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Der Mandant

NTGUILTY ist der Text auf dem Nummernschild des Lincoln, in dem Mick Haller, gespielt von Matthew McConaughey, sich statt eines Büros eingerichtet hat und von Gerichtstermin zu Gerichtstermin kutschieren lässt. Er ist smart und schafft für jeden seiner Klienten ein „not guilty“, er ist ein Meister des Deals und hat rund ums Gericht jede Menge von Netzwerken und Zuarbeitern. Sein System funktioniert wunderbar. Es ist ein System zum Austricksen des Rechtssystems. Er ist ein strahlender Routinier seines geschäftig geschickten Erfolges. Er kennt alle Tricks und Finessen des Gerichtsbetriebes und setzt sie zu seinen Gunsten ein. Er hat die Lage immer im Griff, reagiert schnell, präzise, ohne sich bei unnötigen Details aufzuhalten. Er mag keine Warteschlangen. Es muss flutschen; das tut es auch. Er ist ein Ausbeuter gerichtlicher Formalismen, ein meisterlicher Surfer auf den Regeln gerichtlich-menschlicher Laschheiten; nicht Gerechtigkeit interssiert ihn, Recht zu bekommen ist sein Ziel und das erreicht er stets. Erfolgreiche Pervertierung des Rechtssystems.

Über sein Privatleben erfährt man nicht viel. Außer dass er mit seiner geschiedenen Frau ein Töchterchen hat.

Er ist raffiniert darin, seinen Preis festzusetzen, wenn er merkt, der Kunde braucht ihn auf jeden Fall, ein Beispiel dafür liefert die Verhandlung über ein Engagement, in dem er flugs einen Experten in New York erfindet, der kurz nach L.A. oder San Francisco fliegen müsse, natürlich erster Klasse und mit einem standesgemässen Hotel. Und wie sein Verhandlungspartner weg ist, bemerkt er zu seinem Bekannten, dass er den Experten in New York nur erfunden habe, dass das auch ein hiesiger machen könne. Aber das Geld für den teuren Flug hat er bereits eingesteckt.

Wir haben hier eine erstklassige Produktion in einer langen Tradition von amerikanischen Gerichtsfilmen vorliegen, Buch, Besetzung, Regie. Aber das Tüpfelchen auf dem i ist meiner Meinung nach die Besetzung der Hauptfigur mit McConaughey. Er passt absolut glaubwürdig in diese Anwaltsrolle, 100 Prozent. Oder die Rolle passt wie angegossen zu ihm. Ein Typ, der ohne Gewissen seinen Job tut, einer der mehr ein Spieler ist und sich die Regeln des Games erfolgreich zu Nutzen macht; er ist für jede seiner Handlungen abgesichert, dank seiner Kenntnis und seiner Cleverness, er vermeidet jedes Anecken. Er kennt keine Rückschläge, keinen Tiefpunkt. Das ist durchaus ein Teil seiner schillernden Oberfläche.

Der Film begleitet ihn und seinen Lincoln mit Chauffeur schnell in seinem unruhig rasenden Leben durch die Gerichte oder auch mal an eine etwas entlegenere Ecke, wenn er dem bestellten TV-Fotografen sein Geld wieder abknöpft, das er einem neuen Klienten zuvor aus der Tasche gezogen hat, um den unwillkommenen Pressemenschen wieder loszuwerden (was erwartest Du für Deine Aufnahmen, wie teuer glaubst Du sie verkaufen zu können? Der meint so 700, 750. Haller gibt ihm aus der Tasche des Klienten 800 und bekommt den Film. Nachmittags dann in der abgelegenen Ecke macht der Lincoln mitten auf der Strasse eine Spitzkehre, hält bei besagtem Fotografen, gibt den Film zurück und erhält von den 800 Dollar 600 zurück, 200 bleiben dem Fotografen für den Auftritt; gut organisiert kann man nur sagen.).

Haller ist ein Gschaftler und Wusler, einer von den Typen, die das ganze Gerichtswesen in Verruf bringen, die den Deal lieben, der auch bei uns ein nicht unumstrittenes Verfahren ist; der Film erhellt ganz nebenbei und unterhaltsam ein aktuelles Problem, was auch uns angeht; wieviel Strafe bleibt übrig nach einem Schuldanerkenntnis, wie manipulierbar ist das Gericht durch seine eigenen Regularien und menschlichen Schwächen – denn Wahrheitssuche, Gerechtigkeitsfindung kann ein anstrengender Prozess für alle Beteiligten sein.

Hier dürfte das grösste Kompliment dem Caster gebühren, denn der Schauspieler scheint von sich aus jene gewisse Schauspielerroutine mitzubringen, die für diese Rolle unabdingbar ist, die ihr die nötige Schmiere verleiht.

Damit sichs lohnt die Geschichte über diesen Anwalt zu erzählen, muss selbstverständlich ein besonders krasser Fall her. Es geht um Verstümmelung von Frauen. Speziell einer Nutte, die überlebt hat. Es gibt Videoaufnahmen aus einer Anbandeldisco, wie die Nutte dem erhofften Freier auf einer Serviette ihren Namen, Nummer und den Preis nennt. Angeklagt ist in diesem Fall ein Muttersöhnchen aus feinstem Hause.

Haller muss gleich klar stellen, dass die Mutter bei den Gesprächen nicht dabei sein kann, weil sie sonst als Mitwisserin Probleme kriegen könnte. Sie schluckt diese Anweisung höchst ungern. Das Problem bei diesem Fall wird sein, auf Details kann verzichtet werden, dass Haller im Laufe der Ermittlungen (er hat in Frank Levin eine originelle Figur von Ermittler) in Konflikt zu einem von ihm früher erfolgreich vertretenen Fall gerät.

Wobei der Begriff „erfolgreich“ der Präzisierung bedarf: der Klient, der wie sich jetzt herausstellt, vollkommen unschuldig war, entging dank Haller dem Strang oder der Giftspritze, bekam dank Hallers Deal nur lebenslänglich auf St. Quentin. Deshalb gerät Haller nun in einen Gewissenkonflikt. Er hat erfolgreich einen Unschuldigen zu lebenslanger Haft verdonnern lassen. Ab diesem Erkenntnismoment bekomme ich mit der bis dahin so brilliant angelegten Hauptfigur allerdings Probleme. Der Gewissenkonflikt bedeutet einen Bruch in dem glatten Duktus. Vor allem: nachher spielt er seine Rolle weiter, als ob nichts gewesen wäre. Dieser kleine Schönheitsfehler scheint mir schon im Drehbuch angelegt. Dass der gewissenlose Haller plötzlich einen, und dazu noch höchst emotional dargestellten Gewissenkonflikt durchlebt, das nimmt man ihm schwer ab. Das ist ein Bruch in der Figur.

So wie die Figur angelegt ist, wäre doch Ärger angebracht gewesen, er müsste sich massiv ärgern, dass ihm das passiert ist, weil das sein reibungsloses Geschäft stört oder gar ruinieren kann. Und überhaupt mag er keine Probleme, schon gar nicht in der Region des gut verschlossenen Gewissens. Ärger, Aufregung wäre meines Erachtens die figurkonsequente Reaktion gewesen. Denn er wird nicht zum Gutmenschen durch den Konflikt. Er macht genau so weiter wie bisher. Er versucht dann lediglich mit seinen Mitteln den ihm anvertrauten Fall erfolgreich zu beenden.

Erstklassig gemachter Gerichtsfilm mit einem heftigen Wackler in der Figur des Protagonisten, doch mehr als ein Schönheitsfehler, leider.

The Bang Bang Club

Spielfilm über ein Pressefotografenquartett in den letzten Tagen der Apartheid in Südafrika.

Sie wurden BANG BANG CLUB genannt, sammelten Pulitzer-Preise ein und dürften mit ihren weltweit abgedruckten Fotos zum Ende der Aparatheid mit beigetragen haben. Es scheint aber auch der Versuch, mit diesem Film die Fotografengruppe, die nicht alle die Apartheid überlebten, auf ein Podest zu erheben.

Der Film ist angenehm geniessbar, in schönen Bildern gemacht, gut besetzt und gut gespielt und trotzdem werden die Massen wohl seinetwegen die Kinos nicht stürmen. Wieso?

Mir scheint das ein Problem der dramaturgischen Zubereitung des Stoffes und vielleicht auch der Absichten dahinter.

Die eine Absicht habe ich schon erwähnt, die ist sicher gut gemeint, aber bloss weil Leute gut dargestellt werden sollen, schier zu Helden gemacht, deswegen geht noch keiner ins Kino.

Das grössere Problem scheint mir die Übergewichtung der Gewissensproblematik zu sein, dies vielleicht als Folge des Versuches, diese Fotografen als gute, fast idealistische Menschen darzustellen, die aus diesem Grunde über Leichen gehen müssen. Ihr Geschäft ist nun mal die Bereitstellung von Fotomaterial über grausame, mörderische, menschenverachtende Ereignisse. Nur so können diese in die Öffentlichkeit getragen werden und zur Bewusstseinsbildung beitragen.

Mich würden vielmehr die Motive interessieren, warum einer sich so in Gefahr begibt – dass sie das tun, das wird ausgiebig geschildert bis sie selbst vor den Lauf von Heckenschützen geraten und einen der ihren verlieren.

Allerdings wage ich zu behaupten: kein Mench auf der Welt interessiert sich für allfällige Gewissensbisse eines Kriegsfotografen. Insofern dürfte die Regie falsche Akzente gesetzt haben, wenn sie die Fotografen anlässlich von Greueltaten ein leidendes Gesicht aufsetzen lässt. Denn der Fotograf ist in diesem Moment Jäger und darauf aus, das wichtige Bild aufzuspüren und zu schiessen.

Der Konflikt wird angesprochen, wie Kevin, der als zweiter der Gruppe den Pullitzerpreis erhält, im Interview gefragt wird, was denn aus dem Kind im Sudan, hinter dem schon der Geier wartet, dem Preisbild, geworden sei und Kevin keine Antwort hat. Auch die Reaktionen auf das Bild in der Redaktion sind ziemlich kitschig dargestellt, als reine Sentimentalität, die mit den spannenden Vorgängen um die Kriegsfotografie wenig zu tun haben.

Manche Filmemacher glauben, sie müssen immer eine Liebesgeschichte mitliefern, so auch Steven Silver, Autor und Regisseur dieses Filmes; die kommt meist sehr stereotyp daher, weil sie zum Vornherein nur als schmückendes Beiwerk gedacht war, was einer Liebesgeschichte selten bekommt; so auch hier: der Pullitzerpreisträger mit dem Bild eines vom Mob angezündeten Schwarzen, der entflammt herumtorkelt, fängt ein Verhältnis mit seiner Bildredakteurin an. Das hat, so billig wie das hier eingebaut wird, nichts mit der extremen Thematik der Kriegsfotografie zu tun, der allein der Autor/Regisseur offenbar misstraut. Und dann noch Aktfotografie von der Freundin. Ätsch.

Solche erfundenen Liebesnebengeschichten, und es ist nicht die einzige, verharmlosen vor allem die Geschichte, verwässsern sie, schaden dem eigentlichen Topos des Filmes; denn über die Hintergründe, warum diese Männer diesen Job machen, erfährt man nichts.

Gemauso billig der Versuch, die beginnende Prominenz der Gruppe nachzuzeichnen. Scheinheilige Auseinandersetzung mit dem Startum. Aber eben auch nicht richtig thematisiert, sondern billig- und massenblattmässig. Dürfte im Kino jedoch nicht verfangen. Der ganze Papparazzi-Shit. Statt dessen: Aussparung von Konflikten. Anschleimen an die Oberflächlichkeit – und vielleicht ans Publikum.

Honey 2

Tanz als Faktor zur Stabilisierung der Persönlichkeit und der gesellschaftlichen Stellung, um aus der Gosse und der Perspektivlosigkeit hinauszukommen. Ein bekanntes Sujet. Hier ist die Hauptfigur, und die hat ganz schön Pep und Power, Katerina Graham, die Maria Ramirez spielt und die es schaffen muss. Dazu die üblichen Spielchen mit Männern, dem Latino, dem sie eine Absage erteilt, weil sie ihn von früher kennt und den prototypisch weißen Nordamerikaner, schon recht langweilig, aber gut beherrscht in der Darstellungskunst, und so einen brauchen sie wohl auch fürs potentere weiße Publikum, also diese Überlegung scheint sehr laut in den Film hineinzuregieren, denn irgendwie nimmt man diese weiß-dunkle Liaison nicht so ganz ab, sowieso, was hat der junge Mann, der hier Brandon und nicht Romeo heisst, in dieser abgefuckten Gruppierung von verwahrlosten Kids zu suchen, die dann in der grossen Fernsehshow Dance-Battle, nach den üblichen Irrungen und Wirrungen und Widerständen und Verzweiflungen, auftreten und schliesslich siegen werden gegen die Gruppe, in der der Latino der Boss ist und die jahrelang auf die Siegerposition abonniert schienen. Das ist alles so absehbar, dass es also solches nicht spannend ist. Und was die Gruppe HD, wie sie sich nennt, allmählich aus dem Nichts an Show und Kostümen bringt, tja, das ist reine Operette und sowas von unwahrscheinlich, wie auch die ganzen Charaktere topfeben flach bleiben. Es scheint sich hier um ein nach Schnellrezept zusammengeschustertes Stück Film zu handeln, in welchem es vor allem darum geht, einem engen Focus an potentiellem Teenie-Publikum eine nahrungsarmes Häppchen an Tanzbedarf und schönen Körpern und zugegeben einigen lustigen Tanznummern zu zeigen. Besonders negativ wirkt die Verknüpfung mit der Fensehshow. Bei  Sendungen wie DSDS, da fiebern Massen mit, weil der Ausgang ungewiss ist, während er bei  einem Film 100% voraussehbar ist, wenn der live-Effekt wegfällt, so spannend wie eine tote Fliege. Die hätten wirklich lieber mehr Zeit und Sorgfalt auf die Story um Marie verwendet, weil die ist anfangs noch  der soziale Fall, der bei einer Betreuerin unterkommt und  einen Job kriegt, denn sie will ja ihr Leben in Griff kriegen. Ferner ist abgelutscht, wie ihre Bezugspersonen bei der Show mitfiebern. Da ist nicht mal richtig was zu Faden geschlagen. Es scheint als sei hier die Kalkulation gewesen, 80 Prozent des Filmes muss Musik und Tanz sein, das kann auch mal ein Tango mit Besenstiel oder mit dem Ladenbesitzer auf der Strasse vor dem Laden sein, oder Proben und den Rest müssen wir mit eiligen Dialogen, die ein Minimum an Geschichte suggerieren, füllen. Vor dem Finale gibt’s ein retardierendes Moment mit dem Versuch eines ernsthaften Gespräches von Maria, was nur noch als Bremsklotz wirkt, vielleicht, um den Film  nicht noch länger als unendliche zwei Stunden lang werden zu lassen.

The Tree of Life

Terence Malick konfrontiert uns mit einem Kino biblischen Ausmaßes, was die Grundfesten unseres Handelns und unserer Liebe auf den Prüfstand stellt.

In Cannes sollen Kritiker Buh geschrien haben; waren sie überfordert von dieser geballten Ladung Kino und Menschen- und Schicksalsforschung, die mehr Substanz enthält als ein ganzer Jahrgang des subventionierten deutschen Kinos?

Jack zu sein, das ist der Traum eines jeden Menschen: Wunschkind, alles stimmt beim Wunschkind. Das Wunschkind von O’Brain und seiner Frau heisst Jack. O’Brian wird gespielt von Brad Pitt und Frau O’Brain von Jessica Chastain. Der in dieses auf soliden Grundpfeilern aufgebaute Gefäss von einer Familie hineingeboren und hineingeborgen wird und darin aufwächst, dieser Jack, der ein hübscher Junge war, der wird, wenn er gross geworden ist, gespielt von Sean Penn. Und er sieht nicht mehr gut aus. Man würde ihm das Wunschkind nicht mehr unbedingt geben, wenn man ihn sieht im Gewirr der Hochhäuser in diesem modernen Wolkenkratzerlabyrinth mit rasenden Liften und geometrischen Gängen und nichts als Wolkenkratzerfronten um sich rum. Und ein ins Auge stechener Vogelschwarm, wie dressiert zur Irritation. Etwas muss da gründlich schief gelaufen sein. Oder der biblische Gott war kurz weg, hat nicht ganz aufgepasst.

Hiob 38, 4, 7, diese Bibelworte setzt Malick seinem Kino-Gottesdienst voran.
4 WO WARST DU ALS ICH DEN GRUND DER ERDE LEGTE?
7 ALS DIE MORGENSTERNE MITEINANDER JAUCHZTEN UND ALLE SÖHNE GOTTES JUBELTEN? Der Gott muss kurz weg gewesen sein. Er muss das Wunschkind Jack für einen Moment aus den Augen gelassen haben. Natur und Gnade: gibt es da eine Entscheidung, muss sich der Mensch dazwischen entscheiden? Natur dient nur sich selbst, herrscht durch den Willen. Geist und Natur gehen schon beim Einläuten des Malickschen Gottesdienstes eine heftige cineastische Symbiose ein. Der biblische Gott ist ungerecht. Er belohnt den Rechtschaffenen nicht oder nur nach Lust und Laune. Der biblische Gott ist launisch wie die Naturgewalten. Der biblische Gott ist furchtbar, ihn schert die menschliche Rechtschaffenheit nicht. Er mag zwar das Universum geschaffen haben, aber für Gerechtigkeit unter den Menschen, da hatte er keine Zeit. Da kann dem Menschen zum Hadern zumute werden. Aber die Gnade, die müsste doch für ein gutes Ende stehen.

WUNSCHKIND UND FAMILIE

Geburt des Erstgeborenen, Geborgenheit, die Taufe, Wiege in traumhaftem Lichte: ein Brüderchen ist da; Jacks erste Schritte, die Mutter liest Geschichten vor, Bilder von Trautheit und Vertrauen, die Kids spielen und balgen sich oder das glückliche Bild vom Filmplakat: Vater mit den zwei Buben dabei, Steine über die Wasserobfläche so zu werfen, dass sie hüpfen, flitschen; Impressionen einer glücklichen Kindheit in dem Häuschenviertel mit den breiten Strasssen und viel Platz; Buben, die spielen, werfen, kicken, Schlingel, die Blödsinn machen, rumtoben, Klassisches Orchester dazu. Seifenblasen. Spielen mit Holzfigürchen: Nashorn, 2 Krokodile, Känguruh, das hüpft. Kuchen: das ist mein Stück. Mit Vater einen Baum gepflanzt. Buben springen im Dampf hinter Strassenkehrmaschine her, auf der DDT steht. Eine trautes häusliches Wäscheaufhängebild. Dad ist auf Reisen. Nach der Chinareise geht die Familie italiensch essen, Vater: AL DENTE. Friede und Glück von Mutter mit Kindern zuhause. Wundversorgung. Die Knaben toben sich aus, mit Blechbüchsen oder mit Holz gegen Blechwand, schmeissen Scheiben ein in verlassenem Gebäude, zünden eine Rakete mit Frosch, hanging around. Lernen und Experimentieren. Das thematisiert der Vater auch.

JACK und die Linie, die er nicht überschreiten soll.

Halloween. Hexengeschichte, Masken.

In das ruhige Leben platzt ein Brief hinein, der den Tod eines 19jährigen verkündet. Oh Gott, warum hast du mich verlassen, Mutter ist unglücklich, my son, my son. Er ist nun in Gottes Hand; er war es immer. Jack entdeckt eine leere, dunkle Treppe, die in ein unbewohntes Zimmer unterm Dach führt. Er erlebt den Tod; er nimmt sehr sensibel die Grimassenöffnung einer Ruine als Signal von Negativem wahr. Gelegentlich hört man auch Vater oder Mutter ganz leise mit Gott hadern. Hiob. Hiob. Wie hat Mutter das ertragen.
Widerspruch zwischen Natur und Gnade anhand der Differenz des väterlichen und des mütterlichen Prinzipes. Macherprinzip gegen Dulderprinzip.

 

DER VATER

Die Natur. Das Herrschen. Das Prinzip des Willens, des Durchsetzens, des Erreichens. Vater steht aber auch für die Kultur. Er erzählt von Brahms. Er spielt Klavier. Er spielt Orgel. Das Tischgebet gehört zum Essen. Von der Chinareise bringt Vater den drei Buben Geschenke und Toilettentücher aus dem Hotel und Erzählungen (Trophäen?). Aber auch Vater hat Fehler gemacht, er wollte ein grosser Musiker werden – und ist dann in einem Industriebetrieb gelandet. Vaterprinzip: Something Big: einmal erzählt Vater über Frank Johan, der Frisör war, aber he built something big, er hatte dann Immobilien. Vater, der die Kunst des Möglichen, des Herrschens lehrt, Brutalität, keine Demut.

Die Prinzipien des Vaters und das Verhältnis zum Sohn : Liebst du Deinen Vater?
Reach me my lighter. Herrschen: der Sohn muss auf Sätze vom Vater immer mit „Sir“ antworten. Jack betet für sich, er wolle nicht mehr frech zu seinem Vater sein, nicht mehr die Hunde aufhetzen, wolle dankbar sein, nicht lügen. Die Welt ist eine Gaunerei.
Siehst Du mir zu (Gott). Wo bist Du. Ich will sehen was Du siehst. Vater spielt Orgel. Jack steht daneben: schon halbwüchsig. Jack muss 50 mal leise die Tür zu machen, weil er sie geknallt hat. Harte Erziehungsprinzipien, um die Welt in Griff zu kriegen. Vater gibt Jack Anweisungen, wie er zu boxen haben, er solle ihn schlagen. Hit me Jack!

Toscanini. Hat bei einer Aufnahme 65 mal aufgenommen und nachher gemeint, er könne es noch besser. (Naturbeherrschung und Perfektionismus). Vater: Das Schicksal liegt in Deiner Hand. No interruptions please. Vater in einen Repräsentationsgebäude alter Art, wie das Kapitol mit Kuppeln.

Papa spielt Klavier.

Gib dem Vater einen Kuss. Beim Sitzen auf dem Stuhl soll man ganz vorne sitzen, das ist besser für die Haltung. Vater zur Mutter: Du hetzt meine Kinder gegen mich auf!
Gewalt mit seiner Frau, er nimmt sie in Würgegriff. Vater kauert vorm Gemüsebett. Sohne kauert sich daneben. Ein Ansatz von vorsichtig vertraulichem Nebeneinander. Auch der Vater wollte geliebt werden, wie er gross war. Er fühlt sich als ein Nichts. Missachtet.
A foolish Man. Vater schlägt sich selbst ins Gesicht. Closing the Plant. Sein Betrieb macht dicht. Choice: no job oder einer, den keiner will. Vater liegt zwecks Reparatur unterm Auto. Sohn schleicht drum herum. Man kann seine Gedanken lesen; ein Schubs an den Wagenheber…
Dann spricht Jack halblaut für sich (etwas überdeutlich scheint mir), bitte Gott, bring ihn um.
Vaters Selbstmitleid, wie gut er war, nie krank, hat regelmässig was in die Sonntagskollekte getan, vielleicht war er zu streng zu Jack. Jack fühlt sich ihm ähnlich.
Die Jungs sind jetzt noch sein Lebenswerk, alles was er hat. Vater zu Jack: Unterbrich mich nicht. Jack: Du tust es auch. Es ist Dein Haus. Du kannst mich jederzeit rauswerfen.
Vater-Sohn-Konflikt heizt sich auf. Vater rastet aus und sitzt dann ganz allein am Tisch.

MACHERPRINZIP GEGEN DULDERPRINZIP

Jack schreit Vater an: sie liebt nur mich (gemeint die Mutter).

DIE MUTTER UND DAS PRINZIP DER GNADE

Was sie alles erleidet, erduldet, hinnimmt, ihr Mitgefühl, ihre Liebe. Mutter ist wohltätig. Unendliche Liebe der Mutter, die alles verzeiht und sich nicht gegen den Mann resp. den Vater von Jack wehren kann. Mutter ist naiv, man braucht Willen. Mutter. Liebe, tue Gutes, hoffe.

JACK UND DIE MUTTER

Warum wurde er (den Vater meint Jack) geboren? Das fragt er die Mutter

JACK UND DIE BRÜDER

Jack mit seinem Bruder im Wald. Sie schiessen. Ins Wasser. Dann schiesst er seinem Bruder in den Finger. Mit dem Flaubert-Gewehr. Dann eine versöhnliche Bruderliebe-Szene der beiden. Was ich machte, das darf ich nicht. Verlassene Hütte. Jack schmiegt sich an seinen Bruder.

SCHICKSAL.

Hiob und das Schicksal. Gibt es Dinge, die der Mensch nicht in der Hand hat? „Kann das jedem passieren“ fragt Jack, wie er einem armen Kerl in Ketten begegnet und ihm was zu trinken gibt. Jack allein zuhause. Eine festlich gedeckte Tafel. Und wieder die einsame Treppe auf den Dachboden. Ein Windspiel. Später schlägt er einen Ast gegen einen Baumstamm. Energie will raus. Aufgestautes. Wut vielleicht, die sich nicht in Bösem äussern will?

Konfirmationspredigt des Pfarrers. Bub allein auf der Strasse, versunken. Er ist nachdenklich mit einem Gesichtsausdruck: schau mich nicht an. Ein Zelt im Garten. Jack ist allein im Haus. Er ist fortan öfter allein zu sehen. Im Versuch, klare Gedanken zu bekommen zwischen all den Eindrücken, allein auf der Strasse, er geht durch Räume, nichts besonderes suchend, sich nicht materiell ablenkend. Er entdeckt in einer Schublade Frauenkleidung und Schmuck. Er hält ein weibliches Dessous vor sich. Er vergräbt es unter einem Brett. Es schwimmt im Wasser. Fantasien vielleicht. Brüche bei Jack. Später wird Jack dann die Holzfigürchen wegschmeissen, NO. Die Knaben beim Schwimmen, einer taucht nicht mehr auf. Beerdigung. All das sieht Jack sehr wach und fragt sich, ob es ihn auch treffen könne. Jack wieder allein auf der Strassse.

DER ALTE JACK

Penn in symbolischen Gegenden, Wüste, Rahmen, Türrahmen, Fenster, Fensterrahmen, Hightechbüros. Denkt täglich an den Vater. Wie leben mit diesem Unglück. Was ist aus dem Wunschkind geworden? Kerzen, Chöre, Natur, Begegnung im Walde mit seinem jüngeren Selbst, der geht voraus. Türsymbolik. Ist die Geschichte der Schlüssel zum Glück?
Meer. Hochhaus, Lift, Penn verwirrt dazwischen

Die Kirche, in der Malick seinen Gottesdienst feiert, in der er seine Hiob-Auslegung ausbreitet, ist ein barockes Gotteshaus über und über bemalt, in schier unerträglicher Fülle der Bilder, pathetischen, urweltlichen, mikro- und makrokosmischen, Farben, die ineinanderfliessen, Kerzenlicht, viel lyrische Malerei drum herum. Die Filmmalerei als Flash- und Experimentiermethode, unglaubliche Aufnahmen von Natur- und Allgewalt, Vulkane, Geysire, Wolken und Getöse. Aber durch das vorangegangene Kanzelwort, ist der Geist des Zuschauers auf eine ganz bestimmte Bahn gebracht, um dieser Bilderreizflut zu begegnen, um sich deren Sog entgegenstemmen zu können. Gedanken um die Endlichkeit des Menschen, die Existenz des Menschen, die in der reinen Schöpfergewalt doch nichts sei, oder vielleicht grade wie eine Blüte auf einem schnell fliessenden Bach. Und was dem Menschen bleibe, das Problem vor das sich Jacks Vater in dem Moment gestellt sieht, wo er den Job verliert. Da bleiben ihm nur noch die Familie, die Söhne.

Auch eine barocke Liturgie: Lichtspiele zu Sopran, extrem amerikanisch religiös.We crie to you, my soul, my son, hear us. My life, my search for you My child – Chorgesang. Merkwürdig, Hiob 38, 7, “miteinander jubilierten”…

Neubarocke Kinoleinwandbildmalerei:

Naturaufnahmen, Bäume, Wiesen, Gras, Unterwasseraufnahmen, Wind, Wolken, Boden, Geysir, Vulkan, Brandung, Glut, Feuer, Tropfen von Nah, Melange von Materialien. Strukturen, Blitze. Konvulsionen. Unterwasser. Quallen. Eruptionen. Urwald. Bächlein, Ungeheuer, animiert, Urzeitengetier. Eines erzieht das andere mit der Pfote, mit der es des anderen Kopf zu Boden drückt. Gewalt. Bilder, die an naturgeschichtliche Bilder-Bücher aus den 50er Jahren erinnern.

AUSKLANG

Unglück trifft auch die Guten. Wir sind nur Wolke, wie Baum. Gibt es etwas Unvergängliches? Ist jemand gefreit gegen Zerstörung? Unglück findet Euch überall. Rückblende: Wann hast du mein Herz zum ersten Mal berührt.

Symbolische Menschen, viele Menschen wie stilisiert auf einer sandigen Ebene am Rande des Meeres, eben von Wasser zugedeckt. Wüstenlandschaft. Aus der Wüste kam das Wort. Feierliche Chöre. Menschen auf Wasser und Sand. Mutter in grünem Kleid auf den alten Jack zu. Umarmung. Alles sehr symbolisch. Der Chor singt requiescet in coeli.
Sonnenuntergangsymbolik. Alte, faltige Hand berührt Mutter; Schnitt: jetzt ist die Hand jung. Sonne, Meer, Wolken, dunkle Gestalten, herabschwebende Maske, symbolisch, Haus am Strand, der Blick nach draussen,

Ich gebe ihn Dir. Ich gebe Dir meinen Sohn.

Brücke im Gegenlicht.  (mir fällt der Begriff „Brückentechnologie“ ein).

 

Yuki & Nina

Wie ein Stenogramm mit angehängter wunderschöner japanischer Landschaftsmalerei kommt mir dieser Film vor. Wobei sich der Begriff Stenogramm nicht auf die Machart bezieht, sondern auf das Buch, was sozusagen in Kurzschrift versucht zu erinnern, wie es zu der Entwicklung kam, um die es im Film geht; wobei es dem Betrachter überlassen bleibt, zu entscheiden, ob er eher einen Culture Clash oder doch nur eine traurige Scheidungsgeschichte von zwei Menschen, zwischen denen die Liebe erloschen ist, sehen möchte und den Folgen für die Kinder. Der erste Teil ist der stenogrammmässige, rationale französische Teil und spielt in Paris.

Das Vorspiel ist in gewissem Sinne bereits ein Entwurf über die Struktur der Thematik des Filmes; der Opa erzählt den Mädchen die Geschichte vom Fuchs und der Nachtigall, dass er sie einerseits gerne frisst, ihr aber genau so gerne zuhört. Auch ein Culture Clash, zumindest ein Widerspruch für den Fuchs, der ihm Probleme verschaffen könnte.

Die Hauptpersonen sind, wie der Titel sagt, Yuki und Nina, zwei neunjährige Mädchen. Nina ist Französin und lebt mit ihrer geschiedenen Mutter zusammen, Yuki ist Japanerin und lebt mit Vater und Mutter in Paris. Yuki und Nina kennen sich von der Schule.

Der steongraphische Teil des Filmes besteht aus einer Abfolge von Gesprächen über Dinge, die zu tun sind. Zwischen den Freundinnen, zwischen den Mädchen und den Müttern. Diese Gespräche werden absolut ernsthaft geführt, sehr sachlich, was vielleicht auch den Protokolleindruck vom Film verstärkt, was gleichzeitig eine ziemliche Distanz schafft, aus welcher man mit ungehindertem Interesse zuschauen kann und nichts verpasst; dadurch wirken die Kinder und auch die Erwachsenen sehr überzeugend.

Es geht um die Ferienplanung. Die Mutter gibt sie Nina bekannt. Nina fragt, was denn mit ihrer Freundin sein, ob die mitkommen dürfe. Von der Mutter aus schon. Aber da müsse man die Mutter von Yuki fragen. Die kommt bald bei Ninas vorbei um Yuki abzuholen. Jetzt wird das diskutiert. Yukis Mutter ist einverstanden, aber sie muss zuerst noch mit ihrem Mann reden und sie würde wohl nach Japan reisen.

Bevor Yuki mit ihrer Mutter zuhause ist, erklärt ihr diese, dass sie sich scheiden lassen werde und dass sie mit Yuki nach Japan zurückkehren würde. So ein Satz ist eine Bombe für jedes Leben, wie die Reaktion darauf gespielt wird, die Sprachlosigkeit von Yuki, das ist grandios. Und kein Gefühlsausbruch.

Die Mutter erklärt Yuki, dass das das Ende der Liebe sei, also dass man eben nicht mehr liebe. Und dass sie damit auch Yuki davor bewahren möchte, immer den Streit zwischen Vater und Mutter erleben zu müssen. Für Yuki ist das ein Problem. Denn die Mutter ist ja auch unglücklich darüber, dass sie sich trennt. Aber andernfalls ist sie auch unglücklich; ein unlösbares Problem, das möglicherweise mit eskapistischen Fantasien gelöst werden kann, der Culture Clash als Hilfsmittel?

Die beiden Mädchen sitzen auf einem Schränkchen in einer Wäscherei, lassen die Beine baumeln und auch die Gedanken und kommen auf die Idee, einen Liebesbrief an die Mutter zu schreiben. Dann schreiben sie. Nina hat eine Art Schmetterlingsflügel auf dem Rücken aus durchsichtigem Voile, Yuki hat ein Tuch in der Art eines Kimonos umgebunden. Für die Kinder ist es ein Problem, ob Mama wieder einen so guten Mann finden wird.

Umzugsvorbereitungen nach Japan bei Yukis.

Die Mädchen schreiben der Liebesfee einen Brief. Sie verstehen nicht, warum die Eltern sich trennen. Sie wollen kitten. Wieso trennen die sich, wenn es sie unglücklich macht. Irgendwie wollen sie nicht verstehen, dass man auch zusammen unglücklich sein kann. Mutter weint, es sei eben schwierig zusammen zu bleiben. Yuki liegt auf der Matratze im halbausgeräumten Zimmer. J’irai pas au Japon, tut sie der Mutter kund.

Jetzt hilft nur noch Weglaufen mit Nina. Yuki taucht mit Rucksack bei Nina auf, es muss alles schnell gehen. Nina kurz entschlossen, wir fahren zum Vater. Scheisse, sie stehen vor der U-Bahn, da kommt der Vater von Nina daher. Aber die beiden Mädchen können sich verstecken. Sie sind sehr selbständig und zielbewusst in der Metro unterwegs. In Richtung Land. Abhaugeschichte. Die Realität in ihrer widersprüchlichen Liebeslogik ist nicht mehr zu ertragen

Nina kennt sich aus. Findet die Schlüssel zu dem ländlichen Haus. Erst den zum Tor. Dann den zur Wohnung. Dort gucken sie sich um. Sie stellen im Kaminzimmer das Zelt auf. Auch das passiert alles hochvernünftig, très raisonnable. Im Zelt spinnen sie Märchengarn, sprechen von Werwölfen, über Feen und Trolle. Doch jetzt kommt die Nachbarin, die was gehört und einen Schlüssel hat. Sie kommt in das dämmrige Zimmer rein. Das Zelt ist umgekippt. Die Mädchen haben sich hinterm Kamin versteckt. Aber die Nachbarin merkt nichts. Alarm. Hier ist kein Bleiben.

Die beiden Mädchen gehen in den Wald. In den mystischen Wald selbstverständlich. Der ist so schön, mit Farnen und Moosen; sie kommen an der Monsterkröte vorbei. Auf einer schönen Lichtung machen sie das Pfandspiel, Handflächen aufeinander schlagen, dann das Augen-zu-Spiel UN, DEUX, TROIS, SOLEIL. Sorglosigkeit. Dann liegen sie im Gras, man sieht nur das Gras, auf die Wolken projizieren sie bekannte und unbekannte Figuren und Fratzen. Ein dumpfer Knall. Das schreckt sie auf. Sie laufen von der Wiese in den Wald. Jetzt fängt der Teil des Filmes an, der die japanische Tusch-Malerei der wunderschönsten Wald-Bilder erinnert, wie sie das Kino so dezent selten sieht (Trier, Godard, die haben neuerdings eine Schlagseite zu Rousseau bei ihren Waldbildern, die Japaner nicht).

Yuki läuft plötzlich weg, murmelt einen inneren Monolog, der als Indiz für die Culture-Clash-These herhalten könnte, sie entschuldigt sich bei Nina, dass sie wegläuft, dass sie sie allein lässt,
Derweil hat Nina aus Ästen einen hüttenähnlichen Unterstand gebaut

Hier im Wald scheinen mir die Mädchen sehr aufgeräumt, sie werden von der Regie offenbar angehalten dazu, leicht und fast überheblich zu spielen (der Wald ist auch eine Befreiungsaktion oder gar Initiation, um das blöde Wort zu bemühen) und auf keinen Fall realistische Ermüdung, gar Erschöpfung vom langen Gehen. Je länger sie gehen, desto leichter werden sie, desto frischer erscheinen sie.
Der Wald ist die Transformation – aber wohin…

Idylle am Wald, Yuki ist durch einen kleinen dunklen Spalt einer dichten Waldwand an den Rand einer Wiese getreten, wunderschönes Bild. Sie ist jetzt in Japan. Sie geht über die Reisfelder in Richtung einiger Häuser. Kinder auf Fahrrädern überholen sie, rufen ihr zu, Yuki. Dann sind sie bei der Oma, sie streiten sich um die Sitzpolster, richtig ausgelassen, ein bisschen overacted würde ich sagen; kaum anzunehmen, dass das zufällig ist; vielleicht ist der Traum von Yuki schrill und laut.

Die anderen Kinder werden von ihren Eltern abgeholt. Yuki bleibt zurück. Oma fragt, ob sie allein nach Hause könne. Sie geht zurück in den Wald, dort trifft sie den kauernden Papa. Dann sind alle versammelt vor der Hütte von Nina.

Jetzt kommt noch eine Art privates Homevideo mit Wackelkamera der beiden Freundinnen, sie haben Blumen gefunden. Und eine Videobotschaft aus Japan. Nina muss japanisch lernen.
Yuki ist im Auto unterwegs in Japan mit der Mutter. Yuki bittet Mutter plötzlich links ranzufahren. Sie finden das verlassene Haus der Grossmutter. Die Mutter erzählt, dass sie hier oft hergekommen ist zum Spielen. Yuki fragt die Mutter, was aus ihren Freundinnen geworden sei.
Romantische Landschaftsmalerei, ich würde sagen wirklich die deutsche Romantik gemeint, aber auf japanisch.
Im Abspann wird ein japanisches Lied gesungen: Die Fadenpflanze färbt Deine Finger, die Worte Deiner Eltern das Herz, das Schiff orientiert sich an den Sternen, die Eltern orientieren sich am Kind.

Klitschko

Irgendwann mag man sie nicht mehr sehen, diese Dokumentationen über Stars. Es ist immer dasselbe Schema. Einserseits muss ihr Aufstieg dokumentiert werden. Das heisst: Ausschnitte aus Fussballspielen, Autorennen, politischen Kämpfen oder wie hier aus Boxkämpfen, die alle schon durch die Medien gegangen sind und alle bekannt sein dürften. Dann muss in den Archiven der Promis gewühlt werden, Jugendfotos, Jugendvideos, erste Auftritte, Interviews, das Elternhaus, Aufstieg, Rivalitäten, Niederlagen, Rückschläge und am Schluss müssen sie sich irgendwie wieder fangen oder gefangen haben. Und sind alles Gladiatoren, Heroen unserer Zeit, mit kleinen Abweichungen, Kino beschränkt aufs Ikonenbuildung. Und dann noch ein frisch erzeugter Interviewstrang.

Das ist hier nicht viel anders. Wohltuend allerdings vor allem der erste Teil. Der Filmemacher geht an die Orte der Jugend der beiden Boxkämpfer Gebrüder Vitali und Vladimir Klitschko.

Da ihr Vater im Militär war, ein Offizier, ging ihre Jugend mit ständigen Umzügen durch die ganze frühere Sowjetunion. Man besichtigt Ruinen, Bauten, ein leeres Wohnhaus, wo die Familie zu fünft oder sechst zwei Jahre lang in einem einzigen Zimmer hauste. Kein fliessend Wasser. Bad draußen.

Zu sehen sind Bilder von der ersten Arbeiten nach dem Unglück von Tschernobyl, weil der Vater der beiden Boxer einen Aufräum-Trupp anführte. Er selbst hat sich Schäden zugezogen. Scheint aber gut medizinisch versorgt.

Die Klitschkos werden als kleine Familie mit einem festen Zusammenhalt vorgestellt. Das kam durch die dauernden Versetzungen des Vaters. Und diese führten auch dazu, dass sie an ihren jeweils neuen Orten angefeindet wurden und sich durchsetzen mussten. Es wird eine Anekdote berichtet, wie eine Mutter eines Schulkameraden zur Mutter Klitschkos kam, weil Vitali diesem das Nasenbein gebrochen hatte. Aber das war gerecht, meint er noch heute, denn der andere hatte ihm die Mütze in die Pfütze geworfen. Und das haben sie vom Vater gelernt, dass sie kämpfen müssen und zwar bis zum Sieg.

Das schien mir der interessantere Teil des Filmes, der weniger bekannte Background der Familie inklusive der Tschernobyl-Bilder. Die Hilfsflüge für Tschernobyl und die Katastrophenbekämpfung, die sind von einem Flugplatz direkt bei Klitschkos gestartet und dort wurden auch die Flieger und Autos und alles mit Wasser gereinigt und in diesem Wasser hat Vitali Papierschiffe fahren lassen. Er erzählt dann noch von den Fliegern, die Blei über der Unglücksstelle abgeworfen hätten.

Aber je länger der Film fortschreitet, je grösser der Erfolg wird, desto mehr Gewicht erhalten die Kämpfe, die Erfolge.

Zumindest für den geübten Fernsehzuschauer dürfte hier nicht mehr viel Unbekanntes dabei sein. Mancher  Kommentator, speziell Bernd Bönte mit dem Bambi neben sich auf dem Kaminsims, wird dann dorch arg penetrant und geschwätzig. Hier hätten dem Film einige Kürzungen wohl getan.

Fast wie aus einem Hollywood-Streifen muten die saukomischen Versteckt-Kamera-Bilder vom Treffen mit Don King an, kaum zu glauben, dass es wirklich so zugeht.

Dem Filmemacher Dehnhardt kann man zugute halten, dass er trotzdem immer wieder versucht hat, einen Kinofilm zu machen, mit schönen, atomosphärischen Städtebildern, Strandbildern dazwischen und die alle gut aufgenommen sind und auch immer wieder kinofreundliche Details: Aufnahmen vom Aufbau einer Boxarena, vom Pflaster auf dem Zeh, das Einbandagieren der Hände, das Anziehen der engen Boxhandschuhe, der Tunnelblick des Boxers vor dem Kampf, Anfruf an Mamma vom Bruder nach einem Kampf in der Sekunde des Sieges.

Die Eltern haben nie einen Kampf gesehen, Mama geht derweil allein spazieren. Charakterisierungen: Vitali sei aus Stein, der muss geschliffen werden und das hält, während Vladimir aus Ton sei, leichter formbar, der schneller bröselt. Vitali kann Kritik ertragen, er braucht sie auch zum Weiterkommen, Vladimir mag keine Kritik. Schönes Filmrequisit: der Lada, den sie in der SU hatten in der damals hippen Farbe „nasser Asphalt“, das heutige im Film dominierende Requisit: ein T-Shirt mit der Aufschrift „fit und geimpft“.

Was auch bleibt, ist der Eindruck einer starken physischen wie geistigen Präsenz der beiden Brüder. Dass der Film dort aufhört, wo beide Brüder zwei Weltmeistergürtel in der Hand halten, ist ihm nicht zu verdenken. Es gab noch ein kurzes Zwischenspiel von Vitali in Kiew in der Politik, aber dann hat er wieder gekämpft. Ab da hatte der Film sein Tempo praktisch auf Overdrive gestellt.

Maxime: Wenn Du gar nichts mehr hast, dann kannst Du boxen.

Fremd Fischen

Wer eine bevorstehende Heirat noch für ein Damoklesschwert über einer lebenslänglichen Entscheidung hält, bekommt hier seine leichte Boulevard-Ablach-Kompensations-Kost dazu. Denn davon lebt diese ordentlich gearbeitete Hochzeits-Komödie für das junge und nicht mehr ganz junge bürgerliche Beziehungsvolk. Nach dem alten Thema, wohin die Liebe fällt. Es ist ein Film von Frauen für Frauen, wenn auch der Regisseur ein Mann ist, der das Stück mit solidem Ostküstenhandwerk ins Lot gestellt und auf stimmiges Komödien-Tempo getrimmt hat, jungen Stars Gelegenheit für gute Präsentationen bietend. Garantiert kein Trash.

Darcy, gespielt von Kate Hudson, einem prägnanten jüngeren amerikanischen Schauspielerinnengesicht, wird bald heiraten. Sie möchte den Abschied vom Jungesellinnendasein an den Wochenenden mit ihren Freunden auf einem grosszügigen Landhaus in Hampton an der Küste geniessen.

Dummerweise verliebt sich ihre beste Freundin Rachel, auch ein angenehmes jüngeres amerikanisches Schauspielerinnengesicht, noch nicht chirurgisch entstellt, Ginniger Goodwin, in den Bräutigam.

Das allein macht die Situation schon kompliziert und verflixt genug an den Wochenenden. Aber eine gute Komödie braucht auch noch Nebenstränge, die der Komplikation weiter Nahrung geben. Hier sind es die Figuren Markus, der als Running Anmache-Gag immer die Geschichte vom Eichhörnchen, dessen Leben er gerettet hat erzählt, es braucht die Figur Ethan, der behauptet schwul zu sein, der Autor werden möchte und der als eine Art Berater und der Story Impulse verleihender Katalysator fungiert, der dann später nach London abhaut und last not least Dexter aus reichem Hause, der Bräutigam, dessen Eltern unter Elternliebe die standesgemässe Heirat der Kinder und als Hochzeitsgeschenk eine geleckte Villa ohne Atmosphäre verstehen.

Der Gesamteindruck ist der einer erstklassigen gehobenen Boulevard-Komödie in reichem Milieu, mit hübschen Darstellern, schnellen Dialogen, gutem Tempo, schönen Klamotten, generell einem kinokundenfreundlichen Design, angenehm besänftigender Musik und der passenden Geschichte dazu. Das muss man erst mal so hinkriegen. Und auch die deutsche Synchronisation, vor allem die der Frauenstimmen, kommt gut.

Eine Insel namens Udo

Was ist Viagra auf dem Heimtrainer? Ein Fahrradständer.
Damit dürfte das Witzniveau in diesem Film umzingelt sein oder: so tarnt sich ein Kassiber, der dem Kino eine kirchlich-christliche Message unterjubeln will nach der Methode: wie bastle ich aus einem Ideenbaukasten einen Film und verklickere ihn mit dem von oben herab angepassten Witzniveau dem Volke. Die Message lautet: jeder Mensch müsse sich in seiner Besonderheit oder in seinem individuellen Anderssein annehmen und könne dann glücklich werden wie andere auch. Kommt mir vor wie eine Kanzelpredigt. Aber oh weh, wenn die Kanzel versucht, sich dem Viagra-Heimtrainer-Niveau anzunäheren, resp. die Leute für nicht ganz dicht hält.

Der Baukasten, der durchaus liebenswürdig gestaltet ist, besteht aus zwei Teilen und könnte das Resultat von einem Workshop an einem Kirchentag gewesen sein, der eine zum Thema „Anderssein“ und der andere zum Thema „moderne Trauer- und Betattungskultur“. Denn das ist der andere Makel dieser Veranstaltung, dass sie sich gleich zwei Themen vornimmt.

Für meine Vermutung, dass es sich hier um das Produkt eines kirchlichen Arbeitskreises handle, spricht übrigens die Szene, in der ein Buch mit dem Titel „Die leckersten Gerichte aus der Bibel“ vor die Kamera gehalten wird. Ferner die Interpretation des Goaßlschnalzens als eines Versuches, den Unsichtbaren zu peitschen als Hinweis auf den Flagellantismus von Mönchen. Auch die häufig bemühte Klampfenmusik wäre eine Hinweis, zwar kein zwingender, aber ein möglicher, auf diesen kirchlich-jugendfreizeitlichen Hintergrund. Es könnte sich auch um Pfadfinder handeln, die eine gute Tat machen wollen.

Fangen wir mit der Nebengeschichte an, die mit dem Hauptthema ohne Gedankenakrobatik kaum in Verbindung zu bringen ist.

Fritzi Haberland, die Jasmin Koblach spielt, ist immer wieder mit der Bestattung ihres Vaters befasst. Dazu gibt es ausgiebige Gespräche über Särge und die Art der Bestattung; der Film möchte vermutlich kritisch die moderne Bestattungskultur beleuchten. Gehen Sie in diesen Spielfilm, denn hier gibt es eine kritisch-witzige Auseinandersetzung mit unserer Bestattungskultur! Lachen Sie über den Witz, der bei einem Beratungsgespräch passiert: fragt der Bestatter, ob Fritzi sich für eine Bestattungsart entschieden habe. Sagt Fritzi, der Verblichene habe gerne am Kamin gesessen. Reaktion des Bestatters: also Verbrennung.

Weiter zum Toten, dem zu Bestattenden: er war Reiseschriftsteller, selbst aber nie auf Reisen, er hat alles aus Büchern abgeschrieben oder erfunden. Wie die Tochter Jasmin selbst auf Reisen ging, hat sie die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Vaters Büchern bemerkt und ihm Karten geschrieben, um ihn auf die Fehler aufmerksam zu machen. Diese Karten findet Fritzi bei der Hinterlassenschaft ihres Vaters. Weitere wichtige Info zum Vater, er habe nie Hilfe in Anspruch genommen. Nun ja, das muss man wohl wissen, wenn man sich für die Insel Udo interessiert.

Der Bausatz für die Haupthandlung besteht aus der Figur Udo. Sein Problem ist faszinierend. Er wird einfach von niemandem beachtet. Er ist praktisch unsichtbar. Er kann problemlos einem Menschen, der an einer Bar sitzt, den Espresso wegtrinken, der sieht es nicht. Oder einem Gast das Kuchenstück wegessen. Das wäre eigentlich ein abgrundtief tragikomisches Thema. Aber leider belässt es der Film bei der Idee, illustriert diese zwar, geht ihr aber nicht auf den Grund. So bleibt denn alles oberflächlich.

Udos Eigenschaft der Unsichtbarkeit ist ideal für den Job als Kaufhausdetektiv. Denn keiner beachtet ihn und wer nicht beachtet wird, der kann hervorragend beobachten. So weit so gut überlegt von den Bastlern dieses Filmes.

Auch die Beziehungsfiguren zu Udo im Kaufhaus sind passend gewählt. Die Transe von Friseuse, ein Ausländer mit Moustache, Italiener oder Spanier und ein Finne mit dem gebrochenen Deutsch. Aussenseiter auch diese. Gleich und gleich gesellt sich gern. Man ist tolerant.

Ähnlich verhält es sich mit den Dieben, die Udo erwischt – oder auch laufen lässt. Die Dame, die Wäsche klaut oder der Alte, der den Kaviar für seine Frau mitlaufen lässt. Auch diese Szenen finden nach den Entwicklungen der Hauptfigur einen passenden Abschluss.

Die Entwicklung von Udo, die die Message des Filmes rechtfertigen soll, ist nun die: Jasmin, die Managerin bei einer Hotelkette ist (aha, sie reist ja gerne) beobachtet Udo beim Fremdkaffetrinken und Fremdkuchenessen, sie ertappt ihn dabei, stellt ihn zur Rede, denn sie sieht ihn. Das ist für Udo eine ganz neue, schockierende Erfahrung, die aber auch eine Liebesgeschichte auslöst und ihn im Beruf versagen lässt, denn plötzlich ist er auch für die anderen nicht mehr unsichtbar und kann nicht mehr ungeniert die Diebe beobachten. Das müsste allerdings noch erklärt werden, warum er für die anderen, bei denen keine Liebe im Spiel ist, jetzt plötzlich auch sichtbar ist. Das ist nicht mehr als eine Behauptung, die der Message, die sich der Film vorgenommen hat, nützlich ist. Ob sie logisch ist, sei dahin gestellt.Kaum liebt er, sieht man ihn, kaum liebt er nicht mehr, sieht man ihn nicht mehr. Anderssein oder Wie-die-Anderen-Sein auf Knopfdruck. Merkwürdig.

Die Liebe allerdings, das wird sich schnell rausstellen, die ist nicht für Udo gemacht oder Udo nicht für die Liebe oder zumindest nicht für die Liebe mit Jasmin, denn da sind ihre Eltern davor. Ihr Vater wird dargestellt von Jan Gregor Kremp, einem Fernsehschauspieler, der schon beim ersten Auftritt so grinst, als finde er es saulustig, in dieser Sichtbar-Unsichtbar-Welt vorbeizuschauen und noch Geld dafür zu kriegen. Wie eine Drohung wirkt somit due Ankündigung eines Essens von Udo mit Jasmin bei deren Eltern. Und wird tatsächlich wahr gemacht. Udo benimmt sich bei Begegnungen mit diesem Vater vollkommen daneben. Irgendwie logisch. Und er bemerkt dann selber, dass er anders sei, nicht für ein konventionelles Leben gemacht, dass er sein Anderssein, sein Unsichtbarsein annehmen müsse. Ab dem Zeitpunkt wird er wieder unsichtbar, seine alte Welt ist wiederhergestellt und als Kaufhausdetektiv ist wird er wieder erfolgreich.

Die Liebe wird hiermit apostrophiert als ein Ausrutscher aus der eigenen schicksalshaften Identität, welche offenbar nicht für die Liebe gemacht ist. Hm, doch eine seltsame Message, die uns Markus Sehr verklickern will, und gar nicht christlich, eher schicksalergeben islamisch, der Mensch habe sein Schicksal anzunehmen und nur so könne er glücklich sein. Fatal fatalistisch und weit entfernt zumindest von aufklärerisch europäischem Geist. Schade eigentlich, das wären alles sehr spannende Fragen, dass die letztlich nur als dünne Behauptungen ohne jede Vertiefung stehen bleiben. Sehr, der Autor und Regisseur, hätte wirklich besser das Thema vertieft, statt sich mit billigen Hinweisen auf Fernsehgrössen (Hannelore Elsner muss herhalten für eine Apostrophierung als Anne Frank oder auch Gottschalk muss verbraten werden und wieso wird Udo als der Goethe der Kaufhausdetektive bezeichnet) an ein Publikum anbiedern zu wollen, was einen solchen Film garantiert nicht im Kino schauen wird, weil dadurch auch das Komödientempo unter die Räder kommt.

Hana, Dul, Sed

Diese Dokumentation ist interessant, weil sie aus einem immer noch nur schwer zugänglichen Land und einer totalitären Diktatur mit einem fast gottgleichen Führer berichtet, aus Nordkorea. Aus einem Land, in dem  Menschen hungern, davon kann selbstverständlich in einem solchen Film nicht die Rede sein, denn dafür hätte es keine Drehgenehmigung gegeben, aber für Stars der weiblichen Fussballnationalmannschaft, die bei verschiedenen Tournieren international Aufsehen errregt haben, und die also auch ins Ausland reisen konnten, die selber in Nordkorea privilegiert leben, nämlich in Wohnungen, die ihnen der General oder der Führer zur Verfügung gestellt hat und die bei der Essensration, die monatlich einmal eingekauft werden kann, Extras erhalten, die zu filmen schien nach langer Anlaufszeit und verschiedenen Treffen auf Tournieren ausserhalb von Nordkorea dann doch möglich.

Und nur ganz am Rande, als Schnittmaterial sozusagen, konnte die Regisseurin Brigitte Weich Bilder einfügen, die einen Hauch von einer Idee der Stimmung in diesem für uns abgeschlossenen, menschenfeindlichen Lande geben.

Unser Bild von Nordkorea ist ein Nicht-Bild, wie vielleicht früher vom Eisernen Vorhang; den Subtext der westlichen Propaganda empfinde ich immer so, als wolle er uns suggerieren, dort lebten gar keine Menschen, sondern Ungeheur, unterdrückende und unterdrückte. Nur Zombies. So überraschen mich dann eher die Gemeinsamkeiten mit unserer Gesellschaft, die sich in einer solchen Dokumentation finden, denn die Unterschiede.

Pokale sammeln und in einem Schränkchen zuhause ausstellen, das tun Sportler in Nordorea wie in Deutschland. Sich geehrt fühlen wenn politische Grössen einen auszeichnen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Privilegien geniessen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Die Mannschaft wird in Nordkorea bejubelt, wenn sie im Ausland einen Sieg holt, so geht es einer deutschen Mannschaft in Deutschland auch. Und nordkoreanische Sportlerinnen reden im Interview nicht anders als deutsche. Die Amerikaner für Zombies halten, das tun die Nordkorener genauso wie wir, wie schon erwähnt, die Koreaner für Zombies halten. Den sportlichen Erfolg wollen, das tun die vier hier portraitierten nordkoreanischen Fussballerinnen genau so wie deutsche Fussballerinnen. Jene kämpfen für Nordkorea. Unsere kämpfen für Deutschland. Das war jetzt gewissermasen ein Extempore zu dem was im Film zu sehen ist, der sich um die nordkoreanische Frauenfussballnationalmannschaft kümmert.

Es gibt Bilder, die man schon kennt von Nordkorea: vom grossen Denkmal für den grossen Führer und die heroisierenden Wandgemälde, die leeren Prunkstrassen, prachtvolle U-Bahnhöe, Wolkenkratzer, Menschen in Gruppen und in Uniformen; oder die Stars, Menschen, die auch nicht aus ihrer Haut raus können, die alles fürs Vaterland und den Führer tun, die als Sportler Karriere machen und dann vom General einen Brief kriegen, der ihnen ganz kostbar ist.

Die vier Sportlerinnen, die sich die Regisseurin für diese Dokumentation ausgesucht hat, die in Aktion zu sehen, wie diese eher kleinen Frauen, gelegentlich fast Bällen gleich über den Rasen schiessen, das ist schon beeindruckend. Es sind vife junge Frauen. Die Regisseurin hat Material aus ihrer aktiven Zeit mit grossen internationalen sportlichen Erfolgen und jetzt einige Jahre später nach dem Ende ihrer sportlichen Karriere in diesem Film zusammengestellt.

Dem Film voran setzt Brigitte Weich ein Zitat von Kim Jong II (das dürfte auch der Gastfreundschaft geschuldet sein): Grosse Ideologie schafft grosse Zeiten. Dann folgt ein Zitat von Simone de Beauvoir: Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.
Damit dürfte Weich den ideologischen Spagat eines solchen Filmes elegant gelöst haben, ohne sich selbst zu verraten. Dann spielt sie einen koreanischen Song über Frauen ein: Frauen sind Blumen, Frauen sind die Blumen des Landes.

Nacheinander folgen kleiner Portraits der vier Sportlerinnen aus ihrer aktiven Zeit, einer Stürmerin, einer Verteidigerin, einer Mittelfeldspielerin und einer Torhüterin; sie erzählen über ihren Einsatz für den grossen Führer, von ihren Privilegien, von ihren Erfahrungen, von Spielen, vom Erfolg, auch von der mühsamen Anerkennung in ihren Familien, die dann erst kam, wie sie am TV zu sehen waren (auch das ist nicht anders als bei uns) und wie der Vater der einen ganz stolz war und in jeder Spielerin im TV seine Tochter zu erkennen glaubte, oder die Mutter, die nicht verstehen kann, dass ihre Prinzessin Fussball spielt; (auch diese Probleme gibt es bei uns haargenau gleich, wenn ein Kind aus dem elterlichen Milieu ausbricht und etwas Exponiertes macht oder werden will, gar ein Medienstar – no difference). Auch die Beeindrucktheit dadurch, dem General Blumen überreichen zu dürfen. Die Verteidigerin philosophiert darüber, wie man aus der Verteidigung heraus den Angriff startet. Dann die Ehrungen Erster Klasse der Nationalflagge. Auch bei uns sind die Leute scharf auf Ehrungen, Sportler des Jahres, eine der Spielerinnen zeigt ihren Glasschrank mit Geschenken und Auszeichnungen drin; sieht bei unseren Sportlern kein Deut anders aus. Oder eben der Stolz über eine handschriftliche Notiz vom General.

Sie erzählen von ihrem Gastspiel in den USA, oder wie sie als Sportlerinnen trotz Nahrungsnot mit genügend Reis versorgt werden. Sie nehmen das auch ganz selbstverständlich an, dieses Privileg. Oder sie erzählen von den negativen Gefühlen gegen die Japaner, weil die Mutter der einen im Krieg noch schlimme Dinge erlebt hatte. Oder dasss die Japaner die Koreaner  schimpften, sie würden nach Knoblauch stinken. (Nun soll also keiner so tun, als kennten wir keine Vorurteile).

2004 kam dann das Ende der Aktivzeit der vier portraitierten Spielerinnen, die Mannschaft wurde radikal umgebaut und erneuert. Eine war immer schon seit den frühen Neunzigern, also praktsich vom Anfang an dabei.

Dann portraitiert die Filmemacherin die vier Frauen auf ihrem weiteren Lebensweg, die eine studierte an der Sportuni und will Torhütertrainerin für Frauenfussbal werden, sie wäre dann erst die zweite im Lande, die andere arbeitet bei einer Firma, die Natursteine bearbeitet; eine sieht man im Sprachlabor Englisch lernen; eine wird Hausfrau werden, also heiraten, sie hat ihren Mann über eine Vermittlung gefunden, sie gehen rudern und der Mann meint, wie die Nadel dem Faden so folge die Frau dem Manne.

Es wird erwähnt, dass der General erwarte, dass man sich fein mache für die Auslandsauftritte, das ist bei uns auch nicht anders, wenn man bedenkt, welch ein Getue herrscht über die Uniformen der nationalen Sportler bei einer Olmypiade oder einer Weltmeisterschaft.

Es gibt einen Blick in einen gut gefüllten Lebensmittelladen, Frauen stehen da und holen ihre monatliche Ration, das wird von Hand in ein Buch eingetragen und hier erfahren wir vom Privileg der Sportlerinnen.

Eine Frau, die bereits ein Kind hat, besucht mit Mutter und Tochter und Kamerateam den Zoo, man sieht einen Berner Sennenhund in einem Raubtierkäfig und einen deutschen Hund und auch Katzen, wie traurig. Man besucht eine Kinderkrippe, wo die Kinder schon von ganz klein auf indoktriniert werden, wer stellt sich vor das Bild und sagt, was drauf ist, das ist unser Führer, wie er jung war; oder sie stehen um das Modell einer exklusiven Villa in einem Walde herum und die Lehrerin erzählt, dass hier der Führer geboren wurde. (Uns bestens bekannt das Getue um die Geburtshäuser von Prominenten). Oder man sieht die Nannies, die Kleinkinder in den Mittagschlaf wiegen.
Eine will gar nicht heiraten, sie trauert der Freundschaft nach, hat vor allem noch mit einer Fussballkollegin Kontakt, aber durch die gemeinsame Zeit werden sie wohl Freundinnen bleiben.

Der Titel Hana Dul Sed, was Eins, Zwei, Drei auf Koreanisch bedeutet, nun, da gabs doch mal, One, Two Three, Billy Wilder, richtig, worum gings da noch, genau: um den Kapitalismus und den Kommunismus. Und worum geht’s bei Brigitte Weichs Hana Dul Sed? Genau, um nichts anderes als um den Kommunismus und den Kapitalismus.

Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel

Für die Freunde der Italianitá italienischer Filmkomödien mit der Commedia del Art als einem ihrer Vorfahren. Für die Freunde jenes italienischen Films, dem das „Scherzare“, das Frozzeln, das Flachsen, das Sich-einen-Spass-machen aus dem  Spiel mit  den menschlichen Unzulänglichkeiten wichtiger ist als eine tiefsinnige, hieb- und stichfeste Story. Für die Freunde des italienischen Sommerschwankes.

Für den Kinofreund, den ein beschissener deutscher Titel nicht vom Kinobesuch abhalten kann, einen Film, dessen italienischer Titel auch nicht viel ergiebiger ist, das ewige Thema, Frauen gegen Männer, Femmine contro Maschi.

(Anna will ihren Piero denk- und ethikmässig ummodeln (reformatore). Piero hat schönen Weibern nachgeguckt, ist dabei gegen einen Laternenpfahl gelaufen und hat so einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Anna will nun die Chance nutzen, bei der Rekonstruktion dieses Gedächtnisses Veränderungen hinsichtlich Vorlieben und Werten von Piero vorzunehmen. Marcello spielt einmal im Jahr seiner Oma die intakte Familie vor, von der er längst schon getrennt lebt. Rocco ist Pedell einer Schule, hat ein Verhältnis mit einer Lehrerin, sammelt leidenschafltich Fussballerbildchen, tauscht sie mit den Kids. Die Lehrerin schmeisst ihn raus. Die Männer verbindet die Liebe zu den Beatles und den Ehrgeiz, endlich im jährlichen Festival Beatlemania mit ihrer Retro-Band zu gewinnen. Werden sie es diesen Sommer schaffen bei all den privaten Komplikationen, die im Film in eben dieser vergnüglich italienischen Art und Weise behandelt werden?)