Die Poetin

Streng szenengetaktetes, zügiges Biopic über die New Yorker Schriftstellerin und Pullitzer-Preisträgerin Elizabeth Bishop.
Vorlage für das Drehbuch von Matthew Chapman und Julie Sayres ist der Roman von Carmen L. Oliveira und das Drehbuch von Carolina Kotscho. Die Regie führt der Brasilianer Bruno Barreto. Die Produktion ist eine brasilianische, wenn auch überwiegend auf Englisch gesprochen und im Hauptteil in Rio spielend.

Elizabeth Bishop, die in New York lebt, erhofft sich von einer spontanen Reise nach Brasilien Abwechslung und Inspiration. Sie wird dort abgeholt von ihrer Studienfreundin Mary, die mit der Architektin Lota ein Leben in schöner Zweisamkeit führt. Brasilien ist recht tolerant, scheint es.

Der Beginn des Filmes ist in den frühen 50ern angesiedelt. Zwischen Mary und Elisabeth hatte es platonisch schon gefunkt während dem Studium. Lota, die Frau, die die Hosen an hat, das Geld verdient, den Bungalow baut, verliebt sich sofort in die unnahbar und passiv wirkende Dichterin, deren Werk sie selbstverständlich kennt. Es wird peinlich für Elizabeth, wie beim Willkommensessen ihre Verse rezitiert werden, auch von Carlo, einem Mann, der in dem Frauenhaushalt gern gesehener Gast ist. Er wird später politische Ambitionen haben, was wiederum der Architektin nützt, die die Idee zu dem inzwischen berühmten Flamengo Park mit irrsinnshohen Laternen hat, die ein Licht wie der Mond verbreiten sollen. Sie wird den Park auch realisieren. Bis es soweit ist, rotiert das Beziehungskarussell der drei Damen. Lota hat Mary kalt gestellt aber mit der Adoption eines armen Mädchens schadlos gehalten. Sie darf weiter im großzügigen Bungalow der Architektin wohnen. Für Elizabeth, die inzwischen den Pullitzer-Preis gewonnen hat, hat sie einen eigenen, kleinen Dichterpavillon mit einem wunderschönen, nierenförmigen Arbeitstisch und Ausblick über den kleinen Park und auf den Bungalow entworfen. Wenn Elizabeth Bedarf nach Eifersucht hat, kann sie von dort aus mit dem Feldstecher die Vorgänge vorm Hauseingang beobachten.

Elizabeth hat einen Hang zum Alkohol. Zum Drama entwickelt sich die Geschichte einige Jahre später, wie sie für ein paar Monate das Angebot einer Gastprofessur an der New York University Hals über Kopf annimmt. Die scheinbar so starke Lota verliert durch diesen Verlust ihren Halt, landet in der Psychiatrie, die immer noch eifersüchtige Mary spielt ein unrühmliches Spiel. Inzwischen liegt Elizabeth in New York mit einer neuen Liebe im Bett.

So kursorisch, wie ich das hier zu rekapitulieren versuche, so kursorisch hat Bruno Barreto das inszeniert, zügig, ohne sich bei Details und Finessen aufzuhalten. Was zur Folge hat, dass die Spielbreite der Schauspieler sich auf ein relativ schmales Band reduziert, immer situationsgerecht, kaum Facetten möglich innerhalb einer engen Gefühlsbandbreite und noch weniger eine Entwicklung außer der zum Alkohol hin oder zum psychischen Zusammenbruch.

Gerade durch dieses zügige, erzählerische Voranpreschen scheint der Stoff mit der Zeit eher zäh. Weil keine Überraschungen mehr zu erwarten sind, außer den Wendungen im Plot, aber nicht in den Figuren; wobei mir die Darstellung der Dichterin durch Miranda Otto sich allzu sehr auf die Passivität und die Upper-Class-Blasiertheit zu beschränken scheint; wodurch kaum Raum bleibt für die geistige Aktivität der Dichterin, ihre Durchdringung der Umwelt und den Pep, der zum Schreiben nötig ist.

Die Schilderung bleibt äußerlich, feines Leben in Brasilien, Gesellschaft und Dienerschaft; einmal kurz die Armut der schwangeren Mutter, die eines ihrer sieben Kinder verkauft. Sonst Pool und Palmen und Strand und feine Interieurs, grüner Rasen, Sonne. Und die entsprechenden Kleidungen, immer fein angezogen, nie leger, teils auch recht amerikanisch steif die Dichterin. Sie ist nie locker. Sie wirkt, wie in einem fremden Körper, in einem fremden Ich. Als Begründung werden Verluste angeführt. Eher ein Film wie mit Dispersionsfarbe aufgetragen, ein plakatives Wandgemälde auf einer Außenmauer, als solches imposant, großflächig, langgezogen. Unzimperliche Charakterzeichnungen.
Sumambeia heißt das exklusives Reduit im Dschungel.

Ida

Ausgehend von einem bevorstehenden Gelübde der Novizin Ida in einem Nonnenkloster in den 60ern des letzten Jahrhunderts wirft Pawel Pawlikowski, der mit Rebecca Lenkiwicz auch das Drehbuch geschrieben hat, ein stechend scharfes Schlaglicht auf einige geschichtliche Signifikanten Polens zwischen Zweitem Weltkrieg und heute anhand einer übersichtlichen Menschenkonstellation und asketisch erzählt.

Das fast quadratische Leinwandformat, das er gewählt hat, bestärkt den Eindruck von einem Film, der entfernt an das Memoryspiel erinnert. Jede Szene steht für eine Karte. Anfangs des Filmes liegen sie alle mit der Rückseite nach oben. Der Film deckt nun eine Karte nach der anderen auf in der Hoffnung, dass auch der Zuschauer Memory-Arbeitet leistet, nicht vergisst, was auf den vorhergehenden Karten gewesen ist. Memory-Training sowohl im cineastischen Sinne als auch im historischen, nicht zu vergessen, was passiert ist, diese Gedächtnisarbeit ist aber weder sentimental verschwurbelt noch im üblichen Weltkriegsdekor ertränkt.

Nach kurzen 80 Minuten ergibt sich ein Zusammenhang zwischen einigen Figuren, der Schockierendes aus der Geschichte prägnant ans Tageslicht geholt hat, was aber wiederum verdaulich gemacht wird durch die Musik der Beat-Generation, die vor Polen nicht halt machte und die bei Gelegenheit immer wieder aus Wiedergabegeräten oder von einer Band mit Saxophonisten produziert wird.

Der Saxophonist ist das Link zu unserer kleinen, überschaubaren Geschichte. Ihn nimmt Wanda im Auto mit, wie sie mit ihrer Schwester Ida unterwegs ist, um etwas über ihre im Krieg getöteten Eltern zu erfahren (in Polanskis erstem Langfilm „Das Messer im Wasser“ kommt die entscheidende Personenkonstellation auch durch Mitnahme eines Trampers im Auto zustande).

Die Recherchefahrt der beiden Schwester wiederum wurde durch den Nonnenorden in Gang gesetzt, bei dem Ida in Kürze ihre Gelübde ablegen will. Die Schwester Oberin wusste von einer Verwandten von Ida und hat den Vorschlag gemacht, sie möchte diese doch vor dem Gelübde noch besuchen, um vielleicht mehr über ihre Familie zu erfahren.

Ida erfährt über ihre Schwester, dass sie Jüdin ist. Das setzt aber nicht gleich einen Glaubenskonflikt bei ihr in Gang. Ungerührt davon suchen sie und Wanda nach dem Grab ihrer Eltern. Sie werden auch deren Mörder begegnen. Sie kennen ihn. Von früher. Diese Begegnungen laufen in diesem Sinne schier gespenstisch ab, als eben die Gespenster nicht gespielt werden. Wir erhalten die Info. Wir sehen, wie der Mörder selbst die Gebeine der Getöteten ausgräbt. Wie die beiden ungleichen Schwestern sie auf dem Familiengrab wieder beisetzen.

Ungleich sind die Schwestern durch ihre Biographie, durch ihren Lebenswandel. Ida, die ihr Gelübde ablegen will, Wanda, die eine Richterin und stramme Parteisoldaten nach dem Krieg war, die Todesurteile unterschrieben hat wie andere Leute Fliegen töten und die auch ein Nuttenleben führt. Außerdem trinkt sie und fährt das Auto einmal in den Straßengraben.

Im Hotel, in dem sie logieren, spielt auch die Band. Hier begegnet Ida dem attraktiven Saxophonisten wieder. Pawlikowski spielt aber den Konflikt zwischen Liebe und Glaube nicht voll aus. Er signalisiert ihn mit seinen Spiel- oder Szenenkarten. Die Nutte und die Heilige.
Erstaunlich ist der sachliche Umgang zwischen den beiden Schwestern und dem Mörder ihrer Eltern: sein Angebot: „Verzichten Sie auf das Haus und ich zeige Ihnen, wo sie begraben liegen“, unter Radikalverzicht auf jede Emotion. Das will einem die Emotion schier zusammenschnüren.

Schnee von Gestern

Die Überraschungen des Holocaust in der dritten Generation und die Folgen davon, dass Oma ihren Bruder kurz nach dem Krieg am Bahnhof von Lodsch nicht wie verabredet getroffen hat.
Die Filmemacherin Yael Reuveny dokumentiert in diesem Film ihre Suche nach dem Verwandtschaftszweig des Bruders ihrer Großmutter, der mit ihr nach dem Krieg am Bahnhof von Lodsch verabredet war. Sie hatten sich jedoch verpasst und dadurch für immer aus den Augen verloren hatten.

Die erste Überraschung ist, dass Yael, die als Enkelin des Holocaustüberlebenden Micha Schwarz in Israel aufgewachsen ist und in Deutschland mit der Suche nach diesem Bruder der Oma begonnen hat, sich in Deutschland wohlfühlt, auch wenn sie nicht so leicht deutsch lernt, ganz zum Missfallen ihrer Mutter, die zwar in Israel ein Bibliothek aus Vilnius zu ordnen versucht, aber nichts von Deutschland wissen will, die die Position der Unversöhnlichkeit vertritt.

Über den Bruder wird bekannt, dass er früher Feiv’ke, nach dem Krieg Peter geheißen hat, eine weitere Überraschung. Was Yael im Laufe der fünf Jahre, die sie für diesen Film und die Suche brauchte, über diesen Bruder ihrer Großmutter herausfindet, das gleicht einem Krimi einerseits, einem Eintauchen in das Milieu von Familien, die sich in ehemaligen KZ-Baracken heimisch eingerichtet haben, andererseits, denn dieser Bruder hat den Rest seines Lebens unweit des KZs verbracht hat, in welchem er bis zum Kriegsende ein Gefangener gewesen ist.

Weniger überraschend ist, dass diese KZ-Zeit in der Familie ein Tabuthema gewesen ist, was sich auf die Kinder und anfänglich auf die Kindeskinder übertragen hat. Die Filmemacherin ist an manchen Stellen ob ihrer Arbeit und der Zusammenhänge, in die sie sich verstrickt sieht, sichtlich gerührt; wie sich der Holocaust in der Dritten Generation sonderbar zurückmeldet, dafür ist auch ihr neu gefundener Verwandter Stephan ein fast schräg zu nennendes Beispiel, was er in seiner Jugendlichkeit und mit seinem familienhistorischen Background sich einfallen lässt, es ist nicht ganz klar, ob das ein pubertärer Spleen oder Ersatz- oder Übersprungshandlung ist, diese Faszination durch das Religiöse einerseits, durch Tattoos im Ellenbogen oder am Unterarm, sei es der Blutgruppe (wie bei den SSlern) oder der Häftlingsnummern (wie bei den Kzlern) andererseits.

Schnee von Gestern ist vielleicht nicht der punktgenaue Titel, wobei klar ist, dass dieser Schnee höchst lebendig ist und seine verwunderlichen Kapriolen schlägt als späte Folge des Holocausts, was auch klar macht, dass der nie und nimmer vergessen werden darf einerseits und dass er vielleicht in dieser dritten Generation noch für weitere, wundersame, filmische Entdeckungen gut sein könnte; frischer Wind in die Industrie der Holocaustaufarbeitungsfilme, die zuletzt allzu gerne in eher unerfreulichen Krampfakten endeten, die allzu deutlich darnach rochen, dass jemand Subventionsgeld witterte, wenn er noch einen neuen Zipfel, eine neue Facette des Holocaust ans Tageslicht bringt.

Das ist hier erfrischend nicht der Fall. Schlieben heißt die Ortschaft, wo die Nachkommen von Peter/Feiv’ke Schwarz heute leben und wo die Außenstelle des KZs Buchenwald sich befand, heute zum Teil noch überwucherte Ruinen der Rüstungsfabrik.

Es gibt Raritäten, alte Fotoalben, aus Karton, mit Schnur zusammengebunden und fest eingeklebten, einfachen Bildern original aus Stalingrad. KZ-Buchenwald. Ein Problem noch heute: darf man auf dem jüdischen Grab der Oma in Israel Steine vom Grab ihres Bruders aus Deutschland hinlegen? Der Film scheint eher aus einer emotionalen, vielleicht etwas diffusen Sehnsucht der Filmemacherin heraus entstanden zu sein, bleibt aber dadurch so unberechenbar, dass sie nicht nach einem vorgegebenen Konzept, was womöglich schon den vorgefertigten Beweis einer These zum Holocaust enthält, ausgegangen ist. Ein emotionales Kino über eine Familienzusammenführung als einer Spätfolge des Holocausts.

Spuren

„Spuren“ scheint mir nicht exakt die adäquate Übersetzung des englischen Titels dieses australischen Filmes von John Curran nach einem Drehbuch von Marion Nelson zu sein, die die autobiographischen Aufzeichnungen von Robin Davidson zur Vorlage hatte. Der Originaltitel lautet Tracks, was Schienenspur oder Weg bedeuten kann, während „Spuren“ im Deutschen doch gerne metaphysisch im kulturell übertragenen Sinn angewandt wird, in einem geheimnisvollen Sinne, der geistige Aktivität und Nachspüren erfordert. Das ist hier nicht der Fall.

Die Macher scheinen begeistert von den Erlebnissen von Robin Davidson, die 1975 entschieden hat, allein mit einigen Kamelen die Wüste Australiens von Alice Springs bis zum indischen Ozean zu durchqueren und diesen Wunsch auch hat Wirklichkeit werden lassen.

Mit Spuren dürfte also mehr die Linie, der Weg gemeint sein, den sie mit einem Kompass, den sie als Mädchen von ihrem Vater erhalten hat, meistern will. Einen Wecker hat sie auch dabei, wobei sie ihn einmal genervt zu Boden donnert und einmal klingelt er ganz laut, wie sie bei Licht schon auf dem Wüstenboden schläft. Das wirkt lustig.

Aber der Film scheint mir weder eine besondere Lustigkeit noch eine besondere Tiefe noch eine besondere Ernsthaftigkeit, zum Beispiel große, innere Entwicklung der Protagonistin zeigen zu wollen. Er scheint einfach von dieser Idee begeistert, den Weg von Robin nachzugehen, nachzuzeichnen, eine Frau mit drei Kamelen (plus ein Junges) und ihrem schwarzen, nicht allzu wachen Hund, Gitty, allein in der Wüste. Ohne jedes Trara wird am Leitfaden des Enthusiasmus Szene an Szene gereiht. Das lässt ein weites Filmland wie Australien widerstandslos zu. Das ist mir schon mit vielen australischen Filmen so ergangen. Sie führen sich nicht auf, als müssten sie weiß Gott nicht welche Meisterwerke produzieren, welchen irren Spannungsbogen konstruieren, welche Konflikte gerieren. Trotzdem wirken sie immer lässig, erzählen fast mehr von australischer Lebensart, wo man sich nicht auf die Füße tritt, wo man nicht als erstes Bedürfnis verspürt, die Mitmenschen ganz genau beobachten und einzuteilen zu müssen.

Auch geht Mia Wasikowska, die Darstellerin der Robin, australisch angehaucht mit so einer Selbstverständlichkeit durch den Film, sie muss weder eine überspannte Ambition noch eine Tiefe spielen, sie macht, was anfällt für so einen Trip, als bräuchte sie keine Proben, als sei alles One-Take.

Zuerst will sie lernen, mit Kamelen umzugehen, wilde Kamele einzufangen und sie zu zähmen. Das macht sie acht Monate lang bei einem Kamelhändler. Den spielt der Deutsche Rainer Bock als ob er nie Australien verlassen hätte. Aber das Versprechen, dass sie am Ende der Zeit zwei Kamele erhalte, hält Kurt Posel, so heißt die mickrige Figur im Film, nicht ein. Ganz gelassen sieht sich Robin nach einem weiteren Kamelhalter um. Irgendwann hat sie alles beisammen für ihre Tour und zieht los.

Allerdings ist sie mit einem Fotografen einen Deal eingegangen, weil ihr noch Geld fehlte, dass er immer wieder Aufnahmen von ihr machen dürfe. Diese Bilder im National Geographic haben dazu geführt, dass die Tour weltberühmt wurde und im späteren Verlauf ist Robin richtiggehend überfallen worden von einer Fotografenmeute, hat sich aber nicht PR-freundlich verhalten. Da spürt man einen Moment, dass es doch tatsächlich andere Dinge gibt, als nur berühmt zu sein und wie viele Leute heute als professionelle Abenteurer vor allem zur Eigenvermarktung unterwegs sind. Viele Aufnahmen aus dieser Wüstentour erzählen davon.

Mia Wasikowska schaut man gerne zu, sie macht alles mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, ob mit Kamel, Hund, Schlange; sie ist so eine richtig leinwandanschmiegsame Actrice und sorgt allein schon dafür, dass einem die 112 Minuten nicht lang werden.

Australien und das Kino wirken hier unaufdringlich. Und es gibt doch selbst in der Wüste als ob das ganz normal sei, alleweil wieder eine Abwechslung. Die wirken nie kalkuliert, sondern eher intuitiv. Mal ist es eine Halluzination, mal eine Rückblende in die Kindheit, mal hat ein Kamel einen wehen Fuss oder der Hund erwischt Strychnin, Maoris tauchen auf oder Touristen und ein Känguruh darf nicht fehlen, das hat bestimmt die Tourismuszentrale geschickt, mal ertönt ein Lied aus dem kleinen Transistorradio. Spröde aber nicht öde. Ganz gefühllos ist Robin übrigens nicht, aber das muss man in der Wüste ja nicht auswalzen. Ein Tränchen versickert in der Wüste wie nichts.

Bekas

Wie doch die Erinnerung die Vergangenheit in schönem Lichte lauschig und romantisch erscheinen lässt.
Karzan Kader, der kurdische Autor und Regisseur dieser schwedisch-finnisch-irakischen Koproduktion, ist im Alter von 6 Jahren, so steht es im Presseheft nachzulesen, 1988 mit seinem Eltern aus dem Irak geflohen, denn es war die Zeit der Kurdenverfolgung unter Saddam und des Irakkrieges. In Stockholm hat er Film studiert und als erfolgreiche Abschlussarbeit einen Kurzfilm „Bekas“ gedreht. Hier haben wir den Langfilm dazu.

Kader hat seine Geschichte rührend auf zwei Waisenknaben, deren Eltern von den Häschern von Hussein umgebracht worden sind, verändert. Die unzertrennlichen Brüder Zana und Dana, die sich andauernd verlieren auf der Flucht und wiederfinden. Trotz schlimmer Dinge, die sie erleben, wirkt diese Flucht wie ein wunderbares Abenteuer von Knaben im Sommerurlaub, obwohl immer wieder gesagt wird, sie würden stinken in ihren bescheidenen Klamotten. Stereotyp wird die Geschichte noch durch eine erste Liebesgeschichte des älteren Bruders mit einem Mädchen angereichert.

Eine schöne Szene ist eine der exponierenden, die uns erklärt, woher die beiden Knaben ihre Traumvorstellung von Amerika haben, wohin sie ohne jede Recherche abhauen wollen. Diese Vorinformation erhalten sie aus dem Kino. Das können sich die beiden Buden zwar nicht leisten. Aber in der Kuppel über dem Kino gibt es ein kleines Fenster. Zu dem kann man waghalsig hochklettern und sieht dann Batman und was der alles kann. Bubenträume, die die beiden wahr werden lassen wollen.

Die Beschreibung des Dorflebens wirkt vereinnahmend, die Hektik in den engen Gassen, wie die beiden Jungen als Schuhputzer sich durchschlagen, wie sie einen Vertrauten, den blinden Alten, haben. Wie der stirbt, hält sie nichts mehr. Mit einem Esel machen sie sich von dannen. Das ist hochromantisch. Zwei junge Waisenknaben mit einem Esel auf der Flucht im Nahen Osten. Das erinnert an biblische Bilder.

Auch wenn auf der Flucht wirklich gefährliche Dinge passieren, wie sie sich unter Lastwagen festklammern, um über Polizeisperren zu kommen, wie sie beinah erstochen werden bei der Grenzkontrolle, wo sie in einem Sack mit Sonnenblumenkernen versteckt sind, wie der Fahrer sie nachher mitten im Niemandsland rauswirft, entsteht der Eindruck, der Regisseur wolle seinem neuen Heimatland Schweden dankbar Bilder aus dem schönen Kurdistan seiner Erinnerung liefern.

Diese Absicht allerdings gerät in Konflikt mit der eventuellen Absicht, eine glaubwürdige, atemberaubende Geschichte zu erzählen. Vielleicht war die Entscheidung einfach zu rührselig, sich für zwei Waisenknaben, und dann noch so hübsche und lebendige, auch wenn der Jüngere fast immer nur schreit, zu entscheiden, statt näher bei der eigenen Realität zu bleiben. So wirkt denn der Film als typischer „Ausländer“film, als Entwicklungshilfefilm, die guten, humanistischen Schweden gönnen einem armen Kurdenjungen, einen Film über sein Leben zu drehen.

Immerhin lernen wir, zu einem drängenden Problem auf so einer Flucht kann das Bedürfnis zu Pinkeln werden, speziell wenn es im Versteck stattfinden soll. Dagegen hilft keine noch so aufgemotzte Filmmusik, die sich gelegentlich fragen muss, ob sie den Film wirklich verstanden hat

Stiller Sommer

Schöne Grüße aus dem Deutschen Filmförder- und Zwangsgebührenkosmos. In gediegen lavendel-provencalischer Farbgebung und mit einigen schönen französischen Chansons garniert versucht die Regisseurin und Autorin Nana Neul die deutsch-bürgerliche Idee von der kaputten Familie von erhaben weltfremd-intellektueller Warte herab für das Untertanenpublikum leinwändisch zu dozieren.

Ein Themenfilm also, der auf eine Hauptfigur verzichtet und auf Konflikte ebenso, wie auch auf die Geschichten der Figuren. Ein Stötzner-Film auch, Ernst Stötzner, der Subventions- und Zwangsgebührenstar, der entlaubte Baum im deutschen Förderfilm, der impermeabel gegen jede Rolle, gegen jeden Stoff zu sein scheint, gegen jeden Film und jedes Team, insofern überall einsetzbar. Einen Beruf hat seine Figur auch nicht. Eine Tochter Anna hat er mit Dagmar Menzel, die hat einen Beruf. Sie ist Auktionarin. Das ist die formal intakte, inhaltlich längst geschlissene Familie.

Wobei wir die Bilder der Intaktheit, und damit der Angst, dass etwas kaputt gegen könnte, gar nicht erst geliefert bekommen. Die Absicht der Filmemacherin ist unkaschiert und laut: ich zeige Euch wie kaputt Familie ist. Zuerst ist die Stimme von Kristine, so heißt die Rolle von Frau Menzel, kaputt. Das hat zwar den Reiz, dass sie über weite Strecken eine stumme Rolle spielt. Wie sie allerdings mit dieser Stummheit umgeht, das muss nicht unbedingt die Ideal- oder Einziglösung für so ein schauspielerisches Problem sein. Lässt aber ihren gelegentlichen Seidenblick gut wirken.

Die Familie hat in den Cevennen ein seit Jahren nicht mehr benutztes Ferienhaus. Den Stimmverlust will Kristine dort auskurieren. Ohne ihr Wissen findet sich bereits ihre Tochter dort, die mit dem Franzosen Franck für eine Prüfung lernen will. Und was Männlein und Weiblein sonst an so einem lauschigen Ort miteinander treiben. Jetzt kommt mit Kristine ein weiteres Weiblein, 50 und sexuell hungrig, unbefriedigt in das Arrangement. Und es passiert, was die Regisseurin so fasziniert. Franck und Kristine fühlen sich zu einander hingezogen. Die ersten der Seitensprungfantasien in den Varianten Kanufahrt oder geheimes Treffen in einer Hausruine.

Bald taucht ohne weiteren Grund, ein Handlungsfaden ist in solchen Themenfilmen, die von der verbindlichen Kraft ihrer Themensetzung überzeugt sind, nicht nötig, ihr Mann Herbert, Ernst Stötzner, auf. Auch er hat, erfahren wir nach und nach, eine Seitensprunggeschichte hinter sich, eine zum eigenen Geschlecht. Hier verzettelt sich das Arrangement der Regisseurin schnell; es kommt zu einem Seitensprungverzetteln, denn es kommt die Erinnerung an ein weiteres schwules Verhältnis von Papa Herbert in der Vergangenheit dazu, das mit einem Toten in einem in einen Fluss gestürzten Auto endete. Die Seitensprungfantasien der Regisseurin haben nun zur Folge nicht allzu attraktive Liebesszenen quer Beet und Bett und zu Hauf über die Generationen und die Geschlechtergrenzen hinweg. Diese Verzettelung wirkt umso verzettelter, als Schnitte wie Zeitsprünge zurück eingefügt werden, die aber die hilfreiche Funktion von Rückblenden nicht erfüllen können.

Schon beim Lesen einer kurzen Inhaltsangabe im Presseheft vor der Filmvorführung, kam mir das alles sehr bekannt vor, als hätte ich diesen Film schon hundertmal im deutschen Studienratskino gesehen, wo es wirkt, als seien die Schauspieler auf einem Workshop und versuchen nun, kaputte Familie zu mimen, weil den Figuren die Geschichte und dem Film der dramaturgische Faden fehlt, weil es ein Themenfilm und kein Film mit einer Hauptfigur mit einem die Spannung festzurrenden Konflikt ist.

Insofern wirken Farbgebung der Kamera und die Chansons als die Mini-Highlights. Schon einer der ersten Sätze ist „was machst Du da?“, ein inzwischen im deutschen Kino untrügliches Indiz für welt- und kinofremde, papierene Drehbuchkonstruktion. Die Menschen werden dadurch zu abstrakten Figuren, die sich nur ihrer schauspielerischen Mittel bedienen können, die aus diesem Grund jedoch extrem ausgestellt/workshophaft wirken und nicht selten unbeholfen. „Spielen Sie eine Stumme!“. „Spielen Sie Eifersucht““. „Spielen Sie Schwule!“. „Spielen Sie Seitensprung!“. „Und jetzt sind wir lustig auf Kommando!“ (die beiden Freundinnen Barbara und Kristine, wenn sie die Klamotten von einem Mann verbrennen, nachdem sie auf eine Zielscheibe mit Menschenfigur geschossen haben). Wen interessiert so etwas? Spielen Sie Rausch durch Psilocybin (ein Pilzgift). Wen interessiert das, außer den Kursteilnehmern und den Organisatoren des Kurses, sprich den Filmförderern, die hier wieder fahrlässig mit öffentlichem Steuergeld und Rundfunkzwangsgeld umgehen. Dass solche Filme auch nur entfernt mit dem Rundfunkauftrag etwas zu tun haben, das müsste erst noch bewiesen werden.

Motto des Workshops: „Einer verschwindet und alles gerät aus dem Gleichgewicht“. Vergleich des schiefen Mobiles. Als solches wirkt der Film. Es gibt kein Ziel der Handlung, es gibt keinen Spannungsbogen. Aber die Film- und Medienstiftung NRW (Dr. Frauke Gerlach, Vorsitzende des Aufsichtsrates), der Deutsche Filmförderfonds (DFFF, Vorstand Peter Dinges)), das Kuratorium Junger Deutscher Film (Andreas Schardt, Vorsitz) und Stefanie Gross (SWR) haben solches wieder ganz toll und fördernswert gefunden. Widerspruch zumindest des Zwangsgebührenzahlers ist nicht zu erwarten; er schaut sich das gar nicht erst an.

Es gibt auch kaum konkrete Vorgänge, man sitzt und trinkt Wein, schlachtet ein Wildschwein, geht spazieren, liegt im Bett, oder Herr Stötzner ist irgendwo hoch an einem Gittertor wie hingetuckert und macht eine offensichtlich sinnlose Handbewegung, die Szene wird später sogar wiederholt, kaum zu glauben, oder man schreibt mit Zahnpasta das Wort „eifersüchtig“ auf den Badezimmerspiegel, die verliebten Männer duschen unter der Freiluftdusche ohne jede Erotik. Ein Film ohne Exposition und Ziel. Illustration der Behauptung: diese deutsche Familie ist nur Fassade, jeder hat unerfüllte Liebessehnsüchte. Wie aufregend. Das hätten wir nun nie gedacht. Dafür zahlen wir gerne Zwangsgebühren. Wir fahren jetzt alle mal mit dem ganzen Team nach Südfrankreich und spielen dort im Urlaub deutsche Familienkrise. Oder spielen wir: deutsches Kino in der Krise?

Willst Du nicht Tschüss sagen, er hat dir eben das Leben gerettet.
Und dann noch am Pool eine pseudoernsthafte Unterhaltung über das Glück, handlungsmäßig vollkommen unmotiviert. Studienratskino, am nicht abgestaubten Computer ausgedacht. Nur ja nicht die Menschen studieren für einen Film.

Fett symbolisch für das Diabolische, was überall in der Bürgerlichkeit lauert, lassen wir anfangs und Ende des Filmes noch eine Katze über den Weg gehen oder platzieren sie sogar neben Kristine und Herbert. Und bei der Auktion muss es um eine Katze gehen. Noch Fragen?

Super-Hypochonder

Dany Boon, der das Buch geschrieben und die Regie geführt hat, spielt auch die Hauptrolle des Super Hypochonders.
Die Menschen kennen wir, die wenn sie ein Hotelzimmer beziehen, als erstes die Lavabos und Wasserhähne und Türklinken mit Sagrotan reinigen. Eine weitere, typische Eigenschaft der Hypochonder dürfte das Googeln nach Krankheitssymptomen sein. Der Superhypochonder Romain Faubert, den Dany Boon hier spielt, und der passenderweise einen Job als Fotograf für ein Medizinlexikon hat, der lässt sich noch dazu wegen jeder kleinen Einbildung ins Krankenhaus einliefern.

Mit einer solchen Einlieferung mitten durch das Pariser Partyleben in der Sylvesternacht fängt der Film an. Der Patient führt sich auf wie der extremste Notfall. Doch die Ärzte finden nichts. Schließlich verlangt er nach seinem Hausarzt, der ihn schon seit Jahrzehnten betreut. Den nervt er sowieso zu jeder Tag- und Nachtzeit. Kad Merad, der diesen Arzt Dimitri Zvenka spielt, versucht deshalb, seinem lästigen Dauerpatienten eine Frau zu vermitteln.

Das Hypochondertum spielt Boon in der Art eines stillen Einverständnisses mit seinem lachbereiten Publikum, also ich spiele Euch jetzt möglichst übertrieben einen Hypochonder vor, bevor ihr die Chance habt, überhaupt zu bemerken, was an mir nicht ganz in Ordnung ist.

Hypochondertum allein scheint Danny Boon für einen Film nicht zu reichen, er greift auch noch auf das Genre der Verwechslungskomödie zurück, damit er noch mehr auf die Tube drücken kann. Bei einer Hilfsaktion für Flüchtlinge, bei der Romain dem Arzt zuliebe mitmacht, wird er dummerweise mit einem der meistgesuchten Terroristen aus dem Staate Tscherkien verwechselt.

Ab hier kämpfen Hypochonderkomödie und Verwechslungskomödie um das Oberwasser. Das bleibt hübsch lebendig, weil Boon sein Drehbuch sicher recht spontan entwickelt hat ohne allzu viel Absicherung auf Stimmigkeit hin, und führt nicht nur zu seiner Abschiebung in jenes Land zurück, in dem ihm die Todesstrafe droht, sondern nach geglückter Rettung auch zu einer Wandlung und zum Finden der wahren Liebe.

Was die französische Literatur betrifft, so werden zwar Verlaine und Rimbaud, Victor Hugo und Cyrano von Bergerac angeführt, merkwürdigerweise aber Moliere nicht, der doch den gegen alle Zeitströmungen resistenten „Der eingebildete Kranke“ geschrieben hat; der macht allerdings keine Show primär fürs Publikum, wie Dany Boon, der traktiert seine Umgebung tyrannisch. So ernst wollen wir es denn in dieser lustig sein sollenden Filmkomödie doch nicht angehen.

Die Deutsche Synchro gibt keine besondere Ambition zu erkennen.

Komik und Komödie hier im Sinne eines Banlieutheaters, was gerne auf bewährte Gags zurückgreift.

Noah

Die Welt in einer völlig anderen Zeit, als uns wissenschaftlich gebildeten möglich erscheint. Die Menschheit, allesamt Nachfahren von Adam und Eva, haben sich in zwei Stämme gespalten. Die einen, die Erben Kains, leben als Menschenmassen in gigantischen Städten, deren Durst nach Energie und Rohstoffen die ganze Erde zerfressen (Parallelen zu heute sind intendiert). Die anderen, die Nachfahren des nicht erschlagenen dritten Bruders (also nicht Abel), frohlocken in der freien Natur, wo sie nicht einmal Blümelein abpflücken, um ja der Schöpfung nicht zu schaden, und leben von dem, was die Natur ihnen freiwillig gibt. Während die Zahl der einen in die Milliarden gehen muss, scheinen die anderen ein Familienverbund von nur fünf oder sechs Leuten zu sein.

Der Familienvater Noah sieht sich gezwungen, aus seiner angestammten Gegend zu verschwinden, da die nächstliegende Stadt nun auch in seiner Gegend nach Rohstoffen sucht, und dabei natürlich brutal und schonungslos vorgeht. In der Nacht hat er eine Vision, einen Traum, von einer Flut, der alle Lebewesen zum Opfer fallen, und er sieht den Berg, auf dem sein Vater lebt. Am nächsten Morgen bricht die Familie zu diesem Berg auf. Auf dem Weg finden sie ein lebendes, aber verletztes Mädchen neben den Leichen seiner Familie – Ila. Das Kind wird kurzerhand in die Familie aufgenommen und reist nun mit zum Berg. Der Weg führt durch eine verkohlte, steinige Einöde, in der gefallene Engel, zu ungelenken steinernen Monstern geworden, ihr Dasein fristen. Sie wollen diese Menschen eigentlich tot sehen, doch einer von ihnen ist überzeugt, dass nicht jeder Mensch verkommen ist und steht ihnen bei.

Auf dem Berg trifft Noah seinen Vater, hier hat er auch seine zweite Vision, nämlich die einer Arche, die diese Flut überstehen kann, und in der je ein Paar der Tiere der Welt aufgenommen werden soll. Mit Hilfe eines Samens und eines Wunders des Schöpfers entsteht bald ein Wald, dessen Holz für den Bau der Arche genutzt werden kann.

Jahre später ist das Schiff fast fertig, die Kinder erwachsen, Noah alt und weise. Nun kommen die Menschen aus der Stadt, wollen sehen, was da los ist, wollen den Wald nutzen und die Tiere, die sie ihn ihm finden. Es kommt zum Konflikt. Als massenhaft Tiere in die Arche strömen und es zu regnen beginnt, beginnen auch die Menschen zur Arche zu drängen – doch deren Untergang ist ja beschlossen, daher muss das Schiff gegen die Menschen verteidigt werden. Wieder helfen die gefallenen Engel, und schließlich kommen die Wasser.

Der Konflikt gärt noch weiter, es gibt einen blinden Passagier, und familieninternen Streit, und Noah selbst ist dem religiösen Wahn verfallen, da er Ilas Unfruchtbarkeit als Fingerzeig Gottes empfindet, dass auch die Menschen nicht überleben sollen, Noah und seine Familie nur noch für die „Überfahrt“ in eine neue Welt gebraucht wird und dann in der neuen Welt ihr Leben auf natürliche Weise zu Ende leben darf.

So ein Stoff gibt natürlich einiges her für die große Leinwand, Hollywood macht ja schon seit Urzeiten mit Bibelschinken Kasse. Optisch ist der Film völlig in Ordnung, die Tricks sind fein und alles, aber von der Botschaft her ist es eher schwierig, diese Pille zu schlucken. Zunächst einmal das Konzept eines Schöpfers, der einerseits schuf, andererseits wieder nimmt, der aber nicht gerade intensiv auf Dialog aus ist mit seinen Subjekten. Gut, das ist die Religion, in den Augen von vielen halt ein aufwendiges Märchen, um den Menschen die Angst vor der großen, stillen Weite des Universums zu nehmen, und mit ihr die unausweichliche Erkenntnis, dass selbst der großartigste unter ihnen immer noch so unbedeutend ist wie ein einzelnes Sandkorn auf den Malediven.

Was aber gewaltig stört, ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Evolution des Menschen eindeutig geleugnet wird im Film. Alle anderen Tierchen entstanden, wie Darwin es herausgefunden hat, in mühsamer Vererbung und Mutation, nur als der Mensch auf den Plan tritt, wird er vom Schöpfer auf die Erde gesetzt, die er sich fortan untertan machen soll. Das beißt sich schon sehr mit dem, was man heute von einem verantwortungsvollen Film erwartet.

Und abgesehen von den anderen Ungereimtheiten (von gefallenen Engeln über die Herkunft der Wassermassen, die den Planeten ja strenggenommen 8850 Meter hoch überschwemmen müssen, bis zur Frage, was zwei Löwen essen sollen, bis sich die zwei Antilopen von der Arche zu einer tragfähigen, sprich, bejagbaren Population entwickelt haben, oder auch, warum der Schöpfer die ungewünschten Menschen nicht einfach tot umfallen lässt) ist der Film optisch tatsächlich genießbar.

Da aber niemand im Kino das Hirn so weit ausschalten kann, um dieses Märchen ohne kritische Rückfragen annehmen zu können, wird wohl kaum einer wirklich genießen können. Schade, denn man hätte das Thema wirklich deutlich realitätsnäher und metaphorischer inszenieren können (was ja zum Beispiel in Evan Allmächtig gelungen ist). Zum Beispiel gibt es erdgeschichtlich eine Zeit, in dem das Mittelmeer vollief, was man durchaus als göttlichen Zorn verstehen konnte, hätte man damals in der trockenen Senke gelebt. Gut, das ganze ist 5,3 Millionen Jahre her, da hätte man also auch noch ein paar künstlerische Freiheiten gebraucht, aber es wäre wenigstens realistischer gewesen als der liebe Gott, der alle ertränkt.

Sorry, aber Religion ist im Lichte der Erkenntnis einfach … unglaubwürdig.

Snowpiercer

Ein Comic kann eine grandiose Vorlage für ein Drehbuch sein. Und wenn dieses auf dem höchsten Level filmischer Kunst realisiert wird, so muss man nach den knapp über zwei Stunden Fahrt um die vereiste Erde erst mal tüchtig durchatmen.

Dies ist jedenfalls dem Südkoreaner Joon-ho Bong gelungen. Er hat mit Kelly Masterson auch das Drehbuch geschrieben nach einem Comic von Jacques Lob, Benjamin Legrand, Jean-Marc Rochette.

Comic-Zeichner sind meist hervorragende Beobachter und üben sich darin, die Dinge und Menschen auf Wesentliches zu reduzieren. Das kann atemberaubende Folgen haben. Denn ein Regisseur, der nach so einem bereits präzise formulierten Buch arbeitet und außerdem ein Feeling dafür hat, kann auf jeden unnötigen TV-Realismus verzichten, kann die Figuren und Szenen auf ihre Grundidee hin realisieren.

Hier ist es ein Zug, eine Art Arche Noah. Seit 17 Jahren ist er unterwegs rund um den Erdball, non stop, er ist autark, umfasst ein Bild der ganzen Menschheit. Er ist Hunderte von Metern lang. Es sind die Überlebenden der misslungenen Aktion gegen die Erderwärmung mit dem Mittel CW7, denn die Dosierung muss so stark gewesen sein, dass eine sofort eintretende Eiszeit die Folge war. Wer in den Zug flüchten könnte, der hat überlebt und befindet sich seither in rasender Dauerflucht.

Der Zug spiegelt die menschliche Gesellschaft, die auf elementare Grundstrukturen und Grundmachtverhältnisse reduziert wird. Im hinteren Teil, in der Holzklasse, vegetiert mehr denn dass sie lebt, die unterste Klasse, die Masse. Sie wird ernährt von einem synthetischen Mampf, jahrein, jahraus. Ihre Waggons haben keine Fenster. Immer wieder müssen sie zu Zählappellen vor Schwerbewaffneten antreten. Ab und an wird auch ein Kind geholt. Die werden vorher ausgemessen. Die Lösung, wofür die gebraucht werden, kommt dann gegen Ende des Filmes, nur eines von vielen erschütternden Bildern.

Die Menschen erhalten hin und wieder in ihre Nahrung geschmuggelt und in eine Art Patronenhülsen verpackt rote Zettel mit Hinweisen, wie sie sich vielleicht befreien könnten. Es gab im Verlauf der 17 Jahre einige spektakuläre Ausbruchsversuche, Versuche, von hinten ganz nach vorn im Zug durchzustoßen. Das ist schwieriger als aus einem Hochsicherheits-Gefängnis auszubrechen. Sicherheitsschleusen über Sicherheitsschleusen.

Bekannt ist in den hinteren Teilen, dass der Chef des Ganzen ein Dr. Wilford ist. Er ist die Heiligkeit. Seine Maschine, die seit 17 Jahren läuft, ist seine Erfindung. Er ist der absolute Herrscher des Zuges. An ihn ranzukommen von hinten im Zug ist ein Ding der schieren Unmöglichkeit. Noch dazu, da seine Sicherheitskräfte martialisch ausgerüstet sind, wie Sicherheits- und Polizeikräfte es heute zu sein pflegen.

Der Hauptteil des Filmes schildert nun einen massiven Ausbruch, lange vorbereitet, der unter enormem Personen- und Blutverlust und immer neuen Überraschungen und Hindernissen schließlich die Verbliebenen bis an die Spitze führt, wo der Film allerdings um unerwartete Wendungen nicht verlegen ist.

Eigentlich schade, zu verraten, wie es im weiteren Verlauf des Zuges aussieht, was für ein bestechend genaues Bild der Menschheit hier geschildert wird. Unter anderem mit grandiosen Auftritten von Tilda Swinton als einer Art Vermittlungsfigur zwischen Wilford und den Aufständischen. Oder mit welch drakonischen Strafen erwischte Aufständische gemaßregelt werden.

Ein Überlebenszug, in dem die Überlebenden selbst wiederum um ihr Überleben kämpfen, gegen eherne menschliche Machtgebilde und Schichtung, gegen vermeintliches Schicksal aufstehen; denn Dr. Wilford ist auch ein gnadenloser Schicksalsphilosoph. Aus seiner Sicht ein gute, vorbeugende Maßnahme gegen zu viele eigene Ideen der Menschen.

Wobei andererseits er peinlich darauf achten muss, die Balance im Zug zu wahren. Könnte das Denken von Staatslenkern sein, vielleicht sieht es im Kopf von Frau Dr. Merkel nicht viel anders aus. Der Gedanke ist nicht ganz auszuschließen.

Molière auf dem Fahrrad

Schauspielerschnurren.
Wie ein gemütlicher Hock oder Plausch mit zwei arrivierten Schauspielern, die eine größere Drehpause nutzen, resp. einem Regisseur, Philippe Le Guay, der die Idee zum Film mit dem einen der beiden Protagonisten, Fabrice Luchini als Serge Tanneur, ausgeheckt und darauf das Drehbuch geschrieben und inszeniert hat.

Tanneur hat sich in die Normandie in ein kleines Kaff zurückgezogen. Er war ein erfolgreicher Schauspieler. Von der Bühne hat er Abschied genommen. Er verbringt seine Tag garantiert ohne Fernsehen, ohne Anschluss an die öffentliche Kläranlage mit Malen und Puzzles; nur, rein glücklich scheint er nicht zu sein. Sein Negativmotto ist, keine Bühne mehr.

Vor sechs Jahren hatte Tanneur noch in Prag gedreht. Dabei hatte er den Kollegen Lambert Wilson kennen gelernt. Dieser ist ein typischer Beau, immer gut sitzende Frisur, muss nie viel machen, vor allem da stehen und gut aussehen, die Muskeln drei bis vier Mal im Fitnessstudio trainiert. Der möchte für eine Tourneeaufführung den Menschenfeind von Molière inszenieren und er möchte Tanneur unbedingt als die seiner Ansicht nach negativere Figur, den Philinte besetzen.

Tanneur allerdings hatte immer davon geträumt, die Hauptrolle, den Alceste, zu spielen. Hat er aber nie gekriegt. Hat ihm keiner zugetraut. Jetzt taucht der Kollege, der ihn nicht vergessen hat, Lambert Wilson, gespielt von Gauthier Valence, im Kaff auf. Wilson ist auf dem Höhepunkt seiner Popularität wegen der Rolle eines Gehirnchirurgen in einer Fernsehserie. So bekannt wie seinerzeit Klaus-Jürgen Wussow als Schwarzwalddoktor.

Der Hauptteil des Filmes sind nun seine Versuche, den Kollegen Tanneur zur Rolle zu überreden. Tanneur lässt sich immerhin auf Proben ein. Und so wird es viele, viele, Leseproben geben mit ständig wechselnden Rollen, sie spielen Kopf oder Zahl vor jeder Proben, wer wen liest. Für genaue Beobachter wird sich auch zeigen, wie die Darsteller langsam in die Rollen hineinwachsen.

Dazwischen gibt es Fahrten mi dem Fahrrad, auch mit einem ohne Bremse und der Star lässt sich auf ein Interesse für Immobilien ein, lernt dabei die attraktive Italienerin Francesca kennen, die aber behauptet, die Italiener würden keine französischen Schauspieler kennen.

Zwischendrin springen ein paar Schauspieleranekdoten ab oder auch pinggelige Kritik von Tanneur am Kollegen, wenn es um die 12 Silben des in Frankreich und bei Molière heiligen Alexandriners geht.

Zwischen dem Probenstaub und den Alexandrinern wird immer wieder mit Ausflügen ans Meer, in die Dünen, zu den Salzgewinnungsanlagen Luft zum Durchatmen gegeben und logisch, dass die beiden Herren Francesca gegenüber nicht ohne Gefühle bleiben können.

Weitere Zutaten zu diesem vergnüglichen Schauspielertreffen sind das Thema Vosektomie, Fans des Stars, ein junges Mädel, was bereits X-Filme macht (Pornos), die Agentin in Paris, der Immobilienmakler, der Taxifahrer, der den Star um einen Gefallen bittet und bei Erinnerung daran vom Star ein Veilchen verpasst kriegt, ein wild gewordener, lauschiger Whirlpool, die Salzgärten. Alles mit abgeklärter Ruhe und Gelassenheit.

Eine sympathische Liebeserklärung an die Schauspielerei und das Theater. Vielleicht auch ein Film fürs Theatermuseum. Und immerhin besser, drehfreie Zeit so zu nutzen, statt im Alkohol abzusaufen oder das Jammern anzufangen. Gilt ebenso für den Zuschauer.

Go ahead, make my day.