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Ziemlich beste Freunde

Die Geschichte vom gelähmten, kultivierten, unglücklichen (weißen) Reichen und dem armen, ungebildeten, aber sorglosen und lebensbejahenden (schwarzen) Betreuer.

Francoix Cluzet spielt den superreichen Philippe, der nach einem Unfall mit dem Paraglider vom Hals an abwärts bis zur Zehenspitze gelähmt ist, der sich in einer endlos großen Stadtwohnung in Paris mit jeder Menge Personal und schicken Wagen im Innenhof verschanzt hält, der ständig auf Suche nach neuen Pflegern ist, weil es bei ihm keiner lange aushält.

Omar Sy spielt Driss, den gut gebauten, kräftigen, groß gewachsenen Schwarzen aus katastrophalem Milieu, arbeitslos und der sich nur der Form halber, um seine Anzahl Absagen zusammenzukriegen, weil ihm sonst die Stütze gestrichen werden, bei Philippe bewirbt.

Schon das ist eine kabarettreife Szene, die ganze Riege der Bewerber, alles frustrierte, ängstliche Typen und garantiert werden sie es nicht lange aushalten mit Monsieur. Dann drängelt sich Driss vor, er will so schnell wie möglich die Absage. Und wie das augenzwinkernde Schicksal es will, gefällt Philippe seine Art, die eher zur Art Brut passen würde als zu den alten Schinken, die die Wände in der superreichen Wohnung von Philippe zieren.

Jetzt haben das Schicksal und Regie und Drehbuch von Olivier Nakache und Eric Toledano – nach einer wahren Begebenheit übrigens wie es heißt – die beiden Gegensätze zusammengebracht: Hochkultur, Hochfinanz (oder wie auch immer Philippe sein Geld verdient haben mag), Steifheit und Reichtum mit viel Personal und vielen Räumen auf der einen Seite und den in asozialen Verhältnissen aufgewachsenen Driss, der aus Senegal stammt und in einer anonymen Hochhausvorstadt von Paris ein zukunftsloses Leben fristet und routiniert und abgefuckt seine Absagen einsammelt.

Was jetzt folgt sind eine ganze Reihe von Szenen die ein begeisternd motiviertes Ensemble mit großer Spiellust hinlegt, alles Variationen des Zusammenpralls der beiden Welten, der steifen, freudlosen reichen und der pragmatischen, sorglosen armen, der Weißen und der Schwarzen, der Vorstadt und des Großbürgertums. Jede einzelne Szene könnte als eine herrliche Nummer für sich stehen.

Nach diesem Film werden die Zuschauer das Kino garantiert nicht deprimiert verlassen, denn manchmal braucht es doch sehr wenig, um das Leben wieder lebenswert und lustig zu machen, egal wie die Umstände sind, ob Ganzkörperlähmung oder bildungsbenachteiligte Chancenlosigkeit.

Was mir das Problem hinsichtlich eines länger anhaltenden Erfolges scheint, das ist die dramaturgische Durchdenkung, das Spinnen eines Konfliktfadens, eines zwingenden Konfliktfadens. Mit geht das schon sehr glatt, wie Driss in die reiche Welt eindringt, wie er sie relativ selbstverständlich annimmt, wie er sich assimiliert. Vor allem, wie er sich gar nicht verändert dabei. Also die realistische Grundlage scheint mir die Geschichte ganz schön auszublenden, kein Mensch ist gegen Reichtum immun und schon gar nicht gegen Superreichtum. Das mag zwei drei Tage anhalten, die Sorglosigkeit, die Naivität, die Direktheit und Offenheit, aber die Anpassung geht meines Erachtens hier doch viel zu schnell und problemlos vonstatten. Die einzige Entwicklung von Driss scheint die zu sein, dass er jetzt eine Ahnung von Malerei hat (er hat inzwischen selber auch ein Gemälde gemalt und sein Boss hat es an seinen Anwalt für 11000 Euro verhökert), dass er weiß, was ein Alexandriner ist.

Das ist wirklich ein schöne Szene, wie Driss. nachdem er den Job bei Philippe aus familiären Gründen an den Nagel gehängt hat und wieder beim Arbeitsamt ist und auf einen Satz der Bearbeiterin sagt, das sei ein Alexandriner, das deutet zumindest an oder behauptet es, er habe eine Entwicklung durchgemacht. Und schön auch, wie die Dame sich dann am Ohrläppchen kratzt, aber das hat eine andere Bewandtnis, die auf einer frühere Szene referiert und soll hier nicht ausgeplaudert werden.

Als leichte Unterhaltung gedacht und leicht aufgetischt, also leicht verdaulich und mit Vergnügen zu genießen.

Die Frage ist, ob man die Figuren, und jede hat einen Grundkonflikt, nicht daruf hin abklopfen sollte und so auch einen dramaturgischen Spannungsbogen zu erzielen. Doch von Konflikten ist hier nicht die Spur. Es geht immer nur um das Aufzeigen der Differenz der zwei konträren Welten. Es steht nie auf Messers Schneide, ob der Film weiter geht, ob die Geschichte weiter geht, weil eine Figur an ihre Grenzen kommt.

Ein Film, der mir eher wie ein Arrangement of Understanding vorkommt, wir zeigen Euch jetzt mit großer Spiellaune, wie wir uns vorstellen, dass diese zwei gegensätzlichen Welten und Weltbilder aufeinanderprallen, wie die einfache, ungebildete Welt die reiche, gebildete, erstarrte Welt aufmischt. Insofern ist jede Szene, wie eine Brausetablette in stehendes Wassser. Aber es bleibt praktisch in x Wiederholungen immer der gleiche Vorgang. Insofern ist der Film für mich fast sowas wie ein Protokoll eines Workshops. Achtung: hier ist das abgestandene Glas Wasser. Jetzt lassen wir die Brausetablette reinfallen, also Driss kommt in die Szene, und jetzt mischt die alles auf. Und das funktioniert jedes Mal. Labor-Beweis der Gesetzmässigkeit, wenn Leben auf erstarrtes Leben stößt.

Der Ernst findet hier nicht auf der Ebene der Grundkonflikte der Figuren statt sondern eher auf der Ebene des spielerischen Inszenesetzens dieser Begegnungen.

Stichwörter: Maserati, Fabergé-Ei, Privatjet, Paragliding-Spritzausflug, Hauskonzert und Opernbesuch (hier wird vielleicht am deutlichsten sichtbar, dass die Belustigung im Publikum durchaus auch aufgrund von Unartigkeiten sich einstellen darf, unartiges Benehmen bei solch reglementierten Kulturanlässen).
Und man ist selbstverständlich tolerant: Fréderic, die lesbische Freundin von einer der Bediensteten.
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Dann die doch arg melancholische Musik, wie Driss den Job verlässt. Und der dröge Nachfolger schier verzweifelt.

Absehbares Konterkarieren von Erwartungshaltungen. Insofern überhaupt nicht originell.
Dann noch eine lustige Bartrasur-Nummer; Hitler-Schnauz: eine sichere Sache und dann noch ein deutsches „Nein“.

Das Story-Ende muss aus diesem Grunde des Nummern-Filmes arg hingebogen werden mit der Rückgabe des Fabergé-Eis und dem Date mit der unerreichbaren Brieffreundin Eleonore im Restaurant am Meer. Ein Ende, fast mehr der Form halber hinzugefügt.

Chinese zum Mitnehmen

Das Leben ist sinnlos und absurd. Darum macht es Sinn, nebst einem Leben, was eben sinnlos und absurd ist, absurde Geschichten, die angeblich passiert sind und die die Zeitungen abdrucken, auszuschneiden und zu sammeln, so wie Roberto, unser Protagonist es handhabt. Eine schöne Theorie über das Geschichten-Erzählen. Ein Film, der also auch eine Begründung fürs Geschichtenerzählen liefert. Diese Art Filme sind meist nicht von der schlechtesten Sorte, der hier jedenfalls garantiert nicht.

Roberto lebt allein, irgendwo in Argentinien. Er betreibt eine „Ferreria“, einen kleinen Eisenwarenhandel. Besonders machen ihm die Nägel zu schaffen, weil der Lieferant meist weniger in die Packungen steckt als angeschrieben sind. So zählt er denn die Nägel. Wie wir ihn kennen lernen, ist er gerade bei etwas über dreihundert angelangt. Und wieder fehlen einige. Sowas macht ihn narrisch. Macht aber auch sein höchst geregeltes Leben absurd. Daher hat er wohl das Faible für absurde Geschichten.

Er geht immer pünktlich um 23 Uhr schlafen. Regelmässig besucht er das Grab seiner Mutter. Auch das scheint ein Ritual zu sein. Mit dem immer gleichen Blumenstrauß, den er beim gleichen Blumenhändler beim Friedhof kauft. Zum Geburtstag der Mutter bestellt er per Versandhandel ein kleines Glastier, ein Vögelchen und stellt es in die Andachtsvitirne seiner Mutter, deren Portrait inmitten jeder Menge von derlei Nippes prangt. Auch dieses Ritual muss also schon Jahre dauern.

Roberto hat auch eine Verehrerin. Diese baggert ihn so direkt an, auch das ist so herrlich, dass sie in ihm nur die absurdesten Träume auslöst; er erlebt in diesen Träumen selbst die Geschichten, die er aus Zeitungen ausgeschnitten hat. Die Zeitungen, also was von denen übrig geblieben ist, bringt ihm ein Bekannter.

Roberto ist also ein Sammler. Außerdem ist er ein Flugsehnsüchtiger, im Auto baumelt am Rückspiegel ein kleines Flugzeug. Gelegentlich fährt er mit seinem lottrigen Fiat 1500 zum Flughafen, um die Flugzeuge beim Landen oder Abfliegen zu beobachten. Dort passiert ihm dann selbst eine vollkommen absurde Geschichte: aus einem Taxi wird ein Chinese rausgeschmissen, direkt ihm vor die Füße. Um den kümmert er sich und wird ihn nicht mehr los. Das wird der Hauptteil dieser verrückten Geschichte aus Argentinien.

Wie Roberto, der Einzelgänger, den ihm zugefallenen Chinesen mangels Alternativen und aus einer doch noch nicht ganz erloschenen Menschlichkeit provisorisch bei sich aufnimmt. Wie er ständig versucht, ihn loszuwerden. Wie die beiden Einzelgänger nun, die die Sprache des anderen nicht verstehen, miteinander umgehen, das ist diese wunderschöne Geschichte, die selbst in einen überaus absurden Rahmen gespannt ist und darum das Zeugs hat, selbst eine diese unglaublichen Geschichten zu werden, die unser Protagonist sammelt.

Der Regisseur dieses kleinen, ruhigen, verrückten Wunderwerkes heißt, er hat auch das Buch geschrieben, Sebastian Borensztein.

Samson & Delilah

Samson und Delilah sind zwei jugendliche Aborigines, die in den australischen Outbacks ganz abgelegen aufwachsen. Eine Kirche, eine Tankstelle, einige Containerhäuser. Delilah pflegt ihre Oma, Uraltaborigine mit zerfurchtem Gesicht, die aber, wenn man sie aus dem Rollstuhl auf den Boden setzt, noch „native Craft“ herstellen kann, also Farbtupfer auf vorgefertigte Muster auf Papier. Diese buntgemusterten Bilder werden von einem Händler gekauft und an eine Galerie in der Stadt verscherbelt. Dort sieht man sie dann später als große Ureinwohner-Kunst angepriesen und entsprechend ausgestellt. Samson mit Wuschelkopf (vielleicht haben wir uns den Samson mit dem langen Haar aus der Bibel ähnlich vorgestellt) und mit verschlossenem Gesicht wohnt in der Nähe von Delilah. Er sitzt viel rum, beobachtet Delilah, die ihre Oma im Rollstuhl spazieren führt. Oder er sitzt bei einer Band, die übt. Er hat keine Beschäftigung. Und es scheint auch niemanden zu geben, der sich um ihn kümmert. Hin und wieder wird er gewalttätig, einmal tötet er ein Känguruh, zerstört Musikinstrumente von der Band oder buddelt mit bloßen Händen ein wannengroßes Loch in die Erde, das sich sogleich mit schlammigem Wasser füllt. Er nimmt ein Bad darin. Einmal geht er hinter Delilah her, wirft ihr einen Gegenstand nach. Sie tut das gleiche ihm gegenüber auch. Die Oma spricht immer vom Bräutigam. Und lacht sich kaputt. Dann fahren sie mit einem Wagen auf und davon in die nächste größere Stadt. Da gibt’s immerhin ein große Brücke. Unter der landen sie bei einem Obdachlosen. Sie kaufen ein in Tankstellen. Klauen. Fangen an, Benzin zu schnüffeln. Einmal wird Delilah von einer Gruppe junger Männer in einen Wagen gezerrt. Samson, der vor ihr hergegangen ist, bemerkt das erst, wie der Wagen mit Vollgas davon braust. Samson sucht sie. Wie er unter die Brücke zurückkehrt, ist sie auch wieder da mit einem blau angeschwollenen Auge. Sie schnüffeln weiter Benzin. Stromern durch die Stadt. Entdecken die Galerie. Delilah fängt an selbst solche Bilder zu malen. Aber der Galerist zeigt kein Interesse.

Einer bringt sie schließlich ins Dorf zurück. Inzwischen sind beide krank, verletzt, Samson sitzt im Rollstuhl, Delilah hat ein Bein mit einer Schiene eingebunden. Ein Dorfbewohnerin beschimpft sie wegen des Autdiebstahles. Sie fahren in eine entlegene Hütte. Fangen an, sich einzurichten. Setzen ein altes Windrad, das Wasser pumpt, wieder in Gang. Sie wäscht ihn in der Tränke. Sie haben sogar die eine oder andere zärtliche Geste für einander.

Warwick Thornton hat dieses australische Wüstengemälde aus Existenzialismus, Elend und der Suche nach Liebe kommentarlos auf Film gebannt.

Und dann der Regen

Der Film ergreift eindeutig Partei für die Sache der Indios, aber nicht in der Art eines dezidierten Agit-Prop-Filmes, sondern mit einer Spielhandlung, die die komplexere Struktur des Films im Film benutzt.

Ein Filmteam will in Kolumbien einen Film über die Ankunft von Kolumbus drehen, einen rechten Historienschinken wie es aussieht und wie man es gewohnt ist. Dabei verhält sich das Team, das eine Menge Indio-Statisten braucht, nicht viel anders als die Eroberer. 2 Dollar Statistengage am Tag sollen genügen. Parallel erhöhen die Wasserwerke, die inzwischen privatisiert sind und das Wasser als Goldgrube entdeckt haben, den Preis auf über 400 Dollar im Monat. Ein Komparse bei diesem Film kann mit seinem kärglichen Gehalt nicht mal die Wasserrechnung bezahlen.

Der Film fängt mit dem Casting an, bei dem für 6 Positionen Hunderte Indios Schlange stehen und die Filmleute relativ schnoddrig das Verfahren, das auf Flugblättern als fair angekündigt worden ist, abkürzen und den Rest nach Hause schicken. Das wollen sich Daniel mit dem ausgeprägten Indiogesicht und seine junge Frau nicht bieten lassen. Er insistiert und macht Rabbatz. Dadurch wird er wahrgenommen, bekommt eine wichtige Hauptrolle, die des Indioführers Hatuey. Er belauscht ein Handy-Gespräch eines der Filmentscheider, wie er seinem Produzenten auf Englisch sagt, wie billig sie hier die Komparsen kriegen. Dieser Filmmensch ist dann merklich irritiert, wie ihm aufgeht, dass Daniel ihn verstanden hat.

Man sieht einiges vom Dreh oder auch ein Musterschauen in einem Studio. Gleichzeitig erhöhen die Wasserwerke die Preise massiv für dieses existentielle Gut und die Indios protestieren dagegen. Daniel wird zu einem der Worfführer des Aufstandes. Die Filmmenschen zittern, er könnte bei den schnell ins Gewalttägige ausufernden Auseinandersetzungen verletzt werden.

Parallel zur Aufruhrszene gibt es im Rathaus einen Empfang für die Filmleute, selbstverständlich ohne einen Indio. Die sprechen dem Bürgermeister gegenüber das Thema auch an. Aber wie Politiker so sind, ohne Erfolg. Später landet Daniel im Knast, er ist auch verletzt. Für die Produktion eine Katastrophe, denn man kann nicht mitten im Dreh einen Protagonisten umbesetzen. Der Produktionsleiter handelt mit dem Knast den Deal aus, dass er Daniel frei lässt, bis die letzte Szene, das ist die Kreuzigung, vorbei ist.

Prompt nach dem letzten Take am letzten Drehtag, wie die Feuer vor den Kreuzen noch brennen und die gekreuzigten Darsteller gerade anfangen runterzusteigen, trifft die Polizei ein, um Daniel zu verhaften. Er kann entkommen, herrlich wie die Indio-Darsteller das Polizeiauto, in dem Daniel drin ist, einfach umkippen, so dass der fliehen kann, die Polizisten drücken sie in der Zwischenzeit auf den Boden.

Das Filmteam will abreisen. Aber in der Stadt herrschen überall Unruhen. Barrikaden, eine zum Bersten gespannte Stimmung; der Produktionsleiter lässt sich von der Frau von Daniel überreden, noch ihre verletzte Tochter zu suchen; das wird eine Fahrt durch Feuer, Polizeiphalanxen und Barrikaden. Bis sie das Mädchen finden und im Spital abliefern können.

Anfangs kommt mir der Film etwas staatstheaterlich, aber in dieser Art gut gemacht vor, so wie für ein Publikum der 70er Jahre. Spätestens aber ab dem Thema Wasser, hat auch der Europäer seinen Andockpunkt. Und er kann sich nur wundern, wie leichthändig die Regisseurin Iciar Bollain, die auch als Schauspielerin arbeitet, die Szenen baut und aneinanderreiht. Oft zwar mit viel Gefühl, oft scheint es mit der überhaupt nicht negativen Routine, mit der lateinamerikanische Telenovelas gemacht werden, aber ohne kleinsten Abstrich am Kino. Denn der Film sieht nach viel mehr Budget aus, als er wohl gekostet haben dürfte. Gut dosiert die Massenszenen, dass die nach viel mehr aussehen. Schnelle, unkomplizierte Art, eine Geschichte zu erzählen, immer die Geschichte und ihr Ziel im Kopf. Das Ensemble zieht wunderbar mit, hat das (berechtigte) Vertrauen in die Regisseurin.

Der Erzählstil wechselt zwischen Momenten der Romanze bis zu den Momenten mit dem größten Sog, beim Show-Down durch die Barrikaden, zur feschen Art eines Blair-Witch-Projects. Und eben Telenovela, mit gefühligen Szenen dazwischen, aber nie nur des Gefühles willen, sondern weil die Handlung das verträgt, sozusagen, ein Minihauch an Ausschweifigkeit, und zwischendrin immer wieder diese Goya-Farben und Lichteffekte (die die vermutlich ohne großen Aufwand herstellen, lediglich mit Filter und Lichtreflexen auf die Hauptdarsteller, und dem Verzicht auf Ausleuchtung der Hintergrundräume).

Ein Film, der nicht nur aufregend erzählt, wie Lateinamerika versucht seine Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern auch die Gegenwart im Kino brisant werden zu lassen. Das Buch zu diesem Film, den man sich gut merken kann, hat Paul Laverty geschrieben.

Ich reise allein

Aus einer ruhigen Erzählposition heraus schildert der Norweger Stian Kristiansen die Geschichte, die Tore Renberg geschrieben hat. Vielleicht liegt es auch an der Behaglichkeit skandinavischer Winternächte, dass man sich Zeit lassen kann und immer wieder in der Erzählung, wie in trauter Runde hin und wieder einen Schnaps, einige geistige Erörterungen einbauen kann über Proust oder Fasching, die stehen sich in nichts nach, was den Erzählgehalt betrifft.

Hier geht es um Jarle Klepp, der rotschopfige Rolf Kristian Larsen spielt ihn, der im Film 25 Jahre alt ist, Student und Single und nebst dem Hauptaugenmerk auf seiner Dissertation über die Proustsche Onomastik noch genügend Zeit zum Feiern und für die Frauen hat. Eine Nacht allerdings, die hat er vollkommen vergessen – der Film erinnert sie gleich zu Beginn – und zwar vor genau sieben Jahren und neun Monaten. Er ist damals betrunken im Bett von Anette Hannsen gelandet, sie wird gespielt von Marte Opstadt, und Kondome – forget about it. Das wird ihm am Folgemorgen, wie er nackt im Doppelbett aufwacht, schlagartig bewusst. Er versucht nun mit einem Kollegen durch Lüften des Rockes der noch schlafenden Anette zu eruieren, ob was passiert sei, ein absurdes Unterfangen aber genau eine ausführliche Episode einer nordischen Erzählung wert, die somit auch über das nordische Erzählen was berichtet, dass man so ein Detail, was auch ganz anders abgehandelt werden könnte oder gar nicht geschildert zu werden bräuchte, der Geschichte diese eigenartige Würze und Lakonie verleiht.

Jarle hat die Episode vollkommen vergessen. Sieben Jahre und neun Monate später erhält er – er studiert in Bergen und wir schreiben das Jahr 1997 – einen Brief von Anette. Darin erfährt er, dass er Vater eines siebenjährigen Töchterchens ist und dass dieses auf dem Weg zu ihm nach Bergen sei, denn die Mutter bräuchte dringend Urlaub. Er möge das Mädchen am Flughafen abholen, es würde eine Woche bleiben und hätte außerdem noch Geburtstag in dieser Zeit.

Was macht also der nordische Erzähler? Er setzt unseren Jarle, der sich am Tag vor diesem überraschenden Treffen einen angesoffen und dann erbrochen hat, in einen leeren Flughafenbus, platziert genau noch eine Passagierin eine Reihe hinter ihn, und diese Frau fängt mit ihm prompt ein Gespräch über das Glück mit den Kindern an. So bereitet man ein Thema ohne Hast vor. Das Töchterchen heißt übrigens Charlotte-Isabel und Jarle findet den Namen gar nicht lustig.

Jetzt dürfen wir erleben, wie Charlotte-Isabel unseren Protagonisten allmählich aus seinem wissenschaftlichen Elfenbeinturm rausholt, wie sie Vertrauen zueinander fassen. Die Mutter von Jarle findet sich plötzlich als glückliche Oma und will sich dieses Glück nicht nehmen lassen. Täglich erhält Charlotte-Isabel mehr Onkels, denn die ganzen Kommilitonen von Jarle sehen darin eine dankbare Rolle für sich. Auch Charlotte-Isabel entgeht das Faszinierende dieser bunten, nonchalenten Studenten-Welt nicht.

Für die melancholische Note sorgen Tod und Begräbnis von Prinzessin Diana, was Charlotte-Isabel immer wieder am Fernsehen sehen will, denn ein bisschen möchte auch sie sich als kleine Prinzessin fühlen. Die Welt von Universität und Studenten stehen diesem Gefühl in nichts entgegen.

Wie dann ihre Mutter auftaucht, wandelt sich unsere Erzählung kurfristig zum Soziodram aber Gitarrenzupfmusik verhilft dazu, die Kurve zur Lakonie wieder zu kriegen. Auch die Tamagochis spielen eine Rolle, die niedliche japanische Modeerscheinung, die wie eine Heuschreckenplage vor einigen Jahren unseren Planeten überzogen hat, man muss diesen Spielzeugen immer wieder Zuwendung geben, sonst sterben sie; welche Mode aber auch wieder von einem Tag auf den anderen verschwunden ist. Weil das Erzählen so Spaß gemacht hat und weil wir die Figuren so lieb gewonnen haben und weil noch dazu der nicht-leibliche Vater von Charlotte-Isabel sie und ihre Mutter hat sitzen lassen, so beenden wir die Geschichte als schöne Romantic Comedy, das kann uns nun, da wir so lange aufmerksam ausgehalten haben, keiner mehr verwehren.

Letter to the Future

Mit dem Brief an die Zukunft hört diese Langzeitdoku über die Familie Torres aus Havanna, Kuba, auf. Der Enkel von Miriam Torres, Diego, schreibt ihn. Er beherzigt darin die Lehre von seiner Oma. Dass eben noch nicht alles erreicht sei in der sozialistischen Revolution Kubas.

Der brasilianische Filmemacher Renato Martins ist bei einem Filmfest in Kuba bei den Torres zu Gast gewesen und war fasziniert von ihrer engagierten, reflektierten Art, mit wieviel Bewusstsein sie ihr wirtschaftlich armseliges Leben ganz ohne Jammern verbringen. Sicher trägt der Filmemacher mit seinen Fragen dazu bei, dass der Eindruck einer Familie entsteht, die sich ihren Stand und Status und auch den der Revolution von Fidel Castro immer wieder bewusst macht, immer wieder überlegt. Die Mutter ist Jahrgang 1944 und ihr Vater Pipo, die haben Fidels Revolution bewusst erlebt, bewusst mitgemacht, das ist eine Geschichte, die sie immer noch bewegt und umtreibt. Man könnte auch sagen, sie haben sich nicht irgendwie dem Schicksal ergeben, denn es ist eben noch nicht alles erreicht.

Im Jahr 2003 fing Martins an und der Brief, den Diego schreibt, datiert von 2010. Martins hat aber nicht nur selbst gedreht, er hat auch Archivfootage, Amateurmaterial geschickt in die Bildfolgen eingebunden, gerade die unterschiedlichen Qualitäten wirken sich hier bereichernd aus. So wie Miriam, die einmal ihren Sohn in Miami besuchen durfte, diese Reise als Bereicherung empfunden hat, es aber für das größte Glück hielt, wie sie wieder da war und wie ihr Enkel sie freudig begrüßt hat und wie der wiederum voller Freude seine Mutter gerufen habe.

Die Torres lassen sich die Würde nicht nehmen von der wirtschaftliche Armut, und von einer solchen kann bestimmt gesprochen werden; sie wird auch direkt angesprochen: seit Jahrzehnten dieselbe Wohnung, dieselben Möbel, dieselben Kleider, dasselbe Auto. Man stammt ja nicht aus proletarischen Verhältnissen. Es sind Leute, die bei uns zum Bildungsbürgertum zählen dürften.

Miriam war Chemielehrerin, ihr Vater Pipo, der dann im Laufe der Dreharbeiten 90jährig verstorben ist, war aktiver Revolutionär. Der Gedanke der Revolution wurzelt also tief in der Familie Torres, die fast alle dieses prägnante schmale Gesicht haben und auch die Art, wie Miriam spricht, dieses kurze, knappe, präzise Dinge-auf-den-Punkt-bringen, ohne je einen jammernden oder anklagenden Unterton, das imponiert, schafft Verbindlichkeit der Aussagen.

Vielleicht wären die Torres, wenn sie in unserem Wohlstand lebten auch vor allem damit beschäftigt, sich darin einzurichten, ihn zu mehren, wir wissen es nicht. Klarer Geist auf Havanna. Diego der Sohn, der gegen Ende des Filmes in die Pubertät eintritt, der erste Abend, den er allein weg war von zuhause, am Strand und es ist nichts passiert, der möchte Journalist werden. Sicher ist im Film zu hören, „immer das gleiche Brot essen“, “seit 40 Jahren das gleiche Brot“. Oder die Frage wird gestellt, wo denn Fidel Castro abgeblieben sei. Oder Miriam schildert das Privileg ihres Mannes, der sich mit Fidel und Raul Castro ablichten lassen durfte, während ihr Privileg darin bestanden hatte, ein Kind zur Welt zu bringen, ihre erste Tochter.

Eine lustige Szene findet sich sehr früh im Film, wie der noch kleine Diego den Opa, der nicht mehr selbständig gehen kann, sondern zwei rohe, holzgezimmerte Gehhilfen benutzt, als Bush-Freund und Dussel bezeichnet. Dass Armut und Mangel an Wasser solidarisch machen kann, zeigt die problematische Wasserversorgung, die wird dann zwar im Laufe des Filmes wirklich besser, aber anfangs müssen improvisierte Aktionen unter Nachbarn helfen, dass das Wasser überall fließt, wenn es denn überhaupt fließt.

Die Begründung für den Sozialismus besteht aus Liebe und Solidarität. Lustige Szene dazu, wie Diego ein Gedicht über den verehrten Che vollkommen auswendig, lustlos und sinnfrei runterrattert und wie die Oma ihn dazu bringt, es gehaltvoller vorzutragen.

In unserer Himmelsgegend müsste man wahrscheinlich weit gehen, bis man jemanden findet, der vor lauter Wohlstand sich noch ein so klares Denken wie die Torres bewahrt hat.

Die Vorteile des kubanischen Sozialismus werden gelobt, die Abgabe von Medikamenten, die gratis ist, (darauf hat Michael Moore in seinem Film über das Gesundheitswesen hingewiesen, wie er mit dem Schiff vor Guantanamo und mit Megaphon darum gebeten hat) oder auch die Bildung, die gratis ist. Das Bruttosozialprodukt, das interessiert Miriam nun überhaupt nicht, das ist ihr egal. Sie meint aber auch, nach 40 Jahren sollten die simplen Dinge nun endlich gelöst sein

Einmal gibt’s einen Einblick in die Cigarrenfabrikation. Einer aus der Familie, der Arbeiter ist, beklagt sich über die immer gleiche Arbeit, die kaputt macht, andererseits ist die Arbeitssuche schwierig. Über die Monotonie der Arbeit. Kein Entkommen. Andererseits ist es aber schwer, überhaupt einen Job zu kriegen.

Miriam heißt nicht alles gut, denn nur Widerspruch bringt Entwicklung. (Der gute Marx, der Hegel und die Dialektik, könnte man hinzufügen). Nach der Miami-Reise meint Miriam: wir hätten das Gute am Kapitalismus bewahren sollen. Miami war schön, aber irgendwann kam der Punkt, da wollte sie wieder nach Hause. Der Sohn in Miami ist pummelig geworden. Mit der Revolution ist es wie mit der Liebe: kein Mann ist perfekt. Ich habe mich verliebt und ich bin treu. Auch das ein sicher ungewöhnliches Merkmal von Miriam. Ein Geradeaus-Mensch, Ohne Arg und List. Es muss besser werden, die Zukunft muss besser werden.

Auf der Tonspur: Lieder, die von Corazon (dem Herzen) und von declaracion d’amor (Liebeserklärung) erzählen.

Blutzbrüdaz

Kein deutsches Studienratskino. Kein deutsches Kopfkino. Kein typisch deutsches Förderkino. Deutsches Kino, was sich nicht zu schön ist, ein paar elementare Dinge des cinematographischen Geschichtenerzählens zu beherzigen, deutsches Kino, was nicht nur ein Thema hat, ein ganz ernstes sogar!, sondern auch ausgezeichneten Hauptdarsteller, um den herum sich eine weitere Riege glaubwürdiger, die Story vorwärtstreibender Figuren versammelt. Oder man könnte auch sagen, es geht um Kunst, Charakter und Kommerz. Otis, der Protagonist, versus Sony, den miesen Antagonisten.

Um das Haaar in der Suppe vorwegzunehmen. An einer Stelle kam dann doch so ein typischer Fernsehdialog, Otiz, der Protagonist kommt in den verwüsteten Plattenladen und fragt, „was ist denn hier los“. Dabei kann sich der Zuschauer sowieso denken, was los war, denn das Drehbuch zum Film scheint mir sorgfältig geschrieben von Nicholas J. Schofild und Jan Ehlert und klug, dass der Regisseur, Özgür Yildirim, es andere hat schreiben lassen (denn damit hatte ich bei seinem erste Langfilm „Chiko“ so meine lieben Probleme). Die Dialoge ordnen sich fugenlos der Geschichte unter, ergeben die Geschichte wie von selbst. Dadurch wirkt sie als eine einfache Geschichte. Und sie hat ein klares Thema. Es geht um Authentizität, um das Sich-Nicht-Verbiegen-Lassen, sich Nicht-Verarschen-Lassen im Musikbusiness. Das zeigen die Macher des Filmes schön und sinnlich.

Das Vehikel für das Thema ist das Rapper-Duo Blutzbrüdaz mit Sido als Otis, dem Protagonisten des Filmes und seinem Partner Bobby Tight als Eddie-Gangster. Die Geschichte ist die: die beiden rappen aus Bedürfnis heraus, indem sie ihre beschissene Lebenslage rhyhtmisch in Worte fassen. Sie sind am Boden, haben nicht mal Geld für einen Disco-Eintritt (so müssen sie denn eine Scheibe zum Clo einschlagen, um überhaupt auf die Bühne zu gelangen bei einem Wettbewerb, aber sie werden gleich wieder rausbugsiert) geschweige denn verfügen sie über die Mittel, ein Demoband zu machen.

Der Film erzählt, wie sie dank Hilfe von guten und weniger guten Menschen es schaffen; allerdings wird ganz oben, bei Sony die Luft dünn, das Mitreden gewaltig, ein abgefuckter Sony-Manager, der die Firma hier in kein gutes Licht taucht, will dem Duo in etwa die Substanz austreiben, um damit Geld zu scheffeln. Das lässt Otis nicht mit sich machen, er steigt aus. Er nutzt die Kunst aber weiterhin, so wie sie ursprünglich sein Bedürfnis war, in erster Linie um sich und seine Situation auszudrücken, die nicht blendend war, nachdem er bei Sony ausgestiegen ist, weil die den karrieristischeren (und auch leichter zu gängelnden) Eddie-Gangster gepusht haben. Die Geschichte wäre natürlich keine schöne Geschichte, wenn er als Aufrechter es dann nicht doch schaffen würde. Doch die Autoren bauen immer genügend Hindernisse mit plausiblen Charakteren ein, die das das Gelingen ans Ende einer angenehmen Spielfilmlänge verschieben.

Der Film ist für mich eine Überraschung. Erstens hatte ich vorher keinen Lärm drüber gehört. Und beim unvoreingenommenen Schauen hatte ich anfänglich durchaus Bedenken. Einerseits kam mir die Sorgfalt, mit der hier gearbeitet worden ist, doch sehr unrapperisch vor. Es gibt sehr früh eine Szene in der U-Bahn. Da sitzen sich die beiden Rapper gegenüber und üben Texte. Immer wieder entdeckt die Kamera „zufälligerweise“ genau die Objekte, die ihr Text behandelt, sei es in Form von Personen oder Plakaten. Das könnte selbst ein kleiner Rapclip sein. Aber dann wird er schnell zu einer Geschichte, die man ernst nehmen muss, der zu folgen Spaß macht, sie haben auch schöne Locations und natürlich immer wieder Rapper-Nummern dazwischen.

Die Schauspieler scheinen mir nicht nur sehr passend ausgesucht, sondern spielen auch überzeugend innerhalb des Freiraumes, den die einzelnen Rollen in ihrer Funktion innerhalb der Erzählung haben. Am meisten Sympathie wird Sido einheimsen, der sich treu bleibt. Und wir wollen jetzt nicht so weit gehen, das als Kalkül abzutun, immerhin bietet er einem Weltkonzern namentlich die Stirn. Dann Claudia Eisinger, die die taffe Assistentin Jasmin vom Sony-Macher spielt, die mehr Macht hat als ihre Funktion vermuten lässt, die aber die Entwicklung um die Blutzbrüdaz wach verfolgt und bei der die widerliche Behandlung der Band durch Sony auch das Fass zum Überlaufen bringt. Allerdings muss man sich da einiges selber denken, weil sich alles um Sido dreht. Trotzdem ist der Umschwung bei ihr so, dass man ihn sich merken kann und er zur Profilierung der Figur beiträgt.

Fazit: ein Film in einer universellen Erzählweise, wie sie in Deutschland nicht mehr möglich schien mit einem Protagonisten, der Empathie erweckt; ein Schritt in die richtige Richtung. Und vielleicht einer der ersten, die endlich mal das Ausländerthema nicht als Thema behandeln. Es ist die Geschichte von Menschen in Deutschland, die nach oben kommen wollen und dabei mit den Machenschaften von Konzernen wie Sony ins Gehege kommen, weil sie sich nicht verbiegen lassen wollen

Der Film spielt im Berlin anno 2000. Und wenn ein Automat, weil er nicht funktioniert und man draufhaut in der U-Bahn, Geld ausspuckt bis die U-Bahn-Wache kommt, die abgerissenen Rapper zu verhaften, dann spukt der jede Menge schöner alter Markstücke aus, die man sich trotz Eurokrise nicht zurückwünscht.
Seinen Weg gehen, das ist das aufrechte Motto von Sido/Otis. Und damit vielleicht auch der Weg zu den Ursprüngen des Geschichtenerzählens, denn wer seinen Weg geht, der hat was zu erzählen. Somit kleine Gegenposition zu den Heerscharen deutscher Filmemacher, die sich durchs Fördersystem von ihrem Weg abbringen lassen.

Darkest Hour

Was war jetzt das? Die Erfindung der Elektro-Aliens? Von dieser Idee muss ein Filmmensch so begeistert gewesen sein, dass er meinte, unbedingt einen Film darüber machen zu müssen. Allein es sind zwei Dinge, unheimliche Elektro-Ungeheuer zu erfinden und damit Moskau zu invadieren und daraus eine spannende Geschichte zu entwickeln. Dem geneigten Zuschauer ist auch klar, dass mit Computeranimation sich vielerlei machen lässt und das sieht ja auch lustig aus, wenn ein Blitz wie eine Tentakel, also ein langsamer Blitz wie ein Faden, wie ein Seil einen Menschen erwischt, ihn ansaugt und dann in der Luft in Tausend oder Millionen Teilchen zerstäubt und zersplittert. Schöner Effekt.

Abendfüllend ist solche Effekterei nicht, auch nicht in 3D. Jetzt müsste zur Begeisterung für den schönen und für die Menschen gefährlichen Effekt auch noch die Kunst oder die Begabung des Geschichtenerzählens kommen, wenn denn der Effekt richtig gruseln soll, wenn er so einfahren soll, dass man nach dem Kino unwillkürlich elektrisch aufladbare Gegenstände meidet oder lieber gleich in die Tram, den Bus oder das Auto stürzt von wegen rettendem Faradayschem Käfig.

Daran scheint es jedoch den Autoren John Spaihts und Leslie Bohem weitgehend zu mangeln. Sie glauben, es reicht vollkommen aus, wenn sie das Thema einführen, indem sie zwei junge amerikanische IT-Männer in ein Flugzeug nach Moskau setzen und der eine spielt mit seinem Handy. Doch dann stellt sich die Stewardess mit verschränkten Armen vor ihn hin, solche technischen Geräte können zu Interferenzen mit den Stromkreisen des Flugzueges führen und somit zur Gefahr werden. Darüber können junge, amerikanische IT-Menschen nur lachen. Kaum haben sie ausgelacht, fällt im Flugzeug schon der Strom aus. Das Flugzeug wird imponierend aufgenommen, mitfliegende Kamera von außen und unten und oben und viel physischer Eindruck auch durch den Sound.

Selbstverständlich müssen die zwei jungen Männer zwei jungen Frauen, auch aus Amerika, begegnen, aber erst lassen die Autoren sie von einer russischen IT-Firma abservieren: Ideenklau ist selbstverständlich, die Security wird Sie nach aussen begleiten. Also Zeit, die beiden Herren in der Disco mit den Damen zusammenzubringen. Viel mehr gibt’s darüber nicht zu berichten, Stereotypien reizlosen Anbandelns.

Jetzt reichts den Autoren sowieso schon mit Geschichte, es ist mühsam, sowas allein scho anzuskizzieren, sie können eh kaum mehr hinterm Berg halten mit den Effekten, mit den Elektro-Aliens und die lassen sie nun über Moskau landen und ihr Vernichtungswerk beginnen. Kleine Menschengruppen können sich retten. Die zwei Amerikaner und die zwei Amerikanerinnen finden Zuflucht bei einem Tüftler, der seine Wohnung in einen Faradayschen Käfig umgebaut hat und der auch eine Waffe gegen die Elektro-Aliens entwickelt hat.

Jetzt geht es weiter wie bei einem Würfelspiel oder einem Computerspiel: neue Hindernisse, neue Gefahren, Angriffe und Gegenangriffe, wer auf Feld X oder Y kommt, scheidet aus. Die Figuren in diesem Film haben nicht mehr Individualität als Spielfiguren aus Holz wie Schachfiguren oder eben Videogame-Figuren. Der Nachteil bei diesem Spiel ist, weil es im Kino läuft, dass der Zuschauer nicht mitspielen kann. Das ist für den interaktive Spiele gewohnten modernen Menschen vielleicht nicht allzu spannend.

Sherlock Holmes: Spiel im Schatten

Jetzt machen wir hier so richtig einen drauf mit Effekten und Hans Zimmer soll, was er an Tönen und Phon zusammzwingen kann, darüberkomponieren, das scheint sich Guy Ritchie, der Regisseur, gesagt zu haben.

Sherlock Holmes, gespielt von Robert Downey Jr., sieht in jedem Moment übernächtigt und fertig aus, als ob er letzte Nacht mehrer Frauen glücklich gemacht habe. Das macht attraktiv, auch wenns nur die Maske war mit der Akzentuierung dunkler Ringe unter den Augen. Vor lauter Verkleidungen, manchmal chamäleonhaft wie ein Polsterstuhl, auf den er sich gerade gesetzt hat, vor lauter Kämpfen und Schießereien kommt er gar nicht dazu, sein zotteliges Haar zu richten. Und Pfeife rauchen soll er auch noch. Soviel schuldet er doch seinem Vorbild von Arthur Conan Doyle.

Schon bei „Sherlock Holmes“ von 2009, verfilmt von demselben Guy Ritchie, haben wir gesehen, dass ihn nicht das uns vertraute Bild des skurrilen, grüblerischen, teils weltfremden dann doch wieder hellwach kombinierenden Verbrecherjägers interessiert, sowas findet Ritchie nur fad. Und da er offenbar Erfolg mit seinem dem Original gegenüber respektlosen Rezept hatte, versucht er jetzt mit „Sherlock Holmes – Spiel im Schatten“ noch eins drauf zu setzen, versucht die Distanzierung vom vielleicht etwa angestaubten Original noch zu perfektionieren. Ritchie benutzt die berühmten Figuren lediglich als Vorwand für einen Fez an Effekten, um seinen Kinospleen auszuleben, dass einem schier schwindlig wird in den zweieinhalb Stunden, als ob man in einer zudröhnenden Disco gewesen wäre.

Die Kombinationsgabe von Holmes, das hat Ritchie schon bei der ersten Verfilmung praktiziert, die gibt jedesmal Anlass für ein schnelles Schnittpotpourri aus Closeups der zu kombinierenden Gegenstände, wie in einem Trailer, wie in einem Mini-Kurzfilm. Psychologie, scheiß drauf. Eine gewisse Skurrilität ist sogar noch da; wie Watson Holmes das erste Mal aufsucht und sich hinter der Tür ein dichtes Urwaldbuschwerk breit macht mit Ziegen dahinter für absurd anmutende Experimente; eher das Labor eines Magiers, wie denn sowieso vieles in diesem Film an Zaubertricks erinnert, zum Beispiel der an der Decke klebende Kosak bei der Szene mit dem Kartenlesen. Willkommen im Zauberkabinett des Dr. Holmes resp. von Dr. Ritchie.

Hemmungslos frönt Ritchie seinem Faible für Spielereien mit dem Kino, so als befinde sich dieses noch in einer Phase seiner Unschuld. Die Flucht aus der Munitionsfabrik in Heilbronn durch den Wald und der Geschützregen hinter den Fliehenden her, den benutzt er für herrliche Bilder der Fliehenden, wie er sie immer mehr in Zeitlupe abbremst, damit man ganz genau sieht, wie die Kugeln sie verfehlen und die Rinden der Bäume häuten. Oder Eisenbahnfahrtsaction wie schon hundert Mal gesehen, aber immer wieder lustig und mit WC-Armaturen, die zu Waffen umkombiniert werden können. Das sind wunderbare Effekte oder Erfindungen. Und davon setzt Ritchie reichlich ein, in Paris, in der Schweiz in einer Art Schloss Neuschwanstein, was in schwindelnder Höhe auf einen Felsvorsprung gebaut ist. Oder in Paris und London.

Kino als ein turbulenter Ritt durch eine Effekten-Geisterbahn mit den immer wieder auftauchenden Figuren Holmes und Watson und natürlich der böse Gegner, der gerade auf dem Weg zu Weltherrschaft ist, Professor James Moriarty, eine Art James-Bond-Antagonist.

Die Sprache wird von den Drehbuchautoren Michele und Kieran Mulroney als ein Fundus von seltsamen Wörtern betrachtet, die aufgefahren werden aus den verschiedensten Bereichen, Wissenschaft, Rüstungsindustrie, Forschung oder allgemeine Weisheiten über das Leben („besser sterben als ein Leben im Fegefeuer“) und auch die Kultur wird geplündert, Schubert und das Lied von der Forelle. Urbane Camouflage, der Tod des Dr. Hofman, seltene Form der Tuberkulose, Trockenobst aus Pfirsichen, Igelgulasch, das rote Büchlein und das Taubenfüttern.

In manchen Szenen überträgt sich direkt die pure Lust des Regisseurs am Spiel mit diesen Action- und Effekten-Versatzstücken um ihrer selbst willlen. Eine Art l’art pour l’art de l’effet um Sherlock Holmes herum, ein buntes Sammelsurium an Begriffen, die offenbar eher der Buntheit und nicht der Begrifflichkeit wegen eingesetzt werden.

Wühltisch oder Flohmarkt, das ist hier die Frage – oder war es doch nur Kostümparty in der Zauberdisco?

Alvin und die Chipmunks 3: Chipbruch

Dieser Kinobesuch kann vom Vergnügungswert her in etwa einen Besuch in einem Kinder-Freizeitpark, einem Disneyland ersetzen; dürfte jedoch unterm Strich weniger zeitaufwendig und sicher etwas billiger sein, vor allem weil die Produzenten auf den 3D-Geldmachspleen verzichtet haben, sicher nicht zum Nachteil des Produktes, denn die Shownummern und Ungezogenheiten und auch Überlebensstrategien und Frechheiten der Chipmunks kommen auch so wunderbar zur Geltung. Und die Songs, die teils original eingespielt werden, haben natürlich deutlich mehr Pep als die deutschen Synchrostimmen für die gesprochenen Texte, die aber auch ganz ok sind und uns den Freizeitspaß nicht verderben können.

Sicher ist es nicht leicht, neue Geschichten zu erfinden und die Bemühung, etwas einigermaßen Originelles auf die Beine zu stellen, ist schon ablesbar allein dadurch dass laut IMDb vier Autoren an den Texten und den Charakteren rumgedoktert haben: Jonathan Aibel, Glenn Berger, Ross Bagdasarian, Janice Karman.

Dave, der Vater der Chipmunks, die wirklich entzückende Fellknäuel oder sowas wie Eichhörnchen sind und besonders die weiblichen meist nett wie Barbiepuppen angezogen, will also mit seinen Berühmtheiten auf große Kreuzfahrt gehen und am Ende soll die Teilnahme an einem Showettbewerb stehen.

Das Thema der ersten halben Stunde wird schon durch die Location vorgegeben: auf einem Kreuzschiff gelten strenge Regeln, die auch die kleinen entzückenden Lebewesen einhalten müssen. Da sie aber ungezogene Kinder sind, bringen sie Dave, allen voran Alvin, der später echte Gewissensbisse deswegen kriegt, immer wieder in Schwierigkeiten und in Konflikt mit dem Kapitän und dem ellbogigen Pinguin-Maskottchen.

Einer der dummen, von Alvin initiierten Streiche hat drehbucheinschneidende Folgen, Alvin klettert auf einen Drachen, den ein dicker Junge, der muss nun mal klischeehaft dick sein auf so einem dicken Kreuzfahrtschiff, fliegt lustvoll in der Seeluft hoch über dem Ozean, seine Geschwister wollen ihn erst halten, aber die Kräfte der Natur und der Drehbuchautoren sind stärker und bescheren so mit einer Zwischenstation im Meer ein längeres Kapital einer Art Robinsonade auf einer einsamen, allerdings vulkanigen Insel, auf der eine überraschende Dschungelschönheit haust, deren Absichten nicht ganz integer sind. Logisch, dass Dave und der Schiffmaskottchenpinguin bald auch an die Gestade dieser tropischen Insel angespült werden. Jetzt kanns bis zum Happy End nicht mehr weit sein und bei der nächsten Flugreise sind die Chipmunks, allen voran Alvin schon wieder so frech wie nie zuvor, jetzt käme das Kapitel einer turbulenten Reise in einem verrückten Flugzeug. Aber so weit sind wir noch nicht, das wird dann vielleicht die Fortsetzung dieser sorglosen Unterhaltung in quicklebendiger amerikanischer Tradition arrangiert oder inszeniert von Mike Mitchell.

Die älteren unter den Kids, die vielleicht aus dem gröbsten Slapstickalter heraus sind, die werden nach diesem Filmbesuch übrigens sehr genau auf den Unterschied in der Aussprache von Simon achten, ob auf Englisch (Saimen) oder auf französisch (Simoh) und die unterschiedlichen Lebensauffassungen oder Lebenskunst, die sich dadurch artikuliert.

Am witzigsten finde ich den Titelzusatz auf deutsch: Chipbruch, der trifft ganz genau das Thema der Story (darin könnte auch noch ein Hinweis auf Tiefsinn jenseits der bürgerlichen Ansprüche auf Regeln und Benimm respektive deren Konterkarierung durch ungezogene Chipmunks gelesen werden).