Archiv der Kategorie: Video on Demand

Witch – We intend to cause Havoc (VoD)

r e w i t c h e d 

Ein Unikat uner den Rock- und Rockopafilmen. Denn beim Rock handelt es sich um Zamrock, Rock aus Zambia (Sambia) und der Opa, der hier Wiederauferstehung erlebt, arbeitet normalerweise in einer Taggrube beim Abbau von Amethyst, um seine Familie zu ernähren. Seine Frau ist Predigerin in der Pfingstgemeinde und auch er ist aktives Mitglied.

Sein Name Jagari erinnert nicht zufällig an Mick Jagger. Jagari galt in den 70ern als der Mick Jagger Afrikas, was ihm gar nicht behagte, worauf er seinen Namen abänderte in Jagari, was in Afrika der Name für eine aus Zucker gebrannte Süßigkeit ist.

Jagaris Gruppe hieß „Witch – We intend to cause Havoc“, hart rockig in einer Mischung aus Psychodelic, afrikanischem Rhythmus und Rock. Jagari war der Leadsänger, der immer von irgendwoher auf die Bühne gesprungen kam. Die Gruppe war populär.

Heute lebt von der Gruppe nur noch Jagari.

Gio Arlotta, der Regisseur der Dokumentation, der mit Tim Spreng auch das Drehbuch geschrieben hat, hat von Witch gehört und sich auf die Suche nach Jagari gemacht. Davon erzählt sein Film und wie er Jagari findet. Ihn begleiten zwei europäische Musiker. Sie finden auch den gelähmten Victor, der damals der Jimmy Hednrix von Afrika genannt wurde.

Die Tonspur ist musikalisch ein Konzert von Witch und auf der Sprecherspur gibt es Statements und Informationen zu der heißen Zeit des Zamrocks in den 70ern und wie es weiterging. Durch die Recherche stieß Arlotta auf ein Filmarchiv, das seit Jahren nicht mehr geöffnet worden ist, weil der Schlüssel verloren gegangen war. Daraus gibt es Found Footage aus der Geschichte Sambias und von den Konzerten von Witch; auch in Zeitungen wurde der Dokumentarist fündig.

Es wird sich bald herausstellen, dass Arlotta allerdings mehr ist als nurl ein Dokumentarist, er entwickelt sich zum Musikmananager, der Witch wiederauferstehen lässt zusammen mit europäischem Nachwuchs, sie auf Tour schickt und ihre Musik verkauft. Insofern ist der Film ein PR-Film, der aber eine besondere Geschichte zu erzählen hat und mit teils psychodelischem Einschlag spannendes Bildmaterial montiert.

City of Lies (VoD)

Über Konsequenz 

Wahrheit, Gerechtigkeit und Konsequenz haben engst miteinander zu tun. Der das bildlich eindrücklich verkörpert ist Johnny Depp als Detective Russell Poole beim LAPD, dem Los Angeles Police Department. Er fesselt von der ersten bis zur letzten Minute als ein Mann, dem die Wahrheit mehr bedeutet als alles andere, der fast wie ein ertrinkendes Wrack schon, noch daran glaubt, mit Konsequenz und Beharrlichkeit und nicht mit großtuerischem Auftreten, Mordfälle zu lösen, die Mörder zu überführen und der mit dieser Absicht bald die Tür eines Labyrinthes öffnet, dem Labyrinth der Korruption beim LAPD, der Polizei von Los Angeles, und den Gangs im Umfeld erfolgreicher Produzenten schwarzer Rap-Musik. 

20 Jahre nach den Morden an den Rappern The Notorious B.I.G und Shakur Tupac sitzt Detective Poole immer noch hinter den Puzzlesteinen der Nachforschungen. Vom Fall ist er längst suspendiert. Eines Tages erhält er Besuch vom Journalisten Daerius Jackson (Forest Whitacker). Es entwickelt sich ein gemeinsames Interesse an der Lösung der Fälle. 

Brad Furmann erzählt diese wahre Geschichte nach dem Fachbuch von Randall Sullivan, das von Christian Contreras zum Drehbuch umgearbeitet wurde, von der Begegnung der beiden Protagonisten ausgehend und mit Rückblenden als spannende Schnitzeljagd, als Weg der Konsequenz durch das Labyrinth, das die Korruption darstellt. 

Eine Begründung für die Hartnäckigkeit von Poole geht vom Befund aus: tötet ein Weißer einen Schwarzen, wer hat Schuld. Seine Antwort: weiter forschen, weiter Fragen stellen. Das sieht er als Credo der Mordkommission, der für einen Detektive erstrebenswertesten Position, weil am anspruchsvollsten. Gerade hier sollten unbedingt Gesetz und Wahrheit über alles andere gestellt werden, vor allem über Unterschiede in der Hautfarbe. Das ist in den USA nach wie vor nicht selbstverständlich. Aber auch bei uns erleben Schwarze überdurchschnittlich oft Polizeikontrollen, ist immer wieder zu hören; kein Grund also für Selbstgerechtigkeit.

Ein Film vor dem Hintergrund, der immer noch schwelenden und immer wieder ausbrechenden Gewalt von Polizei gegen Schwarze in Amerika. Zugrund liegen zwei Morde an bekannten Rappern in L.A., an The Notorious B.I.G und an Tupac Shakur in den späten 90ern in L.A. und in Las Vegas. 

Dieser Mord wird gleich zu Beginn nachgestellt aus der Sicht der schießenden FBI-Beamten. Als einer der ersten zivilen Ermittler taucht Russell Poole (Johnny Depp) am Tatort auf. Er macht mit Bedacht bestimmte Fotos. Er verschafft sich einen Überblick über die Gemengelage. Er wird später sagen, dass sich da für ihn die Tür zum Labyrinth geöffnet hat. Das wird er später auch in einem Straßenmodell und mit Spielzeugautos und mit Kollegen für den Mord an The Notorious B.I.G. tun.

Johnny Depp ist die eindrückliche Hauptfigur, ein Kommissar, der rein äußerlich mit dem Regenmantel eine Gemeinsamkeit hat mit dem berühmten Columbo, auf den in einem Nebensatz auch mal angespielt wird. Aber Depp ist anders, vielleicht verbohrter, gründelnder; er muss die Dinge im Kopf ordnen, die zusammengehen und die nicht. In den 90ern jedenfalls waren die Nachforschungen nach den Mördern ergebnislos.

20 Jahre später sitzt Poole immer noch an den Fällen. Er bekommt Besuch vom Journalisten Darius ‚Jack‘ Jackson (Forest Whitaker). Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Auch hier muss die Abstimmung der Geister, das gegenseitige Verständnis, das sich aus dem gemeinsamen Interesse an Gerechtigkeit und Aufklärung von Morden entwickelt, erst entstehen. Aber dann wird es umso schlagkräftiger. Schritt für Schritt arbeiten sich die beiden nochmal in die Materie ein, schauen sich Dokumentarmaterial aus Nachrichten und Überwachungskameras an, immer wieder versuchen sie, sich Dinge zusammenzureimen; gänze Wände sind mit Zetteln von Gedanken, Fotos, Skizzen dicht bestückt. Denn es wird sich herausstellen, es geht hier nicht um simple Morde: sie stoßen auf ein riesiges Korruptionswerk bei der Polizei von L.A.

Der Film ist allein schon wegen Johnny Depp sehenswert, weil er nicht eine Sekunde lang routiniert wirkt, weil er fast ein Ideal von wahrheitsbessenem Cop ganz ohne Mätzchen darstellt, der bis in die letzte Faser hinein von seiner Mission erfüllt ist. Das kommt durch das erstklassige Zusammenspiel mit Whitaker nur noch mehr zur Geltung. Und der Sound von Death Row Records und von Bad Boy Records schwappt selbstverständlich auch in den Film hinein.

Deseo – Karussell der Liebe (DVD, VoD)

Es dreht sich und dreht sich

das Karussell der Liebe, so schön wie das uralte Riesenrad, das im ersten Akt im mexikanischen Niemandsland zwischen Kakteen steht. 

Ein mexikanischer Import aus Wien von Arthur Schnitzler. Antonio Zalava Kugler hat seine Deutung der klassischen Ringelreihen-Geschichte sich ablösender Lieben lebensfroh und mit dem offenen Auge für die erotischen Oberflächen im Liebesspiel 2013 inszeniert. 

Liebe soll ja schön sein und Spaß machen, aber muss sie gleich in einer Ehe erstarren?, so kann vielleicht der Schnitzler gelesen werden. 

Der Mensch macht sich attraktiv für die Liebe und er will dafür begehrt werden. Der Reigen könnte auch so gelesen werden, ausgehend von einer Alltagserfahrung, steht ein Paar eng umschlungen da, die Blicke der Partner gehen über die Schulter des Umgschlungenen radarhaft in die Umgebung und entdecken dabei nicht ungern jemand anderes. Lieben und sich an jemand anderem berauschen.

Lieben und abservieren, ist vielleicht die tragischere Seite dieses Karussellmechanismus, es geht rauf, dann wieder runter, dann wieder rauf. Im Karussell immerhin gibt’s keinen Partnerwechsel. 

Kugler legt in seiner Inszenierung großen Wert auf Darsteller und Darstellerinnen, die für das erotische Auge attraktiv sind, er mag die Symbolik perlenden Schaumweines oder weich sich bewegender Körper unter Wasser und umgeben von Lichtspielen und unendlich vielen Bläschen. Er mag das Verhältnis von Herrschaft zu Dienerschaft, von Reich zu Arm und was sich dadurch an erotischen Spannungen entwickeln lässt. 

Ein reicher Enkel und eine bewusst posierende Angestellte, die offenbar mehr seinen Adonis-Körper im Sinn hat als den Orangensaft, den sie ihm, der den geistabwesenden Leser mimt, auf einem Tablett reicht und abnimmt; das grenzt an Artistik; Anmachartistik. 

Immer liegt beim Schnitzler und auch hier im Film die Erotik in der Luft, sie scheint Sinn und Zweck des Daseins zu sein. 

Wenn die Liebe durch romantische Ruinen, luxuriöse Bars oder Villen, schicke Autos als verfeinernden Zutaten illustriert werden kann, umso besser. 

Liebe muss nicht tief sein, geht aber tief und tendiert immer wieder zu Besitzanspruch oder Käuflichkeit; so wechseln auch Scheine schnell mal die Hand, den Besitzer. 

Und Liebe gibt es auch im modernen Mexiko nicht nur zwischen Männern und Frauen. Hier ist besonders eine Schauspielerin den Frauen zugewandt. 

Die Kapitelüberschriften zeigen den Gatten an, das Mädchen, die ganz junge Frau, die Schauspielerin, die Herrin, den Matrosen, den jungem Mann und so weiter kreisum. 

Liebesreigen allüberall, eine Beerdigung ist nicht immun gegen Begierden und ermöglicht subjektive Blicke, die an Komik grenzen. Wenn ein junger Mann fragt, „wo ist mein Saft“, so ist das mehr als nur eindeutig. Und auch grenzüberschreitende Verfolgung junger Männer einer jungen Frau gegenüber gehört zu diesem Liebesreigen, der einmal in ein Verfolgungsjagd mündet, wie das Auto oder der Bus als Liebesgefährt nicht ohne ist – neben dem Riesenrad. Im Abspann spinnt Kugler einige der Beziehungen also Schlusspointen weiter. 

Superdeep (VoD, DVD)

Zwischen hippokratischem Eid und Mutation

Ana (Milena Radulovic) ist die heroische Heldin dieses mächtigen russischen Sci-Fi-Thrillers mit dem hochakuten Thema der Mutation. Ihr Kampf besteht aufopfernd darin, den hippokatischen Eid zu erfüllen und trotzdem an grenzwertigen Forschungen teilzunehmen. 

Vorgestellt wird Ana in einer kurzen Schwarz-Weiß-Sequenz, in der es um die Entwicklung vom Vakzin MX23 und Selbsttests der Forscher geht. Sie muss aushalten, dass sie den Selbsttest nicht gemacht hat, ihr Kollege aber schon. Dieser hat nicht überlebt. Das ist eine schwere Hypothek für den Auftrag, den sie mitten in einem familiären Fest vom Institut für biologische Verteidigung erreicht und sie umgehend zu einer extrem geheimen, extrem gefährlichen Forschungsstation im Ewigen Eis Russlands beordert. 

Etwas ist schiefgegangen in einem Labor namens „Sahara“ 12 Kilometer tief unter dem Permafrostboden. Der Film spielt 1989, am Fernsehen spricht Michael Gorbtschow. Entsprechend sehen die technischen Ausrüstungen, malerisch allemal, aus, die Lifte in diese extreme Tiefen und die brandgefährlichen Labors. 

Es wird in diesem sauber gemachten und entsprechend sorgfältig auf Deutsch synchronisierten Film von Sergey Todchilin, der mit Victor Bondaryuk, Milena Radulovic und Arseny Sukihn auch das Drehbuch geschrieben hat, um Kontrollverlust im Sinne Goethes vielleicht, die Geister, die ich rief, um Verselbständigung von grenzwertigen biologischen Forschungen an Pilzen und unerwarteten Entwicklungen, wenn sie mit Menschen in Kontakt kommen. 

Auch diese Gruselbilder zeigen nicht nur, wozu Film inzwischen fähig ist, welche Schauderstimmungen er kunstvoll entwickeln kann; er schürt auch ständig den ethischen Konflikt von Ana, die später nicht nur storyhalber, sondern bestimmt auch filmakttraktivitätshalber im engen Body kämpft, zwischen ärztlicher Ethik und eventuell auch einer Grenzziehung zwischen einem Menschen, den sie erst flirtenderweise kennengelernt hat, der sie immer nach ihrem Herkunftsland frägt, und seinem Aussehen, wie er selbst infiziert wird. 

Es besteht große Gefahr für die Menschheit, deutlich schlimmer wohl als die Covid19-Virusangelegenheit. Aber Machtgier und Neugier sprechen dagegen, auf solche Forschungsergebnisse zu verzichten. 

Pilze und eine extrem aggressive Form von Schimmel (was gerade auch für die Bilder höchst reizvoll ist). Stefe hat sich die kürzere Fassung angeschaut. 

Im Mediabook ist auch die ursprüngliche Schnittfassung in 4K zu finden.

Fatima – Ein kurzes Leben (Zum Welttag gegen Kinderarbeit)

Fatima – eine Recherche

und ein Nach-Ruf, das wäre die zutreffendere Titelung; der Beisatz zu Fatima „ein kurzes Leben“ suggeriert Betroffenheit, lässt Bedröppeltheit befürchten. Trifft nicht zu. Betroffenheit mag der Auslöser für Hakim El-Hachoumi gewesen sein, den Film mit Andrei Schwartz zu machen. 

Der Fall, dem Hachoumi nachspürt, war ein Skandal in Marokko. Ein 17-jähriges Hausmädchen, Fatima, das in einem simplen Polizistenhaushalt gefangen gehalten, gefoltert, möglicherweise auch missbraucht worden und so mit schlimmsten Wundmalen und Verbrennungen zu Tode gekommen ist. 

Nach-Ruf insofern, als der Filmemacher Fatima persönlich anspricht, obwohl er sie nicht kennt und ihr zu verstehen gibt, dass ihr Tod hoffentlich nicht vergeblich gewesen sei. Eigentlich ihr zu verstehen gibt, dass sie für uns noch lebt und in uns etwas auslöst, was der Film ja auch tut. 

Es ist ein typisches Armutsthema. Mädchen aus armen Familien werden verkauft oder wie hier „vermietet“. Sie werden weggeben zu besser gestellten Familien, verdingen sich als Hausmädchen. Ihr Lohn wird an ihre Familie geschickt. Die gesetzlichen Regelungen in Marokko sind gelinde gesagt verbesserungswürdig. 

Fatimas Familie, das sind Bauern in einem Dorf im Atlas in Marokko. Die Familie, zu der sie kommt, ist eine Polizistenfamilie mit zwei Kindern, die in einem besseren Wohnblock in Agadir am Meer wohnt. Fatima ist 14, wie sie weggeben wird, mit 17 ist sie tot. 

Der Fall hat in Marokko Aufsehen erregt, zu Demonstrationen geführt und eine Diskussion ausgelöst. 

Fatimas Familie ist kinderreich und arm; das Thema Verhütung scheint hier nicht bekannt zu sein („wie die Karnikel“, sagt ein Mädchen selbst). Das Dorf leidet unter Trockenheit. Hakim El Hachoumi schildert mit feinem Kinohändchen das Dorfleben, nutzt auch die Landschaft, in der man Bibelilme drehen könnte. 

El Hachoumi spricht mit der Familie, sucht Menschnrechtsanwälte in einer Stadt auf dem Weg nach Agadir auf, geht auf den Friedhof mit dem Grab von Fatima. Er schildert die Geschichte luzide wie einen Kriminalfall, bei dem die Frage zunächst offen bleibt, wer der oder die Täter waren, ob sie gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, was an den Tag kommt und was nicht. 

Somit gibt der Film auch einen Einblick in Marokkos Zivilgesellschaft. Die sind ja keine Hinterwäldler, selbst im Dorf gründen sie eine Kooperative, um die Mädchen in einer Bäckerei zu beschäftigen, damit sie nicht mehr als Hausmädchen verkauft werden müssen. 

In dem Zusammenhang kann auf Filme vom DOK.fest München verwiesen werden: zum Thema Trockenheit und Bildung School of Hope, zum Thema Rechte der Frau in Marokko Suspended Wifes.

Hier gehts zum Film.

Memoir of a Murderer (DVD, VoD)

Wenn Mord Poesie ist, dann ist Kindsbetreuung Prosa.“ 

Der Satz stammt nicht von Nietzsche, der wird auch an einer Stelle in diesem südkoreanischen Film von 2017 zitiert, er stammt vom Protagonisten, dem Tierarzt Byung-su (Seol Kyung-gu). 

Bis vor 17 Jahren war Byung-su ein Serienmörder. Er hat eigens ein Grundstück gekauft und darauf ein Bambuswäldchen angelegt, um darin die Leichen seiner Opfer zu vergraben. Ein Autounfall vor 17 Jahren hat bei ihm einen Gehirnschaden verursacht mit Gedächtnisverlust in der Folge. 

Eines der Probleme von Byung-su ist, dass das physiologische Gedächtnis nicht verloren gegangen ist; wenn er ein mögliches Opfer sieht, fangen bei ihm Zuckungen im Gesicht an und die Hände wärmen sich auf für den Würgegriff. Das ist für sein Leben ein gewisses Risiko, da seine Tochter Eun-hee (Seol-Hyun Kim) inzwischen eine wunderhübsche junge Frau im besten Alter ist und wenn er sich nicht daran erinnert, dass sie seine Tochter ist … sie wohnt auch noch bei ihm. 

Das ist nur einer der Reize dieses Filmes von Shin-yon Won nach dem Drehbuch von Jo-yun Hwang nach dem Roman von Young-ha Kim, dass in der geschilderten Ausgangssituation schon ständig Gefahr lauert, ein weiterer Reiz ist, dass Byung-su einen Poesie-Kurs besucht. Hier sind viele ansprechende Frauen; die himmeln jedoch scharenweise den Referenten an. 

In diesem Poesie-Kurs wird eine gefährliche Harmonie zwischen Kunst und Bluttat beschworen, zwischen einer Realität von Byung-su und dem schönen Text über seine schlimmen Taten. Und hier kommt der Hinweis mit dem eingangs zitierten Satz, dass Familie und Mord wohl eine intime Beziehung haben, dass Familie lebensgefährlich sein kann (die meisten Morde passieren bekanntermaßen in familiären Verbindungen). 

Die Angelegenheit wird komplexer durch den Faktor, dass in diesem kleinen, fast dörflich überschaubaren Umfeld, in dem die Geschichte spielt, ein zweiter Serienmörder auftaucht, Takei (Nam-gil Kim), ein äußerst gewinnend-sympathischer junger Polizist, dessen Charme insbesondere junge Frauen leicht erliegen können. Eine Autokarambolage macht ihn mit dem Veterinär bekannt – beide spüren augenblicks ihre Seelen- und Täterverwandtschaft. Aber der junge Polizist lernt auch Eun-hee kennen.

Vierte Hauptperson ist der Polizist An Byeong-man (Dal-su Oh), der bodenständig mit all dem Mörderwahnsinn um sich herum und mit der Demenz des Veterinärs, der immer noch arbeiten darf, klar kommen soll. 

Die Demenz spielt den Choker im Mörder-Game. Denn wo keine Erinnerung ist, da tritt die Spekulation an ihre Stelle. Dafür bietet das Kino einen idealen Ort, um Dinge zu erinnern, vorzuspielen, zu vermuten, vorzutäuschen mit einer tüchtigen Realitätsbehauptung, die wahr sein kann oder unwahr, nur gedacht, nur geträumt, allenfalls angstgeträumt. 

Die enge Figuren- und Problemkonstellation führt zu einer Vielzahl möglicher Verbrechen in einem reizvollen Mix aus Thriller mit Realismo-Einsprengseln samt einer Prise Trash und spekulativer Fiktion. Egal: vergessen wir nicht: es gibt gute Mörder und schlechte Mörder. Gute Mörder, wie Byung-su sich sieht, die schaffen menschlichen Müll weg, meint er, das sei eine reinigende Passion – wenn da nicht diese Vergesslichkeit wäre. 

Five Senses of Eros (DVD, VoD)

Liebesfilme

Neulich meinte eine Kollegin, es gebe keine Liebesfilme mehr; dabei geht’s im Kino immer und immer wieder um die Liebe. Vielleicht meinte die Kollegin nur einen beschränkten Ausschnitt aus dem Segment der Liebesfilme. Wobei die Spanne der Behandlung des Themas breit und differenziert ist und Sex viel öfter und inzwischen viel direkter gezeigt wird, vielleicht als Gegenbewegung zu einer sich andererseits ausbreitenden Prüderie, wenn im deutschen Kino ein Mann und eine Frau in Unterhose, Slip und BH im Bett liegen. 

Nicht so in Korea in diesem Episodenfilm von 2009 von mehreren exzellenten Regisseuren, die ein Spektrum von Varianten von Liebesannäherungen, Liebesbegegnungen, Liebeshemmungen, Liebesverlust auch Liebesakten anregend und mit einem ansehnlichen Ensemble untersuchen.

Das ewige Spiel mit der Liebe in verschiedenen Episoden durchdekliniert. Das Zögern, das Träumen, die richtige Wahl, das Nicht-Genießen-Können in der Gegenwart, erst nach dem Tod, die Kunst und die Liebe in der darstellenden Kunst, Film und Pornographie und liebenswerte satirische Einblicke in einen Pronodreh mit über 170 Klappen für einen Schrei, die Schule und die Liebe, die Schülerin und der Lehrer, Liebe und Rache, wer ist der richtige, wie jemanden ansprechen, bin ich noch attraktiv für meinen Partner, Diskrepanz zwischen Ausdenken und Realität, Überschreiten der Schwelle von der Vorstellung zum Ansprechen oder zur Berührung , was heißt „ich liebe dich“?. Was ist Liebe, was ist der Liebesakt? Kunst?

Schade, dass solche Filme hier nicht ins Kino kommen; aber jetzt immerhin ab sofort auf DVD und im Stream.

Im einen Film geht es ums Anbandeln auf Koreanisch. Immer im dümmsten Moment, im Stau. Erotik ist zuerst eine geistige Angelegenheit. Der Film infiltriert sich in die mentalen Erotikhirnganglien seiner Protagonisten, ein Mann, eine Frau. Sie lernen sich bei einer Zugfahrt kennen. Er hat Hemmungen ist ungeschickt. Aber mit einer Kuratorin kann die Liebe mit einem Fremden zum Kunstwerk und zum überraschenden Ereignis werden.

Wie mache ich mich begehrenswert für meinen Mann, fragt die Frau in einem anderen der Kurzfilme. Ist sie wirklich erst als Abwesende, gar als Tote attraktiv? Sie versteckt sich im Schrank, wenn er nach Hause kommt, um ihre Begehrtheit zu erhöhen. Sie fragt ihn, wie er sie für sexy hält. Sie ist enttäuscht, wenn er die Suche nach ihr aufgibt, wenn er keinen Sex haben will, weil der Doktor es doch verboten habe. Sie fährt für vier Tag ins Spital. Die Rätsel der Liebe, Lügen, Diskrepanz zwischen dem, was mann haben kann und dem, was nicht. Liebe und Tod. Geruchserinnerung. Schmerz, Sehnsucht nach dem Vergangenen, was nicht mehr da ist. Ist die Liebe auf Dauer festzuzurren oder ist sie nicht viel mehr vergänglich, nur momentan?

Liebe und Horror in einem weiteren Film. Ein weiblicher Pornostar mit Allüren beim Dreh. Die junge Nachwuchsdarstellerin wirkt nicht begabt. Der Regisseur verklemmt. Merkwürdige Figur. Hier wird kalt gekocht, was heiß konsumiert werden soll. Sex verbunden mit trashigen Horror-und Angstvorstellungen in Verbindung mit ästhetisch schönem Sex. Der Film selbst wiederum als Mittel zur mentalen Stimulierung. 

Liebe auch als Film im Film als Vorstellung, als Imagination mit Zutaten wie bleichen Gesichtern und Klappen, Blitz und Donner, weicher Ohrfeige, Geschrei, ungeplantes Gelächter, Leichen, die sich bewegen und wieder Liebe und Tod; ein amüsant selbstironischer Seitenblick auf das Thema. Und dann noch das Verhältnis der Diva zur Nachwuchsdarstellerin; fesselnd.

In einem weiteren Film wird der Anfang zum Ende und das Ende zum Anfang einer Ménage á Trois, wovon die zwei weiblichen Teile am Ufer sitzend mit der Asche vom dritten Teil, dem Mann, beschäftigt sind. Liebe ist Trial and Decision (statt: Error), fast wie richtig nach Karl Popper.