Archiv der Kategorie: Review

Honey 2

Tanz als Faktor zur Stabilisierung der Persönlichkeit und der gesellschaftlichen Stellung, um aus der Gosse und der Perspektivlosigkeit hinauszukommen. Ein bekanntes Sujet. Hier ist die Hauptfigur, und die hat ganz schön Pep und Power, Katerina Graham, die Maria Ramirez spielt und die es schaffen muss. Dazu die üblichen Spielchen mit Männern, dem Latino, dem sie eine Absage erteilt, weil sie ihn von früher kennt und den prototypisch weißen Nordamerikaner, schon recht langweilig, aber gut beherrscht in der Darstellungskunst, und so einen brauchen sie wohl auch fürs potentere weiße Publikum, also diese Überlegung scheint sehr laut in den Film hineinzuregieren, denn irgendwie nimmt man diese weiß-dunkle Liaison nicht so ganz ab, sowieso, was hat der junge Mann, der hier Brandon und nicht Romeo heisst, in dieser abgefuckten Gruppierung von verwahrlosten Kids zu suchen, die dann in der grossen Fernsehshow Dance-Battle, nach den üblichen Irrungen und Wirrungen und Widerständen und Verzweiflungen, auftreten und schliesslich siegen werden gegen die Gruppe, in der der Latino der Boss ist und die jahrelang auf die Siegerposition abonniert schienen. Das ist alles so absehbar, dass es also solches nicht spannend ist. Und was die Gruppe HD, wie sie sich nennt, allmählich aus dem Nichts an Show und Kostümen bringt, tja, das ist reine Operette und sowas von unwahrscheinlich, wie auch die ganzen Charaktere topfeben flach bleiben. Es scheint sich hier um ein nach Schnellrezept zusammengeschustertes Stück Film zu handeln, in welchem es vor allem darum geht, einem engen Focus an potentiellem Teenie-Publikum eine nahrungsarmes Häppchen an Tanzbedarf und schönen Körpern und zugegeben einigen lustigen Tanznummern zu zeigen. Besonders negativ wirkt die Verknüpfung mit der Fensehshow. Bei  Sendungen wie DSDS, da fiebern Massen mit, weil der Ausgang ungewiss ist, während er bei  einem Film 100% voraussehbar ist, wenn der live-Effekt wegfällt, so spannend wie eine tote Fliege. Die hätten wirklich lieber mehr Zeit und Sorgfalt auf die Story um Marie verwendet, weil die ist anfangs noch  der soziale Fall, der bei einer Betreuerin unterkommt und  einen Job kriegt, denn sie will ja ihr Leben in Griff kriegen. Ferner ist abgelutscht, wie ihre Bezugspersonen bei der Show mitfiebern. Da ist nicht mal richtig was zu Faden geschlagen. Es scheint als sei hier die Kalkulation gewesen, 80 Prozent des Filmes muss Musik und Tanz sein, das kann auch mal ein Tango mit Besenstiel oder mit dem Ladenbesitzer auf der Strasse vor dem Laden sein, oder Proben und den Rest müssen wir mit eiligen Dialogen, die ein Minimum an Geschichte suggerieren, füllen. Vor dem Finale gibt’s ein retardierendes Moment mit dem Versuch eines ernsthaften Gespräches von Maria, was nur noch als Bremsklotz wirkt, vielleicht, um den Film  nicht noch länger als unendliche zwei Stunden lang werden zu lassen.

The Tree of Life

Terence Malick konfrontiert uns mit einem Kino biblischen Ausmaßes, was die Grundfesten unseres Handelns und unserer Liebe auf den Prüfstand stellt.

In Cannes sollen Kritiker Buh geschrien haben; waren sie überfordert von dieser geballten Ladung Kino und Menschen- und Schicksalsforschung, die mehr Substanz enthält als ein ganzer Jahrgang des subventionierten deutschen Kinos?

Jack zu sein, das ist der Traum eines jeden Menschen: Wunschkind, alles stimmt beim Wunschkind. Das Wunschkind von O’Brain und seiner Frau heisst Jack. O’Brian wird gespielt von Brad Pitt und Frau O’Brain von Jessica Chastain. Der in dieses auf soliden Grundpfeilern aufgebaute Gefäss von einer Familie hineingeboren und hineingeborgen wird und darin aufwächst, dieser Jack, der ein hübscher Junge war, der wird, wenn er gross geworden ist, gespielt von Sean Penn. Und er sieht nicht mehr gut aus. Man würde ihm das Wunschkind nicht mehr unbedingt geben, wenn man ihn sieht im Gewirr der Hochhäuser in diesem modernen Wolkenkratzerlabyrinth mit rasenden Liften und geometrischen Gängen und nichts als Wolkenkratzerfronten um sich rum. Und ein ins Auge stechener Vogelschwarm, wie dressiert zur Irritation. Etwas muss da gründlich schief gelaufen sein. Oder der biblische Gott war kurz weg, hat nicht ganz aufgepasst.

Hiob 38, 4, 7, diese Bibelworte setzt Malick seinem Kino-Gottesdienst voran.
4 WO WARST DU ALS ICH DEN GRUND DER ERDE LEGTE?
7 ALS DIE MORGENSTERNE MITEINANDER JAUCHZTEN UND ALLE SÖHNE GOTTES JUBELTEN? Der Gott muss kurz weg gewesen sein. Er muss das Wunschkind Jack für einen Moment aus den Augen gelassen haben. Natur und Gnade: gibt es da eine Entscheidung, muss sich der Mensch dazwischen entscheiden? Natur dient nur sich selbst, herrscht durch den Willen. Geist und Natur gehen schon beim Einläuten des Malickschen Gottesdienstes eine heftige cineastische Symbiose ein. Der biblische Gott ist ungerecht. Er belohnt den Rechtschaffenen nicht oder nur nach Lust und Laune. Der biblische Gott ist launisch wie die Naturgewalten. Der biblische Gott ist furchtbar, ihn schert die menschliche Rechtschaffenheit nicht. Er mag zwar das Universum geschaffen haben, aber für Gerechtigkeit unter den Menschen, da hatte er keine Zeit. Da kann dem Menschen zum Hadern zumute werden. Aber die Gnade, die müsste doch für ein gutes Ende stehen.

WUNSCHKIND UND FAMILIE

Geburt des Erstgeborenen, Geborgenheit, die Taufe, Wiege in traumhaftem Lichte: ein Brüderchen ist da; Jacks erste Schritte, die Mutter liest Geschichten vor, Bilder von Trautheit und Vertrauen, die Kids spielen und balgen sich oder das glückliche Bild vom Filmplakat: Vater mit den zwei Buben dabei, Steine über die Wasserobfläche so zu werfen, dass sie hüpfen, flitschen; Impressionen einer glücklichen Kindheit in dem Häuschenviertel mit den breiten Strasssen und viel Platz; Buben, die spielen, werfen, kicken, Schlingel, die Blödsinn machen, rumtoben, Klassisches Orchester dazu. Seifenblasen. Spielen mit Holzfigürchen: Nashorn, 2 Krokodile, Känguruh, das hüpft. Kuchen: das ist mein Stück. Mit Vater einen Baum gepflanzt. Buben springen im Dampf hinter Strassenkehrmaschine her, auf der DDT steht. Eine trautes häusliches Wäscheaufhängebild. Dad ist auf Reisen. Nach der Chinareise geht die Familie italiensch essen, Vater: AL DENTE. Friede und Glück von Mutter mit Kindern zuhause. Wundversorgung. Die Knaben toben sich aus, mit Blechbüchsen oder mit Holz gegen Blechwand, schmeissen Scheiben ein in verlassenem Gebäude, zünden eine Rakete mit Frosch, hanging around. Lernen und Experimentieren. Das thematisiert der Vater auch.

JACK und die Linie, die er nicht überschreiten soll.

Halloween. Hexengeschichte, Masken.

In das ruhige Leben platzt ein Brief hinein, der den Tod eines 19jährigen verkündet. Oh Gott, warum hast du mich verlassen, Mutter ist unglücklich, my son, my son. Er ist nun in Gottes Hand; er war es immer. Jack entdeckt eine leere, dunkle Treppe, die in ein unbewohntes Zimmer unterm Dach führt. Er erlebt den Tod; er nimmt sehr sensibel die Grimassenöffnung einer Ruine als Signal von Negativem wahr. Gelegentlich hört man auch Vater oder Mutter ganz leise mit Gott hadern. Hiob. Hiob. Wie hat Mutter das ertragen.
Widerspruch zwischen Natur und Gnade anhand der Differenz des väterlichen und des mütterlichen Prinzipes. Macherprinzip gegen Dulderprinzip.

 

DER VATER

Die Natur. Das Herrschen. Das Prinzip des Willens, des Durchsetzens, des Erreichens. Vater steht aber auch für die Kultur. Er erzählt von Brahms. Er spielt Klavier. Er spielt Orgel. Das Tischgebet gehört zum Essen. Von der Chinareise bringt Vater den drei Buben Geschenke und Toilettentücher aus dem Hotel und Erzählungen (Trophäen?). Aber auch Vater hat Fehler gemacht, er wollte ein grosser Musiker werden – und ist dann in einem Industriebetrieb gelandet. Vaterprinzip: Something Big: einmal erzählt Vater über Frank Johan, der Frisör war, aber he built something big, er hatte dann Immobilien. Vater, der die Kunst des Möglichen, des Herrschens lehrt, Brutalität, keine Demut.

Die Prinzipien des Vaters und das Verhältnis zum Sohn : Liebst du Deinen Vater?
Reach me my lighter. Herrschen: der Sohn muss auf Sätze vom Vater immer mit „Sir“ antworten. Jack betet für sich, er wolle nicht mehr frech zu seinem Vater sein, nicht mehr die Hunde aufhetzen, wolle dankbar sein, nicht lügen. Die Welt ist eine Gaunerei.
Siehst Du mir zu (Gott). Wo bist Du. Ich will sehen was Du siehst. Vater spielt Orgel. Jack steht daneben: schon halbwüchsig. Jack muss 50 mal leise die Tür zu machen, weil er sie geknallt hat. Harte Erziehungsprinzipien, um die Welt in Griff zu kriegen. Vater gibt Jack Anweisungen, wie er zu boxen haben, er solle ihn schlagen. Hit me Jack!

Toscanini. Hat bei einer Aufnahme 65 mal aufgenommen und nachher gemeint, er könne es noch besser. (Naturbeherrschung und Perfektionismus). Vater: Das Schicksal liegt in Deiner Hand. No interruptions please. Vater in einen Repräsentationsgebäude alter Art, wie das Kapitol mit Kuppeln.

Papa spielt Klavier.

Gib dem Vater einen Kuss. Beim Sitzen auf dem Stuhl soll man ganz vorne sitzen, das ist besser für die Haltung. Vater zur Mutter: Du hetzt meine Kinder gegen mich auf!
Gewalt mit seiner Frau, er nimmt sie in Würgegriff. Vater kauert vorm Gemüsebett. Sohne kauert sich daneben. Ein Ansatz von vorsichtig vertraulichem Nebeneinander. Auch der Vater wollte geliebt werden, wie er gross war. Er fühlt sich als ein Nichts. Missachtet.
A foolish Man. Vater schlägt sich selbst ins Gesicht. Closing the Plant. Sein Betrieb macht dicht. Choice: no job oder einer, den keiner will. Vater liegt zwecks Reparatur unterm Auto. Sohn schleicht drum herum. Man kann seine Gedanken lesen; ein Schubs an den Wagenheber…
Dann spricht Jack halblaut für sich (etwas überdeutlich scheint mir), bitte Gott, bring ihn um.
Vaters Selbstmitleid, wie gut er war, nie krank, hat regelmässig was in die Sonntagskollekte getan, vielleicht war er zu streng zu Jack. Jack fühlt sich ihm ähnlich.
Die Jungs sind jetzt noch sein Lebenswerk, alles was er hat. Vater zu Jack: Unterbrich mich nicht. Jack: Du tust es auch. Es ist Dein Haus. Du kannst mich jederzeit rauswerfen.
Vater-Sohn-Konflikt heizt sich auf. Vater rastet aus und sitzt dann ganz allein am Tisch.

MACHERPRINZIP GEGEN DULDERPRINZIP

Jack schreit Vater an: sie liebt nur mich (gemeint die Mutter).

DIE MUTTER UND DAS PRINZIP DER GNADE

Was sie alles erleidet, erduldet, hinnimmt, ihr Mitgefühl, ihre Liebe. Mutter ist wohltätig. Unendliche Liebe der Mutter, die alles verzeiht und sich nicht gegen den Mann resp. den Vater von Jack wehren kann. Mutter ist naiv, man braucht Willen. Mutter. Liebe, tue Gutes, hoffe.

JACK UND DIE MUTTER

Warum wurde er (den Vater meint Jack) geboren? Das fragt er die Mutter

JACK UND DIE BRÜDER

Jack mit seinem Bruder im Wald. Sie schiessen. Ins Wasser. Dann schiesst er seinem Bruder in den Finger. Mit dem Flaubert-Gewehr. Dann eine versöhnliche Bruderliebe-Szene der beiden. Was ich machte, das darf ich nicht. Verlassene Hütte. Jack schmiegt sich an seinen Bruder.

SCHICKSAL.

Hiob und das Schicksal. Gibt es Dinge, die der Mensch nicht in der Hand hat? „Kann das jedem passieren“ fragt Jack, wie er einem armen Kerl in Ketten begegnet und ihm was zu trinken gibt. Jack allein zuhause. Eine festlich gedeckte Tafel. Und wieder die einsame Treppe auf den Dachboden. Ein Windspiel. Später schlägt er einen Ast gegen einen Baumstamm. Energie will raus. Aufgestautes. Wut vielleicht, die sich nicht in Bösem äussern will?

Konfirmationspredigt des Pfarrers. Bub allein auf der Strasse, versunken. Er ist nachdenklich mit einem Gesichtsausdruck: schau mich nicht an. Ein Zelt im Garten. Jack ist allein im Haus. Er ist fortan öfter allein zu sehen. Im Versuch, klare Gedanken zu bekommen zwischen all den Eindrücken, allein auf der Strasse, er geht durch Räume, nichts besonderes suchend, sich nicht materiell ablenkend. Er entdeckt in einer Schublade Frauenkleidung und Schmuck. Er hält ein weibliches Dessous vor sich. Er vergräbt es unter einem Brett. Es schwimmt im Wasser. Fantasien vielleicht. Brüche bei Jack. Später wird Jack dann die Holzfigürchen wegschmeissen, NO. Die Knaben beim Schwimmen, einer taucht nicht mehr auf. Beerdigung. All das sieht Jack sehr wach und fragt sich, ob es ihn auch treffen könne. Jack wieder allein auf der Strassse.

DER ALTE JACK

Penn in symbolischen Gegenden, Wüste, Rahmen, Türrahmen, Fenster, Fensterrahmen, Hightechbüros. Denkt täglich an den Vater. Wie leben mit diesem Unglück. Was ist aus dem Wunschkind geworden? Kerzen, Chöre, Natur, Begegnung im Walde mit seinem jüngeren Selbst, der geht voraus. Türsymbolik. Ist die Geschichte der Schlüssel zum Glück?
Meer. Hochhaus, Lift, Penn verwirrt dazwischen

Die Kirche, in der Malick seinen Gottesdienst feiert, in der er seine Hiob-Auslegung ausbreitet, ist ein barockes Gotteshaus über und über bemalt, in schier unerträglicher Fülle der Bilder, pathetischen, urweltlichen, mikro- und makrokosmischen, Farben, die ineinanderfliessen, Kerzenlicht, viel lyrische Malerei drum herum. Die Filmmalerei als Flash- und Experimentiermethode, unglaubliche Aufnahmen von Natur- und Allgewalt, Vulkane, Geysire, Wolken und Getöse. Aber durch das vorangegangene Kanzelwort, ist der Geist des Zuschauers auf eine ganz bestimmte Bahn gebracht, um dieser Bilderreizflut zu begegnen, um sich deren Sog entgegenstemmen zu können. Gedanken um die Endlichkeit des Menschen, die Existenz des Menschen, die in der reinen Schöpfergewalt doch nichts sei, oder vielleicht grade wie eine Blüte auf einem schnell fliessenden Bach. Und was dem Menschen bleibe, das Problem vor das sich Jacks Vater in dem Moment gestellt sieht, wo er den Job verliert. Da bleiben ihm nur noch die Familie, die Söhne.

Auch eine barocke Liturgie: Lichtspiele zu Sopran, extrem amerikanisch religiös.We crie to you, my soul, my son, hear us. My life, my search for you My child – Chorgesang. Merkwürdig, Hiob 38, 7, “miteinander jubilierten”…

Neubarocke Kinoleinwandbildmalerei:

Naturaufnahmen, Bäume, Wiesen, Gras, Unterwasseraufnahmen, Wind, Wolken, Boden, Geysir, Vulkan, Brandung, Glut, Feuer, Tropfen von Nah, Melange von Materialien. Strukturen, Blitze. Konvulsionen. Unterwasser. Quallen. Eruptionen. Urwald. Bächlein, Ungeheuer, animiert, Urzeitengetier. Eines erzieht das andere mit der Pfote, mit der es des anderen Kopf zu Boden drückt. Gewalt. Bilder, die an naturgeschichtliche Bilder-Bücher aus den 50er Jahren erinnern.

AUSKLANG

Unglück trifft auch die Guten. Wir sind nur Wolke, wie Baum. Gibt es etwas Unvergängliches? Ist jemand gefreit gegen Zerstörung? Unglück findet Euch überall. Rückblende: Wann hast du mein Herz zum ersten Mal berührt.

Symbolische Menschen, viele Menschen wie stilisiert auf einer sandigen Ebene am Rande des Meeres, eben von Wasser zugedeckt. Wüstenlandschaft. Aus der Wüste kam das Wort. Feierliche Chöre. Menschen auf Wasser und Sand. Mutter in grünem Kleid auf den alten Jack zu. Umarmung. Alles sehr symbolisch. Der Chor singt requiescet in coeli.
Sonnenuntergangsymbolik. Alte, faltige Hand berührt Mutter; Schnitt: jetzt ist die Hand jung. Sonne, Meer, Wolken, dunkle Gestalten, herabschwebende Maske, symbolisch, Haus am Strand, der Blick nach draussen,

Ich gebe ihn Dir. Ich gebe Dir meinen Sohn.

Brücke im Gegenlicht.  (mir fällt der Begriff „Brückentechnologie“ ein).

 

Yuki & Nina

Wie ein Stenogramm mit angehängter wunderschöner japanischer Landschaftsmalerei kommt mir dieser Film vor. Wobei sich der Begriff Stenogramm nicht auf die Machart bezieht, sondern auf das Buch, was sozusagen in Kurzschrift versucht zu erinnern, wie es zu der Entwicklung kam, um die es im Film geht; wobei es dem Betrachter überlassen bleibt, zu entscheiden, ob er eher einen Culture Clash oder doch nur eine traurige Scheidungsgeschichte von zwei Menschen, zwischen denen die Liebe erloschen ist, sehen möchte und den Folgen für die Kinder. Der erste Teil ist der stenogrammmässige, rationale französische Teil und spielt in Paris.

Das Vorspiel ist in gewissem Sinne bereits ein Entwurf über die Struktur der Thematik des Filmes; der Opa erzählt den Mädchen die Geschichte vom Fuchs und der Nachtigall, dass er sie einerseits gerne frisst, ihr aber genau so gerne zuhört. Auch ein Culture Clash, zumindest ein Widerspruch für den Fuchs, der ihm Probleme verschaffen könnte.

Die Hauptpersonen sind, wie der Titel sagt, Yuki und Nina, zwei neunjährige Mädchen. Nina ist Französin und lebt mit ihrer geschiedenen Mutter zusammen, Yuki ist Japanerin und lebt mit Vater und Mutter in Paris. Yuki und Nina kennen sich von der Schule.

Der steongraphische Teil des Filmes besteht aus einer Abfolge von Gesprächen über Dinge, die zu tun sind. Zwischen den Freundinnen, zwischen den Mädchen und den Müttern. Diese Gespräche werden absolut ernsthaft geführt, sehr sachlich, was vielleicht auch den Protokolleindruck vom Film verstärkt, was gleichzeitig eine ziemliche Distanz schafft, aus welcher man mit ungehindertem Interesse zuschauen kann und nichts verpasst; dadurch wirken die Kinder und auch die Erwachsenen sehr überzeugend.

Es geht um die Ferienplanung. Die Mutter gibt sie Nina bekannt. Nina fragt, was denn mit ihrer Freundin sein, ob die mitkommen dürfe. Von der Mutter aus schon. Aber da müsse man die Mutter von Yuki fragen. Die kommt bald bei Ninas vorbei um Yuki abzuholen. Jetzt wird das diskutiert. Yukis Mutter ist einverstanden, aber sie muss zuerst noch mit ihrem Mann reden und sie würde wohl nach Japan reisen.

Bevor Yuki mit ihrer Mutter zuhause ist, erklärt ihr diese, dass sie sich scheiden lassen werde und dass sie mit Yuki nach Japan zurückkehren würde. So ein Satz ist eine Bombe für jedes Leben, wie die Reaktion darauf gespielt wird, die Sprachlosigkeit von Yuki, das ist grandios. Und kein Gefühlsausbruch.

Die Mutter erklärt Yuki, dass das das Ende der Liebe sei, also dass man eben nicht mehr liebe. Und dass sie damit auch Yuki davor bewahren möchte, immer den Streit zwischen Vater und Mutter erleben zu müssen. Für Yuki ist das ein Problem. Denn die Mutter ist ja auch unglücklich darüber, dass sie sich trennt. Aber andernfalls ist sie auch unglücklich; ein unlösbares Problem, das möglicherweise mit eskapistischen Fantasien gelöst werden kann, der Culture Clash als Hilfsmittel?

Die beiden Mädchen sitzen auf einem Schränkchen in einer Wäscherei, lassen die Beine baumeln und auch die Gedanken und kommen auf die Idee, einen Liebesbrief an die Mutter zu schreiben. Dann schreiben sie. Nina hat eine Art Schmetterlingsflügel auf dem Rücken aus durchsichtigem Voile, Yuki hat ein Tuch in der Art eines Kimonos umgebunden. Für die Kinder ist es ein Problem, ob Mama wieder einen so guten Mann finden wird.

Umzugsvorbereitungen nach Japan bei Yukis.

Die Mädchen schreiben der Liebesfee einen Brief. Sie verstehen nicht, warum die Eltern sich trennen. Sie wollen kitten. Wieso trennen die sich, wenn es sie unglücklich macht. Irgendwie wollen sie nicht verstehen, dass man auch zusammen unglücklich sein kann. Mutter weint, es sei eben schwierig zusammen zu bleiben. Yuki liegt auf der Matratze im halbausgeräumten Zimmer. J’irai pas au Japon, tut sie der Mutter kund.

Jetzt hilft nur noch Weglaufen mit Nina. Yuki taucht mit Rucksack bei Nina auf, es muss alles schnell gehen. Nina kurz entschlossen, wir fahren zum Vater. Scheisse, sie stehen vor der U-Bahn, da kommt der Vater von Nina daher. Aber die beiden Mädchen können sich verstecken. Sie sind sehr selbständig und zielbewusst in der Metro unterwegs. In Richtung Land. Abhaugeschichte. Die Realität in ihrer widersprüchlichen Liebeslogik ist nicht mehr zu ertragen

Nina kennt sich aus. Findet die Schlüssel zu dem ländlichen Haus. Erst den zum Tor. Dann den zur Wohnung. Dort gucken sie sich um. Sie stellen im Kaminzimmer das Zelt auf. Auch das passiert alles hochvernünftig, très raisonnable. Im Zelt spinnen sie Märchengarn, sprechen von Werwölfen, über Feen und Trolle. Doch jetzt kommt die Nachbarin, die was gehört und einen Schlüssel hat. Sie kommt in das dämmrige Zimmer rein. Das Zelt ist umgekippt. Die Mädchen haben sich hinterm Kamin versteckt. Aber die Nachbarin merkt nichts. Alarm. Hier ist kein Bleiben.

Die beiden Mädchen gehen in den Wald. In den mystischen Wald selbstverständlich. Der ist so schön, mit Farnen und Moosen; sie kommen an der Monsterkröte vorbei. Auf einer schönen Lichtung machen sie das Pfandspiel, Handflächen aufeinander schlagen, dann das Augen-zu-Spiel UN, DEUX, TROIS, SOLEIL. Sorglosigkeit. Dann liegen sie im Gras, man sieht nur das Gras, auf die Wolken projizieren sie bekannte und unbekannte Figuren und Fratzen. Ein dumpfer Knall. Das schreckt sie auf. Sie laufen von der Wiese in den Wald. Jetzt fängt der Teil des Filmes an, der die japanische Tusch-Malerei der wunderschönsten Wald-Bilder erinnert, wie sie das Kino so dezent selten sieht (Trier, Godard, die haben neuerdings eine Schlagseite zu Rousseau bei ihren Waldbildern, die Japaner nicht).

Yuki läuft plötzlich weg, murmelt einen inneren Monolog, der als Indiz für die Culture-Clash-These herhalten könnte, sie entschuldigt sich bei Nina, dass sie wegläuft, dass sie sie allein lässt,
Derweil hat Nina aus Ästen einen hüttenähnlichen Unterstand gebaut

Hier im Wald scheinen mir die Mädchen sehr aufgeräumt, sie werden von der Regie offenbar angehalten dazu, leicht und fast überheblich zu spielen (der Wald ist auch eine Befreiungsaktion oder gar Initiation, um das blöde Wort zu bemühen) und auf keinen Fall realistische Ermüdung, gar Erschöpfung vom langen Gehen. Je länger sie gehen, desto leichter werden sie, desto frischer erscheinen sie.
Der Wald ist die Transformation – aber wohin…

Idylle am Wald, Yuki ist durch einen kleinen dunklen Spalt einer dichten Waldwand an den Rand einer Wiese getreten, wunderschönes Bild. Sie ist jetzt in Japan. Sie geht über die Reisfelder in Richtung einiger Häuser. Kinder auf Fahrrädern überholen sie, rufen ihr zu, Yuki. Dann sind sie bei der Oma, sie streiten sich um die Sitzpolster, richtig ausgelassen, ein bisschen overacted würde ich sagen; kaum anzunehmen, dass das zufällig ist; vielleicht ist der Traum von Yuki schrill und laut.

Die anderen Kinder werden von ihren Eltern abgeholt. Yuki bleibt zurück. Oma fragt, ob sie allein nach Hause könne. Sie geht zurück in den Wald, dort trifft sie den kauernden Papa. Dann sind alle versammelt vor der Hütte von Nina.

Jetzt kommt noch eine Art privates Homevideo mit Wackelkamera der beiden Freundinnen, sie haben Blumen gefunden. Und eine Videobotschaft aus Japan. Nina muss japanisch lernen.
Yuki ist im Auto unterwegs in Japan mit der Mutter. Yuki bittet Mutter plötzlich links ranzufahren. Sie finden das verlassene Haus der Grossmutter. Die Mutter erzählt, dass sie hier oft hergekommen ist zum Spielen. Yuki fragt die Mutter, was aus ihren Freundinnen geworden sei.
Romantische Landschaftsmalerei, ich würde sagen wirklich die deutsche Romantik gemeint, aber auf japanisch.
Im Abspann wird ein japanisches Lied gesungen: Die Fadenpflanze färbt Deine Finger, die Worte Deiner Eltern das Herz, das Schiff orientiert sich an den Sternen, die Eltern orientieren sich am Kind.

Klitschko

Irgendwann mag man sie nicht mehr sehen, diese Dokumentationen über Stars. Es ist immer dasselbe Schema. Einserseits muss ihr Aufstieg dokumentiert werden. Das heisst: Ausschnitte aus Fussballspielen, Autorennen, politischen Kämpfen oder wie hier aus Boxkämpfen, die alle schon durch die Medien gegangen sind und alle bekannt sein dürften. Dann muss in den Archiven der Promis gewühlt werden, Jugendfotos, Jugendvideos, erste Auftritte, Interviews, das Elternhaus, Aufstieg, Rivalitäten, Niederlagen, Rückschläge und am Schluss müssen sie sich irgendwie wieder fangen oder gefangen haben. Und sind alles Gladiatoren, Heroen unserer Zeit, mit kleinen Abweichungen, Kino beschränkt aufs Ikonenbuildung. Und dann noch ein frisch erzeugter Interviewstrang.

Das ist hier nicht viel anders. Wohltuend allerdings vor allem der erste Teil. Der Filmemacher geht an die Orte der Jugend der beiden Boxkämpfer Gebrüder Vitali und Vladimir Klitschko.

Da ihr Vater im Militär war, ein Offizier, ging ihre Jugend mit ständigen Umzügen durch die ganze frühere Sowjetunion. Man besichtigt Ruinen, Bauten, ein leeres Wohnhaus, wo die Familie zu fünft oder sechst zwei Jahre lang in einem einzigen Zimmer hauste. Kein fliessend Wasser. Bad draußen.

Zu sehen sind Bilder von der ersten Arbeiten nach dem Unglück von Tschernobyl, weil der Vater der beiden Boxer einen Aufräum-Trupp anführte. Er selbst hat sich Schäden zugezogen. Scheint aber gut medizinisch versorgt.

Die Klitschkos werden als kleine Familie mit einem festen Zusammenhalt vorgestellt. Das kam durch die dauernden Versetzungen des Vaters. Und diese führten auch dazu, dass sie an ihren jeweils neuen Orten angefeindet wurden und sich durchsetzen mussten. Es wird eine Anekdote berichtet, wie eine Mutter eines Schulkameraden zur Mutter Klitschkos kam, weil Vitali diesem das Nasenbein gebrochen hatte. Aber das war gerecht, meint er noch heute, denn der andere hatte ihm die Mütze in die Pfütze geworfen. Und das haben sie vom Vater gelernt, dass sie kämpfen müssen und zwar bis zum Sieg.

Das schien mir der interessantere Teil des Filmes, der weniger bekannte Background der Familie inklusive der Tschernobyl-Bilder. Die Hilfsflüge für Tschernobyl und die Katastrophenbekämpfung, die sind von einem Flugplatz direkt bei Klitschkos gestartet und dort wurden auch die Flieger und Autos und alles mit Wasser gereinigt und in diesem Wasser hat Vitali Papierschiffe fahren lassen. Er erzählt dann noch von den Fliegern, die Blei über der Unglücksstelle abgeworfen hätten.

Aber je länger der Film fortschreitet, je grösser der Erfolg wird, desto mehr Gewicht erhalten die Kämpfe, die Erfolge.

Zumindest für den geübten Fernsehzuschauer dürfte hier nicht mehr viel Unbekanntes dabei sein. Mancher  Kommentator, speziell Bernd Bönte mit dem Bambi neben sich auf dem Kaminsims, wird dann dorch arg penetrant und geschwätzig. Hier hätten dem Film einige Kürzungen wohl getan.

Fast wie aus einem Hollywood-Streifen muten die saukomischen Versteckt-Kamera-Bilder vom Treffen mit Don King an, kaum zu glauben, dass es wirklich so zugeht.

Dem Filmemacher Dehnhardt kann man zugute halten, dass er trotzdem immer wieder versucht hat, einen Kinofilm zu machen, mit schönen, atomosphärischen Städtebildern, Strandbildern dazwischen und die alle gut aufgenommen sind und auch immer wieder kinofreundliche Details: Aufnahmen vom Aufbau einer Boxarena, vom Pflaster auf dem Zeh, das Einbandagieren der Hände, das Anziehen der engen Boxhandschuhe, der Tunnelblick des Boxers vor dem Kampf, Anfruf an Mamma vom Bruder nach einem Kampf in der Sekunde des Sieges.

Die Eltern haben nie einen Kampf gesehen, Mama geht derweil allein spazieren. Charakterisierungen: Vitali sei aus Stein, der muss geschliffen werden und das hält, während Vladimir aus Ton sei, leichter formbar, der schneller bröselt. Vitali kann Kritik ertragen, er braucht sie auch zum Weiterkommen, Vladimir mag keine Kritik. Schönes Filmrequisit: der Lada, den sie in der SU hatten in der damals hippen Farbe „nasser Asphalt“, das heutige im Film dominierende Requisit: ein T-Shirt mit der Aufschrift „fit und geimpft“.

Was auch bleibt, ist der Eindruck einer starken physischen wie geistigen Präsenz der beiden Brüder. Dass der Film dort aufhört, wo beide Brüder zwei Weltmeistergürtel in der Hand halten, ist ihm nicht zu verdenken. Es gab noch ein kurzes Zwischenspiel von Vitali in Kiew in der Politik, aber dann hat er wieder gekämpft. Ab da hatte der Film sein Tempo praktisch auf Overdrive gestellt.

Maxime: Wenn Du gar nichts mehr hast, dann kannst Du boxen.

Fremd Fischen

Wer eine bevorstehende Heirat noch für ein Damoklesschwert über einer lebenslänglichen Entscheidung hält, bekommt hier seine leichte Boulevard-Ablach-Kompensations-Kost dazu. Denn davon lebt diese ordentlich gearbeitete Hochzeits-Komödie für das junge und nicht mehr ganz junge bürgerliche Beziehungsvolk. Nach dem alten Thema, wohin die Liebe fällt. Es ist ein Film von Frauen für Frauen, wenn auch der Regisseur ein Mann ist, der das Stück mit solidem Ostküstenhandwerk ins Lot gestellt und auf stimmiges Komödien-Tempo getrimmt hat, jungen Stars Gelegenheit für gute Präsentationen bietend. Garantiert kein Trash.

Darcy, gespielt von Kate Hudson, einem prägnanten jüngeren amerikanischen Schauspielerinnengesicht, wird bald heiraten. Sie möchte den Abschied vom Jungesellinnendasein an den Wochenenden mit ihren Freunden auf einem grosszügigen Landhaus in Hampton an der Küste geniessen.

Dummerweise verliebt sich ihre beste Freundin Rachel, auch ein angenehmes jüngeres amerikanisches Schauspielerinnengesicht, noch nicht chirurgisch entstellt, Ginniger Goodwin, in den Bräutigam.

Das allein macht die Situation schon kompliziert und verflixt genug an den Wochenenden. Aber eine gute Komödie braucht auch noch Nebenstränge, die der Komplikation weiter Nahrung geben. Hier sind es die Figuren Markus, der als Running Anmache-Gag immer die Geschichte vom Eichhörnchen, dessen Leben er gerettet hat erzählt, es braucht die Figur Ethan, der behauptet schwul zu sein, der Autor werden möchte und der als eine Art Berater und der Story Impulse verleihender Katalysator fungiert, der dann später nach London abhaut und last not least Dexter aus reichem Hause, der Bräutigam, dessen Eltern unter Elternliebe die standesgemässe Heirat der Kinder und als Hochzeitsgeschenk eine geleckte Villa ohne Atmosphäre verstehen.

Der Gesamteindruck ist der einer erstklassigen gehobenen Boulevard-Komödie in reichem Milieu, mit hübschen Darstellern, schnellen Dialogen, gutem Tempo, schönen Klamotten, generell einem kinokundenfreundlichen Design, angenehm besänftigender Musik und der passenden Geschichte dazu. Das muss man erst mal so hinkriegen. Und auch die deutsche Synchronisation, vor allem die der Frauenstimmen, kommt gut.

Eine Insel namens Udo

Was ist Viagra auf dem Heimtrainer? Ein Fahrradständer.
Damit dürfte das Witzniveau in diesem Film umzingelt sein oder: so tarnt sich ein Kassiber, der dem Kino eine kirchlich-christliche Message unterjubeln will nach der Methode: wie bastle ich aus einem Ideenbaukasten einen Film und verklickere ihn mit dem von oben herab angepassten Witzniveau dem Volke. Die Message lautet: jeder Mensch müsse sich in seiner Besonderheit oder in seinem individuellen Anderssein annehmen und könne dann glücklich werden wie andere auch. Kommt mir vor wie eine Kanzelpredigt. Aber oh weh, wenn die Kanzel versucht, sich dem Viagra-Heimtrainer-Niveau anzunäheren, resp. die Leute für nicht ganz dicht hält.

Der Baukasten, der durchaus liebenswürdig gestaltet ist, besteht aus zwei Teilen und könnte das Resultat von einem Workshop an einem Kirchentag gewesen sein, der eine zum Thema „Anderssein“ und der andere zum Thema „moderne Trauer- und Betattungskultur“. Denn das ist der andere Makel dieser Veranstaltung, dass sie sich gleich zwei Themen vornimmt.

Für meine Vermutung, dass es sich hier um das Produkt eines kirchlichen Arbeitskreises handle, spricht übrigens die Szene, in der ein Buch mit dem Titel „Die leckersten Gerichte aus der Bibel“ vor die Kamera gehalten wird. Ferner die Interpretation des Goaßlschnalzens als eines Versuches, den Unsichtbaren zu peitschen als Hinweis auf den Flagellantismus von Mönchen. Auch die häufig bemühte Klampfenmusik wäre eine Hinweis, zwar kein zwingender, aber ein möglicher, auf diesen kirchlich-jugendfreizeitlichen Hintergrund. Es könnte sich auch um Pfadfinder handeln, die eine gute Tat machen wollen.

Fangen wir mit der Nebengeschichte an, die mit dem Hauptthema ohne Gedankenakrobatik kaum in Verbindung zu bringen ist.

Fritzi Haberland, die Jasmin Koblach spielt, ist immer wieder mit der Bestattung ihres Vaters befasst. Dazu gibt es ausgiebige Gespräche über Särge und die Art der Bestattung; der Film möchte vermutlich kritisch die moderne Bestattungskultur beleuchten. Gehen Sie in diesen Spielfilm, denn hier gibt es eine kritisch-witzige Auseinandersetzung mit unserer Bestattungskultur! Lachen Sie über den Witz, der bei einem Beratungsgespräch passiert: fragt der Bestatter, ob Fritzi sich für eine Bestattungsart entschieden habe. Sagt Fritzi, der Verblichene habe gerne am Kamin gesessen. Reaktion des Bestatters: also Verbrennung.

Weiter zum Toten, dem zu Bestattenden: er war Reiseschriftsteller, selbst aber nie auf Reisen, er hat alles aus Büchern abgeschrieben oder erfunden. Wie die Tochter Jasmin selbst auf Reisen ging, hat sie die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Vaters Büchern bemerkt und ihm Karten geschrieben, um ihn auf die Fehler aufmerksam zu machen. Diese Karten findet Fritzi bei der Hinterlassenschaft ihres Vaters. Weitere wichtige Info zum Vater, er habe nie Hilfe in Anspruch genommen. Nun ja, das muss man wohl wissen, wenn man sich für die Insel Udo interessiert.

Der Bausatz für die Haupthandlung besteht aus der Figur Udo. Sein Problem ist faszinierend. Er wird einfach von niemandem beachtet. Er ist praktisch unsichtbar. Er kann problemlos einem Menschen, der an einer Bar sitzt, den Espresso wegtrinken, der sieht es nicht. Oder einem Gast das Kuchenstück wegessen. Das wäre eigentlich ein abgrundtief tragikomisches Thema. Aber leider belässt es der Film bei der Idee, illustriert diese zwar, geht ihr aber nicht auf den Grund. So bleibt denn alles oberflächlich.

Udos Eigenschaft der Unsichtbarkeit ist ideal für den Job als Kaufhausdetektiv. Denn keiner beachtet ihn und wer nicht beachtet wird, der kann hervorragend beobachten. So weit so gut überlegt von den Bastlern dieses Filmes.

Auch die Beziehungsfiguren zu Udo im Kaufhaus sind passend gewählt. Die Transe von Friseuse, ein Ausländer mit Moustache, Italiener oder Spanier und ein Finne mit dem gebrochenen Deutsch. Aussenseiter auch diese. Gleich und gleich gesellt sich gern. Man ist tolerant.

Ähnlich verhält es sich mit den Dieben, die Udo erwischt – oder auch laufen lässt. Die Dame, die Wäsche klaut oder der Alte, der den Kaviar für seine Frau mitlaufen lässt. Auch diese Szenen finden nach den Entwicklungen der Hauptfigur einen passenden Abschluss.

Die Entwicklung von Udo, die die Message des Filmes rechtfertigen soll, ist nun die: Jasmin, die Managerin bei einer Hotelkette ist (aha, sie reist ja gerne) beobachtet Udo beim Fremdkaffetrinken und Fremdkuchenessen, sie ertappt ihn dabei, stellt ihn zur Rede, denn sie sieht ihn. Das ist für Udo eine ganz neue, schockierende Erfahrung, die aber auch eine Liebesgeschichte auslöst und ihn im Beruf versagen lässt, denn plötzlich ist er auch für die anderen nicht mehr unsichtbar und kann nicht mehr ungeniert die Diebe beobachten. Das müsste allerdings noch erklärt werden, warum er für die anderen, bei denen keine Liebe im Spiel ist, jetzt plötzlich auch sichtbar ist. Das ist nicht mehr als eine Behauptung, die der Message, die sich der Film vorgenommen hat, nützlich ist. Ob sie logisch ist, sei dahin gestellt.Kaum liebt er, sieht man ihn, kaum liebt er nicht mehr, sieht man ihn nicht mehr. Anderssein oder Wie-die-Anderen-Sein auf Knopfdruck. Merkwürdig.

Die Liebe allerdings, das wird sich schnell rausstellen, die ist nicht für Udo gemacht oder Udo nicht für die Liebe oder zumindest nicht für die Liebe mit Jasmin, denn da sind ihre Eltern davor. Ihr Vater wird dargestellt von Jan Gregor Kremp, einem Fernsehschauspieler, der schon beim ersten Auftritt so grinst, als finde er es saulustig, in dieser Sichtbar-Unsichtbar-Welt vorbeizuschauen und noch Geld dafür zu kriegen. Wie eine Drohung wirkt somit due Ankündigung eines Essens von Udo mit Jasmin bei deren Eltern. Und wird tatsächlich wahr gemacht. Udo benimmt sich bei Begegnungen mit diesem Vater vollkommen daneben. Irgendwie logisch. Und er bemerkt dann selber, dass er anders sei, nicht für ein konventionelles Leben gemacht, dass er sein Anderssein, sein Unsichtbarsein annehmen müsse. Ab dem Zeitpunkt wird er wieder unsichtbar, seine alte Welt ist wiederhergestellt und als Kaufhausdetektiv ist wird er wieder erfolgreich.

Die Liebe wird hiermit apostrophiert als ein Ausrutscher aus der eigenen schicksalshaften Identität, welche offenbar nicht für die Liebe gemacht ist. Hm, doch eine seltsame Message, die uns Markus Sehr verklickern will, und gar nicht christlich, eher schicksalergeben islamisch, der Mensch habe sein Schicksal anzunehmen und nur so könne er glücklich sein. Fatal fatalistisch und weit entfernt zumindest von aufklärerisch europäischem Geist. Schade eigentlich, das wären alles sehr spannende Fragen, dass die letztlich nur als dünne Behauptungen ohne jede Vertiefung stehen bleiben. Sehr, der Autor und Regisseur, hätte wirklich besser das Thema vertieft, statt sich mit billigen Hinweisen auf Fernsehgrössen (Hannelore Elsner muss herhalten für eine Apostrophierung als Anne Frank oder auch Gottschalk muss verbraten werden und wieso wird Udo als der Goethe der Kaufhausdetektive bezeichnet) an ein Publikum anbiedern zu wollen, was einen solchen Film garantiert nicht im Kino schauen wird, weil dadurch auch das Komödientempo unter die Räder kommt.

Hana, Dul, Sed

Diese Dokumentation ist interessant, weil sie aus einem immer noch nur schwer zugänglichen Land und einer totalitären Diktatur mit einem fast gottgleichen Führer berichtet, aus Nordkorea. Aus einem Land, in dem  Menschen hungern, davon kann selbstverständlich in einem solchen Film nicht die Rede sein, denn dafür hätte es keine Drehgenehmigung gegeben, aber für Stars der weiblichen Fussballnationalmannschaft, die bei verschiedenen Tournieren international Aufsehen errregt haben, und die also auch ins Ausland reisen konnten, die selber in Nordkorea privilegiert leben, nämlich in Wohnungen, die ihnen der General oder der Führer zur Verfügung gestellt hat und die bei der Essensration, die monatlich einmal eingekauft werden kann, Extras erhalten, die zu filmen schien nach langer Anlaufszeit und verschiedenen Treffen auf Tournieren ausserhalb von Nordkorea dann doch möglich.

Und nur ganz am Rande, als Schnittmaterial sozusagen, konnte die Regisseurin Brigitte Weich Bilder einfügen, die einen Hauch von einer Idee der Stimmung in diesem für uns abgeschlossenen, menschenfeindlichen Lande geben.

Unser Bild von Nordkorea ist ein Nicht-Bild, wie vielleicht früher vom Eisernen Vorhang; den Subtext der westlichen Propaganda empfinde ich immer so, als wolle er uns suggerieren, dort lebten gar keine Menschen, sondern Ungeheur, unterdrückende und unterdrückte. Nur Zombies. So überraschen mich dann eher die Gemeinsamkeiten mit unserer Gesellschaft, die sich in einer solchen Dokumentation finden, denn die Unterschiede.

Pokale sammeln und in einem Schränkchen zuhause ausstellen, das tun Sportler in Nordorea wie in Deutschland. Sich geehrt fühlen wenn politische Grössen einen auszeichnen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Privilegien geniessen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Die Mannschaft wird in Nordkorea bejubelt, wenn sie im Ausland einen Sieg holt, so geht es einer deutschen Mannschaft in Deutschland auch. Und nordkoreanische Sportlerinnen reden im Interview nicht anders als deutsche. Die Amerikaner für Zombies halten, das tun die Nordkorener genauso wie wir, wie schon erwähnt, die Koreaner für Zombies halten. Den sportlichen Erfolg wollen, das tun die vier hier portraitierten nordkoreanischen Fussballerinnen genau so wie deutsche Fussballerinnen. Jene kämpfen für Nordkorea. Unsere kämpfen für Deutschland. Das war jetzt gewissermasen ein Extempore zu dem was im Film zu sehen ist, der sich um die nordkoreanische Frauenfussballnationalmannschaft kümmert.

Es gibt Bilder, die man schon kennt von Nordkorea: vom grossen Denkmal für den grossen Führer und die heroisierenden Wandgemälde, die leeren Prunkstrassen, prachtvolle U-Bahnhöe, Wolkenkratzer, Menschen in Gruppen und in Uniformen; oder die Stars, Menschen, die auch nicht aus ihrer Haut raus können, die alles fürs Vaterland und den Führer tun, die als Sportler Karriere machen und dann vom General einen Brief kriegen, der ihnen ganz kostbar ist.

Die vier Sportlerinnen, die sich die Regisseurin für diese Dokumentation ausgesucht hat, die in Aktion zu sehen, wie diese eher kleinen Frauen, gelegentlich fast Bällen gleich über den Rasen schiessen, das ist schon beeindruckend. Es sind vife junge Frauen. Die Regisseurin hat Material aus ihrer aktiven Zeit mit grossen internationalen sportlichen Erfolgen und jetzt einige Jahre später nach dem Ende ihrer sportlichen Karriere in diesem Film zusammengestellt.

Dem Film voran setzt Brigitte Weich ein Zitat von Kim Jong II (das dürfte auch der Gastfreundschaft geschuldet sein): Grosse Ideologie schafft grosse Zeiten. Dann folgt ein Zitat von Simone de Beauvoir: Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.
Damit dürfte Weich den ideologischen Spagat eines solchen Filmes elegant gelöst haben, ohne sich selbst zu verraten. Dann spielt sie einen koreanischen Song über Frauen ein: Frauen sind Blumen, Frauen sind die Blumen des Landes.

Nacheinander folgen kleiner Portraits der vier Sportlerinnen aus ihrer aktiven Zeit, einer Stürmerin, einer Verteidigerin, einer Mittelfeldspielerin und einer Torhüterin; sie erzählen über ihren Einsatz für den grossen Führer, von ihren Privilegien, von ihren Erfahrungen, von Spielen, vom Erfolg, auch von der mühsamen Anerkennung in ihren Familien, die dann erst kam, wie sie am TV zu sehen waren (auch das ist nicht anders als bei uns) und wie der Vater der einen ganz stolz war und in jeder Spielerin im TV seine Tochter zu erkennen glaubte, oder die Mutter, die nicht verstehen kann, dass ihre Prinzessin Fussball spielt; (auch diese Probleme gibt es bei uns haargenau gleich, wenn ein Kind aus dem elterlichen Milieu ausbricht und etwas Exponiertes macht oder werden will, gar ein Medienstar – no difference). Auch die Beeindrucktheit dadurch, dem General Blumen überreichen zu dürfen. Die Verteidigerin philosophiert darüber, wie man aus der Verteidigung heraus den Angriff startet. Dann die Ehrungen Erster Klasse der Nationalflagge. Auch bei uns sind die Leute scharf auf Ehrungen, Sportler des Jahres, eine der Spielerinnen zeigt ihren Glasschrank mit Geschenken und Auszeichnungen drin; sieht bei unseren Sportlern kein Deut anders aus. Oder eben der Stolz über eine handschriftliche Notiz vom General.

Sie erzählen von ihrem Gastspiel in den USA, oder wie sie als Sportlerinnen trotz Nahrungsnot mit genügend Reis versorgt werden. Sie nehmen das auch ganz selbstverständlich an, dieses Privileg. Oder sie erzählen von den negativen Gefühlen gegen die Japaner, weil die Mutter der einen im Krieg noch schlimme Dinge erlebt hatte. Oder dasss die Japaner die Koreaner  schimpften, sie würden nach Knoblauch stinken. (Nun soll also keiner so tun, als kennten wir keine Vorurteile).

2004 kam dann das Ende der Aktivzeit der vier portraitierten Spielerinnen, die Mannschaft wurde radikal umgebaut und erneuert. Eine war immer schon seit den frühen Neunzigern, also praktsich vom Anfang an dabei.

Dann portraitiert die Filmemacherin die vier Frauen auf ihrem weiteren Lebensweg, die eine studierte an der Sportuni und will Torhütertrainerin für Frauenfussbal werden, sie wäre dann erst die zweite im Lande, die andere arbeitet bei einer Firma, die Natursteine bearbeitet; eine sieht man im Sprachlabor Englisch lernen; eine wird Hausfrau werden, also heiraten, sie hat ihren Mann über eine Vermittlung gefunden, sie gehen rudern und der Mann meint, wie die Nadel dem Faden so folge die Frau dem Manne.

Es wird erwähnt, dass der General erwarte, dass man sich fein mache für die Auslandsauftritte, das ist bei uns auch nicht anders, wenn man bedenkt, welch ein Getue herrscht über die Uniformen der nationalen Sportler bei einer Olmypiade oder einer Weltmeisterschaft.

Es gibt einen Blick in einen gut gefüllten Lebensmittelladen, Frauen stehen da und holen ihre monatliche Ration, das wird von Hand in ein Buch eingetragen und hier erfahren wir vom Privileg der Sportlerinnen.

Eine Frau, die bereits ein Kind hat, besucht mit Mutter und Tochter und Kamerateam den Zoo, man sieht einen Berner Sennenhund in einem Raubtierkäfig und einen deutschen Hund und auch Katzen, wie traurig. Man besucht eine Kinderkrippe, wo die Kinder schon von ganz klein auf indoktriniert werden, wer stellt sich vor das Bild und sagt, was drauf ist, das ist unser Führer, wie er jung war; oder sie stehen um das Modell einer exklusiven Villa in einem Walde herum und die Lehrerin erzählt, dass hier der Führer geboren wurde. (Uns bestens bekannt das Getue um die Geburtshäuser von Prominenten). Oder man sieht die Nannies, die Kleinkinder in den Mittagschlaf wiegen.
Eine will gar nicht heiraten, sie trauert der Freundschaft nach, hat vor allem noch mit einer Fussballkollegin Kontakt, aber durch die gemeinsame Zeit werden sie wohl Freundinnen bleiben.

Der Titel Hana Dul Sed, was Eins, Zwei, Drei auf Koreanisch bedeutet, nun, da gabs doch mal, One, Two Three, Billy Wilder, richtig, worum gings da noch, genau: um den Kapitalismus und den Kommunismus. Und worum geht’s bei Brigitte Weichs Hana Dul Sed? Genau, um nichts anderes als um den Kommunismus und den Kapitalismus.

Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel

Für die Freunde der Italianitá italienischer Filmkomödien mit der Commedia del Art als einem ihrer Vorfahren. Für die Freunde jenes italienischen Films, dem das „Scherzare“, das Frozzeln, das Flachsen, das Sich-einen-Spass-machen aus dem  Spiel mit  den menschlichen Unzulänglichkeiten wichtiger ist als eine tiefsinnige, hieb- und stichfeste Story. Für die Freunde des italienischen Sommerschwankes.

Für den Kinofreund, den ein beschissener deutscher Titel nicht vom Kinobesuch abhalten kann, einen Film, dessen italienischer Titel auch nicht viel ergiebiger ist, das ewige Thema, Frauen gegen Männer, Femmine contro Maschi.

(Anna will ihren Piero denk- und ethikmässig ummodeln (reformatore). Piero hat schönen Weibern nachgeguckt, ist dabei gegen einen Laternenpfahl gelaufen und hat so einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Anna will nun die Chance nutzen, bei der Rekonstruktion dieses Gedächtnisses Veränderungen hinsichtlich Vorlieben und Werten von Piero vorzunehmen. Marcello spielt einmal im Jahr seiner Oma die intakte Familie vor, von der er längst schon getrennt lebt. Rocco ist Pedell einer Schule, hat ein Verhältnis mit einer Lehrerin, sammelt leidenschafltich Fussballerbildchen, tauscht sie mit den Kids. Die Lehrerin schmeisst ihn raus. Die Männer verbindet die Liebe zu den Beatles und den Ehrgeiz, endlich im jährlichen Festival Beatlemania mit ihrer Retro-Band zu gewinnen. Werden sie es diesen Sommer schaffen bei all den privaten Komplikationen, die im Film in eben dieser vergnüglich italienischen Art und Weise behandelt werden?)

Der Mann der über Autos sprang

Inhaltlich ist der Film leider kaum mehr als ein Studentenulk, statt „Warten auf Godot“ heißt es „Warten auf den ADAC“ (erstens kommt er dann und zweitens ist es der AGB); der Kommentar „nobody ist perfect“ gilt nicht einem delikaten Thema wie der Schwulität (wie bei Billy Wilder), sondern lediglich dem Polizistenberuf und bevor sich der Witz vollkommen erschöpft, wird der Zauberer von Oz noch schnell zum Scharlatan relativiert.

Sonst ist es großes Startheater – umso schader um die Müh! – den Stars wird ihr Startum gelassen, sie werden von der Regie pfleglich behandelt, von der Maske fast undurchlässig geschminkt (es bleiben kaum sichtbare Schminkspuren am Hemd des weißen Kragens von Robert Stadlober, dem Protagonisten in der Rolle des Julian, dem Mann, der über Autos sprang); sie werden ins rechte Licht gerückt und kommen so oft in Großaufnahme vor, damit dem Zuschauer ja nichts von der Mimik, dem Lachen oder der Verlegenheit oder auch mal der Wut entgeht; dadurch aber geht der kaum vorhandene und außerdem rückwärts gesponnene Faden der Geschichte gänzlich verloren. (Wobei zu fragen ist, ob hier nicht ein Startum gepflegt wird, das doch sehr altmodisch anmutet).

Die Idee zum Faden einer Geschichte ist durchaus da: es ist eine Art Pilgerreise zu Fuß von Berlin bis zum Schwarzwald mit dem Zwecke, durch die Energie des Gehens dem herzkranken Vater eines Freundes zu helfen; der Faden wird aber so verzwickt gelegt, dass man so gut wie nie den Eindruck bekommt, der Pilger und seine wechselnden Begleitungen würden sich auch nur 100 Meter vom Fleck bewegen, umso mehr, als in der zirkulären Bewegung auch immer wieder dieselben Figuren auftauchen, allen voran Jessica Schwarz, eine Ärztin, der Julian immer wieder begegnet und die dann schon wieder da ist, wo er erst hinkommt (so gings auch dem Hasen mit dem Igel) obwohl er sie erst gerade hinter sich gelassen hat.

Die Kamera verzichtet auf Sprünge, sie verzichtet darauf den Protagonisten am einen Ort aus der Kamera laufen zu lassen, um ihn dann unsichtbar zu überholen und am nächsten Ort schon auf ihn zu warten; somit entsteht im Zuschauer gerade nicht der Eindruck, Julian sei in einer Vorwärtsbewegung.

Der Pilgerweg als Stationenweg. Die Stationen, das sind Begegnungen mit anderen Menschen, auf die die metaphysische Idee hinter diesem Gewaltsmarsch von Julian einen positiven Einfluss haben soll. Er ist für diese Unternehmung aus einer Berliner Nervenklink abgehauen. Für ihn ist der Marsch allerdings nicht nur guter Zweck für den Vater des Freundes, sondern das näher liegende Motiv scheint die Buße zu sein, die er tun will, dafür, dass er sich am Tod seines Freundes (dessen Vater er eben besuchen will) schuldig fühlt. Dieses Motiv wird nicht von Anfang an klipp und klar eingeführt, sondern es wird wie ein Geheimnis erst nach und nach preisgegeben; das dürfte der größte dramaturgische Lapsus an diesem Film sein, der ihm den weiteren Weg schwer machen wird und der sich vor allem an der Kinokasse negativ bemerkbar machen wird. Der Lapsus hat meiner Meinung nach die Qualität, wie wenn ein Bergsteiger nach Erklimmen eines schwierigen Aufstieges am Gipfel als Lohn das Steigeisen bekommt, das für den Aufstieg unentbehrlich gewesen wäre. Zu diesem Zeitpunkt nützt es ihm allerdings nichts mehr.

Das Theoretische ist plausibel. Ein Mensch, der seine ganzen Energien auf etwas lenkt, was nicht seinem Egoismus oder seiner Karriere dient, dürfte auf andere Menschen zumindest keinen negativen Einfluss haben, weil er die Energie nicht gegen die anderen Menschen lenkt, wobei hinzuzufügen ist, dass Julian auch über hellseherische Fähigkeiten verfügt, Menschen, denen er zum ersten Mal begegnet, kann er ihren Namen auf den Kopf zu sagen.

Aber: dieses Psyhafte und Religiös-Trancehafte kommt theoretisch daher. Praktisch reicht es meiner Meinung nach allerdings nicht, Alltagssätze – und im Besonderen die Alltagssätze aus deutschen Filmen – bedeutungsvoll zu sprechen, um ihnen metaphysisches Gewicht zu geben. Das ist jedoch ein Merkmal der Inszenierung, dass es prinzipiell nur bedeutungsvoll gesagte Sätze gibt, ob der Polizist schimpft „Idiot“, weil ihm einer die Vorfahrt im Niemandsland nimmt, oder die üblichen TV-Fragen, was denn hier los sei, wo er denn herkomme, aber auch solche über das Dunkel, das Licht oder die Angst vorm Menschsein und weitere theoretische Sätze, die jedoch dem Film alle keine intellektuelle Substanz verschaffen können noch die Handlung vorwärts treiben oder spannend machen.

Beispiele von Sätzen: Ich muss weiter. So ein Zufall. Es gibt keinen Zufall. Zeig mal, was? Was ist denn das für eine Narbe? Hat jemand ein Handy dabei? Kann mal bittschön jemand das Licht anmachen? Schwimmt da einer? Scheiße, wo steckt dieser Wixer. Kann ich Euch ein Stück begleiten? Wieviele Kilometer schaffst Du? Wo kommst du denn eigentlich her. Mir fehlt mein Herz, ich hab kein Herz.

Dass Julian aus der Klinik ausgebrochen ist, gibt dem Storytelling Anlass für eine kleine Kriminalgeschichte; Julian wird von einem Bullen verfolgt, auch nicht ganz realistisch, eher klamottig. Genres zu mixen steht einem jeden frei. Wenn denn was Genießbares rauskommt.

Beispiele von Stationen auf diesem Stationenweg. Unfall mit einem Pferd, das davon läuft. Oder: Julian kommt an einem Hof vorbei, pflückt eine Pflaume, der Bauer erscheint und fragt ihn bedeutungsvoll, ob ihm die Pflaume gehöre. Oder der Bauer mit den zwei Hunden, der eine heißt Ossi, der andre Wessi, wobei Ossi der größere von beiden ist.

Der Film fängt an mit einer Voice-over, die sich mit der Entwicklung des Menschen als Konkretisierung der Energie als Geist befasst. Das geht von der Glühbirne über das Nichts zur Energie zum Universum und dann zum Geist, DER GEIST KANN ALLES, Pennälerwissen, aber ob es ausreicht einen gscheiten Film zu machen? Will der Filmer ein Gefühl der Alleskönnerschaft transportieren? Der Film erteilt sich selbst damit höhere geistige Weihen, die er im weiteren Verlauf nicht einlösen kann. Nick Barker Monteys heißt der ambitionierte Filmer, der uns mit diesem thematischen Chaos auf der Leinwand allein lässt aber immerhin glaubhaft andeutet, dass sein Wunsch wäre, die Leinwand mit geistigem Input attraktiv zu machen.

Country Strong

Eine überaus erfolgreiche und populäre Country-Sängerin muss nach einem Unfall bei einem Konzert in Dallas in den Entzug. Mit hohem Alkoholpegel ist sie über ein Kabel gestolpert, drei Meter in die Tiefe gestürzt und hatte dabei ihr Kind verloren. Der Ruf war erst mal ruiniert. Der Film will von der zweiten Chance erzählen, die jeder haben soll.

Das Sujet kommt einem bekannt vor: Jeff Bridges hat uns in Crazy Heart die Kämpfe und Qualen des Wiedereinstieges ins Geschäft nach einer verkorksten Laufbahn eindrücklich nachempfinden lassen; man hat Jeff Bridges den kaputten Musiker voll und ganz abgenommen.

Dagegen hat es Gwyneth Paltrow, die hier die Sängerin Kelly Canter spielt, aus mehreren Gründen schwer.

Sie hat es vom Buch her schwer, welches nach Lage der Dinge als Hauptthese ein Votum für das Recht auf Selbstmord abgibt. I have got the right to disappear, so steht es im Abschiedsbrief der Sängerin, nachdem sie nach ihrem erfolgreichen Come-Back in Dallas, wo der Unfall passiert war, erfolgreich eine Todesdosis an Pillen zu sich genommen hatte.

Das Postulat des Rechts auf Selbstmord als Quintessenz aus einem Country-Film, das geht nicht so recht zusammen. Country-Musik haben wir doch bislang eher als, wenn auch gelegentlich etwas naiv-gefühlsduslig, so doch als lebensbejahend betrachtet. Gut, das könnte man ins Lot bringen, mit dem schulterzuckenden Argument, wussten wirs doch, dass die Amerikaner verrückt sind, dass die alle nicht ganz dicht sind; wenn man sich allein die Hysterie bei Kellys letztem Konzert in Dallas anschaut – was bei aller schauspielerischen Erstklassigkeit und Faszination von Gwyneth Paltrow doch in krassem Gegensatz zur Provinzialität ihrer Gesangsstimme steht – eine solche Stimme kann nie und nimmer eine solche Hysterie auslösen; warum tut sie sich dann eine solche Rolle an? Dieser zweite Grund für das Schwertun wäre also ein Rollenzusageproblem.

Mit Buch und Besetzung sind die Hauptgründe für meine Schwierigkeiten mit diesem Film abgedeckt. Sie können jedoch weiter verfeinert werden. Eine weitere These, die das Buch richtiggehend breit tritt ist die, dass Glück einzig im Erfolg auf der Bühne besteht. Amerikanische Glamour-Ideologie. Das ist zwar eine Behauptung, die noch von vielen halbseidenen Geschäftemachern in bare Münze umgewandelt wird, sei es mit den entsprechenden Blättern oder Veranstaltungen, mit dem Hypen solcher Glücksfälle. Blättchen von einem Niveau für Leser, die wohl gerade mit Mühe das Alphabet erlernt haben. In einem weiteren cineastisch-gesellschaftlichen Kontext dürfte die These allerdings auf ziemlich unfruchtbaren Boden stoßen. So wundere ich mich, dass die intelligente Gwyneth-Paltrow, ausserdem als Typ viel zu intelligent für eine Country-Sängerin, das im Buch nicht bemerkt haben will. Diese feinzügige, natürliche Frau passt nicht in das Bild jenes Typen von Menschen, der von den erwähnten Gschaftlhubern im Glamour-Business verbraten wird.

Der Film scheint mir gerade auch vom Gesichtspunkt dieser Glamour-Ideologie in einem sehr einsamen und menschlich unerfahrenen Gemüt entstanden zu sein. Warum Frau Paltrow ihn zugesagt hat, bleibt mir rätselhaft.

Ihr Come-Back schafft sie übrigens mit Hilfe eines jungen Country-Sängers, der Beau heisst. Gerade in der Begegnung dieser beiden wird die Einfältigkeit des Buches besonders deutlich. Wobei mir ein zusätzliches narratives Problem scheint, dass die Geschichte nicht mit der Hauptfigur, sondern mit dem jungen Beau anfängt. So legt man falsche Fährten, die später das Publikum enttäuschen. Der Film setzt den Zuschauer als erstes in ein Tingelkonzert des jungen Country-Musikers, der in einer Scheune zum Tanz aufspielt. Dann fährt er einen langen Weg durch die Nacht. Kehrt in eine Entzugsklinik zurück und ist nach einem Wortgeplänkel am Einlass plötzlich im Zimmer der Patientin Kelly Carter, der er auf der Gitarre was vorspielt, was sie, oh Wunder, gleich nachspielen kann. Der Zuschauer würde dieser Patientin ungefähr alles geben, aber garantiert nicht den Ex-Country-Star. Dem Ehemann der Patientin gegenüber gibt Beau sich als Betreuer aus. Verhäufelter kann ein Einstieg in eine Geschichte nicht anfangen. Jetzt sind also Kelly und Beau zusammen, welche Namen!, hört sich an wie ein neues Kinotraumpaar. Wer sich diesen Einstieg in den Film unvoreingenommen anschaut, der würde Gwyneth Paltrow ungefähr alle Rollen zutrauen, Professorin, Buchhändlerin, Intellektuelle sogar Handarbeitslehrerin – aber garantiert nicht Country-Sängerin und noch eine, die die Massen mobilisieren kann. Der unvoreingenommene Zuschauer kann es nicht fassen, dass um diese Person später solcher Presseauftrieb herrschen wird.

Der Film versucht sich einen glamour-kritischen Anstrich zu geben, in dem er den schönen Begriff Honkey-Tonkey-Kneipen verwendet, in welchen Beau auftrete und seine Lehre aus der vorliegenden Kleinmädchen-Glamour-Ideologiegeschichte nach dem üblen Ende der Tournee ist, dass er genau in solchen Kneipen in Kalifornien sein bescheidenes Glück findet, wogegen im Schlusskonzert von Kelly in Dallas der Glamour auf ätzende Höhen getrieben wird, wobei die Filmemacherin aber auf jeglichen Hinweis, ob das nun kritisch oder anbeterisch gemeint sei, verzichtet.

Es gibt noch eine weitere Kitsch-Füll-Story, die schier platzt vor Klischees. Die Nachwuchssängerin Chiles, die bei ihrem ersten Auftritt versagt. Beau wird dann zum heldischen, mutmachenden Retter, unterstützt sie, gibt ihr Selbstvertrauen, nimmt sie mit auf Tournee.

Die Naivität der Autorin dieses Filmchens kann sicher auch belegt werden mit den Versuchen ernsthafter Gespräche, die so gar nicht gelingen wollen. Zwischen Kelly und ihrem Ehemann, der auch ihr Manager ist, über ihr Leben und wie es früher war, das kommt so gewollt und obeflächlich daher, so sichtlich bemüht um nicht vorhandene Tiefe, um die Leere im Film zu übertünchen. Oder zwischen Kelly und der jungen Chiles, die ihr ernsthaft in aller Ausführlichkeit Ratschläge für die Karriere gibt, war das jetzt Scherz, Parodie oder wirklich Einfalt der Autorin? Der Mangel an Konfliktbewusstsein dürfte eher für Letzteres sprechen. Nicht anders sieht es bei den Gesprächsversuchen zwischen Kelly und Beau aus. Für die Einfalt und den Glauben an den Glamour sprechen auch die ganzen Applausorgien, die gefilmt werden. Einmal darf der Ehemann von Kelly ernsthaft hirnen, er wisse nicht, warum seine Frau so zerbrechlich geworden sei (wie Kelly einen Auftritt auf der Bühne abbricht).

Kleine pubertäre Ausbüchsfantasie zwischendrin, Kelly und der deutlich jüngere Beau hauen ab, springen auf einen Güterzug auf, händchenhaltend im offenen Güterwagen stehend (das ist ein schönes Bild!), freuen sich über die Freiheit, was man so gemeinsam Pferde stehlen nennen würde, Poesiealbumfilm. Sie hat aber Schmutz im Gesicht und muss dann bei Beau duschen und dann können sie sich küssen, Kleinmädchenfantasie, und Kelly kann treuherzig moralinen „I think I am Kelly Carter and I am breaking the law“. Und auch Beau darf später moralinen: „I think we should stop this, you are married”. Der Film als moralische Anstalt.

Dann gibt es Szenen, die erinnern eher an Vorgänge im Schullandheim. Zimmerbesuche im Hotel. Beau ist bei der jungen Chilly. Badeanzugswettbewerb. Der Tourneechef kommt, der Ehemann von Kelly. Beau muss Leine ziehen.

Während der verdunkelte Tourneebus über Land fährt erklingt der Song von der Zweiten Chance.

Beau hat immerhin eine gute Mikrostimme.