Ein Tabu-Thema tabulos zu behandeln, das scheinen sich die Autorin Ursula Mauder und der Regisseur Christoph Stark vorgenommen zu haben. Die Geschwisterliebe dargestellt als normale Beziehungskiste mit Seitensprungqualität. Es ist insofern keine gewöhnliche Geschwisterliebe, als es sich bei den handelnden Personen um Prominenz handelt, um literarische Prominenz. Georg Trakl und seine Schwester, die ficken hier mehrfach miteinander, tabulos, wie die Filmemacher vorgeben. Das wäre vielleicht recht apart, wenn dafür schöne, erotische Körper ausgewählt worden wären, vor allem hinsichtlich des männlichen Darstellers wären da noch Wünsche übrig, die Frau, die passt schon auf die Leinwand.
Aber vielleicht ist mal wieder die Degeto schuld, die die Finger mit im Spiel hat und einmal mehr den Versuch startet, großes mainstreamtaugliches Bildungskino zu machen.
Die Darsteller sprechen miteinander so, als wären sie auf der Bühne, sehr deutlich, sehr prononciert, damit auch die hintersten Ränge es verstehen, einzig Trakl macht ein zwei Ansätze zum Mikrosprechen – als gäbe es noch keine hochempfindlichen Richtmikros oder Mikroports.
Das Drehbuch reiht wie eine Chronik Szenen aus dem Leben von Georg Trakl und seiner Schwester und deren Liebe aneinander. Es gibt, stöhn, einmal mehr im subventionierten deutschsprachigen Kino, was ja die große Chance fürs Kino wäre, nicht den subjektiven Point of View einer Figur, keine Identifikationsmöglichkeit mit der Hauptfigur noch mit irgend einer Nebenfigur. Der Film betreibt Themenkino.
Der Film setzt irgendwann im Leben der Familie Trakl, die nicht in Wien wohnt, ein. Ein bürgerliches Haus, es gibt Gesellschaften. Man ist gebildet. Georg lebt schon in Wien. Was er genau macht, ist nicht klar, denn den Durchbruch hat er noch nicht, da ist er weit davon entfernt. Weiteres Bruchstück aus dieser Geschichte: Seine Schwester Grete darf zuhause dem Herrn Komponisten und Musikprofessor Brückner aus Wien vorspielen und er nimmt sie in ihre Klasse auf. Die Mutter ist dagegen und soviel zu sehen ist, tut sie so, als sehe sie die Geschwisterliebe nicht.
Der Film verzichtet allerdings auf die Möglichkeit, in einer Nahaufnahme einen inneren Monolog der Mutter, zum Beispiel nach einer Begegnung von Sohn und Tochter, und, was im Film möglich wäre, zu zeigen, wie sie darüber denkt. Da bräuchte es nicht einmal einen sprachlichen Text dazu. Aber die kinofernen Macher verzichten auf solche Reaktionen, die für ein zentrales Verhältnis in einem Film unbezahlbar sind, weil sie es in einem bestimmten Licht erscheinen lassen.
Grete geht nach Wien, sehr deutlich inszeniert ist der Vorfall, dass sie den Anfang ihres Studiums bei Professor Bruckner verpasst, weil sie mit ihrem lange nicht gesehenen Bruder in innigen Liebesszenen zugange ist. Allerdings scheint mir gerade eines zu fehlen in diesen Liebesszenen, was sie vielleicht einzig prickelnd machen könnte, das ist doch der von Geburt auf vertraute Umgang von Geschwistern miteinander. Darauf scheinen weder die Akteure noch die Regie ein besonderes Augenmerk geworfen zu haben.
Der Professor weist seiner Schülerin erst die Tür, sie habe die Einschreibung verpasst, und dann, das ist recht stereotyp inszeniert, dass erstens Grete was Besonderes sei, nicht wegen der Geschwisterliebe, das hätte ja Reiz, sondern wegen musikalischen Genies und sie bittet und bettelt, dass der Professor sie aufnehmen möge. Er nimmt sie, weil er sie für was Besonderes hält, musikalisch.
Zum Darsteller des Professors. Da ist wohl ein Chargenspieler ausgesucht worden, der immer so spricht als sei er ein Subalterner, der jetzt ganz ordentlich und ohne eigenen Geruch oder Couleur was von sich geben dürfe, womöglich ohne Speichel. Eine schlichte Fehlbesetzung meiner Meinung nach.
Trakl veröffentlich seinen ersten Gedichtband. Das wird bildlich verdeutlicht dadurch, dass er große Überseekisten mit Büchern drin durchwühlt und endlich ein Exemplar seines ersten Gedichtbandes findet und stolz ist.
Im Rhythmus von etwa alle Viertelstunde, im Sinne telegener Cliffhänger-Paxis rezitiert der Trackl-Darsteller Trakl-Gedichte, und er tut es mit so getragener Stimme, das Degeto-Publikum wird sich glücklich wie in der Degeto-Kirche fühlen, dass man glaubt ein verehrender Schauspieler würde lesen; wer einmal eine Dichterlesungen erlebt hat, welche Hemmungen so einer mitunter hat, wird sich wundern.
Die Zimmerwirtinnen sind in diesem Film, der sich schwer tut, einen Handlungsbogen zu spannen, auch wichtig. Denn sie dürfen nicht hinter die Geschwisterliebe kommen. Die Wirtin von Trakl, die lässt sich wenigstens bestechen. Es könnte allerdings sein, dass die Zimmerwirtin von Grete einmal gesehen hat, wie Georg von ihr rausgegangen ist. Aber diese Zimmerwirtinnendinge sind so dick aufgetragen, damit ja keinem entgeht, dass hier eine Geschwisterliebe, die im Film noch dazu als hochunerotisch dargestellt wird, auffliegen könne. Statt Spannungsbogen durch eine solide Struktur von Geschichte, die den Konflikt der Hauptperson zur Spannungserzeugung einsetzt, muss also Spannung dadurch gekünstelt werden, dass Zimmerwirtinnen hinter die Geschwisterliebe kommen könnten. Ein eher einfältiges Verständnis von Kinodramaturgie scheint mir.
Ein Szenenfaden ist der mit Ludwig, einem Studienkumpel von Trakl, der ihn vom Koks wegbringen möchte und ihn zur Moral drängt. Mit ihm scheint er auch zu besprechen, wie er es mit der Dichterlesung in Bayreuth bei Wagners auf dem Grünen Hügel halte.
Ferner gibt es diffus dazwischen geschnittene Szenen mit Oskar Kokoschka, dessen Muse abgehauen ist.
Gegen Ende zu lichtet sich der Inszenierungs- und Schnittnebel etwas. Trakl macht eine Lesung in Bayreuth. Dort taucht seine Schwester auf, kurz vor Ende steht sie hinterm spärlichen Publikum und entsprechend bescheidenem Applaus, den Trakl für gigantisch hält. Wie die Blickfolge der beiden, wie er sie sieht, abläuft, das ist auch so was von vorhersehbar und dazu noch schwerfällig inszeniert; nie davon gehört hat, wie schnell ein Augenschlag sein kann. Hier kann man im Kinofoyer gefühlt noch eine Tüte Popcorn holen bis diese schwere Aktion vorbei ist.
Es gibt dann wieder eine Szene, wie sie halbangezogen vor einem Spiegel steht und sich eine Zigarette anzündet – überhaupt rauchen die soviel, das dürfte der historischen Genauigkeit geschuldet sein, während das Hauptthema „Tabu“ gleich vollkommen durch die Enttabuisierung weggeholzt worden ist, also man kapiert nicht, wie lange sie vorm Spiegel steht, denn es gab keine besonders emotionale Szene vorher, die sie hätte verarbeiten müssen, zumindest zeigt das das Kino von Christoph Stark-Degeto nicht. Ja, dann kommt, kommt der Bruder und es wird wieder gefickt, gefickt, gefickt.
Die Storyline, die geht dann so weiter, sie ist schwanger, das hat sie vorher auf dem WC sitzend mit dem Messteil im Mund herausgefunden. Vorher gabs noch ein Gespräch mit ihrem Mann in ihrer weißen Villa vor einem Fenstergeländer und die haben darüber geredet, dass das mit den Kindern halt dauern kann.
Eine Zeitorientierung gibt’s nirgends in diesem Film, also schwanger, sie kommt einmal mit einem Korb mit Maiskolben unbekannter Herkunft (das war ganz gewiss die Requisite!) drin, es gibt null Handlungszusammenhang, warum sie das bräuchte, da bricht sie zusammen und stolpert.
Sätze: „Stell mich nicht bloß vor den Leuten, er dirigiert das Auftragskonzert“.
Professor Brückner, Degetosatz: „Ihre Technik ist brilliant, aber es ist das Herz, was sie über andere hinaushebt.“
Zu Georg: „Dein Vater hat auf Dein Vordiplom gewartet. Und jetzt, Du hast ihn ja gesehen.“
Sie: „Ich kann nicht bis zum Winter warten.“
Degetosätze: „Die sind alle verkauft … Heute lesen die Leute auch jeden Schund“ (einen ähnlichen Satz hatten wir neulich schon bei der Literaturverfilmung von Kehlmanns „Ruhm“).
Closzene und Schwangerschaftstest und Arschfick. Sie zeigen genau das, was ein Tabuthema langweilig macht.
Trakl: “Das darf nicht sein. Das ist die größte Sünde“
Über die wahre Vaterschaft: Grete über Brückner: „Er weiß es nicht, er darf es nicht wissen“.
Brückner zu Trakl: „Sie haben sie mir doch nur geliehen“.
Überschminkt-verschwitzte Gesichter beim Gespräch Trakl/ Brückner
„Sie sind ein Monster“
Degeto-Satz von Grete: „Egal was ich mache, ich kann immer nur verlieren“.
Eindrücklich: die Autoreifenspuren eines modernen LKWs im Rasen vorm Haus von Prof. Brückner.
Ein Tabu-Thema tabulos zu behandeln, das scheinen sich die Autorin Ursula Mauder und der Regisseur Christoph Stark vorgenommen zu haben. Die Geschwisterliebe dargestellt als normale Beziehungskiste mit Seitensprungqualität. Es ist...