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Dein Wille geschehe (TV, Serie, arte, ab 2. Oktober 2014)

Nirgendwo ist die Versuchung so latent vorhanden und so spannend wie da, wo Keuschheit gelobt wird, speziell wenn es sich um Seminaristen handelt, die Kapuzinermönche werden wollen und die allesamt vor Sinnlichkeit und Erotik schier platzende junge Männer sind, die ihre Sinnlichkeit offen zu Gesichte tragen.
Der Zeichen erotischer Spannungen sind viele, vom versonnenen Blick von Pater Bosco auf den jungen Mitpatienten über etliche zarte Berührungen Hand zu Schulter von Mann zu Mann bis direkt zum Onanieren vor Homopornobildern oder das Thema in der Schulstunde angesprochen.

Der Hauptkonflikt in dieser französischen Fernsehserie im Milieu von Kapuzinermönchen wird allein schon durch die Besetzung der jungen Seminaristen mit lauter Männern, die diese sinnlich Weichheit und Liebessehnsucht unverbogen ausstrahlen, deutlich. Sie wollen in den Orden eintreten und der Lust entsagen. Sie wollen ihre Liebeskraft Gott widmen (vielleicht sich auch vor den Problemen der Lust drücken?).

Pater Bosco möchte die Institution erneuern. Er führt mit den jungen Männern, die sich auf den Ordenseintritt vorbereiten, Gespräche zur „Schulung des Urteilsvermögens“. Darin kommt er unverhohlen auf ein allfälliges vormaliges Sexualleben der jungen Männer zu sprechen. Einer möchte jedenfalls nach diesem Gespräch gleich den Krempel hinschmeißen. Denn er war nicht glücklich darüber, was er erlebt hatte. Während Guillaume ganz klar sagt, darüber möchte er nicht sprechen. Immer schwingt das Thema Homosexualität mit.

Ein neuer Monsignore soll die Leitung der Institution übernehmen. Er ist voller Unsicherheit und gleichzeitg voller Ideen. Die Funktionäre halten allerdings mit ihrem Wissen über den desaströsen ökonomischen Zustand der Institution hinterm Berg. Später wird er sich als harter Hund hinsichtlich der Sparbemühungen erweisen.

Die jungen Seminaristen feiern das Erreichen ihrer ersten Zwischenstufe zum Mönchstum mit Musik und Tanz. Daraufhin ruft Bosco (sein vordergründiges Problem im Film ist ein Hirntumor) morgens um vier alle zur Laudes zusammen, um ihnen eine Moralpredigt zu halten.

Sie müssen ihre Herzen für Gott ändern. Priesterdasein bedeutet, ein ganzer Mann zu sein, ganz besonders männlich und ganz besonders heterosexuell (abgeleitet vom katholischen Katechismus). Der Herr wird Euch festigen und Euch vor dem Bösen bewahren.

Der gelähmte José, den sie mit durchschoßenen Beinen im Wald gefunden haben, bittet um Vergebung und wehrt sich gegen die Ausgrenzung.

Boscos Versuchung wird eine Therapeutin, die mit Handauflegen und Ernegiefluss arbeitet. Körperliche Nähe.

Jan, der Blondlockenkopf, unterrichtet nicht ganz konventionell und singt mit den Schülern, aber er soll den Katechismus lehren und sucht Rat. Dann noch der korrupte Schuldirektor.

Guillaume gesteht einer Klientin der Sozialstation für Schwangere, dass er schwul sei.

In der vierten dieser von arte ausgestrahlten Folgen wird eine offene Weihnachtsfeier angepeilt. Hier soll der Schülerchor von Jan singen, hier sollen die jungen schwangeren Frauen aus der Sozialstation, auf der Guillaume arbeitet, hinkommen und Verwandte und Freunde. Hier weichen die erotischen Konflikte der Frage, ob die Weihnachtsfeier gelinge.

Niemand weiß davon (TV, arte)

Zwei Comiczeichner, einer davon Protagonist JB, wollen in der Buchhandlung ihr erstes Heft verkaufen.
Sie lernen Alexia kennen. Die lädt sie auf die Sylvesterparty ein von Leuten, die ein
ComicKollektiv gründen wollen.
Minute 5: üblicher Künstler-Milieu-Saft.
Sparkling-Effects initiieren Liebesgeschichte zwischen Laura und JB.
Sie hat Kind, Oskar. Lässt sich gerade scheiden. Sie ist HIV-positiv.

Ein weiterer HIV-Film. Das Problem hierbei scheint mir, dass der Autor und Regisseur Jean-Philippe Amar das gezielt als Problemfilm aufgebaut hat. Nach zehn Minuten schon hat der Comiczeichner und Hauptdarsteller sich in Laura verliebt und von ihr erfahren, dass sie HIV-positiv ist. Wer jetzt wissen will, wie schwierig das Leben damit ist, der kann das in den weiteren 90 Minuten miterleben. Und sich zusätzlich von der indifferenten, deutschen Synchro abtörnen lassen.

Es gibt ein paar Spielereien, „ich verurteile Sie zu lebenslänglichem Präservativ als Comic“. Und graphische Spielereien dazu. „Geh und wasch dir den Schwanz schnell“. Hygieneanleitungs-, Aufklärungsfilm für Sex mit HIV-infizierter Frau. Das könnte man witziger machen, gerade wenn man eine Comiczeichnerfigur als Protagonist hat.
Ansteckungschance wie die, gleich einem weißen Nashorn zu begegnen. Gezeichnetes Nashorn erscheint sofort auf Mauer.

Vor allem wirkt die Liebe zwischen den beiden nicht besonders glaubwürdig. Die Liebesszenen wirken angestrengt.

„Manchmal schläft die Krankheit, manchmal ist sie wach“.
Nach 45 Minuten kommt es zum Familienknatsch, weil Oskar die Pillen nicht nehmen will.

Nach 50 Minuten: Aufklärung Eltern von JB.
Statt das künstlerische Element in die Figur zu nehmen und sie dadurch interessant und spannungserzeugend zu nutzen, werden Comics eingeblendet; der Filmemacher spielt den Zeichner.

„Sie müssten selbstverständlich immer sehr aufmerksam Ihr Glied kontrollieren“.
Nach etwas über einer Stunde: ein Kind ist unterwegs; es wird ein Mädchen, Elise.

Kaiserschnittproblematik. Und dann noch blöde Verwechslungsszene im Spital, frische Eltern halten ihn für den Doktor.
Nach drei Monaten: „Mach, dass sie (Elise) nicht krank ist“.

Ausdauernd ausgewalzte Autogrammstunde für JBs Comicbuch, wie um Zeit zu schinden.

Schließlich die komplizierte Freude, dass Elise negativ ist.
Und schon setzt Oskar zum Sprung in die Pubertät und zum ersten Sex an.

Der Fall Bruckner (TV BR)

Mehr Einsamkeit ist nie und nimmer weder im Fernsehen noch im Kino, als wenn Frau Harfouch Straßenbahn fährt. Sie wirkt wie ein blinder Passagier, so abwesend, so woanders. Eine Femme woanders. Das hat sie eindrücklich gezeigt im Kinofilm Giulias Verschwinden von Christoph Schaub. Das ist das Bild, was von diesem Film in Erinnerung geblieben ist.

Vielleicht haben die Drehbuchautoren Hans Ullrich Krause und Cooky Ziesche den Film gesehen und waren ebenso beeindruckt wie der Regisseur Urs Egger und haben sich inspirieren lassen für diesen TV-Themenfilm, in welchem es um Jugendschutz geht, um die Entnahme von Kindern aus verwahrlosten Haushalten, die das Kindswohl gefährden.

Auch hier dürfte vor allem Frau Harfouch in ihrer Einsamkeit tramfahrend in Erinnerung bleiben. Und am Ende wird man nicht mehr wissen, in welchem Film sie das getan hat. Die große einsame, unbekannte Trambahnfahrerin. Die große abwesend Anwesende. Um sie herum haben die TV-Macher ein TV-Movie gebastelt, das in einer überdrehten, slapstickhaften Hektik das Portrait einer Sozialarbeiterin abgeben soll, wie solche gut gestellten TV-Menschen es sich in ihrer TV-Routine und gleichzeitigen Ferne vom Bodensatz der Gesellschaft sich vorstellen.

Es soll der Eindruck eines gehetzten Lebens entstehen – also bittschön keine Charakteranalyse!. Es soll der Eindruck entstehen, die Frau sei stadtbekannt, denn überall wird sie von Klientinnen angesprochen. Es soll der Eindruck entstehen, Sozialarbeiterin sei ein gehetzter Beruf. Und da die Fernsehmacher Profis sind, entsteht auch genau dieser Eindruck.

Um ein Krimielement in die TV-asthmatisch aufgelöste TV-Routine zu bringen, kommt nach etwa einer Stunde noch der Verdacht auf, diese Sozialarbeiterin handle womöglich aus egoistischen, ein eigenes Unglück mit einem Kind kompensierenden Motiven.

Der Hauptfall Bruckner ist schwer nachvollziehbar: eine erfolgreiche Archtiektin, die lieber ihren Buben zu Hause einsperrt und nach Kanten verdrischt als sich ein Kindermädchen zu leisten, eine doch eher unrealistische Figurkonstruktion. Neben diesem Hauptfall werden als Polstermaterial noch wie beim Durchblättern von Sozialamtsakten einige weitere Fälle skizzenhaft eingebracht – oberflächlich.

Der arme Bub, der den geschlagenen Architektinnensohn spielen muss, was kaum überzeugend zu spielen ist. Aber dafür war eh keine Zeit, also egal ob Talent oder nicht.

Neckisch an dem Film ist, wie trotz reinster Routine auf allen Gewerkeebenen, durch die hektische Cutterei ein lustiges Großtadtkaleidoskop um eine tramfahrende Sozialarbeiterin herum entsteht. Das dürfte allerdings kaum Verständis für die Probleme schaffen. Denn die Figur der Frau Bruckner ist überhaupt nicht analysiert worden, obwohl es ja Geld für die Drehbucharbeit gegeben hat und bleibt deswegen nicht belegte Hypothese.

Ein typischer Fernsehcast. Ein typisch lieblosruntergenudelter Themenfilm.
Alles runtergerotzt, die Rotzerei mit schneidigem Schnitt übertüncht. Kein Fall wird gründlich behandelt. Kein Charakter untersucht. TV-Schnellatmigkeit aus der wohlbegründeten Panik, die Leute würden wegzappen.

Frau Bruckner müsste überhaupt erst mal mit einem bestimmten Charakter gezeichnet werden. Es gibt durchaus Hyänen auch in erfolgreichen Berufen. Denn die Vernachlässigung des Kindes muss einen Grund haben, muss begründet werden. Nur Zeitmangel reicht nicht. Es muss der Charakter der Figur so eingeführt werden, dass diese schlimmen Folgen plausibel werden (wie zB die Mutter in VIERZEHN von Cornelia Grünberg, Laura als Zwidercharakter).

„Ein Glas Rotwein könnte ich jetzt gebrauchen“. Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Polt (arte, Donnerstag, 25. September 2014, 20.15 Uhr)

Eine gemütliche Weingegend in Österreich. Eine Ortschaft namens Wiesbachtal. Ein Gendarm im vorzeitigen Ruhestand, der am liebsten durch die Gegend radelt und der sich gerne einladen lässt zum Essen oder auf ein Gläschen Wein oder Schnaps.

Zehn Minuten dauert es, bis die Leich gefunden wird. Vorher war schon viel Zeit zum Plaudern oder nicht, zum Blumen pflücken und auf Gräber legen, für Gespräche über Essen aus Gefriertruhen, Preisausschreiben, das Käseblatt, die Russen, zusperrende österreichische Schulen, Weinpanscherei. Die Locations sind begrenzt: die hellen Weinberge zum Himmel ragend, dunkle Kavernen und Gänge und Weinkeller, die auch für Schießübungen genutzt werden können und einige Räumlichkeiten des bürgerlichen Alltags, ein Gemischtwarenladen mit einer Inhaberin, die der Informationspool der Gegend ist, eine Kneipe, in der der Ex-Gendarm ausschenkt, einige ordentliche Privatwohnungen von Simon, dem Ex-Gendarm, von seinem Freund Norbert, der noch im Dienst ist und den er hoch verehrt, dessen Frau sich von einem anderen befriedigen lässt, weil Norbert impotent ist.

So sparsam das Licht in die Abgründe der Weinkeller fällt, so sparsam kommen auf den Fahrten und Gesprächen von Simon Abhängigkeiten und Abgründe aus diesem übersichtlichen Menschennest, Menschengespinst zum Vorschein.

Die Vorlage für diesen Fernsehfilm liefert der Roman von Alfred Komarek. Julian Pölsler hat ihn bearbeitet und erweckt den Eindruck, dass er, bevor er schreibt nachdenkt und nicht umgekehrt. Dadurch gewinnt der Film eine ganz eigene Atmosphäre in einem ruhigen Tempo, in dem es scheint, dass je weniger geschieht umso mehr passiert.

So leistet der Krimi, was ein Krimi im besten Falle tun kann: er erzählt etwas über das Leben, über das Leben in einer österreichischen Weingegend und allein der Dialekt fundiert die Glaubwürdigkeit, aber auch die behutsame Regie, der übersichtliche Fortgang des Gedankenfadens der Entwicklung, wo immer genügend Zeit bleibt, die Figuren zu charakterisieren und insofern für die Handlung wichtig zu machen und das wirft auch noch ein paar gute Sprüche ab. Es geht um Liebe, Vertrauen, Sex, Eifersucht und Alkohol, auch um den Job. Über das schöne, saubere Wiesbachtal, was auch mal Sodom und Gomorrha genannt wird. Und wie man sich in den Menschen täuschen kann.

The Mosquito Coast (arte, 22. September 2014, 20.15 Uhr)

Ein irres Filmteil von Peter Weir. Das Drehbuch hat Paul Schrader nach einem Roman von Pau Theroux verfasst. Da sind Kaliber am Werk. Der Film stammt von 1986.

Ein zivilisationsphilosophischer Abenteuerfilm. Mit einem Wahnsinn teils vergleichbar mit Werner Herzogs „Fitzcarraldo“, der ein paar Jahre vorher gedreht worden ist. Der Wahnsinn der Kirche im Widerstreit mit dem Wahnsinn der technischen Tüftelei und Forschung.

Harrison Ford ist als Allie Fox ein Erfinder und egomanischer Familienvater von vier Kids, der älteste, Charlie, wird gespielt vom blutjungen River Phoenix, seine Frau von Helen Mirren, die hier nur „mother“ genannt wird.

Der Film fängt brillant inszeniert in Amerika an. Ford ist ein Energiebündel von Mensch, ein pausenloser Redestrom, dem nichts, aber auch gar nichts mehr an Amerika gefällt. Andererseits wird er gewiss keine japanische Schaumstoffdichtung kaufen für seine Kühlmaschine, die er gerade am Erfinden ist für seinen Nachbarn, einen Spargelbauern, lieber wühlt er auf einem Schrotthaufen, um das entsprechende Ersatzteil zu finden. Die Maschine, die Eis produziert zum Frischhalten des Spargels, ist eine Ausgeburt an Tüftlerprodukt.

Der politpessimistische Fox befürchtet, dass Amerika bald an der Atombombe zugrunde gehen wird. Die Folgen der Zivilisation, der Beherrschung des Planeten durch den Menschen. In einem Impuls vom Bruchteil einer Sekunde entscheidet sich Fox, mit seiner Familie nach Mosquitia auszuwandern. Es bleibt nicht mal Zeit, das Geschirr fertig zu spülen. Ein atemlos rasanter Vorgang.

Auf dem Schiff in Richtung Dschungel gibt es die Begegnung mit dem Missionar Spellgood, eine nicht weniger verrückte Type, der zwei Gemeinden hat, eine in Balitmore und eine im Dschungel. Fox steht geistig auf Kriegsfuß mit den Missionaren und ihrer Einstellung zur Welt, die gar nichts ändert. Er ist allergisch gegen das Helfersyndrom.

In Mosquitia kauft er genau so schnell, wie er aus Amerika aufgebrochen ist, ein Stück Land im Dschungel. Es folgt die erste Robinson-Geschichte, die Einführung der Zivilisation im Dschungel, die Urbarmachung und der Bau einer riesigen Eisfertigungsanlage und der missionarische Wunsch, Eis selbst an die entlegensten indigenen Völker zu liefern.

Eine Expedition nicht unähnlich jener von Fitzcarraldo bei Werner Herzog. Leider sind die Eisbrocken bis zur Anfkunft beim Stamm, der Tagesmärsche ab von der Zivilisation lebt, geschmolzen. Immerhin kommt Foxens Expedition mit dem Lebern davon.

Zurück in ihrem Reich erhalten sie von drei unangenehmen, bewaffneten Typen Besuch, die sich ohne jeden Anstand bei Foxens einquartieren. Jetzt gibt es für Fox nur noch eine Lösung, Abbruch von Hausteilen. Nachts will er die drei Halunken in ihrem Zimmer einsperren und sie vereisen. Das misslingt insofern, als sie ein Loch zur Maschine schlagen können, worauf diese in Flammen aufgeht.

Jetzt hat Familie Fox alles verloren. Auf einem Boot fährt sie flussabwärts, denn der Fluss selbst ist verseucht mit dem Ammoniumhydroxid der Eisproduktionsstätte. Am Ufer zum Meer lassen sie sich wieder wie Robinson an einem vermüllten Strand nieder. Fox fühlt sich frei. Das reiche ihm zum Leben. Jetzt wird wieder aufgebaut. Aber der Meeresspiegel ist nah.

Es folgt zivilisationsphilosophisch noch ein Kapitel über den steigenden Meeresspiegel, resp. das Hochwasser bei Regen, wovon die Ärmsten der Welt am meisten betroffen sind, eine Warnung von einem Einheimischen und eine vorausschauende Tat von Charlie.

Der Film wird aus der Sicht des ältesten Sohnes Charlie erzählt, der ab und an seine Gedanken voice-over spricht, seinen Vaterkonflikt, die Enttäuschung über den Vater, der den Kindern vorgelogen hat, Amerika sei untergegangen, wegen der Atomgefahr und dass sie deshalb in den Dschungel gezogen seien. Es folgt kurz vor Schluss noch ein apokalyptisches Unwetter, worauf die Familie wie in einer Arche Noah erneut flieht, flussaufwärts suchen sie die Zukunft. Und es ist klar, dass es kurz vor Schluss noch zu einer finalen Begegnung mit dem Missionar kommen wird. Charlie leidet unter diesem widersprüchlichen Vater.

Die Widersprüchlichkeit des Allie Fox: einerseits bedingungsloser Forscher- und Technikglaube, missionarisch sogar, andererseits macht er den ganzen Erfolg von Amerika mies („Amerka ist eine Kloake“ „Dieses Land geht vor die Hunde“), ist wiederum Nationalist, schimpft über die Missionare und ist selbst missionarisch besessen. Forschungsfanatismus, Rücksichtslosigkeit. Eine höchst unterhaltsam, höchst widersprüchliche Figur. Er hält sich für mutig, in den Dschungel zu gehen.

Dieser Harrison Ford in seinem blumigen Haiwaihemd und mit einem unglaublichen Abenteuerpower ist ein Powerbündel, ein Energiebündel, ein Dauerdenker, Dauertheoretiker, sprudelt nur so von Plänen.
Erfindungstheoretiker, den Nutzen einer Sache klarstellen und vergrößern, Gott hat die Welt unvollkommen geschaffen (die Missionare lehren, sich damit abzufinden, darum hasst er sie).

Seine Modellgesellschaft.
Diese Kerbe im Dschungel, eine überragende Zivilisation. Genauso hätte Amerika sein können.

Eine erbärmliche Konstruktion der menschliche Körper.
Ich werde von nun an auf allen Vieren gehen.
Die Natur ist krumm. Ich wollte rechte Winkel. Gerade Linien. Du schneidest dich beim Öffnen einer Thunfischdose und stirbst.

Der Sohn: Jetzt, wo er gegangen war, hatte ich keine Angst mehr, ihn zu lieben und die Welt schien grenzenlos.

Monsoon Baby (TV, BR)

So sieht es aus, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinen Zuschauern (Durchschnittszuseheralter über 60!) Leihmutterschaften in Indien madig machen will (Drehbuch: Andreas Kleinert und Florian Hanig, Regie: Andreas Kleinert, Redaktion; Cornelia Ackers).

Im Folgenden stehen am Zeilenanfang die ungefähren Minutenzahlen im Film.

1 – 5 Stimmungsbilder aus Kalkutta: Indien ist laut, chaotisch und lärmig. Chaos. Nina und Mark in diesem Chaos.
5 Das Thema Leihmutterschaft wird in einem Gespräch des Ehepaares Nina und Mark mit indischer Ärztin, die in Heidelberg studiert hat, eingeführt.
7 Das Paar erklärt in einem Gespräch, was es alles versucht hat, um Kinder zu kriegen. Casting der Leihmütter.
10 Probleminfo: in Indien ist Voraussetzung Heirat. Darauf Heiratsantrag von Mark an Nina im Pool.
13 Samen- und Eierentnahme.
15 Indische Heiratsfolklore. Minutenlang.
17 Warten während Transfer. Nina: Man muss mindestens 5 Liter Wasser trinken am Tag bei der Hitze (und kurz darauf) ich hasse meinen Körper.
19 Nina: ich hoffe, das ist das letzte Mal, dass das passiert ist. Befruchtung über Monitor. Ein Berg Bargeld wechselt den Besitzer. Muss vom Klinikchef nachgezählt werden.
20 Leihmutter bekommt ein Ticket. Ärztin zu Spendern: Sie können jetzt Ihre Flitterwochen machen.
21 Folklore. Nina und Mark beobachten eine glückliche Familie. Tourismusfilm. Minutenlang.
Nina und Mark liegen nackt im Bett und träumen vom Kind.
23 Besprechung mit Frau Doktor: herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger. Julia Jensch, sie spielt die Nina, probt den ersten Gefühlsausbruch.
24 Folklore: Markt (zuhause erzählen wir nichts); so wird unser Kind riechen, voll nach Indien. Indischer Bub läuft durchs Bild.
25 In Deutschland mit Mama und Familie vorm Computer. Fotos von Hochzeit.
26 Info Schwangerschaft an die Familie.
27 Mark hat zum Vortäuschen der Schwangerschaft Monatsbäuche besorgt. Ehekrach, Nina will nicht so tun, als ob sie schwanger sei. Ich zieh so einen Faschingsscheiß nicht an.
28 Foto aus Indien.
29 Nina probiert den falschen Bauch an. Ehekrach wegen Bauch zieht sich minutenlang hin; sie fängt an zu saufen, betrinkt sich öffentlich, wird auffällig.
32 Nina offenbart sich der Kollegin; indische Frau bekommt mit meinen Eiern geschwängert vom Samen meines Mannes ein Baby. Aufklärung über Verbot in Deutschland, Strafbarkeit. Kollegin: Warum hast du mir das nicht gleich erzählt. Heulanfall von Nina, weil ich Angst hatte. Muss ausdiskutiert werden. Minutenlang. Theatralisch übertrieben. Ich will kein fremdes Kind, ich will mein Kind.
35 Nina mit dem Bauch an der Hand durch die deutsche Nacht, dazu Zitharklänge.
36 Trautes Gespräch von Nina und Mark über die Vergangenheit und die Beziehung im Bett. Minutenlang. Vielleicht kann man auch glücklich sein, wenn man nicht alles bekommt, was man sich wünscht.
38 Da schau her: Mark hat einen Beruf, arbeitet in einer Schreinerei. Die haben Ärger, stecken in der Scheiße.
38 Jetzt singt Julia Jentsch „der Mond ist aufgegangen“ am PC (immer müssen sie singen „Der Mond ist aufgegangen“, wenn sie nicht mehr weiter wissen in der Hochkultur).
39 Nina möchte zum ungeborenen Baby zurück nach Indien.
40 Skype mit der indischen Doktorin. I cannot hear you.
41 Nina besucht ihren Papa im schicken Landhaus, Architekturprunkstück aus Glas und Beton. Mir fehlt nur das Geld für die Reise. Beide hocken am Computer.
42 Nina mit ihrem Vater über das Geheimnis. Wiederholung: Gegensatz zwischen Kalifornien und Kalkutta in Bezug auf Leihmutterschaft.
43 Skype, Nina kann nicht mit der Leihutter sprechen. Ich hab keine Lust zu kochen.
44 Besprechung mit Mark, dass sie nach Indien zurück will. Ausgeschlossen, Geld verdienen, Arbeit machen. Ich hab das Geld. Du warst bei deinem Vater. Wir hatten eine Abmachung. Minutenlange Auseinandersetzung mit Mark über Reise nach Indien und die wirtschaftlichen Probleme. Theatralisch.
46 Nina verreist.
47 Nina ist wieder in Indien im Verkehrschaos, Taxe, Hupen, Stimmung, Hotel. Stromschlag.
49 Nina bringt Geschenke und einen Regenmantel in die Klinik und begegnet Shanti, der Leihmutter.
50/51 Shanti möchte gehen. Misstrauen. Shanti sei eine gute Leihmutter, sie möchte ihren Sohn sehen, sagt die Ärztin, die in Heidelberg studiert hat. Die Leihmutter wirkt verstört, unglücklich. (Das ist ein Culture-Clash, die reiche Deutsche mit ihren Geschenken und die verstörte Shanti, kurz wird der Film interessant.) Vielleicht könnte ich mich nützlich machen, ich bin Krankenschwester. Wir können immer Hilfe gebrauchen.
52 Nina arbeitet jetzt in der Klinik. Folkloreeinsprengsel. Shopping. Ein Fahrrad.
53 Nina auf dem Fahrrad im indischen Verkehrschaos.
54 Nina beobachtet Leihmütter, im Hintergrund, Tonspur: „der Mond ist aufgegangen“. Verkehrschaos. Tourismus-Folklore.
55 Nina hilft bei der Geburt von anderem Leihkind. Übertrieben. Viel Geschrei. Die Spender-Eltern schauen zu.
56 Glückliche Eltern halten ihr Kind von Leihmutter.
57 Folklore, Rikschas, Nina spaziert, Folklore, Tempelklänge, minutenlang und Flirt mit badendem Inder. Lehnt Anruf ab.
60 Telefon von Nina in Indien mit Mark in Deutschland über eine indische Göttin, die mit dem Thema zu tun hat, Menschenopfer. Sag mal, wo treibst du dich eigentlich rum, das gefällt mir gar nicht, dass du um diese Zeit alleine durch Kalkutta streifst. Keine Ahnung wo ich bin. Orientierungssinn abhanden, seit sie ihn kennt, er verfolgt ihre Handyortung am Computer, hilft ihr das Hotel suchen. Minutenlang.
63 Shanti wird vor Spital von ihrem Mann geschlagen. Nina greift ein. Ehekrach in indischem Straßenlärm. Folklore durch Verfolgung. Nina hinter Shanti und Mann her. Slum-Folklore. Müllfolklore. Minutenlang Elendsfolklore und Familiendrama in Slum.
65 Shanti hat Unterschrift von Mann gefälscht, er weiß von nichts.. Großer Gefühlsausbruch von Nina. (Da kommt immerhin ein Problem an den Tag, das ist kurzfristig spannend; ein Gewissenskonflikt deutet sich an). Wenn er es erfährt, wird er sie verstoßen und das Geld ist weg. Dann müssen wir jetzt zur Polizei gehen. Wir müssen sie als vermisst melden. Weiterer, gekonnt abgerufen gespielter Gefühlsausbruch von Julia Jentsch. Sie können jemanden nicht als vermisst melden, der noch nicht geboren ist. (Julia Jentsch hat immer den perfekten Gefühlsausbruch parat. Denn vom Film her sind die gar nicht vorbereitet.) Dann muss sie wieder ins Telefon heulsusen.
68 Und ich heul, weil ich nicht weiß, wo unsere Tochter ist.
69 Mutter von Mark möchte wißen, was los ist. Nina sucht Shanti gegen Trinkgelder. Folklore.
71 Mark trifft Nina in Indien mitten in Kalkutta. Wir müssen sie suchen. Lass uns mit ihrem Mann reden. Wir können nicht hier rumsitzen und nichts tun. Minutenlang.
73 Ich weiß jetzt wo Shantis Mann arbeitet. Suchen, Textilidustrie-Folklore, das sind zu viele.
74 Verfolgungsjagd Mann vonn Shanti.
75 Die Polizei im Haus von Shanti. Der Mann liegt am Boden und wird von Polizisten brutal mit den Füßen getreten.
76 Bakshish für den Polizisten.
77 Eisenbahnfahrt ins Dorf der Leihmutter, Folklore. Weißt du, was ich die ganze Zeit gedacht habe, was wenn unser Kind hier aufwachsen würde, wenn wir hier aufgewachsen wären. Minutenlang, Zug, Boot, Dorf.
78 Sie haben Shanti gefunden. Sie liegt krank auf dem Bett; Untersuchung durch Frau Doktor, die in Heidelberg studiert hat.
79 Notversorgung; Fruchtblase vor zwei Tagen geplatzt. Minutenlang, Shanti schreit.
80 Das Kind lebt noch (und wie füllen wir die letzten zehn Minuten des Filmes?)
81 Messer für Kaiserschnitt, drastisch,
82 Nina vor Hütte hält Baby in Arm.
83 Baby waschen, Baby schreit.
84 Die tote Mutter wird auf Boot gefahren; am Ufer sitzen Nina und Mark wie Maria und Josef mit Kind. Besinnliche, indisch angehauchte Musik setzt ein.
85 Auf deutschem Konsulat in Kalkutta Kind anmelden wollen. Plumpe Belehrung durch Konsularbeamten.
86 Kein Stempel. Leben Sie doch einfach weiter als Familie in Kalkutta.
87 Taxi, will nach Hause.

Dieser Fernseh-Themenfilme kann nicht glaubwürdig darstellen, warum eine gnaze Filmcrew für längere Zeit auf Kosten des Zwangsgebührenzahlers nach Indien fliegen muss, um dann jede Menge die Geschichte des Filmes und die Gedankenentwicklung zum Thema in keiner Weise förderndes Bildmaterial zu schießen.

Wenn es nämlich dem Sender allein um die Brisanz des Themas gegangen wäre, so wäre das viel billiger im Studio zu haben gewesen. Statt Reisen nach Indien hätte eine kurze Comciskizze oder eine Bildtafel genügt: Indien. Und die Gespräche von dort, die Szenen von dort hätten auch hier gespielt werden können, von mir aus im Sari. Dann hätten sich die Autoren auch gründlich mit den Figuren ihrer Portagonisten befassen und diese untersuchen und spannend gestalten können. Billiger und bequemer ist es aber, Indien-Folklore zu fotografieren statt Charakteranalyse von Hauptfiguren zu betreiben.

Oder sie machen einen richtigen Spielfilm draus, der in seiner Handlung, möglicherweise als ein Spannungsmittel eine Leihmutterschaft enthält.
So aber ist es halbe halbe und gar nichts, es wird viel zu viel überflüßig, stereotyp Bekanntes aus Indien erzählt, minutenlang, was mit der Thematik gar nichts zu tun hat, was nur erzählt, dass man auf Gebührenzahlerskosten in Indien gedreht habe.

Moral: hütet Euch vor Leihschwangerschaften in Kalkutta, es ist zu laut, zu folkloristisch, zu chaotisch, zu stressig dort, darum spende nie Deinen Samen oder Deine Eier einer indischen Leihmutter, denn diese sind unzuverlässig; sie betrügen ihre Ehemänner.

Fette Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers, der nicht nachvollziehen kann, warum er sich von seinem knappen Budget für derlei noch den Rundfunkbeitrag absparen soll.

Für Elise (arte, 19. September, 20.15 Uhr)

Drama um eine unzuverlässige, liebessehnsüchtige, alkoholabhängige Mutter.
Ihren Mann hatte sie bei einem Autounfall verloren. Die Tochter muss sich für Prüfungen an der Schule vorbereiten. Sie ist überall gut außer in Mathe. Und genau da sollte sie büffeln. Aber Mutter veranstaltet Partys zuhause. Keine Konzentration möglich. Oder sie geht in die Disco zum Anbandeln. Tochter holt die Post aus dem Briefkasten. Mahnungen und Rechnungen. Mutter vernachlässigt alles. Geht auch nicht zum Elternabend, zu dem sie dringend gebeten wird.

Trotzdem scheint Mutter ihren Job zu erfüllen. Sie ist aber ständig pleite und muss eine Freundin anpumpen. Einen Job scheint sie in einer Klinik zu haben (Ärztin oder Krankenschwester?), sie habe viele OPs, sagt sie einmal. Ein ander Mal sieht man sie als Verkäuferin in einem Warenhaus in der Textilabteilung.

Tochter leidet unter der Mutter. Will sie vom Alkohol wegbringen. Endlich findet Mutter einen netten, anständigen Typen mit zwei Kindern. Ludwig. Ein höflicher, zuvorkommender und gebildeter Mensch, zudem Redakteur. Vor ihm spielt sie ihrer Tochter gegenüber die perfekte Mutter. Ludwig scheint darauf reinzufallen. Aber wie er sie im Alkohol erlebt, will er nichts mehr von ihr wissen. Inzwischen hat es gefunkt zwischen ihm und der Tochter Elise, Jasna Fritzi Bauer, eine wirklich hoffnungsvolle Nachwuchsschauspielerin, die mir bereits in Scherbenpark aufgefallen ist; sie lässt durch die Situation mit dem toten Vater und der unfähigen Mutter ihr großes Pianistinnentalent verkümmern.

Weihnachten, das Fest der Liebe naht. Das wird die Beziehung der drei neu würfeln. Der Film will den Zuschauer aber nicht ganz hoffnungslos entlassen. Er endet vor einem Sanatorium, in das die Mutter gegangen ist. Und da ist auch noch der halbwüchsige Sohn von Ludwig, der bisher wenig Funktion hatte. Dem gefällt die junge Pianistin ausnehmend. Der wirkt etwas schematisch hinzugefügt.

Wolfgang Dinslage hatte ein Buch von Erzsébet Rácz zur Vorlage für seine Inszenierung, die versucht nah an der Realität zu bleiben. Er führt sein Ensemble aus gestandenen Berufsmimen recht natürlich und garantiert dadurch eine gewisse Grundglaubwürdigkeit und auch Spannung, wie denn Elise mit dieser schwierigen Konfliktsituation zurecht kommen wird. Tauglicher TV-Realismus in gehobenem Milieu angesiedelt (Piano, klassische Musik, Beethoven oder die Bedeutung der Oper „Die Perlenfischer“ von Georges Bizet). Trotzdem wirkt der Film mehr wie eine theoretische Erörterung, der man aber gerne folgt. Allerdings wirkt wenig plausibel, dass Ludwig ein Junggesellenleben mit Weggehen führt, obwohl er doch einen Haushalt mit zwei Kindern und seinen Beruf zu bewältigen hat.

Wenn jetzt die beiden entzückenden Tanten noch Tango getanzt hätten, dann wäre vielleicht der perlende Schuss Leben in die Geschichte gekommen, die sie über die reine Etüde hinaus erhoben hätte.

Kindkind (arte, ab 18. September 2014)

Hier feiert die ungehobelte Provinz, deren Gesicht nicht für Anpassung und Bürgerlichkeit steht, Urständ, teils gewollt, teils urwüchsig. Auf der einen Seite der Aktion steht der Bub Quinquin, Kindkind, mit seinem schiefen Mund, seinen nicht anbiedernden Blicken, vielleicht einem Hauch von Inzucht, seiner Rebellion gegen alles Gefällige und Geordnete, seiner skeptischen Haltung gegen Leben und Familie (dann aber doch artig Kind, lehnt er sich an die Schulter der Mutter) aber auch seiner Neugier dem Leben, der Provinz und den Mädchen gegenüber, einer Zukunft, die wenn man die Erwachsenen und ihr Tun beobachtet, nicht gerade verheißungsvoll ist. Ein idealer Junge für das Genre des Schlingelfilms.

Auf der anderen Seite ist der Kommissar mit seinem zahnlückigen Assistenten Carpentier. Der Kommissar selbst, eine unruhige Ebene von Gesicht mit einem Zucken in jedem Moment, mit buschigen Augenbrauen und schlohweiß-lockigem Künstlerhaar. Er weist die Kinder eher gutmütig zurecht.

Auf dem Bauernhof wirft Quinquin Knaller in den Hauseingang oder erschreckt damit Radtouristen bei ihrem Picknick in den Dünen. Objekt des Interesses sowohl von Kommissar als auch vom Kid: eine Kuh, eine tote Kuh, die in einer Screen-ergiebigen Aktion mit einem Heli aus der Ruine eines Weltkriegsbunkers gehoben wird. In ihrem Inneren findet der Tiermediziner die Rückstände einer Frau, lauter kleine Teile bis auf den Kopf. Der fehlt. Es wird sich ergeben, dass es Frau LeBleu ist, ihr Mann ist mit ähnlichen Ticks im Gesicht gesegnet wie der Kommssar, aber der Kommissar, der hat auch noch erhebliche Probleme beim Gehen, er hat einen richtig wackeligen O-Bein-Gang.

Das Geheimnis von Kommissars O-Beinen wird in Folge eins nicht gelüftet, genauso wenig wie das Geheimnis der Toten in der Kuh. Ja es scheint sogar, dass das das Spannungsmittel für die Fortstetzung dieser 4-teiligen, skurrilen französischen Fernseserie ist, denn der letzte Anruf in Folge 1 ist, dass eine tote Kuh gefunden worden sei.

Bei der Beerdigungsszene von Frau Lebleu allerdings haut es die bisher wie naturbelassene Provinz aus den Angeln, da wird mutwillig geblödelt mit einem Mikro, das an einer nicht fixen Angel hängt und grässliche Rückkoppelungen verursacht und einem Organisten, der auf seinem Harmonium nicht aufhören kann und einer Sängerin, die sich wohl am liebsten selber hört und mit Gelächter und weit übertriebenem Spiel: der Komik Zunder geben.

Die deutsche Synchronisation ist plump, vor allem die Stimme des Buben schlecht ausgewählt. Das nimmt der Angelegenheit merklich von ihrem provinziell beabsichtigten Reiz, von Menschen die in einem prägnant reduzierten Bewusstsein leben, deren Gesichter sich den Furchen der Erde oder der Meeresoberfläche anpassen.

Aber auch: Das Fernsehen kauft hier die Marke „Bruno Dumont“ als Autor und Regisseur, bei uns am ehesten bekannt mit „Das Leben Jesus“ von 1997. Da ist er als eigenbrödlerischer Provinzkopf aufgefallen. Und hier hat er sich das Business mit dem Fernsehen teils etwas leicht gemacht, minutenlang einen Gesangswettbewerb zu zeigen oder Majorettennummern und überhaupt der ausgiebige Fahnengruß der Blaskapelle vor dem Kriegerdenkmal zum 14. Juli.

Nach der breiten Islamismus-Amokschützen Szene gibt es einen großartigen Moment des Kommissars, ein Spiel seiner Ticks, die schwanken, ob sie weinen oder lachen sollen. Diese Gesichtspantomime dürfte recht einmalig sein im Fernsehen.

Und gegen das Klischeebild der Provinz am Rande des Zombitums und der vorherrschenden Asymmetrie. Nach einiger Zeit zeigt Dumont, dass der Film in einem modernen Dorf mit Neubauten spielt und auch modernem Restaurant mit Pianomusik; Provinz nicht nur billig hinterwäldlerisch; wie denn sowieso keine der Entwicklungen in den Serienteilen vorhersehbar sind, immer wieder lässt sich Dumont auf Äste hinaus, nimmt Abzweigungen, die man nicht erwartet oder freut sich über einen Behinderten, der tanzt, als ob er ein Kreisel sei oder am Organisten, der nur mit Tastenklimpern an seinem Harmonium übt ohne die Luftpedale zu bewegen. Oder seine Inszenierung gerät in den Bereich moderner Kunstperformance bei der Schweigeminute vor der Nixe. Dann aber wieder die Behauptung, die Provinz, das sei die Hölle. Ein bisschen Achternbusch, nicht primär auf Storytelling konzipiert, sondern sich die Narrenfreiheit nehmend, umso mehr als ihm hier das Fernsehen blanco 200 Minuten Film gespendet hat.

Messner (BR, 16. September 2014, 20.15 Uhr)

So fängt die Review von stefe anlässlich des Kinostartes an:
Dieser Film von Andreas Nickel, ein mit nachgespielten Szenen angereichertes Biopic über den Extrembergsteiger Reinhold Messner, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: einerseits ist er mitreißend durch einen Flow von Bildern, der so konzentriert ineinandergreift, wie Messner nach seiner Selbstbeschreibung beim Klettern in einen Flow kommt, die totale Konzentration auf den nächsten Halt, den nächsten Griff – alles andere: Gefahr und Liebe und Geschwätz und Verwandtschaft muss ausgeblendet sein, sonst stürzt er sofort ab – einerseits also ein Flow von Bildern, in der überwiegenden Mehrzahl Flugaufnahmen von Berggipfeln und Kletterwänden und Steilhängen und Schneeflächen, so dass man beim Verlassen des Kinos erst unwillkürlich Tritt zu fassen versucht und bass erstaunt ist, in einer stinknormalen europäischen City zu stehen, andererseits trieft diese Bildwerk auf seiner Textseite so was von Moral und von Rechtfertigungsversuchen, warum Messner nach dem skandalumwitterten und breit und immer wieder durch die Medien getretenen Tod seiner Bruders auf dem Nanga Parbat weiter gemacht habe mit der Extremkletterei, dass man so gar kein gutes Gefühl noch eine Sympathie für Messner erhalten will. Ganze Review.

Tatort: Der Wüstensohn (BR ARD)

Inspired by Saif al-Arab al-Gaddafi selig.

Der sechste Sohn des inzwischen getöteten libyischen Diktator Muammar al-Gaddafi, Saif al-Arab al-Gaddafi hatte in München gelebt und ist daselbst oft aufgefallen wie er mit seinem Ferrari dröhnend durch die Straßen bretterte, illegale Waffen besass und den Münchner Polizeipräsidenten in die Bredouille brachte. Besagter Polizeipräsident sei inzwischen von seinem Posten nach oben wegbefördert worden.

Gemeinsam ist diesem Tatort mit dieser Gaddafi-Geschichte lediglich, dass ein arabischer Prinz in München einen teuren Sportwagen fährt und dass der Polizeiarbeit wegen mehrere Delikte in den Gefilden der diplomatischen Immunität enge Grenzen gesetzt sind. Der Rest wirkt wie ein miserabel recherchiertes Ammenmärchen, das nur von den gängigen Vorurteilen und Klischees und Schlagzeilen über die reichen Araber geprägt ist („dann hackens Dir die Hände ab und wer tippt dann die Berichte?“), zusammengestoppelt aus anrüchigen Schlagzeilen und überladen mit einem unverdaulichen Mix an Themen: Verkehrsdelikte, nicht erlaubter Leichentransport, arabische Selbstjustiz, Kokainsucht- und -handel, Mord, Auftragsmord, Schießübungen im Münchner Vorgarten, Pornos auf Computer, Teppichhandel, Mauscheleien zwischen außenwirtschaftlichen Interessen und diplomatischen Verwicklungen, Sex mit Minderjährigen („Sexfalle von Staatssekretär, wegen Beziehung mit Minderjähriger“) und illegalem Rüstungsgüterhandel („Umgehung des Waffenkontrollgesetzes“). Diesen wüsten Themenmix haben Alex Buresch und Matthias Pacht zu einem Buch verwurstet und Rainer Kaufmann hat diese Münchner Wüstenwurst geschmeidig gezuzelt, damit 90 Minuten Fantasieorient den sonntagabendlichen, deutschen Zwangsgebührenbildschirm einlullen können.

Zwar ist nicht auszuschließen, dass die beiden Autoren, und die verdienen sicher nicht schlecht für so ein Drehbuch aus den öffentlichen Zwangsgeldtöpfen (besonders bei Wiederholungen), akribisch genau recherchiert haben im arabischen Diplomaten- und Geschäftsleutemilieu, was das für Figuren sind, die derlei Dinge treiben, und wie sie sich benehmen und verhalten.

Allerdings kommt die Angelegenheit gänzlich unglaubwürdig rüber, teils wie Kindertheater, wie die beiden Kommissare eine nächtliche Verladung von dubiosen Gütern aus einem Luxusteppichladen in der Maximilianstraße in einen Kleintransporter beobachten und wie der eine Kommissar sich daraus ein Teil schnappt, während der andere die zwei tumben Transportarbeiter anrempelt und nach dem Hofbräuhaus fragt; erstaunlich, dass bei so einem delikatem Transport kein Geschäftsführer, kein Aufpasser in der Nähe ist. Glaubwürdigkeit gleich Null. Dafür darf ich mir von meinem bescheidenen Einkommen noch die Rundfunkzwangsgebühr absparen. Rote Karte für diese billig oberflächliche Fernsehproduktion.
Dass die Kommissare das Angebot aus dem Fantasieemirat Kumar zum Aufbau von Polizeikräften nicht annehmen, versteht sich, ihre Gage aus deutschen Zwangsgebühren und vor allem die winkenden, fetten Pensionen dürften dagegen fürstlich sein. Hier wird das Zwangsfernsehen zu mehr Emirat, als der Film sich je zu zeigen traute.

Die Kamera liebt Tänze um ihre Objekte herum, zum Schwindligwerden, weil sie ganz offensichtlich mit dem Stoff auch nichts anfangen konnte.