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Stella Days (arte, 18. August 2014, 20.15 Uhr)

Es ist schwer, etwas gegen die Leuchtkraft einer 60-Watt-Birne zu sagen.
Dieser Satz von Pfarrer Bradely beleuchtet nicht nur die drei Themen in diesem irischen, außerordentlich sorgfältig gemachten Reminiszenzfilm: ganz unsymoblisch die Elektrifizierung, symbolisch religiös, das Licht Gottes und drittens das Kino als ein Ort der Zivilisierung, der eine Birne braucht, um das Licht auf die Leinwand zu werfen. Der Satz kann aber durchaus auch selbstironisch als ein Kommentar von Pfarrer Bradley, gespielt von Martin Sheen, gesehen werden, sich selbst als nicht allzu großes Licht zu sehen, andererseits mit seiner engagierten Weisheit und einem Lebenspragmatismus („die Seele wird durch vieles genährt“) ausgestattet, gegen den kalten, verstockten irischen Norden in der Gegend von Tipperary und im Gemeindesprengel Boris O’Ken. Hier hält gerade die Nachkriegsmoderne der Elektrifizierung der 50er Jahre Einzug; parallel dazu entwickelt sich der ideologische Kampf zwischen Kirche, Politik und Kino.

Pfarrer Bradley als enthusiastischer Schmalfilmer bildet zusammen mit dem aufgeschlossenen Lehrer Tim aus Dublin ein progressives Gespann, das gegen den reaktionären Politiker Brendan O’Sweeny und den Bischof ankämpft. Dabei setzen sie trickreich Argumente über den Ruhm Irlands ein, die sich konsequent gegen die Argumente der Reaktionäre kehren, den Hollywoodstar Rex Ingram führen sie an, der Irländer, der dummerweise aus protestantischen Verhältnissen kommt oder den Schutzheiligen Irlands, St. Patrick, er ein Einwanderer.

Der Bischof ist Opportunist gegenug, die Geschäftstüchtigkeit der Amerikaner zu sehen und sie sich zu eigen zu machen. Er will eine neue, protzige Kirche bauen, mehr Le Corbusier als Michelangelo, wie ein Berater meint. Dazu braucht er Geld. Das wird Pater Bradley, der 20 Jahre in Amerika war, doch beschaffen können, das dürfte er doch dort gelernt haben. Bradley will es mithilfe der Eröffnung eines Kinos. Und wie ein Adlatus dem Bischof die Einnahmen einiger Kinos in der Gegend vorrechnet, ist auch der Bischof gewonnen, der vorher noch in einem von der Kanzel zu verlesenden Hirtenbriefen heftig gegen den zweifelhaften und bösartigen Einfluss des Fremden, des Hollywood-Kinos hat anwettern lassen. Jetzt setzt er dagegen seine Überlegung, man müsse den bösen Mächten dieser Welt immer einen Schritt voraus sein, so wie Hollywood. Ein überraschender Schwenk.

Pfarrer Bradley, der durch seine Glaubwürdigkeit und seinen energischen, zielbewusste Schritt Vertrauen erweckende Martin Sheen, hat zwei Vergangenheiten. Eine fernere in Irland, wo er zur Zeit dieses Filmes von Thaddeus O. Sullivan nach einem Drehbuch von Antoine O. Flartharta nach dem Roman von Michael Doorley wieder wirkt und eine nicht ganz so ferne, offiziell auch präsente in Rom, da soll er „auf den Putz“ gehauen haben. Dorthin zieht es ihn zurück, weil er seine Arbeit über Johannes am Kreuz zu Ende schreiben will; dazwischen gibt es ein 20jähriges Intermezzo in Washington an der katholischen Fakultät. Wenn er ehrlich zu sich selbst wäre, müsst er allerdings zugeben, dass seine römische Vergangenheit nicht ganz so strahlend ist, wie er es gerne hätte. Der Mitbewerber um seine Wunschposition im Klerus, den er als Trottel abqualifiziert hat, war ihm schlicht überlegen und besser qualifiziert. Deshalb darf Bradely jetzt in Tipperary wöchentliche Scheinbeichten abnehmen und der alten Peggy regelmäßig die letzte Ölung erteilen, weil es ihr so gut tut. Eigentlich ist Bradely schon am Packen für die Rückkehr nach Rom, die aber kurzfristig abgeblasen wird.

Der Film erzält in seinem Hauptteil, welch unkonventionelle, teilamüsante Stattdessenaktion Bradley mit dem neuen, aufgeschlossenen, filmbegeisterten Lehrer Tim unternimmt, um die Finanzierung für die neue Kirche auf die Beine zu stellen. Und wie dabei der ideologische Konflikt zwischen Kirche, Politik und Kino eskaliert.
Auf die Idee mit dem Kino hat ihn Tim gebracht, denn mit der vom Bischof verordneten Tombola ist kein Geld zu machen.

Die deutsche Synchro scheint mir fernsehpassabel.

Martin Sheen, ein Darsteller mit 248 Credits bei IMDb, kurvt traumsicher wie auf beherrschten Kufen über Glatteis durch die Widersprüchlichkeiten seiner Rolle im oft winterlichen Irland. Der mütterliche Ehrgeiz, der ihm einredete, etwas Besonderes zu sein, die glanzlose Realität eine irischen Landpfarrers, der von einer hohen Position in Rom geträumt hat, der das Kino liebt und darin eine Verheissung zur Zivilisierung sieht (dem Bischof gegenüber preist er es an als einen Quell des Wissens, wobei er nicht unbedingt Imkereifilme oder vom Bischof favorisierte Dokumentarfilme über die Aran-Inseln von der Catholic Film Society meint) und der ein begeisterter Schmalfilmer ist (Rom oder Vorgänge zur Elektrifizierung), der sich ertappt bei der Lüge, er sei von Gott gerufen worden und der selbst eine Vergangenheit in Irland hat, die nur wenig erhellt wird. Der den gregorianischen Gesang mit einem Häuflein Unbegabter übt.

Über den Bischof heißt es, er möge es, Kirchen zu bauen, er habe eine ausgesprochene Leidenschaft für Beton. Dieser Beton bekommt durch Pater Bradleys Wirken ein paar Risse.

Der Zerstreute (TV, arte, Mittwoch, 13. August 2014, 20.15 Uhr)

Der Zerstreute, den Pierre Richard sich 1970 auf den Leib geschrieben und mit sich als Protagonisten selbst inszeniert hat, erinnert von der Haltung zur Unterhaltung her an Thomas Gottschalk und von der traumhaften Sicherheit der Performance her an den jungen Beckenbauer von damals.

Der Film soll Richard selbst und den Zuschauern Spaß machen, Weltergründungskrampf und Weltschmerz sind absolut tabu. Mit kindlicher Freude und durchaus orientiert an den Vätern der Klamotte werden liebevoll Gag an Gag und Slapstick an Slapstick aneinandergehängt, altbekannte Tricks, die Verwechslung des Hutes, der Blindenstab, der am Nicht-Blinden hängen bleibt, so geht dieser automatisch eine Weile durch das verkehrsreiche Paris von 1970, welches die schwere Geburt der 68er Revolution bestens überlebt zu haben scheint und sich in einer Aufblühphase ein Vierteljahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges befindet. Durch den Erfolg des Geschäftes und des Geschäftens wird dieses und das Machen von Geld wichtiger, damit auch die Werbung für unnötige Artikel aller Art („Clistax, der Beutel mit den tausend Beuteln für Tüten“) und somit Thema für eine Filmkomödie.

In diesem aufhippenden Milieu siedelt Pierre Richard seine Figur Pierre Malaquet an. Er spielt ihn nicht als einen realistisch zerstreuten Professor, sondern als einen Entertainer, der seine Gags gezielt setzt und damit zu verstehen gibt, dass er sich amüsiert über den aufkommenden Bierernst in diesen aufsprießenden GeldmelkBranchen, über den verordneten „Gleichschritt zum Erfolg“; da schafft er noch jedes Mal den Tritt daneben, gründlich daneben, bis der Erfolg eo ipso megagroß wird; so gehört es sich für eine Trottel-Komödie, wobei der Trottel eben keine Trottel, sondern im Tiefinneren ein unbeirrbares Genie ist.

Im Zusammenhang mit dieser gewissen Unverbissenheit und diesem Laissez-Faire wirken die Original 70erJahre Outfits noch überzeugender als sonst, interpretieren sozusagen sich selbst.

Hier muss das Hundefutter Casimir genau so beworben werden wie der Vin du Corsaire oder fluoreszierende Damenslips, aufplaunzender Wohlstand. Pierre nennt seine eigene Werbeagentur Jericho. Die Trompeten, die Mauern zum Einstürzen bringen. Scharf genug sind seine auf Super-8-gedrehten Muster: Zigarettenwerbung mit Erschießungsszenen oder ein Werbefilm für Rottweiler, in welchem Jagd auf die Gattin gemacht wird.

Seine Karriere macht Pierre als Zerstreuter selbstverständlich gerade nicht über die Leiter, von der er gerne redet, und die er auch mal rumträgt, sondern durch die Hintertüren, über die eigene Mama und die Gattinnen oder Töchter der Chefs, obwohl er sich auch da prinzipiell nur daneben benimmt; aber so herzlich und charmant, dass er die Gunst der Damen gewinnt.

Ein schönes Beispiel für das Verhältnis zum aufkommenden Wohlstand und Schick ist das Miniauto von Pierre, verbeult bis dorthinaus und einsteigen muss er durchs Dach. Wobei dem Zerstreuten das Missgeschick passieren kann, dass er so zerstreut ist, und vergisst, dass er übers Dach aussteigen müsste und dann funktioniert die Türe ganz normal.

Dass so eine Leichtigkeit möglich war, muss an der Zeit gelegen haben, in einer Zeit wie der heutigen, in der die verbissene Ökonomisierung alle Lebensbereiche vor sich her treibt, ist das kaum mehr vorstellbar. Die 70er scheinen da wie eine hohe Zeit der Légèrté, der Ausgewogenheit zwischen Ernst und Spaß gewesen zu sein. Man konnte es sich leisten, den Pierre durch seinen Chef in einen Keller zu verdonnern, wo dieser sämtliche Kanarienvögel, Wellensittiche und Papageien seiner Frau weggesperrt hatte und Pierre, statt sich aufzuregen, fängt an mit einem Stab das Vogelkonzert zu dirigieren. Leichtigkeit mit diesem leicht schlacksigen Charme.

Die deutsche Synchro scheint von dieser schwebenden Atmosphäre angesteckt, als ob die Ökonomie gerade so vorm Abheben sei, ein Glanzlicht im Vergleich zu den heutigen Nachsprechereein, denen meistens der Kostendruck der Studios dick anzuhören ist.

Wie Pierre Werbefotos mit wenigen Filzstiftstrichen einmalig und auffällig macht, wie er sich in der Wohnung irrt und den Hausherrn, der sein Gesicht voller Rasierschaum hat, bittet, er möchte sich doch wie zuhause fühlen, wie der den Flic auf der Kreuzung in tief nachdenklicher Pose zurücklässt, und der altbekannte Slapstickgag mit der Tischplatte, die er unterm Arm trägt, und wie die Passanten sich drum herum oder ihn drehen, hundertfach schon erfolgreich gezeigt, aber wunderbar eingesetzt, und Wortverdrehungen und Identitäsverdrehungen und Kleiderverwechslungen, statt den Mantel des Gastes an den Haken hängt er ihn sich selbst um. Altes charmant und als Ausdruck einer einmaligen Zeit vorgeführt – heute für den vergnüglichen Sommerabend.

Flucht aus dem Todeslager – Camp 14/Nordkorea (TV-Programmhinweis BR am 6. 5., 22.45 Uhr)

Alle wissen es, Frau Merkel weiß es, Herr Steinmeier weiß es, Herr Gabriel weiß es, Herr Seehofer weiß es, Herman van Rompuy weiß es, Herr Martin Schulz weiß es, Herr David McAllister weiß es, Herr Markus Ferber weiß es, Frau Rebeca Harms weiß es, Herr Alexander Graf Lambsdorff weiß es, Frau Gabi Zimmer weiß es, Herr Anders Fogh Rasmussen weiß es, Herr Ban Ki-Moon weiß es und auch Herr Obama weiß es. Spätestens seit diesem Film ist es öffentlich, was in Nordkorea abgeht, wie hier mit Menschen umgegangen wird. Aber alle dulden es.

Der Film ist ein erstklassig gemachtes und zugleich erschütterndes Dokument über KZs in Nordkorea. Nach Schauen dieses Filmes kann es auch jeder BR-Zuseher wissen, der um 22.45 Uhr noch die Muße hat, einen Film zu schauen und so harte Kost zu ertragen. Diesen Film zu zeigen, scheint mir ein sinnvoller Umgang mit den Zwangsgebühren. Siehe meine Review und auch die von Thorsten Krüger.

Komm und Sieh, eine neue Filmseite

Mit großer Freude darf ich verkünden, dass Kollege Thorsten Krüger sich daran gewagt hat, eine eigene Filmseite ins Leben zu rufen: Komm und Sieh – World Cinema, Film International & US-Movies. Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!

Kunst, Glitzer und Glamour beim Filmfest München 2012

Am 29. Juni ist es endlich so weit: Das Münchner Filmfest öffnet seine Pforten. Bis zum 07. Juli haben Liebhaber und Freunde des Films nun die Möglichkeit, sich in der Landeshauptstadt Bayerns an den neuen Werken von Regisseuren wie Francis Ford Coppola oder Jacques Audiard zu erfreuen. In diesem Jahr gibt es sogar noch einen ganz besonderen Anlass zu feiern, denn die Filmfestspiele finden nunmehr zum 30. Mal statt.

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