Manuel de Oliveira hatte vor einigen Jahren auch eine philosophische Kreuzfahrt unternommen. Diesmal sticht Jean-Luc Godard in See. Er radart mit einem älteren Luxusliner den panmittelmeerisch-europäischen Raum im panhistorischen Zeitfächer ab. Dazu bereitet er jede Menge Footage aus der Filmgeschichte, aus der Philosophie, der Dichtung und der Musik auf. Wie immer liebt Godard Texttafeln zwischendrin, diesmal geht es um „die Dinge“, „Dinge“, „des choses“, „solche Dinge“, „ebensolche Dinge“. „No Comment“ ist die letzte Tafel, da schließt sich schon der Kinovorhang.
Auf einem Kreuzfahrtschiff haben alle einen Grund, ein Motiv für die Fahrt. Alle sind in einen Zusammenhang eingebunden. Der Zusammenhang ist der Weltkrieg, ist Gold aus Spanien, ist Palästina. Eine Kreuzfahrt ist eine zu bewältigende Sache. Darum sind die Leute alle irgendwie angespannt. Das Meer rauscht vorbei. Godard liebt es auch, die Geräusche von Motoren oder Fahrtwind zu montieren, und zwar alles andere als naturalistisch, vielmehr mit Brüchen in der Sound-Continuity und auch mit Bearbeitung des Soundmaterials in Richtung weniger angenehmer Effekte als desjenigen des dumpfen, beruhigenden Gleichklangs einer Schiffsmotors.
Die Passagiere haben viel Zeit, sich in der Reichweite von Godards Radarsystem über alles zu unterhalten, was vielleicht Bestandteil eines heutigen Gesamtbewusstseins über dem Mittelmeer- und Europaraum mit seiner Geschichte der letzten Jahrzehnte, ja der letzten Jahrtausende sein könnte.
Überraschend, wie stark ihn immer noch der Zweite Weltkrieg beschäftigt, für wie virulent er ihn noch hält. Bevor wir alle vergessen. Er montiert das Material aber alles andere denn als eine Mahnung.
Es gibt geographische Zwischentitel: „Aegypten“, „Palästina“ (ist da gerade was mit Palästina?), „Odessa“, „Hell As“, (war da was mit Griechenland?). Und immer wieder die Frage, wieviel vom spanischen Gold auf seiner Reise nach Odessa schon verschwunden sei.
Godard beschäftigt auch, dass Hollywood von lauter Juden gegründet worden sei. Er zählt ihre Namen auf. „Quo vadis Europa“ fragt sich Godard. Er reflektiert über das mütterliche Blut und den Hass.
Vielleicht ist er dann seekrank geworden und ihm ist eine andere Variante seiner Art des Filmemachens in den Sinn gekommen. Er ist immer gerne in die Industriebetriebe gegangen. Hier ist es eine Garage J. J. Martin. Ein Filmteam will was drehen. Der kleine Sprößling der Garage, der Blondschopf ist ein kommendes europäisches Kulturtalent, er tut zu klassischer europäischer Musik schattendirigieren. Seine Kameraden sind ein Lama und ein Esel. Aber zeichnen kann er wie der göttliche Auguste Renoir. Will heißen, er kopiert ihn. Das benutzt Godard wiederum für fantastische Farbeffekte in der Postproduktion. Die Frau von der Garage steht zwischen den Zapfsäulen und liest Balzac. Eine Frau, eine Intellektuelle steht an einer Mauer, macht Notizen, hört Texte aus dem Off. Hinter ihr dreht sich der Schatten eines Windrades auf der Wand. Sie hat ein Programm: sie will 20 Jahre alt sein und sie will immer recht haben.
Wie immer bei Godard geht es auch ums Wirtschaften im Betrieb, dass er allen, die da arbeiten, gehören solle. Armes Europa, liest Balzac und dann das. Dann ziehts Godard doch wieder auf die See. Hellas, die Demokratie und die Tragödie schwirren ihm im Kopf rum. Ob sich da je was machen läßt. Eine Uhr kommt wieder, die goldene Uhr, die wir schon im ersten Teil gesehen haben, sie zeigt keine Zeit an, ein Junge hatte sie vorher auf dem Schiff geklaut. Sie stammt aus den Pharaonen-Gräbern, sie zeigt die graue Vorzeit, die Nacht der Zeiten an.
Auch wenn Godard an der Zeit leiden mag, an den Verhältnissen, ob seine Message deutlich genug ist, ob sie sich nicht gewaltig versteckt hinter dem Wust an Footage, den er mit unendlichem Fleiß sichtet, auswählt und montiert? Ob seine Message nicht immer undeutlicher wird und er vielleicht gar nicht versteht, warum das keiner mehr verstehen will oder kann? Denn groß ist das Aha-Erlebnis nicht. Die europäischen Fragen waren bei Manuel-de Oliveira bei seinem Kreuzfahrtfilm („Um Filme Falado“) für mich jedenfalls näher am Puls der Zeit.
Trotzdem, wer bei Godard keine geistige Anregung findet, dem ist nicht zu helfen.