Geschichte und Geschichten machen den Menschen aus.
Für das Erzählen von Geschichten braucht er einen Rahmen, einen Anlass, ein Aktivierungsmoment: einen Stammtisch, eine Kantine, das Treppenhaus, den Familienkreis, das Lagerfeuer oder im professionell-öffentlichen Falle das Podium des Literaturhauses oder einen geneigten Interviewer. Geschichten brauchen einen Grund, herausgekitzelt zu werden. Der kann stimmungsvoller oder weniger stimmungsvoll sein.
Die Videokünstler Lea Backer und Rodolfo Silveira habe sich mit diesem ihrem Videokunstprojekt für die eher stimmungskillende Variante des Erzählens aus dem Nullzustand direkt in die Kamera entschieden.
Erzählen Sie mal eine Geschichte aus ihrem Leben. Das ist in etwa so schwierig, wie für einen Schauspieler das Vorsprechen auf leerer Bühne. Er hat immerhin die Chance, ein Engagement zu bekommen. Die Idee zu dem Videokunstprojekt ist nicht schlecht, Menschen Geschichten erzählen zu lassen. Aber so aus dem nüchternen Stand heraus?
Geschichten brauchen Aufhänger, einen Zusammenhang, einen Anlass. Denn sie haben immer auch die Funktion eines Diskussionsbeitrages oder eines Beitrages zur Gestaltung des Menschenbildes, mithin einen humanistischen Auftrag, ein ethisches Projekt, denn Geschichten erzählen gerne von Verhalten anderer oder des Geschichtenerzählers selbst.
Die Macher nennen es „a web-based documentary series about everyday storytellers“. Sie fahren fort: „Hier sind wir auf der Suche nach Menschen, die unsere Gesellschaft durch ihre Arbeit zusammenhalten. Ihre Anekdoten schöpfen das volle Potenzial von TRUE STORIES aus: Einen Einblick in unsere Gesellschaft zu geben – durch das Geschichtenerzählen“.
Sie holen vor der Linse: Feuerwehrmann, Mittelschullehrerin, bildenden Künstler, Journalist, Performancekünstlerin, Sozialarbeiter, Gymnasiallehrerin, Altenpflegerin, Kellner, Erwachsenenbildnerin, Förderschuldirektorin, Sozialpädagoge, Psychotherapeutin und so weiter und so fort.
Einer vermittelt die Botschaft von Plant for the Planet, eine vom harten Büroalltag als Chefin des Münchnerfilmfestes und wie wichtig ihr Promis sind, eine hauptamtliche Präsidentin der Filmhochschule München, wie wichtig ihr ein wertvoller Kugelschreiber ist, einer berichtet von einem Fischererlebnis in Skandinavien, ein Trachtler von einem Musikerauftritt auf dem FC-Bayern-Rasen, viele erzählen, wie toll sie die Arbeit auf dem Oktoberfest finden, ein Ex-Radrennfahrer hat wegen einer Panne seine Karriere geschmissen, ist später zum dok-fest-Chef geworden, einer wird von der Mutter seiner Freundin nackt im Bett erwischt, eine Schauspielschülerin ist betrunken durch München gefahren, einer erzählt vom Tod seines Sohnes.
Das wirkt alles bemüht und krampfig, nach dem Motto, ich will eine gute Story erzählen und mich gut darstellen. Insofern dürfte das Ziel der Videkunstaktion kaum erreicht werden, die Menschen da zu erwischen, wo sie ganz persönliches Erleben erzählen, ganz persönliche Verhaltensweisen sie als Mensch charakterisieren.
Es wirkt wie eine Übung in der Schule. Die Interviews sind generell überraschungsfrei: was doch gerade das Ziele einer Geschichte wäre: die unerwartete Wendung. So aber verlieren die Geschichten ihre Erlebnishaftigkeit, ihre Einmaligkeit, werden zu Illustrationen von gutem oder weniger gutem Benimm. Wenig wirksame Kunstübung, die die Gemüter nicht zu bewegen vermag – aber mit einer guten Idee dahinter.
Gute Geschichten sind kostbar wie Gold – aber sie muss man schürfen. Wie zum Beispiel die Macher von Weit es getan haben.
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