Der Dieb des Lichts

Dieser Film erzählt zum einen die Geschichte von Svet-Ake, dem Elektriker in Kirgistan, den der Autor und Regisseur selber spielt und der in die unterentwickelte Landschaft von Kirgisien den Strom bringen soll, der aber auch mal den Stromzähler manipuliert.

Der Film erzählt aber auch, was für ein Kirgistan-Bild die Mitteldeutsche Medienförderung, das Medienboard Berlin-Brandenburg, der Fonds Sud Cinéma, der World Cinema Fund, der Hubert Bals Fund und The Netherland Film Fund für förderungswürdig erachten: ein armes unterentwickeltes Land, da müssen Esel, nächtens auch begattende, vorkommen, es muss Folklore her: wilde Reiterspiele wie das Buzkashi in Afghanistan, das Ziegengreifen, es braucht eine Beerdigung, es muss zum Vergnügen einer potentiellen Investorengruppe (und natürlich nur für die, keinesfalls für die Förderer oder Zuschauer) in einem Zelt ein Spiel inszeniert werden, bei dem eine nackte Frau vesucht, ein angebundenes Kamel loszulösen und wenn es einem nackten Mann mit eisenharter Latte gelingt, während sie sich vorbeugt zum Strick, sie ebenso zu begatten wie später der Esel die Eselin, dann gehört das Kamel, wenn er den Schwengel schneller drin hat als sie den Strick gelöst, ihm. Aber so weit kommt es nicht, denn der Autor-Regisseur kann solch unsittliches Spiel nicht zulassen in seinem Heimat-Film und geht dann höchstselbst dazwischen, distanziert sich als Akteur quasi von dem doch von ihm als Autor/Regisseur selbst ins Bild Gesetzten. Oder es muss eine Szene her mit einem Buben, der sich auf einem hohen Baum versteigt und den der Elektriker dann heldisch retten kann. Der Bub wollte ja nur gucken, „was jenseits der Berge sei“, denn man lebt, das wird auch hier deutlich, in der armen, ungebildeten Provinz. Ausserdem gehören zu Kirigistan spielende Kinder oder eine Frau, die dem müden Arbeiter Kefir bringt. Es muss deutlich werden, dass diese Menschen ein bisschen, wenn auch nicht ganz, hinter dem Mond leben. Das dürfte gut gelungen sein.

Die Message des Filmes scheint einfach: der Elektriker will der Gegend mit seinem Traum von den vielen Windrädern den Strom und damit den Anschluss an die Welt bringen, das Schauen von Nachrichten ermöglichen. Gleichzeitig zeigt er als Autor/Regisseur mit den Investoren und dem Kamel-nackte-Frau-Schwanz-Spiel auch, wie pervers diese Welt doch ist. Beisst sich hier die Filmkatze nicht selber in den Schwanz?

Alles, was wir geben mussten

Das Problem bei dieser Literaturverfilmung nach Kazuo Ishiguro scheint mir zu sein, dass sie zu lange ein Geheimnis um das Thema macht und dieses nur scheibchenweise lüftet. Dabei verstehe ich nicht ganz, welchen Reiz das für den Zuschauer haben soll, der den Roman nicht kennt und der nicht weiss, dass das Internat, welches im Zentrum der Handlung steht, von heranwachsenden Klonen bevölkert wird, die, wenn sie erwachsen sind, als Organspender fungieren sollen, und die meist nach der dritten Spende mangels weiterer Funktionsfähigkeit ihres Körpers „beenden“.

Merkwürdig, ein Film, der ein Geheimnis um sein Thema macht. Das dürfte nichte gerade rezeptionsdienlich sein.
Vermutlich also wieder eine jener Literaturverfilmungen, die vor allem Kennern des Buches gefallen dürften.

Denn die Fragen, die sich im Laufe des Filmes stellen, die sind durchaus reizvoll: was ist der Unterschied zwischen einem Klon und einem Menschen, können Klone lieben, haben sie eine Seele? Wie soll sich aber ein Zuschauer mit diesen Themen beschäftigen, wenn ihm noch gar nicht klar ist, dass er Klone vor sich hat?

Der Titel und das Thema geben dem bei Sportlern beliebten Satz „ich habe alles gegeben“ eine ganz unerwartet, sarkastische Bedeutung. Klone hier geben ihre Organe und damit ihr Leben.

Übrigens: bei Charlotte Ramplings Auftritt im Rollstuhl bin ich mir nicht so sicher, ob es nicht ihr eigener Klon ist, der sie hier vertritt.

Die deutsche Synchronisation ist klonenhaft monoton und clean.

Un Homme Qui Crie – Ein Mann, der schreit

Ein hellsichtiges afrikanisches Kino, das hochkonzentriert Bild für Bild den Adam, der von allen Champion genannt wird, weil er in jungen Jahren echt mal Schwimmchampion war, auf seine Identität und sein daraus folgendes Handlungsmuster hin überprüft, resp. von Bild zu Bild feststellen muss, dass dieser Adam vornehmlich nicht handelt, sondern sich lieber ein Bild von der Welt, in der er mal Champion war, aufrecht erhält in seiner Weise als Bademeister des Swimming-Pools eines Luxushotels im Tschad.

Adam behauptet, sein Job als Bademeister sei sein Lebenselixier. La piscine c’est toute ma vie. Das ist die Identität, auf der er sein Selbstbewusstsein baut, seine Familie ernähren kann, Frau und einen Sohn, der schon erwachsen ist. Den zieht er sich zu seinem Co-Bademeister heran (der muss allerdings noch lernen, dass man zur Arbeit am Pool weißes Hemd und weiße Hose tragen soll).

Adam ist schon vom Namen her Symbol für den Mann schlechthin, vielleicht für den afrikanischen Mann und sein Verhältnis zum Handeln und die Welt verändern oder eben nicht und fürs Kino ist er auch ergiebig, weil er privat ein Motorrad mit Beiwagen fährt; das ist nebst dem Beruf sein ganzer Stolz.

Die Welt um Adam, die ihm seine Identität stiftet, die fängt an zu bröseln, zu erodieren. Das Hotel geht in chinesische Hände über. Frau Wang heisst die neue Chefin. Sie will Kosten sparen und dünnt das Personal aus. Der alte Koch wird überflüssig und der Wachmann an der Schranke wird in den Ruhestand geschickt. Adam wird an dessen Stelle versetzt – allein der dunkle Anzug, welche Degradierung! – und sein Sohn Abdel wird zum alleinigen Bademeister befördert. Die Folgen dieser Personalausdünnung nehmen im Film mit dem Koch, der krank wird und dem altem Schrankenwärter am Eingang einen eigenen Handlungsstrang ein, der vor allem ein Gesprächsstrang ist. Fazit: die betroffenen Männer regen sich vielleicht auf, der Koch ermuntert Adam sogar zum Handeln, aber faktisch haben sie alle ihr Schicksal in Gottes Hände gelegt.

In zwei demütigenden Szenen erzählt uns der Regisseur von diesem Identitätsverlust Adams, wie er lange braucht, um die Schrankenwärteruniform anzuziehen und wie er, der alte Mann, dann in einer Szene, die fast wie ein sadistischer Slapstick aufgebaut ist, ständig von der Einfahrtsschranke zur Ausfahrtsschranke rennen muss, um diese zu öffnen und zu schließen und zu öffnen und zu schließen, weil immer gerade wieder ein aggressiv hupender Autofahrer davorsteht. Adam macht das schicksalsergeben.

Zuhause bei Adam gibt es ein langes Essen mit seiner Frau und dem Sohn. Die beiden Männer schweigen, weinen tun sie nicht, aber sie bringen kein Wort raus über die neue Situation, der Sohn fühlt sich vielleicht auch dem Vater gegenüber schuldig. Das Thema des Filmes, menschliche Freiheit, Handeln oder Nicht-Handeln, Selbstdefinition eines Mannes liegt in der Luft. Unausgesprochen. Schmerzhaft.

Um diesen Schmerz zu dehnen, schickt der Regisseur Adams Frau zur Nachbarin, Salz zu erbitten (etwas was sie öfters zu tun scheint); wie sie sich wieder zu den Männern gesellt, versucht sie das, was unausgesprochen in der Luft liegt, zu thematisieren; ohne Erfolg. Auch sie ergibt sich dem Schicksal.

Ein weiterer deprimierender Faktor ist für Adam, dass er bei einem Bekannten Geldschulden hat.

Ausserdem findet im Tschad gerade eine Revolution statt. Von ihr erfährt man vornehmlich über den Rundfunkempfänger; es wird zu Pariotismus und zu Denunziation aufgerufen, jeder müsse seinen Beitrag leisten; gelegentlich bevölkert Militär das Hotel. Adams Sohn Abdel wird mit Gewalt in die Armee eingezogen. Der Vater schluckt das.

Jetzt ist Adam wieder Bademeister – ganz in weiß!

Aber die Lage spitzt sich zu. Bei Adam zuhause taucht die bisher unbekannte Freundin von Abdel auf. Sie ist schwanger. Die Berichte Abdels aus dem Militär, er hat eine Hörkassette besprochen und seiner Freundin geschickt, die hören sich nicht gut an.

Wird Adam endlich handeln?

Mehr sei hier gar nicht verraten von diesem wundersam einprägsamen und gedankenanregenden Film.
(Das wäre für mich der Tipp der Woche!)

The Mechanic

Victoria amat curam, der Sieg will sorgfältig geplant sein. Wobei Sieg hier eher für den Erfolg des eigenen Planes steht als für den Sieg in einem Kampf. Das ist das Leitmotiv in diesem 5-Sterne-Thriller erster Güte, bei dem die gewisse Absehbarkeit des Verlaufes der Ereignisse durchaus in den Genuss einkalkuliert sein dürfte.

Die Pläne unseres Protagonisten, Arthur Bishop, das sind Tötpläne im Auftrag und gegen Geld, womit er sich einen exklusiven, kultivierten Lebensstandard leisten kann, der sich bildstreckenmäßig nicht zu verstecken braucht.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen verschiedenen Varianten von Auftragsmord.

Die Eleganteste wird als kleines cineastisch-leckeres Hors d’œuvre serviert: der Auftragsmord, der überhaupt nicht als Mord erkannt wird, der Mord, bei dem die Hinterbliebenen des Opfers von einem Unfall ausgehen. In diesem Falle gehörte zur notwendigen cura das Erlangen der Information, dass das angepeilte Opfer, ein kolumbianischer Drogenboss, ein Uhrenliebhaber ist, so wird ihm also vom Froschmann, der der Mörder ist, eine besondere Uhr als Köder auf den Boden seines Swimming-Pools gelegt. Das Opfer wurde somit auch Opfer der eigenen Liebhaberei.

Es geht um Planbarkeit, um die Berechenbarkeit anderer Menschen und damit so ein Film ein raffinierter Genuss wird, dürfen nicht alle Planungen so reibungslos funktionieren wie beim geschilderten ersten Mord. Zur Bereicherung des Menüs werden andere Varianten des Auftragsmordes serviert.

Eine besonders knifflige und schwierige zugleich ist die an einer Person, die der Killer kennt (Donald Sutherland im Rollstuhl muss dazu gebracht werden, den undurchdringlichen Sicherheitscordon, den er um sich gelegt hat, selbst zu durchbrechen..).

Komplikationen werden zwangläufig spätestens dann auftreten, wenn der Killer so kühn ist, den Sohn seines letzten Opfers als Eleven auszubilden und den mitnimmt zur nächsten Tat, die einem dubiosen Sektenguru gilt. Das war natürlich leichtsinnig und unvorsichtig und nicht die Mutter der Porzellanvase, gibt aber Gelegenheit für schöne Action- und Schießszenen.

Mehr braucht hier gar nicht berichtet werden.

Es stellt sich aber die Frage, warum als Titel für den Film The Mechanic gewählt wurde; selbstverständlich agiert Bishop fast roboterhaft beherrscht und kann weit voraus kalkulieren; was ihn jedoch nicht vor Fehlern, Fehleinschätzungen, Dingen, die er zu spät erst erkennt, bewahrt. Er ist kein Roboter. Wobei er trotzdem ein recht verschlossener Held bleibt. Vielleicht soll er ja lediglich dazu dienen, ein aktuelles Männerbild zu prägen oder zu befestigen? Wobei Männlichkeit eben auch insinuiert: alles im Griff haben. Cool, nicht?

Womb

Schöner Kunstkram über eine unschuldige junge Liebe an der Ostee gefilmt mit einem jähen Reiß- und Zeitschwenk der Story zum Thema des Klonens, einem Kakerlaken-Anschlag auf ein geplantes Klon-Spa und dem Schlafen mit dem Klon des bei einem Verkehrsunfall getöteten Geliebten.

Willkommen bei den Rileys

Das Konstrukt: ein Ehepaar, das schon seit 30 Jahren verheiratet ist, hat seine Tochter mit 15 bei einem Unfall verloren. Pikant daran: Die Tochter saß im Auto ihres Freundes und die Mutter, die ausspähen wollte, was die Tochter treibt, ist diesem Wagen gefolgt. Bis der Unfall passierte. Zur Zeit, in der die Geschichte erzählt wird, lernt der Mann auf einer Geschäftsreise in New Orleans ein Mädchen kennen, so alt wie die Tochter zum Zeitpunkt ihres Todes und ihn an sie erinnernd. Er zieht für 100 Dollar pro Nacht gleich bei ihr ein. Nach zwei Wochen spannt seine Gattin was, emanzipiert sich aus dem Ehehöhlendasein und fährt allein mit dem Wagen los. Nachschauen. Der Mann stellt ihr in New Orleans das Mädel vor. Die Frau zieht auch dort ein. Das Ehepaar hat nach langem mal wieder Sex.

Das wird schön verfilmt, geschmeidig und in diskretes Licht getaucht mit zurückhaltenden, gut ausgewählten und prima geführten Schauspielern und Schauspielerinnen, die durch ihr Spiel sehr viel Atmosphäre gedeckter Art herstellen. Sie spielen uns eine Realität vor, die in sich schlüssig und gegen weitere Nachfrage imprägniert zu sein scheint.

Rio

Flieg Papagei, flieg, und wenn Du es nicht kannst, dann musst Du es eben lernen, die Liebe wird dir helfen dabei und in 3D ist das auch sehr schön anzusehen wie auch Rio aus der Luft und in 3D sehr schön anzusehen ist; aber die Geschichtenerzähler hätten vielleicht einen noch schöneren Film mit weniger Verfolgungsjagden und mehr Humor und anrührenderer Liebe machen können, wenn sie sich stärker auf die Geschichte der beiden blauen Papageien konzentriert hätten, wie sie trotz unterschiedlichster Biographien und böser Menschen und einem brutal-überlegenen Kakadu, die das verhindern wollen, doch noch zusammen finden, was eben für die Fortpflanzung der Art unumgänglich ist, wie behauptet wird.

Passione

Wie auf einem Wühltisch bietet John Torturro Stücke napolitanischer Kultur an von Mina, Spakka-Neapolis 55, Avion Travel, Misia, Pietra Montecorvino, Massimo Ranieri, Lina Sastri, M’barka Ben Taleb, Gennaro Cosmo Parlato, Peppe Barra, Angela Luce, Max Casella, Raiz, James Senese, Fausto Cigliano, Fiorello, Fiorenza Calogero, Daniela Fiorentino, Lorena Tamaggiko, Enzo Avitabile, Pino Daniele, getreu dem Motto, wer vieles bringt, wird vielen etwas bringen.

Winter’s Bone

Die Voraussetzungen für einen Film, der einen packen soll, sind denkbar schlecht: Nordmissouri, amerikanische, außenweltarme Provinz (das weltverbindenste ist noch das Rekrutierungsbüro der Armee), schwer zugängliche, runtergekommene, verlotterte, ärmliche Gehöfte, verschlossene, feindselige Charaktere mit wenig Neigung zum Gespräch, kein Kamera- und Ausstattungsschnickschnack, keine vom Gesichtschirurgen entindividualisiserten Darstellergesichter, Hollywooddarstellerinnen in Holzfällerhemden, merkwürdige Gegenstandsansamlung an der Hauswand, kaum Handlung und irgendwann noch die berühmte Horrorfilm-Kettensäge (der dünne Faden einer Story leuchtet nur sporadisch auf wie ein von David Lynch nachts gefimter Mittelstreifen, erzählt von der non-aggressiven, offenen 17jährigen Ree, die ihre Mutter und die beiden jüngeren Geschwister, den 12jährigen Buben und das 6jährige Mädel durchbringen muss, und die – das ist nichts weniger als klassisches Geschichtenerzählen – vor der schier unlösbaren Aufgabe steht, den Vater in der Düsternis und Mauer des Schweigens der dunkelwaldigen Provinz ausfindig zu machen, denn der ist gegen Kaution aus dem Knast entlassen worden, hat aber dafür das Haus der Familie verpfändet und ist abgetaucht: der Familie droht unmittelbarer Verlust des Daches über dem Kopf).

Warum aber hält einen der Film von der ersten bis zur letzten Minute in Bann?
Ist es die nordisch-lakonische, poetische Atmosphäre, die die Regisseurin zaubert?
Ist es die Farbgebung, dieses die Seele beruhigende Grau-in-Grau wie bei einem Regentag, so dass der Mensch anfangen kann, zur Ruhe zu kommen, zuzuschauen, durchzuatmen, ja vielleicht fast zu meditieren?
Ist es das Unaufdringliche der Regie, deren Rhyhtmus, der ganz für sich steht, ohne irgendwelche Konzessionen an eine Hektik der Zeit, an allfällige Marketingsanforderungen, an TV-Wegzappängste der Produzenten zu machen?
Ist es dieses Sich-Zeit-lassen mit den einzelnen Szenen, dieses Nie-über-etwas Hinwegpfuschen, Dinge und Menschen Ernst-Nehmen in den kleinen nächsten Dingen, die sie zu bewältigen, zu erledigen haben, in ihrer eigenen Begrenztheit (was trotzdem zu keinerlei Denunziation der Figuren führt)?
Ist es die Kunst der Regisseurin, ihren Figuren zwischen dem Sprechen auch genügend Zeit zum Denken, Nicht-Denken oder Brüten zu lassen?
Sind es die Szenen der kleinen Gesten? Zum Beispiel wie Ree zur Nachbarin rübergeht, fragt, ob sie das Pferd bei ihr unterstellen dürfe, denn Stroh sei sehr teuer und sie hätten nicht mal was zum Essen und wie die Nachbarin ganz selbstverständlich ohne Aufhebens nickt und kurz darauf mit einem Karton voller Fressalien in der ärmlichen Hütte von Ree und ihrer Familie auftaucht, quasi biblisch-selbstverständlich, nächstenliebeselbstverständlich, wie wir es uns kaum mehr vorstellen können – ist es diese menschliche Größe, die so klein und unscheinbar daherkommt? (In der Stadt müsste für so eine Tat zumindest eine Verdienst-Medaille verliehen werden) oder wie der Onkel seinem Neffen und seiner Nichte behutsam in einem Schneuztuch geborgene junge Hühnerküken bringt (– gut, das ist dann fast puppenstubenhaft schön)?

Was mich an diesem Film, der mir vorkommt, wie ein bewegtes und bis ins Detail liebevoll gestaltetes, rotierendes Stilleben von Menschen und Tieren, so gefallen hat, ich kann es nicht sagen, ein Film, der einem so gar keine Handhabe für knallige, ätzende oder superlativische Formulierungen gibt – vielleicht weil er sich dem einfachen, alltäglich Menschlichen zuwendet, es beobachtet, weil es den Menschen sein lässt, ihn durch Team und Kamera und Licht nicht versucht aufzuschrecken oder sich übertrieben präsentieren zu lassen oder nervös zu machen; weil er aber auch die offene und auf die Menschen zugehende Art von Ree nicht im geringsten zu exploiten versucht.
Ist es diese radikale Konzentration der Regisseurin auf das nächstanstehende Problem ihrer Figuren, die den Darstellern keine Möglichkeit für rollenkonträres Sich-Bemerkbar-machen, Ichverbreiterung und darstellerische Mätzchen und Übertreibungen lässt?
Oder sind es die voluminös alten Ami-Blechkutschen, die in dieser weltvergessenen Provinz vor sich hinrosten oder noch rumgefuhrwerkt werden dürfen, die hier ein Anrecht auf Leben haben, wie alte Pferde auf einem Gnadenhof?
Jedenfalls ist das alles so dicht gewirkt, die Fäden sind zu einem so dichten Teppich gewoben, dass es einen runde 100 Minuten lang die Atomkatastrophe von Fukushima vollkommen vergessen lässt.

Unter Dir die Stadt

Das war der schnelle Text anlässlich der Aufführung beim Filmfest München: Hochhäusler hat mit seinem unbeherrschten Drang zum Design (von Klamotten, Ausstattung, Szenenbild, Dialogen und Figuren) die Chance vertan, deutsche Wirtschafts- und Finanzeliten glaubwürdig und damit kritisch darzustellen. Hier bashen lediglich Alphatiere ihre Texte souverän undifferenziert, und der Film erbringt den Beweis, dass es nebst Analogkäse wohl auch den Analogfilm gibt. Als Scout einer großen internationalen Produktion hingegen würde ich Hochhäusler sofort als Design-Berater anheuern.

Heute würde ich vielleicht folgendes schreiben:
Die Story, die diese Designdialog- und –fotostrecke zeichnet, ist reichlich banal: ein Banker in Frankfurt hat eine Affäre mit der Frau eines Untergebenen und versetzt diesen deshalb an einen Posten in Singpuar, dessen Vorgänger verschwunden war und dessen abgehackten Hände der Firma per Post zugestellt worden sind.

Der Cast: auf Alphatierchen getrimmte Darsteller, die unter Herrn Hochhäusler perfekt agieren, ohne im Zuschauer die geringste Sympathie zu erwecken und ihre Design-Texte wie aus einer MP von sich wegbashen, als ob sie froh seien, diese los zu werden.

Der Vorstandsvorsitzende Cordes überzeugt in dem Moment am meisten, wenn er zum Fototermin ganz ruhig stehen muss. Da echot kurz das Bild des Bankers Ackermann über die Leinwand. Aber dann sieht er Nicolette Krebitz und läuft ihr nach wie ein Hund.

Hochhäuslers Kino ist ein Kino der Form, des Stylings, ohne Brüche, ohne Feinheiten in der Sprache; es ist und will es wohl sein: Design pur.

Erkenntnisgewinn: BASF heisst: Badische Anilin- und Soda-Fabrik.

Go ahead, make my day.