Im Reich der Raubkatzen

Im Gschäftsbereich „Tierfilm“ findet eine Art Sensationswettbewerb statt, jeder glaubt, er müsse etwas ganz Spezielles, noch nie Gesehenes bieten, um auf dem Markt bestehen zu können.

Auch dieser Film ist davon infiziert. Was sich aber in manchen Dingen durchaus positiv auswirkt. Dass der ganze Film in der Freien Wildbahn, in der Massai Mara im Südwesten Kenias, gedreht worden ist. Dabei hatten die Filmer starke Teleobjektive und erhielten so eindrückliche Großaufnahmen von den Tieren, sie müssen auch starke Richtmikros gehabt haben für die Originallaute. So wird der Zuschauer vor Zootieren bewahrt.

Häufig leidet allerdings unter der Jagd nach Sensationen aus dem Tierreich die Geschichte, die erzählt wird. Hier wird ein Plot versucht, resp. zwei Plots, der eine betrifft eine Gruppe von Geparden, im Zentrum die Gepardenmutter Sita und ihr Nachwuchs. Der andere ist ein Rudel Löwen mit dem Herrscher Fang mit dem mitleiderregenden Gesicht und dem Zahn, der ihm zwischen den Lefzen raushängt, seinen Löwinnen und deren Nachwuchs, davon die junge Löwin Mara, die heranwächst.

Fortpflanzungsszenen sieht man keine im Film, der vermutlich jugendfrei sein soll. Aber einen stolzen Löwen mit seinen vier Söhnen, wie sie sich über den gefährlichen Fluss aufmachen, die Herrschaft über das Rudel oder die Sippe des angeschlagenen, alternden Fang zu übernehmen, der trottete dann einfach ab in die Savanne.

Für eine Kinogeschichte ist es eher ein Handicap, zwei Geschichten parallel zu erzählen, die nur einmal kurz in Kontakt kommen miteinander und dies eher zufällig, vermutlich weil man mit dem Aufnahmeequipment in der Gegend war, und weil die zu sehen waren. Da immer nur Zoomaufnahmen von ruhenden, leckenden, sich sonnenden, rennenden, spielenden Löwen, Löwinnen und Löwenkindern, Gepardinnen und Gepardenkindern ermüdend sind, wird dann versucht, eine Geschichte zu konstruieren. Da solche Naturaufnahmen viel Geduld erfordern, es ein Riesenzeitaufwand ist, solche Bilder überhaupt zu erhalten und gar einen Film zu füllen, wird dann doch noch viel Foto-Beifang aufgetischt von Vögeln, die Luftsprünge machen, von Geiern und Nashörnern, von Nilpferden und Krokodilen und immer wieder die Gnuherden. Das sind alles imponierende Aufnahmen, auch immer wieder die Luftaufnahmen über den Nationalpark hinweg, hoffentlich haben die diese mit einem geräuscharmen Gleitflieger gemacht. Aber das wirkt mehr wie ein erlesener Wandkalender, denn wie eine spannende Kinogeschichte. Insofern ist dieser Film eher was für Betrachter und nicht für Spannungssucher.

Musikalisch wird es oft bedeutungsvoll mit dieser weiblichen Sphärenstimme überhöht, was mir eine merkwürdige Interpretation der Natur scheint, wie auch der Text am Schluss, dass die beiden Protagonistinnen, die Löwin und die Gepardin, ausgezeichnete Mütter gewesen seien. Das ist schon sehr anthropotümelnd. Tierfilm als Lob auf die Mütter und die Mutterschaft.

Die Großaufnahmen der Raubkatzen sind beeindruckend und ich habe solche so noch nie gesehen. Insofern darf dem Sensationsanspruch recht gegeben werden.

Aber als Geschichte wäre es doch spannender gewesen, ganz genau zum Beispiel nur die Geschichte des Löwenrudels zu verfolgen, auch die Paarungen, die offenbar alle nachts statt finden, denn plötzlich ist wieder ein neuer Wurf da. So erwecken die eingesprochenen Texte den Eindruck, als ob aus der Fotostrecke eine Geschichte zurechtgebogen werden soll.

Der Mensch – und Kinozuschauer – ist immer wieder fasziniert von diesem Kampf auf Leben und Tod, wenn eine Raubkatze ein Gnu schlägt zum Beispiel. Denn die Verhaltensweisen sind uns nicht unbekannt. Was mich mal interessieren würde, wäre ein Naturfilm, der uns Respekt vor der Natur und damit vielleicht auch Respekt vor uns selber lehrt und der nicht irgendwelche irgendwo dann doch immer wieder süßlich und kitschig werdende Babygeschichten auftischt.

Eindrücklich, das versteht sich von selbst, wie auch die alte Löwin, die verletzt ist, davontrottet und einen ruhigen Platz zum Sterben sucht oder wie der alte Löwe Fang von den Gegnern von ennet dem Fluss vertrieben wird. Auch die Flussüberquerungen von Löwen und Geparden dürften unter das Kapitel „selten“ einzuordnen sein.

Und noch eine Vermutung: letztlich erwartet der Zuschauer im Kino, wenn er einen Tierfilm anschaut, doch eine menschliche Geschichte. Die wenigsten werden aus naturwissenschaftlichem Interesse hingehen. Ob der heutige Zuschauer allerdings sich damit abspeisen lässt, wenn die menschliche Geschichte in der tierischen lediglich ein Votum für die Mutterschaft ist, ob sie sich mit einer so einseitigen Interpration, einer dermassen eingeschränkten Sicht auf das Löwen- und Gepardenlebens zufrieden geben, würde ich eher bezweifeln.

Das Buch stammt von Keith Scholey und John Truby. Für die Regie zeichnen Alistair Fothergill und Keith Scholey.

Einer wie Bruno

Hier geht nichts zusammen. Es fängt an in der Art von Reality-TV mit einer Phalanx von Wohnhochhäusern, Anonymität, Großstadt signalisierend. Radost, gespielt von Lola Dockhorn, die allein schon deswegen sympathisch ist, weil ihre Mundpartie der von der jungen Karin Baal ähnelt, radelt mit Schulzeugs beladen in den Eingangsbereich eines dieser Hochhäuser ein. Schnitt. Schon ist sie auf einer Etage auf dem Weg zu einer der Wohnungen.

Bei ihr geht allerdings auch nicht zusammen, dass sie hier eine 13jährige spielen soll, wobei sie selbst offensichtlich deutlich älter ist und im Teenbereich machen schon wenige Jahre eine Generation von Altersunterschied aus. Hier geht sozusagen die Besetzung nicht mit der Rolle zusammen.

In der Wohnung trifft sie auf ihren Vater. Der wird nun von Christian Ulmen gespielt. Und darum ist das die Hauptrolle. So dürfte der Film allenfalls für eingefleischteste Ulmen-Fans gerade noch erträglich sein. Auch bei ihm geht so einiges nicht zusammen. Er ist der Erziehungsverantwortliche für das Mädchen. Die Mutter ist gestorben. Es gibt noch eine Aufsichtsperson vom Amt, die gelegentlich ein Auge auf die Entwicklung in diesem Haushalt wirf. Denn dem Amt ist nicht verborgen geblieben, dass Herr Bruno Markowitsch, den der Herr Ulmen hier spielt, nicht ganz dicht ist.

Was Herr Ulmen im Laufe des Filmes uns nun an geistigen Krankheiten und Behinderungen vorspielt, das geht auf keine Kuhhaut – er würde jetzt sofort wieder den dadaistischen Übersprungswitz von Kuh auf Frau Corazon vom Sozialamt machen. Er hat Sprechschwierigkeiten, verhält sich manchmal wie ein Affe (oder wie Schauspieler gelegentlich glauben, Idioten darstellen zu müssen), er hat aber auch einen Zahlenfimmel, er kann in jedem Moment sagen, wie alt seine Tochter ist, auf den Tag. Aber auch diese Eigenschaft geht mit vielen anderen Eigenschaften seiner Behinderung überhaupt nicht zusammen. Das wird an einer Stelle offenbar, an der die Tochter genau 13 Jahre, 20 Monate und 17 Tage alt ist.

Oder er weiß ganz genau, wieviel Prozent Behinderung er hat. Aber dass es nur zehn seien, das widerlegt er glaubwürdig mit seinem Spiel. Es geht überhaupt nicht mit der realistischen Erfahrung zusammen, dass so ein Mensch der Erziehungsverantwortliche für eine heranwachsende Tochter sein soll. Es geht auch nicht mit dem, was er spielt zusammen, dass er einen verantwortlichen Job in einem Großmarkt hat, er füllt immer wieder Regale auf und macht dabei oft die Kunden blöd an.

Oder – und auch das scheint widersprüchlich – arbeitet er wieder in der Flaschenabfüll-, Flaschenreinigungsanlage. Vollkommen anderer Job.

Es geht auch der ganze Cast nicht zusammen. Da muss das entsprechende Departement etwas falsch oder gar nichts verstanden haben, aber vielleicht gabs hier schon beim Drehbuch nicht viel zu verstehen. Alles Figuren, die überhaupt keine Beziehungen zu einander aufbauen. Das lächerliche Architektenehepaar, wobei hier schon von der Besetzung her offenbar gegen jede Lebenserfahrung gecastet worden ist und den Rest erledigte die im Umgang mit Schauspielern offenbar vollkommen unbedarfte Regie (Anja Jacobs). Soll-lustig-sein-Karikaturen. Die Schauspieler lassen es mit sich machen. Einzig Hans Löw überzeugt in dem Moment als Chef des Supermarktes, wie er nach einem weiteren Unglück, was der behinderte Ulmen angestellt hat, neben diesem hockt und Verständnis zeigt. Das ist anrührend, dürfte aber eher ein Beitrag des Schauspielers sein. Alles andere sind Chargierungen (bis auf Radost und ja, auch ihr kleiner Architektensohnfreund), offenbar ausgewählt, um Herrn Ulmens Affigkeiten nicht ernsthaft zu konkurrieren. Der Zoo kommt natürlich auch vor in so einem Film. Und da wir Tierfreunde sind, so würden wir die ganze Veranstaltung am liebsten im Zoo lassen. Aber vermutlich würden selbst die niedrigsten Tiere sich schämen. Wer ums Himmels willen kommt auf die hirnrissige Idee, sowas ernsthaft als Kino verkaufen zu wollen?

Das muss dann noch sein, das ist auch so ein Einfall, den sich die Autorin, die mit der Regisseurin identisch ist, irgendwie aus den Fingern gesaugt hat, ein sich anbahnendes Liebesverhältnis zwischen dem Söhnchen des Architektenehepaares und Radost. Das Söhnchen macht einen auf Musik. Gitarre und so. Das misinterpretiert die Regie, dass sie über den ganzen Film Klampfentöne oder Xylophon legen zu müssen glaubt. Hilft alles nichts.

Erlebnisverhinderungskino. Eine Beleidigung für alle Behinderten und diejenigen, die mit ihnen zu tun haben.

Was vor allem die Glaubwürdigkeit der Behinderten-Figur von Herrn Ulmen unterminiert, ist der fehlende Ernst. Es geht jetzt nicht darum, ob etwas übertrieben dargestellt wird, das mag legitim sein, wobei aber der Film die Voraussetzung dafür gar nicht schafft, und insofern schon nach wenigen Minuten viele Zuschauer abhängen wird. Gerade die Komik verlangt einen tiefen Ernst. Es ist die Tiefenkonstruktion eines Behinderten, der im Innersten genau weiß, dass er eine Behinderung hat, dass er anders ist als die anderen, die fehlt in Ulmens Darstellung vollkomen. Er verblödelt lediglich die Figur. Darum ist er oft zu laut. Als ob er mit dicker Farbe an eine Scheibe male: Ausverkauf, Sonderangebot, Preisnachlass, mit dem er auf sich aufmerksam machen möchte. Auch wenn so eine Figur nur zur Unterhaltung als Comic-Figur kreiert werden würde, müsste ganz genau klar sein, ob es sich lediglich um physische Ticks, um Legasthenie und Sprech- und Sprachstörungen handelt, um das Tourettsyndrom oder welchen Spasst auch immer. Ulmens Antwort darauf: U L M E N.

Hahnebüchene bekloppte Geschichte (Anja Jakobs), ein lumpig hingehauener Film. Staatliches Filmgeld verblödet.

Knerten traut sich

Mit den Forsetzungen kann das so eine Sache sein. Der erst Knerten-Film, der ganz einfach „Knerten“ hieß, war eine einmalige und bemerkenswerte Angelegenheit, von tief-existentieller Bedeutung. Denn Lillebror, der kleine Bruder wie der Bub heißt, wird aus seiner vertrauten und prägenden Umgebung rausgerissen, weil seine Familie aus der großen Stadt ins abgelegene Land zieht. Lillebror verliert seine Freunde, hat ein richtig großes Problem. Die Astgabel, die ihm vom Baum zufällt, die erfindet er als seinen Freund Knerten. Der hilft ihm nun als fantasievolle Freundeserfindung, die schwierigen Situationen zu meistern.

Jetzt kommt die Fortsetzung. Das Hauptproblem von Lillebroer, das hat sich im ersten Film fantasievoll gelöst. Vor dem Screening habe ich mich gefragt, wie es jetzt weiter gehen könnte. Vielleicht die Ablösung des Holzgabelfreundes durch einen richtigen Freund? Denn der Mensch kann ja nicht immer nur von Imagination leben. Ganz so geht es aber nicht.

Die Story verwandelt sich jetzt in eine Art Bubenabenteuer-Feelgoodmovie, dazu Anfänge einer „Kribbeln-im-Bauch-Story“. Denn die kleine Freundin von Knerten hat ein Astfrauchen gefunden mit lustigen Zöpfen und die beiden Holzfigürchen unterhalten sich ganz ungeniert übers Heiraten.

Lillebroer hat aber noch ein anderes Abenteuer zu bestehen. Seine Mutter kommt eines Abends nicht nach Hause. Die beiden Brüder suchen sie, denn der Vater ist mit seinem holzverkleideten Kastenwagen und der bunten Damenunterwäsche auf Geschäftsreise. Sie fnden die Mutter verletzt in einem Waldstück im Graben neben der Straße liegen. Sie ist vom Fahrrad gestürzt.

Lillebroer findet in der Nähe der Unfallstelle ein Stück Blinklicht von einem Auto. Er ist überzeugt, dass das Auto, von dem das Blinklichtteil stammt, die Mutter angefahren hat mit anschließender Fahrerflucht. Es geht jetzt darum, den Täter oder die Täterin anhand des beschädigten Vorder- oder Rücklichtes zu ermitteln und der Polizei zu übergeben. Knerten ist dabei zweifellos hilfreich und die Dinge entwickeln sich unvorhergesehen, wie es sich gehört für eine anständige Bubenabenteuergeschichte.

Auch die Hochzeit des norwegischen Königspaares, die am Fernsehen übertragen wird, spielt ein Rolle. Es gibt außerdem einen neuen Buben in der Gegend, Carsten heißt er, der gerne von seiner Mutter in einem stolzen Mercedes rumkutschiert wird. Am eindrücklichsten ist allerdings die Fahrzeugmechanikerin mit ihrem Abschleppwagen. Sie ist herzzereißend charakterisiert als eine Person, die immer unglücklich ist, die sich für ein Nichts, ein Niemand hält und die ein Dutzend Crêpes auf einmal verschlingen kann. Die harte, sinnliche Schönheit, die sich mutig eine Sonnenbrille aufsetzt und das Haar löst. Sie ist hier unversehens zu der Figur geworden, die dringend eines Knerten bedürfte.

Die Musik wird mächtig in Richtung Feelgood-Movie filmorchestral aufgemotzt.

Das Buch ist von Birgitte Bratseth, für die Regie zeichnet Martin Lund.

Martha Marcy May Marlene

Das ist nicht Kino als Katharsis, das ist nicht Kino als Ort der großen Gefühle, das ist nicht Kino, um abzulachen, das ist nicht Kino zur geistigen Erbauung und Anregung. Das ist ein Kino der Enge. Der doppelten Enge. Der Enge in der Kommune, in der sie, Martha Marcy May Marlene eine Zeitlang lebt, wie die Enge des „großzügigen“ Hauses ihrer Schwester an einem See in Connecticut.

Denn die Enge der Gefühle der Hauptfigur Marthy Marcy legt sich wie ein Pressverband über den Zuschauer, schnürt ihn ein, lässt ihn mit einem Gefühl der Verantwortung für das Unglück dieser jungen Frau zurück. Es gibt in diesem Kino kein Entkommen dem Unglück, der Ziellosigkeit, der Opfernatur dieser Frau, die nicht weiß wer sie ist, was sie ist, was sie will, wohin sie will.

Es gibt diese Frauentypen, die sich andererseits so selbstverständlich in den Mittelpunkt, auch schauspielerisch als Protagonistinnen stellen, deren Hauptbehauptung darin zu bestehen scheint, vorwurfsvoll darin zu bestehen scheint, ich bin eine Frau, jetzt fangt was mit mir an. Dieses Kino ist insofern gefühlsmäßig lähmend oder schockierend, weil es auch keinen Ausweg durch eine distanzierende Story weist, diese Frau hat so gut wie keinen Background, außer dass wir erfahren, dass ihre Mutter gestorben ist, sie hat keine Zukunft, sie galt in der Kommune zwar als Lehrerin, als Leaderin, das wird man dort offenbar sehr schnell, nachdem der Oberguru das Jus Primae Noctis bei den Neuankömlinginnen sich herausgenommen hat, dem sie sich im weißen Morgenmantel hinzugeben haben.

Und schon können sie die nächste Abhängige einweisen, sind Teacher, Leader, was bei Marthas Schwester in Connecticut vollkommen falsch verstanden wird. Dort ist die Enge genau so vorhanden. Es geht nie um räumlich Enge, es geht um gefühlsmässige Enge, vielleicht auch um intellektuelle Enge, wenn nicht Leere, darum auch hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, ist nicht in Griff zu kriegen, treibt die Frau nur immer mehr in Richtung psychischen Zusammenbruchs, denn es gibt auch von der Story her kein Korrektiv gegen diese vereinnahmende Gefühlswelt der Enge und Sehnsucht bei gleichzeitiger Desorientiertheit.

Eine Frau auf dem Weg in die Psychiatrie könnte der Film auch genannt werden. Er seziert aber nicht die Befunde, er malt lediglich die Gefühlswelt und darum auch ist die einzige Leistung dieses Filmes, diese auf den Zuschauer zu übertragen, was durchaus auch für viele, die in „normaleren, gezügelteren“ Gefühlswelten zuhause sind, als eine Zumutung verstanden werden kann. Denn Hilfe und Erlösung sind bei dieser Frau nicht in Sicht. Das ist ein deprimierender Befund.
Die Kommune heißt Catshills. Ein Lehrsatz vom Guru (nachdem sie bei einem Einbruch einen Mann getötet hatten): Der Tod ist das schönste am Leben. Die negative Sicht dieses Filmes illustrierend.

Aber Martha ist vielleicht auch herrschsüchtig und solange sie nicht herrschen kann, mit ihren Gefühlen nicht die Umwelt beherrschen kann, todunglücklich. Und wenn sie herrschen kann, ist sie weiter todunglücklich. Es wäre jetzt spannend dem Namen Martha in Film und Literatur etwas nachzuspüren. Fassbinder hat einen „Martha“-Film gemacht, auch eine sehr düstere Angelegenheit (allein in IMDb sind über ein Dutzend Titel „Martha“ angeführt, von 1916 bis 2011).

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruches und wie sie keine Rücksicht auf ihre Umgebung nehmen. Das wird in diesem Film deutlich bei der Party, die ihre Schwester mit Ted gibt. Hier wirkt Martha nur noch zerstörerisch. Laut wikipedia ist Martha die Schutzheilige der Hausfrauen.

Buch und Regie: Sean Durkin

Juan of the Dead

Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt. Damit lässt sich alles ertragen, Angola, die kubanische Revolution und sogar eine Zombie- oder Vampirinvasion auf Kuba (und vermutlich kürzlich sogar der Papstbesuch).

Die zwei Freunde, die uns durch diesen unkompliziert-frischen fantasievoll-verrückten, höchst politischen Vampirfilm führen, sind die Titelfiguren Juan und Lazaro. Sie pflegen den Müßigang, was will man auf Kuba auch anderes tun. Sie gehen mit einer Harpune fischen. Juan liegt breit ausgestreckt auf einem notdürftig zusammengebastelten dreieckigen Floß, schaukelt träumend in den Wellen, während Lazar taucht. Aber statt eines Fisches fängt er eine ziemlich tote Hinterlassenschaft in orangener Sträflingskleidung des amerikanischen Imperialismus aus Guantanamo. Nichtsdestotrotz reden sie davon, nach Miami rüberzumachen. Tun es aber nicht. Die Lethargie, die Zufriedenheit im Unglück.

Was diesem kubanischen Film an Geldmitteln fehlt, das macht er mit Fantasie und bitterbösem, schwarzem Humor wett. Auch die Freundschaftsfrage der beiden wird auf die Spitze getrieben. Dazu muss erwähnt werden, dass das Hauptereignis dieses Filmes eine Vampirinvasion auf Kuba ist. Wie also Lazaro überzeugt ist, dass auch Juan von den Vampiren infiziert ist und Juan gesteht dass er ihn liebt und er das Thema Freundesliebe bis auf die Ebene der geschlechtlichen Liebe weitertreibt, da biegt Alejandro Brugués, der Autor und Regisseur dieses Filmes, die sich anbahnende Romantic Comedy gerade noch rechtzeitig mit einem Joke ab.

Nebst der Harpune, die Lazaro auch in Havanna mit sich trägt und die gerne in den ungeschicktesten Momenten losgeht, haben die beiden genügend Alkohol gebunkert und außerdem ein erstklassiges Fernroh auf dem Dach des Mietshauses installiert, in dem sie wohnen. Damit kann Juan seine Tochter Camila und den Sohn von Lazaro, den dieser Vladi California nennt, beim Anbandeln beobachten und noch rechtzeitig eingreifen.

Juan vertreibt sich die Zeit auch gerne mal mit Fensterln, über den Balkon bei einer verheirateten Frau einsteigen; aber bevor sie es zum fünften Mal treiben können, kehrt der Ehemann zurück. Also ab über den Balkon. Der Freund auf dem Dach fragt ahnungslos, wo er denn gewesen sein.

Die Verhältnisse, in denen unsere Cubanos leben sind desaströs. Der Lift im Haus bleibt einen halben Meter unterhalb der Etage stecken, so heißt es rauskriechen, was saukomisch aussieht; kann sich aber zur Entsorgung einer Leiche als ganz praktisch erweisen. Denn das Problem wird sich stellen, wie sich ganz unbemerkt Zombies oder Vampire auf Kuba einnisten. Erst einer, eine dicke Frau bricht mit großem Knall wie ein Ungeheuer durch eine Tür, stürzt sich auf andere Menschen. Es kommt wirklich überraschend. Bis auch das Nachbarschaftskomitee sich mit dem Thema befassen muss.

Für die offizielle Politik ist klar, dass es sich um imperialistische Parasiten, um Dissidenten handeln muss; die Unordnung wird vom Erzfeind geschürt. Die Nachbarin Yiya, deren Mann Regelio seit 15 Jahren unbeweglich im Rollstuhl sitzt, ist überzeugt, das kommt von den Medikamenten, die man ihr und ihm verabreicht. Auch hier wird die Harpune einiges regeln.

Wie das mit den Vampiren zur Plage ausartet (oder: wie Kuba immer mehr von „Dissidenten“ bevölkert wird), hat Juan die brilliante Geschäftsidee, vielleicht sein erste, einzige und eine richtig kapitalistische noch dazu: er garantiert Beseitigung von Vampiren in Verwandt- und Nachbarschaften. Man kann ihn auf seinem Festnetzanschluss auf dem Dach erreichen, einem grünpatinisierten Apparat aus den prähistorischen Zeiten der Draht-Telefonie. Er und seine Truppe kommen auf Anruf und erledigen die Zombies.

Diese schräge, schäbige, ärmliche Truppe besteht aus Juan, Lazaro, China, einem transvestitischen Typen, der aber im entscheidenden Moment gekonnt die asiatische Kampfkunst einsetzt, einem großen Dicken, dem noch die Augen für den Kampf mit einer roten Binde verbunden werden. Das ist also Juans zündende „idea to get rich“. Eine Art Reinigungsbusiness gegen Dissidente. Jedenfalls ist das so eine richtig filmreife, filmschräge, zombiefilmergiebige, armselige Truppe, die hier die kubanische Welt und damit die Revolution auf kapitalistische Weise retten will.

Der Film ist gespickt mit Anspielungen auf die beschissene Gegenwart in Kuba, auf den verlotterten Zustand des Landes zum 50. Jahrestag der Revolution.

Im Laufe des Kampfes treten plötzlich martialisch ausgerüstete Soldaten auf, die es schaffen unsere Vampirbeseitigungstruppe zu fesseln und sich ausziehen zu lassen; die tänzeln daraufhin ein herrlich erotisches Männer-Ballet in der Nacht statt sich ihren Humor nehmen zu lassen. Diese Rettungsarmee, bestehend aus zwei Soldaten nennt sich übrigens die Altruisten.

Je krasser die Invasion der Zombies wird, desto mehr werden auch locker einige Animationstricks eingefügt, die Havanna nach und nach zerstören, die Helikopter in schöne Kuppeln oder in Hochhäuser crashen lassen, die nur noch rauchenden Kaminen gleichen: die gute Frage, wer nun wirlich die Vampire sind, sind sie nicht ein Bild für die revolutionären Ideen, die Kuba seit Jahrzehnten verarmen lassen und ausrauben?

Übrigens warnt Juan seine Tochter vor California, er habe Herpes. So wird junge Liebe gezügelt.
Die vordergründige Intention hinter dem ganzen Spektaktel ist sowieso die eines Musicals, denn ständig wird Sambamusik gespielt und auch dazu gesungen.

Juan definiert sich selbst als ein Überlebender, ein Survivor, er hat Angola überlebt, er hat das 50. Jubiläum der kubanischen Revolution überlebt, er hat die Zombies überlebt, was will er nach Amerika abhauen.

Die Bösen, das sind die Dissidenten, Imperialisten, die Sklaven, der Plebs, Anarcho-Dissidents, Iconoclastics.

Lustiges Spiel: mit einem Auto in Vollgas gegen eine Kartonmauer fahren und genau so bremsen, dass diese nicht umfällt.
Havana Libre, die Neoninschrift über einem Hotel.

Auch eine Bloggerin kommt vor: Sara.

Ein schwarzhumoriges kubanisches Panoptikum. Kuba erfasst und durchschaut.

Work Hard – Play Hard

Carmen Losmann hat sich für diesen Dokumentarfilm eine krasse Industrie vorgenommen: jenes Geschäftsfeld, das dem Geldkapital weismachen will, die Leistung des Human-Kapitals zum Zwecke einer besseren Gewinnmaximierung optimieren zu können. Angesichts des riesigen thematischen Berges zeigt uns Frau Losmann aber auch, dass es praktisch nicht möglich ist, das ganze Themenfeld in einem Film griffig zu erfassen.

Die Regisseurin serviert uns einen Kessel Buntes zu einem irren Themenkomplex, der, wenn er denn Garant für filmisches Erlebnis werden sollte, doch eines geistig deutlich durchdringenderen, stringenteren Zugriffes mit mehr Biss bedurft hätte. Wir aber bekommen hier serviert einen recht willkürlichen Mix aus Beobachtungen bei Architektens, die für Unilever ein Maßstäbe setzendes neues Bürohaus im Hamburger Hafenviertel hinklotzen sollen, Kienbaum Management-Bereichsmeetings; der Versuch der Post, sich „lean“ zu organisieren, Assessment-Center (statt von „Schwächen“ wird hier von „Entwicklungsfähigkeit“ gesprochen), Towers Watson Unternehmensberatungen, nonterritoriale Arbeitsplätze bei accenture (Menschen in nicht eigener Umgebung sind anders), Ellernhoftraining; eine Gruppe wird mit verbundenen Augen in ein Verlies gesteckt und muss den Ausweg finden; alles wird genau von einem Kontrollraum aus mit Video und Gegensprechanlage beobachtet und anlaysiert; die verdienen sicher gut an diesen Pfadfinderspielen, die als Team- und Führungstraining angeboten werden, die den Menschen daraufhin beobachten, ob er „im Flow“ ist auch mittels Gehirnprozessanalysen.

Jedes einzelne Fundstück von Carmen Losmann lässt schaudern. Wie da geredet und getan und geschwätzt und geschwatzt und geblufft und belehrt und getest wird, das sind alles mehr oder weniger verbrämte Varianten von Selektion, immer zwischen abgrundtief komisch und unglaublich und grauenhaft, wie versucht wird, das menschliche Kapital im Sinne einer blutsaugerisch größtmöglichen Effizienz einsetzbar zu machen, es knetbar zu machen.

Auch die Typen von den Beratungen und Tests, die die Programme in den Firmen durchführen müssen, sind ein Kapitel für sich. Die machen ja auch wieder nur ein Riesengeschäft mit der Geldgier des Kapitals. Indem sie den Kapitalisten vorgaukeln, mit ihren Tests und Methoden und Büroeinrichtungen könnten sie das Humankapital profitabler einsetzen. Es ist alles nur grotesk was da abläuft.

Wenn die supergestylte Dame von der Post soweit geht zu sagen, man möchte diese Maxime, diese Logik „in die DNS jedes einzelnen Mitarbeiters“ einpflanzen, da wackeln einem die Ohren. Fehlt nur noch, dass die Mitarbeiter nach rassisch-rassistischen Merkmalen untersucht und selektiert werden.

Wie die Dame bei der Post versucht, den kulturellen Wandel „lean“ zu bewerkstelligen. Da kommt im Film kurz etwas Zusammenhang auf, wenn später ein Abteilungsleiter beim täglichen Briefing nach Trainingsmethodenvorschrift gezeigt wird und er vorschriftsmäßig fragt, wie es den Leuten gehe und die sagen „schlecht“ und sie wären lieber zu Hause und als Wunsch bringen sie vor, mehr Leute einzustellen. Da fällt dem Leiter nichts mehr ein und er studiert die Kennzahlen und weiß auch nicht wie weiter. Wer Augen hat der sieht, wie der arme Kerl von den unternehmensberaterischen Weltverbesserern getreten wird und wie er nun nach unten treten muss und dabei so tun, als würde er sich um das Wohl der Menschen kümmern. Der Zuschauer wundert sich nicht, dass bei solchen Beratungen und plumpen Versuchen der Manipulation des Humankapitals nicht viel rausschauen kann. Wie denn schon vorher bei der Schulung ein Mitarbeiter gefragt hat, wie sie denn nun konkret vorgehen sollen.

Zum Cineastischen: Der Zuschauer muss hier sehr genau hingucken, um zu bemerken, wie schauderhaft das unter der glatten, netten Oberfläche alles ist, wie abgefeimt.

Zur Methode von Frau Losmann. Sie hat sich nicht undercover wie einsten Walraff oder als penetrante Recherchejournalistin wie früher Michael Moore an die Materie herangemacht. Sie scheint ganz offiziell um Drehgenehmigungen ersucht zu haben und sie hat die Namen der diversen Firmen schön und ehrenhaft groß in den Film eingesetzt, dass diese es problemlos als Werbung verstehen können und sie wussten ja auch, dass sie gefilmt werden und für ihre Firmen das beste Image herstellen wollten. Formal sieht der Film eher wie ein Werbefilm für die vorgestellten Firmen denn wie ein kritischer Dokumentarfilm vor. Hinsichtlich eines kritischen Dokumarfilmes ist Frau Losmann noch entwicklungsfähig.

Krieg der Knöpfe

Die Kinder spielen das, was die Erwachsenen tun. Wenn Krieg ist, Zweiter Weltkrieg, dann spielen die Kinder Krieg. Wie bei den Erwachsenen geht es um Territorialvormacht. Allerdings geht es bei unseren franzöischen Jungs um Knöpfe, Knöpfe sind die Kriegstrophäen. Wenn einer besiegt wird, werden ihm Knöpfe und Schnürsenkel abgezwackt und so muss er sich nach Hause begeben, eine schmerzhafte Blamage.

Hier bekämpfen sich die Gangs von Longeverne und Velrans. Velrans werden beim Wildern auf Longeverner Gebiet entdeckt. Damit ist der Krieg schon erklärt. Parallel dazu gibt’s Geschichtsunterricht in der Schule und ein neu aufgetauchtes Mädchen, das vor allem den Anführer unserer Longeverne-Gang anturnt. Sie bringt ihm ein Buch über den punischen Krieg. Vielleicht interessiert ihn das ja mehr als die Städte, die an der Loire sind. Wenn man die nämlich nicht kennt, muss man, wir sind 1944, sich vor der ganzen Klasse in die Ecke stellen, selbst wenn man der am weitesten gediehene Bengel ist.

So ein Krieg der Knöpfe um Knöpfe, der besonders dann befeuert wird, wenn das Schimpfwort „Schlappschwanz“ einem an den Kopf geworfen wird, kann in gefährliche Regionen sich hochschrauben, wenn auch bei den Erwachsenen Krieg ist, wenn die Ortschaft im Süden Frankreichs schon einen uniformierten naziphilen Polizisten und einen rumlavierenden Bürgermeister mit einem ziemlich feigen Sohn hat, der von der eigenen Gang wegen Verrates verprügelt wird, was das Mädchen nicht gerade für weise und erwachsen hält. Wenn all das gegeben ist und der gestrafte feige Bube in Anwesenheit des nazigeilen Polisten anfängt aus dem Nähkästchen zu plaudern und dieser schon die Pistole für die Menschenjagd zücken will, da kann aus dem Spiel schnell tödlicher Ernst werden, da ist plötzlich Solidarität über Ganggrenzen hinweg gefragt, da macht sich die latent vorhandene Résistance bemerkbar, aus allen Löchern sozusagen, da passiert dann etwas, was man sich heute so gar nicht mehr vorstellen kann, auch wenn es vielleicht idealisierend dargestellt ist, dass es eine große Gemeinschaft für eine Idee von Gerechtigkeit gibt. Dass ein Dorf, eine Gemeinschaft an einem Strang zieht.

Dieser Krieg der Knöpfe, zu dem Christoph Barratier, der Regisseur, mit Thomas Langmann auch das Buch geschrieben hat, überrollt einen förmlich 100 Minuten lang und man weiß nachher gar nicht, wo man mit Erzählen anfangen soll. Denn es gibt ja noch Liebesgeschichten und Inspirationen durch eine Museumsführung sowie köstliche Folgen der Knopfabschneidegeschichten. Und einen wie immer 100 prozentig überzeugenden Kad Merad als der oft in sich gekehrte, aber um eine Ohrfeige für seinen seiner Ansicht nach missratenen Sohn, den Anführer der Bande, nie verlegenen Vater.

The Grey – Unter Wölfen

Gelegentlich hängt unser Leben an einem seidenen Faden, wobei hier besser von Kälte und Wölfen und Flugzeug-Crash oder von einem aus Kleiderteilen geknüpftem Seil über einem Abgrund zu sprechen wäre, die Situation kann durchaus eintreten noch bevor wir uns klar gemacht haben, ob denn unser Leben einen Wert hat oder fast dümmer noch, erst nachdem wir uns vielleicht klar gemacht haben, dass es so gar nichts wert sei und wir aber vom freiwilligen Exitus durch ein doofes Wolfsgeheul eben noch abgehalten worden sind.

Ein nihilistischer Film, der solche Fragen stellt und solche Situationen her- und ausstellt. Unsere im Verlaufe des Filmes sich nach und nach dezimierende Anzahl Protagonisten ist ganz hoch im Norden von Alaska bei einer Ölbohrstelle dafür zuständig, Wildtiere, die sich ihr nähern, unschädlich zu machen. Liam Neeson ist der Primus inter Pares unserer Stars. An ihm lässt Joe Carnahan, der das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt hat, etwas tiefer blicken in die Seelen dieser harten Männer, deren Leben keinen Wert mehr hat.

Liam Neeson als Ottway hält von seinen Kollegen nicht viel, alles mehr oder weniger verunglückte Existenzen, bei denen dies und das schief gelaufen ist. Sonst würden sie nicht den Job in dieser Einsamkeit machen. Es hat zwar jeder irgendwo eine Frau und Kinder oder Eltern, kam mal aus einer Familie und gehört irgendwie noch zu einer; das wird im Laufe des Filmes sehr diskret gezeigt anhand von Einblicken in die Geldbörsen der wilden Männer.

Ein gutes Dutzend unserer Jäger ist gerade dabei, einen Heimaturlaub anzutreten; sie besteigen bei eisiger Kälte und Wind und Wetter ein kleines Flugzeug, das sie in die Zivilisation zurückbringen soll. Um nun ein bisschen Stimmung zu schaffen, lässt Joe Carnahan das Flugzeug erst mal starke Turbulenzen passieren, dass einem Angst und Bange wird. Dann muss sich die Situation beruhigen, die Männer werden stumm ihren Gedanken überlassen.

Was folgt ist der Absturz. Richtig schön katastrophenfilmmässig. In einsamer, eisig, schneeiger Gegend. Dann das langsame Zu-sich-Kommen, und schon ist das erste Wolfsgeheul zu hören, das hier oft ganz wunderbar orchestriert ist und nachts sind viele Wolfsaugenpaare hervorragend choreographiert auf unsere Überlebenden gerichtet, haben sie eingezirkelt.

Den Männern steht nun ein Horrortrip zu Fuß durch wilde, unbewohnte, raue Gegend bevor, immer umzingelt und provoziert von den Wölfen. Das fordert Opfer. Zwischendrin wechselt Sturm und Schnee und eiskalte Landschaft mit Studiowinter ab und Lagerfeuer und gar Wolfsgrill, tastes like shit, tastes like dogshit, da wird es dann etwas gemütlicher, da wird der Katastrophenfilm heimelig, bis die harte Realität wieder zuschlägt.

Es ergeben sich auch Möglichkeiten zu Fragmenten von Dialogen über die Liebe und den Job, die Familie und die Herkunft. Geworfensein in eine Existenz, die nicht weiter erklärbar ist und deren Wert auf jeden Fall nicht unbedingt von sich aus einleuchtend ist. So kann das Kino zum Ort existenzialistischer Reflexion und Betrachtungsweise werden. Was ist das Leben wert? Wozu verliert einer erst die Brille, um dann doch abzustürzen? Die Männer haben aber oft recht treuherzige Blicke.

Monsieur Lazhar

Philippe Falardeau präsentiert eine unaufdringliche, sorgfältig im Hinblick auf dokumentarische Nähe präparierte Fallstudie zu einem Vorfall in einer Schule in Canada. Dabei legt er ganz behutsam und ohne Sensationshascherei einige Problemchens, die das Institut Schule heutzutage so bereiten kann, frei.

Die Lehrerin Martine LaChance hat sich in einer Pause im Klassenzimmer erhängt. Wenn das mal kein Hinweis ist. Allein der Name, den ihr Falardeau gibt: LaChance, die Chance ist von traurigschöner Zweideutigkeit. Was ist die Chance? Sich aus diesem Leben, aus dem Schulleben zu verabschieden? Allein darüber könnte ausführlich diskutiert werden.

Dass der Film nicht sensationsheischerisch mit dem Thema umgehen möchte, zeigt er dadurch, wie er darüber berichtet. Es ist Pause in der Schule. Es sind vor allem 11- und 12jährige. Simon muss kurz vor Ende der Pause noch die Milch für die Klasse besorgen. Er will sie schon mal ins Schulzimmer tragen. Die Tür ist verschlossen. Durch das Glas sieht er die Frauensperson, die da hängt. Auch der Zuschauer sieht das nur ganz kurz. Dann etwas Hektik. Die Lehrerinnen beordern die von der Pause zurückströmenden Schüler sofort wieder aus dem Schulhaus raus.

Es folgt eine Versammlung mit den Eltern. Die Sache wird besprochen. Eine Spezialistin, eine Psychologin ist vor Ort und wird auch eine Weile lang Schüler und Lehrer betreuen. Die Geschichte wird öffentlich und auch, dass ein Ersatz für die Lehrerin gesucht wird. Das Schulzimmer wird frisch gestrichen, als ob das die Erinnerung an den Tod verblassen machen könne.

Da taucht Bachir Lazhar, ein algerischer Immigrant, bei der Schulleiterin auf und bewirbt sich für die Stelle. Mohammed Fellaq spielt diesen Lehrer als weisen, demütigen Mann, als eigenwilligen Pädagogen, der den Kindern höchst-literarische Bildung vermitteln möchte. Er ist ein Typ, der sicher auch einen Komiker spielen könnte mit seinen großen Augen, die in keiner Sekunde private Anbandelmessages aussenden. In der Schule ist er fordernd und vermittelnd zugleich, Balzac kommt vor und Jack London im Diktat.

Er gewinnt schnell das Vertrauen der Kinder. Er ist aber auch Skeptiker. Zum Beispiel wie die Psychologin nach einiger Zeit wieder von der Schule abgezogen wird, fragt er die Direktorin ganz erstaunt, aha, die Kinder sind jetzt geheilt? Und wenn das Thema aufkommt in seiner Klasse, dann geht er darauf ein. Das ist allerdings nicht im Interesse der verdränglerischen Schulleitung.

Simon zum Beispiel hatte von der Verstorbenen einen Fotoapparat erhalten. Damit hat er sie auch während einer Schulstunde abgelichtet – übrigens dann auch den neuen Lehrer. Als eine Traueraktivität hat er der Martine auf dem Foto Flügel aufgemalt und den Strick um den Hals gezeichnet. Die Schule sieht diese Art von Trauerarbeit nicht gern.

Es kommt auch das Thema auf, wie Lehrer die Schüler behandeln dürfen, dass das inzwischen fast so risikant sei, wie radioktives Material. Keine Berühung, keine Schläge. Wie schwierig schulische Erziehung heute sei.

Simon selbst plagen Schuldgefühle. Er ist überzeugt, dass er Schuld ist; dass Martine sich seinetwegen umgebracht hat und den Zeitpunkt und den Ort so gewählt hat, dass er sie entdecken musste.

Es gibt Gespräche zwischen Lazhar und seinem einzigen männlichen Kollegen; eine Einladung bei einer Kollegin, auch ganz verhalten; eine Besprechung mit den Eltern von Simon, die Mutter ist Pilotin und viel unterwegs; alle diese Gespräche und Schulszenen geben so ganz nebenbei Einblicke in den Schulalltag und das Drumherum. Auch über Vandalismus an der Schule wird gesprochen.

Schulalltag. Der dicke Pedell. Einmal der kleine Gag mit einem Fisch aus Papier, der Lazhar an den Rück gepeppt wurde, ohne dass er es merkt.

„Defenestrer“ heißt, sich aus dem Fenster stürzen. Auch so ein Thema. Und immer wieder latent das Thema des Selbstmordes der Lehrerin. Einmal zeigt der dicke Pedell Monsieur Lazhar eine Schachtel mit Dingen, die die Lehrerin zurückgelassen hat und die deren Mann nicht abgeholt hat.

Das Bild, die fast dokumentarische Bildfolge ist wie aus einem Guss.
Schon sehr früh erinnert eine Szene daran, dass Lazhar selber Flüchtling aus Algerien ist. Dass dort seine Familie verbrannt ist bei einem Anschlag, der gezielt ihm gegolten hat. Das muss in Canada vor Gericht genau bewiesen werden. Gemeines Schicksal: wie er den Prozess gewinnt, kommt die Schule dahinter. Seine Anstellung ist leider nicht regelkonform.

Ein traurig-schön erzähltes Beispiel dafür, wie kleinkarierte Auslegung von Paragraphen einen wunderbaren, versierten Pädagogen aus dem Verkehr ziehen können.

Nathalie küsst

Irgendwie originell dieser Film und sicher nicht intellektuell. Die Gebrüder David und Stéphane Foenkinos haben ihn nach dem erfolgreichen Roman gedreht, den David geschrieben hat.

Nicht intellektuell wirkt der Film im Vergleich zu „Die Kunst zu Lieben“ von Emmanuel Mouret, in dem geistreich über die Risiken und Chancen der Liebe debattiert und experimentiert wird.

Originell ist er, indem man durchaus von einem Elchtest der Liebe sprechen könnte. Ein Skandinavier nämlich, ein Bursche der mit Elchen aufgewachsen sein könnte und der so gar nicht in die Pariser Bürolandschaft hineinpasst, Markus Lundl heißt er und wird gespielt von Francois Damien, wird bei einer Besprechung mit seiner Chefin, Nathalie Kerr, gespielt von Audrey Toutou, vollkommen unvorbereitet und heftig geküsst und dann sofort verabschiedet.

Am nächsten Tag tut sie so, als sei nichts gewesen. Aber wenn der erste Kuss mal passiert ist, so kommt das Verlangen nach mehr. Andererseits wird Nathalie auch von ihrem Chef ziemlich direkt angemacht. Eine schwierige Situation, wenn die Liebe nicht die Hierarchien der beruflichen Alltagsbewältigung beachtet. Das ist der Test, dem Nathalie sich aussetzt. Sie hat, was auch für die Facetten der Standpunkte im Film hilfreich ist, eine Freundin, mit der sie die Dinge besprechen kann.

In der Firma löst das Verhältnis von Markus zu Nathalie, das weiter geht, Gerüchte und Gerede aus. Einmal schenkt er ihr ganz ungeschickt verpackt einen Minzbonbonspender mit Elchohren obendrauf. Wirklich sehr ungeschickt. Einer Kollegin, die eben Geburtstag hatte, bei der ist er mit einem riesigen Bouquet aus weißen Blumen aufmarschiert. Auch nicht unkomisch.

Die Liebe ist an sich schon schwierig und zwischen einem solchen Skandinavier und einer französischen Chefin noch komplizierter. Vor allem: vom Spiel her fibriert nun gerade so gar nichts zwischen den beiden. Das wird teils kompensiert mit bedeutsamer Musik. Kann vielleicht auch damit aufgewogen werden, dass das Publikum sich vornehmlich aus Leserinnen des Romans rekrutieren dürfte, bei denen dann allemal eh der Film ablaufen wird, den sie sich bei der Lektüre gemacht haben.

Es ist die Geschichte von einer Art ungehöriger Liebe, die sich am Ende auch noch die Freiheit nimmt, einfach alles stehen und liegen zu lassen und abzuhauen, das ist sicher Wunschtraum vieler, so dass also das reale Spiel in der doch realistischen Inszenierung gar nicht so wichtig ist.

Immerhin nehmen sich die Gebrüder Foenkinos immer wieder viel Zeit, um ihre Figuren durch Gänge oder Straßen gehen zu lassen, inneren Monolog führen zu lassen, so dass auch der Zuschauer Zeit genug hat, in dem eh langsamen Spiel die Figuren und ihre Gefühle oder die Zwickmühlen ihrer Gefühle selber zu entwickeln.

Es ist auf einer Seite ein Kino des Alltäglichen. Bei einer Beerdigung küsst am Schluss die halbe Trauergemeinde die Hinterbliebene. Diese Art von Realismus meine ich. Und er scheint nicht bewusst gewählte Methode der Regisseure, er scheint aus einem intensiven Mitgehen mit ihrem Roman und der Begeisterung dafür zu entstehen. Insofern kann man durchaus von einer eigenen Handschrift der beiden sprechen.

Zwischendrin spielen sie einen Lovesong ein. Es sind vielleicht einfache Träume, für die sich die Foenkinos begeistern, Träume eher einfacher Menschen – ein Indiz dafür scheint mir die Kostümierung der Figuren, die durchaus von einem Versandhaus wie Quelle es einst war, stammen könnte. Das wäre spannend, eine Vorstellung dieses Filmes zu besuchen und zu schauen, ob sich tatsächlich in der Bekleidung der, wie ich annehme, vor allem weiblichen Zuschauer, ein Trend in Richtung einfach und Versandhaus feststellen lässt. Der Traum von der Liebe, die sich gegen die Hierarchie und das Geschäft und das Erwerbsleben durchsetzt. Wunschtraumkino. Foenkino-Kino.

Go ahead, make my day.