Frei (TV BR-alpha)

Obersturmbannführer Voss war in der Nazizeit ein effizienter und erfolgreicher Todesorganisator und ist in der Jetzt-Zeit dieses Filmes, der kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges spielt, immer noch ein begnadeter und souveräner Genickbrecher, inzwischen allerdings unter dem Namen Meinhart, auf dem Weg nach Argentinien oder dort selbst. Ken Duken spielt ihn versuchsweise dämonisch, gleichzeitig aber auch gerne mit diesem schuldbewussten Blick von unten und mit dem Ausdruck tiefer Unsicherheit, aber auch mit einem Ansatz von Sentimentalität. Interessant im Vergleich dazu ist die Figur des Josef Mengele im Film „Wakolda“ der Argentinierin Lucia Puenzo, dort gespielt von Alex Brendemühl. Auch ein Film, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien spielt.

Hier in „Frei“, einem Autoren-TV-Film von Bernd Fischerauer, fliehen gleich zwei Menschen vor den Abgründen der Nazivergangenheit nach Argentinien, versuchen dort frei zu werden. Wobei auch klar wird, dass lediglich neue Namen, neue Papiere und eine neue Umgebung oder das Wegmachen der verräterischen Tätowierung der Blutgruppe am Oberarm, wie die SS es pflegte, rein gar nichts helfen.

Kompliziert wird diese Geschichte dadurch, dass hier eine Jüdin und ein SS-Mann zusammen diese Flucht unternehmen. Wobei zuerst keiner vom anderen den Hintergrund kennt, der Zuschauer allerdings klugerweise sehr schnell im Bilde ist.

Da die Frau von Voss auf dem Fluchtweg schon in Tirol stirbt, sein Kind also ohne Mutter dasteht, kommt die Jüdin, die Ravensbrück und Auschwitz überlebt hat, gerade recht. Es ist Eva, großartig gespielt von Julie Engelbrecht. Sie war Klavierspielerin. Und das wird sie in Buenos Aires zu Professor Kaminsky führen, eine herrliche österreichische Künstlerfigur, Johannes Silberschneider, wie überhaupt der gewisse österreichische Einschlag im Darstellerpersonal diesem Film zusätzlichen Charme verleiht.

In Buenos Aires treffen die verschiedenen Vergangenheiten aufeinander, was zu Genickbürchen, Todesschüssen, Erschrecken, Vertrauen-Misstrauenskonflikten, Verunsicherungen führt. Bernd Fischerauer muss gegen Ende hin zu bewährten Film-Noir-Mitteln greifen, um alle Komplikationen, denn auch die Amis sind hinter dem ehemaligen SS-Mann Voss her, zu einem plausiblen Ende zu führen. Aber das macht er ganz cool.

Es handelt sich um eine Produktion des Bildungskanals BR-alpha und möchte vor allem Jugendliche, so die Redaktion, für das Thema Nationalsozialismus und Gewaltverbrechen sensibilisieren. Das dürfte keine vergebliche Mühe sein, wie der Preis der Jugendjury bei den Biberacher Festspielen vermuten lässt. So wird denn das große Talent von Bernd Fischerauer in einem Spartenkanal unter den Scheffel gestellt. Wenn Deutschland eine florierende und funktionierende Filmlandschaft hätte, die nicht von Förderung und Funktionären überdüngt und kastriert wäre, so wäre Fischerauer sicher einer der ganz Großen mit Weltformat, sowohl von seiner Schauspielerführung her als auch von seiner klaren, sich auf das Wesentliche beschränkenden Erzählweise her. So aber führt er cineastisch gesehen ein Mauerblümchendasein im Bildungskanal. Und muss seinen Film wohl doch dem TV zuliebe schier ins Melodram münden lassen, was er durch die erwähnten Noir-Elemente allerdings abdämpfen kann.

Es wäre spannend im Vergleich dazu den oben erwähnten Film „Wakolda“ aus Argentinien zu zeigen und zu vergleichen, gerade im Hinblick vor diesem Hintergrund. Wakolda ist ein Kinofilm. Und ist sicher die härtere Münze. Denn dort praktiziert Dr. Mengele ungebremst weiter. Und traut seinen Zuschauern einen Schluss zu, der einem den Atem stocken lässt. Ken Duken hat als EX-SSler Voss zu viel deutsches Leiden in sich. Er leidet quasi unter der Darstellung seiner Rolle. Oder es ist zu viel Pose. Vielleicht ein Kompromiss zwischen schauspielerischem Leiden und der von der Regie vorgeschlagenen Form, zu bemüht, diese Form zu wahren. Außerdem scheint er mir für einen Nazi einfach zu viel antrainierte Oberarmmuskeln zu haben, zu sehr am amerikanischen Schauspieler-Körper-Ideal orientiert. Kommt am deutlichsten zur Geltung, wenn er mit Eva im Bett liegt und ihren nackten Unterarm mit der KZ-Nummer studiert. Das Hauptproblem der Voss-Figur scheint mir, und das geht auf das Konto des Buches zurück, dass zwar sein Offiziersgrad präzise bestimmt ist, aber seine Funktion, was er exakt gemacht hat, ausgespart wird; eine Unklarheit, die für die Darstellung erschwerend hinzukommt; es wird zwar erwähnt, dass er im Organisieren Hervorragendes geleistet hat, aber was genau, das hätte man doch sagen können; oder musste Fischerauer da TV-Kreide schlucken?

Lovely Louise

Handwerksausweis.
Bettina Oberli, die mit Petra Volpe auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt in jeder Szene, dass sie inszenieren kann, dass sie eine klare Vorstellung vom Inszenieren hat, eine klare Vorstellung, was Film sei. Und auch dass sie eine klare Absicht hat, was sie erzählen will, wobei diese Absicht an Klarheit oft die Realität der Performance, also die von Darstellung und Inszenierung deutlich übertrifft.

Annemarie Düringer spielt Lovely Luise. Oder nicht so Lovely, wie das Plakat andeutet, auf dem „Lovely“ gestrichen ist. Diese ist Schauspielerin, spielt in einem Theater in der Schweiz, in Zürich, das offenbar ein Boulevard-Theater ist, und wohnt eher bescheiden in einem Wohnblock im Parterre. Die Bilder von dort erinnern an einen Sterbehilfefilm von vor einiger Zeit („Satte Farben vor Schwarz“ – in diesem Film spielte eine deutsche Schauspielerin mit Hollywood-Vergangenheit die weibliche Hauptrolle). Besonders wenn aus dem Nachbarhaus noch ein Sarg herausgetragen wird.

Louise hat zwei Freundinnen ähnlichen Alters, die gerne zu ihr zum Kartenspielen kommen und die sie wegen ihrer Hollywood-Vergangenheit bewundern. Die „Kiste“ mit Fotos zeugt davon, das ist so eine der netten Miniaturen, aus denen dieser Film zusammengesetzt ist, wenn die beiden Freundinnen wieder einmal (so ist es zumindest inszeniert, dass das eine Gewohnheit sei) voller Entzücken nach der „Kiste“ verlangen, um die Freundin über ihren verblichenen Ruhm scheinheilig zu bewundern.

Luise trägt immer einen Hut. Ihr Sohn André, Stefan Kurt, wohnt bei ihr. Der ist Taxifahrer und stramm Mitte Fünfzig und mit Glatzenansatz. Er versucht, den Muttersohn als Nicht-Macho aber auch nicht ganz einfältig zu spielen, zwischen diesen beiden Eckpunkten etwas schlingernd. Sein Hobby sind Modellflieger, die er in einer Garage in einem schön fotografierten Garagenensemble fast wie in einer Höhle zusammenbastelt und die er auf einem abgelegenen Flugplatz mit anderen Modellflugbegeisterten fliegen lässt. Auch das ergibt nette Miniaturen, die drei Kollegen in ihren Blaumännern agierend wie Trillinge, nett.

Auf dem Flugplatz steht ein Imbisswagen, deren Inhaberin heißt Steffi und mit der bandelt André ein bisschen an. Einmal versuchen sie, es im Taxi zu treiben. Nachher fährt er mit nacktem Oberkörper nach Hause. Diese Figuren sind immer am Rande der Zombihaftigkeit, in manchen Szenen scheint schon der Leichensaft aus ihnen herauszutropfen. Nicht immer.

Eines Tages taucht Bill auf. Er bittet Luise um Autogramme und bringt ihr Blumen. Er behauptet, er sei ein Sohn von Louise und dem berühmten Hollywood-Regisseur Sternberg. Das führt zu ein paar Komplikationen und einem Ortswechsel nach Benidorm und zu blutigen Nasen in einem Swimmingpool; schließlich zu einer kitzligen Situation der drei in einem Auto über einem Abhang und einer riskanten Balanceübung. Weitere, nette Miniatur, mit der die Regisseurin Bettina Oberli erzählt, dass sie das auch kann.

Als Running Gag spielen belegte Brote eine Rolle, die regelmäßig ein My zu deutlich ausgesprochen werden, die sogenannten „Canapees“, hübsch wie Filmminiaturen belegte, dünne Weißbrote.

So kommt mir dieser Film vor, in Momenten entzückend, in anderen altbacken, schon etwas zerlaufen die Canapees. An „Herbstzeitlosen“ kann die Regisseurin, das war ihr Durchbruch, nicht anknüpfen. Dort hat sie mit Stefanie Glaser eine herzgewinnendere Hauptdarstellerin gehabt und die Geschichte war eine runde Komödie. Hier hechelt Oberli dem nach oder sie glaubt, es nicht mehr nötig zu haben; hier versucht sie ein filmisches Canapee zu belegen; mit durchwachsenem Geschick.

Die Musik, die sie drüber bootet erzählt mir zu prononciert vom Bemühen etwas Leichtes zu machen. Film ist Handwerk, schwingt hier mit. Aber es ist nicht unbedingt Konditor-Handwerk, wie es in der berühmten Confiserie Sprüngli praktiziert wird, das auch immer wieder vorkommt. Es gibt zum Jahreswechsel im Handel Wandkalender aus bedrucktem Stoff mit Motiven aus dem Leben drauf; so kommt mir dieser Film vor; wie liebevoll allein die Wohnung von Louise bis ins letzte Detail ausgestattet ist.

Stefan Kurt versucht, so weit wie möglich den Macher-Schauspieler in sich zu vergessen, versucht zu „sein“, perzipierend und mit innerem Monolog; das gelingt ansatzweise, lässt momentweise Kinopoesie aufflackern, über die aber gleich wieder die Wolken des Machbarkeitswahns hinwegdunkeln.

Ein Gedanke: da wird so ein Mordsaufwand betrieben mit Stars und Kamera und Dekor und Locations – und dann kommt so ein dünn belegtes Brot raus, was eher den Macheranspruch der Filmemacherin betont als eine dringliche Geschichte erzählt; Lehrfilm für Canapee-Filmer.

Was ist los mit dem fiktionalen Schweizer Kino? Lebt es noch – oder ist es schon im Sterbehilfeprogramm?

Noch so ein demonstrativ hervorgehobenes Wort: das Loch im Socken, als ob sich darum herum eine spannende Geschichte entwickeln ließe. Ja, vielleicht, aber so nicht so recht.

Eine traumhaft schöne Schlussszene hat sich die Filmemacherin auf der Flugzeugpiste einfallen lassen, aber leider war es nur ein kommentierender Einfall und nicht die Konsequenz aus einer Geschichte; schöner Symbolismus trotzdem; auch wenn die Bewegungen von Stefan Kurt qua Ausdruckstanz dieser Freiheit, die die Regie behauptet haben möchte, zu erzählen nicht imstande sind, da ist er einfach ein zu beherrschter Schauspieler – oder schlicht eine Fehleinschätzung bei der Besetzung.

Madame empfiehlt sich

Abgängige Diva entkommt ihrem Divensein nicht.

Der Zuschauer dieses Filmes von Emanuelle Bercot, die mit Jérôme Tonnerre auch das Drehbuch geschrieben hat, kommt in den exklusiven Genuss, zwei Kinostunden wie privat mit dem Faszinosum des großen französischen Filmstars Catherine Deneuve in der Rolle als Bettie verbringen zu dürfen.

Auslöser für diesen kleinen, privatistischen Roadtrip von Bettie durch halb Frankreich ist ausgerechnet ein höchst gesundheitsschädliches Gut, auf jeder Packung steht es geschrieben „Rauchen kann tödlich sein“, der Mangel an Zigaretten nämlich.

Früher hieß es, für eine Camel geh‘ ich meilenweilt. Markenwerbung ist in diesem Film allerdings nicht identifizierbar, vielleicht hat ja die Tabakindustrie als Ganzes in getarnter Manier den Film mitfinanziert, denn was so eine Diva tut, das kann nicht schädlich noch tödlich sein, bringt der Raucherei ein gutes Image, verleiht ihr den Status von Startum.

Obwohl das Drehbuch recht nonchalant skizziert wurde, mehr aus dem Gefühl heraus, so wird doch gerne, was ein französischer Filmmensch anrührt, gleich großes Kino, erst recht mit der Deneuve, die französisches Kino ist, obwohl dieser Film garantiert noch für den einfältigsten Zuschauer nicht zu schwierig sein dürfte und auch ganz gut als Hintergrundfilm laufen könnte, sei es in dem Bettengeschäft, in dem sie einmal in einem Ausstellungsbett übernachten darf, nachdem sie eigentlich nur kurz wegen Zigaretten von ihrem Zuhause, einem Restaurant in der Normandie, weggefahren ist, oder auch in einem französischen Reisebüro, so ist es schwer, sich dem Flair und der darin enthaltenen Kinogeschichte von Frau Deneuve zu entziehen.

Es bleibt dank der Unangestrengtheit von Drehbuch und Inszenierung genügend Zeit, sich mit diesem irgendwie kaum gealterten, nur etwas rundlicher gewordenen Filmgesicht zu beschäftigen, nicht nur mit dem Gesicht, mit der ganzen Person, auch wenn sie im Nachthemd dasteht oder zweifelnd im Auto fährt oder ihrem aufgeweckten, quirligen Enkel einen Klaps verpasst. Immer ist die Frage, gibt es bei so einer Ikone noch einen Unterschied zwischen privat und öffentlich? Ist da nicht alles Pose und Präsenz? Wie viele solcher Gänge hat sie schon dem Meer entlang gemacht, wie hier in der Eingangsszene, mit der Kamera hinter ihrem voluminösen Haar? Mit wie vielen Männern hat sie schon vor der Kamera im Bett gelegen, so wie hier schließlich – es wird sich die auseinanderdividierte Familie bei ihm einfinden – mit dem anderen Opa des Enkels Charly? Wie steht es mit dem Sex beim alternden Sexsymbol? Die Frage stellt der Enkel, natürlich nicht an das Sexsymbol, sondern an die Oma gerichtet, wann sie es das letzte Mal erlebt habe. Das zeigt, dass dieser Film sich für lebenspraktische Dinge interessiert.

Das Sexsymbol kommt natürlich auch noch vor. Der Anlass ist ein Fotoshooting für einen guten Zweck der ehemaligen Regional-Missen von Frankreich von 69 (Bettie als Miss Bretagne). Auch diese Zahl kann der Enkel schon sehr gut einem bestimmten Lebensbereich zuordnen.

Ein entspanntes Roadmovie aus nervösem Anlass; es kommt einem vor, als hätte die Filmemacherin fortlaufend die Handlung erfunden und dann habe man das schnell gedreht, als habe sie sich fast ein bisschen treiben lassen. Insofern sich der Film um eine wahrhaftige Ikone dreht, wird er doch ein recht erträglicher, ein Film, der sich mit dem Thema altern eigentlich beschäftigen will (der Opa: „Endstation, alles aussteigen“); das schummelt die Deneuve elegant und vollprofihaft weg.

American Hustle

Hamsterradfilm.
„Amerikanische Geschäftigkeit“ könnte der Titel auf Deutsch übersetzt vielleicht heißen. Denn geschäftig geht es in diesem Film von David O. Russel, Eric Warren Singer hat beim Drehbuch mitgewirkt, auch zu. Die rücksichtslose Hektik, das Gedränge im Kampf um die Dinge und die amerikanische Freiheit und natürlich die Moral. Das Hinterherrennen hinter der Vision von Erfolg, von Freiheit. Ja, es geht um die amerikanischen Werte. Oder deren Negativbeschreibung, was der Kampf um diese Werte für Folgen zeitigt. Ergo wird es oft hektisch und laut.

Hier wird keine Oase der Ruhe, kein Spa, keine Fachwerkstädtchenidylle beschworen. Denn alle Figuren kämpfen ständig ums Überleben oder sie glauben, sie müssen in dieser amerikanischen Gesellschaft ums Überleben kämpfen, ums nackte Überleben, selbst wenn sie schon auf einer luxuriösen Etage angekommen sind.

Unsere beiden Top-Ums-Überleben-Kämpfer sind Christian Bale als Irving Rosenfeld und Amy Adams als Sydney Prosser. Später wird sich ihnen als unheilvolles Beimischelement noch der FBI-Agent und lockige Strahlenmann (die Locken dank Wicklern) Bradley Cooper als Richie DiMaso beigesellen. Damit die Überlebenshektik in höheren Etagen noch hochtouriger werden kann. Sie wollen das ganz große Rad drehen. Sie wollen nicht nur die Mafia erledigen, sondern auch noch jede Menge Senatoren der Bestechlichkeit überführen. Ein bisschen viel vor allem für Irving und Sydney, die sich einander primär in ihrer Liebe und Verehrung für Duke Ellington verbunden fühlen, dann aber auch darin, sich mit nicht abgeholten Klamotten aus der Reinigung glamourös einzukleiden; in den geschäftlichen Amoral-Kreisen sind sie eher kleine Lichter.

Aber nicht zu schlecht. Nicht schlecht, wie Sydney die Britin Elize spielt, Eliza von, alter britischer Adel. Beste Bankbeziehungen nach England. Das zieht im kleinen Kreditbetrugsgeschäft. Den Leuten hohe Renditen versprechen und für 5000 Dollar, die garantiert bleiben, den Kreditgierigen die Kredithaie vermitteln.

Bei Sydney ist die Herkunft falsch, bei Irving die Haartracht. Der Film fängt an, wie Irving sich auf einen Auftritt mit dem erfundenen Scheich, der für New Jersey Milliardeninvestitionen der Mafia über bestochene Politiker anlocken soll, sich im New Yorker Plaza-Hotel fein macht, jetzt wissen wir endlich, wie Haarteile geklebt werden, es ist nur ein Büschel, ein Büschel Falschheit auf dem sich kahlenden Haupte, über das energisch überlange Seitenresthaare gelegt werden, damit es voller aussieht. Nur wird das nicht lange halten. Denn die Nerven liegen blank.

Nichts schlimmer, als einem Mann ins falsche Haar zu greifen, erst recht, wenn eine attraktive Frau dies tut. So weit wäre es ja nicht gekommen, Irving wäre mit Sidney längst abgehauen an einen ruhigeren Ort in ein anderes Land, wenn nicht, ja, wenn nicht dem Amerikaner und seinen Filmen die Familie über alles ginge. Und gerade die Familie, resp. die von Irving getrennt lebende Frau tritt im sensibelsten Moment auf den Plan, verlangt ihre Aufmerksamkeit und mischt als schwer berechenbarer Joker wie eine weitere Zündstufe der Rakete mit. Weil Irving einen Buben hat, dem er ein guter Vater sein will und der bei dieser Mutter lebt. Das hält Irving in den Staaten und treibt ihn dazu, die Dinge immer weiter zu treiben. Wie auf dem Jahrmarkt in einem rasenden Gefährt, was sich in immer höhere Höhen schraubt, schwindelerregend, da kann man nicht einfach aussteigen. Man war ja klein in Geschäften, ein paar Waschsalons und in den Hinterzimmern ein bisschen was Illegales, falsche Gemälde und die Vermittlung von fragwürdigen Krediten. Unentrinnbar im amerikanischen Film- und Moral(ideologie)universum gefangen. Das ködernde Projekt heißt: Rebuild Atlantic City.

Ein damals (der Film spielt in den 70ern) noch als sensationelle Neuigkeit geltender Mikrowellenherd zeigt schön wie unberechenbar und unbelehrbar die Frau von Irving ist: kein Metall hinein, meint Irving. Sie macht es trotzdem. Die Folgen sind unerfreulich.

Schönes Symbol: das Trompe l’oeil an einer Prunkdecke. Der Mensch will getäuscht sein.

Während Scorsese mit dem „Wolf of Wall Street“ in der barocken Überfülle des Luxuslebens um den Betrüger herum schlemmt, will dieser Film mit seiner Hektik und häufigen Lautstärke der Auseinandersetzung die Ohr- und Gefühlsnerven des Zuschauers direkt traktieren.

Unentschieden. Soll ich diesen Film gut finden?

Oder ist er mir einfach zu fett moralisch. Wer die Unmoral so ans Tageslicht zerrt, der spricht doch von Moral. Der will sie einem einhämmern. Auch wenn sie selber wiederum nur Mittel zum Zwecke wird, also die Unmoral durch die Unmoral oder den Überehrgeiz eines FBI-Beamten die kleinen Lichter statt sie einzulochen für den ganz großen Coup einspannen will. Wobei der Film von den beiden „kleinen“ Lichtern Irving und Sydney ausgeht, indem die beiden oft auch als Erzählstimmen zu Wort kommen.

Der Film will vielleicht Amerika-Kritik sein, indem er so tut, als seien das die normalsten Dinge in Amerika. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob sie es auch sind.

Winter’s Tale

Nichts passiert ohne Vorsatz. Einer hat ein besondereres Schicksal als der andere und kann sogar ein Stern werden.

In diesem Film von Akiva Goldsman nach dem Roman von Mark Helprin dreht sich alles um das Schicksal, das wir nicht selbst in der Hand haben. Wir müssen schon dem Geheimnis verbunden sein. Es gibt geheime Kräfte, zu denen nicht jeder Zugang hat. Das Geheimnis von Licht und Strahlen. Vielleicht auch der Liebe? Das Geheimnis kann einem Auserwählten einen Schimmel schicken, der gegebenenfalls auch fliegen kann. Einem Menschen, der 2014 noch so alt ist wie 1916. Dumm nur, wenn sein Gegenspieler auch nicht altert und hinter ihm her ist.

Die Hauptfigur in dieser teils opernhaft-staatstheaterlichen Inszenierung auf höchstem Niveau ist Colin Farrell als der Klempner und Gauner Peter Lake. Er schaut gerne sinnlich und literarisch. Ihm haben sie ein Art Schmachtfrisur und überdimensional balkenhafte Augenbrauen verpasst.Sein Ziehvater war Pearl Soames. Russell Crowe spielt diesen mit z-förmiger Narbe auf der Wange so, dass man immer das Gefühl hat, er müsse sein Gesicht ruhig halten, damit das Maskenteil nicht runterfällt, das gibt der Figur eine leicht bedrohliche Statik. Peter Lake, das Waisenkind, erzählt in einer anrührenden Szene, wurde von Pearl aufgezogen und in seine verbrecherischen Dienste gestellt. Inzwischen ist Pearl allerdings hinter ihm her.

Lake ist eben bei einer reichen New Yorkerin eingestiegen, hat just den Tresor mit sensiblem Hinhorchen geöffnet; da kehrt die Klavierspielerin zurück. Ohne den Tresor zu öffnen geht er auf sie zu. Faktisch ist es bereits geschehen. Schon trinken sie ganz brav eine Tasse Tee. Das Schicksal hat zugeschlagen. Pearl will nun, um Peter habhaft zu werden, seine Freundin verschleppen. Gottseidank gibt’s den Schimmel, der fliegen kann. Die beiden landen auf dem Landgut ihres Vaters.

Und so weiter. Dazu gibt’s ständig wie eine Endlosschlaufe RoCo-Musik, auch sensibel. Die New Yorker Central Station spielt eine wichtige Rolle in den drei Phasen des Filmes, die erste spielt um 1895. Und ein Schild „City of justice“ ist auch in jeder Phase von präsentierter Wichtigkeit. Durch die gewisse Kostüm-und Ausstattungsstarre wirken computeranimierte Lichtstrahlen, die diese schicksalshaften Beziehungen symbolisieren, leichter und zauberhafter.

Ein schöner Effekt ist, wenn Pearl Peter sucht. Er lässt Licht auf einen Teller voller Juwelen scheinen, dieses wird über die Steine auf einen Tisch weitergeworfen und lässt dort 3dimensional das Gebäude entstehen, in dem Peter sich versteckt. Es ist die Central Station.

Eine Szene mit einem Optiker, auch da geht es um das Werfen des Lichtes. Und damit der Magie. Trockener Witz. Erste Begegnung von Peter und Beverley, so heißt seine Angebetete, die gerade Klavier spielt. Er macht einen Tritt auf dem Holzboden. Das hört sie. Sie wendet sich um und sagt: Sie haben eine Pistole. Er entschuldigt sich mit dem Satz, es knarzt, es scheint, er will sich dafür entschuldigen, dass er ihr Klavierspiel gestört habe.

Goldsman erzählt diesen Roman so gemütlich, als sitze man gemeinsam am Kamin vor einem Bilderbuch, bekomme die Geschichte vorgelesen, und blättert Seite um Seite um.

Preis des Goldes (TV BR)

Eine Erlebnisdoku aus der Mongolei. In 90 Minuten über 270 Tage mit illegalen Goldsuchern in der Wüste Gobi verbringen, wer kann das schon, noch dazu ohne jedes dämliche Interview-Statement.

Sven Zellner und Chingunjav Borkhuu haben zwei Bosse und drei Arbeiter bei ihrem Vorhaben begleitet, in der Wüste Gobi in der Mongolei mit primitivsten Mitteln und ohne jeden Arbeitsschutz nach Gold zu graben und es abzubauen. Die Dokumentaristen haben sich als Dokumentaristen angenehm zurückgehalten, sie waren einfach dabei. Dass sie dabei sind, lassen sie nur in wenigen Momenten spürbar werden, wenn der eine Arbeiter, bevor er wieder in das 20 Meter tiefe Loch herunterklettert und der Kameramann schon unten ist, ruft, er werde jetzt mit dem Arsch in die Kamera springen oder einer der faulenzenden Bosse, der für die Kamera mit Armen und Beinen im Liegen Blödsinn macht und witzelt, er werde jetzt für die Deutschen den Bauch zeigen..

Die Prospektion von Bodenschätzen ist in der Mongolei aufgeteilt auf internationale Bergbaukonzerne. Aber die Armut im Lande zwingt die Nomaden, die sich das nie hätten träumen lassen, an illegalen, waghalsigen Goldsuchunternehmen mitzutun. Wenn als Arbeiter, dann ausgebeutet und immer wieder blöd hingestellt von den Bossen, die das Boss-Sein zur Genüge raushängen, die ihre Wampe in die Sonne hängen. Andererseits kümmern sie sich persönlich um das Wohl der Arbeiter. Schauen dass Verpflegung da ist, eine bescheiden Jurte aufgebaut wird. Dabei ist eine Köchin, die Angst vor den Männern hat, wenn sie in die Stadt fahren zum Saufen, dann versteckt sie die Messer. Die Bosse fahren nach Ulan Bator, wenn der Motor des Generators kaputt ist oder Benzin für dessen Betrieb gebraucht wird. Dieser treibt den Presslufthammer an, der tief unten in vollkommen ungesichertem Loch oder Querstollen eingesetzt wird.

Wenn aber die Arbeiter auf eine Goldader stoßen, dann sind die Bosse ganz auf Zack, dass die Arbeiter nichts klauen. Insofern müssen sie immer vor Ort sein. Sie schaffen auch das einfache Gerät herbei. Ihr Jeep ist in guter Verfassung und nicht allzu alt, während der Pressluftbohrer, der Generator, die Seilwinde aus dem Museum stammen könnten. Das Dynamit wird mit nur minimalsten Vorsichtsmaßnahmen in die Bohrlöcher gestopft und zur Explosion gebracht.

Ein Festessen gibt’s, wenn Nomaden mit Ziegen vorbeikommen. Nach kurzem Handel wird eine abgekauft und mit einem gezielten Stich in die Bauch- und Herzgegend, ohne dass Blut herausspritzt, in wenigen Sekunden getötet.

Es ist ein mühsames Gewerbe, diese primitive Goldsucherei. 10 Tage, 20 Tage und nicht fündig geworden. Zwischendrin kommt bei den Arbeitern der Wunsch auf, aufzuhören. Sie arbeiten ohne jeden Schutz im Staub, den der Abbau oder das Mahlen des Gesteins aufwirbelt, ohne Atemmaske und ohne Handschuhe rühren sie mit den nackten Händen im Quecksilberbrei herum. Nach 20 Tagen fruchtlosen in die Tiefe Schaufelns reicht es dem Boss, er zieht einige Kilometer weiter an eine bekannte Ader. Aber die Explosion ist meilenweit zu hören. Bald schon taucht aus der Wüste ein Nachbar auf. Das Gerücht kann sich in Windeseile verbreiten und alle wollen was davon, die Nomaden, die Polizei, die Nachbarn.

Dass 100’000 Mongolen illegale Goldsucher sind, wie uns der Vorspann suggerieren will, halte ich allerdings für übertrieben, gerade weil es in der Wüste so auffällt; oder es sei denn, viele machen das hobbymäßig nebst dem Nomadenleben. Die Bosse, die haben Knast- und Schlägerkarrieren hinter sich; der eine hat eine fette Narbe quer über eine Wange. Sie loben aber auch die Freiheit ihres illegalen Unternehmertums, denn sie könnten durchaus auch legal für 500 Euro im Monat bei einem der internationalen Konzerne anheuern.

Secret State (DVD)

In Riesentempo baut die Drehbuchspinne ihr dichtes Netz auf und nimmt den Zuschauer in diesem Politthriller gefangen. Wenn der deutsche Tatort oder Polizeiruf sonntagabends wie das Sandmännchen die vor dem Fernseher versammelte Bevölkerung vor dem Hintergrund eines Sozialgemäldes mit dem Statement beruhigt, dass die deutsche Polizei noch funktioniere und man also beruhigt sich zu Bett begeben können, so wird hier mit großer Härte und voller Risikobereitschaft die Frage nach dem Funktionieren des demokratischen Systems in Zeiten der Megakonzerne, der Macht der Banken und Lobbies und deren geldgieriger Rücksichtslosigkeit gestellt.

Die rasante Exposition dieses britischen TV-Vierteilers, von Robert Jones und Chris Mullin geschrieben und von Ed Fraiman inszeniert, fängt mit einem Hammer an. Der britische Vizepremierminister, Gabriel Byrne als Tom Dawkins, die Hauptfigur, besichtigt, begleitet von einem Pulk von Männern in schwarzen Mänteln, die Folgen einer Explosion in einer Ölraffinerie in der Grundschule im angrenzenden Scarrow-Park. Tote Kinder, Trümmer in schwarz-weiß und leicht koloriert gezeigt bewirken einen schaurigen Effekt.

Der Vizepremier besichtigt den Ort des Grauens, weil der Premierminister gerade im Ausland weilt. Dieser ist zu Besuch ausgerechnet bei jenem amerikanischen Konzern Petrofex, dem die Anlage, die jetzt die Katastrophe ausgelöst hat, gehört. Es soll schon einmal in einer Anlage in Amerika zu einer ähnlichen Explosion gekommen sein.

Kaum hat der Zuschauer diesen ersten Teil der Exposition zur Serie verinnerlicht, folgt die zweite Katastrophe. Das Flugzeug des Premierministers, merkwürdigerweise eine Maschine von Petrofex, verschwindet auf dem Rückflug über den Atlantik vom Himmel. Mitten in einem Gespräch mit Dawkins bricht der Kontakt ab. Es wird sich herausstellen, dass das Flugzeug über dem Meer abgestürzt ist. Die Suche nach der Blackbox wird eine Frage sein, die immer wieder auftaucht. Interessant: die Firma Petrofex gehört der Royal Caledonian Bank, die wiederum, man fasst es kaum, der britischen Regierung gehören soll.

Zwei große nationale Tragödien also am Anfang dieser Serie, deren Aufarbeitung resp. Versuche zur Vertuschung, die Serienmechanik auf Hochtouren bringen werden.

Aber nicht genug der Konflikte. In Kürze steht die Wahl einer neuen Regierung an. Es gibt mehrere Figuren, die nach dem Posten des Premierministers streben. Alle wollen sie den beim Volk beliebten Dawson als Vize behalten und der möchte auch gar nicht Premier werden. Nicht unbedingt aus Bescheidenheit, auch wenn er beim Volk so ankommt, sondern weil auch er eine (belastende) Vergangenheit hat, wie die meisten prägnant gezeichneten Figuren in diesem Netz oder bei diesem riskanten Ritt über den Bodensee, wo jederzeit das Eis einzubrechen droht. Der Held hat eine schwache Stelle.

Weitere Mitspieler von Dawkins der kommenden Verwicklungen dieses Tanzes auf dem Vulkan sind verschiedene Geheimdienste, sein alter Freund Anthony Fossett, Alkoholiker, aber ganz fit in Geheimdienstsachen, Abhörstationen der Geheimdienste, das Gewusel an Personen um den Premierminister herum, Militärs, die Medien, besonders die Journalistin Ellis Kane, die gewillt ist, tief in der Vergangenheit von Dawson, der inzwischen Premier geworden ist, zu bohren.

Ein Polit- und Machtthriller der brillanten Art verblüffend nah am Puls der Zeit. „Was ist das für ein verkacktes Spiel?“. Wenn man ihn gesehen hat, schaut man TV-Auftritte von Politikern vielleicht mit etwas verändertem Bewusstsein an. Ferner wirken die in Deutschland so umstrittenen Drohnen, auch das Töten damit, und ein geheimnisvoller, nicht ungiftiger Treibstoff für sie, PFX44, als Spannungsantreiber mit.

Es gibt nichts, was den Fortgang der Handlung bremst, die Szenenfolge ist rasch, aber wirkt nicht aus Prinzip TV-mässig kurzatmig, sondern der Spannung geschuldet. Die aber eher noch gefördert wird mit einem Satz in der Pathologie „Es ist eigenartig friedlich hier“. Dabei hat der Pathologe ein ziemlich aufregende Entdeckung gemacht.

Zwischendrin eine kurze humorige Szene in einem Club, wie der alte Freund Fossett den Premier trifft, ihn fragt, wer von den umstehenden Figuren, die so tun als ob sie Billard spielten, vom Geheimdienst sei; daraufhin macht Fossett eine Angriffsbewegung auf Dawkins und die Geheimdienstler entlarven sich.

In der zweiten Folge fällt vor allem auf, wie Dawkins als Premier Ausbrüche aus dem strengen Gespinst, was seine Entourage um ihn legen will, versucht und Dinge direkt an die Öffentlichkeit bringt, riskantes Spiele, indem er zeigen will, dass er nicht korrumpierbar sei, nicht manipulierbar. Wobei auch er trotzdem wirkt, als sei er nicht nur die integre Figur und die Infos dazu mehren sich ja auch. Im Wahlkampf hatte er versprochen, gegen die Exzesse der großen Konzerne zu sein. Und steckt doch mitten in der Zwickmühle einer solchen Auseinandersetzung, denn er soll die „Freunde“ der Regierung nicht vergessen, wird ihm zugeflüstert; er will aber auch nicht vergessen, wer ihn und seine Regierung gewählt hat.

Zusätzlicher Spannungsanheizer am Ende der zweiten Folge, die die ganze Geschichte ins weltpolitische Spannungsfeld rückt: die Information, dass der Angriff der Drohne auf die afghanischen Taliban auf iranischem und nicht auf afghanischem Boden erfolgt sei.

„Sie kommen an der Spitze an und dann müssen Sie erkennen, dass Sie gerade in der Mitte sind“, so Dawkins. Oder wie die Demokratie sich von der Demokratie entfernt.

Dawkins fängt als Halbschuh an. Und wie er sich hält an der Spitze, das ist spannend zuzusehen wie Artisten im Zirkus auf dem Hochseil oder wie einer Figur, die versucht auf dem Kulminationspunkt eines Geysirs sich zu halten, auf einem sich stets kraftvoll erneuernden Energiestoß aus persönlichen Ehrgeizen einzelner Figuren, Konzernen, Geheimdiensten, Kriegsdrohungen, Interessen an Kriegsbegründungen, von sich übergangen Fühlenden, merkwürdigen Thesen vom übergeordneten Wohl und deren Interpretation, Wirtschaftskrieg, Drohung von Sanktionen oder von Produktionsverlagerung ins Ausland, Währungsspekulation, Fraktionszwängen, Vertuschung und Fehlinterpretationen von Informationen, Forschen in der Vergangenheit (er war in Bosnien) und der Aussicht auf einen Ölpreisanstieg weltweit.

Wie Dawkins die Strecke oben überstanden hat, Ende Teil vier, da schwingt er sich zu einer famosen, brillanten Rede vor dem britischen Parlament auf, das kurz davorsteht, einen Krieg gegen Iran zu beschließen und welches davon das Überleben des Premiers abhängig macht, einer Rede, die die Maßstäbe der Demokratie, natürlich wirkt das hoffnungslos idealistisch, wieder ins Zentrum des Handelns verlegt. Ein bisschen wie Schröder und sein Nein gegen den Eintritt in den Irakkrieg. Das dürfte hier durchaus reflektiert sein. Da hat Dawkins den Rat des Seniors im Parlament wörtlich genommen (so dass es diesem dann zu viel wird): Fossett würde wollen, dass Sie ihren Mann stehen und hohe Wellen schlagen.

Für das dreckige Geschäft, das in dieser Serie beschrieben wird, ist die industrielle deutsche Nachsynchronisation passend.

Dawkins Rhethorik-Coup: Bin ich mir sicher, dass …? Nein, bin ich nicht (hier lachen die gegen ihn gestimmten Parlamentarier noch; hier gibt er ihnen recht in einem Punkt, von dem sie auch nicht überzeugt sind); dann stellt er die Frage zu weiteren Punkten, nach demselben rhethorischen Muster „Bin ich mir sicher, dass…? wobei jetzt das Nein der Antwort ihre Mienen gefrieren lässt.

Dallas Buyers Club

Ein cowboylockerer AIDS-Film nach einer wahren Begebenheit von Jean-Marc Vallée nach einem Drehbuch von Craig Borten und Melisa Wallack inszeniert oder Solo für einen nicht-schwulen, aidsinfizierten Cowboy, eine Soloshow für den Schauspieler Matthew McConaughey als Ron Woodroof.

Um ein AIDS-Symptom glaubwürdig dazustellen, nämlich die Abmagerung, hat McConaughey richtig gehungert. So wirkt er authentisch. Dabei ist er so schon eine Type mit seinem markanten Gesicht. Man nimmt ihm jedenfalls den Rodeoreiter, den Trinker, den Weiberhelden, Raucher und Kokser problemlos ab. Ein Typ ohne Kompliziertheit, direkt, der keinen Wert auf Benimm-Regeln legt. Abgemagert ist er wie ein Krebspatient (gegen Ende des Film bessert sich das dann wieder).

Der Arzt stellt die deprimierende Diagnose AIDS, er habe noch 30 Tage zu leben. Diese Tage verbringt Ron nun nicht als braver Patient, der untertänigst die ärztlichen Vorschriften befolgt und gebannt und erstarrt seinem Tod entgegenblickt. Ron macht sich in einer Bibliothek selber kundig (Cowboy mit Intellektuellenbrille) und misstraut dem Medikament AZT, das zu der Zeit als einziges verschrieben wird.

So wie er ohne Hemmung sich aufs Rodeopferd setzt, so setzt er sich direkt auseinander mit den Strukturen zwischen Medizin und Pharmaindustrie. Fängt auf eigene Faust, aber auch in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen an, sich andere Medikamente zu beschaffen, auch wenn er dafür bis Japan jetten muss. Er tut sich mit dem schwulen aidskranken Rayon zusammen (allen seinen Schwuchtelvorurteilen zum Trotz, aber auch das letztlich unkompliziert) und macht sogar ein Geschäft mit alternativen Heilmethoden, mit andern Medikamenten, die er sich auf illegalen Wegen beschafft; Mitgliederbeitrag ist 400 Euro.

Die Schulmedizin und die Pharmaindustrie können solche Eigeninitiativen nicht abhaben, sehen ihr Geschäftsmodell gefährdet; sie setzen die Staatsgewalt gegen Ron in Bewegung.

Bei all der Kämpferei und den Versuchen mit anderen Heilmitteln, setzt Ron sein Leben immer weiter fort. Aus den 30 Tagen werden über 2000, die er noch lebt und sich für sinnvolle Heilmittel gegen AIDS einsetzt.

Der Film ist ein chronologischer Bilderbogen mit gelegentlichen Zeitangaben, Tag 1, Tag 7, 6 Monate später, 30 Tage später, 2 Jahre später. So locker wie der Umgang mit diesen Zeiten, so locker wirkt Inszenierung, Szenenauflösung, Dialoge und Montage. Wie ein von Cowboys frisch und munter in der Freizeit an einen Stall gemalte Betrachtung ihres Lebens, bunt, lebendig, unpingelig, unverbissen, cowboyaffines Kino mit anderem Thema, ohne hinterlistiges Kalkül auf Erfolg, ohne Zurückhaltung der Energie oder deren raffinierte Zügelung, frisch von der Leber weg, ein plastisch physisches Kino. Es wirkt wie muntere Impressionen einer Aktion einer NGO, locky-flocky Erzählweise und noch ein sich anbahnendes Verhältnis zu der Ärztin mit den unnatürlich breiten Lippen.

Buntes AIDS-Drama in einfachen Pinselstrichen, was nicht versucht hinter die Dinge zu schauen, sondern sie eher naiv aber mit unverstelltem Blick nachzeichnet, hastig zwar, denn die Zeit läuft, aber sich durchaus wiederum an einem Tinnitus-Effekt im Subjektiven verlieren kann.

Vaterfreuden

Tragisch an diesem Film ist nicht der Film selber. Tragisch daran ist, dass während hier begabte filmische Jugend, die sich ihre ersten Erfolgssporen längst verdient hat und also gut selbstbewusst und mit Elan sich ihren nicht ganz stromlinienförmigen Film bastelt, der sich um ihr eigenes Thema, die Vaterschaft dreht, dass währenddessen die Politik in Berlin sich an den Renten dieser hoffnungsvollen Generation vergreift.

Kein Wunder kommt diese ältere Generation im Film kaum oder nur halbsenil vor. Es ist dies der Papa der beiden ungleichen Brüder Felix, Matthias Schweighöfer, und Henne, Friedrich Mücke als schauspielerischem Salz in der Suppe.

Die simpelste Erwartung an den Titel „Vaterfreuden“, Windeln, Babybrei und Kinderwagen, wird gleich zielbewusst konterkariert. Sie machen ein richtiges Kinofass auf, sie die Autoren Christian Lyra, Murmel Clausen, Sebastian Wehlings und Andrea Willson und der Regisseur Matthias Schweighöfer mit der Exposition ihres Begriffes von Vaterfreuden: mit Frettchen, was auch als Wischmob missbraucht werden kann, Honig, Sado-Maso-Fesselung und einem zerbissenen Skrotum schaffen sie die Voraussetzung für die Unfruchtbarkeit von Felix. Zum Glück war er Samenspender, logo, dass die Jungs sich ein paar Witzchen zum Thema nicht verkneifen wollen. Es geht jetzt im konventionellen Teil des Filmes darum, dass Felix die Trägerin seiner Spende herausfindet, ihr nachstellt und so, wer weiß, doch noch den Traum realer Vaterschaft erfüllen kann, das perfekte Glück, so wie es für das bisherige Schweighöfer-Universum in der Hülle des lächelnden, begehrenswerten Schwiegersohnes ausgedrückt wurde.

Als Helfer, und gelegentlicher Vermassler in der Sache agiert sein Bruder Henne. Friedrich Mücke tastet sich mit der Rolle behutsam in jene Region von Filmkomik vor, in der aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird. Im Gegensatz zu Alexander Fehling, der selbiges neulich bei „Buddy“ versucht hat, gelingt es Mücke im verhaltenen Rahmen so, dass bei Weiterentwicklung noch einiges zu erwarten wäre in dieser Hinsicht.

Die Trägerin der Samenspende ist eine Moderatorin bei Sky, Maren. Mit Produktwerbung geht diese Generation ganz sorglos und vermutlich finanziell sich lohnend um. Auch wenn der BR mitproduziert hat. Maren hat diese Maske, an der alles abperlt und eine Stimme, die nie eine Verletzlichkeit zeigen würde, wie sie erfolgreiche Moderatorinnen auszeichnet. Und ist leider schon liiert. Aber mit einem ziemlichen Waschlappen von Typen. Den Rest kann man sich denken.

Das Thema dieser Generation dreht sich also munter nach einem Drehbuch, das wie aus Krümeln aus Vorbildfilmen zusammenklamüsert scheint, um sich selbst, um ihr Glück. Und Schweighöfer ist klug genug, nicht durchgehend sein Schwiegersohn-Strahlen, das ihm bislang einigen Erfolg beschert hat, aufzusetzen. Was das Ganze aber doch wieder auf das Format einer gehobeneren Buddelkastenübung reduziert, das ist die völlige Absenz einer Welt jenseits dieser Filmambition, die Abwesenheit jeglichen Blickes auf die gesellschaftliche Realität drum herum, die reduziert sich auf X-Games, Samenbank, und fette Spermawitzchen, inklusive Hochzeitskleidstottermonolog, und bald schon wird der Frettchenhumor mit dem Herz-Schmerz-Topos aus Glücks-, Sehnsuchts- und Missverständnisfetzen ersetzt. Ein Weltkino scheint nach so einem Film zu beurteilen, nicht zu existieren. So bleibt die Chose doch sehr deutsch-provinziell.

Drehbuch: kunterbunt wie ein Kuhwiesenteppich. HappyMeal-Kino
Lebensweisheitssprüche wie den von den angewachsenen Ohrläppchen oder warum haben wir eigentlich nie Zeit für das, was uns wichtig ist und dann noch über die Wichtigkeit der Träume.

Zwischen, was hier ist und dem was ein großer Kinotraum ist, da gibt es allerdings noch genügend Spiel- und Entwicklungsraum; am krassesten fehlt leider eine ältere Generation, an der die Kids sich reiben könnten. Aber die ist mit Rentenraffen beschäftigt und die Jungen scheinen mit sich und ihrer Welt zufrieden und sich bestens zu amüsieren.
Insofern machen sie also nichts Dümmeres, wie zum Beispiel in den Krieg ziehen.

Meine Schwestern

Stilvoll, bedeutungshaft inszenierte, deutsche Tumor-Befindlichkeit.
Hier wird über dem Untertext, dass es um die Nouvelle Vague heute beschissen stehe, viel Moral gepredigt. Dieser Befund lässt sich im Film von Lars Kraume nach einem Drehbuch von Esther Bernstorff durchaus ablesen. So weit der Film auch als eine Beschäftigung mit Kino gelesen werden möchte.

Gab es in der Nouvelle Vague noch den waghalsigen Kurzfilm eines ihrer Protagonisten in einer einzigen, zehnminütigen Einstellung, wie ein Lover in einem roten Ferrari durch das frühmorgendliche Paris rast, zum Glück ist niemand zu Schaden gekommen, ohne Absperrung, ohne Drehgenehmigung, und traf sein Date pünktlich auf Montmartre, so stochert bei Kraume Ernst Stötzner in einem grauen Maserati durch den täglichen Parisverkehr, um auf Montmartre die abgängige Protagonistin aufzufinden. Sie steht ihrem eigenen Tod bereits sehr nahe. Kein Tumorfilm zwar, aber einer, der wenig Hoffnung, auch wenig Hoffnung auf ein neues Kino macht. Der eher deprimiert festzustellen scheint, heute ist mit den größten Actricen außer „wir müssen aufstehen“, „ich muss nach Hause, ein paar Sachen holen“ „Wir wollen nach Tatin fahren“ kaum mehr Dialogstaat zu machen, auch wenn die fabelhaften Schauspielerinnen nicht verhehlen, dass sie allesamt die Medea spielen könnten oder ebenso gut „Drei Schwestern“ von Tschechow. Aber das sind Tempi passati. Heute sind die Texte beschissen alltäglich und auch das Wort „Scheiße“ aus solch kostbaren Mündern darf nicht fehlen. Vielleicht die Erkenntnis, dass Kunst heute nichts zu bieten hat, selbst wenn sie es kunstvoll tut. Dass das einzige, was ihr geblieben ist, die Geste, der Duktus des Kunstvollen ist.

Kraume zeigt aber auch, dass wir in einer künstlerisch-ästhetisch armseligen Welt leben. Kein Tschechow möglich. Bei Tschechow pflegte man sich gepflegter zu langweilen. Tschechow braucht keinen medizinisch prognostizierten Tod, um eine Figur sich langweilen zu lassen.

Nach einem Buch von Esther Bernstorff verkünden in der Regie von Lars Kraume großartige Darstellerinnen, dass es Scheiße sei, mit dreißig zu wissen, dass man bald stirbt.

Ein Film aus dem Jenseits, denn der erste Erklärmonolog spricht eine bereits Verstorbene, die Hauptfigur Linda, die mittlere der drei Schwestern, die im Hauptteil des Filmes ihre letzten Tage miteinander verbringen. Das Bild dazu ist biederes, deutsches Fernsehen. Krankenpersonal schiebt ein Bett mit der zugedeckten Toten in die Kühlräume des Spitals, der nackte Unterarm eines der Pfleger ist stark tätowiert. Die Leiche wird ins Kühlfach geschoben. Es folgen die Titel und die gesprochene Erklärung, dass alles anders komme als man denkt und am wichtigsten sei, was vorher war. Alltagsweisheit und Biedermeierphilosophie?

Es folgt ein engagierter Kirchenchor. Im Moment der schönsten Musikemotion erfolgt ein Schnitt. Die Hauptdarstellerin, die im Ehebett neben ihrem Mann liegt, kotzt in einen Eimer. Der deutsche Alltag, das Dozieren desselben mit herrlichen Medea-Figuren, die diese Alltagssätze sagen müssen, kann nun beginnen.

Halt, vorher erfahren wir noch in Voice-Over die Charakterisierung der drei Schwestern. Die älteste, große, die immer stark sein muss, die jüngste, die Behütete, die üblichen Klischees halt und die mittlere, Linda, die hat von Geburt an einen Herzfehler. Erklärkino. Sie wird den Film nicht überleben.

Um die Zeit vorher noch zu genießen, will sie mit ihren beiden Schwestern nach Tating bei St. Peter-Ording in Nordfriesland fahren. Auch über das Glück in der Jugend in Tating gibt es eine rein-sprachliche Erklärung, im Bild dazu sieht man zwei der Schwestern im Fond einer Taxe Semmeln essen. Nach verkrampftem Gelächter beim Inspizieren der bekannten Räumlichkeiten von Vater Abraham (auch dieser Name zeigt, in welcher Dimension der Film denkt – oder bewusste Groteske?) wird als inhaltlicher Input in einer Kneipe in Tating eine Frauengruppe, die in schwarzen Lockenperücken einen Jungesellinnenabschied feiert, den Spruch in den Film einbringen „heute hau ich auf die Kacke“, eine verlängerte Version wird ganz am Schluss des Filmes als bedeutungsvolle Botschaft auf einem Zettel von einem Krankenhausmitarbeiter an die wartende, kleinere Schwester übergeben werden. Nachts geistern die drei Schwestern im Speisesaal herum.

In dieser Region des Filmes gibt es voice-over auch einen literarischen Hinweis zur Message des Filmes, mit dem Merksatz über glückliche und unglückliche Familien, die sich ähneln – oder auch nicht – eines namentlich nicht genannten, berühmten Autors, das innere Dozierneed des Filmes offenbarend.

Es folgt wieder eine symbolhaft aufgeladene Szene in der Kirche zu Orgelmusik, die in den drei Schwestern die Idee einer Reise nach Paris weckt. Unterwegs ruft der Papa an und die Tochter am Handy gibt vor, ihn schlecht zu hören, denn die Familie ist eine der unglücklichen und die Töchter hören den Vater, der nur Erfolgsmeldungen will, nicht gern.

Ab und an bricht Linda zusammen, beispielsweise während die Schwestern in der Bäckerei Brötchen kaufen wollen oder beim schweren Treppensteigen auf den teppichbelegten Stufen in der Absteige in Paris; was jedes Mal Szenen zur Folge hat, die zeigen, dass in Deutschland unbedingt mehr Erste-Hilfe-Kurse angeboten werden müssten, immerhin weiß dann doch jemand „aufs Bett, aufs Bett!“.

In Paris folgt bei Ernst Stötzner, den die drei Schwestern aufsuchen, ein pseudoseelsorgerliches Gespräch auf dem Balkon mit der Todeskandidatin und anschließendem heftigem Lippenkuss der beiden. Worauf Linda in die Pariser Nacht hinaus und die Treppen zum Montmartre hinaufstürmt.

Bald darauf erfolgt die eingangs erwähnte verschämte Referenz an die Nouvelle Vague: hier klappt das Date am Montmarte auch insofern, als das Innere des Montmartre wieder sehr viel getragene Messdieneratmosphäre kreiert und das Kuppelbild mit dem auferstandenen Christus lenkt kurz ab von der filmischen Tristesse der Lebenszeichnung eines deutschen Filmes.

Von Angela Winkler wird in diesem Film in Erinnerung bleiben dass sie präzise platziert vor der Anrichte rote Paprika schneidet und ein andermal ganz genau auf einer Position im Salon hingestellt mit der Polizei telefoniert und einmal noch kniet vor einer Szene als sei sie in der Kirche.

Das war es mit dem Dozieren drögen deutschen Alltags im deutschen Kino mit wunderbaren Schauspielerinnen, für die diese Texte reine Talentverschwendung bedeuten.

Deutsche Seele, schwer und bedeutungsvoll, voller Scheiße.

Go ahead, make my day.