ziemlich billig. Der Film ist gegenüber dem Vorbild handwerklich besser gearbeitet, aber ob die Verbesserungen da stattgefunden haben, wo der Film hätte gewinnen können, bleibt zumindest eine offene Frage.

Go ahead, make my day.