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Dreiviertelmond

Ein Film von sympathischer Machart. Sympathisch auch, dass der Dialekt, der Film spielt in Nürnberg, eingesetzt wird. Und falls der Film über Süddeutschland hinaus eine Bedeutung gewinnen sollte, spielte es auch keine große Rolle, dass das mit dem Fränkischen so eine Sache ist, denn Elmar Wepper, der eine der beiden Protagonisten, fällt doch ständig ins Bayerische. Aber das würde dann vor allem in Süddeutschland denen auffallen, die die Dialektunterschiede kennen.

Leider ist der Film eher nicht dazu angetan, überhaupt eine Bedeutung im Kino zu erlangen. Das Problem liegt nicht an den Schauspielern, nicht an der Regiearbeit von Christian Zübert, es liegt nicht daran, dass der Film in Nürnberg spielt noch daran, dass es sich um eine deutsch-türkische Geschichte handelt. Das Problem liegt einmal mehr und hier besonders krass ersichtlich, an der Konstruktion der Geschichte. Es entsteht kein Spannungsgefälle, wenn ein Mann im Alter von Elmar Wepper, der Taxifahrer ist, eine hübsche Tochter (Marie Leuenberger) hat, die ein Schuh-Café eröffnen will, den noch dazu seine Frau vor nicht allzu langer Zeit verlassen hat, mit einem türkischen Mädchen, das kein Deutsch spricht, konfrontiert wird.

Die Konstruktion der Geschichte also, man verhaspelt sich förmlich, wenn man die nachzeichnen will, denn es ist eine richtig verworrene Fehlkonstruktion, also, die Geschichte ist theoretisch die, dass Elmar Wapper, der zum Zeitpunkt des Filmes ein grantiger alleiniger Mensch sein soll, auf ein 5-jähriges Türkenmädchen stößt und sich aus filmunerforschlichen Gründen um dieses kümmert und sie bringt den Grantler dazu, sein Leben wieder offener zu sehen. Bei ihm zeigt sich das darin, dass er am Schluss des Filmes eine Reise in die Türkei unternimmt. (Sein Japantripp im Film einer bekannten Drehbuch-Professorin lässt wohl inspirierend grüßen).

Kein Zweifel: das Sujet „alter Mann aus Franken und 5-jähriges zahnlückiges Mädchen aus der Türkei“ gibt Anlass für jede Menge anrührender Bildvariationen. Diese Bilder kommen auch sypmathisch rüber.

Aber wo liegt der Hund begraben.
Erstens kann die Dramaturgie, falls es eine solche überhaupt gegeben hat, sich nicht für einen Erzählstandpunkt entscheiden. Die Geschichte wird in der Türkei mit dem kleinen Mädchen eingeführt. Wie es einen Türgriff fest in der einen Hand hält. Denn es soll mit seiner Mutter nach Deutschland fliegen. Der Zuschauer erfährt dabei, dass das Mädchen einen Tick habe und wenn es etwas durchsetzen wolle, einen von niemandem zu lösenden Klammergriff entwickle. Das wird bei der Zollkontrolle manifest, der Zöllner kapiert, er muss ein guter Mensch sein, und lässt das Mädchen samt umklammerter Türfalle passieren. Dass es diese Türfalle in der Hand hält, erklärt die Mutter so, dass das Mädchen sich daran festgehalten habe, um nicht weg zu müssen. Die Falle abzuschrauben sei also die einzige Möglichkeit gewesen, die geplante Reise anzutreten.

Dieses Mädchen wäre somit eine Menschenfigur, um mehr als einen Spielfilm zu füllen. Man denke an Oskar Mazerath aus der Blechtrommel. Aber hier wird dieser Tick noch ein paar Mal als Gag weitergeführt und verschwindet dann unerledigt und auch dramaturgisch ungenutzt einfach aus dem Film. Das kann einen Zuschauer nicht befriedigen. Der Tick wird zu verschenkten Möglichkeit eines heftigen Grundkonfliktes.

Sowieso wird der Erzählstandpunkt bald schon und wie es scheint zufällig gewechselt, nämlich nach der Ankunft in Nürberg. Da besteigen Mutter und Tochter die Taxe von Elmar Wepper. Er bemüht sich eifrig, einen richtigen Grantler zu spielen, aber das kommt sehr aufgesetzt daher, weil auch die Szenen nicht entsprechend zwingend geschrieben sind. Man erfährt dann wie er lebt. In einem einfachen Häuschen in einer einfachen Straße, wo die Nachbarn sich kennen. Und dass er eine hübsche erwachsene und selbstbewusste Tochter hat, dass aber seine Frau ihn vor nicht allzu langer Zeit verlassen hat. Das spricht nicht für eine menschlich extrem isoliert und entsprechend verhärtete Situation, spricht nicht für den Grantler, den er spielen soll. Den aber bräuchte es, wenn ein kleines Mädchen sein Herz wieder erweichen sollte. Man denke an die Geschichte vom kleinen Lord, der den alten Lord, der selbst schon wie ein Gemäuer erschien, in geduldiger Weise wieder zum Menschlichen brachte und rührte.

Kommt hinzu, dass auch das gesellschaftliche Gefälle zwischen Wepper und der Türkenfamilie kein besonderes ist. Die Mutter des Mädchens arbeitet bei der Kreuzschifffahrt und ist öfter länger unterwegs. Taxifahrer und Kreuzschiffstewardess (vermutlich) sind doch sehr ähnliche Dienstleistungskategorien. Das Mädchen muss nun bei der Oma bleiben. Der Bezug zu Wepper ist erst mal abgebrochen. Also bis jetzt kein sich fortknüpfender Handlungsfaden. So wird wieder auf das Mädchen geschwenkt. Spannung bis jetzt: null. Das Mädchen ist mit der Oma allein. Die will ihr das Beten beibringen. Das Mädchen, jetzt mit Kopftuch, soll ihr einfach alles nachmachen. Plötzlich fällt Oma tot um. Das Mädchen macht auch das nach, eine an sich anrührende Szene.

Dann die Sanität. Die Oma im Spital. Vor dem Spital ist die Taxe von Wepper. Ein nicht näher nachvollziehbarer Zufall, den die Dramaturgie bemüht, weil sie ja Wepper und das Mädchen zusammenbringen will und die erste Begegnung das nicht geschafft hat, also ein zweiter dramaturgischer Ansatz, die Geschichte in die Gänge zu bringen, dabei hätte vielleicht der Tick des Mädchens damals bereits spannend für eine Verkettung der beiden Schicksale sorgen können. Aber dem stand das postulierte Grantlertum von Wepper entgegen.

So werden die beiden ausersehenen Protagonisten nach einiger Laufzeit des Filmes quasi mit dem Zufallsjoker ein zweites Mal zusammengeführt. Es ist auch nicht zu verstehen, warum Wepper, wie er entdeckt, dass das Mädchen allein ist, nicht sofort die Behörden informiert, das wäre doch die Konsequenz des Grantlers: nichts mit Menschen zu tun zu haben – dann hätte er allerdings auch seine sympathische Tochter längst aus seinem Häuschen rausgeekelt. Aber Wepper, dem auf geheimnisvolle Weise das Grantlertum über Nacht abhanden gekommen scheint, weil es nämlich gar nie da war, aber zum Verkaufe des Drehbuches wegen dem Rührungsfaktor behauptet werden musste, geht stattdessen zu einem Türkenimbiss und zieht Erkundigungen ein. Es ist alles nicht zwingend, hier werden jetzt verschiedene mögliche Szenen, von denen sicher auch der Regisseur und die Redakteure alle gerührt waren, weil sie “an sich“ rührend sind, durchgespielt. Ohne eine Handlung voranzutreiben, eine Spannung aufzubauen.

Vielleicht war Zübert inspiriert von dem Wepper-Dörrie-Film, der in Japan endete: dort war immerhin ein großes kulturelles Gefälle, was einen gewissen, populär leicht zu vermarktenden Reiz ausgemacht hat. Hier ist das Gefälle so gut wie keines. Ermüdet sich darin, dass Wepper, der bayerisch, resp. in kleinen Ansätzen fränkisch spricht, sich mit dem Mädchen unterhält, aber es spricht nur türkisch und nennt Wepper anfangs freudvoll „Nazi“. Es folgen Szenen mit Treffen Weppers mit seiner abgängigen Ehefrau, eine mutwillige Karambolage mit dem Auto des Neuen seiner Alten, Kontakt zum leiblichen Vater der kleinen Türkin, der aber von seinem Kind und dessen Mutter nichts wissen will. Es plätschert sich die Geschichte so mal hier mal dahin.

Zu abshebar sind die Szenen erfunden, um den intendierten Zusammenprall der Kulturen und das Sujet „kleines herziges Mädchen und alter erstarrter Mann“ wieder und wieder zu ventilieren. Leider ist Wepper nicht als dieser eingeführt worden. Es braucht also nicht viel, um ihn aufzuweichen, kein spannender Vorgang. Seine Ex-Frau arbeitet in der Parfümerie Seifenzahn.

Zübert nutzt die Freiheit und Größe des Kinos nicht für seine an sich anrührende Idee. Aber er folgt ihr nicht konsequent. Er schildert nur in immer wieder neuen Versuchen seine Anrührung von seiner anrührenden Idee. Bei seinem Film „Lammbock“ war noch eine Frische, eine Keckheit, eine Sorglosigkeit, eine leichte Frechheit. Jetzt scheint er gebravt, will keinem seiner Förderer weh tun. Die wiederum waren sicher alle schier aus dem Häuschen, „der Wepper und ein kleines türkisches Mädchen“, das muss mindestens so funktionieren wie der Wepper und Japan. Und, mei wie nett, wenn der Wepper das kleine Türkenmädchen in bayerischen Fluchen unterrichtet – Sowas muss mit staatlichem Geld gefördert werden!

Dem Himmel ganz nah

So extensiv wie Dumitru Stanciu, seine Frau Maria und deren Sohn Radu die unbewaldete Bergkuppe im Retezat-Gebirge im rumänischen Transsilvanien bewirtschaften, so extensiv und meditativ und in stimmungsvollem Schwarz-Weiß berichtet der Dokumentarist Titus Faschina über diese Familie, eine der letzten Berghirten Europas.

Er stellt dem Bericht über die Jahreszeiten eine Hirtenmär voran: vor 500 oder tausend Jahren kam ein Drache in dieser Gegend vorbei. Er fraß die Herde und den Hirten, so dass ihm übel wurde und er die toten Tiere und den toten Hirten wieder rauswürgte, so überfressen war er. Seit dieser Zeit heißen die zwei Berge „Schlucker“ und „Würger“.

Dann folgen ruhige Bilder aus den verschiedenen Jahreszeiten.

Es fängt mit dem Sommer an. Schafe werden gemolken. Die Milch wird zu Käse verarbeitet. Die Wiesen werden gemäht. Die Sense wird geschliffen. Der Hirte macht ein Nickerchen. Der Hirte, also der Vater der Familie, Dumitru, erzählt aus seiner Kindheit. Dass damals noch das Wasser herangetragen werden musste, die Steine aus den Wiesen geräumt, dass sie Holz fürs Feuer schleppen mussten, dass sie als Kinder wenig Zeit zum Spielen gehabt hätten; dass jetzt die Wohnlage hier oben immer einsamer werde; dass ein Nachbar nach dem anderen den Hof aufgebe; dass es ohne Nachbarn schwerer wird, auch gegen die wilden Tiere, die Wölfe. Er weist auf die große Fläche seiner Bergwirtschaft hin. Er sieht wenig Hoffnung für die Zukunft. Am Ende der Sommersequenz wird der Käse mit einem Pferdefuhrwerk ins Tal gefahren. Da kommt dann auch etwas Musik dazu.

Im Herbst begibt sich die Kamera zuerst hinunter ins Tal zu den Menschen um das Kirchlein. Kirchengesang. Die Popen. Kirche. Dann wieder auf die Alp. Der Hirte spielt Flöte an einem Lagerfeuer. Er legt sich in seinem Schafspelzmantel in einer kleinen Holzhütte zum Schlafen. Mond. Sonnenaufgang. Erhabene Stimmungen.
Wieder im Tal. Ein kleiner Pavillon vor der Holzkirche, mit dem Kirchenglöcklein und mit einem freischwingenden Holzbrett, das mit kleinen Holzhämmern bearbeitet wird und einen sehr rhythmischen Klang, ähnlich wie dem von Trommeln ergibt.
Ein Kirchenessen.
Auf der Alp. Der Hirte trägt ein Schaf auf den Schultern zu einem Baum. Er hängt es an den Hinterbeinen auf. Stellt einen Eimer darunter. Er schneidet ihm den Hals auf. Lässt es ausbluten. Geht mit dem Eimer davon. Eine fast zärtliche Sequenz mit inniger Beziehung und ebensolchem Respekt vor dem Opfer.

Im Winter muss Feuerholz zerkleinert werden. Die Frau trägt Heu für die Schafe auf die verschneite Wiese. Die Frau und Mutter erzählt. Sie weiß nicht, was sie sonst machen soll. Sie ist 52 Jahre. Hatte nicht viel Schulunterricht. Sie melkt die Kühe und die Schafe. Sie macht den Käse. Sie sieht keine Möglichkeit für eine Änderung. Hier droben darf keiner krank werden. Sie wird es zum Glück selten. Denn es ist schwer ins Tal zu kommen, wenn zum Beispiel einer ein Bein brechen würde. Und dann muss, wer oben bleibt, allein die Tiere versorgen.

Es folgt eine Szene mit dem Nachtgebet der Familie. Dann kriechen die Eltern in ein Bett, der Junge in ein anderes. Alle in den Kleidern. Die Kerze wird ausgeblasen.
Im Dorf ist ein Fest. Es wird ausgelassen getanzt. Die Musik spielt auf. Es gibt Leute mit Masken und Spiel mit einem Feuer.
Auf der Alp brennt der Hirt mit einem Lötkolben die Haare von einem getöteten Schwein weg.
Ein Schaf wurde neugeboren. Dem Mutterschaf muss das Fell um das Euter weggerissen werden, damit das Junge saugen kann.
Das tote Schwein wird ausgenommen.
Und wieder ist ein Fest mit Volkstanz in traditionellen Kostümen und mit der entsprechenden Musik im Dorf unten.
Dazwischen elegische Stimmungsbilder, oft mit Gegenlicht, was in schwarz-weiß einen besonderen, friedvollen Reiz entwickelt.
Das Pferd muss zum Hufschmied gebracht werden. Es hält ruhig.

Im Frühling erzählt der Junge ein Erlebnis aus seiner Kindheit. Als er sieben Jahre alt war, ist eine Scheune abgebrannt. Er hatte bis dahin noch nie ein solches Feuer gesehen. Er studiert in der Stadt Veterinärmechaniker. Will aber nachher wieder auf den Berg als Hirte. Denn die Stadt sagt ihm nicht besonders viel. Ihm gefällt die Freiheit oben auf dem Berg.
Er erzählt seinen normalen Tagesablauf.
Dann begleitet die Kamera ihn bis ins Tal hinunter, ein langer Weg, bis er den Bus von „Transmixt“ zur Schule erreicht.
Auf dem Berg oben schert der Schäfer den Schafen ihre Winterwolle weg.

Das ist ein außerordentlich meditativer Film. Für Menschen, die 90 Minuten lang nichts von Handies, Navis, TVs, EFSF, Internet, Bankencrash, Mobbing am Arbeitsplatz, Straßenbahnen, U-Bahnen, Autobahnen, Startbahnen und Flugschneisen, Vernetzung, Staatsschulden oder Arbeitslosenzahlen hören möchten. 90 Minuten Erholung von unserer modernen, durchgeknallten Zeit.

Atemlos – Gefährliche Wahrheit

Was ist ein amerikanischer Teenie-Star? Unser Film hat auf dieser Frage ganz fix eine Antwort bereit: er heißt Taylor Lautner und wir nennen ihn in diesem Film Nathan Harper. Er sieht verdammt gut aus. Das heißt, er ist sehr muskulös, man sieht das Training, die Hantelübungen etc., seine Augen erzählen, dass er treu sei, mutig aber nicht bösartig, er kann seine Blicke unter leicht gerunzelter Stirn grade so über die Horizontlinie erheben, dass das einen skeptisch-angehauchten Ausdruck ergibt, leicht zweifelnd aber auch abwägend, er hat im Gesicht vielleicht noch das allerletzte Bisschen Baby-Speck, so dass er nicht richtig hart aussieht, aber erste Ansätze von Schnauzhärchen sprießen, er hat einen männlich gebräunten Teint, ob Strand oder Sonnenstudio spielt keine Rolle, er trägt die Frisur in Erinnerung an die Tollen der Rock’n’Roll-Zeit, er hat blendend weiße Zähne, die sicher auch verblendet sind und die man gut sieht, wenn er lacht oder wenn er den Mund leicht offen hält, er hat sinnliche Lippen und eine Nase in einer guten Mischung aus Stups- und Boxernase, also süß und entschlossen zugleich, kurz, ein Gesicht, wie modelliert nach dem propagierten Geschmack unserer Zeit; Nathan wohnt noch bei seinen Eltern in vornehmem Milieu, hat ein Motorrad, das College noch nicht abgeschlossen und vom sexuellen Standpunkt ist er bestimmt noch eine Jungfrau; vor allem aber: er ist ein Held!

Was ist ein Held?
Auch diese Frage beantwortet unser Film in klassisch beherrschter Erzählweise eindeutig und nachvollziehbar. Einmal ist der Held ein ganz gewöhnlicher Junge, der noch aufs College geht, der Sport treibt und Feten liebt, weniger die Schule; dem die Eltern, wenn er sich nicht an ihre Gebote hält, auch mal den Ausgang sperren. Andererseit fühlt sich aber jeder Junge in diesem Alter als ein Held, als ein ganz Besonderer mit einem ganz besondern Schicksal und einer schicksalshaften Berufung (er macht ja auch umwälzende Entwickungen durch, der junge Mann, dessen ersterlente Identität als Kind allein durch die physische Entwicklung schon grundsätzlich in Frage gestellt wird) und der Filmheld in diesem Alter darf das seinen Altersgenossen und in diesem Falle wohl vor allem den Altersgenossinnen auf der Leinwand vorspiegeln. Nathan kann schlecht schlafen, weil er in einem Loop von Alpträumen steckt, in denen immer wieder die gleiche Frau vorkommt und die gleiche Angstsituation. Er hat also ein schweres Defizit. Dieses will kompensiert oder gegen dieses will angekämpft werden. Er ist übrigens auch bei einer Psychiatrin im Behandlung. Er muss also, um erwachsen zu werden und mit dem Defizit klar zu kommen, durch den mythischen Wald gehen, er muss extreme Situationen durchleben und sie bestehen (sein vermeintlicher Vater hat ihn vorbereitender Weise immer wieder zum Kämpfen aufgefordert, weshalb, das wird ihm später erst klar). Dann erst kann er geläutert und reif für die Liebe aus der Geschichte hervorgehen. Klassisch, nicht?

In unserem Fall gerät Nathan durch eine Schularbeit in die mythische Gemengelage, eine Schularbeit, in deren Rahmen er die Schicksale vermisster Kinder recherchieren soll, die führt ihn seinem eigenen Schicksal auf die Spur. Er entdeckt, dass seine vorgeblichen Eltern gar nicht seine leiblichen Eltern sind; denn sein Vater übt einen brandgefährlichen Beruf im Geheimdienstwesen aus, weltweit und oft jenseits von Völkerrecht und Legalität (wie das von den US-Geheimdiensten immer wieder zu hören ist), jedenfalls ist dieser Vater eine harte Nuss und topgefährdert und die Seinen damit auch; deshalb wurde der Sohn vorsorglich an Pflegeltern übergeben, damit er unbehelligt aufwachsen kann. Das gibt dem pubertären Identitätsproblem einen zusätzlichen Kick.

Der Vater hatte mit der Website mit den vermissten Kindern allerdings einen Köder ausgelegt, um seinen Sohn wieder zu finden. Die Pflegeltern haben es nicht übers Herz gebracht, ihm die Wahrheit zu sagen. Jedenfalls gelangt Nathan ins Fadenkreuz geheimster und filmreif mit allen Mitteln ausgestatteter Dienste, die ihn selbstverständlich schnell orten, und sich sofort an seine Fersen hängen. Sie können überall und schnell schlagkräftige Einheiten mobilisieren. Und so schnell mal die Pflegeeltern von Nathan umbringen und diesen damit auf eine abenteuerliche Flucht mit seiner Freundin noch dazu schicken, verfolgt von den konkurrierenden Agententeams. Die Flucht ist abwechslungsreich gestaltet. Action wechselt ab mit romantischen Waldstücken, in die das Paar ganz ohne Hast eintauchen kann. Aber auch im Zug von Amtrak im Schlafabteil ergibt sich, bevor die Action wieder richtig zuschlägt, die Möglichkeit eines ersten, hauchzarten Kusses.

Unser Held wäre kein Held, wenn er bei all der Gefahr seine und seiner Freundin Haut nicht retten könnte.

Was dieser Film leistet, das dürfte sicher sein, ein Heldenbild zu emtwerfen, was die Träume vieler Teens anspricht; ein Idol gar (da zweifle ich allerdings daran, ob Taylor Lautner Idol-Qualitäten hat, zu sehr scheint mir da der Idolkonditor die Hände im Spiel zu haben) in Gestalt eines süßen schnuckeligen Teens, der in einer verwegenen Umgebung gezeigt wird; die braucht er für seine Identität, die ihn reif macht für die Mädchen. Dazu hat unser Idolkonditor alle filmischen Mittel und Raffinessen (gerade auch die des lichtmäßigen Herausstellens von Nathan) gekonnt eingesetzt. Ganz nebenbei wird übrigens deutlich gemacht, wie die liebe Netzwerk-Facebookwelt sich ganz schnell in eine Netzwerk-Überwachungswelt verwandeln kann.

Ein durchschaubar fürs Zielpublikum (es dürften vor allem Girlies im Schwärmalter sein) sicher tauglich präpariertes Stück Film, kalt gekocht und zum heißen Verzehr bestimmt.

Melancholia

Das Ende des Filmes kommt als Ende der Welt mit soviel Wagner und fibrierenden Bässen und mit einem großen Planeten Melancholia, der durch den Blackout gerade noch davor bewahrt werden kann, in den Kinosaal zu stürzen, so dass der spontane Eindruck der ist, es überlebt zu haben, ein Überlebender zu sein. Vielleicht ist der Eindruck so stark, weil die drei Figuren, die sich nicht mehr retten konnten, einem über zwei Stunden lang Situationen der Angst, Angst vor dem Tod, der Einsamkeit, des Misstrauens und der Kälte unter den Menschen aber auch der Liebe vordemonstriert haben. Diese drei Hauptpersonen sitzen kurz vor dem Ende unter einem Steckengerüst, worüber man das Tuch für ein Indianer-Zelt hätte legen können. Sie sitzen im Schneidersitz im Kreis und geben sich die Hände. Für die meisten Menschen dürfte der Tod und damit das individuelle Ende der Welt prosaischer kommen. Diese drei Personen sind die beiden Schwestern Justine und Claire, jeder von ihnen ist ein Teil des Filmes gewidmet und der dritte im Bunde ist der Bub von Claire, Leo. Claire, das wird im zweiten so überschriebenen Teil geschildert, bewohnt mit Leo und ihrem Mann John ein Schloss mit fein gepflegtem Park und eigenem Golfplatz, sie führen ein Luxusleben außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Klasse.

Mit einem Blick von der Schlosshöhe herab auf den Park fängt der Film an: eine astronomische Uhr steht auf einem Steinsockel. Dahinter dehnt sich die Grünfläche. Ganz weit hinten kämpft eine kaum sichtbare Figur, die noch jemanden zu tragen scheint. Die Anfangssequenz zeigt Trier in endloser Zeitlupe, manchmal ist kaum auszumachen, ob die Figuren sich noch bewegen oder schon nicht mehr, der Moment vor dem Stillstand. Es werden in diesem Auftakt schon verschiedene Szenen aus dem Film vorweggenommen, ein stürzender Rappe, die Frau mit dem Kind auf dem Arm, die Braut, die in einer angstraumhaften Verwicklung nicht mehr weiter kommt, die ganze Gesellschaft auf dem Grün der Wiese, die Frau mit dem Kind auf dem Arm, die im Rasen wie in Treibsand einzusinken droht und tiefe Spuren hinterlässt. Bilder für Urängste.

Dazwischen zwei Planeten, die sich aufeinander zu bewegen. Es ist ein Film, der mir gar nicht so richtig zu denken gibt. Eher versuche ich, die Bilder aus der europäischen Malereigeschichte von Breughel und Bosch und anderen kontextual einzusortieren und zu interpretieren. Dazu müsste ich den Film aber nochmal anschauen. Diese Bilder werden so ausgestellt, dass sie Signifikanz in Anspruch nehmen. Die hält uns Lars von Trier hin wie Schilder. Das Brueghelbild, es könnte „Januar“ sein, kommt schon im Anspann vor und auch es scheint in einer Zerfließbewegung von Langsamkeit sich aufzulösen.
Es sind Bilder von Kälte, Angst, die Themen des Filmes.

Die erste Szene im ersten Teil, der mit „Justine“ überschrieben ist, ist die um die zwei Stunden verspätete Ankunft des Hochzeitspaares. Justine mit ihrem Bräutigam in einer weißen Stretchlimousine vor dem Schloss, in dem ihre Schwester wohnt. Eine kleine Komödienszene, prima gemacht, es geht um das Einrangieren des langen Ungetüms. Der Fahrer kapituliert. Der Bräutigam versuchts – auch vergeblich. Schließlich die Braut. Sie fährt das Teil prompt in einen Poller. Das passiert mit groß gespielter Leichtigkeit und großem Vergnügen, sehr theatral, sehr physisch.

Elemente um das Hochzeitsbankett herum: Antares, den man am Himmel sieht, ein Fernrohr, um den Himmel zu beobachten, auch das Thema des Planeten Melancholia wird schon angeschnitten, das schwarze Pferd Abraham, das die Braut alleine reitet, der Schwager, der zwischen den Lippen zischelt, er würde es auch reiten. Es gibt die erste Begegnung mit Leo, für den Justine die Tante Stahlbrecher ist. Der Vater von Justine ist ein Silberlöffeleinstecker, er beschwert sich beim erstaunlich wenigen Bedienungspersonal, warum die Damen neben ihm keine Löffel hätten, und man sieht wie er sie alle einsteckt in sein Reverstäschchen, die fallen dann raus, wie er später aufsteht.

Die Gesellschaft begrüßt mit Applaus die Verspäteten. Die Mutter, Charlotte Rampling, die ist vor allem säuerlich und hält mit ihrer Meinung, dass sie von Hochzeiten und dergleichen nichts hält, nicht hinterm Berg. Es gibt auch Begegnungen zwischen der Braut und ihrem Chef, der sie gleich mit der Brautrede zur Art-Directorin befördert, das wird sie später mit einem sehr merkwürdigen Vorschlag für ein Werbekonzept, das das Abzocken der Kids klar rausstellen soll, wieder in Frage stellen.

Die Braut sondert sich des Öfteren von der Gesellschaft ab. Mit Bildern einer Braut allein auf einem Golfplatz in einem Caddy unterwegs oder im Park oder allein in Schlossfluren und –zimmern liegt Trier immer auf der sicheren Seite schöner Ansichten.

Charlotte Rampling haut ihre Sätze wie auf Kommando sehr hart raus.
Die Braut will den Buben ins Bett bringen. Dann liegt sie selber zu seinen Füßen. Die Schwester kommt besorgt. Es gibt ein Gespräch zwischen beiden Schwestern über ein Geheimnis, das sie offensichtlich teilen.

Der Film ist nicht dazu geeignet, eine Spielhandlung nachzuerzählen. Im ersten Teil ist diese Hochzeitsgesellschaft, das Missgeschick mit dem Parken pflanzt sich über den ganzen Abend fort. Die Gesellschaft ist sozusagen der Rahmen, um verschiedene Figuren zusammzuenbringen, um Ängste durchblicken zu lassen, Unsicherheit, auch die Unsicherheit der Braut vor der Hochzeit. Die Hochzeitsnacht fängt zwar an, sie ziehen sich auch aus, aber die Braut möchte dann doch noch warten, zieht sich wieder an, rennt in den Park hinaus, ihr folgt ein junger Mann aus der Gesellschaft, sie legt ihn in auf dem Golfplatz in ein Rondell aus Sand und hockt sich auf ihn zwecks Befriedigung. Ich vermute, das soll ein hochmoralischer Film sein, Bilder für eine Moral-Doktrin.

Einmal, kauert sich die Braut im ausladenden Brautkleid auf den Rasen nieder zum Pinkeln. Da das von Lars von Trier sehr bewusst inszeniert worden ist und bestimmt nicht die Aufnahme einer versteckten Kamera am Set, so muss auch in diesem Wasserlassen der Braut auf dem Rasen im Braukleid ein Sinn gesucht werden. Gefunden habe ich ihn nicht.

Es scheint bei dieser Gesellschaft wenig Gemeinsamkeit zu geben. Zwar tanzen sie. Aber jeder verfolgt seinen eigenen Zweck, gehorcht seiner eigenen inneren Uhr, seinem inneren Zwang. Nicht mit der Gesellschaft synchronisiert. Später findet sich die ganze Gesellschaft wieder ein, um weiße Heißluftballons aufsteigen zu lassen, auf einem ist ein Herz für das Brautpaar gezeichnet und die Gäste haben unterschrieben; dieser Ballon hat keinen guten Start.

Zwischendrin immer wieder ein Blick durchs Fernrohr, Antares verdunkelt sich zusehends.
Das Brautpaar zieht sich zurück.
Hochzeitsnacht, warte einen Moment bitte.
Dann möchte sie mit Papa reden.
Komm Zwiebelsuppe essen.
Dort beschimpft sie den Chef, nachdem sie den erwähnten Vorschlag gemacht hat, beschimpft ihn als eine nicht zu respektierende Person. Der zerschlägt im Gegenzug Teller.
Das passiert alles sehr physisch aber ohne psychische Reaktion der Umstehenden. Ein Entfremdungs-Mittel, das den Film auf die Ebene von Kunst heben soll.

Jetzt soll endlich das Ratespiel, wieviele Kaffebohnen in einem Behältnis waren, gelöst werden. Es waren exakt 678 Bohnen, aber keiner von den Gästen hat das erraten.

Zwischenfrage: sucht Lars von Trier seinen Platz in der Ikonographie des Abendlandes in den Künsten Film und Gemälde?
Trier baut immer jede Kleinigkeit zur großen Szene auf.
Die aufgeschlagenen Bildbände. Trier knüpft also damit auch dezidiert an die abendländische Ikonographie an und baut sie filmisch weiter aus und das meisterhaft. Bringt die Malerei zum Laufen oder dichtet ihr eine Umgebung zu, einen Zusammenhang menschlicher Unzulänglichkeiten, menschlichen Unglücks. Glück gibt es in diesem Film nicht. Die Menschen werden mit theologischer Kanzel-Penetranz als schlecht gezeichnet, sonst bräuchten sie die Kirche von Lars von Trier nicht. Eine Reitszene von Justin mit ihrer Schwester, Ausreitszene, Abraham bockt. Apokalyptischer Reiter?

Dann der zweite Teil, der mit „Claire“ überschrieben ist.
Jetzt rückt der sich nähernde Planet Melancholia stärker ins Bild. Zuerst heißt es, er werde vorbeiziehen an der Erde.

Justine geht es jetzt nicht mehr gut, aus der Hochzeit ist nichts geworden, sie ist bei Claire und ihrer Familie. Es geht ihr manchmal schlecht. In einer Szene will Claire ihr zum Baden verhelfen, Justine steht nackt da, gestützt von Claire. Das sind alles Bilder, die nur Stills sind, eine Gemäldegalerie, eine theologische, man muss nach diesem Film auch gar nicht genau nach der Storyline fragen, die ist nur dazu da um wie eine aufgespannte Schnur verschiedene Zustände dieses menschlichen irdischen Unglücks als Bilder nebeneinander hängen zu können. Es ist eine kalte Welt. Es gibt jedoch auch schöne Bilder darin, paradiesische, wenn die beiden Schwestern ausreiten, wenn sie in der Natur stehen und Beeren pflücken. Trierwelten sind Bildwelten mit theologischem Hintergrund. Es geht nicht um Verantwortung des Menschen für seine Handlungen, es geht nicht darum, den Menschen durch das konsequente Fortdenken seiner Entscheidungen in die Sackgasse oder zum Ziel zu führen. Es gibt nicht viel zu denken so ein Film. Man muss nachher keine Rätsel lösen. Man kann sich damit beschäftigen, die Ikonographie einzuordnen, zuzuordnen. Denn sie fügt sich wunderbar ein in eine Reihe von Meisterwerken.

Was auch sehr detailliert gezeigt wird und ergo große Wichtigkeit hat, ist das Drahtgestell als Fernrohrersatz, vollkommen verbogen, obwohl es rund sein sollte, was an einem Stock befestigt ist, daran muss Trier sich krümelig gefreut haben, und was man sich vor die Augen hält um erkennen zu können, ob die Melancholia näher kommt oder nicht. Später wird sie dann näher kommen und das ist fast eine Zirkusnummer, wie Claire das Teil versucht zu handhaben und der Mond immer größer wird. Der Mensch und sein Umgang mit dem Sehen.

Dazwischen gibt es vom John die Bemerkung über die Fehlertoleranz bei so großen Distanzen, rein naturwissenschaftlich. Man hat nie den Eindruck, die Figuren mögen sich, sie sind halt zusammen im Bild, sie könnten auch woanders sein. Sie verbindet einzig die schlosshafte Umgebung. Wirtschaftliche Probleme kennt man hier nicht. Ein Beruf ist absolut was Nebensächliches, Justine wird wie gesagt Art Directrice .

Claire kriegt keine Luft. Das Hineinschauen in die sich nähernde Melancholie, das ist wie den Tod nahen sehen. Großer Vorgang.
Dann liegt John schon tot im Pferdestall. Claire deckt ihn mit Stroh zu, jagt Abraham aus dem Stall und sagt Leo und Justine, John sei ausreiten gegangen.
Die Naturgewalt kommt mit heftigem Regen ins Spiel, der sich zu Hagel verändert.
Film als Liturgie. Stellenweise fast eher als Bebilderung der Musik.
Lars von Trier ist vermutlich kein Seelenforscher. Er ist ein Dogmatiker, der die Seelen als kaputt und todesängstlich auf die Leinwand malt.
Mit dem Regen fängt die Flucht von Justine und Leo an. Deutliches Geschnaufe, man eilt und rennt. Um dann im Zimmer zu landen. Vorher an Loch 19 vorbei.
Jetzt wollen sie ein Glas Wein auf der Terrasse trinken, Abendmahl?
Soll man dazu Beethoven singen? Die Versatzstücke abendländischer Kultur neu gemixt, schier verjuxt, wenigstens vom Text her.
Trier ein Kulturberserker?

Es sind Bilder von Misstrauen, Urmisstrauen, auch Urvertrauen, wenn gegen Ende Claire ihren Arm schwesterlich um Justine legt. Bilder nur. Der Donner naht. Der Tod. Es geht ans langsame Aufhören.

Kino als kathartische Veranstaltung, man fühlt sich frisch nach dem Lärm und Donner und Regen und all den Schmerzensbildern, nachdem man im Gegensatz zu Claire und Justine und Leo und John überlebt hat, das Kino überlebt hat, die beherrschte Welt des Golfplatzes überlebt hat.

Es geht hier nicht um Handlungen, es geht nicht mal um Verweigerung.
Bildwerke von Trier.
An wen wenden sie sich?
Die Liebe gerade mal in ihrer institutionalisierten Form der Ehe, aber auch die funktioniert nicht. Viel Jenseitsimpetus, der Schrecken, den das Jenseits auf Erden verbreitet. Jenseitsbild-Requisiten.
Die Angst vor dem Tod, die in dem herrschaftlichsten Gemäuer herrischer zu herrschen scheint als sonstwo.
Und dann vor der Flucht und dem Regen noch mit dem Buben in so einem grünen Wald.

Geistig gibt mir der Film nicht wirklich viel her. Außer man möchte ihn beschreiben, aber als solcher würde er mich nicht sehr beschäftigen.
Und trotzdem so meisterhaft, dass man kaum was kritisieren kann. Man kann bei solcher Theolgoie gar nichts kritisieren. Die sucht ja auch keinen Dialog. Die schirmt sich sozusagen qua Dogmatik gegen jede Kritik ab. Das ist Kanzelpredigt, Triersche dogmatische Kanzelpredigt, schier nach dem lateinischen Ritus, so schön, je nachdem, wie bewandert man in der verwendeten Ikonogrpahie, den verwendeten Topoi ist.
Triers Moraltafel: schaut her: so fahren Menschen schöne weiße Stretchlimousinen in den Poller, so gehen sie mit ihren Luxusgütern um.
(Festschreiben von Moral- und Glaubensgehalten auf aussagekräftigen Bildtafeln)

Wunderkinder

Eine weitere Geschichte aus dem zweiten Weltkrieg. Eine die von jüdischen Wunderkindern handelt, eine, die mit Fernsehdialogen auskommt, die immer alles erklären („was ist denn hier los“, „was machst Du hier“), eine Besetzung mit einigen sogenannten „Namen“, ein Erklärkino mit ein paar schönen klassischen Musikeinlagen, ein Nazitum das man heute noch in jeder Geisterbahn oder in jedem Gruselfilm zur Belustigung des Publikums einsetzen könnte, ein Kino, das kaum für den Schulunterricht taugt und am Ende mit einer ernsten Widmung versehen ist, den getöteten jüdischen Kindern.

Es fängt an, wie eine Geschichte anfangen kann.
Bierbrauer Reich braut 1941 Bier in der Ukraine, in Brascha. Sein Töchterchen Hanna möchte Geigerin werden und übt und übt. Sie lernt die beiden jüdischen Wunderkinder Abrascha und Larissa kennen. Sie musizieren zusammen. Wie die Nazis in der Ukraine einmarschieren und die Juden den gelben Stern anstecken müssen, gibt es Probleme in dieser Freundschaft und auch für den Bierbrauer und vor allem Anlass für ein paar Sprüche übers Bier.

Jedenfalls müssen die Juden fliehen, landen zum Teil im KZ, aber die Kinder überleben. Die Rahmenhandlung für die Erzählung ist eine Konzertprobe in Deutschland von Hanna Jahrzehnte später, ein Mann wollte zu ihr, wurde aber nicht vorgelassen, er hatte dafür einen Brief übergeben lassen und Hanna erkennt, dass der von Abrascha sein muss, sie kann ihn noch zurückholen und ohne jeden Zwischenschnitt stehen sie in der nächsten Sekunde an jenem Steg in der Ukraine, der jetzt verfallen ist, an dem sie in der Jugend oft gesessen haben, die Füße im Wasser baumeln lassend und ein Konfekt zwischen den Zehen, das mit Glück ein Barsch angeknabbert hat.

Die kleinen Wunderkinder durften also zu einem Konzert nach Moskau fahren, sie trödeln beim Einsteigen und ihre Lehrerin Irina sagt: „So bedeutend seid Ihr nicht, dass Ihr den Zug aufhalten könnt“. Denn die Wunderkinder sind ganz gewöhnliche Kinder. Der Junge interessiert sich für Indianer und liebt sein Taschenmesser, wie jeder gewöhnliche Junge. Aber Irina ist eine aufgeweckte Pädagogin und sagt zu Abrascha, er müsse vorsichtig sein mit dem Messer, denn „ein einziger Schnitt könnte das Ende unserer Konzertreise bedeuten“.

Es ist die Rede von einer Amerikareise, da soll die ganze Familie mit und der Opa Michael Mendel darf grinsend den Satz einwerfen, das gelte hoffentlich auch für den Großvater.

Die kleine Bierbrauerstochter darf Irina und den Wunderkindern vorspielen. Die Vorzeigepädagogin Irina meint daraufhin diplomatisch: „So viel Gefühl für Musik und so wenig für Menschen“.

Das Wunderkind Abrascha ist ein idealer Wunderjunge und auf keine Weise korrupt. Der Vater hat plötzlich neue Winterjacken besorgt für die Amerikareise. Der Wunderjunge ist skeptisch, er hat noch Gewissen und fragt, wo das Geld her sei, ob vom Bierbrauer und man möchte sich ja nicht kaufen lassen. Aber bald gibt das Wunderkind den wirtschaftlichen Zwängen und damit einer gewissen Abhängigkeit vom Bierbrauer nach. Er ist eben auch nur ein ganz gewöhnlicher Junge.

Bei der Szene am Steg, wo Hanna den Keks zwischen dem Zeh hat, meint das Wunderkind bewundernd: „Hanna, Du bist die Herrin der Fische.“

Nach dieser Idylle muss ein Luftangriff her. Bomben auf das Bierbrauerreich in der Ukraine. Viele statuarische Szenen, die Figuren stehen wie Skulpturen in Halbtotalen im Raum und liefern im Stehen ihre Sätze.

„Was bedeutet das Mami?“
Selbst im Kellerasyl wird die Stautuarik fortgeschrieben.
Der Abschied im Zweiten Weltkrieg zwischen Juden und deutschen Christen wird mit folgendem Satz erläutert: „Bleiben Sie am Leben und behalten Sie uns in guter Erinnerung“.

„Darf ich Sie um ein Glas ihrer köstlichen Limo bitten“ fragt Larissa die Haushälterin von Bierbrauer Reich, ein gepflegter Satz mitten im Krieg.

Dann haben die Juden sich in eine Waldhütte zurückgezogen. Ein flüchtiger Russe auf einem Motorrad hat einen Hirsch überfahren – und das zehn Meter von der Hütte entfernt, zehn Meter von den spielenden Kindern entfernt geht ein Hirsch spazieren und wird von einem Motorrad, das nur holprig, aber umso lauter krachend vorwärtskommt, überfahren. Dann fällt der Motorradfahrer hin und rappelt sich auf und fährt weiter und die Kinder finden den sterbenden Hirsch und Larissa fragt „Abrascha, ist das der Krieg?“.

Dann kehren die Kinder in die Brauerei zurück. Dort treffen sie ihren Vater. Der hat einen Arm verloren und auf das Entsetzen der Kinder reagiert er mit dem Satz: „Das ist alles gar nicht so schlimm. Hauptsache man lebt. Ich bin eh Linkshänder“. „Vater, warum machen die das?“ fragt das Kind zurück.

Später dann im Keller, „Papa, ich hab Durst“. Dann wird Herr Reich von den Nazis auf eine kleine Reise beordert. Herr Reich hat aber den Schlüssel zum Keller, in dem die Juden eingesperrt sind. Jetzt meldet er sich nicht mehr.
Die Eingesperrten kommen zu der Einsicht: „Wir müssen was unternehmen“, denn „sonst sterben wir alle“

Da das einzige Nahrungsmittel im Keller Bier ist und sich die Gefangenen daran gütlich tun, sagt einer, man müsse aus der Not eine Tugend machen, er könne jetzt „saufen wie ich will, mein Frau kann mich nicht rauswerfen.“

Zum Glück haben wir Abrascha. Der schafft es, durch ein Kellerfenster rauszukommen. Und Alex, ein gemütlicher Bierbrauer, der verhilft den Flüchtlingen zu einem Auto. Damit können sie zur Jagdhütte fahren. Dummerweise hatten die Kinder den Zufluchtsort nach der ersten Flucht treuherzig den Nazis verraten und die erwarten die Flüchtlinge schon. Da wird’s dann echt grausam.

Dagegen muss angeflachst werden „wenn alles vorbei ist, geben Sie ein Bier aus“.

Oft stehen an Hauswänden diese Jutesäcke und Fässer, die Zeichen der Moderne wie Hinweisschilder auf Sprinkler oder BMZ oder Strom- oder Telefonkästen oder moderne Kellergitter abdecken sollen.

In der unübersichtlichen Gemengelage der Produzenten dieses Filmes taucht der Name Degeto auf.

Kein Mittel gegen Liebe

Hier wird charmant viel geredet und charmant angenehm wenig gesagt. Die Worte und Wörter sind eher ein Sound gegen das Alleinsein des Menschen, sei es in seiner gedankenlosen Oberflächlichkeit oder auch in seinem Ausgesetztsein dem absehbaren Tod in Form des Krebses, der auf Kate Hudson zukommt, die die Hauptrolle Marley Corbett spielt.

Hier wird einem der Krebs leicht gemacht. Wobei doch sowieso das Leichte das Schwerste ist, auch in der Kunst der Darstellung oder es eine besondere Kunst ist, mit dem Schweren leicht umzugehen, wie hier, wie doch im Lauf der Entwicklung Ansätze zu Tiefe und auch Liebe sichtbar werden.

Eine Realismus-Romantic-Comedy mit viel Weichzeichner und rosa Aufheller versehen. Mit einem Cast wie nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelt: wie im richtigen Leben, passt alles nicht richtig zusammen, aber egal, sind sowieso alle nur der Chor um Kate Hudson. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt in diesem Film, sie kann ihre lustigen Augen zeigen, ihre manchmal leicht luderhaften Blicke werfen; sie ist ein anderes Kaliber als die anderen, bei ihr wirkt es immer so, als schüttle sie die Texte und Bewegungen einfach so aus dem Ärmel. Während bei ihren Partnern und Partnerinnen der gelernte Vorsatz im Text durchaus zum Ausdruck kommt. Sie ist die Statue im Brunnen, um die sich der Film dreht, die anderen sind die kleinen Fontänen, die sie zieren.

Sie begegnet auch mal der hoch auf den Wolken hockenden Whoopie Goldberg, die die Rolle des Gottes verkörpert. Die Sprachhandhabung durch die Regie ist nicht allzu differenziert. Trotzdem scheint mir der Film eher etwas für ruhigere Gemüter. Der Film läuft abseits der Hektik unserer Tage. Es bleibt das häufige Lachen von Kate Hudson. Wobei, wenn sie nicht lustig ist, mal nachdenklich im Krankenbett liegt, das Gesicht durchaus etwas verliert. Sie bandelt mit einem Assistenzart an, der sehr indisch aussieht und eigentlich mehr wie eine Art Komiker erscheint. Aber im Gegensatz zu ihrem vorher luderhaften Leben, handelt es sich hier um eine ernsthafte Geschichte.

Für wen der Film wohl gedacht ist? Für Ladies, die anfangen sich Gedanken über den Tod zu machen, die anfangen, die Leichtigkeit und Sorglosigkeit der früheren Jugend abzulegen? Garantiert ist er was für Kate-Hudson-Fans.

Johnny English – Jetzt erst recht

Nach dem Screening bleibt die Frage, was zum Teufel treibt Rowan Atkinson dazu, diesen Film zu drehen. Es gab 2003 einen Vorläufer von „Johnny English“ mit ihm. Der hatte sehr viel Geld in die Kassen gespült. Um was anderes scheint es hier nicht zu gehen. Es sei denn, Rowan Atkinson möchte die guten Erinnerungen, die man an frühere Sachen von ihm hat, irgendwie übertünchen.

Immerhin, er ist noch Rowan Atkinson, kann wenns denn sein muss, die Augen schön verdrehen, kann wunderbar verdattert gucken, kann je feiner eine Umgebung ist, desto mehr wie der Elefant im Porzellanladen alles verkehrt machen, die Katze der Chefin aus dem Hochhaus schmeißen und mitsamt einem modernen unförmigen Teil, was eine Sitzgelegenheit sein soll, nach hinten fallen. Er kann sich aber auch die Lippen rot schminken im Moment eines hochoffizellen, höchstgesicherten Staatsbesuches zwischen britischem Premier und dem von China und das in einem hochgesicherten Luxusrückzugsort in der Schweiz. Er kann sogar vorgeben, tibetanische Kampfsportarten zu lernen, denn in ein tibetanisches Kloster hatte er sich nach dem Flop der vorangegangenen Mission in Afrika zurückgezogen.

Der Film fängt ein bisschen an wie James Bond, der Film orientiert sich erklärtermaßen an James Bond, das sind Teile aus dem Titelbild und auch musikalische Elemente. Aber Atkinson ist natürlich nicht James Bond. Er ist auch ein bisschen älter geworden und gewiss ein bisschen bequemer und vielleicht auch etwas langsamer und dem scheint sich die Machart des Filmes anzuschließen, der wohl auch nicht über ein Budget von James Bond verfügte und trotzdem in aller Welt gedreht werden sollte, in Afrika, Asien, England und in der Schweiz.

Dafür gibt’s viele Dialogszenen im erprobten Schuss- Gegenschussverfahren, welche nicht viel Ausstattung drum herum und auch keine komplizierten Lichtsetzungen erfordern. Klar muss ein Rolls Royce, der auf Stimmerkennung reagiert, her und diverse andere technische Tüfteleien wie bei James Bond. Auch das Labor der Tüftler sehen wir und der Obertüftler sitzt im Rollstuhl – „ein misslungenes Experiment“, so erklärt er die Behinderung.

Atkinson soll zur Verhinderung eines geplanten Anschlages auf den chinesischen Premier bei einem Treffen mit seinem britischen Amtskollegen reaktiviert werden. Dazu bekommt er einen jungen Assistenten, der ihm die Kohlen aus dem Feuer holt. Und es gibt eine ganz kleine, alte Chinesin, die an den unmöglichsten Orten mit einem Staubsauger auftaucht und Mordanschläge auf Johnny English ausführen möchte, die aber nie gelingen, sonst wäre der Film zu kurz geworden. Diese Chinesin verkleidet sich immer so, dass Johnny sich auf die falschen Verdächtigen stürzt, die dummerweise ein Tuch auf dem Kopf und einen Staubsauger in der Hand haben, sogar auf die Queen.

Die Produzenten dürften für das Einbringen des Filmes ins Kino eher das Zeitfenster im Herbst im Auge gehabt haben, wo offenbar nicht allzuviel ähnliche Filme anlaufen, als dass sie viel Geist und Fantasie in die Entwicklung der Story und der Gags gesteckt hätten. Der Film kriegt auch an keiner Stelle richtigen Schwung. Die Lacher beruhen auf altbekannten Gags und Jokes und den Grimassen von Atkinson; der mit der hier erbrachten Leistung bestimmt niemals berühmt geworden wäre.

Fright Night

Hier ist das Kino wieder dort gelandet, wo es einsten angefangen hat: auf dem Jahrmarkt. Für ein Volks- und Gruselvergnügen um seiner selbst willen. Das Hauptvergnügen bei dieser Vampir-Verfilmung scheint dem Regisseur Craig Gillespie, der mit „Lars und die Frauen“ schon eine sehr persönliche Handschrift bewiesen hat, gewesen zu sein, ein paar Beutel Gruselfarbe auf das steril-amerikanische Siedlungs-Wesen zu schmeißen. Das Vampirtum, wie es wohl für den ursprünglichen Film galt, reicht ihm dazu nicht aus, reicht nicht aus um die Sterilität einer solchen Siedlung fundamental aufzumischen. Zur Destruktion der Gelecktheit der Siedlung, die er anfangs bis zum Geht-nicht-mehr immer wieder zeigt und abfährt, in der so gar nichts Persönliches mehr gedeiht, nur noch Püppchen von Müttern und Kindern, alle wie aus Barbie-Land und nicht ein Unkräutchen oder ein Vogelschiss, diese Siedlung aus Häuschen alle exakt derselben Machart aus dem Boden gestampft und um eine Ringstrasse angeordnet; ästhetisch tödlich-reine Bau- und Lebensweise; da braucht es mehr als einen Vampir als Nachbar, um den Stumpfsinn zu vertreiben. Die Story selber scheint weder Gillespie noch seinen Drehbuchautor Marti Noxon besonders zu interessieren. Sie verlustieren sich vollkommen darein, einerseits die Anonymität und Sterilität dieser modernen Konfektions-Komfort-„Urbanität“ extrem überhöht zu zeichnen, dass einem schon schier speiübel werden könnte, um dann mit ungebremster Lust und Macht den Vampir und seine geheimen Blutsaugerkammern und was er sonst noch an Teufels- und Feurwerkszeug in Gang setzen kann, umso lustvoller dahineinzupfeffern.

Um einer solchen Gegenwelt effektiv zu begegnen muss der Spießer aus der geleckten Siedlung zu verzweifelten Handlungen Zuflucht nehmen, er muss einen großen Magier kontaktieren, der selbst über ein beachtliches Arsenal an Wissen, Waffen und Tricks verfügt, mit denen dann noch ausgiebiger die Destruktion des Vampirwesens und damit der geleckten Siedlung selbst begonnen werden kann.

Und weils so lustig war, daran sieht man, wie sorglos die mit dem Buch umgegangen sind, darf am Schluss die Liebe siegen. Das können wir augenzwinkernd und vergnügt zur Kenntnis nehmen.

Wickie auf großer Fahrt

Dieses Hochförderprodukt hinterlässt in mir gemischte Gefühle.

Positiv zu verzeichnen wäre:
– es ist das Rudiment einer Geschichte erkennbar (Wickie muss seinen Vater aus dem Gefängnis des schrecklichen Sven am Kap der Angst retten und dabei als Nachwuchshäuptling mit den Wikingern viele Hindernisse überwinden).
– immer wieder kinderfreundlicher Slapstick (eins auf den Deckel und ein Mann fällt um),
– Schauspieler, die immer wieder verkindet kinderfreundliche Töne und Urlaute von sich geben,
– sexy Walküren (die die Kinder- und die Erwachsenenfantasie anregend nackt zurückgelassen werden, denn ihre schmalen Bekleidungsteile haben sie Wickie und seinen Männern zur Reparatur des Segels überlassen, was dadurch zum bunten BH- und Sliptuch verwandelt wird),
– immer wieder der Chor der Wikinger (wenn Regie führen verstanden wird als „den Chor“ führen, dann hätte Christian Ditter, der Regisseur und Drehbuchautor, allerdings noch so einiges zu lernen),
– viel Babelsberger Orchestersound, der routiniert storymässige Schwach-Stellen mit Sound zu übertönen versucht,
– 3 D (für Arme, denn der Hintergrund erscheint oft wie ein gemalter Prospekt),
– Kasperltheaterszenen, wenn die Gruppe der Wikinger von den Walküren fast ins Meer gestoßen werden,
– Actionszenen (die sich von Hollywood inspirieren lassen, aber nicht daran herankommen oder der Rote Korsar würde sich ein Grinsen nicht verkneifen können)
– last und am allerwichtigsten ein digitales Effektdepartment was über manch löchrige Stelle in der Geschichte effizient hinwegtrickst.

Was fehlt:
– Humor,
– Charme,
– Geschmeidigkeit des Erzählens,
– Geschmeidigkeit der Szenen- und Schnittauflösung, Spannung durch die Konfliktentwicklung über die Hauptfigur,
– ein Cast, der unter Wikingerspielen etwas mehr versteht als nur Gesicht verziehen und Töne von sich geben oder sich wie Tölpel anstellen oder Klamotte spielen. Das ist vielleicht nicht einmal in erster Linie den Darstellern anzulasten, das Missverständnis dürfte sich bereits bei der Auswahl derselben eingestellt haben.
Noch zum Cast: Das kleine Luder Svenja, das ein mieses Doppelspiel spielt, sie ist die einzig aufregende Leinwandfigur in diesem Film, vielleicht noch der böse Sven, der unter der Darstellung des Bösen durchaus auch die Vermittlung von Vitalität und Schlauheit versteht. Diese Besetzungauswahl lässt allerdings die Titel- und Hauptfigur, den Wickie, eher blass aussehen. Er kann nichts dafür. Aber ihm fehlt meiner Ansicht nach die Leinwandaffinität. Sicher werden sich die Buben im Publikum altersbedingt mit dem Wickie identifizieren, kleinen Kinder heißt es ja, kann man ein Stück Holz hinhalten und behaupten, das ist der Kasperele, und dann ist es für sie der Kasperle, denn die haben ja noch Phantasie, insofern dürfte das von mir erwachsene Nörgelei sein, wobei ich da meine liebe Mühe hätte, zu entscheiden, für welches Alter der Film denn überhaupt gedacht ist: denn es gibt vom richtig bubenfreundlichen Slapstick für Schulanfänger über Szenen nur für die ganz Kleinen auch wieder Gespräche über Liebe und Anmache, die eher für die Halbwüchsigen (zwar nicht lustig) sind. Aber irgendwie scheint mir dem Wickie das Need zur Figur zu fehlen. Er spielt richtig und korrekt. Das dürfte einmal mehr für den Erfolg reichen, der mit jedem Kinderfilm in einem bestimmten Rahmen kalkulierbar ist, weil ihn die angepeilte Altersgruppe wohl mehr oder weniger vollzählig besuchen dürfte mit der Schule oder mit Papa und Mama.

Es gibt sogar eine Szene, die richtig heiter ins Publikum rüberspringt aber dazu wäre nun wirklich kein 3D nötig gewesen: wenn Wickie versucht, seine Gefährten aus einem Absturzloch mit einem Seil, das ein Esel zieht, zu retten. Die Szene ist aber auch mit der Ausführlichkeit ausgefaltet, wie sie für die ganz Kleinen wichtig ist. Ähnlich detailliert und gründlich ist auch die Szene, bei der Wickie dem bösen Sven versucht ein Amulett, das er an einer Kette um den Hals hängen hat, zu stehlen. Wie das Insekt sich nähert, sich dem Mund von Sven nähert, wie er es verschluckt: das wäre eine Kurzfilmnominierung wert, das müsste an einer Filmschule beste Noten kriegen. Schön. Aber das scheint mir gerade die Crux von Christian Ditter, dass er sich um solche korrekten, perfekten Dinge bemüht, dass er aber den Ruch des Lebens draußen lässt. Dass er nicht verwegen ist – was die Wickinger doch irgendwie sind. Bei ihm sehen sie aber nur verwegen aus, aber das Wesentliche der Verwegenheit, die Kühnheit, den Mut, der ist zumindest hinter viel Grimassiererei und Chorgetue verborgen geblieben. Das ist doch so nett, werden jetzt viele einwenden. Andererseits finde ich, sollte man bei jedem Film anspruchsvoll sein, gerade für Kinder, denn so ein Film sollte auch das Kulturbewusstsein stärken und mitformen.

Ein weiteres schönes Detail ist auch das Ziehen eines Zahnes mit Hilfe eines Seiles erst, dann des Segels. Sehr liebevolle Detailarbeit. Davon ist einiges zusehen. Aber sobald der Chor ins Spiel kommt, da mag man nicht mehr so gerne hinschauen.

Überhaupt: viel liebevolle Detailarbeit; aber vorwiegend auf Kosten der Stringenz und Spannung der Geschichte. Man könnte auch fragen, warum wurde die Arbeit des Storytelling oder Storybuilding nicht einem Profi anvertraut? Der hätte mehr gekostet.

Dass so ein Junge wie Wickie die Svenja fragt „Gibt es Dich auch in nett“, das ist vielleicht ein Dialog aus einer Hochschul-Beziehungskomödie, aber meiner Meinung nach ziemlich kindfremd. Oder ist die heutige Jugend schon so frühreif und oberschlau. Auch ein Dialog wie: wie kannst du bloß auf eine Frau reinfallen? Und dann die Antwort vom Frager selber: na ja, verheiratet sind wir alle. Erwachsenenkomödie vielleicht. Ich meine zu einem stringenten Erzählen gehört durchaus das stringente Beibehalten der Ebene, die hier wickiebezogen ist oder sein sollte. (Da fällt mir als einfaches Beispiel die glasklare Erzählweise aus dem nordischen Kinderfilm „Mein Freund Knerten“ ein, der konsequent die Sicht der Hauptfigur beibehalten hat).

Regie hier vermutlich primär verstanden als Beherrschen der Logistik am Set. Und auch die Bearbeitung des Stoffes scheint rein technokratisch passiert zu sein. Es fehlt mir die Herzenswärme, die Zuneigung zur Jugend. Also sehr schulhaft das Ganze, wenig künstlerisch. Ich würde hier fast von einem um politische Korrektheit bemühten technokratischen Opportunismus als der Haltung hinter diesem Film sprechen. Dieser dürfte meiner Ansicht nach den Erfolg am deutlichsten eingrenzen. Er will allen etwas bieten, allen Altersgruppen, bietet aber keinem richtig was, was dann zu Komplimenten wie „nett“ führt, und man müsse den Kram ja nicht so ganz ernst nehmen.

4 Tage im Mai

Die Ostsee hat sich dieses Jahr bislang nicht als Glücksfall fürs deutsche Kino erwiesen. Von „Poll“ über „Das Blaue vom Himmel“ bis jetzt „4 Tage im Mai“: immer die schönen Bilder, die deutschen Filmer können sich am Strand und den Dünen offenbar nicht satt sehen und vergessen prompt und konsequent, wie man eine Geschichte im Kino spannend erzählen sollte (meine alte Leier ich weiß, aber vielleicht kapiert es irgendwann doch wer). Sie berauschen sich an der Ostsee, hängen Kriegszeiten nach, vergessen prompt den Zuschauer.

Hier geht’s um einen 13 jährigen Jungen und um ein Waisenhaus mit zwei oder drei Frauen, die sich um ein gutes Dutzend Waisenmädchen kümmern und um einen kleinen sowjetischen Trupp, der sich im Waisenhaus verschanzt und um eine größere Wehrmachtseinheit, die am Strand hockt und um den Versuch nach Dänemark überzusetzen und um vier Tage im Mai vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Junge, der wechselt zwischen allen Seiten hin und her, denn er will den Sieg der Deutschen. Nun, das ist alles ein bisschen viel. Vielleicht ist die Frage leichter zu beantworten, worum geht es hier nicht, via Negationis villeicht die Frage auf die Antwort zu finden, worum es hier gehe. Es geht vielleicht um eine Gesamtsituation, um eine viertägige Gesamtsituation kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Worum es auf keinen Fall gehen kann, das sind die Mädchen vom Waisenhaus, denn die spielen praktisch, nun, nicht mal eine Statistenrolle, sie spielen eine Dekorationsrolle um den Begriff Waisenhaus zu illustrieren.

Worum geht es denn oder was passiert in dem Film?
Der 8. Mai 1945 ist das Datum des Endes des Zweiten Weltkrieges. Mit diesem Datum fängt der Film an. Menschen sind mit Karren und vielen Dingen an einem Ostsee-Strand. Ein Schiff wartet darauf, sie aufzunehmen. Schnitt. 4 Tage zuvor. Über diese vier Tage will der Film nun und über diesen Ort berichten. Über die vier Tage vorm Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Regisseur Achim von Borries, der auch der Autor ist, möchte diese vier Tage benutzen, um mittels der erwähnten Menschengruppierungen also des Knaben, der Waisenhausfrauen und der Mädchen, der sowjetischen Soldaten und der Wehrmachtsmänner aufzuzeigen, uns die Message zukommen zu lassen, dass es sich hier bei allen um Menschen handelt. Menschen mit kleinen Sehnsüchten. Denn oft wird im Dialog die Frage aufgeworfen, was man nach dem Krieg vorhabe. Menschen aber auch, die uns hier ein bisschen einen Krieg vorspielen in Uniformen und auch mal mit einer Schießerei, wie es die Amerikaner inzwischen in speziell dafür eingerichteten Freizeitcamps machen. Das ist jedenfalls meine Vermutung. Durch die viele Natur, und da der Regisseur die Menschen relaxt und nicht verbissen und bis auf den Tod kämpfen zeigt, entsteht in dem Film eine angenehme Freizeitstimmung, denn wenn der Tod kommt, dann kommt er schnell.

Es wird nicht klar, warum man sich als heutiger Mensch diesen Film anschauen soll.

Es fängt mit den ersten Bildern hoffnungsvoll an. Hat das deutsche Kino vielleicht gelernt, denke ich mir. Kann es sich endlich herablassen, sich auf eine Hauptfigur zu einigen, statt wie häufig zu stolz dazu zu sein und lieber mit einer illustrierten Thematisierung den Flop an der Kasse in Kauf zu nehmen, statt eine Hauptfigur zu etablieren, mit der man Empathie empfinden könnte und also die Geschichte aus dieser Perspektive, aber auch aus dieser Dringlichkeit, der Überlebensdringlichkeit der Figur heraus zu erzählen und damit die Message quasi subkutan dem Zuschauer zu verabreichen. So dass sie möglicherweise jucken wird. So jedenfalls juckt sie nicht.

Der Junge, der könnte was hergeben für so eine Hauptfigur. Aus seiner Perspektive erzählt, wie er hin- und hergerissen ist zwischen deutschem Patriotismus (er spricht einwandfreies Hannoveraner-Synchron-Hochdeutsch), aus seiner Perspektive zu vermitteln, dass alle Soldaten nur Menschen sind, die doch gar nicht das Böse wollen. Das wäre allerdings viel Drehbucharbeit und unendlich viel Drehbuchschweiß gewesen, den Stoff daraufhin zu bearbeiten und zu prüfen. Verdammt viel und langwierige Drehbucharbeit. Diese ganzen Sichtweisen des Jungen zu transportieren, die Figuren drum herum aus seiner Sicht zu sehen und agieren zu lassen. Es wäre eben besonders viel Arbeit gewesen, um nicht in irgend ein rührseliges Klischee zu verfallen, sondern Krieg frisch, aus frischen, unverdorbenen Kinderaugen, einen Kriegen in den letzten Zügen noch dazu, zu beschreiben, um es auch heute unter die Haut gehen zu lassen.

Achim von Borries hat sich statt dessen dafür entschieden, eine Reihenfolge von schönen Bildern eines Abenteuerurlaubes an der Ostsee in Kriegskostümen zu einem Film zusammenzuschneiden oder eher noch: an einer sehr locker gespannten Wäscheleine nebeneinander aufzuhängen. Eines dieser Bilder, eine dieser Szenen zeigt zum Beispiel den Soldaten Trubizin schön Klavier spielen, Schumann für Anna. Eine ad hoc, eine offenbar zu diesem Behufe inszenierte Szene, ohne jeden Geschichtszusammenhang.

Die kleine Vorgeschichte zwischen 8. Mai 1945, 4 Tage zuvor und dem Titel „4 Tage im Mai“, die geht von dem Jungen aus, der das Militär beobachtet, allerdings hat man über ihn nicht die leiseste Info, wer er ist, woher er kommt, wieso und warum er da ist, worunter er leidet, was sein Problem sei. Nichts ist geklärt. Er beobachtet aus dem Gebüsch, aus dem Versteck die Soldaten, schnappt sich von einem Toten die Militärjacke und das Gewehr und die Mütze. Dann taucht er im Waisenhaus auf, wie die Sowjet-Truppe dieses requirieren will. Er vertritt die deutsche Position, aber das ist irgendwie schon lächerlich, weil man nicht weiß wieso und was er sich davon verspricht. Die Sowjets überwältigen ihn. Er sagt, er sei Soldat, übrigens ist er bilingue, spricht das erwähnte Hannoveraner Deutsch und ein angelerntes Russisch. Er bekommt eine Ohrfeige und ihr Knall lockt den Filmtitel herbei. Titel auf Knall. Dann kommen Panzerkolonnen wie bei einer Demo im Militärmuseum.

Es folgen Szenen von hüben und drüben ohne großen Handlungszusammenhang, im Grunde ist die Szenerie statisch, denn die einen haben sich verschanzt und die anderen wollen nicht so richtig kämpfen, nur der Bub, der will noch den Endsieg.

Der Bub jedenfalls entwickelt sich zum Doppelagenten. Aber das wird nicht mehr aus seiner Perspektive erzählt. Das hat dann mehr was von einem Storyboard-Entwurf vielleicht. Er informiert die Deutschen über die Pläne der Russen. Freundet sich an mit dem russischen Hauptmann. Das bleibt aber alles fotoalbumhaft und im Grunde bräuchte man eine Erzählerstimme, die uns mehr über den Jungen verrät. So aber, als privatistisches Fotoalbum präsentiert, ist die Gefahr, dass das Zuschauerinteresse abdriftet, einfach zu groß. Spannung kann man nur aus einem Bogen erzeugen.

Der Junge beobachtet einen russischen Soldaten auf dem Dachboden, wie er Anna küsst. Der Soldat wird dann, das ist auch komisch abstrakt, vor ein Militärgericht gestellt. Wegen Vergewaltigung.

Es gibt Szenen mit dem Klavierspiel (ja, ja, auch Soldaten sind Menschen und dieser spielt Tschaikowsky und war am Konservatorium, er war ein künstlerischer Mensch, der noch dazu beim Klavierspielen Cigaretten raucht – dicker Auftragen geht nicht für die Sonntagsmatinee-Message, dass Soldaten Menschen sind). Es gibt auch Szenen, wo die Frauen vom Waisenhaus den Militärmännern die Wäsche machen (ja, ja, auch Frauen sind Menschen, die Botschaft hören wir nicht zum ersten Mal). Zu solch erfundenen Szenen, weil sie nicht in einem Handlungs- und Spannungszusammenhang stehen, man könnte die Soldaten genau so gut beim Latrinenbau zeigen, was soll man da auch für sinnige Texte dazu erfinden? Hier sind es jedenfalls keine, die man sich merken kann; sie schildern den Alltag des Wäschewaschens. In für unsereins nicht ganz alltäglicher Umgebung.

Es gibt eine Szene vom Jungen mit Anna am Wasser. Da geht es ums Ausziehen, er mustert sie in ihrer Unterwäsche. Dann liegen sie im Gras. Mei, so ganz ohne Handlungszusammenhang ist das, zwar schön schon, nicht aber sehr ergiebig. Die Soldaten schicken ihn zum Fischen. Soll da Nebenkriegspoesie erzeugt werden?

Sätze: Ich kann vielleicht helfen, Herr Oberstleutnant.
Deine Meldung wäre wichtig, Junge, lass Dich nicht erwischen.
Wenzel, das Boot kann kommen.
Ein Vater hat keinen Einfluss auf das Schicksal (wie der Sohn stirbt).
Er ist ein Mann, Du nicht.
He Junge, was war los
Die haben unser Boot zerstört.
Warum habt Ihr nicht angegriffen.
Los raus hier, bevor die Russen wieder kommen.

Mir kommt dieser Film vor wie das boutiquenschöne Produkt eines weltfremden künstlerisch-intellektuellen Romantizismus, der sich vor der Folie des Grauens des Krieges zu formulieren versucht. (wobei das Wort weltfremd auch hinsichtlich der Realitäten des Kinomarktes gelten dürfte).