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Walk Don’t Walk

Zeigt her Eure Füße

Eine skeptische Sicht auf New York, eine skeptische Sicht auf die Menschheit, eine skeptische Sicht (von heute aus gesehen) auf das New York noch vor 9/11, das präsentiert diese vom Förderprogramm Filmerbe digitalisierte Dokumentation von Thomas Struck von 2000.

Film ist Bewegung und Bewegung ist Film. Das zeigte elementar „Lola rennt“ oder auch der frühe Kurzfilm „Dobermann“ vom ehemaligen Filmversprechen Florian Henckel von Donnersmarck, um den es inzwischen sehr ruhig geworden ist.

Aber es gibt auch zufällige Glückssucher in den Medien. Gernstl (Gernstls Reisen – Auf der Such nach irgendwas) zog übers Land und befragte, oft scheinbar zufällig, Menschen nach ihrem Glück. Auch das könnte eine Inspirationsquelle für Thomas Struck gewesen sein, ein Turbo-Gernstl, dieselben Fragen in atemberaubendem Tempo mitten im hektischen New York.

Die Kamera immer auf die Füße, auf die Beine. Eine Sicht auf die Welt, die Schnittmengen mit Jacques Tatis „Play Time“ ergibt. Menschheit ist Gewusel, ist Nachrennen nach dem Glück, nach dem Job, nach der Karriere.

Skeptische Weltsicht meint: staunen über die Vielfalt, was alles möglich ist, wie verschieden die Menschen sind, welch verschiedenes Verhältnis sie zu den eigenen Füßen haben und genau so zu den Schuhen.

Es ist die Sinfonie einer Großstadt, die bestimmt auch inspiriert wurde durch Walther Ruthmanns gleichnamigen Film. Nicht weniger hektisch, nicht weniger vielfältig.

Als Ausgangspunkt des Interesses dienen die Füße, die Beine, ihre Wichtigkeit, ihr erotischer Faktor, ihr Nützlichkeitsfaktor im Erreichen der unterschiedlichsten Ziele.

Skeptischer Zugang vielleicht auch erklärlich mit dem dem Film vorangestellten Wort von Georg Christoph Lichtenberg von 1773 „Der Mensch als Einheit muss sich regen“. Und der Filmemeacher selbst regt sich, er bleibt nur bei wenigen Protagonisten hängen, bei einer Produzentin von Bildheften für Fußfetischisten, bei einem ihrer Models, bei einem Musiker.

Nichts, was in New York nicht ergiebig wäre für ein solches Forschen: Paraden, Marathon, Zustrom zum Theater, zur Oper, zum Ballett, Andrang zur U-Bahn, die überquellenden Straßen und Kreuzungen.

Manchmal schwenkt die Kamera von den Füßen nach oben; der Dokumentarist entlockt den Gefilmten Meinungsäußerungen zum Verhältnis zu den Füßen. Es ist das New York von 2000 noch vor 9/11, noch mit den Twin Towers. Zeitdokument. Wie würde so ein Film heute aussehen? Er lässt auch kurz den Geist zu den Anschlägen abschweifen, zur absurd kriegerischen Afghanistan-Invasion des Westens mit der Folge, dass der Terror heute bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Und der Begriff Footage bekommt hier einen ganz eigenen Charme.