Playoff

Ein Basketballfilm mit angenehm wenig Sport drin. Denn es ist auch ein Holocaustaufarbeitungsfilm. Das Glanzstück an diesem Film von Eran Riklis, der mit David Akerman und Gidon Maron auch das Buch geschrieben hat, ist der Hauptdarsteller Danny Huston als Max Stoller. Ein Figur, die in ihrer Leinwandpräsenz und -dominanz entfernt an Orson Welles erinnert, wenn diese Präsenz vielleicht auch etwas zurückhaltender, aber nichtsdestoweniger geschmeidig, auch angenehm in der Stimme ist.

Aber wo viel Licht, da viel Schatten. Im Vergleich zum Hauptdarsteller könnte der gesamt deutsche Zu-Cast als Mr. Klotz bezeichnet werden. Das war ja vielleicht mit Bedacht so gemacht von Riklis; handelt es sich doch bei der Hauptrolle um den legendären israelischen Basketballcoach Max Stoller, eine Lichtfigur.

Der Film spielt Anfang der 80er-Jahre in Frankfurt. Max Stoller ist dort als Junge jüdischer Eltern aufgewachsen. Hat den Holocaust überlebt dank rechtzeitiger Flucht mit der Mutter nach Israel. Dort ist er ein genialer Basketballcoach geworden. Ein Erfolgsmensch. Er soll nun die deutsche Basketballnationalmannschaft aus ihrem Dornröschenschlaf wecken und fit für die Olympiade 1984 in L.A. machen.

Sein Engagement führt dazu, dass die Mannschaft bei der Olympiade antritt und sogar einen Platz unter den ersten zehn erobern wird. Aber das ist nur eine kurze Notiz im Abspann. Ein Glanzgeschichte.

Womit wir allerdings zur zweiten Schattenseite kommen. Stoller ist erfolgreich, ihn scheint der Holocaust nicht allzu sehr zu quälen. Er hat keinen Grundkonflikt. Warum er das Engagement in Frankfurt annimmt, wird nicht richtig klar. Jedenfalls nicht primär, um die Spuren seiner Herkunft, seiner Geschichte und die Folgen eines in der Kindheit geklauten Tortenstückes (damit in Verbindung glaubte er, sei sein Vater umgekommen) zu erkunden.

Stoller will lediglich ehrgeizig zeigen, was er aus einer Mannschaft machen kann. Aber dieses Ziel wird auch nicht dezidiert angegeben. Zu sehr scheint es Riklis darauf anzukommen, einen Vorwand zu finden, Stoller zu benutzen, um Holocaust-Problematik hervorzuholen. Und prompt wird Stoller gleich bei seiner Ankunft nach seinem Judenschicksal und nicht nach Basketball gefragt. Ihn interessiert nur der Basketball.

Trotzdem wird er die Spuren seiner Vergangenheit in seiner Freizeit suchen. Wird in dem ehemaligen Wohn-Quartier in Frankfurt Umschau halten. Sein Vater hatte eine Möbelmanufaktur. Einen Sessel daraus wird er in der Wohnung wieder finden, in der er als Bub gewohnt hat. Dort trifft er auf eine Türkin mit einer halbwüchsigen Tochter. Der Mann und Vater ist abgehauen. Er ist inzwischen mit einer Deutschen verheiratet und habe ein Kind mit ihr. Auch Türken haben schwere Schicksale, will der Autor uns damit zeigen. Und nicht nur Türken.

Denn auch Deutsche können schwere Schicksale haben. Das wird in der Basketballnationalmannschaft deutlich. Dort hat der Kapitän gerade ein Problem, weil sein Vater sich umgebracht hat.

Stoller will den sportlichen Erfolg und in der Freizeit bewegt er sich im Melodram, oder frönt seiner Liebe zu teuren Uhren. Und wie es die Filmförderung so will, gibt es einen Anlass, an den Bodensee zu fahren (bei welchem aus Mangel an zwingenden Ideen der Ansatz einer Bettszene zwischen Jude und Türkin im seidenen Negligé, typisch für Clofrauen, stattfindet), denn auch die Filmförderung Baden-Württemberg (MFG, Geschäftsführerin Gabriele Röthemeyer) hat Geld in dieses Projekt gesteckt, was es im Kino schwer haben dürfte, das das Drehbuch sich den Grundkonflikt der Figuren nicht genügend dramaturgisch überlegt hat und aus diesem Grund die Grundidee (wenn es denn eine gegeben hat, außer, dass es ein reales Vorbild zu der Story gab) mit irrelevanten oder nur dem moralischen Zeigefinger dienenden Parallelkonflikten von Nebenfiguren kompensiert oder verwässert wird.

Trotz weiterer Förderung von HessenInvest-Film, (Vorsitzender der Bewertungskommission: Herr Günter Schmitteckert), Eurimages, Deutscher Filmförderfonds (Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien), Filmförderungsanstalt (Vorstand Peter Dinges), dem deutsch-französischen Abkommen und dem Rabinovitz-Fonds in Tel Aviv, scheint es sich um einen eher armen Film zu handeln; ein VW mit Frankfurter Nummer, der auch am Bodensee zu sehen ist; wunderbare Fußgängerzonenpoller, wie es sie damals gewiss nicht gegeben hat; man sieht ständig und überall, dass es heute offenbar kaum mehr möglich ist, das Frankfurt der 80er Jahre original nachzustellen; so rapid verwandeln sich unsere Städte, das ist noch so eine Erkenntnis, die der Film liefert, wohl eher unfreiwillig.

Aber so Dinge könnten Nebensächlichkeiten sein, würden nicht weiter stören (wie beim „Carlos“ von Olivier Assayas die Wiener Trambahn mit der Aufschrift „Extrafahrt“), wenn das Buch ein richtig gutes Kinodrehbuch wäre. Das Haupthandicap scheint mir zu sein, dass die Figur Stoller als eine entworfen ist, die ihr Leben gemeistert hat, dass er inzwischen sogar meint, er habe eine ganz normale Kindheit verlebt, dass er keine Probleme habe, aber die Umwelt mit ihm. Er spielt das wunderbar, wenn er versonnen in die Konditorei Preußer hineinschaut, wenn er seine Kindheitswohnung betritt, ohne Pathos, ohne die in solchen Fälle gerne bemühte Überdeutlichkeit.

Zwielichtfigur Hanns Zischler guckt mehrfach in die Kamera in der Halle, wenn er hinter dem Funktionärstisch sitzt; hat Rolle offenbar überhaupt nicht im Hinblick auf speziellen Habitus und Attitüden von Sportfunktionären studiert; wirkt in Momenten eher wie ein Gestapotyp. Aber da er wohl mehr ein Auf-den-Punkt-Gehen-und Sprechen-Schauspieler ist, tut er sich vermutlich schwer mit einer Rolle, die vor allem perzipieren muss. Seine Hakenkreuztrophäen liegen zuhause jederzeit griffbereit noch herum ohne jedes Staubkörnchen drauf. – In der Manufaktur Stoller ist jetzt eine Disco.

Fazit: ein souveräner jüdisch-israelischer Coach bringt eine verunsicherte, nicht allzu elegante deutsche Basketballnationalmannschaft unter die Top Ten bei der Olympiade in L.A. 1984. Als Teigmasse zwischen die wenigen, zielführenden Aktionen dienen diverse Schicksale und Schicksalsschläge von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und unterschiedlichen Glaubens sowie unverarbeitete Gewissenbisse, Konflikte, von denen keiner gründlich ausgearbeitet und ausgebreitet wurde; dies alles zu einem melodramatischen Tortenstück vermampft.

The Big Wedding

Ein exquisites, unbeschwertes Boulevardstück, künstlerische Ostküstenconfiserie, drehbuchmäßig fundiert insofern als es sich um ein Remake des französischen Filmes „Mon frère se marie“ von Jean-Stéphane Bron handelt. Das liefert uns Justin Zackham hier mit einem handverlesenen Starensemble für das gepflegte bürgerliche Publikum, was selber sehr genau Bescheid weiß über die Paradoxien der bürgerlichen Ehe, die nur mit Lüge, Täuschung, lockerer Moral und Flexibilität auch der Kirche gegenüber zu ertragen und aufrecht zu erhalten sind.

Der Adoptivsohn von Don Griffin (Robert De Niro) und Elle Griffin (Diane Keaton) will heiraten. Zu seiner Hochzeit reist auch seine leibhaftige Mutter aus Lateinamerika an. Sie ist eine tiefgläubige Katholikin. Deshalb muss ihr nun ein intaktes Familienleben vorgespielt werden.

Denn längst lebt der Adoptivvater Don katholisch nicht erlaubt und unehelich mit Bebe McBride (Susan Sarandon) zusammen. Er ist schließlich Künstler. Vom Anwesen, das er in Connecticut bewohnt her zu schließen, muss er erfolgreich sein.

Eine feine Gesellschaft also, die sich hier zur Hochzeit zusammenfindet. Allerdings ist die Illegitimität der Beziehung der Adoptiveltern längst nicht alles, was sich hier nicht ganz so reimt. So bedarf es also großer Anstrengungen, die heile Familie zu spielen, was allerdings nicht allzu lange gut gehen kann; auch bei den Brauteltern gibt es Gründe, warum die Hochzeit nicht bei denen stattfinden darf, wie es Usus wäre; zudem hat Tochter Leily (Katherine Heigl) mit ihrem Ehemann schlimme Probleme.

Gegebenenfalls wird also mitten in diesen gepflegten Boulevardauseinandersetzungen und Täuschungen auch mal eine Faust ausrutschen, der man es nicht zutraut. Oder Robert De Niro versucht sich in komödiantischen Kabinettstückchen, sei es auf dem 3-Meter-Brett über dem Pool oder mit dem schweren Koffer seiner Konkubine, die für dieses Hochzeitswochenende kurzfristig ausziehen muss, damit die immer noch angeheiratete Ehefrau deren Position übernehmen kann. Diese findet übrigens, in den zehn Jahren, in denen sie nicht mehr im Haus war, habe sich kaum was geändert.

Es ist auch ein wunderbarer Inklusionsfilm, wenn man so will. Eine ältere Stargeneration spielt mit einer jüngeren auf Augenhöhe, tauscht sich die schauspielerischen Kniffe aus und serviert sie elegant und mit Verve aus dem Handgelenk. Robin Williams gibt eine herrlicher Pfarrerfigur ab. Alles mit einem augenzwinkernden Grinsen nach dem Motto serviert: first comes the ring, and then we wake up.

To the Wonder

Eine cineastische Ode auf die Liebe.

Terrence Malicks ultimatives, liebestheologisches Kinoopus, ein schier erdrückendes Bild- und Orchesterwerk, ein Stream-of-Love-and-Life-Consciousness mit der oft herumhüpfenden und ihre adretten Formen zeigenden, internationalen, russischen In-Schauspielerin Olga Kurylenko als Marina, die ständig mit Ben Affleck als Neil herumtändelt. Die mystischste Rolle spielt jedoch Javier Bardem als oft spanisch sprechender Geistlicher.

Mit Impressionen endlosen Liebesglückes von Neil und Marina in Paris fängt Malick seinen Film an. Zauberhaft rasende Kamera, die auch über den Rest des Filmes nie zur Ruhe kommen wird, immer entdeckt sie wieder Illustratives zur thematisierten Liebestheologie: Prachtsanlagen, Dome, Naturwunder, Vögel, untergehende Sonne, steigende Flut, gummihafte Marsch, Bäume im Gegenlicht oder auch nur ein sich öffnendes Garagentor als Symbol für Öffnung und Lichtwerdung; Flugzeug mit Kondensstreifen, eine Orchidee; Symbolik allenthalben, von Überladung kann schon gar nicht mehr gesprochen werden, denn mehr geht nicht; und doch wieder reales Leben dazwischen, ein Handwerksbursche in der amerikanischen Siedlung, der Marina ein rechteckiges Saiteninstrument überreicht. Mit dem Handwerker wird sie später einen Seitensprung in der Econo-Lodge begehen, ein Seitensprung von einer Zärtlichkeit, wie sie kaum vorstellbar ist.

Die Widmung des Filmes ist sein Titel, dem Wunder gewidmet, dem Wunder der Liebe; aber das gibt es nicht umsonst; dazu gibt es viele Reflexionen, innere Monologe laut gesprochen, wie lange wird das dauern, wie lange wird das halten; denn Gefühle können beunruhigen; dazu ein feierliches Orchester, dem nicht auszukommen ist.

Die Liebe kann ängstlich machen, das merkt die Tochter und fragt es die Mutter. Liebe ist, ein Stück des Weges gemeinsam gehen; ein Stück des Weges gemeinsam mit Terrence Malick gehen, Kinoliebe.

Aber wo das Glück ist, ist die Angst, das Unglück, der Verlust nicht fern. Neil macht Bodenproben in der Siedlung, in der Näher der Siedlung, in der das junge Glück in einem recht leeren Haus wohnt; die Bodenkrume ist mit Kadmium und Blei vergiftet. Du warst ein unglaublich liebevoller Mann. Die Bilder haben eine Tendenz zum esoterisch Angehauchten. Eine Lawine von Zärtlichkeit, une avalanche de tendresse.

Der Küster muntert den gedankenverlorenen Mann auf, er brauche „excitement“, Aufregung. Ganz nebenbei liefert Malick auch eine Schilderung der Latinos an der amerikanische Ostküste. Eine ist taubstumm. Liebe: das ganze Leben ist vor uns, aber so viel Zeit gab es nicht. Moschusrinder oder zottelige Büffel. Stiere mit riesigen Hörnern beim Umzug im kleinen Kaff.

Es gibt die Aufforderung, den Römerbrief zu lesen. Dann tanzt Marina mit einem Huhn. Oder sie skypt mit dem Töchterchen, die findet, bei Papa sei es lustig. Vertrauen ist alles in der Liebe. Oder ein Adler kommt vor. Die italienische Schwester von Marina meint, das Leben sei ein Traum, la vita e un sogno. Sie soll diesen kleinen Ort verlassen.

Dann die Angst: warum geht es wieder bergab. Der Padre betreibt Gefangenenseelsorge. Aber Liebe ist auch eine Pflicht. Nach dem Seitensprung kracht es zwischen Marina und Neil. Er schmeißt sie aus dem Auto. Alltägliche Versatzstücke von Liebesbeziehungen großartig einkomponiert in ein überbordend-rasantes Bilder- und Textwerk, was eine sowohl theoretische, wie praktische wie theologisch bündige Gesamtinterpretation versucht.

Und dann der ganz konkrete Scheidungsanwalt. Und ganz konkret und traurig wird der Pfarrer versetzt ins westliche Kansas, wobei er doch hier so beliebt ist und gebraucht wird. Denn auch das sind, so ist das zu sehen, Liebesbeziehungen. Nach denen wir alle dürsten. Malick wird uns mit seinem Film nicht zeigen können, wie wir suchen sollen. Aber immerhin zeigt er uns, dass letztlich keiner allein sei dabei. Das Kino kann in dieser Suche verbinden.

Nach der Revolution

Ein in dreifacher Hinsicht aufregender Film.

Allein schon durch das Need, die Dringlichkeit das erzählen zu müssen, bringt Yousry Nasrallah, der Regisseur, der mit Omar Sham auch das Drehbuch geschrieben hat, Erzähl- und Kinopower in den Film.

Mindestens so spannend ist der Einblick, den er uns damit ins ägyptische, kommerzielle Starkino à la Hollywood liefert.

Als Drittes ist der Film selbst ein komplexes Gebilde aus Verarbeitung der neuesten Geschichte, der Revolution vom Tahir-Platz, mit der differenzierten Betrachtung von pointiert ausgewählten Akteuren und damit einen Einblick in die ägyptische Gesellschaft leistend, wie es die News-Sendungen nicht vermögen. Als besonderer Live-Effekt wirkt die Einarbeitung von Archiv-Material von den Demonstrationen vom Tahir-Platz.

Besonders eine Szene, die Schlüsselszene gewissermaßen, wird immer und immer wieder gezeigt; sie ist das Ferment in diesem Film. Unser Protagonist Mahmoud reitet auf seinem Pferd mit anderen Reitern in die Demonstration und versucht die Menge auseinanderzutreiben. Die Reiter sind, das muss hinzu gefügt werden, nicht mit Waffen bestückt. Mahmoud wird von der Menge vom Pferd gerissen und arg zugerichtet. Er ist ein einfacher, vielleicht etwas listiger und ebenso einfältiger Ägypter, der sonst das Pferd – er wohnt in Nazlat bei den Pyramiden – den Touristen anbietet.

Dieser Reiter, Mahmoud, wird die Figur im Film, die zwischen die Konfliktlinien gerät. Er ist ein Darsteller, ein Männertyp wie Filmstars bei uns oder in Hollywood in den 70ern oder gar früher. Ohne Mühe gewinnt er mit seiner Natürlichkeit und Konzentration, mit seiner Männlichkeit und Nonaggressivität die Empathie des Publikums.

Mahmoud ist verheiratet mit Fatma und hat zwei Buben im Volksschulalter. Aber wie die mit dem Pferd umgehen, Dressur, vor allem Abdallah der Ältere, da würde vermutlich jede spanische Reitschule neidvolle Blicke werfen. Abdallah heißt Abdallah nach dem Paten, dem fernen Onkel, dem, der in Nazlet das Sagen hat; dem auch das Haus gehört, in dem Mahmoud wohnt. Ein weltumarmender, weltverschlingender Typ, jovial; ganz hinten in seinem ausgedehnten Reitstall versteckt hat er ein beachtliches Waffenlager. Und auch einen neuen Job für Mahmoud, dem sein Auftritt bei der Demo nicht wohl bekommen ist und die ihn seinen Job gekostet hat.

Hier kommt Reem ins Spiel, eine engagierte Ägypterin, die für die Demokratie und für die Revolution ist. Sie macht Mahmoud ausfindig und fängt an, Pferdefutter zu bringen. Dass sich da mehr als eine politische Beziehung anbahnt, ist wiederum Gift für Mahmouds Familie, aber auch für das Verhältnis zu Abdallah, der das nicht gerne sieht, wenn eine Revolutionärin in seinem Bezirk auftritt und für angeregte bis hitzige Diskussionen sorgt.

Die Demo, in der die Pferde aufgetreten sind, ist als die „Kamelschlacht“ in die Geschichte der Kairoer Demos eingegangen.

Schönstes Hollywood-Kino, wenn Reem, ihr Fotograf und Mahmoud auf einer Anhöhe hinter der Mauer von Nazlet, die die Ortschaft von den Pyramiden abschirmen soll, stehen und das Touristen-Spektakel „Son et Lumière“ betrachten, die drei als nah aufgenommene schauende, schweigende Filmhelden präsentiert werden.

In den Diskussionen geht es um die Demokratie. Ein abstraktes Gut. Während die patriarchalische Patenherrschaft von Abdallah konkret-begreiflich wird, er der verständige, der die Übersicht hat, der doch keinem in seiner Familie etwas zu leide tun würde, der sich freut, wenn die Kinder seiner Gefolgsleute auch Abdallah genannt werden, egal ob Bub oder Mädchen. Köstlich die Szene, in der Abdallah vorgestellt wird. Er trainiert gerade auf seinem Hometrainer mit der launigen Bemerkung, dass die Doktoren ihm das verschrieben hätten und zeigt stolz, wie schlank er, der schwere Herr, schon geworden ist.

Mahmoud hingegen wird im Film einmal beschrieben als einer der nur Spaß haben und Touristen abzocken will. Begriffe wie Revolution, Freiheit, Verfassung sind für ihn etwas, was ihm nicht gerade nahe liegt. Am Schluss des Filmes wird er mit sichtbarer Mühe versuchen, eine Pyramide zu erklimmen, was sie als Kinder spielend gemacht haben. Dieser Aufstieg wird hier gezeigt als ein Bild für den Weg zur Demokratie in Ägypten, nimmt und nimmt kein Ende, da kann den ganzen Abspann über noch Demo-Sound eingespielt werden, irgendwann weicht er doch ägyptischer, traditioneller Gesangsmusik.

Haus Tugendhat

Das Vorspiel zu diesem Dokumentarfilm von Dieter Reifarth besteht aus sieben Minuten von routinierten Sprechern routiniert vorgelesenen, architekturphilosophischen Reflexionen zum Objekt des Filmes, dem Haus Tugendhat von Mies van der Rohe (dessen Familienname nach einer Dreiviertelstunde zum ersten Mal ausgesprochen wird), welches 1930 von der Familie Tugendhat in Brünn, Tschechei, errichtet wurde und heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Untermalt wird die feierliche Lesung mit moderner, atonaler Wenig-Ton-Streicher und Trommelmusik – für die Sonntagsmatinée. Damit versucht Reifarth darüber hinweg zu täuschen, dass auch er nur einer jener Wegelagerer des berühmten Hauses ist, wie ein Nachkomme der Hausbauer alle nennt, die mit diesem inzwischen weltbekannt gewordenen Objekt ihr Geschäftchen machen wollen.

Das Objekt ist äußerst ergiebig, äußerst nahrhaft mit all den Geschichten, die mit ihm verbunden sind. Aber Reifarth führt auch in die Irre, wenn er an den Anfang architekturphilosophische Texte setzt, denn das ist nicht die Haltung, die er zum Thema einnimmt, vielmehr versucht er mit dieser Einleitung darüber hinwegzutäuschen, dass er überhaupt keinen klaren Standpunkt zum Objekt hat, schon gar nicht den archtekturphilosophischen oder den architekturhistorischen, der spielt nämlich weiter kaum eine Rolle; sondern dass er als fleißiger Sammler und grosso modo historisch chronologisch ständig neue Fundstücke aus seiner Sammlerkiste hervorzieht.

Das sind Interviews mit Nachkommen der Familie Tugendhat, mit einem früheren Kindermädchen, mit Architekten, Kunsthistorikern, Architekturhistorikern, Denkmalpflegern, Restauratoren, Literaturwissenschaftlern, Generalmusidkirektoren, Sängern, Filmregisseuren, späteren Bewohnern und Benutzern des Hauses, mit der heutigen Chefin des Hauses, das inzwischen ein Museum seiner selbst geworden ist, bis zur Verwendung des Hauses als Bühnenbild für die Hochzeit des Figaro in Brno.

Das sind historische Filmaufnahmen, zum Beispiel Einfahrt von Hitler in Brünn, Super-8-Filme aus der Familie Tugendhat und ihrer Nachkommen, immer wieder Bilder vom Haus selbst in verschiedenen Zuständen und Nutzungen. Es ist der typische große Wischiwasch an Material, was zwar für eine Fernsehdokumentation reichen mag, im Kino aber schier unerträglich ist. Wobei der Stoff für mehrere hochspannende Geschichten reichen würde.

Das Zuviel an Geschichten, das ist das Manko dieses Filmes. Da wäre allein ein spannender Faden, wie ist das Haus über die Jahrzehnte zu dieser unglaublichen Berühmtheit gelangt. Davon fühlen sich auch die Nachkommen der Familie überrannt, denn sie waren eine private Industriellenfamilie. Oder ein Film allein über die Restaurierung von so einem Gegenstand. Dann wäre die Geschichte der Familie ein Faden, der vermutlich für mehrere weitere Filme vollauf genügen würde. Die Flucht während der Nazizeit über Venezuela und dann in die Schweiz. Dann wäre die Geschichte des Hauses selbst, die hier auch immer wieder vorkommt. Vom Privathaus der Familie Tugendhat zum Naziaufenthaltshaus, zur Vermietung an einen deutschen Waffenfabriksdirektor, zum Skoliose-Reha- und Turnzentrum in der Sowjetzeit und zur Residenz für Diplomaten (unter denen 1993 im Garten des Hauses die Trennung von Tschechien und Slowakei zwischen Klaus und Meciar entschieden wurde) bis zur gewerblichen Vermietung an Filmteams, sei es Werbung für einen Möbelgroßhändler oder für den Spielfilm „Post Coitum“, bis zur Verwertung der Geschichte der Familie und des Hauses als Rohstoff für einen fiktionalen Roman, der auch noch verfilmt werden soll, bis zum fertig restaurierten Museum. Alles Wegelagerer des berühmten Hauses, wie Nachkomme und Soziologe Michael sie nennt.

Zu den weiteren Wegelagerern dieses berühmten Hauses gehören die Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen (Dr. Frauke Gerlach, Vorsitzende des Aufsichtsrates), die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (Dr. Nikolas Hill, Vorsitzender des Aufsichtsrates), der Hessische Filmförderfonds (Maria Wismeth, Hauptgeschäftsführerin der Hessischen Filmförderung) und der Deutsche Filmförderfonds (Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien), die sich mit ihrer offensichtlich recht blinden Unterstützung des Projektes Lorbeeren einzuheimsen erhoffen. Was ihnen hinsichtlich der Kinoqualität des Filmes sicher nicht gelungen ist. Aber so ein berühmter Name, das beweist das Exemplum, öffnet eben viele Türen und vor allem Geldhähne, lockt Wegelagerer en masse an.

Hier steckt mehr Sammler- und Kompilationsfleiß als strukturierend erhellender Geist mit einer klaren Haltung dahinter; gewissermaßen mit dem Strom der Wegelagerer schwimmen. Doku ohne eine das Zuschauerinteresse faszinierende Leitidee.

Hangover 3

Mit einem mächtigen, kontrastreich bebilderten Oratorium fängt der Film an. Christliches Oratorium versus Gefängnisrevolten- und Gefängnisausbruchsbilder aus Bangokok, wo die Hangovers beim letzten Film zuletzt waren und Mr. Chow noch im Gefängnis einsitzt.

Irgendwie muss sich Todd Phillips, der mit Craig Mazin auch das Drehbuch geschrieben hat, bei seinem Appetizer in der Schublade geirrt haben oder sie wussten noch nicht recht, wo sie die Hangover-Mannschaft für ein 3. Sequel hinplatzieren sollen, wo und wie sie verrücktes Über-die-Stränge-Schlagen für sie ersinnen sollten.

Geistesblitz, dann hatten die Autoren eine Idee, das ist sicher ein verrücktes Bild, wenn unser Alan mit seinem PKW und einem Anhänger, bei dem oben eine Giraffe rausschaut, über den Motorway donnert. Vor allem wenn eine Brücke naht und der Giraffe dadurch der Kopf abgeschlagen und über die Brücke geschleudert wird und auf der Windschutzscheibe eines PKWs landet. Dahinter ergibt sich konsequenterweise eine Karambolage, die es in die News schafft. Und selbstverständlich in den Trailer, in dem auch zu lesen ist: von Chaos und Fehlentscheidungen; kann nur das Drehbuch gemeint sein.

Also lassen wir die Action geistesdröge aus abgestandenstem Fundus fahren, lassen alles erst mal in amerikanischer Familienbetulichkeit in Alans Depression zusammensacken. Denn mit Alan, das ist wirklich ein Problem. Er ist 42 und immer noch zuhause. Und kriegt nicht mal mit, dass sein Vater einen Herzinfarkt erleidet, weil er sich hinter seinen Kopfhörern verschanzt. Auf der Beerdigung lassen wir ihn als Countertenor ein Ave Maria singen, auch das ist trailertauglich und ergibt zusätzlich die Gelegenheit, seine Kumpels zu versammeln.

Aber irgendwie kommt die Filmexposition nicht so richtig aus den Startlöchern. Vielleicht weil das Brainstorming um die Geschichte immer noch nicht recht weiß, wohin. Oh, noch ein Einfall, wie wäre es mit einem Überfall von Ganoven in Schweinsmasken (auch trailertauglich), das hat doch sicher dieses Jahr noch keiner gemacht.

Da ließe sich doch sicher elegant über geistige Winkelzüge ein Zusammenhang mit dem Gefängnisausbruch in Bangkok zurechtbiegen. Also dass der Marschall hinter 21 Millionen von Chow her ist. Dass er meint, Chow sei bei den nicht mehr ganz so jungen Jungs. Und dass er weiß, dass die wegen Alan, dem Besserung angedeihen soll, über eine Autobahn irgendwo im Wilden Westen fahren. Denn hier in der Einöde würden Schweinsmasken für das Kidnapping doch sicher einen himmlischen Effekt abgeben, irgend etwas Attraktives für den Trailer müssen wir uns aus den Fingern saugen.

Da Chow aber nicht bei den Jungs ist, müssen die ihn also auftreiben und ihn samt dem Geld dem Marschall abliefern. Aha. Gut. Das setzt viel Geschrei und wenig Originalität in Gang. Beim Karaokesingen finden sie Chow. Der behauptet zu wissen, wo das Geld ist, in einer seiner Villen in Tijuana.

Weitere geistige Klimmzüge der Autoren entwickeln nun den Einbruch der Jungs in die eigenartig gesicherte Villa. 1. Betäuben der beiden bösartigen Wachhunde mittels Zahnarztspritze, denn wozu sonst ist Stu Zahnarzt. 2. müssen sich zwei der Männer die Hundeketten um den Hals binden, denn die haben Sender und lassen das Hundetürchen in der Wand öffnen, wodurch die beiden Hundemänner auf allen Vieren in die Villa zu kriechen haben. Jetzt müssen sie weiter auf allen Vieren an zwei Schaltkreise rankommen und gleichzeitig ein bestimmtes Kabel durchschneiden, fantastisch, woher die das Wissen haben, aber leider ist einer farbblind, was die eh schon mühsame Aktion noch mühsamer macht.

Weil das so öd ist, nutzen die beiden Kumpels, die vor der Villa warten, die Zeit für eine witzlose Werbung für die Textil-Marke Diesel.

Bald aber zeigt sich, das Chow alle reingelegt hat, und dies die Villa des Marschalls ist. Somit muss nun Chow gejagt werden. Der wird in Las Vegas geortet, weil sich dort nämlich am Caesars Palace eine Leintuchabseilaktion, die bei Dick- und Doof noch lustig gewesen sein mag, einbauen lässt. Immerhin, wie vorher der dicke Alan die dicke und dick chargierende Leihhausbesitzerin liebevoll anmacht und die herzzerreißende Szene mit dem roten Lolli (auch die trailertauglich), da geht einem das Herz kurz auf und man denkt bei diesem Film an einen teigigen 35-Cent Berliner mit einem Stück süßer Konfitüre darin, und überhaupt gewinnt ab hier der Film den netten Charme einer 70er-Jahre-Gaunerkomödie, von 70er-Jahre-Abenteuerkino. Wo auch für die Oma was dabei ist.

Immerhin gibt es gegen Ende noch eine schöne Ansicht von einem erhöhten Punkt auf Las Vegas, für das der Film ansonsten wenig Werbewirkung zeigen dürfte.

Die wilde Zeit

Olivier Assayas nimmt mit diesem Film den Zuschauer mit auf eine intime Zeitreise in die frühen Siebziger in die Nähe von und nach Paris, aber auch an Orte, die Traumorte jener aufrührerisch-emotionalen, visionären Jugend waren: nach Italien und indirekt sogar nach Afghanistan.

Seine Hauptfigur ist Gilles, Clément Métayer, ein Student, den Assayas sich so ausgesucht hat, dass er selbst es hätte gewesen sein können, ein sensibler Mann, ein liebeshungriger Mann, der sich treiben lässt von den Strömungen seiner Zeit, die da aus Aufruhr, Rebellion, heimlichem Flugblätterdrucken, nächtlichem Besprayen von Mauern mit Parolen oder aus Bekleben mit Plakaten bestand.

Gilles scheint diese rebellisch-philosophischen Moden teils aus Neugier, teils aus Mangel an Widerstand mitzumachen, obwohl tiefer in ihm, das wird der Film zeigen, doch ein Künstler, ein Zeichner und Maler schlummert. Aber so etwas will seinen Weg an den Tag finden. Diesen Weg zeichnet der Film gefühlvoll und auch gerne ausgiebig ausmalend nach, dabei glaubwürdig in die bebende Atmosphäre jener Zeit eintauchend.

Das Leben des jungen Studenten und seiner Kommilitonen besteht demnach aus purer Romantik, rein-romantischen Träumen von einer schönen Frau im weißen Kleid in unschuldiger Natur, vom Studieren, auch Marx und Hegel und Engels und auch deren Kritiker, von der chinesischen Kulturrevolution, aber auch Blaise Pascal, der wird an der Uni behandelt. Die Pensées, tiefschürfende Gedanken über die Eitelkeit der Welt und den allfälligen, tieferen Sinn der Existenz. Programmatisch für die Suche, die in diesem Film nachvollzogen wird.

Auch an der Herausgabe der Studentenzeitschrift „Tout“ ist Gilles beteiligt. Assayas geht mit seiner Filmerei pragmatisch vor, geht nah an die Figuren ran. So wirken die nächtlichen Wand“schmierereien“ am Unigebäude und die Flucht vor den Sicherheitsleuten wie echt, wie dokumentarisch. Weil die Aufpasser einen Hinweis auf einen von den Studenten gefunden haben, wollen diese jenen eine Lektion erteilen mit einem Molotowcocktail, den sie vor den Wachraum werfen. Dabei kommt es zu einer Verfolgungsjagd und zu einer kleinen Materialschlacht, bei der einer der Wachmänner zu Boden geht und einige Zeit im Koma bleibt. Dieser verpfeift dann just denjenigen Studenten, der nicht dabei gewesen ist, ein Dilemma, was die Studenten mit sich rumtragen müssen.

In den Semesterferien verschwinden sie vorsichtshalber aus Frankreich. Die einen nach Italien, wo sie Kommilitonen in ihrem Kampf unterstützen sollen. Aber für Gilles ist das Bedürfnis nach Liebe nicht minder stark. Der Begriff Toscana-Fraktion kommt einem in den Sinn. Denn auch in Florenz halten sich Gilles und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen auf. Man zeigt dort Open-Air einen Film über den Arbeiterkampf in Laos. Aber auch Pompeji wird besichtigt, die vulkanisierten Menschen vom historischen Vulkanausbruch erinnern an das Eingangszitat von Blaise Pascal.

Wir werden Zeuge einer Malstunde. Aktzeichnen ist angesagt. Ein Tipp des Professors: bitte großflächiger über das ganze Blatt zeichnen. Dieser Film von Assayas wirkt für mich so, als sei er nach dieser Anleitung gemacht. Im Leben von Gilles wird das Interesse an Kunst immer stärker, überhaupt stellt sich auch bei seinen Kommilitonen immer stärker die Frage nach den Brötchen. Es gibt Risse im rebellischen Gefüge. Auch seine Freundin Christine, Lola Créton, geht immer öfter ihre eigenen Wege. Zuhause hat Gilles Diskussionen mit seinem Vater, der Fernsehproduzent ist. Es geht um die Verfilmung von Maigret, die der Vater für sinnig hält. Der Sohn widerspricht an dieser Stelle noch heftig theorieindoktriniert, das Fernsehen würde die Massen missbrauchen.

Später, fast schon am Schluss werden wir ihn in den Pine-Wood-Studios in London erleben, wie er Abschirmdienst bei Dreharbeiten leistet. Zeichnungen von ihm werden jetzt in Zeitschriften aufgenommen. Oder bei einem Konzert hilft er bei der Light-Show mit gemalten Schablonen mit. Die ersten Schritte zu einem Broterwerb. Die Revolution, die war einmal. Die Drogen- und Hippie-Party scheint da schon längst ein Relikt aus anderer Zeit zu sein.

Während dem Film ging mir die Frage im Kopf herum, ob wir nun was gelernt hätten aus jener Zeit. Oder ob dieses Studentenalter prinzipiell das theoretische Menschenalter ist, das sich dann mehr oder weniger geschickt den Absprung in die Praxis suchen muss. Oder ob in den 70ern wirklich mehr Freiheit und Offenheit für dieses Alter gegolten hat.

Als Aufhänger für die Erinnerung, als späten Kontrapunkt hat Assayas, damit dieser Übergang nicht ganz so akzentlos und also leicht zu vergessen vor sich gehe, noch einen revolutionären (aus der Sicht indoktrinierter Studenten) oder kriminellen (aus der bürgerlichen Sicht) Akt in den Film genommen, an dem Gilles, auch für ihn sicher ein markanter Schlusspunkt, teilnehmen muss, gezwungen von gewissermaßen hauptamtlichen Revolutionären (denjenigen, die bald darauf in den Terrorismus abgeglitten sind), er soll mit einem Kameraden einen ersten Fluchtwagen, der bei der Tat möglicherweise beobachtet werden konnte, entsorgen. Man sieht ihn gespannt in einer leeren Straße stehen, Freund Jean-Pierre (das war der fälschlicherweise Verpfiffene) wartet hinter einer Ecke auf dem Motorrad. Das Fluchtauto rast in die Straße. Vier nicht erkennbare Figuren rennen in höchster Hast in das bereitstehende, nächste Fluchtauto. Gilles zögert einen Moment, dann gerät er in Hektik, stürzt sich in den Wagen, braust davon, Jean-Pierre auf dem Motorrad hinter ihm her. Aufs Feld hinaus. Ein Tuch in den Benzintank gestopft, angezündet und auf dem Rücksitz von Jean-Pierre weggebraust.

In den Pinewoodstudios, wo Gilles arbeitet, wird übrigens gerade eine Nazi-Parodie gedreht mit einem Dinosaurier. Die Hauptdarstellerin auf dem Nazi-U-Boot hat leider etwas zu spät reagiert.

Die Lebenden

Seine groteske Würze erhält dieser Naziaufarbeitungsfilm (dafür scheinen immer noch blind jede Menge Fernseh- und Fördergelder zu fließen), wenn man das „Regiestatement“ der Autorin und Regisseurin Barabara Albert, das sie fürs Presseheft abgegeben hat, neben den Film stellt und vergleicht und ferner wenn man bedenkt, dass die Filmemacherin als Gastprofessorin an mehreren Filmhochschulen tätig ist.

Inspiriert von Ansätzen aus der Geschichte der eigenen Familie konstruiert die Filmemacherin die Geschichte einer jungen Frau. Sita heißt sie. Die Darstellerin scheint unter Rollenkontinuität vor allem Frisur- und Ausdruckskontinuität zu verstehen.

Sita fängt an, sich für die Geschichte ihrer Vorfahren zu interessieren. Die waren siebenbürgener Deutsche und selbstverständlich, wie ihr Vater, der wangengerundete August Zirner, sich windend zugibt, Nazis, ja ihr Großvater war sogar bei der SS und bewachte das KZ Auschwitz. Solche Erkenntnis führt in einem deutsch-österreichisch-polnischen Naziaufarbeitungsfilm zu viel bedröppelten Tönen.

Aber die Filmemacherin scheint nicht so sehr die Geschichte oder ihre Figuren zu interessieren. In ihrem Regiestatement gibt sie zu verstehen, dass sie Gesichter und Körper als Zentrum des Films sieht, Gesichter und Körper, die sich immer mehr verlieren, irritiert sind. Im Film selber ist davon rein gar nichts zu bemerken. Getriebene Menschen scheinen sie zu intressieren. Dann behauptet sie, dass sie die Gesichter und Körper zu eigenen Landschaften werden lassen wolle. Auch davon ist im Film herzlich wenig zu spüren. Noch weniger, was sie denn damit aussagen will, und noch weniger, was das mit Naziaufarbeitung zu tun habe.

Die Filmemacherin behauptet, dass ihr Film ein Film über das Bild sei. Groß gesprochen. Das ist vermutlich der Grund, warum die junge Protagonistin Sita für einen TV-Sender Vorcastings zum „Supertalent“ veranstaltet; hat mit Bildern zu tun. Und auch Fotos aus der recherchierten Nazivergangenheit kommen in diesem Film vor; deswegen aber zu behaupten, das sei ein Film über das Bild, hm. In jedem Dokumentarfilm kommen Archivbilder vor, ohne dass gleich intellektuell aufgebauscht behauptet wird, das sei ein Film über das Bild. Vor allem bringt die Filmemacherin diese Bilder grad gar nicht so, dass ein Unterschied zu üblichen Dokumentarfilmen hinsichtlich Bild als Bild zu bemerken wäre.

Ferner behauptet die Filmemacherin, die Energie des Filmes entspreche einer „pulsierenden“, „atmenden“ Kamera. Vermutlich käme niemand, der dieses Statement nicht kennt, in Anbetracht des Resultates auf die Idee, so etwas zu behaupten.

Auch der Versuch dürfte gescheitert sein, mit „Nahaufnahmen … verstehen zu wollen, genau hinsehen und untersuchen zu wollen, woher Gewalt, Verachtung und vielleicht auch der Verlust von Mitgefühl kommen“. So einen banalen Allgemeinplatzsatz kann also (oder meint die Autorin, die Banalität des Satzes sei nicht so offensichtlich, da dies ja eine Hochschuldozentin schreibe?) jeder bei seinem nächsten Antrag auf Filmförderung oder bei einer Hochschulbewerbung schreiben, wenn er auch nur einige Close-Ups in seinem Film vorgesehen hat. Was machen denn Nahaufnahmen anderes? Nur lösen sie speziell hier mit dem immer gleichen, regungslosen Gesicht der Protagonistin, meist leicht lächelnd, weil Filmen so schön ist, diesen Anspruch nun gerade nicht ein. Ein Schelm, wem hier das Wort Geschwätz in den Sinn kommt.

An „den Pulsschlag“ von heute möchte uns die Filmemacherin erinnern, bevor wir es vergessen, mit im Fernsehrhythmus zwischen die Szenen gesetzten Bildern aus rasenden Zügen, Flugzeugen, Autos, Vespas, Omnibussen; damit ihren Film auch als Roadmovie verstanden wissen wollend.

So könnte dieser Vergleich von theoretischem Statement und praktischem Filmresultat noch beliebig weiter geführt werden, mit der einzigen Erkenntnis, dass die beiden eklatant auseinanderklaffen, dass das theoretische Statement nichts Erhellendes zum Film beiträgt, und der Film allein betrachtet eher erzählt, hier will jemand zeigen, wie man schnell schnell mit einem bedeutungsschwangeren Nazithema und wenig Drehbucharbeit und ohne jedes Interesse für die Charaktere einen Film „macht“.

Beinah hätten wir’s vergessen, natürlich muss eine Liebesgeschichte rein. Da wird nicht etwa erst angebandelt, da geht es ohne jede Sympathie, einfach weil es so im Drehbuch steht, gleich zum Küssen und dann zum anstrengenden Ficken, weil das machen wir ja mit links. Und sollte sich jemand noch nicht begeistert haben, so lassen wir Texte von Dichterinnen im Exil in die Tonspur einfließen. Dagegen ist jeder Widerstand zwecklos.

Fast & Furious 6

Diese Männer und Frauen haben das Herz auf dem richtigen Fleck und wissen auch, wohin gegebenenfalls mit ihren Fäusten und vor dem gemeinsamen Essen wird ein Tischgebet gesprochen. Es sind alles Menschen wie Du und Ich. Und sehen aus wie durchschnittliche B-Cops – oder wie durchschnittliche Kriminelle. Motornarren sind sie außerdem. Aber gerade deshalb leisten sie Außerordentliches, was ja jeder B-Cop auch von sich behaupten würde und wovon er träumt. Wo gibt es den kleinen Mann, der sich nicht für groß hält. Aber das ist nur ein Begleitakkord.

Sympathisch an diesem herzhaften Stück Kino ist, dass es erstens ganz stinknormales 2D ist und nicht primär am Computer, sondern doch eher an einem Gartengrill zubereitet worden ist, wobei die pikante Sauce dazu aus mehreren furiosen Strecken von Action-Szenen satt besteht, die in den besten Momenten an den lateinamerikanisch lockeren Vorgängerfilm erinnert, der die Truppe nach Rio brachte.
Europa kann diesbezüglich mit dem Temperament allerdings nicht ganz mithalten und London ist nun mal eine düsterere Stadt als Rio.

Pech für die Truppe ist, dass sie durch den 100-Millionen-Diebstahl ins Exil getrieben worden ist. In Amerika würden sie sofort im Knast landen. So grillieren sie denn auf Teneriffa und fühlen sich trotz angenehmen Klimas nicht zuhause. Brian O‘ Conner hat sich den Traum von der Familie erfüllt. Da kommt den Leuten gerade recht, dass Bösewicht Shaw in London sein Unwesen treibt, es auf eine höchst gefährliche, neuartige Waffe abgesehen hat, eine Technobombe, die die Kommunikation ganzer Regionen lahmlegen kann, Internet, Telefon, Handys.

Dummerweise hat Shaw auch noch ein Mitglied aus der Gruppe in seinen Besitz gebracht, nach einer misslungenen Action hatte Letty das Gedächtnis verloren und sich nun bei der Truppe von Shaw integriert, die in ihrer Struktur an Mittelmässigkeit zum Verwechseln ähnlich mit der von Brian O’Conner ist.

Der Deal, der nun geschlossen wird, ist folgender: die Truppe spürt Shaw in London auf und liefert ihn den Behörden aus, dagegen erhalten sie Letty und Amnestie. Das wird, soviel darf verraten werden, brav wie bei einer Pfadfinderübung am Schluss auch passieren. Und ein Ausblick auf eine mögliche nächste Folge des Franchise-Produktes „Fast & Furious“ in Tokio mit neuem Bösewicht wird auch schon gegeben.

Dazwischen sind wohldosiert Lagebesprechungen, oft gespickt mit Pointen und Statements über Mann und Frau und Team und Familie. Und dann wieder waghalsige Verfolgungs- und Actionszenen quer durch London, auf Teneriffa eine unglaubliche Panzerverfolgungsjagd oder schließlich auf der Nato-Basis Lusitanien in Spanien ein Antonov-Action-Spektakel der Sonderklasse auf der Startbahn. Und unterschwellig wird nie der Gedanke aus dem Auge verloren, dass das alles nur getan und gewagt wird, um die Familie wieder zu vereinen, Du wendest Dich nicht von Deiner Familie ab, auch wenn sie es tut. Aber keine Bange, es wird genügend Autoblech geschreddert – geschredderte Autos säumten ihren Weg. Und auch die deutsche Synchronisation ist in diesem Schredderkino gut aufgehoben.

Die Spiegelsicht, wie die eine Truppe die andere im Internet begutachtet: wer sind die Typen? Gewöhnliche Verbrecher. Der Film lässt sich immer wieder genügend Zeit, um die Action vorzubereiten, im Hirn muss vorbereitet sein, was in der Action erblühen will. Krisensitzungen beider Gruppierungen in London sind gruppendynamisch gesehen auch nicht pointenarm. Denn das ist schon ein Problem, wenn eine Gruppe feststellt, dass sie es mit einer fast identischen Gruppe zu tun hat. Und in beiden Gruppen sind die Frauen nicht weniger schlagkräftig als die Männer, sie haben sogar Schlagringe.

Oder die Moral: er hat einen Fehler gemacht und wer einen Fehler macht, der muss dafür büssen. Konsequenz des Handelns.

Brian ist ein gewissenhafter Held. Er hat einen Fehler gemacht und will den ausbügeln. Er fühlt sich verantwortlich dafür, dass Letty das Gedächtnis verloren hat und deshalb zu Shaw wechselte. Dafür jettet Brian schnell nach L.A. in den Knast, um von Braga eine wichtige Information zu erhalten. Ausflug gelingt, trotz Fahndung. Das ist vielleicht eine jener Seitenstranghandlungen, die den enormen Schwung, den der Vorgängerfilm durchgängig hatte, etwas ausbremsen. Zu viel Raum für das Ausbügeln eines Gewissenskonfliktes gibt das Action-Genre nicht her.

Trotzdem ist diese Art von Actionkino, handfest, bodenständig, die reinste Erholung gegenüber all den 3D-Nervenkitzeltoptimierversuchen, wo zu deutlich wird, dass am Computer alles möglich ist und damit die Gefahr entsteht, dass nichts mehr glaubhaft wirkt, die Geschichte zum reinen Schema verkommt, zum Nährboden für Computerehrgeiz. Hier macht es die Dosierung wie die Würze beim Grillfleisch. Gespräche, Vorbereitungen und auch dem Gegner mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, ihn studieren, mit ihm sprechen. Das macht die menschliche Wärme und Glaubwürdigkeit und den Reiz dieses Franchise-Produktes aus. Plötzlich kommt es zu einer ganz menschliche Annäherung zwischen Letty mit dem Gedächtnisverlust und Toretto, den sie nicht wiedererkennt. Reflexion von früheren gemeinsamen Begebenheiten. Versuch, den Gedächtnisverlust aufzubrechen. Auf einem ruhigen Parkplatz. Nachts.

„Jeder hat einen Plan“ ist der Titel eines parallel anlaufenden Filmes aus Argentinien; hier heißt es, was wäre ein Actionkuchen ohne Moral, jeder braucht einen Kodex. Andererseits kann übertriebene Loyalität berechenbar machen und Berechenbarkeit macht angreifbar, so räsoniert Shaw. Wobei der so belehrte Toretto mit einem witzigen Spiel mit einem roten Punkt, der die Infrarotzielung einer Schusswaffe indiziert, exakt das Gegenteil von Berechenbarkeit beweist.

Und immer wieder das Thema der zweitklassigen Bullen oder der zweitklassigen Verbrecher, denn hier geht es nicht um übermenschliche Superheros, hier geht es um nachvollziehbare Alltags-Menschen. Was die Truppe weiter sympathisch macht, dass sie zwar vorgibt einen Plan zu haben und auch einen Plan B, aber selbst der gerät allzu gerne in Gefahr und Plan C, D und weiter durchs Alphabet existieren nicht; so tun sie denn, was sie am besten können: improvisieren, davon lebt ihre Action; das hinterlässt viele Autos im mpg-Format. Superlative im Nicht-Superlativhaften.

Jeder hat einen Plan

In einer verführerisch schönen, gefühlvollen, den Zuschauer einwickelnden Filmschrift in der Art eines magischen Realismus erzählt uns Ana Piterbarg die Geschichte von den eineiigen Zwillingsbrüdern Agustin und Pedro, gespielt von Viggo Mortensen, die mit ihrem Spielkameraden Adrian, Daniel Fanego, auf einer filmtraumhaft schönen, argentinischen Insel mit Flusslandschaft und Pfahlbauten aufgewachsen sind.

Jeder Mensch hat einen Plan. Und so wie die Menschen verschieden sind, haben sie verschiedene Pläne, erzählt uns dieser Film, selbst eineiige Zwillinge, die nächste Freunde nur schwer auseinanderhalten können.

Auf der Brust sind beide Brüder etwas schwach. Agustin hat die heimatliche Flusslandschaft verlassen. Er hat studiert und es zu einem Lehrauftrag an der Uni gebracht. Seine Freundin Claudia wird gespielt von Soledad Villamil, einer argentinischen Schönheit mit schwarzem Haar, breiten Lippen und einem Auftritt, der im Untertext jeden spüren lässt, dass er es hier nicht nur mit einer Schönheit, sondern auch mit einer dominanten Figur zu tun hat. So eine Frau möchte Kinder. Und wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt, so muss eine Adoption her. Wir lernen das Paar kennen, wie es in einem Spital sich schon mal heimlich den ausgesuchten Säugling zeigen lässt, den es hoffentlich bald schon sei eigen nennen und mit nach Hause nehmen kann. Aber Agustin will nicht. Meldet sich in der Uni krank. Claudia packt das nicht. Sie will die Wohnung, die ihr gehört, verkaufen, sich trennen.

In der Flusslandschaft kümmert sich derweil Pedro um seine Bienen. Von denen kann er nicht leben. Ihm hilft Rosa, die später von Adrian als Schlampe bezeichnet wird. Pedro hustet heftig, spuckt Blut, entführt zwecks Aufbesserung der Finanzlage mit Adrian Menschen, um Lösegeld zu kassieren; die Zeitungen drucken Schlagzeilen von den Entführungen in Tigre.

Die Erzählweise von Ana Piterbarg dürfte sehr geprägt sein von der Kultur der in Lateinamerika besonders beliebten Telenovela, die einen Realismus vorgibt. Hier wird er zum Beispiel greifbar in einer Szene mit den Bienen. Rosa meint, der Honig sei besonders dunkel, das sei weil gerade der Staudenknöterich blühe.

Die lieblose deutsche Routinesynchronisation erschwert deutlich den Einstieg in die argentinische Stimmung, aber irgendwann obsiegt die Gewohnheit, der Geist ist durch die Bilderfolge mehr als absorbiert, die sich schnurgerade auf den Weg des Melodrams begibt. Denn Pedro ist sehr krank, macht sich auf den Weg, taucht bei seinem Zwillingsbruder in der Stadt auf; ein kurzer Wortwechsel teilt uns mit, dass die beiden sich seit Jahren nicht gesehen haben. Immerhin bringt Pedro ein Glas Honig mit. Aber auch eine Pistole, die im weiteren Verlauf des Filmes noch ein wichtiges Requisit bleiben wird. Denn es spielt sich ein Drama zwischen den beiden Brüdern ab. Der eine kehrt als der andere an dessen Stelle auf die Insel zurück. Hier schwebt das Thema Identität in der Luft. Das Drama wird sich zuspitzen, wie Liebe zwischen Rosa und dem vermeintlichen Pedro sich entwickelt und verschiedene Pläne sich in die Quere kommen, auch der von Adrian für die nächste Entführung und der von Pedro/Agustin für ein Glück zu zweit mit Rosa irgendwo, nur nicht hier.

Es gibt ein kurzes moral-philosophisches Gespräch zwischen Rosa im pinken Herzchenpullover und Pedro/Agustin über das Böse, was der Mensch in sich trage und dass ihr Plan es sei, Gutes zu tun und Pedro/Agustin fragt: egal für wen? Es wird auch bedauert, dass es offenbar nicht möglich sei, einen Plan durchzuführen, ohne andere zu verletzen. Auch, dass Adrian wie eine Drohne ohne Geruch sei, die in jeden Bienenstock eindringen könne. Diese Diskussionen laufen ohne jede Aufregung so konzentriert und ernst ab wie das Sammeln des Honigs, fast wie dekorativ, in dem step-by-step beherrschten Bilderfortschritt, der das Drama seinem Höhe- und Endpunkt zuführt und den Zuschauer wie aus einer anderen Welt wieder entlassen wird.

Go ahead, make my day.