Die Autoren sind noch relativ jung laut IMDb, offenbar zu jung, um wenigstens in der IMDb kurz zu schauen, ob es ihren geplanten Titel „Das Blaue vom Himmel“ nicht vielleicht schon gibt. Es gibt ihn, schon mindestens viermal. Also bereits die erste Empfehlung, die sich die Autoren (oder vielleicht die Produzenten) hätten geben können, nämlich qua Titel eine gewisse Einmaligkeit des Werkes zu beanspruchen, geht daneben. Kein guter Einstieg.
Den nächsten Dämpfer für allfällig hohe Erwartungen, die der Name Steinbichler als Regisseur in manchen Filmkreisen vielleicht noch auszulösen vermag, bringt die Nennung von Degeto in den Titeln. Damit sind leider in letzter Zeit einige sehr enttäuschende Kinoerlebnisse verbunden, richtig schludrig oberflächliche Bücher und mäßig spannende Besetzungen. (Das wird hier leider nicht anders werden).
Das Blaue vom Himmel versprechen, das ist die erste Assoziation zum Titel. Das Blaue vom Himmel schwatzen. Das Blaue vom Himmel auf die Leinwand malen. Nun ja, wenn einer das schon so behauptet, so könnt eventuell Witz in der Luft liegen, wenn er sich denn einen Spaß draus machte und der Fantasie die Sporen gibt, auf Esprit wollen wir die Hoffnung allerdings nicht ausweiten. Was also ist dieses Blaue?
Dieses Blaue ist hier ein merkwüdig banales Herz-Schmerz-Mutterherz-Kino, noch dazu nicht ausreichend begründet erzählt aus der Perspektive einer Frau, die am Schluss des Filmes erfährt, dass ihre Mutter, die im Film verrückt geworden ist, gar nicht ihre Mutter ist. Die Tochter hat aber nie darunter gelitten. Sie hat es nicht gewußt und folglich die wahre Mutter auch nicht gesucht. Um also aus dieser Geschichte, die so nicht weh tun kann noch Empathie zu erzeugen, Gefühle zu evozieren, muss ein Baby minutenlang schreien, und damit die Kontinuität der Gefühle über die Jahrzehnte gewahrt wird, muss die ganze zusammengeclusterte Chose noch an einen Flecken brauner Vergangenheit angekoppelt werden, das kommt immer gut bei den Gremien in Deutschland.
Gewidmet ist der Film “für unsere Mutter“, ein Mutterfilm also. Mütter und Nation, auch so eine Assoziation.
Steinbichler liebt die hellen und luftigen Bilder, er liebt es auch, mit der Kinokamera und der Regie Dinge wichtig zu machen, die nicht wichtig sind, sie aufzublasen, nichts darf gewöhnlich erscheinen, alltäglich, schon gar nichts, was verraten könnte, dass es sich um eine vollkommen unausgegorene Geschichte handelt.
Sie fängt an mit einer Szene des Glückes, 1933, da war man an der Ostsee unbeschwert in weißen Anzügen und weißen Röckchen und konnte als junges Paar am Sandstrand rumbalgen, Glücksszenen wie so häufig in solchen und ähnlichen Filmen. Bis das Paar plötzlich einen Bernstein-Ring in der Hand hält. Text dazu: „gefangen in alle Ewigkeit“. Zeitsprung. Wir sind jetzt 1991. Das ist die große Zeit von Hannelore Elsner. Sie prononciert vom ersten Satz an überdeutlich, das hat vielleicht Steinbichler von ihr so gefordert. Außerdem darf sie die Verrückte spielen, Untertext, ich bin Schauspielerin, denn ich spiele eine Verrückte und zwar so, dass auch die auf den Rängen merken, dass ich das nur spiele, aber es nicht bin.
Was Schauspielerinnen auch gerne tun, wenn sie inneren Monolog oder eben “verrückt“ mimen sollen, sie singen ein bekanntes Lied, hier ist es aus Franz Lehárs Lustige Witwe „ich hab Dich lieb“, das ist schön und volksnah, tut aber weiter nichts zu Sache, denn sie ist ja, wie sich bald definitiv herausstellen wird, verrückt.
Sie fährt in einer Taxe in Wuppertal, wie gesagt 1991, an eine bestimmte Adresse. Dann steigt sie aus und geht direkt die Treppen zu dem älteren Haus hinauf. Der Taxifahrer hat inzwischen die Rechnung ausgestellt, 82 DM. Aber sie läuft davon. Das muss also eine große Bedeutung haben, wenn eine solche Kleinigkeit früh in der Geschichte so gewichtig erzählt wird. Er ruft ihr nach. Sie reagiert nicht. Er folgt ihr in die Wohnung. Sie versteht 182 DM. Nein, 82. Jemand muss ihr Geld pumpen, „Juri, ich brauche Geld für die Taxe“, der Taxifahrer steht in der Wohnung, Elsner sagt zu Juri „Wie schön bist Du“, herrscht den Taxifahrer an, hier gebe es Kaffee. So eröffnet man offenbar heutzutage eine Geschichte auf der Suche nach der richtigen Mutter, von der frau nicht weiß, dass es sie gibt und dass frau sie sucht. Da nun also weder die Darstellerin noch der Zuschauer weiß, dass diese Figur die Mutter ist, die die in der nächsten Szene auftretende Frau nicht sucht, so behilft sich das Script mit dem offenbarenden Kommentar zum Taxifahrer „ein Schuft, wer mehr gibt als er hat“. Muttersuche, ganz klar, unserer Mutter gewidmet. Denn wir haben es mit hirnmuskulösem Kino zu tun, das darf sich enigmatisch gebärden. Doch der Rätsel nicht genug. Jetzt wirft Frau Elsner aus einem Fenster des oberen Stockwerkes Porzellanteller. Sie hat einen Wurf, wie nur eine Titanin ihn haben kann, ein Urbild von Tellerwerferin, denn die Teller landen punktgenau, also über mehrere Meter der Freitreppe, auf der Kühlerhaube der Taxe weit unten auf der Straße. Schnitt. Thema Tellerwerfen und Taxe erledigt. Der Zuschauer will sich noch kurz überlegen, was es mit dem Tellerwerfen auf sich hat, ob das ein Hinweis auf griechische Hochzeiten sein soll.
Aber schon ist Frau Elsner in der Küche. Sie darf jetzt weiter verrückt spielen und schüttet eine Packung Kaffee in eine Pfanne, in welcher sich ein Gericht mit Teigwaren an Tomatensauce befindet. Ein bisschen scheint diese Frau durcheinander zu sein. (Mir huscht durch den Kopf, da habe ich doch tatsächlich von Frau Elsener was abgekupfert, nämlich wie sie in einem Toscana-Sommer-Film von Rudolf Thome die Spaghetti ins kochende Wasser eingebracht hat).
Frau Elsners Verrücktheit dürfte jetzt deutlich genug gemacht worden sein. Zeit für einen Sprung nach Berlin in eine Redaktion, wo eine Frau Schleier, wer genau hinschaut, kann unter der dicken, glattsträhnigen, blonden Perücke und hinter der fetten Brille Frau Juliane Köhler, eine bekannte Darstellerin des deutschen subventionierten Kinos, erkennen, dabei ist, ein Feature über Estland im zweiten Weltkrieg zu recherchieren. Just da kommt der Anruf, dass die Mutter von Frau Köhler, also Frau Elsner, in Wupptertal in der Psychiatrie sei.
Wir sind jetzt beim Ehepaar Schleier im highbrow-intellectually eingerichteten Berliner Altbau, riesenhohe Räume mit Bildern und Büchern bis unter die Decke. Hier wird ausführlich diskutiert, ob nicht ihr Mann morgen nach Wuppertal könne. „Ich soll morgen 600 Km nach Wuppertal fahren?“ Na ja, dann fährt halt doch die gestresste Gattin und der Ehegatte meint (das ist einer dieser Sätze, die aus einem Degeto-Drehbuch-Rezept-Ratgeber stammen könnten) „Wenn ich alt bin, möchte ich auch mal so geliebt werden“ und „es ist Deine Mutter“.
Die Tonspur wird daraufhin zum Träger sensibler Klänge und Töne, als ob es sich um große Kunst handle.
Nun ist Frau Köhler bei Frau Elsner, die verrückt, aber nicht ihre Mutter ist, was Frau Köhler aber nicht weiß, noch erfahren will. Mutter und Tochter. Anlass für im Degeto-Kosmos willkommene und gern gesehene Mutter-Tochter-Bilder. Die werden mächtig orchestral mit Bedeutung aufgeladen. Großes Gefühlskino.
Sprung zurück, nie zu lang bei einer Beziehung, bei einer Szene bleiben, das gefällt den Fernsehfunktionären, also nach der Krankheitsszene wieder zurück zu freundlich einladenden 30er Jahre-Bildern, eine Party am Strand, Heißluftballon, helles, erheiterndes Licht und ebensolche Atmosphäre ringsum.
Und wieder die Birkenalle 81 in Wuppertal, zu der die Taxifahrt 82 Dm gekostet hat; man könnte zum Zahlenmystiker werden angesichts der bisherigen Inhaltsleere des Filmes.
Jetzt ist es Zeit für einen gehaltvollen Degeto-Satz von Frau Elsner „Der schönste Platz ist doch bei der Familie“. Oder: „Man muss Juri reinen Wein einschenken“ denn die Degeto liebt die Wahrheit.
Mutter und Tochter schauen in der Birkenalle 81 alte Fotos an. „Ekelhaft“ findet Frau Elsner zu einer Person. Frau Köhler darf aufklären „Das bist Du Mutter“ (unserer Mutter gewidmet). Und Frau Köhler weiß immer noch nicht, dass ihre Mutter gar nicht ihre Mutter ist und will es auch nicht wissen).
Die neue Hausherrin von Birkenalle 81 beklagt den Verlust der Teller, die Frau Elsner auf die Taxen-Kühlerhaube geschmißen hat, denn die stammen aus dem Baltikum. „Ach, sie stammen aus dem Baltikum“ .
Weiter Fotos anschauen. Frau Elsner verrücktet „Schweinedreck“, „um was geht es“. „Papa hätte lieber einen deutschen Schwiegersohn gehabt“.
Zu viel des geistigen Anspruchs, wir brauchen einen kleinen Ausflug aufs Eis: Mutter und Tochter auf der Eisbahn. Da die Szene für den Film weiter nicht von Belang ist und die Handlung nicht einen Millimeter vorwärts bringt, empfiehlt sich der bewährte Griff in die ausgeleiert-aufdonnernde Degeto-Musik-Kiste.
Zeit für einen gehauchten Satz von Frau Elsner: „ich bin die größte Liebende der Welt“. Verrückte, Kinder und Weise, sag ichs doch.
Während Frau Elsner an der Birkenalle 81 im Bad ist, im Jahre 1991, durchwühlt Frau Köhler mit der glatthaarigen Perücke die Tasche der vermeintlichen Mutter. Jetzt kommt es an den Tag – im Hintergrund singt Frau Elsner ein Lied, auf einem Bild ist die Mutter, die von Frau Elsner als Verrückte gespielt wird, und die im Film Marga heißt, da entdeckt Frau Köhler ihre Mutter Marga mit einem Mann „den ich nicht kenne“ (waren ja auch schon 60 Jährchen her). Die Vergangenheit bricht brutal ein in eine schöne Mutter-Tochter-Idylle.
Auf diese Weise irrlichtert diese Nicht-Geschichte einer Tochter, die zufällig herausfindet, dass ihre vermeintliche Mutter gar nicht ihre leibliche Mutter ist, umher zwischen 1933 und 1991 und lauter banalen Degeto-Sätzen. Ausweg: ein Schnitt, ein Sprung nach Tallin. Frau Schleier findet die richtige Mutter. Das ist nun eine sehr verschlossene Schauspielerin, die nicht viel spricht. Das ist für einen dramatischen Spielfilm höchst unergiebig und Steinbichler rettet mit dem Einfall, die beiden Damen, die jüngere im Hosenanzug, fotomodelhaft ans Meer zu stellen. Mehr konnte er da auch nicht rausholen.
Irgendwann, etwa nach 99 Minuten, löst sich die Nicht-Geschichte in einen wunderbar pastellen wirkenden blauen Himmel auf, auch das Blaue, das uns vorher daraus erzählt worden ist, verschwindet so wie auch dieser Film sehr schnell von den Leinwänden verschwinden wird, als sei nichts gewesen. Im Namen der verarschten Gebührenzahler sollte man die Degeto-Redakteure schadenersatzpflichtig machen, dass sie für teures Gebührengeld ein geistig so armseliges Werklein (und auch gar nicht lustig) finanzieren. Dass inzwischen Banker und Diktatoren für ihre Missetaten zur Verantwortung gezogen werden, lässt hoffen, dass auch öffentlich-rechtliche Fernsehredakteure nicht für alle Zeiten für ihre Untaten ungeschoren davon kommen werden.
Die Autoren sind noch relativ jung laut IMDb, offenbar zu jung, um wenigstens in der IMDb kurz zu schauen, ob es ihren geplanten Titel „Das Blaue vom Himmel“ nicht vielleicht...