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Dirty Little Secrets: Warum wir immer weiter trinken (BR, Mediathek, Mittwoch, 8. Januar 05.00 Uhr)

Achtung: Gefährliche Sendung

Da machen sie mal was Gscheits beim BR und dann das:

Darf nur in der Mediathek genossen werden. Eine Sendung aus dem Giftschrank. Im doppelten Sinne. Das Gift, um das es geht – und das volkswirtschaftlich irrwitzige Schäden anrichtet (was aber nicht in dieser Sendung behandelt wird), und andererseits durch den Aufklärungsgehalt offenbar gefährlich für diverse Geschäftsmodelle werden könnte, weshalb der Sender – obwohl gerade auch sowas bestimmt zu seinen hervorragenden Aufgaben gehörte – einen ganz besonderen Umgang damit ersonnen hat: SPERRFIRST steht groß in der Presselounge, was wirklich kaum je vorkommt, und dann noch bis tief in die Nacht hinein, bis morgens um 05.00 Uhr heute. Man möchte ja verhindern, dass Leute auf Alkoholeinkäufe vor den Festtagen verzichten, bloss weil ihnen mal wieder klar gemacht wurde, welch Gift der ist.

Es ist pauschal die Rede davon, dass es beim Alkohol um Macht, Seilschaften und sehr viel Geld gehe. Hoffen wir nicht, dass der Alkohol bis ins Innerste der BR-Redaktionen hineinregiert und dafür sorgt, dass dieses Trara mit der Sperrfrist zustandekommt.

Die Reihe von Julia Schweinberger, Friederike Wipfler, Lennart Bedford-Strohm, Sammy Khamis und Alexander Nabert unter mutig-redaktioneller Obhut von Pia Dangelmayer und Verena Nierle ist erfrischend präsentiert und umfangreich recherchiert.

Diese erste Folge widmet sich dem Ondit vom täglichen Gläschen Rotwein, was gut für Herz und Gesundheit sei. Die Dokumentaristen stoßen auf einen australischen Forscher, der diese These lange vehement wissenschaftlich vertreten hat, bis er detailliertere Untersuchungen gefunden hat, die zu gegenteiligen Erkenntnissen kamen, bis er die sogenannte J-Kurve, die den riskanten Konsum definiert, angefangen hat, kritisch zu sehen.

Als ein Frage-Event organisiert das Doku-Team ein Treffen prominenter Frauen in einem Lokal in Berlin, Frauen, die sich teils sehr bewusst mit dem Thema Alkohol und Frau auseinandersetzen, die beruflich damit zu tun haben, Frauen, die regelmäßig trinken und solche, die keinen Tropfen mehr anrühren. Sie decken Karten mit Fragen auf und mehrere Kameras um den Tisch herum, nehmen das Fragespiel auf.

Auch die These vom Alkohol als Kulturgut kommt vor.

Alkohol ist ein brisantes gesellschaftliches Thema, ein immenser Themenbereich. Wenn man bedenkt, welche Wellen es in München geschlagen hat, als ein frisch gebackener Nachwuchs-Bürgermeister sich erlaubt hat zu sagen, das Oktoberfest sei die größte Drogenparty der Welt. Meines Wisssens hat er den Satz seither öffentlich nicht wiederholt. Zu viel Wahrheit erträgt die Welt nicht … dagegen hilft wohl doch nur Alkohol.

Lebenslinien – Tina Schüssler – Mein härtester Kampf (BR, Montag, 25. November 2024, 22.00 Uhr)

„Verrückt, taurig und schön“,

so resümiert Tina Schüssler, die Protagonistin dieser Lebenslinien von Stefan Panzner unter redaktioneller Betreuung durch Christiane von Hahn, ihr bisheriges Leben.

Mit ihrer Erzähllust und Energie, mit ihrem Optimismus und ihrer Lebensfreude rockt sie die Sendung praktisch im Alleingang.

Es sind ja auch ziemliche Extreme, die bei ihr zusammentreffen. In einer harten Männerwelt, Bauunternehmen, Vater, zwei Brüder, wächst sie auf. Phänotypisch sieht sie vielleicht mehr einem Mann ähnlich. Aber kein Gendergejammere, das Thema hakt sie als kleines Mädchen ab, wie sie einmal einen Rock tragen muss. Sollte nicht wieder vorkommen.

Tina Schüssler wird nie im Leben eine Tussi, wie sie später ein Lebenspartner und Künstler beschreibt. Sie interessiert sich nicht für Feminismus, für Frauenthemen. Sie fokussiert sich mit der Volljährigkeit auf Kampfsport, gründet ihre eigene Kampfsportschule in der Nähe von Augsburg.

Es folgen Lebenszyklen wie auf der Achterbahn. Boxweltmeisterin. Schlaganfall. Familiengründung. Ein Sohn. Kampfsport. Herz-OP; Ärzte meinen, nie wieder kämpfen. Dann erneut Weltmeisterin. Nochmal Weltmeisterin. Kurz vor einem Mega-Medien-Kampf-Event Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule. Ende der Sportkarriere. Beginn der Karriere als Sängerin. Dazu Moderation bei Sportanlässen und ehrenamtliches Engagement für junge Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie sie.

Eindrücklich an diesen ungewöhnlichen Promi-Lebenslinien ist, dass bei Tina Schüssler kein Platz für Gejammere oder für Selbstmitleid ist; da ist sie eine Ausnahmeerscheinung, eine deutsche Ausnahmeerscheinung, ganz gegen den jämmerlich-jammernden Zeitgeist; ein Frau mit unglaublicher und seltener Begeisterungsfähigkeit.

Und die Schulmedizin mit ihren defätistischen Diagnosen kriegt eins auf den Deckel.

Mitreißend, enthusiasmierend.

Strange Darling

Serienkillerstory

In der Zeit zwischen 2018 und 2020 zog sich eine aufsehenerregende Tötungsserie durch mehrere US-Staaten.

Aufgrund von umfangreichem Recherchematerial schrieb JT Mollner das Drehbuch zu diesem seinem Film, der die Geschichte zu einem richtig schönen Augenschmaus aufbereitet und den Zuschauer gleichzeitig durch eine Puzzle-System der Erzählung in die Detektivposition drängt, zumindest eine Weile lang.

Der Film gibt nach den dem einführenden Text über den Hintergrund bekannt, dass er gedenke, die Geschichte in 6 Kapiteln zu erzählen. Aber die werden nicht der Reihe nach aufgeblättert.

Es fängt an mit einem Kapitel mit einer Verfolgungsjagd. Bildlich und farblich schön präpariert und herausgearbeitet. Die grüne Natur in der Hood River County in Oregon. Einsame Straßen. Ein knallroter Sport wagen rast über die kurvenreiche Strecke. Am Steuer eine ideale Opferfrau (Willa Fitzgerald), blond, rotes Kleid. Sie wird verfolgt von einem bulligen, schwarzen Fahrzeug. Drin sitzt ein Farmertyp mit Knarre (Kyle Gallner). Er schießt auf das rote Auto vor ihr. Rote Frau flieht durch die wunderbar grüne Natur.

Ein anderes Kapitel. Ein wohlausgestattetes Wohnhaus mitten in dieser saftiggrünen Natur. Drin lebt ein Alt-68er-Hippie-Paar in Wohlstandsrente. Später wird opulent über die Zubereitung ihres Frühstückes berichtet werden wie gemacht für eine Gourmet-Zeitschrift.

Die rote, am Ohr verletzte Frau trommelt an das Landhaus, begehrt Hilfe und Einlass.

Später wird es Szenen geben, wie die beiden Protagonisten sich kennenlernen. Zärtliches Tête-à-Tête, Flirt, Gedankenspiele über Serienmörder, Sex; er mit den feinen Lachfältchen, sie kettenrauchend mit den Charmeaugen. Das wird so wunderbar fein erzählt, so behutsam, als gäbe es das Böse auf der Welt nicht, als herrsche nur die Liebe.

Es ist ein appetitlicher Genussfilm über menschliche Abgründe und Täuschungen, voller Ästhetik des Schauderlichen, zum Genuss zubereitet, dann wieder mit Farbfiltern die Szene in Blau oder Rot getaucht, überhaupt die Farben gerne auch plakativ und signalhaft eingesetzt und das Ganze in kinoerotischem 35-mm gedreht. Über der spannenden Story liegt eine gediegene Musik.

Der Film kommt passend als Midnight-Movie einmalig ins Kino.