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Hana, Dul, Sed

Diese Dokumentation ist interessant, weil sie aus einem immer noch nur schwer zugänglichen Land und einer totalitären Diktatur mit einem fast gottgleichen Führer berichtet, aus Nordkorea. Aus einem Land, in dem  Menschen hungern, davon kann selbstverständlich in einem solchen Film nicht die Rede sein, denn dafür hätte es keine Drehgenehmigung gegeben, aber für Stars der weiblichen Fussballnationalmannschaft, die bei verschiedenen Tournieren international Aufsehen errregt haben, und die also auch ins Ausland reisen konnten, die selber in Nordkorea privilegiert leben, nämlich in Wohnungen, die ihnen der General oder der Führer zur Verfügung gestellt hat und die bei der Essensration, die monatlich einmal eingekauft werden kann, Extras erhalten, die zu filmen schien nach langer Anlaufszeit und verschiedenen Treffen auf Tournieren ausserhalb von Nordkorea dann doch möglich.

Und nur ganz am Rande, als Schnittmaterial sozusagen, konnte die Regisseurin Brigitte Weich Bilder einfügen, die einen Hauch von einer Idee der Stimmung in diesem für uns abgeschlossenen, menschenfeindlichen Lande geben.

Unser Bild von Nordkorea ist ein Nicht-Bild, wie vielleicht früher vom Eisernen Vorhang; den Subtext der westlichen Propaganda empfinde ich immer so, als wolle er uns suggerieren, dort lebten gar keine Menschen, sondern Ungeheur, unterdrückende und unterdrückte. Nur Zombies. So überraschen mich dann eher die Gemeinsamkeiten mit unserer Gesellschaft, die sich in einer solchen Dokumentation finden, denn die Unterschiede.

Pokale sammeln und in einem Schränkchen zuhause ausstellen, das tun Sportler in Nordorea wie in Deutschland. Sich geehrt fühlen wenn politische Grössen einen auszeichnen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Privilegien geniessen, das tun Sportler in Nordkorea wie in Deutschland. Die Mannschaft wird in Nordkorea bejubelt, wenn sie im Ausland einen Sieg holt, so geht es einer deutschen Mannschaft in Deutschland auch. Und nordkoreanische Sportlerinnen reden im Interview nicht anders als deutsche. Die Amerikaner für Zombies halten, das tun die Nordkorener genauso wie wir, wie schon erwähnt, die Koreaner für Zombies halten. Den sportlichen Erfolg wollen, das tun die vier hier portraitierten nordkoreanischen Fussballerinnen genau so wie deutsche Fussballerinnen. Jene kämpfen für Nordkorea. Unsere kämpfen für Deutschland. Das war jetzt gewissermasen ein Extempore zu dem was im Film zu sehen ist, der sich um die nordkoreanische Frauenfussballnationalmannschaft kümmert.

Es gibt Bilder, die man schon kennt von Nordkorea: vom grossen Denkmal für den grossen Führer und die heroisierenden Wandgemälde, die leeren Prunkstrassen, prachtvolle U-Bahnhöe, Wolkenkratzer, Menschen in Gruppen und in Uniformen; oder die Stars, Menschen, die auch nicht aus ihrer Haut raus können, die alles fürs Vaterland und den Führer tun, die als Sportler Karriere machen und dann vom General einen Brief kriegen, der ihnen ganz kostbar ist.

Die vier Sportlerinnen, die sich die Regisseurin für diese Dokumentation ausgesucht hat, die in Aktion zu sehen, wie diese eher kleinen Frauen, gelegentlich fast Bällen gleich über den Rasen schiessen, das ist schon beeindruckend. Es sind vife junge Frauen. Die Regisseurin hat Material aus ihrer aktiven Zeit mit grossen internationalen sportlichen Erfolgen und jetzt einige Jahre später nach dem Ende ihrer sportlichen Karriere in diesem Film zusammengestellt.

Dem Film voran setzt Brigitte Weich ein Zitat von Kim Jong II (das dürfte auch der Gastfreundschaft geschuldet sein): Grosse Ideologie schafft grosse Zeiten. Dann folgt ein Zitat von Simone de Beauvoir: Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.
Damit dürfte Weich den ideologischen Spagat eines solchen Filmes elegant gelöst haben, ohne sich selbst zu verraten. Dann spielt sie einen koreanischen Song über Frauen ein: Frauen sind Blumen, Frauen sind die Blumen des Landes.

Nacheinander folgen kleiner Portraits der vier Sportlerinnen aus ihrer aktiven Zeit, einer Stürmerin, einer Verteidigerin, einer Mittelfeldspielerin und einer Torhüterin; sie erzählen über ihren Einsatz für den grossen Führer, von ihren Privilegien, von ihren Erfahrungen, von Spielen, vom Erfolg, auch von der mühsamen Anerkennung in ihren Familien, die dann erst kam, wie sie am TV zu sehen waren (auch das ist nicht anders als bei uns) und wie der Vater der einen ganz stolz war und in jeder Spielerin im TV seine Tochter zu erkennen glaubte, oder die Mutter, die nicht verstehen kann, dass ihre Prinzessin Fussball spielt; (auch diese Probleme gibt es bei uns haargenau gleich, wenn ein Kind aus dem elterlichen Milieu ausbricht und etwas Exponiertes macht oder werden will, gar ein Medienstar – no difference). Auch die Beeindrucktheit dadurch, dem General Blumen überreichen zu dürfen. Die Verteidigerin philosophiert darüber, wie man aus der Verteidigung heraus den Angriff startet. Dann die Ehrungen Erster Klasse der Nationalflagge. Auch bei uns sind die Leute scharf auf Ehrungen, Sportler des Jahres, eine der Spielerinnen zeigt ihren Glasschrank mit Geschenken und Auszeichnungen drin; sieht bei unseren Sportlern kein Deut anders aus. Oder eben der Stolz über eine handschriftliche Notiz vom General.

Sie erzählen von ihrem Gastspiel in den USA, oder wie sie als Sportlerinnen trotz Nahrungsnot mit genügend Reis versorgt werden. Sie nehmen das auch ganz selbstverständlich an, dieses Privileg. Oder sie erzählen von den negativen Gefühlen gegen die Japaner, weil die Mutter der einen im Krieg noch schlimme Dinge erlebt hatte. Oder dasss die Japaner die Koreaner  schimpften, sie würden nach Knoblauch stinken. (Nun soll also keiner so tun, als kennten wir keine Vorurteile).

2004 kam dann das Ende der Aktivzeit der vier portraitierten Spielerinnen, die Mannschaft wurde radikal umgebaut und erneuert. Eine war immer schon seit den frühen Neunzigern, also praktsich vom Anfang an dabei.

Dann portraitiert die Filmemacherin die vier Frauen auf ihrem weiteren Lebensweg, die eine studierte an der Sportuni und will Torhütertrainerin für Frauenfussbal werden, sie wäre dann erst die zweite im Lande, die andere arbeitet bei einer Firma, die Natursteine bearbeitet; eine sieht man im Sprachlabor Englisch lernen; eine wird Hausfrau werden, also heiraten, sie hat ihren Mann über eine Vermittlung gefunden, sie gehen rudern und der Mann meint, wie die Nadel dem Faden so folge die Frau dem Manne.

Es wird erwähnt, dass der General erwarte, dass man sich fein mache für die Auslandsauftritte, das ist bei uns auch nicht anders, wenn man bedenkt, welch ein Getue herrscht über die Uniformen der nationalen Sportler bei einer Olmypiade oder einer Weltmeisterschaft.

Es gibt einen Blick in einen gut gefüllten Lebensmittelladen, Frauen stehen da und holen ihre monatliche Ration, das wird von Hand in ein Buch eingetragen und hier erfahren wir vom Privileg der Sportlerinnen.

Eine Frau, die bereits ein Kind hat, besucht mit Mutter und Tochter und Kamerateam den Zoo, man sieht einen Berner Sennenhund in einem Raubtierkäfig und einen deutschen Hund und auch Katzen, wie traurig. Man besucht eine Kinderkrippe, wo die Kinder schon von ganz klein auf indoktriniert werden, wer stellt sich vor das Bild und sagt, was drauf ist, das ist unser Führer, wie er jung war; oder sie stehen um das Modell einer exklusiven Villa in einem Walde herum und die Lehrerin erzählt, dass hier der Führer geboren wurde. (Uns bestens bekannt das Getue um die Geburtshäuser von Prominenten). Oder man sieht die Nannies, die Kleinkinder in den Mittagschlaf wiegen.
Eine will gar nicht heiraten, sie trauert der Freundschaft nach, hat vor allem noch mit einer Fussballkollegin Kontakt, aber durch die gemeinsame Zeit werden sie wohl Freundinnen bleiben.

Der Titel Hana Dul Sed, was Eins, Zwei, Drei auf Koreanisch bedeutet, nun, da gabs doch mal, One, Two Three, Billy Wilder, richtig, worum gings da noch, genau: um den Kapitalismus und den Kommunismus. Und worum geht’s bei Brigitte Weichs Hana Dul Sed? Genau, um nichts anderes als um den Kommunismus und den Kapitalismus.

Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel

Für die Freunde der Italianitá italienischer Filmkomödien mit der Commedia del Art als einem ihrer Vorfahren. Für die Freunde jenes italienischen Films, dem das „Scherzare“, das Frozzeln, das Flachsen, das Sich-einen-Spass-machen aus dem  Spiel mit  den menschlichen Unzulänglichkeiten wichtiger ist als eine tiefsinnige, hieb- und stichfeste Story. Für die Freunde des italienischen Sommerschwankes.

Für den Kinofreund, den ein beschissener deutscher Titel nicht vom Kinobesuch abhalten kann, einen Film, dessen italienischer Titel auch nicht viel ergiebiger ist, das ewige Thema, Frauen gegen Männer, Femmine contro Maschi.

(Anna will ihren Piero denk- und ethikmässig ummodeln (reformatore). Piero hat schönen Weibern nachgeguckt, ist dabei gegen einen Laternenpfahl gelaufen und hat so einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Anna will nun die Chance nutzen, bei der Rekonstruktion dieses Gedächtnisses Veränderungen hinsichtlich Vorlieben und Werten von Piero vorzunehmen. Marcello spielt einmal im Jahr seiner Oma die intakte Familie vor, von der er längst schon getrennt lebt. Rocco ist Pedell einer Schule, hat ein Verhältnis mit einer Lehrerin, sammelt leidenschafltich Fussballerbildchen, tauscht sie mit den Kids. Die Lehrerin schmeisst ihn raus. Die Männer verbindet die Liebe zu den Beatles und den Ehrgeiz, endlich im jährlichen Festival Beatlemania mit ihrer Retro-Band zu gewinnen. Werden sie es diesen Sommer schaffen bei all den privaten Komplikationen, die im Film in eben dieser vergnüglich italienischen Art und Weise behandelt werden?)

Der Mann der über Autos sprang

Inhaltlich ist der Film leider kaum mehr als ein Studentenulk, statt „Warten auf Godot“ heißt es „Warten auf den ADAC“ (erstens kommt er dann und zweitens ist es der AGB); der Kommentar „nobody ist perfect“ gilt nicht einem delikaten Thema wie der Schwulität (wie bei Billy Wilder), sondern lediglich dem Polizistenberuf und bevor sich der Witz vollkommen erschöpft, wird der Zauberer von Oz noch schnell zum Scharlatan relativiert.

Sonst ist es großes Startheater – umso schader um die Müh! – den Stars wird ihr Startum gelassen, sie werden von der Regie pfleglich behandelt, von der Maske fast undurchlässig geschminkt (es bleiben kaum sichtbare Schminkspuren am Hemd des weißen Kragens von Robert Stadlober, dem Protagonisten in der Rolle des Julian, dem Mann, der über Autos sprang); sie werden ins rechte Licht gerückt und kommen so oft in Großaufnahme vor, damit dem Zuschauer ja nichts von der Mimik, dem Lachen oder der Verlegenheit oder auch mal der Wut entgeht; dadurch aber geht der kaum vorhandene und außerdem rückwärts gesponnene Faden der Geschichte gänzlich verloren. (Wobei zu fragen ist, ob hier nicht ein Startum gepflegt wird, das doch sehr altmodisch anmutet).

Die Idee zum Faden einer Geschichte ist durchaus da: es ist eine Art Pilgerreise zu Fuß von Berlin bis zum Schwarzwald mit dem Zwecke, durch die Energie des Gehens dem herzkranken Vater eines Freundes zu helfen; der Faden wird aber so verzwickt gelegt, dass man so gut wie nie den Eindruck bekommt, der Pilger und seine wechselnden Begleitungen würden sich auch nur 100 Meter vom Fleck bewegen, umso mehr, als in der zirkulären Bewegung auch immer wieder dieselben Figuren auftauchen, allen voran Jessica Schwarz, eine Ärztin, der Julian immer wieder begegnet und die dann schon wieder da ist, wo er erst hinkommt (so gings auch dem Hasen mit dem Igel) obwohl er sie erst gerade hinter sich gelassen hat.

Die Kamera verzichtet auf Sprünge, sie verzichtet darauf den Protagonisten am einen Ort aus der Kamera laufen zu lassen, um ihn dann unsichtbar zu überholen und am nächsten Ort schon auf ihn zu warten; somit entsteht im Zuschauer gerade nicht der Eindruck, Julian sei in einer Vorwärtsbewegung.

Der Pilgerweg als Stationenweg. Die Stationen, das sind Begegnungen mit anderen Menschen, auf die die metaphysische Idee hinter diesem Gewaltsmarsch von Julian einen positiven Einfluss haben soll. Er ist für diese Unternehmung aus einer Berliner Nervenklink abgehauen. Für ihn ist der Marsch allerdings nicht nur guter Zweck für den Vater des Freundes, sondern das näher liegende Motiv scheint die Buße zu sein, die er tun will, dafür, dass er sich am Tod seines Freundes (dessen Vater er eben besuchen will) schuldig fühlt. Dieses Motiv wird nicht von Anfang an klipp und klar eingeführt, sondern es wird wie ein Geheimnis erst nach und nach preisgegeben; das dürfte der größte dramaturgische Lapsus an diesem Film sein, der ihm den weiteren Weg schwer machen wird und der sich vor allem an der Kinokasse negativ bemerkbar machen wird. Der Lapsus hat meiner Meinung nach die Qualität, wie wenn ein Bergsteiger nach Erklimmen eines schwierigen Aufstieges am Gipfel als Lohn das Steigeisen bekommt, das für den Aufstieg unentbehrlich gewesen wäre. Zu diesem Zeitpunkt nützt es ihm allerdings nichts mehr.

Das Theoretische ist plausibel. Ein Mensch, der seine ganzen Energien auf etwas lenkt, was nicht seinem Egoismus oder seiner Karriere dient, dürfte auf andere Menschen zumindest keinen negativen Einfluss haben, weil er die Energie nicht gegen die anderen Menschen lenkt, wobei hinzuzufügen ist, dass Julian auch über hellseherische Fähigkeiten verfügt, Menschen, denen er zum ersten Mal begegnet, kann er ihren Namen auf den Kopf zu sagen.

Aber: dieses Psyhafte und Religiös-Trancehafte kommt theoretisch daher. Praktisch reicht es meiner Meinung nach allerdings nicht, Alltagssätze – und im Besonderen die Alltagssätze aus deutschen Filmen – bedeutungsvoll zu sprechen, um ihnen metaphysisches Gewicht zu geben. Das ist jedoch ein Merkmal der Inszenierung, dass es prinzipiell nur bedeutungsvoll gesagte Sätze gibt, ob der Polizist schimpft „Idiot“, weil ihm einer die Vorfahrt im Niemandsland nimmt, oder die üblichen TV-Fragen, was denn hier los sei, wo er denn herkomme, aber auch solche über das Dunkel, das Licht oder die Angst vorm Menschsein und weitere theoretische Sätze, die jedoch dem Film alle keine intellektuelle Substanz verschaffen können noch die Handlung vorwärts treiben oder spannend machen.

Beispiele von Sätzen: Ich muss weiter. So ein Zufall. Es gibt keinen Zufall. Zeig mal, was? Was ist denn das für eine Narbe? Hat jemand ein Handy dabei? Kann mal bittschön jemand das Licht anmachen? Schwimmt da einer? Scheiße, wo steckt dieser Wixer. Kann ich Euch ein Stück begleiten? Wieviele Kilometer schaffst Du? Wo kommst du denn eigentlich her. Mir fehlt mein Herz, ich hab kein Herz.

Dass Julian aus der Klinik ausgebrochen ist, gibt dem Storytelling Anlass für eine kleine Kriminalgeschichte; Julian wird von einem Bullen verfolgt, auch nicht ganz realistisch, eher klamottig. Genres zu mixen steht einem jeden frei. Wenn denn was Genießbares rauskommt.

Beispiele von Stationen auf diesem Stationenweg. Unfall mit einem Pferd, das davon läuft. Oder: Julian kommt an einem Hof vorbei, pflückt eine Pflaume, der Bauer erscheint und fragt ihn bedeutungsvoll, ob ihm die Pflaume gehöre. Oder der Bauer mit den zwei Hunden, der eine heißt Ossi, der andre Wessi, wobei Ossi der größere von beiden ist.

Der Film fängt an mit einer Voice-over, die sich mit der Entwicklung des Menschen als Konkretisierung der Energie als Geist befasst. Das geht von der Glühbirne über das Nichts zur Energie zum Universum und dann zum Geist, DER GEIST KANN ALLES, Pennälerwissen, aber ob es ausreicht einen gscheiten Film zu machen? Will der Filmer ein Gefühl der Alleskönnerschaft transportieren? Der Film erteilt sich selbst damit höhere geistige Weihen, die er im weiteren Verlauf nicht einlösen kann. Nick Barker Monteys heißt der ambitionierte Filmer, der uns mit diesem thematischen Chaos auf der Leinwand allein lässt aber immerhin glaubhaft andeutet, dass sein Wunsch wäre, die Leinwand mit geistigem Input attraktiv zu machen.

Country Strong

Eine überaus erfolgreiche und populäre Country-Sängerin muss nach einem Unfall bei einem Konzert in Dallas in den Entzug. Mit hohem Alkoholpegel ist sie über ein Kabel gestolpert, drei Meter in die Tiefe gestürzt und hatte dabei ihr Kind verloren. Der Ruf war erst mal ruiniert. Der Film will von der zweiten Chance erzählen, die jeder haben soll.

Das Sujet kommt einem bekannt vor: Jeff Bridges hat uns in Crazy Heart die Kämpfe und Qualen des Wiedereinstieges ins Geschäft nach einer verkorksten Laufbahn eindrücklich nachempfinden lassen; man hat Jeff Bridges den kaputten Musiker voll und ganz abgenommen.

Dagegen hat es Gwyneth Paltrow, die hier die Sängerin Kelly Canter spielt, aus mehreren Gründen schwer.

Sie hat es vom Buch her schwer, welches nach Lage der Dinge als Hauptthese ein Votum für das Recht auf Selbstmord abgibt. I have got the right to disappear, so steht es im Abschiedsbrief der Sängerin, nachdem sie nach ihrem erfolgreichen Come-Back in Dallas, wo der Unfall passiert war, erfolgreich eine Todesdosis an Pillen zu sich genommen hatte.

Das Postulat des Rechts auf Selbstmord als Quintessenz aus einem Country-Film, das geht nicht so recht zusammen. Country-Musik haben wir doch bislang eher als, wenn auch gelegentlich etwas naiv-gefühlsduslig, so doch als lebensbejahend betrachtet. Gut, das könnte man ins Lot bringen, mit dem schulterzuckenden Argument, wussten wirs doch, dass die Amerikaner verrückt sind, dass die alle nicht ganz dicht sind; wenn man sich allein die Hysterie bei Kellys letztem Konzert in Dallas anschaut – was bei aller schauspielerischen Erstklassigkeit und Faszination von Gwyneth Paltrow doch in krassem Gegensatz zur Provinzialität ihrer Gesangsstimme steht – eine solche Stimme kann nie und nimmer eine solche Hysterie auslösen; warum tut sie sich dann eine solche Rolle an? Dieser zweite Grund für das Schwertun wäre also ein Rollenzusageproblem.

Mit Buch und Besetzung sind die Hauptgründe für meine Schwierigkeiten mit diesem Film abgedeckt. Sie können jedoch weiter verfeinert werden. Eine weitere These, die das Buch richtiggehend breit tritt ist die, dass Glück einzig im Erfolg auf der Bühne besteht. Amerikanische Glamour-Ideologie. Das ist zwar eine Behauptung, die noch von vielen halbseidenen Geschäftemachern in bare Münze umgewandelt wird, sei es mit den entsprechenden Blättern oder Veranstaltungen, mit dem Hypen solcher Glücksfälle. Blättchen von einem Niveau für Leser, die wohl gerade mit Mühe das Alphabet erlernt haben. In einem weiteren cineastisch-gesellschaftlichen Kontext dürfte die These allerdings auf ziemlich unfruchtbaren Boden stoßen. So wundere ich mich, dass die intelligente Gwyneth-Paltrow, ausserdem als Typ viel zu intelligent für eine Country-Sängerin, das im Buch nicht bemerkt haben will. Diese feinzügige, natürliche Frau passt nicht in das Bild jenes Typen von Menschen, der von den erwähnten Gschaftlhubern im Glamour-Business verbraten wird.

Der Film scheint mir gerade auch vom Gesichtspunkt dieser Glamour-Ideologie in einem sehr einsamen und menschlich unerfahrenen Gemüt entstanden zu sein. Warum Frau Paltrow ihn zugesagt hat, bleibt mir rätselhaft.

Ihr Come-Back schafft sie übrigens mit Hilfe eines jungen Country-Sängers, der Beau heisst. Gerade in der Begegnung dieser beiden wird die Einfältigkeit des Buches besonders deutlich. Wobei mir ein zusätzliches narratives Problem scheint, dass die Geschichte nicht mit der Hauptfigur, sondern mit dem jungen Beau anfängt. So legt man falsche Fährten, die später das Publikum enttäuschen. Der Film setzt den Zuschauer als erstes in ein Tingelkonzert des jungen Country-Musikers, der in einer Scheune zum Tanz aufspielt. Dann fährt er einen langen Weg durch die Nacht. Kehrt in eine Entzugsklinik zurück und ist nach einem Wortgeplänkel am Einlass plötzlich im Zimmer der Patientin Kelly Carter, der er auf der Gitarre was vorspielt, was sie, oh Wunder, gleich nachspielen kann. Der Zuschauer würde dieser Patientin ungefähr alles geben, aber garantiert nicht den Ex-Country-Star. Dem Ehemann der Patientin gegenüber gibt Beau sich als Betreuer aus. Verhäufelter kann ein Einstieg in eine Geschichte nicht anfangen. Jetzt sind also Kelly und Beau zusammen, welche Namen!, hört sich an wie ein neues Kinotraumpaar. Wer sich diesen Einstieg in den Film unvoreingenommen anschaut, der würde Gwyneth Paltrow ungefähr alle Rollen zutrauen, Professorin, Buchhändlerin, Intellektuelle sogar Handarbeitslehrerin – aber garantiert nicht Country-Sängerin und noch eine, die die Massen mobilisieren kann. Der unvoreingenommene Zuschauer kann es nicht fassen, dass um diese Person später solcher Presseauftrieb herrschen wird.

Der Film versucht sich einen glamour-kritischen Anstrich zu geben, in dem er den schönen Begriff Honkey-Tonkey-Kneipen verwendet, in welchen Beau auftrete und seine Lehre aus der vorliegenden Kleinmädchen-Glamour-Ideologiegeschichte nach dem üblen Ende der Tournee ist, dass er genau in solchen Kneipen in Kalifornien sein bescheidenes Glück findet, wogegen im Schlusskonzert von Kelly in Dallas der Glamour auf ätzende Höhen getrieben wird, wobei die Filmemacherin aber auf jeglichen Hinweis, ob das nun kritisch oder anbeterisch gemeint sei, verzichtet.

Es gibt noch eine weitere Kitsch-Füll-Story, die schier platzt vor Klischees. Die Nachwuchssängerin Chiles, die bei ihrem ersten Auftritt versagt. Beau wird dann zum heldischen, mutmachenden Retter, unterstützt sie, gibt ihr Selbstvertrauen, nimmt sie mit auf Tournee.

Die Naivität der Autorin dieses Filmchens kann sicher auch belegt werden mit den Versuchen ernsthafter Gespräche, die so gar nicht gelingen wollen. Zwischen Kelly und ihrem Ehemann, der auch ihr Manager ist, über ihr Leben und wie es früher war, das kommt so gewollt und obeflächlich daher, so sichtlich bemüht um nicht vorhandene Tiefe, um die Leere im Film zu übertünchen. Oder zwischen Kelly und der jungen Chiles, die ihr ernsthaft in aller Ausführlichkeit Ratschläge für die Karriere gibt, war das jetzt Scherz, Parodie oder wirklich Einfalt der Autorin? Der Mangel an Konfliktbewusstsein dürfte eher für Letzteres sprechen. Nicht anders sieht es bei den Gesprächsversuchen zwischen Kelly und Beau aus. Für die Einfalt und den Glauben an den Glamour sprechen auch die ganzen Applausorgien, die gefilmt werden. Einmal darf der Ehemann von Kelly ernsthaft hirnen, er wisse nicht, warum seine Frau so zerbrechlich geworden sei (wie Kelly einen Auftritt auf der Bühne abbricht).

Kleine pubertäre Ausbüchsfantasie zwischendrin, Kelly und der deutlich jüngere Beau hauen ab, springen auf einen Güterzug auf, händchenhaltend im offenen Güterwagen stehend (das ist ein schönes Bild!), freuen sich über die Freiheit, was man so gemeinsam Pferde stehlen nennen würde, Poesiealbumfilm. Sie hat aber Schmutz im Gesicht und muss dann bei Beau duschen und dann können sie sich küssen, Kleinmädchenfantasie, und Kelly kann treuherzig moralinen „I think I am Kelly Carter and I am breaking the law“. Und auch Beau darf später moralinen: „I think we should stop this, you are married”. Der Film als moralische Anstalt.

Dann gibt es Szenen, die erinnern eher an Vorgänge im Schullandheim. Zimmerbesuche im Hotel. Beau ist bei der jungen Chilly. Badeanzugswettbewerb. Der Tourneechef kommt, der Ehemann von Kelly. Beau muss Leine ziehen.

Während der verdunkelte Tourneebus über Land fährt erklingt der Song von der Zweiten Chance.

Beau hat immerhin eine gute Mikrostimme.

Bibliothèque Pascal

Stilsicher, inszenierungssicher, kunstsicher erzählt uns der Autorenfilmer Szabolos Hajdu die Geschichte eines kaputten Frauenlebens aus Rumänien. Oder eine europäische Gefällsgeschichte. Wohlstandsgefälle, Armut und die Wege zur Prostitution.

Die Rahmenhandlung. Eine Frau möchte wieder für ihr eigenes Kind sorgen. Sie stellt diesen Antrag in einem nüchternen Amtszimmer einer Amtsperson (in einer nicht exakt definierten Behörde, was als Hinweis mehr auf Symbolismus denn auf Realismus des Filmes interpretiert werden kann). Die Amtsperson, ein Herr, ist nicht unfreundlich, sondern sachlich interessiert, wirkt überhaupt nicht amtsarrogant hinterhältig oder zynisch sondern eher pragmatisch zupackend.

Die Rahmenhandlung wird abrupt unterbrochen und es wird die Geschichte dieser Frau erzählt oder vielleicht nur heiss fantasiert?

Schon als Mädchen ist sie im Zirkus missbraucht worden. Sie war ein Mädchen ohne Heimat und immer Objekt für die Männer. Der Film schildert ihren absurden Leidensweg von Rumänien über halb Europa bis nach London in die Bibliothèque Pascal, einem exklusiven Sexclub, aus welchem sie sich in einer ätherischen Befreiungsaktion, von der man wieder nicht recht weiss, ob sie geträumt ist oder nicht, befreit. Mona, so heißt die junge Frau läuft in ihren Sexsklavinnen-Lederklamotten einfach weg, enteilt in diesem Kostüm in die Strassen Londons.

Längeres Schwarzbild.

Im Amt. Das Einreichen der Forderung nach dem Sorgerecht für das eigene Kind geht weiter. Wie sie die Formulare unterschrieben hat und gegangen ist, wird der Herr entscheiden, dass sie das Kind haben darf. Dann sieht man Mutter und Kind an einem Tisch, fein gedeckt, aber ohne irgend ein Essen und sie tun so, als ob sie ein Festmahl zu sich nähmen; sie gehen in eine Kinderkuschelecke und während Mama anfängt, ein Märchen von einem Schloss zu erzählen, fängt die Kamera an, sich zu entfernen und wir sehen, dass wir in einem grossen Möbelhaus sind, die Beschallung ist STILLE NACHT HEILIGE NACHT und die Leute sind eifrig dabei, Tische zu vermessen, Dinge anzuschauen und einzukaufen.

Monas Leidensgeschichte als das Corpus des Filmes. In Balkan-Surrealismus-Symbolismus-Manier erzählt. Es fängt an beim Zirkus. Sie ist noch ein Mädchen. Sie macht eine Ansage. Der eine Typ steht auf sie. Aber während dieser auftritt, tanzt sie mit einem anderen glühenden Vereherer. Der andere verlässt die Bühne, es kommt zu einer Schlägerei. Sie flieht. Findet sich am Strand wieder. Liegt da. Plötzlich bewegt sich der Sand neben ihr. Ein Revolver taucht aus dem Sand auf, eine Männerstimme zwingt sie, den Sand, unter welchem sich der polizeigesuchte Flüchtling verborgen hält, mit ihren Klamotten neben sich zu bedecken, schon kommt die Polizei mit dem Fahndungsfoto. Balkanklamotte, denken wir. Er flieht am Abend mit ihr in eine einsame Badehütte. Sie diskutieren. Er findet es gut, dass sie ihn beschützt hat. Dann schläft er. Sie betrachtet ihn, Sie will abhauen, weiterer Surrealismus. Plötzlich verwandelt sich die Szene, die beiden sitzen an einem Tisch, die Tapete, die scheußliche wird zu einer Art feiner Schlosstapete, Mona ist in Folklorekleidung, der Typ, der Ausbrecher im Torero-Kostüm, Heirat oder so. Er erwacht, er sagt, er habe das geträumt, hat sie seinen Traum gesehen, nein, er habe die Fähigkeit, andere Leute seine Träume sehen zu lassen. Tief in die Fantasterei hineingeraten.

Mit dem Zug von Bukarest nach Wien, dann nach London. Bibliothèque Pascal. Die wird erst vorgestellt mit einer perfekten Shownummer mit einem Artisten, der auf einem doppelt-mannshohen Dreirad fährt und Fakeln jongliert und drum herum die Members. Sie wird später in das Kabinett Jeann-D’Arc geführt, wo sie je nach Laune der Herren diese oder jene Misshandlung erlebt, alles sehr schön künstlerisch gezeigt, fast wie Performance, wie Kunst dargestellt, der erste schlägt sie, das geht noch, dann gibt’s rätselhaft-litarische-pseudoliterarische Texte, Kunstcollage; sie ist in Ledermontur, dann kommen ins cleane helle Kabinett die Sadisten mit dem aufblasbaren Ledersack, in den sie gesteckt wird, sie pumpen die Luft raus, alles sehr rätselhaft und symbolhaft. Es wird von Desdemona geredet, es geht „um Dein Leben und Deine Seligkeit“.

Übrigens, schön der Gauner am Strand, der geht nachher ganz nackt nur mit der Pistole in der Hand zum Waschraum rüber, und wie er in einem weissen Anzug wieder rauskommt, da stehen wie symbolisch im Halbrund Männer mit Gewehr im Ansschlag vor ihm, aber er geht auf sie zu, sie sind keine realistischen Figuren.

Im Kabinett wird ihr vorgeworfen, dass sie schamlos in Männerklamotten rumlaufe, sie hat einen Military-Anzug an. Und die weisse Puppe.
Eine sehr künstlerische, kunstvolle Reise in die Abgründe des Sexlebens von reichen Gesellschaften.
Die Wahrsagerin ist ihre Mutter, auch da gibt es eine merkwürdige Begegnung.
Ein sich selbst genügendes Künstlertum, Guru, Visionär, Scharlatan, wilder Fabulierer, das muss man bei solchen Filmemachern fragen.
Im Kabinett wird ihr Heroin in den Arm gespritzt, darauf kommt eine weitere halluzinatorische Szene. Bilder eines traumatisierten Lebens.
Ihr Kind hat sie, so gibt sie es später zu Protokoll, an der Entbindungsstation in der Kötölös-Straße zur Welt gebracht.
Schöpft der Filmer mit grosser Kelle aus den Abgründen der Seele, spezieller: der europäischen Seele oder gar der Balkanseele?

Beginners

Das grösste Thema des Kinos ist die Liebe, und falls dem nicht so sein sollte, dann ist sie zumindest eines der grossen Themen des Kinos. Liebe will gelernt sein. Die sie hier zu lernen haben, das sind die Beginners. Das Ziel dieser Liebe ist: to be real. Das dürfte heißen, dass die Liebe etwas Persönliches ist.

So ist der Film. Der kommt wie der persönliche Film von Oliver. Er ist der Sohn von Hal. Hal hat 1955 geheiratet. Oliver kam in den frühen Sechzigern als einziges Kind zur Welt. Sein Vater hatte schon vor der Heirat seiner Mutter gesagt, dass er schwul sei. Er war Museumsdirektor. Wie seine Frau gestorben ist, da war Hal schon über 70. Da fing er ein geoutetes Schwulenleben an, hatte einen jungen Freund, Andy, der in ihm den Vaterersatz fand und ihn liebte. Hal war ab da „real“. Machte bei der Schwulenbewegung mit, bei Feten, wurde bald krebskrank; aber auch seinem Tod sah er wach und ohne zu jammern, immer im Gefühl, „real“ zu sein, entgegen. Er machte sich nicht viel draus.

Der Film fängt nach dem Tod von Hal an. Oliver räumt die Wohnng auf. Es sind Erinnerungsfetzen, es gibt eine Szene vor dem Haus, wo Oliver etwas auf einen Riesenberg von Müllsäcken wirft. Das erinnert an den Film von Thomas Haemmerli „7 Mulden und eine Leiche“, der mit dem Ausräumen der Wohnung seiner Mutter Erinnerungsarbeit verbindet.

Das erste und wichtigste Erbstück ist ein Hund, eine Promenadenmischung. In dem findet Oliver nach dem Tod des Vaters eine Art Gesprächspartner. Wenn er ihn anschaut, schreibt er ihm Texte zu, die im Film als Untertitel erscheinen.

Oliver selbst hatte zwar schon Verhältnisse gehabt, Liebesverhältnisse, aber nichts von Dauer. Der Film zeigt nun, wie er parallel zur Erinerungsarbeit selber sich auf den Weg macht, „real“ zu werden. Ob das wirklich so gelingt wie bei seinem Vater ist eine andere Frage.

Zu diesem „Real“-Sein (also immer in der englischen Bedeutung) gehört aber nicht nur die Suche nach Beziehung, sondern auch das Malen. Er malt in seinem Atelier sonderbare Zeichnungen, Köpfe, Texte. Auch fängt er an mit Graffity-Sprayen ohne Angst vor Entdeckung, ein sonderbares Outing, wenn man so will. Er macht nie einen richtig glücklichen Eindruck. Hat ihn das demonstrativ vorglebte späte Glück des Vaters eingeengt, entmutigt? Oder ist er eher von Natur aus nicht zum Glück disponiert; man könnte jetzt philosophieren, wie weit ein Mensch seines Glückes Schmied sei.

Zu den privaten Erinnerungsstücken gehören auch Bilder des Besuches einer Vernissage mit der Mutter. Oliver war vielleicht 8, und wie die Mutter einer Dame, die tiefsinnig-komplizierte Kunstwerks-Exegese betreibt, richtig faxenhaft blöd über die Schultern schaut, wird es dem Buben zu peinlich und sie verlassen die Veranstaltung, wobei die Mutter noch vorschützt, der Bub habe eine komplizierte Erkrankung, hoffentlich meint sie nicht die Fantasie damit. Oder die Mutter spielt mit dem Buben, sie macht mit der Hand eine Schießgeste und der Bub fällt auf der Stelle tot um, aber das muss nochmal geübt werden.

Seine Suche nach Beziehung beschreitet wunderliche Wege. Er geht an eine Kostümfete verkleidet sich als Psychiater mit Bart und Perücke, setzt sich neben ein Sofa (Dr. Freud lässt grüßen) und berät Frauen, die sich bereitwillig hinlegen. Kann aber nicht viel helfen. Bis Anna kommt, die eine spielt, die nicht sprechen darf (resp. wegen Kehlkopfentzüngung gar nicht kann), ein reizvoller Einfall. Sie muss ihren Text, ihre Fragen immer auf einen Notizblock schreiben und hält diesen dem kostümierten Seelendoktor hin. Sie sagt ihm auch gleich, dass er unglücklich sei. Sie ist Schauspielerin, wohnt in New York.

Anna logiert im Hotel und es entwickelt in langsamen Lernschritten eine Beziehung, sie schlafen dann wohl auch miteinander, aber das ist nebensächlich. Die Entwicklung dieser Beziehung wird immer wieder unterbrochen durch Reminiszenzen an den Vater, resp. es werden Szenen aus seinem Leben eingespielt, vom Glück mit Andy, von den politischen Aktivitäten, von Feten und dann vom langen Sterben und dem Schlauch im Mund, der ihn stört.

Übrigens wird auch das mit der Musik sehr geschickt gehalten, gelegentlich ein paraphrasierndes Trompetensolo oder mal was Zeitgenössisches.

Was filmisch gut gelöst ist, dasss Oliver also nicht in den Kisten klaubt und Dinge hervorzieht. Man sieht ihn nur in der Wohnung und mit dem Hund sprechen und die Erinnerungen steigen praktisch aus den Kisten heraus. Sie sind ihm Leitfaden beim nicht unkomplizierten Verhältnis mit Anna, das ein unentschiedenes Hin und Her ist.

Der Film zeigt einen Oliver, der nie an seinen Vater heranreichen dürfte. Vielleicht weil ein nicht schwuler Mann auch nie diesen Freiheitsgenuss so demonstrativ ausleben kann wie ein einmal geouteter Schwuler? Komisch auch,  dass  Oliver nie einen Kontakt zu Andy, dem Geliebten des Vaters hatte. Das wird auch thematisiert. Wie Oliver  nach New York reist, muss er den Hund irgendwo unterbringen. Dafür ist Andy richtig. Dieser macht Oliver allerdings den Vorwurf, er würde den Kontakt zu ihm, dem Partner seines Vaters,  meiden, wohl weil er schwul sei.  Nach einigem Zögern und man nimmt es dem Schauspieler ab, dass es ihn Mühe kostet, geht er auf den großen Andy zu, legt sich an seine Brust und wird von ihm gedrückt. Aber was in seinem Gesicht vorgeht, das sehen wir nicht.

Schon der Vater von Oliver hatte zu seinem Vater ein Nicht-Verhältnis.
Wenn man genauer hinschaute, könnte einem auch klar werden, dass Oliver durch die Besetzung mit dem Schauspieler Evan Mc Gregor einen Typen darstellt, der abgrundtief vatergestört scheint, der den Eindruck erweckt, er müsse immer Teile oder Ecken der Realität ausblenden (könne also entsprechend wenig „real“ sein), weil dort jederzeit der Vater auftauchen könnte.

Ein Film, der sich unspektuakulär mit dem Thema Liebe (und Tod und Leben) befasst, der das Thema vor allem in seiner Komplexität (auch: Liebe und Macht!) zu erfassen sucht; Liebe auch als Konkurrenz-Verhalten, denn Christopher Plummer strahlt als geouteter Schwuler und Vater ein solches Glück und eine solche Souveränität aus, da wird der Sohn, noch dazu mit einer Hetero-Liebe, nicht so schnell aufschließen können.

Arrietty – Die wundersame Welt der Borger

Politisch korrekt ist das nicht so ganz, sich seine lebenswichtigen Güter zu “borgen” ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sie je wieder zurückzugeben – na, was ist daran unkorrekt, das machen doch die Vereinigten Staaten und Deutschland und Griechenland und Portugal und Irland und alle, alle auch, sie borgen und borgen und borgen. Inzwischen könnte man meinen, auch sie denken nicht daran, das Geld je wieder zurückzuzahlen.

Nun, es gibt dann doch noch Unterschiede zwischen den Staaten und den Borgern aus diesem wunderbaren japanischen Anime. Die Borger, die wir hier kennen lernen, eine Familie bestehend aus Mama, Papa und dem Töchterchen, der wunderbaren Haupt- und Titelfigur Arrietty, Traum einer Animefigur, die machen das anders, denn sie borgen sich von den Menchen nur das Lebensnotwendige und nur soviel, dass die Menschen es nicht merken. Sie erfüllen sich in gewisser Weise den Nischentraum. Wenn die Menschen das allerdings merken oder wenn die Menschen sie gar zu Gesicht bekommen, dann ist Schluss mit dem Traum. Dann müssen die Borger ausziehen und sich eine neue Bleibe suchen.

Dazu muss erwähnt werden, dass die Borger ganz kleine Lebewesen sind, wahre Winzlinge, die sich in minimen Hohlräumen oder exklusiverweise auch mal in einer Puppenstube in der Gerümpelkammer des Hauses, das sie sich als ihr Quartier ausgewählt haben, einnisten. Ihre Ausflüge in die Vorratskammer oder in die Küche ihres Gasthauses, das sind wahre und halsbrecherische Expeditionen durch Leitungsrohre und Hohlräume und Ritzen zwischen Brettern mit waghalsigen Abseilaktionen und Klettereien auf Küchentische und Küchenschränke. Und sie dürfen sich nicht erwischen lassen dabei.

Aber eine schöne Geschichte wäre keine schöne Geschichte, wenn nicht genau das passieren würde, was nicht passieren darf und wenn sich die Dinge dann nicht doch noch zu einem glücklichen Ende entwickelten. Auch darum lieben wir solche Geschichten.

Die Familie des Gasthauses unserer Borger hat nämlich einen kränklichen Sohn, der heisst Sho, und die Familie besteht sowiso nur aus ihm, seiner Mutter und einer alten Haushälterin, die für die Borger bald die Böse wird. Sho bekommt nun Arrietty eines Tages verbotenerweise zu Gesicht und Sho und Arrietty freunden sich an entgegen den Gepflogenheiten der Borger. Allerdings kommt die Haushälterin Haru dahinter und will die Borger vertreiben, sie scheut vor keinen drastischen, ja sadistischen Mitteln zurück, nicht mal davor, den Kammerjäger auf die Borger anzusetzen. Aber weil wir im Märchen sind, nimmt das alles eine gute Wendung. Mehr sei hier von der Geschichte gar nicht ausgeplaudert.

Was mir gefällt an diesen Borgern ist, dass sie sich nur die Dinge borgen, die sie wirklich zum Leben brauchen und nur so, dass niemandem auffällt, dass er einen Schaden hat. Das machen die Staaten schon ziemlich anders. Die borgen Geld um Dinge zu tun, die sie überhaupt nicht bräuchten, um Atomwaffen zu bauen, um Milchprodukte zu subventionieren, die dann in Afrika zu Hunger führen, um für Milliarden Projekte auf die Beine zu stellen, die niemand braucht, um Industrien zu subventionieren, die auch ohne Subvention leben könnten, oder die Waffen herstellen, bei denen Einzelne auf Kosten der Allgemeinheit überproportional viel Geld verdienen und die der Menschheit nichts Gutes tun und sowieso der Allgemeinheit keinen Nutzen bringen. Die Borger beschaffen sich nur, und das in aller Bescheidenheit und ohne jemandem merklich zu schaden, eine Art Grundeinkommen.

Was mich bei Filmen mit Winzlingen auch immer beschäftigt, das ist die Relativität von Grösse, die sie einem bewusst machen. Die kleine Welt der Borger ist eine ganze Welt. Und wie rücksichtslos doch die grosse Welt der Menschen, bis eben auf den sensiblen Sho, mit der für sie kaum wahrnehmbaren Welt der Borger umgeht. Wie beschränkt doch jede Welt auf ihre Grösse ist. Wie leicht sie die absolut setzt. Wie brutal der Zuschauer es empfindet, wenn Haru die Mutter von Arrietty in der Puppenstube entdeckt und sie in ein leeres Marmeladenglas einsperrt. Das tut weh. Und wie man sich vielleicht bewusst wird, wie man selber eine störende Fliege gedankenlos killt.

Solche Klein-Gross-Filme sind immer auch dazu angetan, den Respekt vor anderen Welten einzufordern, den Blick auf die Relativität eigener Grösse zu richten. Das tut dieser Arrietty-Film auf grandiose Weise.

Mein Filmtipp der Woche.

Morgen das Leben

BOGENHAUSEN ODER PERLACH, das ist hier die Münchner Frage. Die Filmemacher haben sich für Perlach entschieden, also für das nicht schicke München.

Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Filmern, scheint das Autorenpaar Timm/Riedel und dann der Regisseur Riedel schon mal genau hinzuschauen. Das macht der dokumentarische Background.

Von Riedel in wohltuender Erinnerung ein anderes München-Movie, die Dokumentation „Draussen bleiben“ oder von Bettina Timm „Herr Zhu“, eine präzise beobachtende, fesselnde Wiener Dokumentation.

Wo schauen die beiden mit diesem neuen Film hin? In ein ein gesichtsloses Münchner Neubaugebiet, wie sie in und um München sprießen wie die Pilze im Herbst. Modernes, bequemes Neubauviertel, ob Hasenbergl, Panzerwiese, Neuperlach, Messestadt, das spielt keine Rolle.

Wie unter einem Mikroskop haben sie sich einige der Menschen in diesem Gewusel näher betrachtet, schauen ihnen zu, wie sie sich abmühen, wie sie ihr Leben lebenswert zu gestalten versuchen; diesmal es ist allerdings inszeniert mit einer Methode, die sich am Dokumentarischen orientiert, also möglichst plausibel rüberkommen soll. Und so vielleicht einen wichtigen Impuls zur Erneuerung des deutschen Kinos mit seinem verhängnisvollen Hang zum Studienratsgehabe, geben können. Die Welt hat also nicht so zu sein, wie der Filmemacher sie sich ausdenkt, modellhaft bis belehrend und oft rechthaberisch und unbelehrbar, und wie er sie sich in seiner Schulweisheit ausdenkt, die Welt ist vielleicht anders und voller Überraschungen, wenn man nur genau hinschaut, wenn man sie erforschen will.

Die Filmemacher beobachten einige Menschen, die in einer dieser modernen Siedlungen wohnen, wie sie sich einzurichten versuchen, denn das Leben, das ist norgen, wenn man den Titel beim Wort nehmen will, sie beobachten diese Menschen also bei den Vorbereitungen auf das Leben. Und nur dem Zuschauer dürfte klar sein, dass sich deren Leben in diesen Vorbereitungen auch erschöpfen wird. Kleine Menschen. Denn die Not des Wirtschaftens wird sie für immer an dem erträumten Morgen hindern. Das ist die weder aggressive, noch schulmeisterliche, noch überhebliche, noch vergiftete oder zynische sondern den Menschen herzlich zugeneigte Botschaft dieses Filmes. Weil sich die Filmemacher selbst vielleicht auch nicht viel anders sehen. Sie wuseln in ihrer Filmwelt, auch wenn sie eine Kostbarkeit nach der anderen hervorbringen.

JUDITH, die offensichtlich nicht mehr Stewardess ist, spielt ihrem Kind die Rolle immer noch vor, wenn sie ihm Essen serviert, als sei sie hoch über den Wolken. Sie macht übers Telefon Kundenbefragungen und nimmt noch einen zweiten Heimjob an, den sie während des Telefonierens ausführen kann: Gefässe zusammensetzen, einen Kleber dranpappen und ein Röhrchen reinstecken. Sie geht sogar so weit, dass sie in Uniform und mit Rollkoffer aus dem Haus geht, eine Runde dreht und wieder nach Hause kommt, um den Anschein des Stewardessen-Berufes aufrechtzuerhalten.

ULRIKE möchte nochmal was Neues anfangen, sie lässt sich anlernen für einer Art mobiler Massage; Balancing, so reflektiert Ulrike, wenn sie das einmal die Woche gehabt hätte, dann wäre ihr der Freund nicht davon gelaufen und dann hätte sie ihren Job beim Sozialreferat nicht aufgegeben und dann müsste sie nicht dieses mobile Balancing-Geschäft betreiben. Es gibt sehr schräge Bilder, wenn sie mit einer Kollegin im orangenen T-Shirt und mit einer japanischen Mikado-Frisur aus der Münchner U-Bahn die Rolltreppe hochfährt. Erinnerung an eine japanische Vergangenheit. Sie bietet auch den schönsten Moment des ganzen Filmes, während sie in einem Kurs lernt Brautschleier aufzusetzen, und wie sie ihn dann aufhat, dann wird sie unvermittelt von einem Weinanfall erfasst, einem Weinausbruch, das ist erschütternd komisch. Davon hätte man gerne mehr gesehen, das ist die Richtung, in die sich die Macher des Filmes weiter vor trauen sollten.

JOCHEN ist in einem Wohnheim untergebracht mit einem etwas sturen Verwalter und nimmt immer sein Fahrrad mit auf sein Zimmer, hat Probleme mit der Herdplatte – das ist überhaupt eine der guten Qualitäten dieses Filmes, dass die Figuren immer etwas zu bewältigen haben, insofern schaut man schon mal interessiert zu. Jochen lässt sich zum Versicherungsvertreter ausbilden, er bekommt genaue Anleitungen, wie er seine Kunden behandeln soll, sich zuerst für sie interessieren, zum Beispiel für das Staubsaugerbild an der Wand, das der Kunde vor Jahren selbst gemalt hat (das ist eine Szene, die vielleicht von der Performance und Inszenierung her, was den Publikumserfolg betrifft, mehr hätte hergegeben können, ohne an Ernsthaftigkeit zu verlieren). Jochen darf in einem leerstehenden Musterhaus schlafen. Hier kommt es unverhofft zu einer Fickszene, aber die ist nicht interessant, weil es dabei nichts zu bewältigen gibt, weil die vollkommen rausfällt aus dem Film, weil sie mit dem Thema überhaupt nichts zu tun hat.

Der andere Need-Strang der Figuren ist der, dass sie versuchen müssen, andere Menschen zu manipulieren, zu überreden: eine neue Zeitschrift zu abonnieren, sich massieren zu lassen oder sich von Jochen eine Versicherung aufschwatzen zu lassen. Anleitung zur Manipulation. Unter diesen Aspekt gehört eine Szene mit einer Yoga-Lehrerin, die man gründlicher hätte durchdenken können und konsequenter ihrer Argumentation folgen, um somit Jochen ganz anders in die Bedrouille zu bringen, ohne dass es in billigen Boulevard ausgeartet wäre.

Eine wunderbar Zwischensequenz fernöstlichen Ursprungs sind die morgendlichen Jogger im Einkaufszentrum, wenn sie in einer Reihe alle eine Rolltreppe die falsche Richtung hinauf laufen. Da kam mir kurz PLAYTIME von Jacques Tati in den Sinn.

In manchen Momenten ist mir die durchaus ausgeklügelte Soundkulisse aufgefallen. Andererseits ist das Ganze in seinem Hupfen vom einen Strang zum anderen doch recht TV-teilig geraten, aber TV-Sender sind Ko-Proudzenten.

In gewisser Weise kann bei den Machern eine durchaus liebenswerte Attitüde zum Obekt festgestellt werden, eine Art Forsetzung der Miniaturmalerei.

Ausserdem gibt es eine schräge Höhensonneszene. Auch schöne Zwischenbilder von Morgendämmerung und Münchner Strassenkehrmaschinen.

Am Schluss kann sich die Riedel vor lauter Begeisterung gar nicht von seinem München trennen, da ist die Geschichte längst nicht ausserzählt, wenn Jochen wie schon erwähnt im Musterhaus fickt, wenn die Arena ins Bild kommt, wenn noch ein Flugzeug über die Heide fliegt, wenn Ulrike sich noch an die renaturierte Isar begibt

Generell möchte man Riedel/Timm zurufen: Ihr seid auf dem richtigen oder auf einem richtigen, zukunftsfähigen Weg, aber mehr Biss, mehr Mut zu mehr Privacy, das dürfte Ihr ruhig entwickeln, vor allem eines: das Buch, das Buch, das Buch! Sich auf einen Konflikt mit all seinen penibel durchdachten Konsequenzen konzentrieren und diesen ohne Konzessionen ans Fernsehen zum radikalen Kino bürsten. Mut, Mut, dann liegt grösserer Erfolg in der Luft. Courage, meine Herrschaften!

Das Blaue vom Himmel

Die Autoren sind noch relativ jung laut IMDb, offenbar zu jung, um wenigstens in der IMDb kurz zu schauen, ob es ihren geplanten Titel „Das Blaue vom Himmel“ nicht vielleicht schon gibt. Es gibt ihn, schon mindestens viermal. Also bereits die erste Empfehlung, die sich die Autoren (oder vielleicht die Produzenten) hätten geben können, nämlich qua Titel eine gewisse Einmaligkeit des Werkes zu beanspruchen, geht daneben. Kein guter Einstieg.

Den nächsten Dämpfer für allfällig hohe Erwartungen, die der Name Steinbichler als Regisseur in manchen Filmkreisen vielleicht noch auszulösen vermag, bringt die Nennung von Degeto in den Titeln. Damit sind leider in letzter Zeit einige sehr enttäuschende Kinoerlebnisse verbunden, richtig schludrig oberflächliche Bücher und mäßig spannende Besetzungen. (Das wird hier leider nicht anders werden).

Das Blaue vom Himmel versprechen, das ist die erste Assoziation zum Titel. Das Blaue vom Himmel schwatzen. Das Blaue vom Himmel auf die Leinwand malen. Nun ja, wenn einer das schon so behauptet, so könnt eventuell Witz in der Luft liegen, wenn er sich denn einen Spaß draus machte und der Fantasie die Sporen gibt, auf Esprit wollen wir die Hoffnung allerdings nicht ausweiten. Was also ist dieses Blaue?

Dieses Blaue ist hier ein merkwüdig banales Herz-Schmerz-Mutterherz-Kino, noch dazu nicht ausreichend begründet erzählt aus der Perspektive einer Frau, die am Schluss des Filmes erfährt, dass ihre Mutter, die im Film verrückt geworden ist, gar nicht ihre Mutter ist. Die Tochter hat aber nie darunter gelitten. Sie hat es nicht gewußt und folglich die wahre Mutter auch nicht gesucht. Um also aus dieser Geschichte, die so nicht weh tun kann noch Empathie zu erzeugen, Gefühle zu evozieren, muss ein Baby minutenlang schreien, und damit die Kontinuität der Gefühle über die Jahrzehnte gewahrt wird, muss die ganze zusammengeclusterte Chose noch an einen Flecken brauner Vergangenheit angekoppelt werden, das kommt immer gut bei den Gremien in Deutschland.

Gewidmet ist der Film “für unsere Mutter“, ein Mutterfilm also. Mütter und Nation, auch so eine Assoziation.

Steinbichler liebt die hellen und luftigen Bilder, er liebt es auch, mit der Kinokamera und der Regie Dinge wichtig zu machen, die nicht wichtig sind, sie aufzublasen, nichts darf gewöhnlich erscheinen, alltäglich, schon gar nichts, was verraten könnte, dass es sich um eine vollkommen unausgegorene Geschichte handelt.

Sie fängt an mit einer Szene des Glückes, 1933, da war man an der Ostsee unbeschwert in weißen Anzügen und weißen Röckchen und konnte als junges Paar am Sandstrand rumbalgen, Glücksszenen wie so häufig in solchen und ähnlichen Filmen. Bis das Paar plötzlich einen Bernstein-Ring in der Hand hält. Text dazu: „gefangen in alle Ewigkeit“. Zeitsprung. Wir sind jetzt 1991. Das ist die große Zeit von Hannelore Elsner. Sie prononciert vom ersten Satz an überdeutlich, das hat vielleicht Steinbichler von ihr so gefordert. Außerdem darf sie die Verrückte spielen, Untertext, ich bin Schauspielerin, denn ich spiele eine Verrückte und zwar so, dass auch die auf den Rängen merken, dass ich das nur spiele, aber es nicht bin.

Was Schauspielerinnen auch gerne tun, wenn sie inneren Monolog oder eben “verrückt“ mimen sollen, sie singen ein bekanntes Lied, hier ist es aus Franz Lehárs Lustige Witwe „ich hab Dich lieb“, das ist schön und volksnah, tut aber weiter nichts zu Sache, denn sie ist ja, wie sich bald definitiv herausstellen wird, verrückt.

Sie fährt in einer Taxe in Wuppertal, wie gesagt 1991, an eine bestimmte Adresse. Dann steigt sie aus und geht direkt die Treppen zu dem älteren Haus hinauf. Der Taxifahrer hat inzwischen die Rechnung ausgestellt, 82 DM. Aber sie läuft davon. Das muss also eine große Bedeutung haben, wenn eine solche Kleinigkeit früh in der Geschichte so gewichtig erzählt wird. Er ruft ihr nach. Sie reagiert nicht. Er folgt ihr in die Wohnung. Sie versteht 182 DM. Nein, 82. Jemand muss ihr Geld pumpen, „Juri, ich brauche Geld für die Taxe“, der Taxifahrer steht in der Wohnung, Elsner sagt zu Juri „Wie schön bist Du“, herrscht den Taxifahrer an, hier gebe es Kaffee. So eröffnet man offenbar heutzutage eine Geschichte auf der Suche nach der richtigen Mutter, von der frau nicht weiß, dass es sie gibt und dass frau sie sucht. Da nun also weder die Darstellerin noch der Zuschauer weiß, dass diese Figur die Mutter ist, die die in der nächsten Szene auftretende Frau nicht sucht, so behilft sich das Script mit dem offenbarenden Kommentar zum Taxifahrer „ein Schuft, wer mehr gibt als er hat“. Muttersuche, ganz klar, unserer Mutter gewidmet. Denn wir haben es mit hirnmuskulösem Kino zu tun, das darf sich enigmatisch gebärden. Doch der Rätsel nicht genug. Jetzt wirft Frau Elsner aus einem Fenster des oberen Stockwerkes Porzellanteller. Sie hat einen Wurf, wie nur eine Titanin ihn haben kann, ein Urbild von Tellerwerferin, denn die Teller landen punktgenau, also über mehrere Meter der Freitreppe, auf der Kühlerhaube der Taxe weit unten auf der Straße. Schnitt. Thema Tellerwerfen und Taxe erledigt. Der Zuschauer will sich noch kurz überlegen, was es mit dem Tellerwerfen auf sich hat, ob das ein Hinweis auf griechische Hochzeiten sein soll.

Aber schon ist Frau Elsner in der Küche. Sie darf jetzt weiter verrückt spielen und schüttet eine Packung Kaffee in eine Pfanne, in welcher sich ein Gericht mit Teigwaren an Tomatensauce befindet. Ein bisschen scheint diese Frau durcheinander zu sein. (Mir huscht durch den Kopf, da habe ich doch tatsächlich von Frau Elsener was abgekupfert, nämlich wie sie in einem Toscana-Sommer-Film von Rudolf Thome die Spaghetti ins kochende Wasser eingebracht hat).

Frau Elsners Verrücktheit dürfte jetzt deutlich genug gemacht worden sein. Zeit für einen Sprung nach Berlin in eine Redaktion, wo eine Frau Schleier, wer genau hinschaut, kann unter der dicken, glattsträhnigen, blonden Perücke und hinter der fetten Brille Frau Juliane Köhler, eine bekannte Darstellerin des deutschen subventionierten Kinos, erkennen, dabei ist, ein Feature über Estland im zweiten Weltkrieg zu recherchieren. Just da kommt der Anruf, dass die Mutter von Frau Köhler, also Frau Elsner, in Wupptertal in der Psychiatrie sei.

Wir sind jetzt beim Ehepaar Schleier im highbrow-intellectually eingerichteten Berliner Altbau, riesenhohe Räume mit Bildern und Büchern bis unter die Decke. Hier wird ausführlich diskutiert, ob nicht ihr Mann morgen nach Wuppertal könne. „Ich soll morgen 600 Km nach Wuppertal fahren?“ Na ja, dann fährt halt doch die gestresste Gattin und der Ehegatte meint (das ist einer dieser Sätze, die aus einem Degeto-Drehbuch-Rezept-Ratgeber stammen könnten) „Wenn ich alt bin, möchte ich auch mal so geliebt werden“ und „es ist Deine Mutter“.

Die Tonspur wird daraufhin zum Träger sensibler Klänge und Töne, als ob es sich um große Kunst handle.

Nun ist Frau Köhler bei Frau Elsner, die verrückt, aber nicht ihre Mutter ist, was Frau Köhler aber nicht weiß, noch erfahren will. Mutter und Tochter. Anlass für im Degeto-Kosmos willkommene und gern gesehene Mutter-Tochter-Bilder. Die werden mächtig orchestral mit Bedeutung aufgeladen. Großes Gefühlskino.

Sprung zurück, nie zu lang bei einer Beziehung, bei einer Szene bleiben, das gefällt den Fernsehfunktionären, also nach der Krankheitsszene wieder zurück zu freundlich einladenden 30er Jahre-Bildern, eine Party am Strand, Heißluftballon, helles, erheiterndes Licht und ebensolche Atmosphäre ringsum.

Und wieder die Birkenalle 81 in Wuppertal, zu der die Taxifahrt 82 Dm gekostet hat; man könnte zum Zahlenmystiker werden angesichts der bisherigen Inhaltsleere des Filmes.

Jetzt ist es Zeit für einen gehaltvollen Degeto-Satz von Frau Elsner „Der schönste Platz ist doch bei der Familie“. Oder: „Man muss Juri reinen Wein einschenken“ denn die Degeto liebt die Wahrheit.

Mutter und Tochter schauen in der Birkenalle 81 alte Fotos an. „Ekelhaft“ findet Frau Elsner zu einer Person. Frau Köhler darf aufklären „Das bist Du Mutter“ (unserer Mutter gewidmet). Und Frau Köhler weiß immer noch nicht, dass ihre Mutter gar nicht ihre Mutter ist und will es auch nicht wissen).

Die neue Hausherrin von Birkenalle 81 beklagt den Verlust der Teller, die Frau Elsner auf die Taxen-Kühlerhaube geschmißen hat, denn die stammen aus dem Baltikum. „Ach, sie stammen aus dem Baltikum“ .

Weiter Fotos anschauen. Frau Elsner verrücktet „Schweinedreck“, „um was geht es“. „Papa hätte lieber einen deutschen Schwiegersohn gehabt“.

Zu viel des geistigen Anspruchs, wir brauchen einen kleinen Ausflug aufs Eis: Mutter und Tochter auf der Eisbahn. Da die Szene für den Film weiter nicht von Belang ist und die Handlung nicht einen Millimeter vorwärts bringt, empfiehlt sich der bewährte Griff in die ausgeleiert-aufdonnernde Degeto-Musik-Kiste.

Zeit für einen gehauchten Satz von Frau Elsner: „ich bin die größte Liebende der Welt“. Verrückte, Kinder und Weise, sag ichs doch.

Während Frau Elsner an der Birkenalle 81 im Bad ist, im Jahre 1991, durchwühlt Frau Köhler mit der glatthaarigen Perücke die Tasche der vermeintlichen Mutter. Jetzt kommt es an den Tag – im Hintergrund singt Frau Elsner ein Lied, auf einem Bild ist die Mutter, die von Frau Elsner als Verrückte gespielt wird, und die im Film Marga heißt, da entdeckt Frau Köhler ihre Mutter Marga mit einem Mann „den ich nicht kenne“ (waren ja auch schon 60 Jährchen her). Die Vergangenheit bricht brutal ein in eine schöne Mutter-Tochter-Idylle.

Auf diese Weise irrlichtert diese Nicht-Geschichte einer Tochter, die zufällig herausfindet, dass ihre vermeintliche Mutter gar nicht ihre leibliche Mutter ist, umher zwischen 1933 und 1991 und lauter banalen Degeto-Sätzen. Ausweg: ein Schnitt, ein Sprung nach Tallin. Frau Schleier findet die richtige Mutter. Das ist nun eine sehr verschlossene Schauspielerin, die nicht viel spricht. Das ist für einen dramatischen Spielfilm höchst unergiebig und Steinbichler rettet mit dem Einfall, die beiden Damen, die jüngere im Hosenanzug, fotomodelhaft ans Meer zu stellen. Mehr konnte er da auch nicht rausholen.

Irgendwann, etwa nach 99 Minuten, löst sich die Nicht-Geschichte in einen wunderbar pastellen wirkenden blauen Himmel auf, auch das Blaue, das uns vorher daraus erzählt worden ist, verschwindet so wie auch dieser Film sehr schnell von den Leinwänden verschwinden wird, als sei nichts gewesen. Im Namen der verarschten Gebührenzahler sollte man die Degeto-Redakteure schadenersatzpflichtig machen, dass sie für teures Gebührengeld ein geistig so armseliges Werklein (und auch gar nicht lustig) finanzieren. Dass inzwischen Banker und Diktatoren für ihre Missetaten zur Verantwortung gezogen werden, lässt hoffen, dass auch öffentlich-rechtliche Fernsehredakteure nicht für alle Zeiten für ihre Untaten ungeschoren davon kommen werden.

Gregs Tagebuch 2 – Gibt’s Probleme?

Was kann man sich bei einem Film über eine Jugend mehr wünschen, als dass einem die eigene Jugend wieder lebhaft in Erinnerung kommt und einem so präsent werden lässt, dass die Gegenwart nicht das Ein und Alles sei und dass man selbst auch eine Geschichte hat? Aber was mir auch bewusst wurde, dass die Jugend nichts anderes ist, als ein oft fröhliches, oft schmerzliches Lernen und Ausprobieren. Was viele Verrücktheiten im Gefolge hat.

In Gregs Tagebuch 2, das bunt und fröhlich und mit lustigen Animationen dazwischen wie Zeichnungen aus einem Tagebuch angereichert ist, haben Greg und seine Freunde den grossen Sprung von der 6. in die 7. Klasse gemacht; in der Jugend liegen von einem Jahr zum anderen Welten. Jedes Jahr bringt seine eigenen Abenteuer, Entdeckungen, Entwicklungen. Die Mädchen werden jetzt immer wichtiger, aber die sind grösser und weiter entwickelt und unerreichbar und sie nehmen die Jungs gleichen Alters auch gar nicht so richtig ernst, was wohl einer vorausschauenden Weisheit der Natur zu verdanken ist.

Wir befinden uns als noch in einer Vorstufe zur Romantic Comedy, ganz ohne Schmachten, hier ist es noch ein Spiel, was kriegen oder nicht kriegen, weit entfernt von unendlicher Verliebtheit, die die Seele eines jungen Menschen in den Himmel heben kann oder Höllenqualen leiden lässt.

Den erzieherischen Rahmen für dieses Jahr vertritt öffentlich die Mutter von Greg, die Redakteurin beim lokalen Trumpet ist und wunderbar über Erziehung und die Erziehung zur Wahrheit schreiben kann. Viel zu schön, um wahr zu sein und die Entwicklungen zuhause, die werden sie beschämen. Denn nach der grandiosen Party, die die Jungs, genau genommen Gregs älterer Burder, während einer vorübergehenden Abwesenheit der Eltern veranstalten und weil die Wiederherstellung der Wohnung in den alten Zustand nicht mehr spurlos zu bewältigen ist, hilft am Ende dem Familienglück zuliebe nur noch Lügen. Greg wurde nämlich dank seiner Raffinesse selbst zum Komplizen der Veranstaltung. Man will vom älteren Bruder lernen und teilhaben. Das erzieherisch Wertvolle am Lügenverbot entpuppt sich als wertvoll gerade durch die Lüge, gerade durch die Lüge werden die beiden Brüder, von denen die Eltern sich nichts sehnlicher wünschen, als dass sie guten Kontakt zueinander haben, dickste Freunde. Das ist schon ein verrücktes Ding mit der Erziehung, um welche Ecken sie sich dann doch schliesslich gegen alle gut gemeinten Absichten durchsetzt.

Weitere Streiche, die auf dem Wege zum erzogenen Menschen unabdingbar sind: der Streich mit dem vorgeblichen Liebesbrief der Angebeteten, der ein Racheakt des nicht beachteten indischen Freundes ist; wie der ältere Bruder Greg für die Party in den Keller lockt und dort einsperrt; wie Greg sich mithilfe eines Erpresserargumentes und eines Telefons wieder befreit; wie einige gezielt gestreute Brösel am Boden vom wahren Ausmaß des Chaos ablenken sollen; oder wie Greg mit seinem dicken Kumpel Horrorfilme schaut; dann die Szene im Altenheim, wo Greg in Unterhosen seinem Tagebuch nachrennt, aber auch Streiche wie der mit der falschen Kotze auf Autos vorm Supermarkt, was sich halt so gehört für eine gesunde Jugend.

Was den Genuß noch erhöht, dass unabhängig ihres Alters die Darsteller alle ihre Probleme ernst nehmen und sie nie verkindet in Szene gesetzt sind.