Attenberg

Schon die erste Szene zeigt ganz deutlich, wir haben es hier mit Vorzeige-, mit Aufzeigekino zu tun. Immerhin eine klare Ansage.

Vor einer Wand stehen sich Marina und Bella gegenüber. Sie machen sich daran, einen Zungekuss auszuprobieren. Marina, die braunhaarig leicht Lockige hat überhaupt noch nie einen Kuss ausprobiert. Die schwarz-glatthaarige Bella will ihre Freundin in die Kunst des Küssens einführen. Die Köpfe nähern sich, die Zungen züngeln, nähern sich, berühren sich. Es geschieht ohne Erotik, ohne Liebesbeziehung. Wie ein naturwissenschaftliches Experiment versuchen die beiden Frauen den Kuss zwischen zwei Frauen, den Zungenkuss und besprechen ihren Versuch darnach.

Die Angelegenheit ist merkwürdig schleimig. Es geht ums Frausein als Geschlechtsperson. Wie komplex das sein kann, wie frustrierend, wie unlustig. Es geht auch um den Traum von der Liebe. Den illustriert rein akkustisch ein französisches Chanson. Es geht um Träume von der Liebe, die erschrecken macht.

Es gibt einige Passagen im Film, da lässt die Regisseurin Athina Rachel Tsangari ihre beiden Protagonistinnen in kurzen Röcken und mit Stiefeln, Arm in Arm Tanzschritte ausführen. Das scheint wie eine kleine Hommage an Pina Bausch. Einmal tanzen die beiden Freundinnen nicht, da denkt man erst, sind die jetzt im Innenhof einer psychiatrischen Anstalt, sie gehen so gedeckt, so überruhig und erzählen sich Träume, die eine hat von einem Pimmelbaum geträumt, alle Arten von Pimmeln, die andere, Marina, die sich nicht so richtig über Männer freuen kann, hat von einem Busenbaum geträumt. Sie hat auch einen sterbenskranken Vater und einen Beruf, zumindest einen Job.

Marina ist Fahrerin in einem Industriebetrieb, der Rohstoffe abbaut; das Schlussbild findet vor malerisch roten Abraumhalden statt, durch welche LKWs kurven.

Die Männer im Film sind alles sehr ähnliche Typen mit ähnlichem Haar- und Bartschnitt, insofern nicht leicht zu unterscheiden, am ehesten noch der Bestatter, weil der älter scheint. Sich ähneln tun der Vater von Marina, ihr Fahrgast und der Mann, mit dem sie in einem Hotelzimmer ungeschickte Geschlechtsverkehrsversuche unternimmt. Aufzeigen, wie schwierig so ein Akt sein kann.

Nebst dem Industriebetrieb gibt es noch einen Stadtteil aus geometrisch angeordneten, flachen, weißen Mauerbauten und einem einzigen, futuristisch in den Himmel geschraubten Wohnhochhaus. Von da gucken die beiden Freundinnen auch mal auf die Straße runter und spucken was das Zeugs hält.

Marina will ihren Geschlechtspartner für sich behalten, auch dem Vater will sie ihn nicht vorstellen. Sie befürchtet, ihre Freundin würde mit ihm flirten.

Die Locations werden so gefilmt, dass der Eindruck entsteht, sie liegen an einer griechischen Bucht. Einmal fährt der Vater mit den beiden Freundinnen Boot. Wieso man bei diesem Film durchaus zuschauen kann, auch bei einer solchen Szene, das dürfte daran liegen, dass sich die Regisseurin einfach Zeit lässt. Sie schaut zu, wie die beiden mit dem Vater von Marina Boot fahren. Dinge geschehen lassen.

Dann wird wieder viel diskutiert. Über das Geschlechtliche, über die Liebe. Direkt köstlich ist die Liebesszene von Marina, in der sie alles zerredet. Kein Wunder, dass sich beim Mann unter ihr kaum was regt.

Reichlich akademisch kommt mir der Satz von Spyros vor, so heißt der Vater von Marina, er boykottiere das 20. Jahrhundert und damit meint, dass er wohl ins Jenseits gehe. Auch darüber gibt es ein Gespräch zwischen ihm und seiner Tochter, über die absehbare Bestattung. Sie solle die Asche in Griechenland ins Meer verstreuen. Dann gibt es Spyros-Suppe. Dem hält er entgegen: Bouillabaisse.

Nichts gegen die Gekünstelheit von Gesprächen und Texten. Aber irgendwie möchte man dann doch auch etwas erkennen damit, Gedankenspiele nachvollziehen können. Wie Gespräche mit dem Bestatter aufkommen, wie sie offenbar inzwischen weitherum im Kino in Mode sind – vermutlich um zu zeigen, wie es um unsere Bestatter- und Totenkultur bestellt ist – kommen mir doch leise Zweifel an diesem Film. Was will uns die Regisseurin „zeigen“? Was will sie uns erzählen? Dass Frausein schwierig ist?

Angenehm am Film, dass keine Handies vorkommen und ganz in diesem Sinne ist auch der Satz: „wir hatten niemals einen Fernseher verwendet“. Nach all dem und dem Problematisieren lässt die Regisseurin über den roten Abraumhalden und nachdem die Protagonistinnen das Bild verlassen haben, noch ein französisches Chanson spielen: es geht um das Verliebtsein, die Zeit der Liebe, an die man sich erinnert.

An welche Liebe genau will sich die Regisseurin mit diesem Film erinnern? Oder sind ihre Erinnerungen für sie so gefährlich, dass sie sie in einen recht abstrakten Postulatsfilm packen muss? Muss man den Film eher als Psychogramm einer unbefriedgten/unglücklichen Frau zu lesen versuchen?
Der Film heißt Attenberg, weil die Protagonistinnen, mal einzeln mal zu zweit am Fernsehen Tierdokumentationen schauen von Sir David Attenbourough, griechisch klingend wie Attenberg.

50/50 – Freunde fürs (Über)Leben

Ein Krebsbegleitfilm. Oder ein modellhaftes Movie über den Umgang mit einem jungen Mann, der an Krebs erkrankt. Noch ein Tumorfilm also. Die Moral könnte die sein, wie der Titel eines Buches lautet, das sein Kumpel offenbar liest „Facing Cancer together“. Zusammen dem Krebs begegnen. Das schließt durchaus das Publikum ein. Es wird vorerst launig und mit Nonchalence in die Handlung reingelockt, um dann immer mehr in die tieferen Gefühle hineingezogen zu werden, den Ernst einer solchen Erkrankung und die Fragen, die sich darum herum ranken.

Ein in seinem kreativen Beruf erfolgreicher junger Mann erhält die Diagnose Krebs. Herzerschütternde, herzerweichende Reaktion der Mutter, die Freundin wird bald schon fremd gehen, der Kumpel kann es erst nicht ernst nehmen, liest aber später das Buch und bleibt bis zur schwierigen Operation am Rücken, die gut verläuft und nach welcher der Film bald zu Ende, ist ein guter Kumpel.

Sehr komisch gezeichnet die psychiatrische, ärztliche Begleitung, eine ganz junge Frau. Unser Patient, er heißt im Film Adam und wird gespielt von Joseph Gordon-Levitt, wundert sich, erfahren zu müssen, dass er erst ihr dritter Patient sei, also nichts anderes als ein Versuchskaninchen. Das führt zu komischen Szenen mit einigen gemischtgefühligen körperlichen Berührungen durch die Ärztin.

Adams Kumpel heißt im Film Kyle und wird gespielt von Seth Rogen.

Es ist ein Film, der modellhaft diverse Situationen um und nach einer solchen Krebsdiagnose zeigt. Auch die Chemotherapie, das Scheren des Kopfes, die anderen Patienten bei der Chemo, die Witzeleien, die sie machen. Man kann mit dem Tod und der Todkrankheit ja nicht nur immer bierernst umgehen, das will dieser Film zeigen. Es ist ein Mutmachfilm für den Umgang mit dem Krebs, mit der Mode- oder Zeitkrankheit Krebs.

Die Freundin flirtet bald schon auf einer Vernissage mit einem bärtigen Künstler; sie hat selber Bilder gemalt, eines nennt sie „Depression“. Wie Adam sie rausgeschmissen hat, weil Kyle sie auf der Vernissage mit dem Bärtigen beim Küssen fotografiert hat – auf diese Entdeckung folgt eine lustige Szene: die beiden Buddies arbeiten mit Brennern am Bild rum, bis es was hergibt.

Wie Adam sich die Chemo-Glatze schneiden will mit dem Rasierapparat von Kyle, da fragt er ihn, wozu er, der Bärtige den eigentlich benötige, und er meint vielsagend: für den Körper, genauer, nach Nachfrage, den Arsch und Adam kann sich herrlich aufregen darüber, dass er den Apparat nicht mal gewaschen habe; nette Hygieneinputs in diesen Film, nach der Ermahnung reibt er dann mit einem Wattestäbchen die Creme ein und Adam sind da die Haare bereits wieder einige Millimeter gewachsen.

Der Vater von Adam ist dement.

Will Reiser hat das Buch geschrieben, Jonathan Levine die Regie geführt.

Bar 25 – Tage außerhalb der Zeit

Was ist Freiheit? Was sind unsere Träume? Was ist Anerkennug? Wie lebe ich mein Leben? Das alles sind Fragen, auf die die hier in der Art eines liebevollen Fantums von Britta Mischer und Nana Yuriko portraitierte Berliner Szene-Bar 25 eine Antwort zu geben versucht.

Vielleicht auch ein Versuch, die Zeit anzuhalten, die Jugend anzuhalten, sie festzuhalten. Ein wehmütig angehauchter Blick zurück auf ein Projekt mitten in Berlin am Spreeufer, was nach sieben Jahren dicht gemacht hat. Der Blick zurück auf etwas, das war, das aber nicht mehr ist. Insofern auch ein Film über Vergänglichkeit.

Es war der Traum von der eigenen kleinen Oase, von einer Abgenzung gegen das langweilige Leben. Die Gruppe um Christoph, Danny, Steffi und Juval herum lebte den Traum von der Kommune. In alten Bauwägen mit einer Dusche für 20 Leute. Mit selbstgebauten Hütten, Bühnen, Partyzelten. Sie veranstalteten Themenpartys mit Techno oder psychodelischer Musik. Sie bauten sich ihre Miniaturwelt mitten in der Stadt und doch wie weggeschlossen von der Stadt. Sie wollten die Zeit festhalten, haben versucht, sich gegen das unerbittlich Zerrinnen der Zeit zu stemmen.

Mal waren sie 24 Stunden am Stück wach oder gar 56. Der hier gezeigte Kosmos ist sicher was für Kulturforscher und Fans des Clubs. Immer in bunten Farben verfremdet. Eine Märchenwelt. Eine eigene Realität wollten sie sich erschaffen. Und nochmal eine eigene, die Clubrealität verbrämende Realität die Filmemacherinnen. Sie wollten die Stadt dadurch lebenswerter machen.

Der Film wirkt stellenweise wie ein Blick durch ein starkes Mikroskop auf einen Wassertropfen. Nur viel bunter. Aber genau so quirlig. Das Team verstand sich als Business-Hippie-Gemeinschaft. Sie sahen sich selbst bunt und die Stadt sahen sie grau.

Zwischendrin haben Britta Mischer und Nana Yuriko in ihrem Fotoalbumfilm immer wieder auf Schwarz Zitate von Martin Luther, Mark Twain, Aldous Huxley, Nietzsche Hundertwasser eingestreut. Versuch, die bildungsbürgerlichen Dichter und Autoren beim Wort zu nehmen.

Konfettigewitter, Feuerwerk oder sich wälzen im Schlamm, dicht gedrängt Körper an Körper abtanzen, Alkohol einflößen, das ist Leben, das ist Glück. Sinn und Rausch.

Das Projekt scheint auch von einer großen Sehnsucht nach Sorglosigkeit geprägt zu sein. Wobei jede Partyorganisation paradoxerweise extrem viel systematische Vorbereitung braucht.

Der Beat als Herzschlag interpretiert. Ein Ort, sich gehen zu lassen. Ein mystischer Ort, wurde auch gesagt. Ein Ort der Verzauberung. Es geht hier nicht um Gerechtigkeit der Welt, um die großen ökonomischen Fragen, es geht um ein Ort fernab der Welt (und doch mitten drin). Gleichzeitig wieder behaupten sie, hier passiere etwas. Vielleicht geht es um einen Freiheitsbegriff, der nicht allzu weit vom Freiheitsbegriff des Schrebergärtners entfernt zu suchen ist. Sie wollen „echt“ sein und Spass haben. Wobei sie sich möglichrweise gegen den Begriff der Spass-Gesellschaft gewehrt hätten. Sie leben im Kollektiv. Sie sind nie allein. Dadurch glauben sie, ihr Leben auch nach außen vertreten zu können.

Abschieszeremonie mit den Aschenbuddhas.
Ein Film sicher vor allem für Life-Style-Gläubige, Kulturforscher und Fans der Bar 25.

Bel Ami

In Paris haben die Frauen das Sagen, nämlich die Ehefrauen, das ist der wichtigste Satz, den der in schäbigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebende junge, elegante Algerienkriegsveteran Georges Duroy nach seiner Ankunft in Paris lernt. Er will aus seiner elendiglichen Absteige raus, er strebt in die feinen, höfisch geprägten Räume von Paris, in die vornehme Gesellschaft. Der Weg führt über die Frauen. Und den geht er konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste, auch nicht auf die eigenen. Die Geschichte hat Guy de Maupassant geschrieben und sie fordert direkt zu Verfilmung auf.

Hier haben sich Declan Donnellan und Nick Ormerod des Stoffes angenommen; Rachel Bennette hat ihn zu einer Drehbuchform umgearbeitet.

Da es sich um einen historischen Stoff handelt, er spielt im Paris von 1890 und da das Budget für den Film zwar groß gewesen sein mag, aber nicht übergroß, so findet die Handlung vor allem in repräsentativen alten Innenräumen statt, vor Hauseingängen oder selten in der armseligen Kammer des Neuankömmlings in Paris oder in der billigen Kaschemme mit den billigen Frauen. Die Kadrage in solchen Produktionen ist meist eng; bevorzugt werden Halbnahe bis Nahaufnahmen. Aber auch so entfalten die historischen Räume und die opulenten Kostüme vor allem der Damen zum Augengenschmause des geneigten Publikums ihre ganze Wirkung.

Die beiden Regisseure kommen vom Theater und das kann man ihrer Inszenierung durchaus attestieren, dass sie im Theater tragen würde und entsprechend sorgfältig gemacht ist. Im Kino ist das allerdings so eine Sache. Ein Problem was zum Beispiel bei der deutschen HenriIV-Verfilmung sicher entscheidend zum grandiosen Misserfolg beigetragen hat, dass keine Entspannungsszenen, Drüberstreuszenen zwischen einzelnen Gesprächs- und Liebesszenen eingebaut waren, Innenraum schließt sich nahtlos an Innenraum, Duoszene in Halbnaher schließt sich nahtlos an die nächste Duoszene in Halbnah, so dass der große Faden der Geschichte oft nicht erkennbar ist. Theaterseriöse Inszenierung.

Die Hauptfigur Georges Duroy wurde mit Robert Pattinson besetzt. Nun, eine Figur muss im Kino nicht unbedingt meinem vorgefassten oder durch andere Filme und Lektüre empirischen Bild eines erotischen Parvenüs in einer Großstadt entsprechen um mich zu überzeugen. Ich würde da atypische Besetzungen durchaus attraktiv finden können, wenn sie denn einigermassen funktionieren, wenn sie eine gedankenanregende Interpretation zulassen.

Das Gesicht von Robert Pattinson und auch seine teils scheuen Blicke so leicht von unten herauf, das assoziieren Millionen von Menschen mit Edward Cullen aus den Vampirfilmen „Biss zum…“. Diese Blicke, diese leichte Unsicherheit, vielleicht auch das verlegene Lächeln, das hat sich mir von diesem Gesicht so eingprägt, dass es damit eingängig belastet ist. Auch die Pseudoehrlichkeit in der Stimme von Pattinson, da finde ich keine Kongruenz zu irgend einem Bild von einem solchen Emporkömmling. Denn der braucht schon sehr viel Applomb, um auf dem dünnen Seil der zweckorientierten Anmache und aller sich daraus ergebenden Verwicklungen, sicher zu balancieren. Der kleinste Hauch von Unsicherheit, kann den Absturz bedeuten. Die Maske muss überzeugend wirken und darf nicht so tun, als verstecke sie den Hunger nach Blut hinter vagierenden Blicken. Andererseits ist es vielleicht genau diese Maske, die das einzige ist, was er hat? Problematisch dagegen scheinen mir die Ausbrüche, die irgendwie aus dem Ärmel geschüttelt, aus der Konserve gezaubert erscheinen. Pattinson transportiert eine bemühte Ernsthaftigkeit, die so gar nicht zu einem Spieler und Frauenverführer passen will – oder er bringt nicht den Beweis, dass diese richtig sei.

Das Problem der Besetzung der Hauptfigur Georges Duroy mit Robert Pattinson scheint mir, dass sein Gesicht eine andere Geschichte erzählt, als was die kursorische Inhaltsangabe zum Stoff von Maupassant ergibt. So entsteht der Eindruck: ein Vampir geht fremd und fühlt sich unwohl dabei. Es könnte auch so interpretiert werden: Georges hat eine Kriegsstörung. Aber er hat eben noch eine andere. So entsteht viel Melo, das bestenfalls zum Kichern Anlass gibt.

Die Herren der Spiele

Diese 88minütige, flott geschnittene Dokumentation von Uta Bodenstein gibt Einblick in eine Subkultur oder Szene, die sich in den letzten Jahren in Deutschland abseits vom Fokus der breiten Öffentlichkeit stetig entwickelt hat, in das Liverollenspiel, abgekürzt LARP.

LARP ist ein Hobby von Leuten, die, wie der Film zumindest mit einigen Bildern suggeriert, ein angepasstes bis spießiges Leben führen, die unauffällig in geordneten Verhältnissen leben, die ihrem Verdienst nachgehen, die aber von ihrem Hobby vollkomen in Anspruch genommen werden, und von welchem sie glauben, andere Leute würden sie dafür für verrückt erklären: in der Freizeit mittelalterliche Feldschlachten (mit ganz weichen, leichten Säbeln aus Kunstoff aus einer Design-Fabrikation in Regensburg beispielsweise) nachzuspielen oder als Vampire in aufgelassenen Plattenbauten in Sachsen-Anhalt Fake-Wissenschaftler und Fake-Bürger zu jagen, kurz, ein ganzes Wochenende mit vorher schon eingedreckten Klamotten im Dreck zu verbringen und dann nach Hause zu kommen und motags wieder sauber im weißen Hemd zur Arbeit zu gehen, sei es als Apotheker oder als Lehrerin oder zur Schule als Gymnasiast.

Matthias, Chris und Nick sind die Hauptinterviewpartner der Dokumentaristin. Sie erzählen über den Stellenwert, den dieses Leben in ihrem bürgerlichen Leben hat, dass es ihnen Freiheit und Abenteuer bedeute oder für die Lehrerin Chris als Aniesha Fey sogar Berühmtheit, offenbar ein Problem, das sie ziemlich umtreibt. Oder Matthias, der Apotheker, dem als taffem Organisator von solchen Spielevents das Hobby beinah über den Kopf gewachsen ist. Er hat ein großes Gelände als LARPspielplatz gepachtet und organisiert das ganze Jahr über Veranstaltungen. Ein solches Event kann bis zu 7000 Mitspieler mobilisieren mit hunderten von Seiten Programm von hunderten von Autoren, so dass der Drucker sich weigert, das Konvolut zu binden. Oder Chris, die Lehrerin, ist als Aniesha Fey nach einer großen LARP-Messe in Köln, wo sie den ganzen Tag in ihrem bombastischen, anstrengenden Fantasy-Kostüm unterwegs war, abends hundemüde und froh, im Hotelzimmer die Klamotten und speziell die künstlichen Linsen aus den Augen wieder zu entfernen.

Diese Events mit ihren Rüstungen aus allen Phasen des Mittelalters, mit den verrücktesten Zombie-Kostümen und –Masken, mit ihren reinen Fantasy-Kostümen, prunkvoll oft, sind für die Kamera ein gefundenes Fressen und die hat sich auch nicht schlecht bedient am ergiebigen Stoff, hat bei den Zombies ganz fröhlich die Reverenz an Zombie-Filme erwiesen. Das ist Kinofutter.

Andererseits blitzt auch immer wieder durch, dass bei allem Gerede von Freiheit und Abenteuer, das Ganze ohne unendlich viel Mühe und Vorbereitung gar nicht möglich wäre, allein so eine Zombiemaske, deren Grundstruktur drei übereinanderliegende verschiedenfarbige Damenstrümpfe sind, ist ein Kunstwerk, was viel Zeit braucht, die sich Nick mit viel Talent und hingebungsvoll nimmt. Oder der generalstabsmässige Aufbau der Festspiele auf dem Gelände durch professionelle Eventfirmen, die mit riesigen LKWs ankommen, mit Sanitätern und Feuerwehr und vielen Ordnern und Helfern und weitflächigen Parkplätzen.

Ein anderer zu sein, das ist der Wunsch vieler. Matthias sagt an einer Stelle, man könne am Event auch ein Arschloch sein, aber alle Leute seien sehr nett. Nun ja, wenn man vielleicht etwas genauer hinschauen würde in die Struktur hinter dem Event, wäre es vermutlich der exakte Spiegel des Alltags dieser Menschen. Straff organisiert und mit klaren Hierarchien und vermutlich sogar wenig Toleranz solchen gegenüber, die sich wirklich Freiheiten rausnehmen. Das bleibt aber hier reine Spekulation. Denn Uta Bodenstein hat sich, was verführerisch ist, im Grunde genommen damit begnügt, ein teils spektakuläres, zumindest extraordinäres Objekt für einen Dokumentarfilm aufgetan und eher videojournalistisch präsentiert zu haben.

Das heißt, was sie an Material geschossen hat, das hat sie ordentlich zusammengeschnitten. Den Hauptinfogehalt vermittelt sie mittels Interviewpassagen vor allem mit Matthias, dem Apotheker, Chris, der Lehrerin und Nick, dem Maskenspecialeffectman, der gerade das Abitur hinter sich gebracht hat und der im Spiel als Zombie auftritt, aber auch mal einen namenlosen mittelalterlichen Bauern spielt. Am leichtesten sprudeln die Selbstäusserungen dem Apotheker über die Lippen, aber auch die Lehrerin ist schon von Berufes wegen begabt, schulischen Text, auch wenn er ein vermeintlich verrücktes Hobby betrifft, didaktisch verständlich vorzutragen. Mit dieser Methode verzichtet die Filmemacherin auf viele Möglichkeiten des Kinos. Denn Kino und Gerede vertragen sich meiner Ansicht nach selten gut.

Vielleicht wäre Beschränkung auf eine Figur mehr gewesen. Die dafür viel präziser in ihrem Doppelleben zu zeigen, sie nicht über sich reden zu lassen, sondern über ihre Handlungen dem Zuschauer dieses Doppelleben, wenn es denn wirklich eines ist, die kritische Frage sollte sich ein Dokumentarfilmer sicher unbedingt stellen, sinnlich erfahrbar zu machen. Über cineastisch ergiebige Vorgänge, Handlungen, Taten diese Menschen dem Kinogänger näher zu bringen und nicht über Gerede, denn dafür brauchen wir nun nicht unbedingt eine Kinoleinwand, dafür haben wir beispielsweise die Talk-Shows. Matthias sagt, die Begegnung mit dieser LARP-Welt sei für ihn wie ein Urknall gewesen, es bleibt aber bei dieser Äußerung, sinnlich-emotional wird das für den Zuschauer nicht nachvollziehbar; Matthias scheint in jeder Lebenssituation sehr beredt. Selbstdarstellerisches Geschwätz, das ist was für den Psychologen, nicht aber für den Kinozuschauer; das mein Einwand gegen diesen Film, der mir aber vom Stoff her auch im Nachhinein durchaus noch durch den Kopf gegangen ist.

Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein

Den Dreh mit der Liebe im Kino haben die Franzosen raus. Dafür lieben wir sie ja so sehr. Und das wissen sie auch. Darum haben sie Stars, die das alles spielen können. Ein breites Feld. Christophe Honoré hat sich mit seinem Buch und seiner Regie viel vorgenommen. Seine Paarerzählungen oder Paarbeobachtungen fangen 1964 an. Sie ziehen sich bis 2011.

1964. Die Schuhverkäuferin Madeleine klaut im eleganten und teuren Geschäft, in dem sie arbeitet, ein paar rote Roger Visiers Schuhe von Christian Dior. Wenige Minuten später schon bietet sich ein Passant als Freier an; Madeleine zögert nicht lange, nimmt ihn mit aufs Zimmer. So leicht und schnell geht das mit dieser Liebe. Als nächstes wartet ein Bekannter ihres ersten Freiers auf sie, sie sei ihm empfohlen worden. Es ist ein Arzt aus der Tschechoslowakei. Hier wird Liebe daraus. Sie heiraten und ziehen nach Prag.

1968 leben die beiden mit Tochter Vera in Prag. Aber der Papa geht fremd. 1968 (?) hat Madeleine Francois geheiratet, aber ihr Ex-Mann taucht wieder auf.

1997 tanzt Vera lange in einem Club in London. Ihr ehemaliger Freund, ein Franzose, soll dort ein Buch vorstellen. Im Club lernt sie Henderson kennen. Wie es zur Liebessache gehen soll, outet er sich als schwul. Aber man will Freunde bleiben.

Veras Eltern sind in die Jahre gekommen. Sie werden jetzt gespielt von Catherine Deneuve und Milos Forman.

Genau am 11. September 2011 will Vera Henderson in New York besuchen, ihr Flugzeug wird aber wegen der Anschläge nach Montreal umgeleitet. Hier endet die Erzählung mit einer Ménage á Trois in einem Hotelzimmer, Henderson, dessen Freund Mathieu und Véra, die ein Kind von Henderson haben möchte.

Das hört sich alles recht kompliziert an, ist aber in der Wirklichkeit dieses Filmes noch viel komplexer. Andererseits wird es sehr angenehm serviert, indem – auch da hat Frankreich eine wunderschöne Tradition, man denke nur an Jacques Demy – immer wieder aus der Szene heraus in ein Chanson übergegangen wird, ganz leicht und problemlos.

Die Akteure singen von der Liebe, deren Bleischwere, der Sehnuscht nach ihr, dass sie das Leben verändere oder vom Verlust derselben oder vom Warten darauf, bis wir uns hassen, denn der Eiffelturm langweilt einen schon oder von diesen Kilogramme an Gefühlen, von der Liebe wie Mühlsteine, leicht zwiespältige Lobgesänge auf die Liebe. Oder es geht um die Veränderung durch die Liebe. Die Liebe als Warterei darauf, als Sehnsucht. Auch diese Songs sind Ausdruck der Lässigkeit, mit der die Franzosen mit diesem Thema kultiviert umzugehen verstehen.

Man spricht intelligent und gefühlvoll über die Liebe, singt Songs, aber man spart an Bettszenen, denn die Vorstellung von der Liebe ist stärker als der Vorgang selbst. Vielleicht könnte man auch sagen: Christophe Honoré versucht uns ein cineastisches Zaubergebinde auf die Liebe zu präsentieren.

Meist spielen die Szenen in feinerem, bürgerlichen Milieu. Die Liebe ist was für die Bürgerschaft, für die Gebildeten, für die gehobene Klasse. Man isst Langusten zu Mittag.

Es gibt auch den Moment der ironischen Distanz: wenn besipielswiese der Exgatte von Madeleine, Milos Forman, beim aktuellen Gatten von Madeleine um deren Hand anhält. Auf die Frage des Ex-Gatten, wie er denn hierher gefunden habe, antwortet Milos Forman, der eine interessante Persönlichkeit auf der Leinwand abgibt, er könne Telefonbuch lesen. Er redet aber auch gebildet über die Liebe, dass sie Courage brauche und Klugheit, Enthusiasmus und Vergnügen, Bonmots über die Liebe.

Das immer gleiche Problem, ich kann ohne Dich nicht sein.

Was will uns Christophe Honoré nun erzählen mit seinem Film? Dass die Franzosen das können? Dass sie unbefangen im französischen Kino-Liebesfundus rumstöbern und rausnehmen dürfen, was ihnen gefällt? Dass ein gewisses Niveau an Action und Kinogeschmeidigkeit nie unterschritten wird? Dass wir uns im Kinosessel einfach mal wieder in angehmem Ambiente ganz ungestört von anderen Menschen, weil wir ja alle auf die Leinwand schauen, ein paar Gedanken über die Liebe machen sollen?

Medianeras

Gustavo Taretto schildert in seinem Film in einer universellen Erzählweise die Sehnsüchte und Nöte und die Verhinderungsmechanismen von stadtneurotischen Großstadtsingles auf den verschlungenen Pfaden zur Liebe. Die wild-wuchernde Architektur von Buenos Aires bildet den Rahmen für die Begegnung, resp. Nicht-Begegnung, resp. Schwer-Begegnung der Menschen. Je dichter die Menschen in einer solch Megacity aufeinanderwohnen, desto schwieriger wird es für sie, andere kennen zu lernen, erst recht zum Zwecke der Liebe.

Bei Woody Allen hieß der beziehungsgestörte und beziehungssuchende Großstadtmensch noch Stadtneurotiker. Auf den wird mit einem Filmausschnitt verwiesen. Hier sind Mariana, Martin, Ana, Marcela, Ralf, Lucas Singles in Buenos Aires. Und wenn man alles beschreiben möchte, womit sie ihr Leben in größeren Wohnungen oder in Schuhschachtelwohnungen dekorieren und lebenswert machen, so würde das keine Ende nehmen, so könnte man durchaus von einem reichhaltigen, vielfältigen Leben sprechen.

Mitten in der chaotisch gebauten Megacity, einer Stadt aus architektonischem Chaos, ohne Plan in die Höhe getrieben, Fehlplanung ohne Logik, so wie das Leben unserer Singles. So spiegeln sich Menschen und Sachverhalte. Es wird versucht, den Häusern individuellen Touch zu geben. So wie sich auch die Menschen individuell von den anderen unterscheid- und damit erkennbar machen möchten. Wenn sie denn nur noch dem oder der Richtigen über den Weg laufen.

Allein was Martin, dieser Phobiker auf dem Weg zur Besserung, in seinen Überlebensrucksack packt, der exakt 5,8 Kilogramm schwer ist, nebst diversen Tabletten und Pillen, Ipod, Landkarten, Notration, Batterien, Bücher, eine Wasserflasche. Oder Mariana, die umzugshalber in 27 Kartons wohnt. Ein Teil davon füllen Schaufensterpuppen, denn sie arbeitet als Dekorateurin, obwohl sie Architektin ist. Alle sitzen gerne hinter dem Computer. Mariana hat aber auch eine Liftphobie und steigt bis zum 8. Stock immer alle Treppen hinauf und hinunter. Oder zieht sich ins Planetarium der Uni zurück. Es passieren solche Dinge, dass der Hund einer Prostituierten, den sein Frauchen bei Freierbesuchen auf den Balkon sperrt, sich aus Eifersucht auf den Freier vom Balkon stürzt und auf der Straße nebst Verletzten auch einen Auflauf verursacht. Oder wir erfahren von einer vierjährigen Beziehung, in der die Fotos immer weniger wurden.

Eine bunte Palette von Details aus bunten, oft einsamen, aber immer kämpfenden Singleleben. Man kann sich nämlich sogar ein Loch in die Fensterlose Hauswand schlagen. Und wenn man das Fenster, was man so erhält, noch geschickt in ein Werbebild auf der Wand einbaut, so fällt das gar nicht weiter auf. Singles chatten gerne. Und wissen dabei gar nicht, dass sie in zwei gegenüberliegenden Häusern wohnen und als einzige je ein Fenster in die Wand gehauen haben. Diese Großstadtsingles sehen sich wie Pionierpflanzen in Betonwänden. Sie suchen ihre Ritzen und wachsen sich fest mit wildem Überlebenswillen.

Die Musik zum Film könnte ein eigenes gepflegtes Konzert, eventuell ein Barkonzert sein. Ein bisschen too much. Aber das Leben fragt nicht nach Beschränkung. Es will überborden.

Wie die beiden Chatter Martin und Mariana dabei sind, gerade die Telefonnummern auszutauschen, da kommt, verfluchtnochmal, ein Stromausfall. Aber es gibt ja wunderbare Zeichnungen mit Mengen von Menschen drauf und wenn man die ganz genau anschaut und dann auf die Straße schaut, da findet sich sicher der Traummann mit Überlebensrucksack, breit rot-weiß gestreiftem Pul und einem weißen Pudel in der Menge. Und dann kann man auch mal den Lift benutzten, wenn so ein Glücksfall eintrifft, dann brennen alle Sicherungen durch. Und wenns am schönsten ist, da soll man denn, auch wenn der Film kurze 90 Minuten und kurzweilig ist, Schluss machen.

Fülle des Großtadtlebens. Eine spätes Echo, eine reale Verkörperung von Jacques Tatis weitsichtigem „Playtime“ – ohne direkten Verweis darauf.

Raising Resistance

Geronimo Arevalos ist als Hauptheld ein Glücksfall für einen Dokumentaristen wie er ein ebensolcher Glücksfall für die Campesinos zuhause in Paraguay ist in der Auseinandersetzung zwischen hochindustriellem Soja-Anbau und dem herkömmlichen, vielfältigen Betreiben eigener Landwirtschaft. Sein wacher Geist und sein heller Verstand tragen das ihre dazu bei, dass diese Dokumentation von David Bernet und Bettina Borgfeld bei aller Sympathie, die sie für die Campesinos weckt, kein simpler Agit-Prop geworden ist, sondern den europäischen Zuschauer, bei dem sich generell in 80 % seiner Nahrungsmittel auf die eine oder andere Weise Soja befindet, eher reflektierend zurücklässt, sogar mit dem nicht unberechtigten Gefühl, auf der Seite jener zu stehen, die durch ihre Nahrungsmittelgewohnheiten die weltweite Nachfrage nach Soja fördern, mithin Geronimo und seinen Mitstreitern das Leben schwer machen.

Geronimo ist mit seiner artenreichen Landwirtschaft, die er mit seiner Frau und seinen Kindern betreibt, umgeben von endlos riesigen Sojafeldern, die industriell bearbeitet werden. Wie das staubt und stiebt wenn eine ganze Armada von Megatraktoren über die Felder rattert um das nahrungsreiche, genveränderte Getreide zu ernten. Welches Gift die weit auf den Boden der benachbarten Landwirte versprühen mit dem Wind, wenn sie das Glyphosat flächendeckend über die Natur verteilen.

Eine Campesina zeigt ihr Erdnussfeld: alle Wurzeln schwarz, Ernte kaputt. Jedes Jahr sprühen die öfter. Aber das Unkraut wird resistent, wie das hochgezüchtete transgene Soja es ist. Das Unkraut holt auf. Ein ewiger Wettlauf: ausrotten des Nicht-Gewollten und privilegieren des agroingenieurhaft veränderten Sojas.

Auch Agroingenieure kommen zu Wort. Sie leben in ihrer Welt. Verdienen sich ihr Geld mit der Genveränderung von Soja. Auch das sind Arbeitsplätze. Haben ihre Probleme mit dem längst resistenten Unkraut Margosa. Die Anlagenmanager wiederum, die im weltweiten Sojahandel tätig sind, die interessieren sich vor allem für stabile politische Verhältnisse. In Paraguay soll der Präsident Fernando Lugo dafür sorgen. An die Macht gekommen ist er mit den Stimmen der Campesinos. Jetzt, wo er an der Macht ist, äußert er sich nebulöser, wolkiger und distanzierter zum Konflikt Großkapital-Sojaindustrie gegen indigene Landwirtschaft.

Gerade zur Aussaatzeit können die Probleme eskalieren. Die Campesinos haben sich organisiert. Sie blockieren landwirtschaftliche Maschinen auf dem Weg zu Aussaat. Sie haben ein Camp errichtet. Davon betroffen ist auch ein brasilianischer Einwanderer, Valerio Eichelberger. Den kann man jetzt nicht reich nennen. Er verspricht sich für sich und seine Familie eine bessere Zukunft als in Brasilien. Seine Frau träumt von einem schicken Haus, wie andere es auch haben. Er ist finanziell besser dran als die Campesinos. Wohnt aber auch sehr einfach. Hat nur wenige Maschinen und einige Hektar Feld gekauft. Er hat für 50’000 Dollar bei der Bank Schulden gemacht, um genmanipuliertes Soja und das Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat zu kaufen. Wenn er nicht aussäen kann, was macht er dann? Er scheint nicht gerade der Kämpfertyp zu sein. Er sieht sehr unglücklich aus, wie er wegen der Proteste der Campesinos nicht aussäen kann. Ihm könnte der Schuldenberg über den Kopf wachsen. Er sucht ja auch nur sein kleines Glück.

Das Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat ist für den Menschen hochgiftig. Ein Junge, der in glyphosatverseuchtem Wasser gebadet hat, ist von einem Moment auf den nächsten erblindet. Auf solche Probleme dürfte Eichelberger nicht vorbereitet gewesen sein.

Wie die Situation vor der Aussaat zu eskalieren droht zwischen Polizei, Zeltdorf und den industriellen Sojabauern, den Großgrundbesitzern, da ist Geronimo clever genug, seine Leute zu beruhigen; sie können mehr tun, wenn sie diesmal nachgeben als wenn sie im Gefängnis landen. Obwohl der Staat sein Wort bricht und dann doch einige der Campesino-Anführer einkerkert. Dagegen organisieren die Campesinos eine große Protestdemo in Asuncion, die in Gewalt endet.

Die sympathische Weisheit, die Geronimo schon am Anfang im Film verbreitet: er sei früher ein Mann ohne Ziele gewesen, aber ein Mann ohne Ziele sei ein toter Mann. Längst hat er sein Ziel gefunden. Und kämpft inzwischen, auch mithilfe dieses Filmes, weltweit für sein Anliegen. Industriell angebautes Soja ist für ihn und sein Leben wie eine Bombe.

Ein wichtiger Dokumentarfilm, der eine der Grundlagen unserer Ernährung als hochproblematisch erscheinen lässt.

Spy Kids 4 D – Alle Zeit der Welt

Knallharte Sci-Fi-Fantasy-Action für abgebrühte Buben mit Allmachtfantasien und ohne Demut. Unter der Weltrettung geht gar nichts. Und die Zeit will auch noch beherrscht werden.

Da 3D im Kino schon beschwerlich und lichtarm genug ist, muss jetzt als Zusatzerschwernis die vierte, die Aroma-Dimension hinzugefügt werden. Die ist allerdings noch entwicklungsfähig. Der Zuschauer erhält eine Karte mit 8 Rubbelzahlen drauf und wenn im Film, die Anleitung dazu wird im Vorspann nochmal ganz flott gegeben, eine Zahl aufblinkt, dann muss das entsprechende Feld gerubbelt werden. Das versuche man nun mal, da es recht dunkel ist im Saal, durch die 3-D-Brille hindurch die Zahl zu finden, sie erfolgreich aufzurubbeln, dann die Nase dranzuhalten und den Fortgang des Filmes nicht zu verpassen, vor allem, wenn die Kids gerade in ein Süßigkeiten-Paradies geraten, und gleich drei Zahlen auf einmal zum Rubbeln auffordern. Vielleicht hat man in Händen ja auch noch den Literbecher Düdeldidü und den Großeimer mit Popcorn. Immerhin das Feld vier hatte entfernt an Pfefferminz erinnert. Der Rest war eine unangenehme Rubbelsauce, für die man hoffentlich nicht noch Aufpreis zahlen muss, aber der Furz an Stelle 6, der hatte Persönlichkeit. Soviel zum Entwicklungsstand des Geruchskinos. Vielleicht sollten sich die Kinoentwickler mal wieder auf ein Denk- und Fantasiearbeitskino besinnen!

Die Figuren sind alle auf Sci-Fi-Fantasy-steril getrimmt. Die Hauptdarstellerin, eine Geheimagentin und Stiefmutter von zwei Kindern, deren Vater die Fernsehsendung Spy-Kids moderiert, ist hochschwanger. Aber noch mit den ersten Wehen hält sie sich ein ganze Bande von Verfolgern vom Leib. Dann nimmt sie ein Jahr Baby-Urlaub.

Doch der Bösewicht Tick Tock bedroht die Welt, indem er die Zeit stehlen will. Jetzt muss die Agentin, das ist eine dieser Schauspielerinnen mit einem so symmetrisch-harmonischen Gesicht, wie es sehr austauschbar wirkt und die auch mit industrieller Perfektion spielt, sie muss also wieder ran. Jetzt kann sie ihre Familie nicht mehr raushalten. Nachdem das Geheimnis gelüftet ist, haben die Stiefkinder plötzlich Verständnis für ihre Mutter und helfen ihr bei der Verbrecherjagd und entwickeln unglaubliche Fähigkeiten, wovon Menschen und Kinder nur träumen können, was in der Filmfantasie möglich ist. Und selbst das einjährige Baby – diese Kinder, die solche Dreharbeiten erleiden müssen, die können einem wirklich leid tun! Für mich grenzt das an Kindsmissbrauch – überhaupt solche Kinderdarsteller, auch die beiden Geschwister, wie dressierte Hunde – schafft es am Schluss noch sowohl zu stehen und gleich mit einem Handkantenschlag einem Angreifer zu einem von diesem nicht beabsichtigten Überschlag zu verhelfen. Heftige Zeiten. Vermutlich nicht jedermanns Sache. Eher so ein verrücktes Vergnügen wie eine Achterbahnfahrt – aber dafür sind dann 89 Minuten doch reichlich. Ein gewisse Abgebrühtheit sollten Kids, die den Film anschauen wollen, schon mitbringen. Aber vielleicht sehen die das alles viel lockerer und sie finden vielleicht das Popcorn und das Rubbeln viel spannender.

Superclassico… Meine Frau will heiraten!

Denmark meets Argentina, die nordische Lakonie paart sich mit dem Stoizismus des Tango. Christian Madsen (der auch für die Regie zeichnet) und Anders Frithiof August, die Autoren, lassen einen auktorialen Erzähler durch die Geschichte geleiten, denn die beiden Elemente bedürfen der höheren Zusammenführung, die so zu einer Filmerzählung wird, aber die deutsche Nachsynchronisation ist unempfindlich gegen die Schwingungen, die sich aus dem Zusammentreffen dieser Zutaten ergeben.

Das Verfahren mit dem Erzähler bringt die Situationen immer sehr klar und sehr verständlich rüber; die Bilder wirken mehr wie ein illustrierender Untertext zur sprachlichen Erzählung, eine ganz eigene Wirkung entfaltend, anfänglich gewöhnungsbedürftig; aber wenn man sich darauf einlässt auf diese Erzählart und die merkwürdig markante Personenkonstellation, die dem Text Gestalt gibt, und wenn man den ganzen Wirrungen und Verwirrungen der Gefühle folgt, kann man vielleicht genauso wie der Protagonist am Ende etwas über die Liebe gelernt haben.

Christian, der Betreiber einer Weinhandlung in Kopenhagen ist so ziemlich am Ende. Seine Frau hat einen argentinischen Fußballstar kennengelernt, ist zu diesem geflogen und scheint das lateinamerikanische Leben zu genießen. Sie schickt Christian nur noch die Scheidungspapiere, damit er unterschreiben und sie ihren neuen Lover heiraten kann. Das deprimiert Christian, die Kunden meiden seine zuvor beliebte Weinhandlung. Nun entschließt er sich spontan, mit seinem Sohn Oscar nach Buenos Aires zu fliegen, um nochmal mit Anna zu reden. Die ist gerade dabei, ihren kostbaren Lover und Fußball-Star an einen anderen Club zu verkaufen, da ruft Christian an, er sei in Buenos Aires.

Oscar, der Sohnemann, 17 oder 18 je nach seiner Selbstauskunft und im langen Ledermantel wie Django, ist auch dabei. Er fotografiert alles. Scheint ein verschlossenes Bürschchen zu sein in dem heftig aber leise die Pubertät tobt. Autor zu werden, darin sieht er keinen Sinn, denn Camus und die Existenzialisten haben alles schon geschrieben, was geschrieben werden kann und muss; es ist alles schon gesagt, findet er.

Christian darf mit seinem Sohn als Gast im riesigen Anwesen des Fußballstars unterkommen. Juan, der Profi-Fußballer ist ganz freundlich, ein Star in einem Höhenflug aus Toreschießen und Glück mit Anna haben. Markante Gegenfigur zur eher voluminösen Anna ist die hagere, argentinische Haushälterin. Die steigt ganz cool zu Christian in die Badewanne. Warum soll man sich nicht Befriedigung schenken. Aber Danke sagen brauche er nicht dafür.

Christian erkennt, dass mit Anna nichts zu machen ist mit Reden. Er geht während eines entscheideneden Fußballspieles, dem Superclassico, in dem Juan die beiden Tore schießen wird, in eine Kneipe, kommt mit einem Weinbauern ins Gespräch, der den Fußball auch ablehnt. Hier kann über Glück und Unglück, über die Frauen philosophiert werden.

Bei einer Stadtführung verliebt sich Oscar in die verführerische Veronika. Das setzt eine hübsche kleine Nebengeschichte in Gang. Und ein Friedhofslabyrinth gibt ein treffliches Symbol für die verschiedenen Verwirrungen ab, die sich vor unseren Augen und Ohren in Buenos Aires für diesen Film tummeln. Christian erlebt schlimme Abstürze, wacht neben Eisenbahngleisen auf, wo er sogleich „freundschaftlich ausgeraubt“ wird oder im Hof des Fußballers. Er wird lernen, was er an Anna gehabt hat, das wird er letztlich auf seinen alleinigen Rückflug nach Dänemark mitnehmen. Dass die Liebe, die mal gewesen ist, ihm rückwirkend niemand nehmen kann.

Eine Art von Unikat-Film in dem auch die Figuren wie Unikate besetzt und inszeniert sind, die herbe, blonde Anna, die ihre Leben cool wie ein Geschäft betreibt, Christian, der eher dazu tendiert im Selbstmitleid zu baden und zu ertrinken, Oscar, dem die Existenzialisten, wie er glaubt, alles schon offenbart haben, nur eben die Liebe nicht, der Fußballstar Juan, der immer bester Laune und ein Latin Lover par excellence ist, der dann noch ein provokantes Toreschießen mit Christian um Anna vorschlägt, was unangenehme geschäftliche Komplikationen nach sich zieht, der fast zum Sonderling gewordene Weinbauer, der eine Tendenz zum Altherrenmonologisieren entwickelt hat, die Haushälterin, die mit der disziplinierten Haltung einer Tango-Tänzerin durchs Leben geht, wobei es an Komik grenzt, wenn sie den in der Badewanne elendenden Christian versucht zu streicheln, ein Streichel, ein einziger, wohlverstanden und Veronika, eine wunderhübsche natürliche junge Frau, wie man sie in einem Film gar nicht mehr erwartet vor lauter karrieristischen schönheitsoperierten und lispelnden Jungblondinen. Diese Figuren sind so markant wie Leuchttürme und es würde mich nicht wundern, wenn ein Zuschauer nach diesem Film durchaus seine eigene Geschichten mit ihnen weiterentwickelt. Der Vater von Veronika, der Kierkegaard und Philosophie studiert hat, jetzt aber die Familie ernähren muss – und der eine verrückte Ohrfeigennummer um seine Tochter mit dem Schwiegervater in spe, Christian, liefert. Die Liebe ist nicht umsonst, auch nicht zwischen Dänemark und Argentinien.

Go ahead, make my day.