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Palace Beach Hotel (TV, arte, Freitag, 14. November 2014, 20.15 Uhr)

Im Krieg gehen die Wahrheit und die Zivilisation verloren und kehren aus ihm nicht zurück. Das sollten sich alle merken, die angesichts von Enthauptungen im Irak nach einem Kriegseinsatz rufen. Da aber Soldaten gelegentlich aus dem Krieg zurückkehren, kann das in der intakten, zivilisierten Welt zu Problemen führen.

Die französische Armee, der solche Konflikte (posttraumatische Störungen, Selbstmorde) ungelegen kommen, hat für Afghanistanrückkehrer ein probates Mittel. Sie bringt sie für ein paar Tage im griechischen Teil der Insel Zypern in einem 5-Sterne-Hotel unter, um Wahrheit und Zivilisation für die Veteranen wieder auf die Reihe zu kriegen, um die Erinnerung an den Krieg zivilisationstauglich zu präparieren.

Elsa, Frank und Mario und ein schleimiger Belgier dazu waren in Afghanistan an der von den Armeeoberen total vermurksten Operation „Kolibri“ beteiligt. Einem Franzosen wurde die Kehle durchgeschnitten, es gab einen erschossenen Taliban, zwei Tote und zwei Schwerverletzte. Hinterbliebene der Toten haben bereits die Armee verklagt. Deshalb darf unter gar keinen Umständen die Wahrheit ans Licht kommen, darf unter gar keinen Umständen bekannt werden, dass die französische Armee aus gleich mehreren, unverzeihlichen Gründen den Einsatz vermurkst hat (ein Teil des Maschinenparks war nicht verfügbar, Kommunikationsübertragung hat nicht funktioniert, zwei hilfreiche Helikopter waren gerade okkupiert dafür, „hohe Tiere“ zu einer Stammesfete zu fliegen).

Der Film verfolgt nun, was mit der Kriegswahrheit von Elsa, Frank und Mario in diesem zypriotischen Luxushotel unter Aufsicht einer ängstlichen Armee passiert. Erschwerend kommt hinzu, dass Mario 98 Kapseln Herion, mehr als ein Kilo, in seinem Bauch rumschleppt, Fundstück beim getöteten Kameraden, mit der Absicht, das in Frankreich zu Geld zu machen. Nicht leicht, solche Fremdkörper komplikationsfrei über Tage im Gedärm zu behalten.

Eine weitere Kriegswahrheit: in der Armee gibt es keine Selbstmorde. Auch dazu hat der Film ein Beispiel parat.

Philippe Venaut hat diesen Film über den Versuch einer Rezivilisierung nach dem Krieg nach einem Buch von Jacques Forgeas und ihm selbst zu einem spannenden Fernsehspiel zusammengefügt und inszeniert.

Sein gutes Recht (TV, arte)

In unserer egomanischen Singlegesellschaft ist es ein Problem, wenn die Mündigkeit eines alten Menschen nachlässt, wenn Nachbarn den Eindruck gewinnen, einer könne sein Leben selbst nicht mehr meistern und wenn sich gewiefte Anwaltskanzleien wie diebische Elstern solcher Fälle annehmen.

Der Fall, um den es hier geht, ist Max Büttner, ein alter Mann, der allein und beziehungslos in einer Villa lebt. Die Verbindung zu seinem schwulen Sohn hat er längst abgebrochen. Weil Nachbarn eine gewisse Verwahrlosung feststellen, gerät Büttner in die geldgierigen Hände der Anwaltskanzlei Schillings, die sich auf solche Fälle spezialsiert hat (rein theoretisch müsste nach den Stunden, die die Kanzlei für ihre 200 Klienten abrechnet, jeder ihrer vier Anwälte über 15 Arbeitsstunden täglich leisten).

Das allein wäre schon ein Fernsehspiel mit genauer Recherche wert. Aber Marco Wiersch, der Drehbuchautor und Isabel Kleefeld, die Regisseurin, sind weniger an solch drögen Dingen interessiert. Darum lassen sie gleich zu Beginn, nachdem ihr Papagei gestorben ist, Thekla Carola Wied als Leni Schönwald auf ihren Jugendfreund Büttner treffen. Schnell erinnert man sich an die gemeinsamen Tanzstunden und den Cha-Cha-Cha.

Frau Wied trägt nun den subjektiven, fühligen Kommentar zu dem Ganovengebaren der Kanzlei vor, sie kriegt alles mit, wie der Büttner in ein teures Heim eingewiesen wird, wo ihr sogar Besuchsverbot erteilt wird, wie seine Villa weit unter Preis verkauft und ausgeräumt wird. Sie wird mit heftigen, überdeutlich prononcierten Texten (aber deswegen liebt sie wohl das Publikum, weil es bei ihr immer jedes einzelne Wort versteht und es oft auch die Mühe der Artikulation nachvollziehen kann) und mit viel Gefühl bis zur gespielten Ohnmacht klar machen, wie furchtbar das alles ist.

Wie die 90 Minuten sich dem Ende neigen, erfinden die Filmemacher eine nicht näher definierte Gerichtsszene, in der sie versuchen, alle dramaturgischen Stränge glücklich und gerecht zu schließen und in der die Protagonistin ein versöhnliches Abschiedswort zum Thema äußern darf („es geht hier nicht um die Schuld von Einzelnen“).

Ein Schauspieler wie Matthias Habich, der den verwahrlosenden, unter Präsenzverlust leidenden Büttner spielt, steht allerdings über jeglichem dramaturgischen Kleinkram und Winkeldenken und spielt seine Rolle überzeugend, er bräuchte für seine Darstellung nicht einmal die gelegentlich verdeutlichenden, verschwimmenden Subjektiven.

Der Rest des bunt gemischten Castes besteht teils aus Ab-Blatt-Spiel-Schauspielern, aber es gibt auch erfrischende Ausnahmen, Navid Navid als gewinnender und wach-präsenter Altenpfleger, einer mit Berufsstolz.

Ein Film zum Thema Betreuung und Entmündigung im Alter, ein Fernsehfilm auf heißem Acker, nicht ganz so heiß gestrickt. Das TV als Beratungsanstalt für Teilbetreuung, das zur Aufheiterung ein bisschen Altersklamauk beimischt und ohne viel Sprachregie von Frau Kleefeld zubereitet worden ist.

Solche erfunden Modell-Stories arbeiten gerne mit Texten wie:
Es hilft nichts, wenn du nicht zum Arzt gehst.
Ich hab das mit dem Knie auch viel zu lange hinausgezögert und nach der OP hab ich mich geärgert, dass ich nicht viel früher gegangen bin.
Du bist über 70, da ist alles dringend. Ich will aber, dass du mit mir zu tun hast.
Du hast ganz kalte Füsse.
Herr Büttner braucht dringend Geld und eine Haushaltshilfe (alarmiert).
Wieviel kostet denn ein Liter Milch? (Testfrage zur Mündigkeit).
Es ist Ihr Vater und es geht ihm nicht gut, haben Sie das verstanden?
Ich habe dieses Wort seit ewig nicht mehr in den Mund genommen: Sie sind ein Arschloch (richtiggehend empört).
Haben Sie’s nicht gehört, das ist sein Haus (beinah drohend).
Sagen Sie, haben Sie ne Meise? (vorwurfsvoll)
Ich will doch nur, dass es ihm gut geht (weinend).
Was soll also bittschön eine Frau in meinem Alter mit einem Datum?

Hier muss der Zwangsgebührenzahler bluten, um sich selbst, wenig ertragreich, überdeutlich und menschlich nicht einen Deut bereichert belehren zu lassen.

Woran glauben (TV, BR)

Die Freiheit der Religion, die Freiheit zu glauben, ist eines unserer wichtigen Grundrechte und insofern ein geeignetes Thema für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Vor dem Hintergrund der katholischen Kriche haben Eva Aichinger und Christiane Miethe eine Art Feldforschung des Glaubens betrieben (Redaktion Sabine Scharnagl und Bettina Hausler). Sie fragten sich, ob und wie die Menschen noch glauben angesichts der vielen Kirchenskandale, der Kirchenaustritte. Sie stellen fest, dass die Menschen aus den Kirchen rausdrängen, aber trotzdem ein Gefühl der Verbundenheit mit Gott behalten.

Für diese Feldforschung haben sie einen Blog eröffnet. Hier konnten die Menschen über ihr Verhältnis zum Glauben schreiben. Aus über 1000 Kommentaren haben Aichinger und Miethe einige Prototypen herauskristallisiert und berichten darüber, wie Menschen jenseits der katholischen Kirche einen Sinn im Leben finden, denn dass Religion Sinnstiftung ist, darüber besteht Einigkeit. Daher also die Frage, woran die Menschen heute noch glauben.

Julia, die früher Nonne war, die sich ständig künstlich mit Sauerstoff versorgen muss, findet im Klettern ihre Erfüllung. Christian stellt sich die Jenseitsfragen angesichts der Forschungen im CERN und will nicht ausschließen, dass irgendwo doch ein Schöpfer beteiligt sei. Franziska fährt auf ein Meditationsfestival, reagiert verhalten allergisch; sie schreibt Tagebuch und empfindet das als ihre Art, zu beten; sie nimmt sich gerade eine Auszeit vom Geldverdienen. Maria beschäftigt sich mit dem Tod, sie besucht ein Hospiz; sie findet in der Hilfe für Mitmenschen einen Sinn.

Alles eine Frage der Perspektive. So interpretiert auch die Kamera gelegentlich die Grundfrage dieses Glaubensmagazins des BR, indem sie sich fröhlich dreht und die Welt mal auf den Kopf und dann in Seitenlage und dann wieder auf die Füße stellt.

Fazit der beiden Dokumentaristinnen: das mit dem Glauben ist alles andere als out, aber in der Vielfalt ziemlich grenzenlos.

Akte Grüninger (arte, Freitag, 31. Oktober 2014, 20.15 Uhr)

Ein wichtiger, kleiner Beitrag zur Aufarbeitung der Nazizeit in der Schweiz mit ihrer ambivalenten Haltung dem Dritten Reich gegenüber. Die Akte Grüninger ist kein Ruhmesblatt für die Schweiz. Der Polizeihauptmann Paul Grüninger hat gegen die Dienstvorschrift Tausenden von Flüchtlingen aus dem Nazireich mittels Aktenfälschungen die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Dafür wurde er von korrekten, ehrenhaften Schweizern hart bestraft. 1939 wurde er unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. 1972 verstarb er verarmt in St. Gallen.

Die Schweizer sind nicht die schnellsten in der Aufarbeitung solcher Geschichten. 23 Jahre nach seinem Tod wurde Grüninger rehabilitiert. Mehr dazu unter wikipedia. Und jetzt, über 40 Jahre nach seinem Tod gibt es diesen Spielfilm (1997 brachte Richard Dindo eine Dokumentation heraus).

Und auch heute noch gehen sie mit dem Stoff merkwürdig ambivalent um. Alain Gsponer hat nach dem Buch von Bernd Lange die Regie mehr in Richtung eines Melos denn einer glasklaren Analyse geführt.

Ein bisschen wirkt der Film, wie sein Titel andeutet, wie ein sich durch die Akten fressen, nicht immer weiß man genau, wo man ist. Das Drehbuch von Bernd Lange ist nicht gerade der Hit. Es scheint keine klare Haltung zur Frage „wie erzähl ichs meinem Kinde“ gefunden zu haben, der Einstieg wirkt unentschieden, findet „irgendwann“ statt, wie Grüninger längst seine Praxis der Flüchtlingshilfe mit einem Kreis von weiteren Personen eingeführt hat. Dem Zuschauer wird also ein möglicherweise anfänglich vorhandener Loyalitätskonflikt Grüningers zwischen Vorschrift und Gewissen erspart. Grüninger ist von Anfang an der Held. Und als solchen spielt ihn Stefan Kurt auch makellos, in jeder Faser glaubwürdig und bietet ein akzeptables Äquivalent zum Original, das am Schluss in einer kurzen Filmsequenz eingeblendet wird. Wir erfahren es erklärtermaßen im Nachhinein, dass Grüninger vom Moment an, wo er wusste, was in Dachau geschieht, den Primat der Humanität vor den Primat der Regelkonformität und der Dienstvorschrift gesetzt hat. Umso mehr erscheint die Haltung des Filmes den Personen gegenüber, die sich als Grenzschließer aufmanteln, fatalistisch. Das Buch macht es, scheint mir, den Law- and-Order-Typen zu leicht, sich durchzusetzen, so leicht, dass man momentweise ihre Gebaren fast für rechtens hält. Was es formaljuristisch ja auch war.

Das Thema ist hochaktuell in Europa, in Deutschland und genauso in der Schweiz. Die zur Zeit gewaltig anschwellenden Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten und Afghanistan. Thematisch hat sich im Grunde genommen nichts geändert. Die Biederbürger und Reglementierer und Ausschaffer, alles ehrenhafte Bürger, die wollen nichts wissen vom Elend und der Bedrohung in den Herkunftsländern.

Lillyhammer (TV-Serie, arte, ab 30. Oktober 2014)

Eine augenzwinkernde Unterhaltung, die ihren Reiz aus der Widersprüchlichkeit des kulturellen Unterschiedes zwischen der New Yorker Mafia-Patenwelt und dem provinziellen, übergeregelten, norwegischen, gesichtslosen Kleinstädtchen Lillehammer bezieht, eine vergnügliche Illustration, die die bürgerliche Ordentlichkeit kitzelt, zum Thema .„Die Katze lässt das Mausen nicht“, respektive, wie leicht sind auch brave Norweger zu bestechen.

In New York wird ein Mafiaboss begraben. Am Grab gibt es die Diskussion zwischen Frank und Aldo. Der rechtmäßige Erbe wäre Frank, aber Aldo ist zum neuen Paten eingesetzt. Aus Rache packt Frank beim FBI aus und kommt unter ein Zeugenschutzprogramm. Die Stadt seiner Wahl heißt Lillehammer in Norwegen, weil es von dort so schöne Bilder von der Winterolympiade 1994 gegeben hat. Dort fängt Frank mit neuer Biographie versehen als Giovanni Henriksen ein neues Leben an. Aber wehe, wenn er mit der Polizei in Konflikt kommt, so werde er auf sich allein gestellt sein, das ist ihm vom FBI-Betreuer auf den Weg gegeben worden. Seine neue Nachbarin ist ausgerechnet die Polizeichefin, ein muntere, arglose, pausbäckige Figur. Das macht es noch prickelnder, wenn die alte Katze das Mausen nicht lassen kann.

Charmant wird der Zuschauer von einer Konfliktsituation zur nächsten geführt, wobei Konflikt hier lediglich den jeweiligen Zusammenprall der verschiedenen Denk- und Handelsweisen beschreibt. Kommt ja nicht in Frage, im Warteraum der Klink eine Nummer zu ziehen und Gewalt wird schnell mal angewandt und dem Sohn der Lehrerin, der in der Schule schlecht behandelt worden ist, gibt Giovanni den Ratschlag von den Steinen im Handschuh. Bald schon fehlen einem Klassenkameraden zwei Zähne.

Es ist auch ein Film zum Thema Bestechlichkeit im Allgemeinen und in einer soliden norwegischen Kleinstadt im Besonderen. Ein Mafioso kann offenbar auch in Norwegen die ganzen komplizierten Verfahren und Dienstwege spielend austricksen, einen Wolf jagen, eine Bar eröffnen, den Arbeits-Vermittler erpressen wegen verräterischer Fotos. Es ist ein Ausbreiten dieser kulturellen Unterschiede und ein bisschen suhlt sich die Serie auch darin. So wirkt der Satz von Giovanni schön doppeldeutig, wenn er sagt, er studiere hier die Kultur.

Alles dreht sich um die Hauptfigur Giovanni. Ihn spielt Steven van Zandt mit Ganovenknautschgesicht und rabenschwarzem, glatt nach hinten gekämmtem Haar, mit leicht wie aggressiv hervorstehender Unterlippe und Schmachtlippe zugleich und mit diesem ständig weltverächtlich gesetzten Gesichtsausdruck, mit leicht schräger Körperhaltung und teils fast kasperlhaften Bewegungen im raumgreifend, ausladenden Gang, der vor allem eines behauptet: ich habe hier das Sagen, ich habe die Freiheit, mich so zu bewegen wie ich will, sowieso komme ich prinzipiell zu spät zu jeder Versammlung und bekomme dadurch meinen Starauftritt, ich werfe vorwurfsvolle Blicke so viel ich will und verdrehe genauso genussvoll die Augen, wenn ich will und in meine Mimik hat mir erst recht keiner dreinzureden, das ist die Freiheit des großen Ganoven (und Schauspielers).

Die deutsche Synchro flutscht reibungsos.

Damit nun aber die Gefahr der Entdeckung bleibt, gibt es am Ort nicht nur die wonnepfropfige Polizisten-Nachbarin sondern auch einen Jungspund von Nachwuchspolizisten, der am liebsten als Elvis-Double auftritt, und der schon allein deswegen persönlich was gegen Giovanni hat, weil er in dessen Bar nicht auftreten darf. Dieser Polizist schafft köstliche Komplikationen mit oft doch falschen Verdächtigungen.

Weitere Player: ein Hebammerich, ein Investor und die Nachbarschaftsschutzgruppierung „die Nachtraben“.
Dass Norwegen so leicht zu nehmen wäre, das hätten wir nicht ohne weiteres gedacht.

Alpha-Campus MAGAZIN (TV BR)

So sympathisch dieses Magazin gemacht und moderiert ist, so ist es doch überwiegend von rein inneruniveristärem Interesse (Moocs zum Thema Chirurgie und Storytelling, Diskussion über Bachelor- und Masterabschlüsse an der Uni), um dann am Schluss noch über ein Projekt von zwei Game-Designern aus Berlin zu berichten, ungelegte Eier. Alles natürlich interaktiv oder crossmedial wie es heutzutage heißt.

Was mir nicht einleuchtet, ist, dass dieses Magazin aus dem Topf öffentlich-rechtlicher Zwangsgebühren finanziert wird, insofern es sich doch um inneruniversitäre Themen handelt, die aus Bildungstöpfen zu finanzieren wären.

Das Glück beim Tanzen (TV arte)

Das traurige und wohl auch tanzpolitisch kritische Fazit dieses Filmes ist, dass der begabtere der beiden Protagonisten, Syl, nicht genommen wird beim Casting, während Frenzy, der alles Syl zu verdanken hat, genommen wird und dann sogar in der Show der Hauptdarsteller sein wird.

Die Idee ist sicher ganz nett, Bauernjunge, der auf dem elterlichen Hof mitarbeiten muss, schafft es mit seinem Kumpel zu einem Vortanzen in Paris – als Anfang der Träume.

Nur müsste das vom Buch her auch ein bisschen vorbereitet sein. Man müsste erfahren, wieso Tanzen für ihn wichtig ist (er sagt nur, das mache ihm den Kopf frei); und worin sein Unglück auf dem Bauernhof begründet liegt. Sein Motiv müsste kenntlich werden. Nun, nicht alles was aus Frankreich kommt, ist Gold. Über eine halbe Stunde lang schreibt Camillie Fontaine, die Autorin des Drehbuches, willkürlich bäuerliche Szenen hintereinander (Misten, Melken, Kälbchen die Flasche geben, Traktor fahren und dazwischen tanzt die Hauptfigur, so ganz unbäuerlich besetzt). Besonders unglücklich wirkt unser Protagonist dabei nicht.

Es gibt zwei Schlüsselszenen im Film, die sind in Richtung traumhaft. Das eine ist der Erweckungstraum von Franzy, nachdem er mit einer Freundin mit halluzogenen Pilzen vermengtes Hasch-Zigaretterl geraucht hat: eine nächtliche Tanzszene wie ein Scherenschnitt vor tiefblauem Vollmondhimmel und dem filigranen Geäst von zwei Bäumen. Nachher weiß der Bauernjunge, dass er tanzen muss. Die andere Szene ist am Schluss, die könnte eine Hommag an Muhammed Ali sein, so leicht tanzen die Darsteller als Boxer in der Show. Mit dem Lockenkopf sieht Frenzy das erste Mal auch attraktiv aus.

Die Wichtigkeit des Tanzes für Frenzy wird nur theoretisch erläutert: als Frenzys Vater starb, habe Syl ihn zum Hipphoppen gebracht und damit über die Trauer weggeholfen.

Das Hängenbleiben oder Weggehen vom Land, das wird nach einer Stunde ein bisschen das Thema im Film. Sporadisch eingestreut zwischen künstlicher Besamung und der Feier für den 1. Preis der Milchkuh Shakira. Hier setzt der Film aufs Melo.

Nach vierzig Minuten sind die beiden Freunde, die eine merkwürdige Mechanik im gegenseitigen Körperkontakt zeigen, beim Vortanzen in Paris.

Im letzten Drittel entwickelt die Dramaturgie sich allmählich mit einigen Twists, dass zuerst klar ist, dass beide genommen worden sind, der Bauer aber auf gar keinen Fall hingeht, dann die Erkenntnis, dass er gehen wird und die entsprechenden Diskussion zuhause bis zum Packen. Die Entfremdung seinem Freund und Vorbild Syl gegenüber, bis dieser schließlich reuig gesteht, dass er nicht genommen worden sei. Am Bahnhof verabschieden sich die Freunde mit einer schöner Tanznummer mit einem reziproken Pas de Deux über die Bahnsteige hinweg.

Ein Film, der einen langen Anlauf nimmt, um dann melodramatisch zu schlingern, der die Hauptmotivation für den Protagonisten Frenzy nur theoretisch nachliefert, erst kurz vor Ende im Gespräch mit Syl.

Die deutsche Synchro ist lieblose Routine mit wenig Rücksicht auf den ganz unbäuerlich zusammengemixten Cast.

Guerilla Köche (TV BR, 21. Oktober 2014, 22.45 Uhr)

Die beiden ambitionierten Berliner Nachwuchsköche Felix und Max machen sich wie die Zimmerleute auf die Walz. Auf die Kochwalz nach Asien. Für 8 Monate haben sie sich einen Erkundungsfreiraum geschaffen, den sie mit wachen Sinne ausschöpfen. Sie reisen quer durch Asien und erhalten Einblick in die Küchen und die Kochkünste, von der Garküche im Straßendreck bis zum berühmten Sternelokal in Hongkong. Oft dürfen sie selbst mitkochen, beim Schnellimbiss wie beim Feinschmeckerlokal oder dürfen eigene Gerichte anbieten. Einmal landen sie sogar in einer Kindersendung im Fernsehen und bereiten Milchreis zu.

Die Regie für die begleitende Dokumentation hat Jonas Gernstl übernommen. Hier bürgt der Name des Produzenten Franz-Xaver Gernstl für Qualität, die der Junior nahtlos weiterentwickelt. Er hat Kameraleute dabei, die nicht weniger wach Atmosphären, kleine Dinge am Wegrand, Impressionen und genauso die unterschiedlichsten Gerichte, die nicht unbedingt immer nach unserem Geschmack sein müssen, von Walfleisch über Kobrainnereien bis Heuschrecken und Spinnen prima ins Bild setzen. So wird denn aus diesem Reise- und Abenteuerbericht weit mehr als nur ein Dokumentation übers Kochen. Es ist eine Dokumentation über das Reisen geworden, über das Wachsein, über die Offenheit Anderem gegenüber. Wie Bildungsabenteuerreisen sinnvoll und unendlich bereichernd sein kann. Die erfrischende Spontaneität unserer beiden Protagonisten trägt den Film wunderbar, sie übertragen ihren Erlebnishunger direkt auf die Zuschauer.

Eine Kochexpedition von Thailand über Bangkok, Kambodscha, Vietnam, China, Taiwan („gut für den Charakter, aber nicht für die Kochmission“), Japan, Singapur, Indien. Die Begründung für ihre Reise ist, dass sie ihr Ziel des perfekten Tellers noch nicht erreicht haben, dass sie noch besser werden müssen. Und die Asiaten kochen ganz anders. Ihr kniffligste Aufgabe bekamen sie in Indien gestellt: ein Menü ganz ohne Zwiebeln und Knoblauch. Die bange Frage: wo soll denn da der Geschmack her kommen? Selbstverständlich wird sie positiv und kreativ beantwortet.

Polizeiruf 110: Smoke on the Water (TV ARD BR)

Darum lieben sie ihren Dominik Graf, den Regisseur und Drehbuchautor. Geschmackvolle Interieurs. Geschmackvolle Darsteller. Etwas linkes Engagement (Plakate wie „Leidenschaft“, „Erhebt Euch“, „Widerstand gegen Militarismus“ oder der liebevolle Plakatverhau im Cafe Stöpsel und weder Autorenbuchhandlung noch der Exkurs zu den Kurden und Jessiden darf fehlen; Bekenntnis-Ästhetizismus). Geschmackvoll-graphische Abbildung eines Schädels. Mehr impressionistisches Mixen von Bildern als hartnäckiges Verfolgen und Ergründen einer Sache. Gerne auch Wiederholungen von Bildern. Dazwischen Klatsch-Philosophie über Bunte-Leser: die das Leben lieber anderen überlassen, weil sie Angst haben, es komme etwas an sie ran. Oder Lebensphilosophie: dass das Glück nie Spuren hinterlässt, es sind immer nur die dunklen Tage; zum Beweis dafür eine süße Zeig-mir-Deine-Wunden-Szene zwischen Kommissar und lesbischer Freundin des Opfers. Etepetete-Ästhetizismus.
So einen Film von Dominik Graf anzuschauen ist weniger Filmgenuss denn ein Erlebnis, wie das Durchblättern eines geleckten Hochglanzmagazins von Condenast.

Der Kommissar Brandt, der in seinem Habitus immer mehr an einen früheren Bundeskanzler erinnert (die um ihn herum spielen den König), der ist so ein patenter Kerl, der massiert dem Haupt-Verdächtigen sogar mit den Füßen den Rücken. Das ist ein bisschen wie ein Schlaraffenland. Dominik Grafs Schlaraffenland. Spielzimmer für Buben einer gehobeneren Gesellschaftsschicht.

Vor lauter Schönheit und Ästhetizismus und Bildimpressionismus und vor lauter Ineinandermix von Verhörszenen mit Erinnerungsszenen hätten wir fast vergessen, dass es sich hier um einen Kriminalfall handelt, den der Kommissar lösen muss. Eine Journalistin ist mit grandios malerisch verspritzten Blutspuren (und selbst dieses Detail wird noch zu einem gestischen Wiederholungsrefrain ausgewalzt sowohl vom Kommissar als auch vom Verdächtigen; Suhlen in sinnentleerter Ästhetik; Blutspritzen um des Blutspritzens willen). Ein Jazzmusiker (was wiederum Anlass für Szenen aus der Kulturwelt des „Jazz-Tunnels“ und Musikeinlagen bietet) wird des Mordes an der Journalistin bezichtigt und gesteht auch. Es ist Mischa Eigner, ein Künstler; „gesellschaftliches Fallobst“ (diese Folie braucht die Mehrbesseren-Schicht). Er hat den Fehler gemacht und wollte seinen Traum vom Künstlertum verwirklichen, aber 1200 netto reicht kaum für die Miete in München.

Jedenfalls ist in Minute 38 des Eineinhalbstünders bereits klar, wer wirklich der Täter ist. Aber botticellihaft schöne Fickszenen sind eben auch nicht zu verachten.

Welchem Verbrechen die Journalistin exakt auf der Spur war, das geht leider im blumigen Ästhetizismus unter. Der Weg des Kommissars führt zu einer Abhörstation im Voralpenland (NSA?), zu einer alt-eingesessenen adeligen Familie und der Rüstungsindustrie.

Da die Dialoge gar nicht oder nicht gut gearbeitet sind, versuchen die Darsteller wenigstens, ihre Bandwurmsätze unfallfrei abzuliefern.

Als Countdown gibt es ödes Kokolores mit maskierten Polizisten in der Villa des Haupverdächtigen. Kindertheaterspooky, der Kommissar als Märtyrer gefesselt am Fußende einer Treppe liegend, semireligiöser Schnieck.

Die reichen Leichen – ein Starnbergkrimi (TV BR)

Inhomogenität und Disparatheit zeichnen diesen Starnberg-Krimi von Sathyan Ramesh (Drehbuch) und Dominik Graf (Regie) aus.

In Starnberg sammeln sich Fremdkörper. Leichen. Im See. Am Straßenrand. Auf dem Waldboden. Aber auch das lebende Bestiarium ist eine unverträglich inhomogene Mischung. Ein Urgestein von Bayer als Polizist, Andreas Giebel, der in diesem Starnberg selbst schon wie ein Fremdkörper wirkt, seine hübsche Assistentin Annina Hellenthal, die von Dominik Graf weit über die Sachdienlichkeit hinaus in Szene gesetzt und hervorgehoben wird und dadurch auch rausfällt in gewisser Weise, ein glatt-geschniegelter, eine Art internationales Hochdeutsch sprechender Ex-Mann einer Millionärin, Hannes Jaenicke als Gerd Sinnern, pleite und zu Besuch. Bei der Polizei ein Zivilermittler Timo, Florian Stetter, der aus einer Welt des Synchronhochdeutsch zu stammen scheint, eine Pathologin, die aus dem Kabarett entsprungen sein könnte, ein Sanitäter namens Alex Holzer, den die Produktion bei IMDb auf der Castlist nicht für erwähnenswert hält (könnte ein interessanter Schauspieler sein), aber was ihm vom Drehbuch her und ohne genauere Betrachtung seines Charakters alles an Ideen zugetraut wird, da hauts der Realität den Boden raus. Und vielleicht fremdelt der Münchner Regisseur Dominik Graf in Starnberg sowieso.

Wer über Starnberg einen Krimi schreibt, Sahtyan Ramesh, und für den BR, der muss wohl diesen Mix wie aus Apps zusammenschustern: die Reichen, der Kini, die Ludisten und eine Polizeizentrale wie in einem New Yorker Krimi: immer alles voll und busy. Die Apps, die der Autor für die Entwicklung seiner Story benützt haben könnten, wären vielleicht eine Ludwig-App, eine Ludisten-App, eine Starnberg-App, eine Sprüche-App.

Jedenfalls scheint der Autor zu viel in den Krimi reinpacken zu wollen, so dass vieles da ist und nichts richtig und das geht alles irgendwie ganz schlecht zusammen. Verständlich, dass die Geschichte somit recht müde dümpelt. Weil man sich auf nichts einlassen kann. Dass zwar Geld ein Entführungsmotiv und auch ein Mordmotiv ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber wieso nicht einen Fall etwas gründlicher unter die Lupe nehmen? Was genau waren die Motive von Sinnern? Was diejenigen von Alex Holzer? Wozu war die Fahrradunfallszene mit anschließendem Tod nötig, nur um im Nachhinein zu erklären, warum der Sanitäter, der zufällig vorbeifuhr, so weit vorgefahren ist und dann zurückgerannt kam? Drehbucharbeit ungegnügend.

Das schert aber Dominik Graf nicht, die Regie zuzusagen. Und wenn ihn sein eigenes Werk nicht so recht befriedigt, dann haut er halt ein bisschen Opernmusik darüber.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers, so ein Kuddelmuddel muss ich nicht auch noch mitfinanzieren, das nicht eine der Figuren interessant werden, Persönlichkeit gewinnen lässt.

Ist Dominik Graf irgendwie sauer auf die Süddeutsche, dass bei den gefakten Zeitungskästen im Film zwar Referenzen auf die üblichen Tageszeitungen des Münchner Raumes da sind, aber ausgerechnet eine auf die SZ fehlt?

Merkwürdiger Frauen-Cast, alles relativ harte, wenig charmante Frauen („lauter rechte Besen, wie die echte Sissi“, an dem Satz aus dem Buch scheint sich das Casting bei den Frauen orientiert zu haben). Generell ein Cast, der vermutlich zeigen soll, wie heterotonisch so eine Gemarkung wie Starnberg zusammengesetzt ist, mit wie unverträglichen Charakteren, die so gar keine Einheit ergeben, Schwemmland, ein Agglommerationspickel.

Sprüche: Du hast jetzt keine Ludwig-App?
Männer, wir können nicht mit ihnen, wir können nicht ohne sie.
Wie der im Film zitierte „Der Fall Weilinger, der hat kein Rhythmus“, so ergeht es diesem Storyzusammengestochere.

Und dann nicht mal Dramaturgie-Enspurt-Masche richtig durchgeführt. Zehn Minuten vor Schluss ist zwar Gefahr in Verzug, aber oh Schreck, dann wird plötzlich noch die Wasserleichen-Ludwig-Doppelgänger-Abdankung dazwischen geschnitten. Immerhin schön, dass die Polizei an der Abdankung von Leichen, mit denen sie befassst war, teilnnimmt. So wirkt Starnberg direkt britisch (inspiriert by Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit?)