Figaro Pho (DVD)

Figaro Pho ist ein Junge und das Geschöpf des australischen Animationskünstlers Luke Jurevicius. Er hat einen rundlichen Kopf mit einem schwarzen, aufstehenden Haarbüschel mitten drauf. Die Filme sind je etwa 7 Minuten lang. 39 Stück gibt es davon. Und die sind jetzt auf DVD erschienen.

In jedem dieser kurzen Filme verselbständigt sich eine Angst von Figaro. Treibt ihn aus dem Haus oder lässt ihn sich in eine Ecke verkriechen oder jagt ihn durch die Luft. Löst die wahnwitzigsten und verrücktesten Abenteuer aus. Aber nie lässt er sich unterkriegen, obgleich er noch so sehr in jedem der Filme aus einer Maus von Angst einen Elefanten macht. Das ist schließlich auch seine Fantasie. Die lässt die Ängste schier explodieren. Die gibt ihm aber auch die Mittel an die Hand, sie zu meistern. Und der Pechvogel ist sowieso meistens der Briefträger, der bis auf wenige Ausnahmen und erst am Ende des Abspannes den materialisierten Rest der Angst mittemang auf den Kopf kriegt.

Das Universum von Pho ist überschaubar. Pho selbst wohnt mit seinem Hund „Ravet“ (?) in einem Fantasiegebäude, einem Gebirge von Schloss. Die wichtigsten Innenräume sind eine in langem Bogen geschwungene Gemäldegalerie und ein Wohnraum mit einem Bett, einem gemütlichen Sofa und einem Sessel vor dem Kamin. Hier trinkt Figaro am liebsten Tee oder liest Bücher. Auf den hohen Zinnen seines Gebäudes befindet sich ein Ausguck. Da kann er mit dem Fernrohr beobachten, was sich in der Umgebung tut. Das Schloss befindet sich in einer einsamen, hügelig gewellten Gegend, in der in genügend Distanz sich noch eine Tankstelle befindet, ein Laden, einige Kakteen und in einem Wohnturm wohnt ein Mädchen. Besonders sie beobachtet Figaro gerne mit dem Fernrohr. Sie sitzt am liebsten in einer Schalenschaukel und liest oder kümmert sich um eine Blume auf ihrer Dachterrasse hoch über dem Boden. In vielen der kurzen Filme wird das Mädchen in Figaros Angstprojekte eingespannt und verhilft damit zu herrlich absurder Liebes- und Angst-Dynamik.

Ferner spielt gelegentlich der Gärtner eine Rolle, ein grober, klotziger Muskelmann, nicht allzu helle, ideal als Projektionsfläche, wenn die Angstdisposition von Figaro nach so einer verlangt. Dann ist da noch die skurrile Alte, die einen kleinen Laden betreibt. Auch die kann in einem Angsttraum plötzlich eine andere Rolle übernehmen.

Das Wundermittel von Figaro ist allerdings sein Roboterhund, den er selbst erfunden und konstruiert hat und der je nach Bedarf mit technischen Raffinessen, Greif- und Fangarmen oder Kugelschreiberarmen und mit einer Glühbirne statt eines Haarbüschels auf dem Kopf ausgestattet ist. Überhaupt ist Figaro ein großer Erfinder und Tüftler. Denn seine Ängste zwingen ihn zur Erfindung der verschiedensten Angst-Bekämpfungs-Automaten. Wenn er Angst vor Berührung mit der Außenwelt hat, so muss ein hochkomplizierter Türspions her, der über ein gebogenes Rohr erst in die Höhe und von außen hinunter gefahren werden kann und die Klingelnden beäugt. Oder er verfügt über einen mechanischen Greifarm, der in ähnlichen Situationen die Pakete, von denen oft welche und oft sogar überdimensionierte angeliefert werden, packen und ins Haus hieven kann. Denn die Pakete sind meist von ihm bestellte Geräte, die er selbst gegen die aktuelle Angst auf Papier entworfen und per Rohrpost bestellt hat.

Die einzelnen Filme funktionieren generell so, dass ein Bild, sei es über ein Buch, ein Gemälde, ein Dia, einen Film oder ein Bild, was ihm das Fernrohr näher bringt, eine Angst in Figaro auslöst, die sich bald verselbständigt, und die er dann auch überall hin projiziert. Wenn es um die Angst vor Enten geht, so ist seine ausgedehnte Gemäldegalerie plötzlich voller Bilder mit Enten und wenn es um die Angst vorm Altern geht, so sind da nur noch Gemälde von ganz alten Menschen. Wenn es um die Angst vor Clowns geht, so ist die Galerie voller furchteinflößender Clownsfratzen. Oder die Angstbilder beleben die Bücher, die er liest.

Kreative Lösungen, Querdenkerei und Nonkonventionalismus sind die Mittel, zu denen Figaro greift bei all den Ängsten, die ihn quälen und die in seinem Schloss genügend Raum finden, ins Unermessliche zu wachsen, denn Phos Welt ist voller eingebildeter Schrecken, seine irrationalen Ängste bekommt er kaum in Griff oder eben nur mit den unkonventionellsten Methoden, wie gleich beim ersten Film „Die Angst vorm Fisch“ zu sehen ist. Kontakt mit fremden Personen wird so weit wie möglich gemieden. Selbst mit dem Postboten. Erst recht wenn der ein Paket abzuliefern hat. Über einen komplizierten Mechanismus kann Pho den Erhalt quittieren, ohne persönlichen Kontakt ohne Berührungs- oder Augen-, gar Atemkontakt zu riskieren. Wenn nun in dem Paket ein Fisch drin ist, ein niedlicher Nemo, der auf den Boden fällt und zu sterben droht, so wird er nicht etwa aufgehoben und in ein Wasserglas gegeben, solch körperlichen Kontakt vermeidet Pho tunlichst. Was tut er? Er flutet statt dessen die ganze Wohnung, damit der Fisch schwimmen kann. Nur leider entwickelt sich der kleine Nemo zu einem bösen, angsteinflößenden Monster-Fisch. Wie sich seiner entledigen, nachdem die aus einem Mixer konstruierte Harpune nicht funktioniert, nachdem der Fisch Figaro und seinen Roboterhund verschluckt hat, wie kann man sein Halszäpfchen kitzeln, damit er die beiden wieder ausspuckt, und wie können sich die beiden des Monsters entledigen, nachdem auch die Verlockung mit den Kostbarkeiten des Kühlschrankes nicht funktioniert hat? Die Klospülung ist die letzte Rettung, sie saugt alles Wasser samt Fisch ab, spukt es aus dem Haus heraus, so dass der Fisch just auf dem Kopf des Postboten zu sitzen kommt, diesen zum Monster machend. Ein einziger dieser Filme, und so viel Geschichte und so viel Verrücktheit.

Es spielen weiter eine Rolle: die Angst davor, zurückgewiesen zu werden, die kristallisiert sich um einen kleinen Schreihals herum – und Furzen kann sehr verbindend sein, wie denn sowieso die Flatulentien immer wieder eine verrückte Rolle spielen können. Auch Magengeräusche, sowieso Geräusche, denn in den ganzen Filmen wird kein Wort gesprochen. Da wird nur witzig musikalisch und eben mit menschlichen Tönen untermalt.

Die Angst vor Moskitos kann einen zum Wahnsinn treiben und die entsprechenden filmischen Mittel herbeizaubern. Großangriff der Moskitos, Blutsaugorgie, rote Flecken, Kratzen, Dampfbad als Rettung, Arie gegen einen neuen Angriff, Trick: jetzt wird den saugenden Insekten übel. Und diesmal kriegt es der Lieferwagen ab. Verständlich, dass wenn der Postbote eine Kiste voller Gold und Perlenketten anliefert, die Angst vor Dieben ins Gigantische wächst und die Erfindung von Sicherheitssystemen dazu, die aber auch wieder mit Raffinesse auszutricksen sind. Und das alles ausgelöst durch einen Werbegag auf einer Cornflakes-Packung. Schlechte Gerüche zu fangen und die Angst vor ihnen, sie zu bekämpfen, erfordert wiederum besonders ausgebuffte, technische Tricks. Gurgelgeräusche aus dem Badeabfluss können panische Angst vor Bädern hervorrufen, inklusive Blitz und Donner und Geier auf Müllberg und Müllabfuhr und Knochen, der sich in der Luft zur Badebürste verwandelt. Und dann Friede, Freude, Badewanne mit Entlein!

Da Figaro eh nur dieses eine Haarbüschel auf dem Kopf hat, ist seine Angst vor einer Glatze bestens verständlich, das werden viele Männer nachvollziehen können, aber was sich Figaro alles einfallen lässt, das dürfte den Rahmen des Üblichen weit sprengen und das Mooshammer-Toupet, das er sich aufsetzt ist nur eines der Mittel, denn man kann sich auch an Elvis orientieren, doch solche Haarteile haben ihre Macken und können sich schnell in eine Rasta-Frisur verwandeln, die hier jedoch mehr den Tentakeln eines Tintenfisches ähnelt. Und wie soll sich nur das Mädel dazu verhalten?

Es gibt die Angst vorm Hunger, hier gibt’s eine Erinnerung an die Chaplin-Nummer mit dem Schuh auf dem Teller. Angst vor Clowns. Die Angst zu schrumpfen entsteht aus einem Gift-Warn-Etikett mit einem Schrumpfkopf. Angst vor dem Lift. Man kann drin gefangen bleiben. Gerade der Lift zum Mädchen gegenüber hat so Macken.

Angst vor der Haut. Angst vor Akne und dergleichen. Kleiner Pickel auf der Stirn. Oh, Schmerz. Haut von Hand abgezogen. Schattenspiel, zieht ganze Haut ab. Hund schaut, Haut erhebt sich als zweites Ego. Ab jetzt gibt es zwei Figaros, der eine ist seine Haut, der andere ist er ohne Haut. Hautlos rennt raus. Briefbote fällt vor Irritation vom Rad. Haut schaut weinend Bücher mit Bildern noch mit Haut. Die Haut zuhause. Hautlos liegt in der Sonne. Großer, böser Hund schnuppert. Es klingelt im Haus. Schönheitsgurken fallen runter. Hautlos verlangt Einlass. Wird wieder rausgeschmissen. Bittet und bettelt. Keine Gnade. Hund bellt. Hautlos klettert lange Leiter an Haus hoch. Und können doch zusammen nicht kommen. Haut schubst Leiter. Vor der Tür Hautlos mit Blumenstrauß. Rosen. Haut dankt. Haut haut Strauß um Ohren von Spender. Tür zu. Hautlos mit Ballon und Herz vor Tür. Stich in Ballon. Als Sänger mit Banjo. Haut macht es kaputt. Hund stimmt mit Portrait von Haut versöhnlich. Hautlos traurig weg. Haut lehnt an Haus. Winkt. Treffen auf Felsplatte. Umarmung. Hund hetzt die beiden ins Haus. Hinter Paravant als Schattenspiel zieht Hautlos, wieder seine Haut an, kommt hervor, als sei nichts gewesen. Schaut in Spiegel. Kratzt sich an Wange. Gibt sich Ohrfeige.

Die Projektion eines schwarz-weiß-Filmes löst Vampirpanikanfälle aus. Pho ist ein Hypersensibelchen mit einer heißen Fantasie. Und mit jedem Film mag man ihn mehr. Ihn und seinen Hund. Und seine wenigen Kontaktpersonen zur Umwelt. Jetzt ist die Bildergalerie voller Vampirbilder. Die Alte kommt am Rollator. Figaro flüchtet auf den Kronleuchter. Überall sieht er Bilder. Überall sieht er in den Bildern seine Ängste, seine jeweilige Angst. Ihm wachsen Vampirzähne und so will er seine Angebetete bezirzen? Und wie er glaubt sein Abenteuer hinter sich zu haben und es sich auf seinem Sessel gemütlich einrichtet, kommt ein blaues Vögelchen, das auch immer wieder mitspielt, geflogen: jetzt ist es ein Vampir. Böser, böser, Filmemacher.

Was ein Schluckauf oder die Angst vor ihm alles kaputt machen kann, erlebt Figaro am Versuch, ein Abbild von sich selber auf einer Säule zu meisseln. Und die Angst vor bösen Hunden, die ruft förmlich nach solchen. Aber dank Phos Initiativen und seinem hartnäckigen Nicht-locker-Lassen, wird es hier ein Happy End geben, er wird seinen Mechanik-Hund und den bösen Hund gleichermaßen kraulen. Mit der Angst davor, hässlich zu sein, exerziert uns Figaro auf die groteskeste Weise vor, wozu Menschen in ihrem Schönheitswahn alles fähig sind. Die Nacht ist der ideale Ort, um die Angst vor Aliens aus dem Weltall zu unterfüttern, ein Blick unters Bett und die dort versammelten Spielsachen genügen um die grellsten Angstfantasien zu entzünden und auf die Tücke von Fernbedienungen hinzuweisen. Auch Kakteen können die sonderbarsten Ängste und noch skurrilere Abwehrmassnahmen dagegen erzeugen. Und im Moment der Niederlage (auf die bald wieder ein Sieg folgt) legt der Macher des Filmes auch herzerweichende Trauermusik drunter. Und trotzdem scheint ein Kaktus ein ewiges Leben zu haben. Die Angst vor dem Niesen aber münzt Figaro raketenenergetisch wirkungsvoll um, da kann er ganz gewöhnliche Flugpassagiere zur Verwirrung bringen. Der Versuch, ein Ei zu kochen oder ein Spiegelei zu machen, lässt Figaro die alleralbernsten und ernstesten Huhn-, Ei- und Gockelgeschichten entwickeln. Das führt so weit, dass Figaro, um aus der Fantasiefalle wieder rauszukommen, sich zu Boden beugt, um einen Wurm zu fressen.

Und statt Film Nummer 40 gibt es ein Interview mit dem urigen Luke Jurevicius, der das in Australien alles erfindet und zeichnet und vertont und uns ein einmaliges Vergnügen bereitet.

Before Midnight

Hier geht es hart auf hart. Sind die Kompromisse, die ein Mensch für eine Beziehung eingehen muss, damit diese eventuell 70 und mehr Jahre lang hält, überhaupt erträglich? Das ist der Kern der Auseinandersetzung zwischen Julie Delpy als Celine und Ethan Hawke als Jesse, einer Beziehung, die vor fast 20 Jahren in „Before Sunrise“ in Wien begonnen hat, die 10 Jahre später in „Before Sunset“ wieder besichtigt werden konnte und jetzt nochmal 10 Jahre später prüft Richard Linklater diese Beziehung erneut; er hat wieder die Regie geführt und mit Kim Krizan, Julie Delpy und Ethan Hawke auch das Buch entwickelt. Bestimmt kein Franchise-Produkt.

In diesem Film wird es Zeit, Beziehungs-Tacheles zu reden. An sich ist das gar nicht beabsichtigt, denn Julie und Jesse machen mit ihren zwei Töchterchen aus ihrer Beziehung und dem Sohn von Jesse aus anderer Beziehung auf dem Peloponnes Traumferien als Gäste eine berühmten griechischen Schriftstellers.

Jesse bringt seinen Sohn zum Flughafen von Kalamata. Er soll zurück zu seiner Mutter in den USA fliegen. Schon die Eingangsszene vor der Verabschiedung zum Check-In, wie Vater und Sohn vor einem Kiosk sich zu unterhalten versuchen, der Papa irgendwie nicht loslassen kann, irgendwie Gutes für seinen Sohn tun will, ihm was Gescheites kaufen, ihm versprechen, er werde ihn bei seinem Konzert besuchen, was der Sohn ablehnt mit der Begründung, das sei für seine Mutter zu viel Stress, ist atemberaubend nah an empirischer Wirklichkeit, ein Ereignis. Eine Szene, die einen mit ihrer Glaubwürdigkeit und Dialektik der Positionen bereits voll in Bann zieht.

Dann fahren Jesse und Celine mit dem Auto an ihren Ferienort zurück. Im Fond schlummern die beiden süßen Zwillingsmädchen aus ihrer Beziehung. Ein weiteres inszenatorisches, schauspielerisches Glanzstück, wie der Dialog plätschert und andeutet; wie sie sich entscheiden, an den Ruinen, die zu besuchen sie den Mädchen versprochen hatten, vorbeizufahren, weil diese gerade schlafen. Wie den Papa plötzlich ein Hungergefühl überkommt und er Celine bittet, ihm den angekauten Apfel des einen der beiden Mädchen zu reichen und wie er herzhaft hineinbeißt und etwas vom Teilen lernen sagt.

Die Geschichte einer Täuschung, die Geschichte von den Kätzchen, die Celine erzählt, wie sie zu Hause immer getäuscht worden sind, wie sie glaubten, die Katze habe jedes Jahr zwei Junge gekriegt und nicht 7 oder 8, dass nämlich alle anderen getötet worden seien.

Die Gastgeber organisieren ein Abschiedsessen für die Gäste aus Frankreich. Dabei kommt auch zur Sprache, dass Jesse ein erfolgreicher Autor ist und Celine das Vorbild für eine seiner literarischen Figuren abgegeben hat. Es wird über das Kennenlernen geredet, die Dauerhaftigkeit von Beziehungen, über Déja-Vus und sowieso über Wahrnehmung und Zeitsprünge. Gepflegte Konversation oszillierend an der Oberfläche der Abgründe zwischenmenschlicher Realitäten. Und natürlich über Männlichkeit und Weiblichkeit im Allgemeinen.

Das ist Einstimmung und Vorgeplänkel für den Kampf der Geschlechtertitanen, als welche sich Jesse und Celine alsbald entpuppen werden, für eine Szene, von der in keiner Sekunde sicher ist, ob es sie nicht zerbröseln wird, ob die beiden Menschen sich je wieder zusammenraufen werden (zu hoffen wäre es aus dem eigennützig cineastischen Wunsch heraus, weil uns dann vielleicht in weiteren zehn Jahren wieder ein so mitnehmender, vereinnahmender Streifen ins Haus stünde, mit einmaligen Situationen und Gesprächshattricks, wie sie im Kino nicht allzu oft vorkommen dürften); wie sie tief in die Probleme einer Zweierbeziehung hineinleuchten, das Problem, wie weit ein Mensch Kompromisse machen muss und ob das überhaupt möglich ist, um so eine Beziehung am Leben zu erhalten.

Der Ort für diese wahnwitzige Auseinandersetzung ist ein Hotelzimmer, das die Gastgeber dem nicht mehr ganz jungen Paar, sie sind beide um die 40, für eine Nacht spendieren, damit sie ohne die Kinder die Zweisamkeit genießen können. Das Warmup für dieses harte Ringen werden die Gespräche auf einem langen Spaziergang dorthin sein.

Linklater geht an die Substanz seiner Darsteller, vertraut auf ihre Bereitschaft aus dem vollen eigener Weltanschauung und Erfahrung zu schöpfen, gibt ihnen den dazu nötigen Raum und Schutz mit langen, langen Einstellungen, in denen sich die Konflikte des Paares wie von sich aus entwickeln können, fast so, als ob der Zuschauer unfreiwilliger Zeuge dieser Krise würde. Dabei stand doch Ferienglück auf dem Programm stand.

Das wundersame Leben des Timothy Green

Das Knallige an diesem Film ist der Widerspruch zwischen dem festen, präzisen Zugriff der Inszenierung und der Geschichte, die Peter Hedges nach einem Konzept von Ahmet Zappa zum Drehbuch umgearbeitet hat.

Die Geschichte ist ein poetischer, fast lyrischer Traum eines kinderlosen Ehepaares vom perfekten Kind. Da sie keine leiblichen Kinder bekommen können, erträumen sie sich ihren Jungen, schreiben alle positiven Eigenschaften, die sie sich an ihm wünschen auf Zettel, packen diese Zettel in ein kleines Kistchen, vergraben das Kistchen im Garten. Nachts bricht über dem Haus ein Gewitter los, nur über dem Haus. Das Erdreich über dem vergrabenen Kistchen wölbt sich. Und schon huscht, für den Zuschauer kaum wahrnehmbar mehr wie ein Schatten, eine Figur ins Haus.

Die Eheleute Cindy und Jim sind aufgewacht, sind beunruhigt, spüren etwas, suchen und finden Timothy. Er ist ein normaler Junge von vielleicht zehn Jahren. Er kann perfekt sprechen, menschlichen Kontakt erwidern, das einzig Irritierende an ihm sind grüne Blätter, die ihm an den Unterschenkeln wachsen. Die Eltern haben ihren Traumjungen.

Mit der Verwirklichung des Traumes fangen die Probleme an. Wenige Stunden später trudelt nämlich die halbe Verwandtschaft zu einem Fest bei den Greens ein. Der Junge integriert sich prima. Aber die Eltern wollen nicht, dass die Verwandten nachfragen, sie wollen die Blätter an den Beinen des Jungen mit dicken Strümpfen verdecken.

Die Greens werden in der nächsten Zeit nun jede Menge Situationen mit ihrem Jungen erleben, im Fussball, in der Schule, beim Hauskonzert der Schwester von Cindy. Sie benehmen sich wie ganz normal-hysterische, amerikanische Eltern, können den Jungen viel zu wenig loslassen.

Das alles wird von Hedges auf die Leinwand gebracht wie mit spitzem Bleistift und größter Akkuratesse, in jenem amerikanischen Filmrealismus, der fast aus Beton gegossen sein könnte und wo alles, vom Handwerklichen aus besehen, im Lot ist, und wo man den Schauspielern ganz genau ansieht, dass sie Regieanweisungen ausführen. Die an sich poetische, lyrische Idee von so einem Phantasiejungen wird dadurch entpoetisiert. Das lässt den Zuschauer zuweilen etwas ratlos.

Kein bisschen differenziert von der poetischen Jungengschichte werden von der Inszenierung her weitere Handlungsstränge eingeführt. In Stanleyville, North Carolina, das ist der kleine Ort, wo das alles spielt, gibt es eine Bleistiftfabrik und ein Bleistiftmuseum. Die Bleistiftfabrik hat wirtschaftliche Probleme. Jim arbeitet dort. Und Cindy arbeitet im Bleistiftmuseum. Weiter muss in die Handlung, vom Dramaturgischen her gesehen fast wie mit dem Brecheisen eingearbeitet werden die zarte Beziehung von Timothy (der in der Gesellschaft ein wenig gelittener Außenseiter ist) zu Joni, die einen riesigen roten Flecken über ihrer Brust hat, seines Vaters Wunsch, dass er in der Fußballmannschaft mittrainiert und mitspielt, eine Rivalität zwischen Cindy und ihrer Schwester, eine die Fabrik rettende Erfindung eines Bleistiftes, der aus Laub hergestellt wird, die Kündigungsthematik in der Fabrik, der Ideendiebstahl des Sohnes des Fabrikdirektors und schließlich im exakt gleichen Realitätslevel ein immer wieder dazwischen geschnittenes Gespräch von Cindy und Jim mit zwei Vertretern der Behörden, die entscheiden müssen, ob das Ehepaar ein Kind adoptieren dürfe. Eine Rahmenhandlung? In dem Gespräch erzählen die Greens die Geschichte, die der Zuschauer auf dem gleichen filmischen Realitätsniveau zu sehen bekommt.

Rein theoretisch könnte es also so sein, dass auf der realistischen Ebene der Geschichte, allenfalls der Rahmengeschichte, die beiden ein Kind adoptieren dürfen, weil sie ihre Fantasiegeschichte so glaubwürdig rüber bringen, denn nach einem Schnitt und nicht klarer zeitlicher Distanz nach dem Verschwinden des Blattjungen, werden sie glückliche Adoptiveltern. Wobei zu fragen wäre, darf, wer gut flunkert, Kinder adoptieren; oder handelt es sich hier um einen adoptionskritischen Film:?

After Earth

Die vergleichsweise simple Geschichte ist die logische Konsequenz aus den heute aktuellen Themen rund um Umwelt und Gesellschaft: beginnender Klimawandel, Überbevölkerung, die Grenzen des Wachstums halt. Der Film beginnt in der fernen Zukunft, die Erde ist verwüstet, die Menschheit verlässt den Planeten und sucht sich ein neues Zuhause. Dort wohnen schon andere, wie so oft, und diese nur kurz als „Aliens“ umschriebenen Wesen, die wir nie zu Gesicht bekommen, wehren sich gegen die Invasion des Menschen.

Sie schaffen kriegerische Bestien, die Ursa (was ja eigentlich Latein für „Bärin“ ist). Große, kräftige Kampfbestien mit Klauen und Zähnen, die auch noch Säure spucken und gnadenlos vorgehen. Nur sind sie leider blind und finden ihre Beute, den Menschen, nur anhand dessen Angst, denn sie gehen auf Pheromone, die bei Angst ausgeschüttet werden. (Das könnte tatsächlich funktionieren.)

Nun, wie bekämpft man diese Bestien? Am besten durch „Ghosting“. So bezeichnet man die Fähigkeit mancher Menschen, ihre Angst auszuschalten, so dass sie für die Ursa unsichtbar werden. Nun kann der angstfreie Krieger auf das Monster zu spazieren und ihm mit einem einzigen gut gezielten Hieb mit der doppelschneidigen Multifunktionsklinge, der Waffe der Wahl in der Zukunft, die Kehle durchtrennen.

Die eigentliche Geschichte beginnt rund tausend Jahre, nachdem die Menschheit die Erde verlassen hat. Kitai, ein junger Anwärter auf eine Militärische Elitekämpfer-Karriere und Sohn des legendären (weil absolut angstfreien) Generals Cypher Raige, fliegt durch die Aufnahmeprüfung. Papa Raige reagiert darauf nicht so zornig wie befürchtet, er nimmt Kitai dafür auf seine letzte Mission mit: Er soll Soldaten auf einem anderen Planeten trainieren, dann geht er in den Ruhestand.

Mit an Bord des Raumschiffes, der Hesper, ist auch ein Ursa, mit dem besagte Soldaten trainieren sollen. Doch ein Asteroidenfeld beschädigt das Raumschiff so schwer, dass es sich mit einem Not-Sprung in den Hyperraum (wird im Film „Tunnel“ genannt) irgendwohin retten muss. Wie’s der Teufel will, kommt die Hesper genau über der Erde heraus, obwohl eigentlich andere Koordinaten eingegeben worden waren. Es gibt keine Chance auf einen zweiten Sprung, obwohl „alles auf der Erde evolviert ist, Menschen zu töten“ und die Erde ein Sperrgebiet der höchsten Kategorie ist, wagt man eine Notlandung. Das Schiff bricht in zwei Teile, die rund 100 km voneinander entfernt niedergehen, im vorderen Teil überleben nur General Cypher Raige, schwer verletzt, und sein Sohn Kitai, unverletzt.

Leider ist der Notfallsender defekt, daher muss Kitai sich alleine zum Heck durchschlagen, um den dort befindlichen zweiten Sender in Betrieb zu nehmen. Nur so können die beiden Hilfe herbeirufen, da ja niemand weiß, dass sie auf der Erde sind.

Hierbei ergeben sich einige Schwierigkeiten: Nachts friert die Erde zu, bis auf einige Stellen mit geothermischer Oberflächenaktivität, die passenderweise wie eine Perlenschnur zwischen den beiden Wrackteilen zu liegen scheinen. Der Sauerstoffgehalt der Erde scheint sich verändert zu haben, oder der Mensch hat sich in 1000 Jahren, also nur ca. 40 Generationen dermaßen verändert, dass er viel mehr Sauerstoff braucht als die Erde heute liefern kann. Jedenfalls muss Kitai alle 24 Stunden eine Portion Gel schlucken, die ihm das Atmen auf dem Heimatplaneten seiner Spezies ermöglicht. Dann hat sich ja angeblich jede Tier- und jede Pflanzenart gegen den Menschen verschworen, und der Ursa läuft womöglich auch noch frei herum.

Ab hier Spoiler!

Nunja. Es gibt viel zu kritisieren und auch einiges zu loben.

Wenn man akzeptieren kann, dass die Menschheit in der Lage ist, komplett ihren eigenen Planeten zu verlassen, und auf einer neuen Welt (oder mehreren) Fuß zu fassen, dann kann man das Setting gut akzeptieren. Dass ein fremder, bewohnbarer Planet schon selbst Leben hervorgebracht hat, man in dessen Lebensraum eindringt und nicht willkommen ist, ist löblich. Dass diese Aliens nichts besseres auf die Beine kriegen als blinde Ursa-Wesen, die trotzdem irgendwie nicht dauernd gegen Wände, Felsen und Bäume rennen, obwohl die ja sicher keine Angst haben, ist prall. Genauso prall wie die Aliens in „Signs“, die auf einen Planeten kommen, der zu 70% mit Wasser bedeckt ist und dann ausgerechnet gegen Wasser allergisch sind. Das ist so ziemlich das Gegenteil von schlau. Säure spucken bzw. spritzen hatten wir auch schon öfter, da hätte man sich was besseres ausdenken können.

Der emotionsfreie Papa Cypher Raige ist leider nichtmal eine zwiespältige Figur, sondern einfach nur doof. Welcher Vater hat keine Emotionen? Und wenn er welche hat, wieso verbirgt er sie vor seinem Sohn, selbst wenn er schon beschlossen hat, den Dienst zu quittieren? Auch gibt es ja dieses Prinzip der Heldenreise. Der Held verändert sich während des Films und durch die Handlung. Dies trifft ein wenig auf Kitai zu (er verändert sich aber nur, wie er es selber möchte, und nicht, wie es gut für ihn wäre, was nicht dem Prinzip des „Need and Desire“ entspricht), überhaupt nicht auf Cypher. Schade, denn Will Smith ist ja wohl der einzige bekannte Schauspieler in diesem Film, dem hätte etwas klassische Hollywooddramaturgie sicher gut getan. Von ihm allein stammt übrigens die Story, die dann u.a. vom Regisseur  zu einem Drehbuch verarbeitet wurde. Aber eine Geschichte ohne Heldenreise zu erzählen, das ist eine kritisch unkluge Entscheidung.

Das Raumschiff, die Hesper, sieht innen aus wie eine Mischung aus Pfadfinderlager mit Zelten und Hängematten und diesem H.R.Giger-Innendekor von Alien-befallenen Schiffen. Organisch, mit Tuch und Schaumstoff irgendwie. Leider kann selbst der ca. 14-jährige Kitai an manchen Stellen nicht aufrecht stehen, dabei sollte das doch ein Mindestkriterium für den Bau von Langstrecken-Personenbeförderungs-Geräten sein, dass die Fluggäste auch aufrecht stehen können. Und dass ausgerechnet ein Asteroidenfeld auftaucht, wenn man es nicht braucht, ist nur noch billig. So tolle Technik, so fortschrittlich, da kann man nicht einfach ein paar Steine ins All platzieren und sich einen hanebüchenen Grund aus den Fingern saugen, warum die plötzlich den Kurs wechseln. Das ging noch bei Raumpatrouille Orion und vielleicht gerade noch bei Star Trek („Kiptin, Kiptin, ein I-Onensturm!“), aber heute muss schon was glaubhafteres her. Es muss ja nicht gleich eine Supernova sein, aber vielleicht geht einfach der ohnehin sicher hochkomplexe Hyperraumsprung schief, kann ja mal passieren. Dass vor und während des Absturzes kein Notruf abgesetzt wurde, ist unverzeihlich. Aber es ist natürlich für die Handlung wichtig, dass das nicht passieren kann. Auch hier hätte ich mir eine bessere Lösung gewünscht. Zum Beispiel, dass die entsprechende „Boje“ zu spät gestartet wird und gleich mal verglüht. Seht ihr, ist doch ganz einfach.

Dass alles auf der Erde sich dazu entwickelt hat, Menschen zu töten, ist Schwachsinn. Im Original heißt es „everything evolved to kill humans“. So funktioniert Evolution nicht. Sie ist nicht zielorientiert, sondern bringt Abermillionen von Möglichkeiten hervor, und das, was am wenigsten abstirbt, setzt sich langfristig durch und bringt letztlich wiederum Abermillionen von Varianten hervor. Auch wird sich in 1000 Jahren nicht wirklich etwas verändern, die Evolution braucht wesentlich länger. Man beachte nur, dass die alten Römer schon genau dieselben Äpfel, Trauben, Getreide und Getier aßen wir wir heute, und das ist ein doppelt so langer Zeitraum. (Man darf Evolution aber nicht mit Züchtung verwechseln! Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!) Im Film gibt es ein paar Tiere, die es auf der heutigen Erde meines Wissens nicht gibt, so zum Beispiel einen giftigen Blutegel und einen riesenhaften Adler (dessen Größe übrigens auf einen erhöhten Sauerstoffgehalt und nicht auf einen niedrigeren Sauerstoffgehalt im Verhältnis zu heute schließen lässt), aber geradezu verschworen gegen den Menschen oder gar spezialisiert auf die Menschenjagd ist keines davon. Auch die Pflanzen nicht, Fans von The Evil Dead oder den Triffids werden also zu kurz kommen.

Es gibt jede Menge Ungereimtheiten dieser Art. Allein schon, dass Kitai ausgerechnet in einer Höhle, in der keine 10 Meter unter ihm ein Fluss aus Lava strömt, ein Feuer machen muss. Dass die gesamte Höhle heiß wie ein Backofen sein muss, ist unerheblich. Und so weiter, ich höre besser auf.

Schauspielerisch ist dieser Film nichtmal ein Kammerspiel. Abgesehen von einigen Rückblenden und ein paar Szenen in der zukünftigen Gesellschaft spielen hier nur Will Smith und sein Sohn Jaden die relevanten Rollen, verbunden per Funk. Die Emotionslosigkeit von Will Smith (bzw. seinem General Cypher Raige) irritiert gewaltig, da man Will Smith ja als lausbubigen Rabauken kennt, den ewigen Fresh Prince von Bel Air. Die Entscheidung, seinen eigenen Sohn zu casten, mag man kritisch beäugen, dennoch kann man dessen schauspielerische Leistung unter die Lupe nehmen.

Zu den Scientology-Vorwürfen muss ich sagen, dass ich davon keine Ahnung habe. Scientology ist eindeutig eine gefährliche Sekte, dazu gibt es jede Menge Literatur, Erfahrungsberichte, Filme und TV-Beiträge. Ob Will Smith und seine Familie dort Mitglied sind, weiß ich nicht (fände es aber schade) und inwieweit Scientology-Gedankengut sublim über diesen Film vermittelt wird, vermag ich nicht einzuschätzen. Jedenfalls ist die gefährliche Aussage, dass Angst eine Entscheidung sei, meines Erachtens nicht zwingend ausschließlich Scientology-Ideologie. Angst ist ein Instinkt, der nicht nur homo sapiens das Überleben erleichterte. Wer keine Angst hat, sprich, keine Vorsicht walten lässt, kann das nur durch massenhafte Individuenzahl kompensieren, Beispiel Plankton. Auch gibt es sicher keinen einzigen Menschen, der wahrlich frei von Angst ist. Dass das Ritual „Take a knee“, also sich auf ein Knie herabzulassen in dieser Gesellschaft eine Konzentrationsübung ist, mag an ein Sektenritual erinnern. Doch man muss schon sehr versessen sein, darin einen Versuch der Manipulation zu sehen. Doch ich kann mich auch täuschen und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Protip: Geht einfach nicht zu Scientology, wenn Ihr Anschluss sucht. Und am besten auch nicht zu den Zeugen Jehovas. Am besten gar keine Religion annehmen, wenn Ihr schon selber denken könnt.

Wer den Film anschauen mag, kann dies getrost tun, ohne Gefahr zu laufen, deswegen gleich zum Auditing zu rennen. Ich denke, wer beeinflussbar genug ist, des teuer erkauften Gemeinschaftsgefühls wegen Mitglied so einer bekanntermaßen gefährlichen Sekte zu werden, ist selber schuld, und dieser Film wohl weniger.

Alles in allem eine sehr simple SciFi-Geschichte, deren Dramaturgie stark an Mario Bros. erinnert: Eine eindeutige Mission, bei deren Erfüllung man Hindernisse überwinden muss. Von Gehalt und Aussage her völlig belanglos. Der Film hat keine zweite Ebene oder eine versteckte Moral, wie schon erwähnt, fehlt die Heldenreise fast völlig. Wegen der Effekte und der Ausstattung allein geht man ja nicht ins Kino, daher fallen diese nicht ins Gewicht.

Fazit: M. Night Shyamalans Karriere ist „dead in the water“. Leider, denn er hatte Talent. Will Smith hat sich mit dieser Geschichte keinen Gefallen getan. Und dem geneigten Leser empfehle ich, lieber nochmal Silent Running oder Dark Star anzuschauen, die sind sowohl weit gehaltvoller, als auch unterhaltender.

Ihr werdet euch noch wundern

Ein Problem des Altseins, des Altwerdens: die Wörter, die Eindrücke, die Erlebnisse, auch die Taten häufen sich an, summieren sich: es entsteht die Menge, die Masse der eigenen Geschichte, die Ansammlung der eigenen Wörter. Wie damit umgehen? Das stellt ein neues Problem: wird hier angesprochen, alle Worte, alle Wörter, die du je gesagt hast. Was tun mit diesem Haufen? Alte Werke wieder prüfen. Oder sich nicht lösen können von diesen. Das wird bei Resnais ein exquisiter Trödelladen an hochkarätigen Kulturpreziosen. Kinoaesthetisch erstklassige Ausstellung der Dinge. Oder: Resnais als geschmackvoller Schaufensterdekorateur seiner Exponate, der Ansammlung seiner Exponate.

Jedoch keine Überprüfung der Sinnfrage, kein Forschen, kein Aufbruch zu neuen Horizonten, sondern Rückschau. Sich mit dem eigenen Kacki beschäftigen. Back to the Roots, wie das Kind, das sein erstes eigenes Kacki fasziniert studiert. Jetzt das alte Kind.

Altmeister Resnais gibt uns Rätsel des Erinnerns, der Funktion von Leinwand und Theater auf. Er spürt dem Glück und dem Erinnern desselben nach. Er lässt den Erfolgsautor Antonie d’Anthac auferstehen. Dieser war ein gefeierter und erfolgreicher Autor, der aber auch Häuser gesammelt hat und dies mit Geschmack, wie die Trauernden bemerken. Diese hat er nach seinem Ableben über seinen Majordomus zu einer Zusammenkunft in seiner neuesten Hausanschaffung in einer Cezanne-malerischen Gegend gebeten.

Es sind seine Lieblingsschauspieler. Sie sind auch die Lieblingsschauspieler von Alain Resnais: Michel Piccoli, Lambert Wilson, Hippolyte Girardot, Anne Consigny, Sabine Azéma, Mathieu Amalric und und, die als sie selbst zuerst angerufen werden. Monsieur d’Anthac, der eben verstorben sei, lasse bitten. Resnais inszeniert das mit seinem scharfen, systematischen Auge. Wiederholung und Ähnlichkeiten der Auftritte beabsichtigt.

Die Schauspieler finden sich in diesem ungewöhnlichen Gebäude mit einer großen Eingangshalle wie in einer gigantischen Krypta ein. Sie werden vom Majordomus in einen weiteren Raum mit angenehmen, schwarzen Ledersesseln gebeten. Und wie der Meister immer für eine Überraschung gut gewesen sei, so habe er hier auch solches vorbereitet. Das sagt der Majordomus vor einer Marmorwand, die sich alsbald als eine Blende für eine Leinwand erweist und sich öffnet.

Durch eine Luke steigt der Meister in einen geborgenen Raum und spricht die Anwesenden an. Er erzählt, dass sie jetzt Probenausschnitte aus „Eurydike“ zu sehen bekommen von der Theatergruppe „La Colombe“. Die Künstler werden mit ihrer eigenen künstlerischen Vergangenheit konfrontiert, mit Rollen, die sie beim Meister in verschiedenen Inszenierungen des Stückes gespielt haben. Manche sind im Laufe der Jahre und Jahrzehnte durch verschiedene Rollen gewandert. Das Stück dürften alle in- und auswendig kennen.

Es passiert wenig Überraschendes. Den Schauspielern fallen die Sätze wieder ein, die sie auf der Wand zu sehen bekommen. Die Szenen verselbständigen sich. Der Raum selber verwandelt sich zusehends in ein Theaterbühnenbild, je nach Szene mit U-Bahnhof, Bahnhof, Lokal, Hotelzimmer. Vielleicht ein imaginärer, ein geistiger Raum, ein Kunstraum. Unser Raum ist derjenige, den wir uns imaginär erschaffen.

Die Laienaufführung auf der Videowand ist modernes Theater. Die Darsteller kommen auf die Bühne, indem sie leere Ölfässer vor sich her rollen. Die alten Herrschaften im Raum machen eine Zeitreise zurück in ihre alten Rollen in alten Inszenierungen des Meisters. Es entwickeln sich auch Dialogszenen oder Satzwiederholungen von verschiedenen Darstellern ein und derselben Rolle.

Die Erinnerung an die Rolle ist Erinnerung an das Thema des Stückes, die Liebe und das Verbot, auf die wieder erstandene Eurydike zurückzublicken. Nachdem sie doch unter den Zug gekommen ist. Orpheus ist der Sänger dieser Liebe und auch der Verliebte. Jetzt sind die Darsteller des Orpheus betagte Herren, die die Texte noch genau so präzise, gekonnt, gelernt reproduzierend produzieren, als hätte sich nichts verändert, außer der Physiognomie und der Physis.

Alterswerke großer Meister tendieren gerne zu Kryptischem. Hier fängt Resnais unter den Titeln mit Nebel an. Aus dem heraus sich die Geschichte vielleicht noch mal bilden mag. Evokation aus dem Nebel heraus, aus der verschwimmenden Erinnerung heraus.

Der Film selber kann verglichen werden mit einer Führung durch eine weltvergessene Meisterkollektion. Allerdings, worüber sollen wir uns hier wundern? Über die Kraft der Liebe? Immerhin kann der Zuschauer, indem er dieser Führung versucht zu folgen, einen kleinen geistigen Weg durch intelligente Reflexionen und Sätze machen. Über die Liebe, das Geheimnis und das weniger Geheimnisvolle des Essens und Lebens. Dieses Lebens. Der Kontent ist nicht neu. Resnais erfindet keinen neuen Kontent. Er verpackt altenbewährten meisterlich. Und wundert sich. Ist es das gewesen? Soll es das gewesen sein? Ist das Kryptische alter Meister nur verbrämte Angst, loslassen zu müssen? Die Angst davor, entbehrlich zu werden?

Der Schauspieler-Duktus wird in keiner Sekunde unterbrochen. Es ist alles geführt. Gespielt. Es wird hier nicht realer Realismus gesucht, der Unterschied zwischen Sein und Darstellung; hier ist nur Darstellung als Sein eine geldwerte, eine leinwandwerte, eine feuilletondiskutable Kategorie.

Das schöne kleine Durcheinander nach dem Ende des ersten Aktes im Publikum hat etwas von dem Gehüstel in einer Konzertpause. Es ist nur Sound, Gackersound.

Im 2. Akt haben wir Erinnerungen, mit denen wir uns verteidigen können (oder eher einnebeln?). Mit angestrengten Tragödengesichtern dramatische Szenen gespielt.
Bleibt alles, was man gesagt hat, ewig auf den Lippen?
Kann man ein anderer Mensch werden oder ist man das, was man gesagt und gedacht hat?
Oder verschwatzt man sich auf den Straßen des Lebens. Letzteres ist zu vermuten, gerade weil Resnais keinen Unterschied macht zwischen privatem Auftritt der Darsteller und ihren Rollenreminiszenzen.

Resnais ist kein Forscher, er ist ein geschmackvoller, geschmeidiger Arrangeur von Bekanntem, bekannt kulturell Wertvollem. Was für den Gebildeten eine gepflegte, intelligente Unterhaltung abgeben dürfte.

Harte Szene und sehr lange in einer schnittlosen Einstellung, wie die alte Eurydike nach ihrem Tod sich von hinten an Orpheus klammert und er darf sie nicht anschauen, sonst verschwindet sie. Sie muss also in seiner Vorstellung sichtbar sein, präsent sein. Er solle akzeptieren, glücklich zu sein.

Ganze banale Erkenntnis: wenn ich traurig bin, richtet mich eine gute Zigarre wieder auf (bei Brecht hieß es in „Der gute Mensch von Sezuan“ in etwa, ein Zug aus einer Zigarette und ich bin ein anderer Mensch). Alle rauchen in ihren schwarzen Ledersesseln. Das ist vielleicht am Rande des Überdeutlichen. Vor allem in einer raucherfeindlichen Zeit. Nostalgie, als Kultur noch mit Qualm zusammenhing? Blitzt hier Resnaisscher Schalk auf?

Orpheus soll sich nicht fallen lassen, er müsse aufstehen.
Aber man ist allein, ganz allein, das sei das einzige, was sicher ist.
Definition des Menschen durch die Liebe. Da nähert sich das Resnais-Universum dem von Terence Malick in „To the Wonder“.

Snitch

Dieser Thriller von Ric Roman Waugh, der mit Justin Haythe auch das Buch geschrieben hat, vermittelt dank dem wackeren Protagonisten Dwayne Johnson als John Matthews, Bauunternehmer, ein wohliges Gefühl im Status illegaler Handlungen, weil ja alles für einen guten Zweck geschieht.

Genau genommen blamiert der Film die Gesetze, respektive die Gerichtspraxis in den USA, wonach Leute wegen kleiner Drogendelikte für Jahrzehnte der Gefängnisindustrie überantwortet werden, während Mord, Vergewaltigung im Vergleich dazu wie Petitessen behandelt werden. Das ist sicher der Hauptanklagepunkt dieses Filmes. Was ihm vom thematischen Standpunkt aus in Europa wenig Resonanzboden verleihen dürfte, da hier die Verhältnisse doch anders sind, abgesehen davon, dass wir nicht diesen Drogenkrieg wie in Mexiko haben, der dabei ist, in die Staaten überzugreifen (da gab es in der letzten Saison gleich mehrere Filme dazu).

Die Verfilmung ist hochprofessionell gemacht, wenn es parallel zur deutschen DIN-Norm eine amerikanische HIN (Hollywood-Industry-Norm) gäbe, so wäre der Film darin sicher auf der Qualitätsskala ganz oben.

Auf unsere Verhältnisse umgeschrieben handelt es sich um eine Art Wilhelm-Tell-Geschichte. Wobei der Vater hier nicht einen Apfel von des Sohnes Haupt schießen muss, auch nicht mit der Armbrust, wo sind wir denn, damit führt man keine Drogenkriege, da werden wir hier im Action-Teil, der allerdings zwar exzellent, aber relativ kurz vor dem Ende erst kommt, andere Waffen erleben, nebst dem Schreddern und In-Flammen-Aufgehen von Autos.

John, dem man den Bauunternehmer in keiner Faser abnimmt, aber das macht ihn gerade so sympathisch, das macht ihn zum wackeren Helden, denn dass er Bauunternehmer ist, bringt lediglich dramaturgische Vorteile; interessant an ihm ist nicht sein Verhalten als Bauunternehmer, sondern was er zur Rettung seines Sohnes unternimmt. Das ist nicht minder gewagt und mutig als was der gute Wilhelm Tell auf dem Dorfplatz von Altdorf am Luzerner-See laut Schiller vor Jahrhunderten getan haben soll.

Johns braver Sohn, gerade mal 18 und unbescholten bis dort hinaus, ein Milchbub, lässt sich von einem Freund in eine Drogengeschichte hineinziehen, indem er sich als Empfänger für eine Drogen-Sendung hergibt. Der Freund des Sohnes und Auftraggeber verrät nun aber John, denn die Sendung war markiert. Der Sohn wird geschnappt, kommt ins Modoc-Correctional Center, ihm drohen günstigstenfalls 20 Jahre Haft, und das ist kein Spaß in Amerika, da verdient eine ganze Industrie dran, die ihre Gefangenen nicht leicht hergibt, aber das steht nicht im Drehbuch, das zeigt sich in der Entschlossenheit des Vaters, nicht zu akzeptieren, dass sein Sohn den wichtigsten Teil seines Lebens wegen einer Dummheit in einem amerikanischen Knast verbringen solle.

John bearbeitet erst die Staatsanwältin Johanne Keeghan, Susan Sarandon ist hier gestylt wie die spitzzüngige New-York-Times-Kolumnistin Maureen Dowd, bis sie damit einverstanden ist, seinen Heldenvorschlag anzunehmen, dass er den Chef des Drogenkartells als Undercover-Agent ausfindig mache und auffliegen lasse und sein Sohn im Gegenzug einen merklichen Straferlass erhalte.

Des braven, mutigen Bauunternehmers Heldentat wird dann so groß, das darf verraten werden, dass der Sohn sofort freikommen wird. Der Weg dahin ist mit Lebensgefahr, Kriminalität und Action gepflastert. Sein Verbindungsglied zum Nuevo Leon Cartel wird einer seiner Mitarbeiter, Jon Bernthal als Daniel James, der nicht nur seinem Chef nützlich sein wird, sondern auch als Schauspieler eine prima Figur abgibt.

Die Geschichte sei „inspiriert“ durch wahre Ereignisse und ist von den Machern zum packenden Thriller mit durchaus politischer Message gerundet worden. Der wackere, zupackende Mann als Held, der zwar nicht das Gesetz ändern kann oder will, aber bereit ist, zu deren vernünftigen Handhabe einige unvernünftige Handlungen auf sich zu nehmen, denn anders ist dem pervertierten amerikanischen Rechtssystem nicht beizukommen.

Janky Promoters (DVD)

In diesem Movie feiert aufgeblasenes Provinzlertum krass-schräge Urständ im Rappergewand.

Ice Cube, der auch das Buch geschrieben hat, spielt in der Regie von Marcus Raboy den Musikpromoter Russell Redds, dusseliger geht’s nicht, pompöser parfümiert von sich selbst eingenommen geht nicht. Ihm ist es immerhin gelungen, mit seinem ihn an Dilettantismus und Tölpeltum noch übertreffenden Geschäftspartner Jellyroll einen berühmten Rapper ins abgekackte Provinznest Modesta (die Bescheidene – „hier kommen die Leute her, wenn sie auf der Flucht vor der Polizei sind“) für einen Auftritt im großen Musical-Theater „Mercy“ (Gnade, Mitleid) zu holen.

Was schief laufen kann, läuft schief. Der Vorverkauf dümpelt. Die Limousine, die den Rapper und seinen Manager abholen soll, taucht gar nicht erst auf am Flughafen. Statt des 5-Sterne-Hotels muss der Rapper mit einer drittklassigen Motelabsteige und aufdringlichen, aufgemotzten Zimmermädchen Vorlieb nehmen. Das eine knüpft sich den Manager vor, lässt sich dabei erwischen und denunziert ihn vor der Polizei. Worauf die Figur im Film nichts mehr zu suchen hat. Denn auch ohne Manager können die Verwicklungen und Pleiten ganz gut weitergehen.

Alle wollen Geld. Keines ist da. Die Kreditkarten von Russel geben nichts mehr her. Sein Kumpel ist der einzige, der noch ein Geld beschaffen kann, verschleudert dieses umgehend in eine beschissene Fälschung einer sündteuren Uhr. Die Mama von Russel ist eine Crack-Kocherin auf Bewährung. Das musikalische Untalent von seinem Sohn, das Russell als Vorgruppe einsetzt, schafft es, das Publikum gegen sich aufzubringen. Seine Frau ist eine herrlich aufgedonnerte B-Movie-Bellezza mit grellen Perücken, die auf High-Heels den Staubsauger über den Teppich führt und zwischendrin, kurz vor dem Konzert, ihrem Göttergatten mit einem Blow-Job hilft, Dampf abzulassen.

Und obwohl der Rapper, weil er nur gegen Vorkasse spielt und Russell ihm nichts zu bieten hat, sein Konzert im „Mercy“ gar absagt (stattdessen gibts Randale; das Publikum will die Bude auseinandernehmen), schafft der Filmemacher Ice Cube es mit einer sorglos dramaturgischen Wendung, die eher im nahen Umfeld der Selbsttäuschung anzusiedeln ist, die Promotoren am Ende als die großen Kings dastehen zu lassen. Ein Lob auf die Provinzialität des Musikgeschäftes mit so vielen Musiknummern, dass der Abspann des mit 80 Minuten eh schon kurz geratenen Filmes über vier Minuten in Anspruch nimmt.

Alexandre Ajas Maniac (DVD)

Ein Mann stalkt eine Frau, die sich eben von ihrer Freundin verabschiedet hat. Er kennt sie, er weiß, wie sie heißt, Judy. Er, das ist Frank mit der gedeckten Stimme. Fahrt im Auto durchs Nachtleben. Subjektive von Frank. Der Zuschauer in die Perzeption des Täters versetzt. Ein Remake von Maniac by Willem Lustig. Der Mann ist ein Skalpjäger. Checkt Kontaktbörsen im Internet, Red Lucie 86. Er nennt sich der Schüchterne. Denn es ist das erste Mal. Zarte Männerbilder von sich selbst. I am looking for new experiences too. Blind-Date im Lokal. Wieso hast Du keine Freundin. Etwas passiert mit ihm. Das ganze Lokal erstarrt und schaut zu ihm und Lucie. Er muss kurz auf Toilette, Blut rinnt ihr von der Stirn. Hastiges Händewaschen. Die großen Killeraugen im Spiegel.

In diesem Film von Franck Khalfoun nach einem Drehbuch von Alexandre Aja, Grégory Levasseur, C.A.Rosenberg nach dem Original-Drehbuch von Joe Spinell sieht der Zuschauer den Täter immer nur im Spiegel. Lucie in ihrem Röckchen, das wie ein um eine schmale Stoffkrause erweiterter Gürtel ist, nimmt ihn mit nach Hause, bietet einen Drink an. Immer Subjektive von ihm. Fotos, Musikinstrumente, jetzt ist sie im aufreizenden Bikini an die Wand gelehnt.

Genusshorror, weil genau zu sehen ist, wie er zubereitet wird.

Jetzt macht sie ihn an. Versteckt erst ihre Brüste. Jetzt darf er sie berühren mit seinen roten Fingern. Reißt sie am Haar. Er liegt auf dem Bett. Spiegel an der Decke. Sie bläst ihm einen. Er würgt sie. Er erwürgt sie. Hadert mit seinem alter Ego, mit seinem Teufel, warum er keine Frau in Ruhe lassen könne. Und mitten unterm Monolog schneidet er ihr den Skalp ab. Das ist nicht gerade ein besonders appetitlicher Vorgang. Wer jetzt noch Tapas essen kann, muss ziemlich abgebrüht sein. Er kotzt ins Clo. Wäscht sich die Hände.

Täterhorror. Der Zuschauer darf ganz legitim Schlimmes, Verbotenes, Unmenschliches aus der Subjektiven miterleben, als täte er es selbst.

Zuhause im Gespräch mit imaginärem Gegenüber wird der frisch gewonnene, noch klebrige Skalp auf eine Schaufensterpuppe getuckert. Das kann jetzt etwas pieksen, meint der Täter zur Puppe. Red Lucy wird sich sicher mit der anderen Puppe bestens verstehen. Die liegt schon dekorativ im Bett.

Eine französische Fotografin versucht, Puppen in einem Schaufenster der Firma „Angelas Mannequis“ mit Hilfe von Licht zum Leben zu erwecken. Das Geschäft gehört unserem Protagonisten Frank, gespielt von Elijah Wood mit den großen, hungrigen Augen. Gespräch mit der blonden Französin Anna, Nora Arnezeder.

Restaurierte Schaufensterpuppen aus allen Stilrichtungen und Epochen.
Sein Bild im Spiegel, der halb zersprungen ist wegen Faustschlag von ihm.
Schwert einstecken und los geht’s in eine belebte Einkaufstraße, durch andere Straßen, überall schicke Frauen am Shoppen oder Joggen. Der Zuschauer mit dabei auf der Stalking-Tour.

Tänzerinnen mit wehendem Haar. Tänzerinnen sind besonders attraktiv – und zerbrechlich. Eine verfolgt er. Leere U-Bahngänge. Flucht durch leere Straßen. Tor wird zugesperrt. In der Falle. Er zückt das Schwert.

Ist der Töttrieb von Frank bei der Fotografin, die eine Ausstellung mit Bildern von den Puppen machen will, eingeschlafen? Kann der Fotografin, die ihm in die Augen schaut, nichts passieren? Sie gehen zusammen ins Kino, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ wird gezeigt. Sie sieht ihn als den letzten Romantiker. So kann man sich täuschen. Denn die Vernissage zeitigt ein blutiges Nebenresultat.

Seine zarten, schmutzigen Mörderhänder massieren Anna den Rücken, „ich bin so verspannt“.

Kings of the City (DVD)

Alberto Rodriguez lotet in diesem Film nach einem Drehbuch von Rafael Cobos und mit einem exquisit besetzten Ensemble die Räume aus, die Männerspiele zwischen Beruf und Familie, zwischen Pflicht und Ehrgeiz, zwischen Gehorsam und Eigenaktivität hergeben.

Im spanischen Original heißt der Film „Grupo 7“ und meint die zivile Drogenbekämpfungseinheit 7 in Sevilla, die in den Jahren, die der Weltausstellung von 1992 vorausgingen, die City von Sevilla von Dealern und Junkies reinigen soll.

Angel ist der Protagonist, ein filmstar-traumhafter junger Mann, ideal auch von seiner Position im Leben her, verheiratet, hat einen kleinen Sohn, ist auf gutem Karriereweg bei der Polizei, ist aber vielleicht derjenige, der am weitesten zu gehen bereit ist, auch unkonventionelle und mit dem Gesetz nicht direkt in Kongruenz zu bringende Methoden für diese Aufgabe anzuwenden, die Spielräume am weitesten zu dehnen, auch über die City hinaus, um den Auftrag perfekt zu erledigen.

Angel muss mit seinem Ehrgeiz ein großes Ego befriedigen. Das wird zu Konflikten führen. Wird aber auch dazu führen, dass die Weltausstellung in einer sauberen City eröffnet werden kann. Allerdings hat er ein schmerzliches Defizit, er ist zuckerkrank, muss sich regelmäßig Insulin spritzen. Seine Frau muss ihn öfter mal darauf hinweisen, denn im Ehrgeiz seiner Pflichterfüllung vergisst er das zu leicht.

Man würde ihm von seinem gepflegten Äußeren, von seinem diskreten Auftreten, von seinem Habitus her gar nicht zutrauen, welche Verhörmethoden er anwendet oder dass er sich bei einem großen Drogenfund ein Päckchen selbst einsteckt, um sich Informanten ködern zu können. Wobei das Verhalten durch die Gruppe 7 praktisch ohne Einwand gedeckt wird, weil es eh schon ein Teil der Realität ihrer Praxis ist. Und auch der Polizeipräsident möchte gar keine Details wissen, solange Erfolge zustande kommen.

Der Film wechselt zwischen Verfolgungsjagden, Razzien, menschlichen Tönen auch zu einem Verhafteten, wenn er nicht zu widerborstig ist, mit Szenen zu Hause bei Angel, im Bett oder bei einem seiner Kollegen, der sich einer Drogensüchtigen angenommen hat und ein Liebesverhältnis zu entwickeln versucht – ohne Aussicht auf längerfristigen Erfolg.

Auch regelmäßige kurze Begegnungen mit dem Polizei-Präsidenten und der Gruppe. Die Presse wird bei einem spektakulären Fund auf die Einheit 7 aufmerksam. Aber auch der Drogenboss aus einem Außenquartier von Sevilla, in das die Gruppe gegen ihre Vorschrift eindringt. Der Erfolg der Gruppe löst innerhalb des Staatsapparates Misstrauen aus. Die Antikorruptionsabteilung wird (erfolglos) eingesetzt. Nach einer demütigenden Razzia auf freiem Felde bei einigen Dealern (bis auf die Unterhosen ausziehen, die Cops verbrennen die Klamotten und lassen die Typen laufen) gibt es auch persönliche Drohungen gegen Angel. Der sich aber nicht einschüchtern lässt, der seinen Spielraum, seinen Handlungsspielraum weitestgehend auslotet. Ein riskantes Spiel. Ohne Garantie für weitere Beförderungen.

Der interessanteste Gegentyp in der Gruppe ist Rafael, der auch älter scheint. Er ist derjenige, der die Süchtige bei sich aufnimmt. Er ist derjenige, der immer wieder in der Kirche zu sehen ist. Der auch mal auf die Bremse tritt, wenn Angel zu weit gehen möchte. Wie weit ist sein Name Angel, Engel, berechtigt ist? Vom Aussehen her auf jeden Fall. Von seinen Handlungen her doch eher problematisch. Ein spannender Gegensatz. Mit diskreter Musik überstreut, die dem Thriller zusätzlich geheimnisvollen Glanz verleiht. Die Nutte, die ein doppeltes Spiel spielt: La Caoba.
Die Gruppe: Angel, Rafael, Miguel, Simon
Die Liebe von Rafael zu Lucia fast zart.

Vom Chef werden sie angesichts von Erfolgen aufgefordert: Greifen sie noch härter durch, die Ausstellung rückt näher, das Zentrum muss drogenfrei sein.
Dabei ist der Chef in der Gruppe bekannt dafür, dass er über vieles, was sie in Konflikt mit dem Gesetz bringen würde, hinweg sehen kann; solange die Öffentlichkeit keinen Wind davon kriegt und Verhaftungen und Funde präsentiert werden können; wenn nicht, kann er sich leicht als Fähnchen im Wind erweisen.

Gleitende Wahrheiten, gleitende Grenzen zwischen Gut und Böse, das alte Spiel, aber spanisch sensibel und doch hart neu aufgelegt mit einem überzeugend ausgewählten und von Alberto Rodriguez ebenso überzeugend geführten Cast, spanisch sinnlich, spanisch schön.
Ist der Held, der wahre Mann, derjenige, der die Grenzen gelegentlich überschreitet?

planet RE:think (DVD)

Etwas muss sich ändern. Das ist der allgemeine Aufruf, den dieser Film von Eskil Hardt darstellt. Etwas muss sich ändern in der Politik, im Verhalten der Menschen, denn das Wachstum von Wirtschaft und Menschen geht auf Kosten der Natur, beschleunigt die CO2-Abgabe und damit direkt die rasante Zunahme des Tempos der Erderwärmung. Wenn es so weiter geht, dürfte bis Ende des Jahrhunderts der Meeresspiegel um 1,6 Meter gestiegen sein, was vor allem die Megacities betrifft, da die meisten davon am Meeresrand liegen.

Der Film ist ein bunter, allgemeinbildender Mix, wie er heutzutage für solche Filme gerne verwendet wird, aus in schwarz-weiß gehaltenen Statements von Wissenschaftlern (ein Professor für Nachhaltigkeit, ein Nachhaltigskeitsberater, eine Professorin für Ökosysteme, ein Professor für chemische Verfahrenstechnik und ein Ressourcenwissenschaftler), aus kursorisch gestreiften und in schönem Mäander um die Welt aneinandergereihten Einzelthemen, aus Graphics und Aufnahmen von Natur, wilder Natur, von Industrie und Städten und dazwischen noch Statements zu den einzelnen Bereichen.

Der Film fängt mit einem beachtenswerten Einwand gegen die gängige Definition des Begriffes BIP, Bruttoinlandprodukt an, welcher nicht mehr akzeptabel sei, da er den Ressourcenverbrauch nicht einberechne, da er eine ineffiziente und dysfunktionale Weltwirtschaft als Grundlage benutze, da er auf einer problematischen Wachstumsphilosophie beruhe, bei der die Löhne nicht adäquat steigen und die auf Verschuldung aufbaue.

Dagegen wird, was noch jedem Dokumentarfilm zum Thema einen exotischen Touch verleiht, ausführlich der Begriff des Bruttonationalglücks, des BNG aus Bhutan angeführt, der von einer volkswirtschaftlichen Gesamtverantwortung ausgeht und eine Balance zur spirituellen Entwicklung anstrebt.

Wir müssen etwas ändern. Denn die beiden wichtigsten Krisen, die Finanzkrise und der problematische Umgang mit den Ressourcen bedrohen die Wohlstandsentwicklung. Ziel wäre eine Wirtschaft, in der es keinen Abfall gibt, in dem jeder Abfall wieder gleich Rohstoff ist. Wobei die Städte heute teils bereits mehr Rohstoffe durch die Entsorgung von Altprodukten liefern als die Natur. Mehr Gold in Handys als im goldhaltigen Erz. Und der Peak Oil ist eh schon lange erreicht.

Jetzt schwenkt das Interesse des Filmes nach Grönland, das zum Bergbau-Eldorado wird durch das Abschmelzen des Eises, besonders die Seltenen Erden sind gesucht.

Es folgt ein Schwenk nach Indien, das Recycling von Elektroschrott, auf dem eine ganze Schattenwirtschaft aufbaut unter Inkaufnahme von Gesundheitsschäden für die Arbeiter. Gesucht wäre Clean-Tech-Stadtschürfung. Denn noch werden viel zu wenige Abwässer gereinigt.

In China hat das Austrocknen der Sümpfe am Gelben Fluss, die in der Natur eine Funktion wie die Nieren beim Menschen haben, zur Folge, dass das Land im Ausland Ackerflächen kaufen muss.

Die Förderung von Oel aus kanadischen Teersanden belastet die Ökobilanz gravierend, ein mehrfaches an CO2-Ausstoß als bei herkömmlicher Förderung.

Wir müssen unser Leben revolutionieren. Als Hoffnungsschimmer und ein Beispiel für diese Veränderung schaut der Film jetzt nach Afrika und stellt die Erfindung, Handhabung und Produktion des Wonderbags vor, eines vor Ort hergestellten Topfwarmhalters, der die Energiezufuhr beim Kochen deutlich reduziert und damit dessen Ökobilanz auffallend verbessert.

Mit der Zunahme der Bedrohung der Natur durch den Menschen, hat auch die Aufmunterung zur Rettung der Welt in Form von Dokumentarfilmen Konjunktur.

Go ahead, make my day.