NTGUILTY ist der Text auf dem Nummernschild des Lincoln, in dem Mick Haller, gespielt von Matthew McConaughey, sich statt eines Büros eingerichtet hat und von Gerichtstermin zu Gerichtstermin kutschieren lässt. Er ist smart und schafft für jeden seiner Klienten ein „not guilty“, er ist ein Meister des Deals und hat rund ums Gericht jede Menge von Netzwerken und Zuarbeitern. Sein System funktioniert wunderbar. Es ist ein System zum Austricksen des Rechtssystems. Er ist ein strahlender Routinier seines geschäftig geschickten Erfolges. Er kennt alle Tricks und Finessen des Gerichtsbetriebes und setzt sie zu seinen Gunsten ein. Er hat die Lage immer im Griff, reagiert schnell, präzise, ohne sich bei unnötigen Details aufzuhalten. Er mag keine Warteschlangen. Es muss flutschen; das tut es auch. Er ist ein Ausbeuter gerichtlicher Formalismen, ein meisterlicher Surfer auf den Regeln gerichtlich-menschlicher Laschheiten; nicht Gerechtigkeit interssiert ihn, Recht zu bekommen ist sein Ziel und das erreicht er stets. Erfolgreiche Pervertierung des Rechtssystems.
Über sein Privatleben erfährt man nicht viel. Außer dass er mit seiner geschiedenen Frau ein Töchterchen hat.
Er ist raffiniert darin, seinen Preis festzusetzen, wenn er merkt, der Kunde braucht ihn auf jeden Fall, ein Beispiel dafür liefert die Verhandlung über ein Engagement, in dem er flugs einen Experten in New York erfindet, der kurz nach L.A. oder San Francisco fliegen müsse, natürlich erster Klasse und mit einem standesgemässen Hotel. Und wie sein Verhandlungspartner weg ist, bemerkt er zu seinem Bekannten, dass er den Experten in New York nur erfunden habe, dass das auch ein hiesiger machen könne. Aber das Geld für den teuren Flug hat er bereits eingesteckt.
Wir haben hier eine erstklassige Produktion in einer langen Tradition von amerikanischen Gerichtsfilmen vorliegen, Buch, Besetzung, Regie. Aber das Tüpfelchen auf dem i ist meiner Meinung nach die Besetzung der Hauptfigur mit McConaughey. Er passt absolut glaubwürdig in diese Anwaltsrolle, 100 Prozent. Oder die Rolle passt wie angegossen zu ihm. Ein Typ, der ohne Gewissen seinen Job tut, einer der mehr ein Spieler ist und sich die Regeln des Games erfolgreich zu Nutzen macht; er ist für jede seiner Handlungen abgesichert, dank seiner Kenntnis und seiner Cleverness, er vermeidet jedes Anecken. Er kennt keine Rückschläge, keinen Tiefpunkt. Das ist durchaus ein Teil seiner schillernden Oberfläche.
Der Film begleitet ihn und seinen Lincoln mit Chauffeur schnell in seinem unruhig rasenden Leben durch die Gerichte oder auch mal an eine etwas entlegenere Ecke, wenn er dem bestellten TV-Fotografen sein Geld wieder abknöpft, das er einem neuen Klienten zuvor aus der Tasche gezogen hat, um den unwillkommenen Pressemenschen wieder loszuwerden (was erwartest Du für Deine Aufnahmen, wie teuer glaubst Du sie verkaufen zu können? Der meint so 700, 750. Haller gibt ihm aus der Tasche des Klienten 800 und bekommt den Film. Nachmittags dann in der abgelegenen Ecke macht der Lincoln mitten auf der Strasse eine Spitzkehre, hält bei besagtem Fotografen, gibt den Film zurück und erhält von den 800 Dollar 600 zurück, 200 bleiben dem Fotografen für den Auftritt; gut organisiert kann man nur sagen.).
Haller ist ein Gschaftler und Wusler, einer von den Typen, die das ganze Gerichtswesen in Verruf bringen, die den Deal lieben, der auch bei uns ein nicht unumstrittenes Verfahren ist; der Film erhellt ganz nebenbei und unterhaltsam ein aktuelles Problem, was auch uns angeht; wieviel Strafe bleibt übrig nach einem Schuldanerkenntnis, wie manipulierbar ist das Gericht durch seine eigenen Regularien und menschlichen Schwächen – denn Wahrheitssuche, Gerechtigkeitsfindung kann ein anstrengender Prozess für alle Beteiligten sein.
Hier dürfte das grösste Kompliment dem Caster gebühren, denn der Schauspieler scheint von sich aus jene gewisse Schauspielerroutine mitzubringen, die für diese Rolle unabdingbar ist, die ihr die nötige Schmiere verleiht.
Damit sichs lohnt die Geschichte über diesen Anwalt zu erzählen, muss selbstverständlich ein besonders krasser Fall her. Es geht um Verstümmelung von Frauen. Speziell einer Nutte, die überlebt hat. Es gibt Videoaufnahmen aus einer Anbandeldisco, wie die Nutte dem erhofften Freier auf einer Serviette ihren Namen, Nummer und den Preis nennt. Angeklagt ist in diesem Fall ein Muttersöhnchen aus feinstem Hause.
Haller muss gleich klar stellen, dass die Mutter bei den Gesprächen nicht dabei sein kann, weil sie sonst als Mitwisserin Probleme kriegen könnte. Sie schluckt diese Anweisung höchst ungern. Das Problem bei diesem Fall wird sein, auf Details kann verzichtet werden, dass Haller im Laufe der Ermittlungen (er hat in Frank Levin eine originelle Figur von Ermittler) in Konflikt zu einem von ihm früher erfolgreich vertretenen Fall gerät.
Wobei der Begriff „erfolgreich“ der Präzisierung bedarf: der Klient, der wie sich jetzt herausstellt, vollkommen unschuldig war, entging dank Haller dem Strang oder der Giftspritze, bekam dank Hallers Deal nur lebenslänglich auf St. Quentin. Deshalb gerät Haller nun in einen Gewissenkonflikt. Er hat erfolgreich einen Unschuldigen zu lebenslanger Haft verdonnern lassen. Ab diesem Erkenntnismoment bekomme ich mit der bis dahin so brilliant angelegten Hauptfigur allerdings Probleme. Der Gewissenkonflikt bedeutet einen Bruch in dem glatten Duktus. Vor allem: nachher spielt er seine Rolle weiter, als ob nichts gewesen wäre. Dieser kleine Schönheitsfehler scheint mir schon im Drehbuch angelegt. Dass der gewissenlose Haller plötzlich einen, und dazu noch höchst emotional dargestellten Gewissenkonflikt durchlebt, das nimmt man ihm schwer ab. Das ist ein Bruch in der Figur.
So wie die Figur angelegt ist, wäre doch Ärger angebracht gewesen, er müsste sich massiv ärgern, dass ihm das passiert ist, weil das sein reibungsloses Geschäft stört oder gar ruinieren kann. Und überhaupt mag er keine Probleme, schon gar nicht in der Region des gut verschlossenen Gewissens. Ärger, Aufregung wäre meines Erachtens die figurkonsequente Reaktion gewesen. Denn er wird nicht zum Gutmenschen durch den Konflikt. Er macht genau so weiter wie bisher. Er versucht dann lediglich mit seinen Mitteln den ihm anvertrauten Fall erfolgreich zu beenden.
Erstklassig gemachter Gerichtsfilm mit einem heftigen Wackler in der Figur des Protagonisten, doch mehr als ein Schönheitsfehler, leider.