Figaro Pho ist ein Junge und das Geschöpf des australischen Animationskünstlers Luke Jurevicius. Er hat einen rundlichen Kopf mit einem schwarzen, aufstehenden Haarbüschel mitten drauf. Die Filme sind je etwa 7 Minuten lang. 39 Stück gibt es davon. Und die sind jetzt auf DVD erschienen.
In jedem dieser kurzen Filme verselbständigt sich eine Angst von Figaro. Treibt ihn aus dem Haus oder lässt ihn sich in eine Ecke verkriechen oder jagt ihn durch die Luft. Löst die wahnwitzigsten und verrücktesten Abenteuer aus. Aber nie lässt er sich unterkriegen, obgleich er noch so sehr in jedem der Filme aus einer Maus von Angst einen Elefanten macht. Das ist schließlich auch seine Fantasie. Die lässt die Ängste schier explodieren. Die gibt ihm aber auch die Mittel an die Hand, sie zu meistern. Und der Pechvogel ist sowieso meistens der Briefträger, der bis auf wenige Ausnahmen und erst am Ende des Abspannes den materialisierten Rest der Angst mittemang auf den Kopf kriegt.
Das Universum von Pho ist überschaubar. Pho selbst wohnt mit seinem Hund „Ravet“ (?) in einem Fantasiegebäude, einem Gebirge von Schloss. Die wichtigsten Innenräume sind eine in langem Bogen geschwungene Gemäldegalerie und ein Wohnraum mit einem Bett, einem gemütlichen Sofa und einem Sessel vor dem Kamin. Hier trinkt Figaro am liebsten Tee oder liest Bücher. Auf den hohen Zinnen seines Gebäudes befindet sich ein Ausguck. Da kann er mit dem Fernrohr beobachten, was sich in der Umgebung tut. Das Schloss befindet sich in einer einsamen, hügelig gewellten Gegend, in der in genügend Distanz sich noch eine Tankstelle befindet, ein Laden, einige Kakteen und in einem Wohnturm wohnt ein Mädchen. Besonders sie beobachtet Figaro gerne mit dem Fernrohr. Sie sitzt am liebsten in einer Schalenschaukel und liest oder kümmert sich um eine Blume auf ihrer Dachterrasse hoch über dem Boden. In vielen der kurzen Filme wird das Mädchen in Figaros Angstprojekte eingespannt und verhilft damit zu herrlich absurder Liebes- und Angst-Dynamik.
Ferner spielt gelegentlich der Gärtner eine Rolle, ein grober, klotziger Muskelmann, nicht allzu helle, ideal als Projektionsfläche, wenn die Angstdisposition von Figaro nach so einer verlangt. Dann ist da noch die skurrile Alte, die einen kleinen Laden betreibt. Auch die kann in einem Angsttraum plötzlich eine andere Rolle übernehmen.
Das Wundermittel von Figaro ist allerdings sein Roboterhund, den er selbst erfunden und konstruiert hat und der je nach Bedarf mit technischen Raffinessen, Greif- und Fangarmen oder Kugelschreiberarmen und mit einer Glühbirne statt eines Haarbüschels auf dem Kopf ausgestattet ist. Überhaupt ist Figaro ein großer Erfinder und Tüftler. Denn seine Ängste zwingen ihn zur Erfindung der verschiedensten Angst-Bekämpfungs-Automaten. Wenn er Angst vor Berührung mit der Außenwelt hat, so muss ein hochkomplizierter Türspions her, der über ein gebogenes Rohr erst in die Höhe und von außen hinunter gefahren werden kann und die Klingelnden beäugt. Oder er verfügt über einen mechanischen Greifarm, der in ähnlichen Situationen die Pakete, von denen oft welche und oft sogar überdimensionierte angeliefert werden, packen und ins Haus hieven kann. Denn die Pakete sind meist von ihm bestellte Geräte, die er selbst gegen die aktuelle Angst auf Papier entworfen und per Rohrpost bestellt hat.
Die einzelnen Filme funktionieren generell so, dass ein Bild, sei es über ein Buch, ein Gemälde, ein Dia, einen Film oder ein Bild, was ihm das Fernrohr näher bringt, eine Angst in Figaro auslöst, die sich bald verselbständigt, und die er dann auch überall hin projiziert. Wenn es um die Angst vor Enten geht, so ist seine ausgedehnte Gemäldegalerie plötzlich voller Bilder mit Enten und wenn es um die Angst vorm Altern geht, so sind da nur noch Gemälde von ganz alten Menschen. Wenn es um die Angst vor Clowns geht, so ist die Galerie voller furchteinflößender Clownsfratzen. Oder die Angstbilder beleben die Bücher, die er liest.
Kreative Lösungen, Querdenkerei und Nonkonventionalismus sind die Mittel, zu denen Figaro greift bei all den Ängsten, die ihn quälen und die in seinem Schloss genügend Raum finden, ins Unermessliche zu wachsen, denn Phos Welt ist voller eingebildeter Schrecken, seine irrationalen Ängste bekommt er kaum in Griff oder eben nur mit den unkonventionellsten Methoden, wie gleich beim ersten Film „Die Angst vorm Fisch“ zu sehen ist. Kontakt mit fremden Personen wird so weit wie möglich gemieden. Selbst mit dem Postboten. Erst recht wenn der ein Paket abzuliefern hat. Über einen komplizierten Mechanismus kann Pho den Erhalt quittieren, ohne persönlichen Kontakt ohne Berührungs- oder Augen-, gar Atemkontakt zu riskieren. Wenn nun in dem Paket ein Fisch drin ist, ein niedlicher Nemo, der auf den Boden fällt und zu sterben droht, so wird er nicht etwa aufgehoben und in ein Wasserglas gegeben, solch körperlichen Kontakt vermeidet Pho tunlichst. Was tut er? Er flutet statt dessen die ganze Wohnung, damit der Fisch schwimmen kann. Nur leider entwickelt sich der kleine Nemo zu einem bösen, angsteinflößenden Monster-Fisch. Wie sich seiner entledigen, nachdem die aus einem Mixer konstruierte Harpune nicht funktioniert, nachdem der Fisch Figaro und seinen Roboterhund verschluckt hat, wie kann man sein Halszäpfchen kitzeln, damit er die beiden wieder ausspuckt, und wie können sich die beiden des Monsters entledigen, nachdem auch die Verlockung mit den Kostbarkeiten des Kühlschrankes nicht funktioniert hat? Die Klospülung ist die letzte Rettung, sie saugt alles Wasser samt Fisch ab, spukt es aus dem Haus heraus, so dass der Fisch just auf dem Kopf des Postboten zu sitzen kommt, diesen zum Monster machend. Ein einziger dieser Filme, und so viel Geschichte und so viel Verrücktheit.
Es spielen weiter eine Rolle: die Angst davor, zurückgewiesen zu werden, die kristallisiert sich um einen kleinen Schreihals herum – und Furzen kann sehr verbindend sein, wie denn sowieso die Flatulentien immer wieder eine verrückte Rolle spielen können. Auch Magengeräusche, sowieso Geräusche, denn in den ganzen Filmen wird kein Wort gesprochen. Da wird nur witzig musikalisch und eben mit menschlichen Tönen untermalt.
Die Angst vor Moskitos kann einen zum Wahnsinn treiben und die entsprechenden filmischen Mittel herbeizaubern. Großangriff der Moskitos, Blutsaugorgie, rote Flecken, Kratzen, Dampfbad als Rettung, Arie gegen einen neuen Angriff, Trick: jetzt wird den saugenden Insekten übel. Und diesmal kriegt es der Lieferwagen ab. Verständlich, dass wenn der Postbote eine Kiste voller Gold und Perlenketten anliefert, die Angst vor Dieben ins Gigantische wächst und die Erfindung von Sicherheitssystemen dazu, die aber auch wieder mit Raffinesse auszutricksen sind. Und das alles ausgelöst durch einen Werbegag auf einer Cornflakes-Packung. Schlechte Gerüche zu fangen und die Angst vor ihnen, sie zu bekämpfen, erfordert wiederum besonders ausgebuffte, technische Tricks. Gurgelgeräusche aus dem Badeabfluss können panische Angst vor Bädern hervorrufen, inklusive Blitz und Donner und Geier auf Müllberg und Müllabfuhr und Knochen, der sich in der Luft zur Badebürste verwandelt. Und dann Friede, Freude, Badewanne mit Entlein!
Da Figaro eh nur dieses eine Haarbüschel auf dem Kopf hat, ist seine Angst vor einer Glatze bestens verständlich, das werden viele Männer nachvollziehen können, aber was sich Figaro alles einfallen lässt, das dürfte den Rahmen des Üblichen weit sprengen und das Mooshammer-Toupet, das er sich aufsetzt ist nur eines der Mittel, denn man kann sich auch an Elvis orientieren, doch solche Haarteile haben ihre Macken und können sich schnell in eine Rasta-Frisur verwandeln, die hier jedoch mehr den Tentakeln eines Tintenfisches ähnelt. Und wie soll sich nur das Mädel dazu verhalten?
Es gibt die Angst vorm Hunger, hier gibt’s eine Erinnerung an die Chaplin-Nummer mit dem Schuh auf dem Teller. Angst vor Clowns. Die Angst zu schrumpfen entsteht aus einem Gift-Warn-Etikett mit einem Schrumpfkopf. Angst vor dem Lift. Man kann drin gefangen bleiben. Gerade der Lift zum Mädchen gegenüber hat so Macken.
Angst vor der Haut. Angst vor Akne und dergleichen. Kleiner Pickel auf der Stirn. Oh, Schmerz. Haut von Hand abgezogen. Schattenspiel, zieht ganze Haut ab. Hund schaut, Haut erhebt sich als zweites Ego. Ab jetzt gibt es zwei Figaros, der eine ist seine Haut, der andere ist er ohne Haut. Hautlos rennt raus. Briefbote fällt vor Irritation vom Rad. Haut schaut weinend Bücher mit Bildern noch mit Haut. Die Haut zuhause. Hautlos liegt in der Sonne. Großer, böser Hund schnuppert. Es klingelt im Haus. Schönheitsgurken fallen runter. Hautlos verlangt Einlass. Wird wieder rausgeschmissen. Bittet und bettelt. Keine Gnade. Hund bellt. Hautlos klettert lange Leiter an Haus hoch. Und können doch zusammen nicht kommen. Haut schubst Leiter. Vor der Tür Hautlos mit Blumenstrauß. Rosen. Haut dankt. Haut haut Strauß um Ohren von Spender. Tür zu. Hautlos mit Ballon und Herz vor Tür. Stich in Ballon. Als Sänger mit Banjo. Haut macht es kaputt. Hund stimmt mit Portrait von Haut versöhnlich. Hautlos traurig weg. Haut lehnt an Haus. Winkt. Treffen auf Felsplatte. Umarmung. Hund hetzt die beiden ins Haus. Hinter Paravant als Schattenspiel zieht Hautlos, wieder seine Haut an, kommt hervor, als sei nichts gewesen. Schaut in Spiegel. Kratzt sich an Wange. Gibt sich Ohrfeige.
Die Projektion eines schwarz-weiß-Filmes löst Vampirpanikanfälle aus. Pho ist ein Hypersensibelchen mit einer heißen Fantasie. Und mit jedem Film mag man ihn mehr. Ihn und seinen Hund. Und seine wenigen Kontaktpersonen zur Umwelt. Jetzt ist die Bildergalerie voller Vampirbilder. Die Alte kommt am Rollator. Figaro flüchtet auf den Kronleuchter. Überall sieht er Bilder. Überall sieht er in den Bildern seine Ängste, seine jeweilige Angst. Ihm wachsen Vampirzähne und so will er seine Angebetete bezirzen? Und wie er glaubt sein Abenteuer hinter sich zu haben und es sich auf seinem Sessel gemütlich einrichtet, kommt ein blaues Vögelchen, das auch immer wieder mitspielt, geflogen: jetzt ist es ein Vampir. Böser, böser, Filmemacher.
Was ein Schluckauf oder die Angst vor ihm alles kaputt machen kann, erlebt Figaro am Versuch, ein Abbild von sich selber auf einer Säule zu meisseln. Und die Angst vor bösen Hunden, die ruft förmlich nach solchen. Aber dank Phos Initiativen und seinem hartnäckigen Nicht-locker-Lassen, wird es hier ein Happy End geben, er wird seinen Mechanik-Hund und den bösen Hund gleichermaßen kraulen. Mit der Angst davor, hässlich zu sein, exerziert uns Figaro auf die groteskeste Weise vor, wozu Menschen in ihrem Schönheitswahn alles fähig sind. Die Nacht ist der ideale Ort, um die Angst vor Aliens aus dem Weltall zu unterfüttern, ein Blick unters Bett und die dort versammelten Spielsachen genügen um die grellsten Angstfantasien zu entzünden und auf die Tücke von Fernbedienungen hinzuweisen. Auch Kakteen können die sonderbarsten Ängste und noch skurrilere Abwehrmassnahmen dagegen erzeugen. Und im Moment der Niederlage (auf die bald wieder ein Sieg folgt) legt der Macher des Filmes auch herzerweichende Trauermusik drunter. Und trotzdem scheint ein Kaktus ein ewiges Leben zu haben. Die Angst vor dem Niesen aber münzt Figaro raketenenergetisch wirkungsvoll um, da kann er ganz gewöhnliche Flugpassagiere zur Verwirrung bringen. Der Versuch, ein Ei zu kochen oder ein Spiegelei zu machen, lässt Figaro die alleralbernsten und ernstesten Huhn-, Ei- und Gockelgeschichten entwickeln. Das führt so weit, dass Figaro, um aus der Fantasiefalle wieder rauszukommen, sich zu Boden beugt, um einen Wurm zu fressen.
Und statt Film Nummer 40 gibt es ein Interview mit dem urigen Luke Jurevicius, der das in Australien alles erfindet und zeichnet und vertont und uns ein einmaliges Vergnügen bereitet.