Archiv der Kategorie: Tipp

Verbrechen Liebe (BR, Mittwoch, 21. Januar 2015, 22.00 Uhr)

Rassenschande wurden in in der Nazizeit Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Ausländern genannt und als schlimme Verbrechen bestraft. Wenn den Beziehungen Kinder entsprungen sind, wurden sie den Müttern weggenommen, die Mütter ins KZ gesteckt. Aber selbst diese Wahnsinnsideologie ist an ihre Grenzen gestoßen; weil im Krieg Männermangel im Lande herrschte, versuchten die Nazis vornehmlich polnische Zwangsarbeiter mit hochkomplizierten, bürokratischen Verfahren und Verwaltungsaufwand einzudeutschen. Ist die Natur nicht nach der Theorie, so muss sie der Theorie entsprechend verbogen und abgemessen werden.

Behutsam decken Andrea Mocellin und Thomas Muggenthaler in ihrer Fernsehdokumentaion dieses schauderhafte Kapitel der NS-Zeit auf. Im Zentrum haben sie die Deutsche Helene Wimmer, die von einem polnischen Zwangsarbeiter ein Kind erwartet und zur Welt gebracht hatte, und die selbst als Zeitzeugin noch erzählt, wie ihr das Kind weggenommen wurde, wie ihr die Haare geschoren wurden, wie sie ins KZ verbracht wurde, wie die schönste Zeit ihres Lebens von den Nazis zerstört wurde – nur wegen der Liebe zu einem polnischen Zwangsarbeiter.

Kennengelernt hat Frau Wimmer ihren Polen auf dem Hof ihrer Eltern. Beim gemeinsamen Leben und Arbeiten auf dem Feld kam man sich näher und traf sich im Verborgenen. Bis die Schwangerschaft nicht mehr zu leugnen war. Die Deutschen hatten um die 3 Millionen Polen für den Arbeitseinsatz nach Deutschland deportiert.

Die Strafen für die „Rassenschande“ waren brutal. Darüber hat die SS eigene Dokumentarfilme zur Abschreckung hergestellt, was ein ganz seltener Fall von Naziselbstdokumentation sei. Daraus gibt es hier Ausschnitte und auch privates Filmmaterial und Fotos von solchen Strafen, zu denen die Filmemacher Zugang hatten, und das sie in ihrer sorgfältigen Dokumentation verwenden. Sie haben weitere Zeitzeugen ausfindig gemacht, die selbst als Kinder, Mütter oder Verwandte betroffen waren.

Die deportierten Polen mussten sich mit einem P an ihrer Kleidung als Untermenschen erkennbar machen. Falls sie als eindeutschungsfähig erkannt wurden, wurden sie als E-Polen geführt. Das hat ihrer männlichen Attraktivität, die sich allemal mit dem arischen Männlichkeitsideal aus Propagandafilmen vergleichen ließ, keinen Abbruch getan. Auch aus solchen Nazi-Propagandafilmen gibt es hier Ausschnitte zu sehen.

Die der Rassenschande überführten Frauen wurden öffentlich gedemütigt, „aus der Volksgemeinschaft“ ausgetoßen, ins KZ verfrachtet und dort demütigenden, detaillierten Befragungen zu ihrem Intimleben ausgesetzt.

Ein grauenhaftes Nazi-Kapitel zur Erinnerung daran, wozu Menschen auch in unseren Breiten noch vor nicht allzu lange Zeit fähig waren.

Lido: Picasso Sein Erbe (BR, Donnerstag, 8. Januar 2015, 22.30 Uhr)

Diese dreiviertelstündige Dokumentation von Hugues Nancy und Olivier Wildmaier Picasso im üblichen kurzatmigen TV-Mix aus Statements (Kinder, Enkel, Kunstexperten, Biographen, Auktionatoren, Museumsdirektoren), Archivmaterial (mit Raritäten aus dem Familienarchiv) und jeder Menge Kunstwerke von Picasso kann doppelt gesehen werden. Zum einen als ein Schnelldurchlauf durch Leben und gigantisches Werk von Picasso und zum anderen als ein Appetizer, sich mehr mit diesem Jahrhundertkünstler zu beschäftigen.

Ausgangspunkt für die Filmemacher ist das künstlerische Erbe. Tausende von Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen mussten erst in jahrelanger Arbeit von Kunstexperten in den Schlössern, Liegenschaften und Ateliers, die Picasso hinterlassen hat, erfasst und katalogisiert, die Familien- und Erbverhältnisse geklärt werden. Der Leitfaden für den kursorischen Schnelldurchlauf durch seine Biographie ist die Abfolge der Liebesverhältnisse und welche Phase künstlerischen Schaffens sie ausgelöst haben. Oder: die Geschichten der Frauen erzählt aufgrund der Bilder.

La mirada fuerte, der feste Blick Andalusiens.

Gernstl in Israel, Teil 1 (BR, Montag, 5. Januar 2015, 19.00 Uhr)

Gernstls Erbauungsfernsehen, das Israel normal erscheinen lassen möchte, menschlich machen möchte, aber dann doch vor zu viel Solidarität zurückschreckt und sich nicht traut ein Poster, „Gernstl liebt Iran“ machen zu lassen, sondern wie untertänig lieber anfertigen lässt „Bavaria liebt Israel“, also deutlich weniger mutig ist als der porträtierte israelische Graphiker, den er besucht und der die Aktion „Ich liebe Iran“ ins Leben gerufen hat.

Oder auch: Gernstl wie immer. Hier hat er allerdings einen Reiseführer dabei, er selbst scheint weder arabisch noch hebräisch zu sprechen, wodurch sein Reiseprinzip durchs Land zu fahren und spontan da und dort Leute aufzusuchen und aus ihren Leben berichten zu lassen, erschwert wird. Aber der Kameramann aus dem ARD-Studio in Tel-Aviv, der mit einer Münchnerin verheiratet ist und der sowohl deutsch als auch hebräisch und arabisch (wie die Begegnung mit dem Nomaden zeigt) spricht, garantiert für einige Schmankerl über den Katalog- und Sehenswürdigkeiten-Tourismus hinaus.

Der deutsche, jüdische Automechaniker, der mit 59 Jahren Schmied geworden ist und der in Berlin Neonazis, die zu Mördern geworden sind, im Gefängnis das Schmiedehandwerk beigebracht hat; dafür hat er jetzt eine Ehrenurkunde des Bundespräsidenten in seinem Atelier hängen. Der Grafiker, der gegen die israelische Rachepolitik eine Internetbewegung auslöste mit einem Plakat, auf dem er ganz privat mit Tochter den Iranern zuruft, er liebe Iran (siehe Bemerkung im ersten Absatz). Die Deutsche, die sich für Pflege und Erhalt der Bauhauskultur eines Quartiers in Tel Aviv einsetzt. Der orthodoxe Jude, der in Amerika Rocker gewesen ist und sich jetzt der orthodoxen, aber lebensfreudigen und nicht allzu strengen Chabbat-Bewegung angeschlossen hat.

In Gernstls Israel gibt es keine Mauer, keine Apartheid gegen die Palästinenser, keine dritte Intifada, keine Unterdrückung von Menschen- und Völkerrecht, keine brachiale Siedlungspolitik, keine Netanjahu-Starrsinnspolitik. Bei Gernstl gibt’s lediglich einen Abstecher ans Tote Meer inklusive Schlammbad. Den kann man problemlos wieder wegduschen und die Haut ist nach dem Bad im Schlamm und im Meer geschmeidig wie nie.

Der Film wirkt so, als gönne der BR seinem langjährigen, treuen, beliebten Quoten-Zulieferer eine Art Incentive-Reise, eine Bonusreise oder eine beschauliche Dienstreise, immerhin fragt er gewohnheitsmäßig nach dem Glück und der Zufriedenheit und auch mal nach dem Tod. Vor dem Hintergrund, dass viele Einkommensschwache sich die Rundfunkzwangsgebühr vom Mund absparen müssen, ein fragwürdiges Unternehmen; abgesehen davon, dass ein so radikales Ausblenden der katastrophalen menschen- und völkerrechtlichen Situation der Palästinenser mit so einem netten Kaffefährtchen reiner Propaganda für das Unrechtsregime gleichkommt und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag des deutschen Zwangsrundfunks Hohn spricht.

Mit diesem Beitrag versieht Gernstl seinen sonst so strahlenden Namen mit dem Makel grenzenloser, politischer Naivität und begibt sich in die Gesellschaft eines Beckenbauers, der in Katar keine ausgebeuteten Arbeiter gesehen hat.

Aktuell wirkt dieser Beitrag noch peinlicher, als Israel eben die Überweisung von Steuergeld an Palästina verweigert, weil die Palästinenser sich erlaubt haben, das demokratische Recht der Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofes in Anspruch zu nehmen.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Gernstls Zeitreisen – Vom Selfkant ins Bergische Land (BR, Montag, 29. Dezember 2014, 19.00 Uhr)

Ein Hauch von Wehmut hängt über dieser Zeitreise von Franz-Xaver Gernstl. Kann man eine Reise zweimal machen? Kann man 25 Jahre später mit demselben Team, Kameramann H. P. Fischer und Tonangler Stefan Ravash, nochmal dem 51. Breitengrad entlang fahren, wie damals kurz vor der Wiedervereinigung, vom westlichsten Zipfel Deutschlands, dem Selfkant, bis ins Bergische Land wie hier im ersten Teil?

Manche Leute treffen die Menschenfänger wieder an. Die eindrücklichste Figur ist vielleicht der Restaurator, der sein ganze Leben, seine ganz Kraft für seine Familie eingesetzt hat. Häuser hat er gebaut für die Kinder, damit er denen was hinterlassen kann, Autos restauriert, damit er nicht rumhängt. Seine Frau war vor 25 Jahren schon schwer krank. Inzwischen ist sie gestorben. Die Kinder haben sich selbständig gemacht. Schauen kaum bei ihrem Vater vorbei, der die Oldtimer verkauft hat und in seinem riesigen Haus allein wohnt, der sich nicht mehr ganz so aufgestellt anhört wie vor 25 Jahren; denn keiner seiner Träume hat sich erfüllt.

Oder der Vater mit dem mongoloiden Sohn, der dem Fernsehteam auf den Kopf zusagt, dass sie gealtert seien – wie er selber auch. Der ist immerhin mit seinem Sohn glücklich, macht Musik mit ihm und der hilft ihm beim Grasschneiden.

Der erste Eindruck im Film ist der, dass im weiten Flachland, wo sonst nichts ist, das Vereinsleben ausgeprägt sei, der Schützenumzug oder die Feuerwehr. Hier wird gerade ein langjähriger Präsident verabschiedet und eine neues Feuerwehr-Auto überreicht. Dem abtretenden Präsidenten geht eine wichtige Funktion verloren. Immerhin hat seine Frau bisher mitgespielt.

Es gibt eine Spontanbegegnung mit dem Amifan mit dem Jeep, den er von den abreisenden Amis ersteigern konnte, Jahrgang 1944, alles noch echt. Zeitweilig wurde er deswegen angefeindet, heute nicht mehr.

Es ist wieder ein bunter Fischzug, den Gernstl tut, immer mit anrührenden, menschlichen Einsprengseln, nie hochnäsig. Sein Lächeln ist allerdings inzwischen gelegentlich zu einem gewissen Skeptizismus geronnen. Aber sein umwerfendes Menschenverständnis macht das wett. Man kann zwischen den Jahren seine Zeit sicher schlechter verbringen, als diese Sendung schauen.

Tatort – Das verkaufte Lächeln (ARD, Sonntag, 28. Dezember 2014, 2015. Uhr)

Dieser Tatort vermag sofort zu fesseln durch eine Exposition der leicht anderen Art, der Routine durch ruhige Stimmungsbilder und Verzicht auf unnötigen, hektischen Text ersetzt. Die Kommissare Batic und Leitmayr tanzen nicht zum Auftritt ihren Pas de Deux oder müssen abgegriffene Fragen stellen, sie sind zu sehen in inneren Monolog versunken. Sie lassen sich jedenfalls nicht anmerken, dass sie den Fall für Routine halten oder gar schon alles wissen, was im Drehbuch steht. So nehmen sie einen mit ihrem Nichtwissen mit ins zu erforschende Terrain, neugierig machender Stummfilm statt abtörnender Routineabfragerei.

Der Themenbereich ist diffizil: Teens, die sich mit Pornochat ein Geld verdienen. Den Eltern, die noch keine Native-Nerds sind, erzählen sie, sie hätten Äpps erfunden, was zu einer ausgewalzten Pointe der beiden Kommissare führt, der Erklärung, was ein App ist (auf Bayerisch hört sich das an wie das Wort für „etwas“, „eppas“..). Moralisch korrekt, wird auf die Gefahr hingewiesen, die aus solcher Chatterei entstehen kann. Hier wird daraus ein veritabler Mord an einem 14 jährigen.

Im Gegensatz zu den hochtoupierten Dominik-Graf Filmen mit ihrem Oberflächenglanz an Design-Schnickschnack kommt dieser Tatort von Holger Joos (Buch) und in der verhalten-zurückhaltenden Kino-Inszenierung von Andreas Senn (Regie) unter der redaktionellen Verantwortung von Stephanie Hecker wohltuend wenig aufgedreht, mit feiner Sprachregie und nah am Objekt daher. Senn scheint sich primär für die Menschen (das gut ausgewählte Ensemble) zu interessieren, entscheidet sich statt für Stil und Design, statt für Mode und Masche für die Aufrichtigkeit der Milieubetrachtung und -Schilderung, was allerdings hinten hinaus zu einem Überhang an Melodram führen wird. Dazu dürfte das Konstrukt der Geschichte mitverantwortlich sein. Das mit der falschen Fährte ist noch prima nachvollziehbar, aber mit dem wahren Täter gibt es insofern Probleme, als seine Reaktion darauf, dass er diesen Menschen umgebracht hat, sicher nicht zu einem Verhalten wie üblich führen dürfte. Da hapert es, rückblickend gesehen, dann doch an der Durchdringung des Stoffes und der Psychologie der Figuren. Wobei die Regie das bessere Händchen für die jungendlichen Darsteller zu haben scheint, während sie bei den Erwachsenen und den Routiniers in den ruhigeren Stellen auch viel Vérité herauskitzelt, sie aber in dramatischeren Momenten vor offensichtlicher Handwerksroutine nicht bewahren kann.

Viel Wahrhaftigkeit bei den Jungen, bei den Teens, die ihre eben entdeckte Sexualität und Körperlichkeit als reines Spielzeug, als etwas aufregend Neuentdecktes sehen, das Posieren empfinden sie als natürlich und spannend, wozu sie durchaus ein Bedürfnis haben ohne moralischen Bedenken, Entdeckung eines Spielzeugs – und wenn man dafür noch Geld erhält, tant pis!, das kommt glaubwürdig rüber, auch weil Kommissar Leitmayr selber an seine Zeit zurückdenkt, an die Englischlehrerin, und dass er da gar nicht so unschuldig gewesen sei. Insofern scheint mir hier ein Momentum gesellschaftlicher Realität sehr genau gezeichnet als ein ernsthaftes Argument gegen den gehässig-pauschalen Irrationalismus der leicht abrufbaren Hetze gegen möglicherweise harmlos Unschuldige wegen des kleinsten Verdachts von Kinderpornographie.

Huck Finn (arte, Freitag, 19. Dezember 2014, 20.15 Uhr)

Aufwandskino à la Staatstheater von Hermine Huntgeburth mit Radikalverzicht auf prickelnde Sprachregie, wobei das Thema Freiheit die hervorragende Rolle spielt; besetzt mit viel Zwangsgebührenschauspieler-Prominenz ohne sonderlichen Glanz. stefes Review beim Kinostart.

Niemals weit genug – Die Geschichte des Tomi Ungerer (BR, Dienstag, 16. Dezember, 22.45 Uhr)

Eine rasend schnelle, blitzwache Dokumentation von Brad Bernstein (USA 2012) über das Multitalent von Zeichner Tomi Ungerer (Der Mondmann), der Zeit seines Lebens unter dem Kindheitstrauma Vaterverlust, später der Nazischulzeit gelitten hat; der aber Traumata als Auslöser von Kreativität sieht, worüber sollte er sonst nachdenken, und der diese in seinen Kinderbüchern auch behandelt, darin muss das Furchterregende vorkommen, denn die Kinder müssen sich mit der Angst auseinandersetzen.

Tomi Ungerer stieg in New York, wo er 1956 mit 60 Dollar angekommen ist, in kurzer Zeit als Zeichner in die Top-Klasse auf, zeichnete ein Kinderbuch nach dem anderen, erhielt Preise dafür, Elogen in der New York Times. Er brach Tabus, wurde dadurch auch viel angefeindet.

In der aufkommenden Unruhe der 60er verarbeitete er auch politische Probleme, Vietnam („Kiss for Peace“), Rassentrennung. Er malte einprägsame Plakate dazu. Gelernt habe er das bei den Nazis, das Plakat als Faustschlag. Effektvoll. Das war aber auch die Zeit der sexuellen Revolution. Auch die brachte er wach und offen zu Papier, fing an Ideen zu entwickeln und mit den Ideen erweiterten sich auch seine Erlebnisbereiche.

Erfolgreich Kinderbücher zeichnen und gleichzeitig pornographische Zeichnungen publizieren, noch dazu unter demselben Namen, das konnte im prüden Amerika nicht lange gut gehen. Ungerer erinnert sich noch sehr gut an jenen Abend der Vorstellung eines Kinderbuches, wie er in der Diskussion auf diese anderen Werke angesprochen wurde. Das löste wie man heute sagen würde einen Shitstorm der Entrüstung aus, eine richtige Hetze, so dass alle seine Bücher in den Vereinigten Staaten verboten wurden und aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt werden mussten. Er habe dann kurz die Contenance verloren und gesagt, wenn nicht gefickt würde, dann gäbe es ja keine Kinder und dann bräuchte man auch keine Kinderbücher mehr.

Ungerer hat ständig Puppen in Atelier, an denen er rumdoktort, eine habe AIDS, dafür ziehe er für die Behandlungen und Operationen Gummihandschuhe an.

Der Film von Brad Bernstein ist einerseits ein rasender Schnellabriss des gigantischen, zeichnerischen Werkes von Tomi Ungerer, wie schon sein Vater sehr begabt gewesen sei, ist eine Reise zu den Orten seines Wirkens: Straßburg, Colmar (hier hat der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald ihn geprägt; den hat er immer studiert, wenn er auf den Bus warrten musste, denn der Eintritt war frei), New York, Kanada, Irland. Angenehm wenige und kurze Statements von Kollegen, einer Dame vom Tomi Ungerer-Museum, einem Historiker, einer Kinderbibliothekarin, einem Kinderbuchautor, einem Kritiker und Kinderbuchautor, einem Comiczeichner, einem Literaturwissenschaftler und der Tochter des Zeichners.

Der Hauptmasse des Filmes ist ein Interview mit Tomi Ungerer selbst. Er plaudert drauf los, ein unerschöpflicher Quell, kein Geschwätz, immer geht es um die Begründung, das Need zur Kunst, die Widersprüche, die Traumata, der irre Strom an Ideen, der in ihm fließt, so dass er sich manchmal vorkomme wie ein Zahnarzt in seiner Praxis, mit einem Wartezimmer voller Ideen, die er noch behandeln müsse.

Nach der Hetze in den USA hat er 25 Jahre lang kein Kinderbuch mehr gezeichnet. Inzwischen ist der Bann gegen ihn aufgehoben. Und er hat wieder ein Kinderbuch gezeichnet. In Irland scheint er eine gewisse innere Zufriedenheit gefunden zu haben.
Ungerer schaut immer noch aus wie ein Schuljunge, voller Neugier, voller Wachheit, nicht ohne Schlauheit (die haben sie gegen die Nazis gebraucht).

Alexander Granach – Da geht ein Mensch (BR, Montag, 2. Dezember, 22.45 Uhr)

Alexander Granach ist der Schauspieler, der sich 1913 hat die Unterschenkelknochen brechen lassen, um größer zu wirken.

Dieses Biopic von Angelika Wittlich ist vor allem eine illustrierte Lesung aus biographischen Texten des galizischen Schauspielers Alexander Granach, der es dank der Emigration bis Hollywood geschafft hat, zum Beispiel in Ninotschka von Ernst Lubitsch und bis an den Broadway, wo er 1942, etwas über 50jährig an Blinddarmentzündung starb.

Die Lesestellen aus dem Briefwechsel zwischen Granach und seiner Freundin Lotte, die teils gleichzeitig gelesen werden von ihm und seiner Adressatin, sind mit enorm viel Füllmaterial/Bilderverhau an Straßen- und Ortsansichten aus dem Heute unterfüttert. Holocaust – Schnitt – Ziegen auf ungeteerter Straße im heutigen Galizien.

Die Texte lesen Samuel Finzi, hervorragend als Double von Alexander Granach und Juliane Köhler, die list ganz nett, ist aber oft stumm im Bild als die ewig Geliebte aus Rapperswil-Jona, der Villa Grüntal. Über die schauspielerischen Qualitäten von Lotte allerdings schweigt des Sängers Höflichkeit, wie Thomas Langhoff andeutet, dass er die Meinung seines Vaters, der mit ihr gespielt habe, nicht wiedergeben möchte.

Der Film stellt durch die Bebilderungsmethode eine Art pangeographisches Bewusstsein eines Menschen her, der immer unterwegs war. Oft wenn von den Stationen Galizien, Berlin, Rapperswil-Jona, New York, Los Angeles, Ukraine, Polen, Moskau die Rede ist, lässt die Filmemacherin die Kamera durch die Straßen oder Seestraßen oder Bahntrassen der entsprechenden Städte und Gegenden fahren.

In groben Zügen folgt der Film chronologisch dem Leben von Granach, der in ärmsten jüdischen Verhältnissen in Galizien mit 12 Geschwistern aufwächst und dort als Bäckerlehrling arbeitet, bis er mit 14 das Theater kennenlernt und sofort weiß, dass das seine Welt sein würde.

Granach brennt mit der Kasse seines Lehrmeisters nach Berlin durch. Spielt bald bei Max Reinhardt und Erwin Piscator. Kehrt für einige Zeit nach Galizien zurück bis es brenzlig wird. Dann Moskau inklusive 18 Tage Prominentengefängnis in der Ukraine, anschließend Emigration in die USA.

Ein Archivar zeigt die Akten, die über Granach angelegt worden waren. Ein Sidekick in der Story ist sein Sohn. Der wurde im ersten Weltkrieg gezeugt. Er lebt in Israel und dürfte den Vater nicht zu oft gesehen haben; er kommt hier überaus ausgiebig zu Wort.

Es gibt viele historische Fotos aus Alben, Plakate, und immer wieder Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen Granach und seiner Geliebten, der Mutter seines Sohnes, Lotte Lieven. Es fehlt nicht ein Ausschnitt aus Nosferatu, wo Granach am Pult hockt und großartig Grimassen schneidet. Fritz Lang hätte ihn gerne öfter beschäftigt, er und Hollywood konnten ihn aber dank des Akzentes nur als Europäer und Nazifigur einsetzen. Ironie der Geschichte, dass die Naziflüchtigen in Hollwyood bald schon die schlimmsten Nazis darstellen mussten.

In einer eindrücklichen Szene erklärt ein Arzt, wie Granach sich die Beine hat brechen lassen, um größer zu wirken und bei den Frauen mehr Eindruck zu machen; um 1912 war das eine hochriskante Operation.

Charles Dickens Little Dorrit (arte, ab 27. November 2014)

BBC-Serie von 2008

Dickens-Welt, wie wir sie uns vorstellen. Lauter quirlige, ihrem vermeintlichen Lebensvorteil nachhechelnde Figuren, die dadurch sehr schräge Figuren geworden sind. Extrembeispiel ist Jeremia, der Diener im Kaufmannshaushalt Clenman.

Ein jeder trickst und hat was zu verstecken. Indiz dafür ist die Uhr des kürzlich noch vor der Rückkehr von einer langen Seereise verstorbenen Kaufmanns Clenman. Sohn Arthur, der ihn auf der Reise begleitet hat, bringt sie der barschen, harten, abweisenden Mutter und jetzt Witwe, die auf einer Art Dachboden an den Rollstuhl gefesselt scheint, zurück. Er erkundigt sich nach dem Geheimnis der Uhr (ein handgeschriebenes Stück Papier „do never forget“). Da hat er wohl eine Grenze überschritten. Vom Moment an will die Mutter nichts mehr von ihm wissen. Sie macht das schiefe Hausfaktotum zum Teilhaber. Der Sohn wird fortgejagt.

Arthurs nächste Spur zu dem Geheimnis ist die Titelfigur Amy, little Dorrit, die mit ihrem Vater in einem Schuldengefängnis aufgewachsen ist und die jetzt, wie es scheint, aus Großherzigkeit bei Clenmans Witwe eine Stelle bekommen hat. Was verbindet diese beiden?

Arthur der verstoßene Sohn und Amy Dorrit aus dem Schuldengefängnis, das sind in diesem von Gewinnstreben und Gewinntricksen dominierten, sündigen und gleichzeitig pittoresken Wuseluniversum aus verkorkstem Reichtum, aussichtlosem Elend und brutalen Mieteintreibern, aus Imbeciles und Mondänen die einzigen „reinen“ Figuren, die noch nicht verbogen, noch nicht schief, noch nicht verkrustet sind. Wie weit können sie in die Krustenwelt eindringen, in die Welt der durch das ökonomische Denken verformten Menschen? Wie weit können sie Mensch bleiben, gar es richtig werden?

Zündfunk Radio Show (BR, Dienstag, 25. November, 22.45 Uhr)

Sympathische Sätze zeigen eine coole Einstellung der Kultsendung Zündfunk zum Medium:
„Es muss sich nicht immer alles erschließen.“
„Da ist leider immer dieser fucking Kühlschrank drauf.“
„Wenn wir in Rusland versuchen, Entschuldigung, da ist ein Seitenumbruch, wenn wir in Russland versuchen..“

BR-PR in eigener Sache, verständlich, dass hier die Frage nach dem Grundauftrag des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks nicht gestellt wird.
Ein etwas traniger Sänger schreibt, nachdem er gesungen hat, auf den Boden eines Pappbechers „Zündfunk“, reißt den Boden raus und macht einen Sehschlitz draus. Schnipselverschnitt. 40 Jahre Zündfunk.

Sympathisch an diesem über 90-minütigen Stück Infotainment ist, dass es sich um eine Selbstreflektion der Institution Zündfunk handelt, dem im modernen Mediengewusel und im Internetzgezwitschere längst das Alleinstellungsmerkmal abhanden gekommen ist und dass diese Dokumentation von Jörg Adolph und Gereon Wetzel das auch ganz offen darstellt, dass sie dabei sind bei Redaktionssitzungen, bei selbstkritischen Diskussionen, Lifestyle oder politische Position, da sein, wo’s weh tut (Genua 2001 – auch schon eine Weile her), der Kampf um Hörer und Autoren, um den Markenkern. Dass sie uns nicht vorenthalten, dass die Macher jetzt viel mehr wuseln müssen, hinterm Netz herrennen müssen, um wenigsten sich die Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie sich über Jahrzehnte erarbeitet haben.

Thema Schleichwerbung, dass sie um das neue Album einer Band vorzustellen mit großem Aufwand und Übertragungswagen vorfahren, was selbstverständlich PR ist, während schon bei einem Buch minutiös und skrupulös darauf geachtet wird, keine Werbung zu machen. Die Selbsterkenntnis, man sei schlampig geworden, es fehle oft an der Übersicht.

In die übliche, fernsehkurzatmige Szenenineinanderschneiderei ist ein Abriss der Kultinstitution Zündfunk eingefügt, den Zündfunk-Urgestein Roderich Fabian ins Mikro liest: von den 70ern, weil die öffentlich-rechtlichen den Aufbruch der Jugend verschlafen hatten, über Wackersdorf, als der Zündfunk der Opposition in Bayern eine Stimme verlieh bis zum Netzkongress im Volkstheater und zum Interview mit Pussy-Riot.

Die Dokumentaristen begleiten den Zündfunk bei Exkursionen ins Land hinaus, zum ehemaligen Quelle-Gelände in Nürnberg oder zu einem Hörer, der ein Musikkenner ist. Dass die Journalisten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell in einem hochprivilegierten Umfeld agieren im Vergleich zu vielen ihrer freien Kollegen, das hätte vielleicht auch noch angemerkt werden können.