Archiv der Kategorie: Video on Demand

Fatima – Ein kurzes Leben (Zum Welttag gegen Kinderarbeit)

Fatima – eine Recherche

und ein Nach-Ruf, das wäre die zutreffendere Titelung; der Beisatz zu Fatima „ein kurzes Leben“ suggeriert Betroffenheit, lässt Bedröppeltheit befürchten. Trifft nicht zu. Betroffenheit mag der Auslöser für Hakim El-Hachoumi gewesen sein, den Film mit Andrei Schwartz zu machen. 

Der Fall, dem Hachoumi nachspürt, war ein Skandal in Marokko. Ein 17-jähriges Hausmädchen, Fatima, das in einem simplen Polizistenhaushalt gefangen gehalten, gefoltert, möglicherweise auch missbraucht worden und so mit schlimmsten Wundmalen und Verbrennungen zu Tode gekommen ist. 

Nach-Ruf insofern, als der Filmemacher Fatima persönlich anspricht, obwohl er sie nicht kennt und ihr zu verstehen gibt, dass ihr Tod hoffentlich nicht vergeblich gewesen sei. Eigentlich ihr zu verstehen gibt, dass sie für uns noch lebt und in uns etwas auslöst, was der Film ja auch tut. 

Es ist ein typisches Armutsthema. Mädchen aus armen Familien werden verkauft oder wie hier „vermietet“. Sie werden weggeben zu besser gestellten Familien, verdingen sich als Hausmädchen. Ihr Lohn wird an ihre Familie geschickt. Die gesetzlichen Regelungen in Marokko sind gelinde gesagt verbesserungswürdig. 

Fatimas Familie, das sind Bauern in einem Dorf im Atlas in Marokko. Die Familie, zu der sie kommt, ist eine Polizistenfamilie mit zwei Kindern, die in einem besseren Wohnblock in Agadir am Meer wohnt. Fatima ist 14, wie sie weggeben wird, mit 17 ist sie tot. 

Der Fall hat in Marokko Aufsehen erregt, zu Demonstrationen geführt und eine Diskussion ausgelöst. 

Fatimas Familie ist kinderreich und arm; das Thema Verhütung scheint hier nicht bekannt zu sein („wie die Karnikel“, sagt ein Mädchen selbst). Das Dorf leidet unter Trockenheit. Hakim El Hachoumi schildert mit feinem Kinohändchen das Dorfleben, nutzt auch die Landschaft, in der man Bibelilme drehen könnte. 

El Hachoumi spricht mit der Familie, sucht Menschnrechtsanwälte in einer Stadt auf dem Weg nach Agadir auf, geht auf den Friedhof mit dem Grab von Fatima. Er schildert die Geschichte luzide wie einen Kriminalfall, bei dem die Frage zunächst offen bleibt, wer der oder die Täter waren, ob sie gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, was an den Tag kommt und was nicht. 

Somit gibt der Film auch einen Einblick in Marokkos Zivilgesellschaft. Die sind ja keine Hinterwäldler, selbst im Dorf gründen sie eine Kooperative, um die Mädchen in einer Bäckerei zu beschäftigen, damit sie nicht mehr als Hausmädchen verkauft werden müssen. 

In dem Zusammenhang kann auf Filme vom DOK.fest München verwiesen werden: zum Thema Trockenheit und Bildung School of Hope, zum Thema Rechte der Frau in Marokko Suspended Wifes.

Hier gehts zum Film.

Memoir of a Murderer (DVD, VoD)

Wenn Mord Poesie ist, dann ist Kindsbetreuung Prosa.“ 

Der Satz stammt nicht von Nietzsche, der wird auch an einer Stelle in diesem südkoreanischen Film von 2017 zitiert, er stammt vom Protagonisten, dem Tierarzt Byung-su (Seol Kyung-gu). 

Bis vor 17 Jahren war Byung-su ein Serienmörder. Er hat eigens ein Grundstück gekauft und darauf ein Bambuswäldchen angelegt, um darin die Leichen seiner Opfer zu vergraben. Ein Autounfall vor 17 Jahren hat bei ihm einen Gehirnschaden verursacht mit Gedächtnisverlust in der Folge. 

Eines der Probleme von Byung-su ist, dass das physiologische Gedächtnis nicht verloren gegangen ist; wenn er ein mögliches Opfer sieht, fangen bei ihm Zuckungen im Gesicht an und die Hände wärmen sich auf für den Würgegriff. Das ist für sein Leben ein gewisses Risiko, da seine Tochter Eun-hee (Seol-Hyun Kim) inzwischen eine wunderhübsche junge Frau im besten Alter ist und wenn er sich nicht daran erinnert, dass sie seine Tochter ist … sie wohnt auch noch bei ihm. 

Das ist nur einer der Reize dieses Filmes von Shin-yon Won nach dem Drehbuch von Jo-yun Hwang nach dem Roman von Young-ha Kim, dass in der geschilderten Ausgangssituation schon ständig Gefahr lauert, ein weiterer Reiz ist, dass Byung-su einen Poesie-Kurs besucht. Hier sind viele ansprechende Frauen; die himmeln jedoch scharenweise den Referenten an. 

In diesem Poesie-Kurs wird eine gefährliche Harmonie zwischen Kunst und Bluttat beschworen, zwischen einer Realität von Byung-su und dem schönen Text über seine schlimmen Taten. Und hier kommt der Hinweis mit dem eingangs zitierten Satz, dass Familie und Mord wohl eine intime Beziehung haben, dass Familie lebensgefährlich sein kann (die meisten Morde passieren bekanntermaßen in familiären Verbindungen). 

Die Angelegenheit wird komplexer durch den Faktor, dass in diesem kleinen, fast dörflich überschaubaren Umfeld, in dem die Geschichte spielt, ein zweiter Serienmörder auftaucht, Takei (Nam-gil Kim), ein äußerst gewinnend-sympathischer junger Polizist, dessen Charme insbesondere junge Frauen leicht erliegen können. Eine Autokarambolage macht ihn mit dem Veterinär bekannt – beide spüren augenblicks ihre Seelen- und Täterverwandtschaft. Aber der junge Polizist lernt auch Eun-hee kennen.

Vierte Hauptperson ist der Polizist An Byeong-man (Dal-su Oh), der bodenständig mit all dem Mörderwahnsinn um sich herum und mit der Demenz des Veterinärs, der immer noch arbeiten darf, klar kommen soll. 

Die Demenz spielt den Choker im Mörder-Game. Denn wo keine Erinnerung ist, da tritt die Spekulation an ihre Stelle. Dafür bietet das Kino einen idealen Ort, um Dinge zu erinnern, vorzuspielen, zu vermuten, vorzutäuschen mit einer tüchtigen Realitätsbehauptung, die wahr sein kann oder unwahr, nur gedacht, nur geträumt, allenfalls angstgeträumt. 

Die enge Figuren- und Problemkonstellation führt zu einer Vielzahl möglicher Verbrechen in einem reizvollen Mix aus Thriller mit Realismo-Einsprengseln samt einer Prise Trash und spekulativer Fiktion. Egal: vergessen wir nicht: es gibt gute Mörder und schlechte Mörder. Gute Mörder, wie Byung-su sich sieht, die schaffen menschlichen Müll weg, meint er, das sei eine reinigende Passion – wenn da nicht diese Vergesslichkeit wäre. 

Five Senses of Eros (DVD, VoD)

Liebesfilme

Neulich meinte eine Kollegin, es gebe keine Liebesfilme mehr; dabei geht’s im Kino immer und immer wieder um die Liebe. Vielleicht meinte die Kollegin nur einen beschränkten Ausschnitt aus dem Segment der Liebesfilme. Wobei die Spanne der Behandlung des Themas breit und differenziert ist und Sex viel öfter und inzwischen viel direkter gezeigt wird, vielleicht als Gegenbewegung zu einer sich andererseits ausbreitenden Prüderie, wenn im deutschen Kino ein Mann und eine Frau in Unterhose, Slip und BH im Bett liegen. 

Nicht so in Korea in diesem Episodenfilm von 2009 von mehreren exzellenten Regisseuren, die ein Spektrum von Varianten von Liebesannäherungen, Liebesbegegnungen, Liebeshemmungen, Liebesverlust auch Liebesakten anregend und mit einem ansehnlichen Ensemble untersuchen.

Das ewige Spiel mit der Liebe in verschiedenen Episoden durchdekliniert. Das Zögern, das Träumen, die richtige Wahl, das Nicht-Genießen-Können in der Gegenwart, erst nach dem Tod, die Kunst und die Liebe in der darstellenden Kunst, Film und Pornographie und liebenswerte satirische Einblicke in einen Pronodreh mit über 170 Klappen für einen Schrei, die Schule und die Liebe, die Schülerin und der Lehrer, Liebe und Rache, wer ist der richtige, wie jemanden ansprechen, bin ich noch attraktiv für meinen Partner, Diskrepanz zwischen Ausdenken und Realität, Überschreiten der Schwelle von der Vorstellung zum Ansprechen oder zur Berührung , was heißt „ich liebe dich“?. Was ist Liebe, was ist der Liebesakt? Kunst?

Schade, dass solche Filme hier nicht ins Kino kommen; aber jetzt immerhin ab sofort auf DVD und im Stream.

Im einen Film geht es ums Anbandeln auf Koreanisch. Immer im dümmsten Moment, im Stau. Erotik ist zuerst eine geistige Angelegenheit. Der Film infiltriert sich in die mentalen Erotikhirnganglien seiner Protagonisten, ein Mann, eine Frau. Sie lernen sich bei einer Zugfahrt kennen. Er hat Hemmungen ist ungeschickt. Aber mit einer Kuratorin kann die Liebe mit einem Fremden zum Kunstwerk und zum überraschenden Ereignis werden.

Wie mache ich mich begehrenswert für meinen Mann, fragt die Frau in einem anderen der Kurzfilme. Ist sie wirklich erst als Abwesende, gar als Tote attraktiv? Sie versteckt sich im Schrank, wenn er nach Hause kommt, um ihre Begehrtheit zu erhöhen. Sie fragt ihn, wie er sie für sexy hält. Sie ist enttäuscht, wenn er die Suche nach ihr aufgibt, wenn er keinen Sex haben will, weil der Doktor es doch verboten habe. Sie fährt für vier Tag ins Spital. Die Rätsel der Liebe, Lügen, Diskrepanz zwischen dem, was mann haben kann und dem, was nicht. Liebe und Tod. Geruchserinnerung. Schmerz, Sehnsucht nach dem Vergangenen, was nicht mehr da ist. Ist die Liebe auf Dauer festzuzurren oder ist sie nicht viel mehr vergänglich, nur momentan?

Liebe und Horror in einem weiteren Film. Ein weiblicher Pornostar mit Allüren beim Dreh. Die junge Nachwuchsdarstellerin wirkt nicht begabt. Der Regisseur verklemmt. Merkwürdige Figur. Hier wird kalt gekocht, was heiß konsumiert werden soll. Sex verbunden mit trashigen Horror-und Angstvorstellungen in Verbindung mit ästhetisch schönem Sex. Der Film selbst wiederum als Mittel zur mentalen Stimulierung. 

Liebe auch als Film im Film als Vorstellung, als Imagination mit Zutaten wie bleichen Gesichtern und Klappen, Blitz und Donner, weicher Ohrfeige, Geschrei, ungeplantes Gelächter, Leichen, die sich bewegen und wieder Liebe und Tod; ein amüsant selbstironischer Seitenblick auf das Thema. Und dann noch das Verhältnis der Diva zur Nachwuchsdarstellerin; fesselnd.

In einem weiteren Film wird der Anfang zum Ende und das Ende zum Anfang einer Ménage á Trois, wovon die zwei weiblichen Teile am Ufer sitzend mit der Asche vom dritten Teil, dem Mann, beschäftigt sind. Liebe ist Trial and Decision (statt: Error), fast wie richtig nach Karl Popper. 

All the pretty little Horses – Mikra Omorfa Aloga (Vod)

Doppelansicht von Glück

Mehr junges Familienglück geht nicht. 

Alice (Yota Argyropoulou) und Petros (Dimitris Lalos) wohnen mit ihrem bildhübschen, blondgelockten Jungen Panayiotis (Alesandros Karamouzis) in einer ausladenden Villa mit Pool in einer Hügellandschaft mit Blick auf eine Meeresbucht in der Nähe von Athen. 

Petros hat etwas mit Finanzen zu tun, Alice ist Anästhesistin. Das Paar liebt sich im Pool oder fährt ans Meer und treibt es im Auto. 

Wenn da nicht dieser Schmerz wäre. Der kommt früh auf der Tonspur in den Film während man Alice in den Hügeln joggen sieht. Dass es sich um eine Beziehungskiste mit Thrillerqualität handelt wird nicht mit Lautstärke und heftigen Auseinandersetzungen gezeigt, es wird angedeutet mit Kleinigkeiten, ein tropfender Wasserhahn, der mehr interessiert als die Tätigkeit des Protagonisten, ein Rumpler bei einer Autofahrt, ob das Tier überlebt hat, ein Windspiel auf einer Veranda. 

Es sind Insichgekehrtheiten und verschlossene Blicke der Protagonisten, Anrufe, die nicht angenommen werden, eine heimliche Hausbesichtigung, eine Begegnung mit alten Freunden aus Athen, was tut Ihr hier, ein Dinner in der Villa. 

Immer mehr wird klar, dass hier Scheinwelten aufrecht erhalten werden, die immer wieder durchlöchert werden. Symbol dafür ist ein Brunnen im riesigen Garten um die Villa, der repariert werden soll und nur notdürftig abgedeckt ist, Vorsicht Panayiotis! Es ist das automatische Tor, was am Eingang der Zufahrtsallee sich nicht ganz schließen lässt. Es ist ein Nachbar mit zwei Hunden, der immer wieder kritisch rüberäugt.

Der Thriller wird nur ab und an heftig auf der Tonspur angededeutet. Sonst hält diese sich zurück, als ob sie aufs Geschehen selbst lenken möchte; nur mal ein Handy, das klingelt, eine Musik aus einem Radio. 

Die Sätze wirken oft verfänglich harmlos, aber sie sind eben nie Füllsätze in den eher spröden Dialogen, allzu gesprächig sind die Figuren nicht, allzu neugierig nicht, und wenn eine Frage zu weit geht, wird sie taktvoll überhört oder auf ein anderes Thema gewechselt. 

Es gibt weitere Hinweise auf die Brüchigkeit dieses Glückes. Gut, die Symbolik mit dem erschlagenen Hund ist vielleicht ein kleines Too-Much zu viel auf der Kehrtwende zum echten Glück der kleinen Familie. 

Das Fieber (VoD) – zum Weltmalariatag

Sehen Sie zu, dass Ihr Kind nicht stirbt,

meint eine ehrenamtliche Gesundheitshelferin zu einer Mutter mit einem malariakranken Kind. Es gibt grad keine Medikamente, weil die Weltbank ein Programm umstrukturiert hat. Und erst nach dem Wochendende kann die Mutter in eine Klinik. 

Zustände sind das in Ostafrika im Subsaharagürtel, zurückzuführen noch auf die Kolonisation, die den Reisanbau und damit ideale Lebensbedingungen für den gefährlichen Parasiten Malaria mitbrachte. 

Da Medikamente teuer oder nicht vorhanden sind, hat die traditionelle Kräuterheilerei mit Artemisia Annua Hochkonjunktur; darauf wird zurückzukommen sein. 

Noch 1970 holzte eine westliche Firma Urwald ab, um Zuckerrohr anzubauen und schuf damit weitere ideale Gebiete für die Verbreitung von Malaria. Das erzählt einer der Protagonisten des Filmes, der Insektenforscher Richard Mukabana, der sich um die Malaria kümmert und der selbst aus der Gegend kommt, bei einem Besuch bei seiner Mutter. Sie wären an sich 9 Kinder gewesen, sind aber nur noch drei – wegen Malaria; wenn sie wenigstens Artemisia Annua gehabt hätten … 

Artemisia Annua ist ein Heilkraut mit über 200 Wirkstoffen, aber zu wenig bekannt und dessen Anwendung wird torpediert von der WHO. Hier mischt die Pharmaindustrie mit, die ein Medikament, Coartem, mit einem einzigen dieser vielen Wirkstoffe produziert; gegen den der Malariaparasit inzwischen resistent zu werden droht.

Malaria ist nach wie vor eine der tödlichsten Krankheiten und deren Bekämpfung ruft allerlei Player auf den Plan, viele, die Geld verdienen damit wie die Pharmaindustrie, aber auch Wohltäter wie die Bill Gates-Stiftung, NGOs, die WHO oder die Weltbank, um diese Folge des Kolonialismus (Rodung des Dschungels, Anbau von Reis und Zuckerrohr, Ziegelherstellung) in Griff zu bekommen. 

Geldströme fließen von den Industriestaaten und zurück; aber gegen den Aufbau einer eigenen Industrie zur Bekämpfung der Malaria und gegen Bekanntmachung von Artemisia – dafür spricht eine unternehmungslustige Bioheilkundlerin als einem nützlichen Heilmittel gegen Malaria – stemmt sich immer irgendwas, eine Vorschrift aus dem eigenen Land, die WHO, die Weltbank und auch die Rolle der Bill Gates Stiftung bleibt dabei unklar. 

Der schön, ruhig und instruktiv fotografierte und montierte Film von Katharina Weingartner wirkt wie eine illustrierte Lecture zu dem Thema, ist mit bunten, informativen Textzeilen versehen und befragt Menschen, die mit dem Thema befasst sind, Lehrer, Ärzte, Heilkundler, Forscher, Kranke, Mütter, Ehrenamtliche, Kräuterkundler. 

Der Film diskutiert am speziellen Fall Malaria nicht nur das Thema Entwicklungshilfe für Afrika sondern auch die Diskrepanz zwischen Schulmedizin und Pharmaindustrie einerseits und traditioneller Medizin andererseits. Wobei er ganz klar Position für letztere bezieht. 

Desire – Desearás al Hombre de tu hermana (Heimkinostart)

Softporno aus Argentinien in fescher 70er Jahre-Attitüde

Eine kleine Vorszene zeigt, worum es in diesem Film von Diego Kaplan nach dem Drehbuch von Erika Halvorsen nach ihrem eigenen Roman geht: um den weiblichen Lustfaktor. 

Die beiden Protagonistinnen Lucia (Mónica Antonópulos) und Ofelia (Carolina Ardohain) werden anfangs von kleinen Mädchen dargestellt, die jüngere, Ofelia ist präpubertär, während die ältere Schwester zumindest frühpubertär sein dürfte. 

Lucia und Ofelia schauen in ihrem mondänen Haus in einem Salon einen Western und Lucia spielt wild Reitbewegungen nach, Ofelia mustert ihre aufgeputschte, größere Schwester ganz genau von oben bis unten. Dann fällt Lucia zu Boden. Die verrückte Mutter (Andrea Frigerio) eilt herbei, diagnostiziert einen epileptischen Anfall (ab hier werden die Töchter mit Pillen gefüttert); Lucia jedoch weiß von diesem Moment an, was ein Orgasmus ist. 

Im äußeren Rahmen wird das Movie bald zum Hochzeitsfilm. Lucia heiratet Juan (Juan Sorini). Heimlich taucht bei der Hochzeit die der Familie entfremdete Sofia mit ihrem Lover Andrés (Guilherme Winter) auf. 

So ist die Ausgangslage skizziert, der Liebe Seitenblicke (so der spanische Originaltitel „Desearás al hombre de tu hermana“ – du begehrst den Mann Deiner Schwester), die viel spannender zu sein versprechen als die Routine einer Ehe, vor allem, wenn die eine der Schwestern, Ofelia, eine spruchreifere und ausgetüfteltere Idee von Sex und Orgasmus hat. Diese Ideen über Sex, Lust, Orgasmus werden teils als Monologe auf ein Tonband gesprochen – oder dann auch abgehört, auch voice-over ausgetauscht oder in Dialogen. 

Fürs Auge tauchen hübsche weibliche Körper in adrettem Bikini in einen Pool oder die Kamera mustert muskulöse Männeroberkörper. Der Film spielt in den in punkto Lust nicht zu bremsenden 70ern, als die Männer urwaldwilde Wuschelköpfe und mächtige Schnauzer trugen. 

Es gibt viel Nacktheit, immer kurz vorm Hard-Score-Film. Dazwischen gibt es Songs über die Liebe („Nimm mich“ oder „Unwiderstehlich“). 

Das Setting ist mehr als nur Upper-Class. Die Villa der Familie hat einen Innenhof mit Pool, zu welchem aus Kellerräumen Fenster führen, wodurch schwimmende weibliche Körper schön zur Geltung kommen. Die Wände des Poolraumes wiederum geben den Blick unter das Wasser eines weiteren Pools frei. Sehen und gesehen werden, sich zeigen und schauen, seinen Körper im Wasser räkeln. 

Dialogbeispiele: Was für ein Schockoladenstück, lass mal sehen, toller Hintern (Strandszene mit den zwei Brasilo-Brüdern). / Du willst ihn also küssen, und das am liebsten ohne Zunge. Und wie willst Du Roberto küssen? / Du hast Dich an der Muschi? Ja, an der Vulva habe ich mich verbrannt. Kann ich mal sehen? / Mama hat uns nie erlaubt, Möse oder Muschi zu sagen. / Juan, findest du es nicht unpassend, diese Grapefruit so auszulutschen? / Der Schwanz ist wie ein Minenfeld, gefährlich, explosiv, faszinierend … der Schwanz fühlt sich an wie ein sterbender Vogel, der in meinem Mund wieder zu Leben erwacht.

Dramturgisch spielen Rivalität und Machtspiele der beiden Schwestern eine Rolle (die jüngere rennt immer in die Fallen der älteren) und die Mutter (Andrea Frigerio) ist eine Crazy-Figur, die sich nach dem Tod des Vaters, er schwamm malerisch nackt auf dem Bauch im Pool, eine Würgeschlange names Bernhard als Lebensgefährten zugelegt hat. Die Gebrüder Roberto (Luis Lugo) und Enrique (Frantz Chini Etienne) erhöhen als erotische Sidekicks die Liebesspannungen. Es ist vielleicht eine Art von Filmen, als solcher prima gemacht, auf welche hin in Frankreich die Nouvelle Vague entstand. Oder auch: heutiges argentinisches Genrekino pur – und hält, was es verspricht. 

Tunnel (Heimkinostart)

Brüchigkeit der Zivilisation

Klar, das ist der Kitzel des Katastrophen-Genres, dass ihm ein gesundes Misstrauen der modernen Technik gegenüber innewohnt, dass es mit dem Gedanken an deren Zusammenbruch spielt, etwa damit, dass Unglücke mit menschlicher Technik (hier: Tunnelbau), die rein theoretisch passieren können, irgendwann auch praktisch passieren werden, zB bei einem gerade eröffneten Autobahntunnel und dann eventuell ganz schnell. 

Geschäftsmann Lee Jung-Soo (Jung-woo Ha), Vertreter von Kia-Motors, fährt routinemäßig in den Hoda-Tunnel ein. Vorher telefoniert er noch mit seiner Frau Se-Hyun (Bae Doona), dass er bald da sei und was er besorgt habe und einem Kunden will er nach der Tunneldurchfahrt einen genauen Preisvorschlag machen. 

Der Tunnel ist autoleer, schnell wird klar, da stimmt was nicht und nach grad mal 5 Minuten glaubt man, der Film habe sein Pulver verschossen, dann ist dunkel, Stille, Husten, langes Schwarzbild – und jetzt fängt wohl die Katastrophe erst richtig an. 

Statt Endpunkt ist jetzt Anfangspunkt, der Film von Seong-hun Kim öffnet verschiedene Perspektiven, die in Hochspannung zu einanderstehen nach dem perfekten Rezept eines Katastrophenthrillers. Ein Tunneldrama, ein Eingesperrt-Drama, ein Bewusstseinsdrama. Es geht um den Horror, mitten aus einer sicher geglaubten, hochzivilisierten Welt herausgerissen zu werden. 

Perfekt nach den Regeln des Genres und mit den Raffinessen des modernen Kinos auf dem neuesten Stand der Technik von Kamera und Computeranimation ausgestattet: Exposition, Unglück, Versuch des Kontaktes zur Außenwelt mit Handy, Medienberichterstattung und Rettungsmaschinerie, die News-Welle, der verschüttete Protagonist, der Seitenhieb auf die moderne Technik: Tunnel erst gerade eröffnet und schon eingestürzt, Medienzirkus, die überforderten Retter („Gib mir mal das Handbuch“, „Gibt’s nichts Aktuelleres?“ „Es gibt eines der Amerikaner, aber ist nicht übersetzt“), Probleme der Kommunikation, psychologische Krisenberatung und – selbstverständlich beim Verschüttungsdrama – die Klaustrophobie, aber auch problematische Baupläne, Schilderung des Gefahrenszenarios, die verschiedenen Perspektiven, das Wettrennen mit der Zeit, wie lange reicht der Akku, ein Hund.

Zwischendrin eine fast wohlige Katastrophengemütlichkeit und kleinere Randdramen, wie auch kleinere Randerheiterungen. Dagegen: keine Angst vor einem brutalen Twist auf der Endstreke der Rettung. 

Nun ja, die Synchro ist nicht vom Feinsten, aber Katastrophenfilme brauchen das auch nicht, die leben nicht direkt von Sprachnuancen. 

Prima Personal. Der unaufgeregt selbstverständliche Retter Dae-Kyung (Dal-su Oh), der einen gewissen gesunden Menschenverstand hat, das Opfer Lee-jung Soo, das unter Tage samariterhafte Züge zeigt in der Not und seine Frau, die bangt, derweil sie Kinoschönheit ausstrahlt, und dann einen sehr schweren Entscheid fällen muss, und als Randfigur die Politikerin, die eins ausgewischt bekommt und wie das der Öffentlichkeit kommuniziert wird. 

Chichinette (DVD, VoD)

Je harmloser ein Mensch aussieht, je quirliger er ist, desto unverdächtiger wird er/ sie der Spionage. Und kann Menschenleben retten in dem in den letzten Zügen liegenden Dritten Reich. Siehe die Review von stefe.