Schon die erste Szene zeigt ganz deutlich, wir haben es hier mit Vorzeige-, mit Aufzeigekino zu tun. Immerhin eine klare Ansage.
Vor einer Wand stehen sich Marina und Bella gegenüber. Sie machen sich daran, einen Zungekuss auszuprobieren. Marina, die braunhaarig leicht Lockige hat überhaupt noch nie einen Kuss ausprobiert. Die schwarz-glatthaarige Bella will ihre Freundin in die Kunst des Küssens einführen. Die Köpfe nähern sich, die Zungen züngeln, nähern sich, berühren sich. Es geschieht ohne Erotik, ohne Liebesbeziehung. Wie ein naturwissenschaftliches Experiment versuchen die beiden Frauen den Kuss zwischen zwei Frauen, den Zungenkuss und besprechen ihren Versuch darnach.
Die Angelegenheit ist merkwürdig schleimig. Es geht ums Frausein als Geschlechtsperson. Wie komplex das sein kann, wie frustrierend, wie unlustig. Es geht auch um den Traum von der Liebe. Den illustriert rein akkustisch ein französisches Chanson. Es geht um Träume von der Liebe, die erschrecken macht.
Es gibt einige Passagen im Film, da lässt die Regisseurin Athina Rachel Tsangari ihre beiden Protagonistinnen in kurzen Röcken und mit Stiefeln, Arm in Arm Tanzschritte ausführen. Das scheint wie eine kleine Hommage an Pina Bausch. Einmal tanzen die beiden Freundinnen nicht, da denkt man erst, sind die jetzt im Innenhof einer psychiatrischen Anstalt, sie gehen so gedeckt, so überruhig und erzählen sich Träume, die eine hat von einem Pimmelbaum geträumt, alle Arten von Pimmeln, die andere, Marina, die sich nicht so richtig über Männer freuen kann, hat von einem Busenbaum geträumt. Sie hat auch einen sterbenskranken Vater und einen Beruf, zumindest einen Job.
Marina ist Fahrerin in einem Industriebetrieb, der Rohstoffe abbaut; das Schlussbild findet vor malerisch roten Abraumhalden statt, durch welche LKWs kurven.
Die Männer im Film sind alles sehr ähnliche Typen mit ähnlichem Haar- und Bartschnitt, insofern nicht leicht zu unterscheiden, am ehesten noch der Bestatter, weil der älter scheint. Sich ähneln tun der Vater von Marina, ihr Fahrgast und der Mann, mit dem sie in einem Hotelzimmer ungeschickte Geschlechtsverkehrsversuche unternimmt. Aufzeigen, wie schwierig so ein Akt sein kann.
Nebst dem Industriebetrieb gibt es noch einen Stadtteil aus geometrisch angeordneten, flachen, weißen Mauerbauten und einem einzigen, futuristisch in den Himmel geschraubten Wohnhochhaus. Von da gucken die beiden Freundinnen auch mal auf die Straße runter und spucken was das Zeugs hält.
Marina will ihren Geschlechtspartner für sich behalten, auch dem Vater will sie ihn nicht vorstellen. Sie befürchtet, ihre Freundin würde mit ihm flirten.
Die Locations werden so gefilmt, dass der Eindruck entsteht, sie liegen an einer griechischen Bucht. Einmal fährt der Vater mit den beiden Freundinnen Boot. Wieso man bei diesem Film durchaus zuschauen kann, auch bei einer solchen Szene, das dürfte daran liegen, dass sich die Regisseurin einfach Zeit lässt. Sie schaut zu, wie die beiden mit dem Vater von Marina Boot fahren. Dinge geschehen lassen.
Dann wird wieder viel diskutiert. Über das Geschlechtliche, über die Liebe. Direkt köstlich ist die Liebesszene von Marina, in der sie alles zerredet. Kein Wunder, dass sich beim Mann unter ihr kaum was regt.
Reichlich akademisch kommt mir der Satz von Spyros vor, so heißt der Vater von Marina, er boykottiere das 20. Jahrhundert und damit meint, dass er wohl ins Jenseits gehe. Auch darüber gibt es ein Gespräch zwischen ihm und seiner Tochter, über die absehbare Bestattung. Sie solle die Asche in Griechenland ins Meer verstreuen. Dann gibt es Spyros-Suppe. Dem hält er entgegen: Bouillabaisse.
Nichts gegen die Gekünstelheit von Gesprächen und Texten. Aber irgendwie möchte man dann doch auch etwas erkennen damit, Gedankenspiele nachvollziehen können. Wie Gespräche mit dem Bestatter aufkommen, wie sie offenbar inzwischen weitherum im Kino in Mode sind – vermutlich um zu zeigen, wie es um unsere Bestatter- und Totenkultur bestellt ist – kommen mir doch leise Zweifel an diesem Film. Was will uns die Regisseurin „zeigen“? Was will sie uns erzählen? Dass Frausein schwierig ist?
Angenehm am Film, dass keine Handies vorkommen und ganz in diesem Sinne ist auch der Satz: „wir hatten niemals einen Fernseher verwendet“. Nach all dem und dem Problematisieren lässt die Regisseurin über den roten Abraumhalden und nachdem die Protagonistinnen das Bild verlassen haben, noch ein französisches Chanson spielen: es geht um das Verliebtsein, die Zeit der Liebe, an die man sich erinnert.
An welche Liebe genau will sich die Regisseurin mit diesem Film erinnern? Oder sind ihre Erinnerungen für sie so gefährlich, dass sie sie in einen recht abstrakten Postulatsfilm packen muss? Muss man den Film eher als Psychogramm einer unbefriedgten/unglücklichen Frau zu lesen versuchen?
Der Film heißt Attenberg, weil die Protagonistinnen, mal einzeln mal zu zweit am Fernsehen Tierdokumentationen schauen von Sir David Attenbourough, griechisch klingend wie Attenberg.