Archiv der Kategorie: Review

Blutzbrüdaz

Kein deutsches Studienratskino. Kein deutsches Kopfkino. Kein typisch deutsches Förderkino. Deutsches Kino, was sich nicht zu schön ist, ein paar elementare Dinge des cinematographischen Geschichtenerzählens zu beherzigen, deutsches Kino, was nicht nur ein Thema hat, ein ganz ernstes sogar!, sondern auch ausgezeichneten Hauptdarsteller, um den herum sich eine weitere Riege glaubwürdiger, die Story vorwärtstreibender Figuren versammelt. Oder man könnte auch sagen, es geht um Kunst, Charakter und Kommerz. Otis, der Protagonist, versus Sony, den miesen Antagonisten.

Um das Haaar in der Suppe vorwegzunehmen. An einer Stelle kam dann doch so ein typischer Fernsehdialog, Otiz, der Protagonist kommt in den verwüsteten Plattenladen und fragt, „was ist denn hier los“. Dabei kann sich der Zuschauer sowieso denken, was los war, denn das Drehbuch zum Film scheint mir sorgfältig geschrieben von Nicholas J. Schofild und Jan Ehlert und klug, dass der Regisseur, Özgür Yildirim, es andere hat schreiben lassen (denn damit hatte ich bei seinem erste Langfilm „Chiko“ so meine lieben Probleme). Die Dialoge ordnen sich fugenlos der Geschichte unter, ergeben die Geschichte wie von selbst. Dadurch wirkt sie als eine einfache Geschichte. Und sie hat ein klares Thema. Es geht um Authentizität, um das Sich-Nicht-Verbiegen-Lassen, sich Nicht-Verarschen-Lassen im Musikbusiness. Das zeigen die Macher des Filmes schön und sinnlich.

Das Vehikel für das Thema ist das Rapper-Duo Blutzbrüdaz mit Sido als Otis, dem Protagonisten des Filmes und seinem Partner Bobby Tight als Eddie-Gangster. Die Geschichte ist die: die beiden rappen aus Bedürfnis heraus, indem sie ihre beschissene Lebenslage rhyhtmisch in Worte fassen. Sie sind am Boden, haben nicht mal Geld für einen Disco-Eintritt (so müssen sie denn eine Scheibe zum Clo einschlagen, um überhaupt auf die Bühne zu gelangen bei einem Wettbewerb, aber sie werden gleich wieder rausbugsiert) geschweige denn verfügen sie über die Mittel, ein Demoband zu machen.

Der Film erzählt, wie sie dank Hilfe von guten und weniger guten Menschen es schaffen; allerdings wird ganz oben, bei Sony die Luft dünn, das Mitreden gewaltig, ein abgefuckter Sony-Manager, der die Firma hier in kein gutes Licht taucht, will dem Duo in etwa die Substanz austreiben, um damit Geld zu scheffeln. Das lässt Otis nicht mit sich machen, er steigt aus. Er nutzt die Kunst aber weiterhin, so wie sie ursprünglich sein Bedürfnis war, in erster Linie um sich und seine Situation auszudrücken, die nicht blendend war, nachdem er bei Sony ausgestiegen ist, weil die den karrieristischeren (und auch leichter zu gängelnden) Eddie-Gangster gepusht haben. Die Geschichte wäre natürlich keine schöne Geschichte, wenn er als Aufrechter es dann nicht doch schaffen würde. Doch die Autoren bauen immer genügend Hindernisse mit plausiblen Charakteren ein, die das das Gelingen ans Ende einer angenehmen Spielfilmlänge verschieben.

Der Film ist für mich eine Überraschung. Erstens hatte ich vorher keinen Lärm drüber gehört. Und beim unvoreingenommenen Schauen hatte ich anfänglich durchaus Bedenken. Einerseits kam mir die Sorgfalt, mit der hier gearbeitet worden ist, doch sehr unrapperisch vor. Es gibt sehr früh eine Szene in der U-Bahn. Da sitzen sich die beiden Rapper gegenüber und üben Texte. Immer wieder entdeckt die Kamera „zufälligerweise“ genau die Objekte, die ihr Text behandelt, sei es in Form von Personen oder Plakaten. Das könnte selbst ein kleiner Rapclip sein. Aber dann wird er schnell zu einer Geschichte, die man ernst nehmen muss, der zu folgen Spaß macht, sie haben auch schöne Locations und natürlich immer wieder Rapper-Nummern dazwischen.

Die Schauspieler scheinen mir nicht nur sehr passend ausgesucht, sondern spielen auch überzeugend innerhalb des Freiraumes, den die einzelnen Rollen in ihrer Funktion innerhalb der Erzählung haben. Am meisten Sympathie wird Sido einheimsen, der sich treu bleibt. Und wir wollen jetzt nicht so weit gehen, das als Kalkül abzutun, immerhin bietet er einem Weltkonzern namentlich die Stirn. Dann Claudia Eisinger, die die taffe Assistentin Jasmin vom Sony-Macher spielt, die mehr Macht hat als ihre Funktion vermuten lässt, die aber die Entwicklung um die Blutzbrüdaz wach verfolgt und bei der die widerliche Behandlung der Band durch Sony auch das Fass zum Überlaufen bringt. Allerdings muss man sich da einiges selber denken, weil sich alles um Sido dreht. Trotzdem ist der Umschwung bei ihr so, dass man ihn sich merken kann und er zur Profilierung der Figur beiträgt.

Fazit: ein Film in einer universellen Erzählweise, wie sie in Deutschland nicht mehr möglich schien mit einem Protagonisten, der Empathie erweckt; ein Schritt in die richtige Richtung. Und vielleicht einer der ersten, die endlich mal das Ausländerthema nicht als Thema behandeln. Es ist die Geschichte von Menschen in Deutschland, die nach oben kommen wollen und dabei mit den Machenschaften von Konzernen wie Sony ins Gehege kommen, weil sie sich nicht verbiegen lassen wollen

Der Film spielt im Berlin anno 2000. Und wenn ein Automat, weil er nicht funktioniert und man draufhaut in der U-Bahn, Geld ausspuckt bis die U-Bahn-Wache kommt, die abgerissenen Rapper zu verhaften, dann spukt der jede Menge schöner alter Markstücke aus, die man sich trotz Eurokrise nicht zurückwünscht.
Seinen Weg gehen, das ist das aufrechte Motto von Sido/Otis. Und damit vielleicht auch der Weg zu den Ursprüngen des Geschichtenerzählens, denn wer seinen Weg geht, der hat was zu erzählen. Somit kleine Gegenposition zu den Heerscharen deutscher Filmemacher, die sich durchs Fördersystem von ihrem Weg abbringen lassen.

Darkest Hour

Was war jetzt das? Die Erfindung der Elektro-Aliens? Von dieser Idee muss ein Filmmensch so begeistert gewesen sein, dass er meinte, unbedingt einen Film darüber machen zu müssen. Allein es sind zwei Dinge, unheimliche Elektro-Ungeheuer zu erfinden und damit Moskau zu invadieren und daraus eine spannende Geschichte zu entwickeln. Dem geneigten Zuschauer ist auch klar, dass mit Computeranimation sich vielerlei machen lässt und das sieht ja auch lustig aus, wenn ein Blitz wie eine Tentakel, also ein langsamer Blitz wie ein Faden, wie ein Seil einen Menschen erwischt, ihn ansaugt und dann in der Luft in Tausend oder Millionen Teilchen zerstäubt und zersplittert. Schöner Effekt.

Abendfüllend ist solche Effekterei nicht, auch nicht in 3D. Jetzt müsste zur Begeisterung für den schönen und für die Menschen gefährlichen Effekt auch noch die Kunst oder die Begabung des Geschichtenerzählens kommen, wenn denn der Effekt richtig gruseln soll, wenn er so einfahren soll, dass man nach dem Kino unwillkürlich elektrisch aufladbare Gegenstände meidet oder lieber gleich in die Tram, den Bus oder das Auto stürzt von wegen rettendem Faradayschem Käfig.

Daran scheint es jedoch den Autoren John Spaihts und Leslie Bohem weitgehend zu mangeln. Sie glauben, es reicht vollkommen aus, wenn sie das Thema einführen, indem sie zwei junge amerikanische IT-Männer in ein Flugzeug nach Moskau setzen und der eine spielt mit seinem Handy. Doch dann stellt sich die Stewardess mit verschränkten Armen vor ihn hin, solche technischen Geräte können zu Interferenzen mit den Stromkreisen des Flugzueges führen und somit zur Gefahr werden. Darüber können junge, amerikanische IT-Menschen nur lachen. Kaum haben sie ausgelacht, fällt im Flugzeug schon der Strom aus. Das Flugzeug wird imponierend aufgenommen, mitfliegende Kamera von außen und unten und oben und viel physischer Eindruck auch durch den Sound.

Selbstverständlich müssen die zwei jungen Männer zwei jungen Frauen, auch aus Amerika, begegnen, aber erst lassen die Autoren sie von einer russischen IT-Firma abservieren: Ideenklau ist selbstverständlich, die Security wird Sie nach aussen begleiten. Also Zeit, die beiden Herren in der Disco mit den Damen zusammenzubringen. Viel mehr gibt’s darüber nicht zu berichten, Stereotypien reizlosen Anbandelns.

Jetzt reichts den Autoren sowieso schon mit Geschichte, es ist mühsam, sowas allein scho anzuskizzieren, sie können eh kaum mehr hinterm Berg halten mit den Effekten, mit den Elektro-Aliens und die lassen sie nun über Moskau landen und ihr Vernichtungswerk beginnen. Kleine Menschengruppen können sich retten. Die zwei Amerikaner und die zwei Amerikanerinnen finden Zuflucht bei einem Tüftler, der seine Wohnung in einen Faradayschen Käfig umgebaut hat und der auch eine Waffe gegen die Elektro-Aliens entwickelt hat.

Jetzt geht es weiter wie bei einem Würfelspiel oder einem Computerspiel: neue Hindernisse, neue Gefahren, Angriffe und Gegenangriffe, wer auf Feld X oder Y kommt, scheidet aus. Die Figuren in diesem Film haben nicht mehr Individualität als Spielfiguren aus Holz wie Schachfiguren oder eben Videogame-Figuren. Der Nachteil bei diesem Spiel ist, weil es im Kino läuft, dass der Zuschauer nicht mitspielen kann. Das ist für den interaktive Spiele gewohnten modernen Menschen vielleicht nicht allzu spannend.

Sherlock Holmes: Spiel im Schatten

Jetzt machen wir hier so richtig einen drauf mit Effekten und Hans Zimmer soll, was er an Tönen und Phon zusammzwingen kann, darüberkomponieren, das scheint sich Guy Ritchie, der Regisseur, gesagt zu haben.

Sherlock Holmes, gespielt von Robert Downey Jr., sieht in jedem Moment übernächtigt und fertig aus, als ob er letzte Nacht mehrer Frauen glücklich gemacht habe. Das macht attraktiv, auch wenns nur die Maske war mit der Akzentuierung dunkler Ringe unter den Augen. Vor lauter Verkleidungen, manchmal chamäleonhaft wie ein Polsterstuhl, auf den er sich gerade gesetzt hat, vor lauter Kämpfen und Schießereien kommt er gar nicht dazu, sein zotteliges Haar zu richten. Und Pfeife rauchen soll er auch noch. Soviel schuldet er doch seinem Vorbild von Arthur Conan Doyle.

Schon bei „Sherlock Holmes“ von 2009, verfilmt von demselben Guy Ritchie, haben wir gesehen, dass ihn nicht das uns vertraute Bild des skurrilen, grüblerischen, teils weltfremden dann doch wieder hellwach kombinierenden Verbrecherjägers interessiert, sowas findet Ritchie nur fad. Und da er offenbar Erfolg mit seinem dem Original gegenüber respektlosen Rezept hatte, versucht er jetzt mit „Sherlock Holmes – Spiel im Schatten“ noch eins drauf zu setzen, versucht die Distanzierung vom vielleicht etwa angestaubten Original noch zu perfektionieren. Ritchie benutzt die berühmten Figuren lediglich als Vorwand für einen Fez an Effekten, um seinen Kinospleen auszuleben, dass einem schier schwindlig wird in den zweieinhalb Stunden, als ob man in einer zudröhnenden Disco gewesen wäre.

Die Kombinationsgabe von Holmes, das hat Ritchie schon bei der ersten Verfilmung praktiziert, die gibt jedesmal Anlass für ein schnelles Schnittpotpourri aus Closeups der zu kombinierenden Gegenstände, wie in einem Trailer, wie in einem Mini-Kurzfilm. Psychologie, scheiß drauf. Eine gewisse Skurrilität ist sogar noch da; wie Watson Holmes das erste Mal aufsucht und sich hinter der Tür ein dichtes Urwaldbuschwerk breit macht mit Ziegen dahinter für absurd anmutende Experimente; eher das Labor eines Magiers, wie denn sowieso vieles in diesem Film an Zaubertricks erinnert, zum Beispiel der an der Decke klebende Kosak bei der Szene mit dem Kartenlesen. Willkommen im Zauberkabinett des Dr. Holmes resp. von Dr. Ritchie.

Hemmungslos frönt Ritchie seinem Faible für Spielereien mit dem Kino, so als befinde sich dieses noch in einer Phase seiner Unschuld. Die Flucht aus der Munitionsfabrik in Heilbronn durch den Wald und der Geschützregen hinter den Fliehenden her, den benutzt er für herrliche Bilder der Fliehenden, wie er sie immer mehr in Zeitlupe abbremst, damit man ganz genau sieht, wie die Kugeln sie verfehlen und die Rinden der Bäume häuten. Oder Eisenbahnfahrtsaction wie schon hundert Mal gesehen, aber immer wieder lustig und mit WC-Armaturen, die zu Waffen umkombiniert werden können. Das sind wunderbare Effekte oder Erfindungen. Und davon setzt Ritchie reichlich ein, in Paris, in der Schweiz in einer Art Schloss Neuschwanstein, was in schwindelnder Höhe auf einen Felsvorsprung gebaut ist. Oder in Paris und London.

Kino als ein turbulenter Ritt durch eine Effekten-Geisterbahn mit den immer wieder auftauchenden Figuren Holmes und Watson und natürlich der böse Gegner, der gerade auf dem Weg zu Weltherrschaft ist, Professor James Moriarty, eine Art James-Bond-Antagonist.

Die Sprache wird von den Drehbuchautoren Michele und Kieran Mulroney als ein Fundus von seltsamen Wörtern betrachtet, die aufgefahren werden aus den verschiedensten Bereichen, Wissenschaft, Rüstungsindustrie, Forschung oder allgemeine Weisheiten über das Leben („besser sterben als ein Leben im Fegefeuer“) und auch die Kultur wird geplündert, Schubert und das Lied von der Forelle. Urbane Camouflage, der Tod des Dr. Hofman, seltene Form der Tuberkulose, Trockenobst aus Pfirsichen, Igelgulasch, das rote Büchlein und das Taubenfüttern.

In manchen Szenen überträgt sich direkt die pure Lust des Regisseurs am Spiel mit diesen Action- und Effekten-Versatzstücken um ihrer selbst willlen. Eine Art l’art pour l’art de l’effet um Sherlock Holmes herum, ein buntes Sammelsurium an Begriffen, die offenbar eher der Buntheit und nicht der Begrifflichkeit wegen eingesetzt werden.

Wühltisch oder Flohmarkt, das ist hier die Frage – oder war es doch nur Kostümparty in der Zauberdisco?

Alvin und die Chipmunks 3: Chipbruch

Dieser Kinobesuch kann vom Vergnügungswert her in etwa einen Besuch in einem Kinder-Freizeitpark, einem Disneyland ersetzen; dürfte jedoch unterm Strich weniger zeitaufwendig und sicher etwas billiger sein, vor allem weil die Produzenten auf den 3D-Geldmachspleen verzichtet haben, sicher nicht zum Nachteil des Produktes, denn die Shownummern und Ungezogenheiten und auch Überlebensstrategien und Frechheiten der Chipmunks kommen auch so wunderbar zur Geltung. Und die Songs, die teils original eingespielt werden, haben natürlich deutlich mehr Pep als die deutschen Synchrostimmen für die gesprochenen Texte, die aber auch ganz ok sind und uns den Freizeitspaß nicht verderben können.

Sicher ist es nicht leicht, neue Geschichten zu erfinden und die Bemühung, etwas einigermaßen Originelles auf die Beine zu stellen, ist schon ablesbar allein dadurch dass laut IMDb vier Autoren an den Texten und den Charakteren rumgedoktert haben: Jonathan Aibel, Glenn Berger, Ross Bagdasarian, Janice Karman.

Dave, der Vater der Chipmunks, die wirklich entzückende Fellknäuel oder sowas wie Eichhörnchen sind und besonders die weiblichen meist nett wie Barbiepuppen angezogen, will also mit seinen Berühmtheiten auf große Kreuzfahrt gehen und am Ende soll die Teilnahme an einem Showettbewerb stehen.

Das Thema der ersten halben Stunde wird schon durch die Location vorgegeben: auf einem Kreuzschiff gelten strenge Regeln, die auch die kleinen entzückenden Lebewesen einhalten müssen. Da sie aber ungezogene Kinder sind, bringen sie Dave, allen voran Alvin, der später echte Gewissensbisse deswegen kriegt, immer wieder in Schwierigkeiten und in Konflikt mit dem Kapitän und dem ellbogigen Pinguin-Maskottchen.

Einer der dummen, von Alvin initiierten Streiche hat drehbucheinschneidende Folgen, Alvin klettert auf einen Drachen, den ein dicker Junge, der muss nun mal klischeehaft dick sein auf so einem dicken Kreuzfahrtschiff, fliegt lustvoll in der Seeluft hoch über dem Ozean, seine Geschwister wollen ihn erst halten, aber die Kräfte der Natur und der Drehbuchautoren sind stärker und bescheren so mit einer Zwischenstation im Meer ein längeres Kapital einer Art Robinsonade auf einer einsamen, allerdings vulkanigen Insel, auf der eine überraschende Dschungelschönheit haust, deren Absichten nicht ganz integer sind. Logisch, dass Dave und der Schiffmaskottchenpinguin bald auch an die Gestade dieser tropischen Insel angespült werden. Jetzt kanns bis zum Happy End nicht mehr weit sein und bei der nächsten Flugreise sind die Chipmunks, allen voran Alvin schon wieder so frech wie nie zuvor, jetzt käme das Kapitel einer turbulenten Reise in einem verrückten Flugzeug. Aber so weit sind wir noch nicht, das wird dann vielleicht die Fortsetzung dieser sorglosen Unterhaltung in quicklebendiger amerikanischer Tradition arrangiert oder inszeniert von Mike Mitchell.

Die älteren unter den Kids, die vielleicht aus dem gröbsten Slapstickalter heraus sind, die werden nach diesem Filmbesuch übrigens sehr genau auf den Unterschied in der Aussprache von Simon achten, ob auf Englisch (Saimen) oder auf französisch (Simoh) und die unterschiedlichen Lebensauffassungen oder Lebenskunst, die sich dadurch artikuliert.

Am witzigsten finde ich den Titelzusatz auf deutsch: Chipbruch, der trifft ganz genau das Thema der Story (darin könnte auch noch ein Hinweis auf Tiefsinn jenseits der bürgerlichen Ansprüche auf Regeln und Benimm respektive deren Konterkarierung durch ungezogene Chipmunks gelesen werden).

The Ides of March – Tage des Verrats

Und eine der Hauptrollen spielt er auch noch, Tausendsassa George Clooney, der hier mit Hilfe von Grant Heslov und Beau Willimon auch das Buch geschrieben und noch dazu selbst die Regie geführt hat.

Schauspielerfilme haben oft den Vorteil, dass sie gut verständlich sind – hierzulande sind der überwiegende Teil der erfolgreichen einheimischen Filme Schauspielerfilme. Vielleicht weil sie aus der Praxis kommen. So ist es auch bei George Clooney. Er überfordert einen intellektuell nicht und auch nicht mit einer hochkomplizierten dramaturgischen Struktur noch mit schwer nachzuvollziehenden Rück- und Vorblenden oder Traumsequenzen noch irgendwelche Kameramätzchen. Die ist ganz unauffällig, denn ihn interessiert in erster Linie, das was zwischen den Personae Dramatis vor sich geht. Damit hat er schon einige Punkte gewonnen.

Außerdem weiß er ganz genau, was er uns erzählen will, er weiß auch, dass es garantiert nichts Neues ist, aber Altes neu und plastisch gestaltet, nämlich wie die Politik die Menschen korrumpiert und wie sie leicht zu Königsmördern werden, genauer gesagt, zu Caesarenmördern, wenn man den Titel des Filmes etwas erweitert interpretiert, denn die Iden des März waren das Datum (der 15. um genau zu sein, eben die Iden), an dem Julius Caesar von dem ihm nahestenden Brutus gemeuchelt worden ist.

Hier im Film sind die Iden des März jene von Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl. Stephen Meyers, gespielt von Ryan Gosling, ist der Wahlkampfmanager von George Clooney als Gouvernour Mike Morris. Er ist mit der Kampagne verheiratet, wie er die Frage nach dem Zivilstand beantwortet. Und er gerät ins Magnetfeld der Macht, man ist hier nicht mehr am College, sondern in der ersten Liga, wie er an einer Stelle sagt. In diesem Machtfeld um den potentiellen Präsidenten Morris spielen folgende Figuren mit und wollen alle ihr Süppchen kochen: der Chefwahlkampfmanager Paul, die Journalistin Ida, der Senator Thromson, der über 350 Vorwahlstimmen dem einen oder anderen Kandidaten zulenken und damit das Rennen entscheiden kann und schließlich noch der blonde Vamp von Praktikantin Molly. Was Praktikantinnen alles so anrichten können, das wissen wir spätestens seit Präsident Clinton.

Clooney unterlegt dieses Spiel um Macht mit viel gefühlvoller Musik, die man durchaus auch so interpretieren kann, dass es ihm um Gewissensfragen geht, und gibt dem Ganzen gelegentlich einen melodramatischen Touch.

In guten Händen

Warum es das Pikante, das Halbseidene so schwer hat heute, könnte man sich anlässlich dieses Filmes fragen. Vielleicht weil es einen eher sittenstrengen Hintergrund braucht, um voll zur Wirkung zu kommen. Eine solche Sittenstrenge ist heute nicht gegeben, allein was jeder mit zwei drei Klicks im Internet anschauen kann; da sind kaum Grenzen gesetzt, außer jenen des Gesetzes.

Tanya Wexler wollte etwas Pikantes machen; nach einem Buch von Stephen Dyer versucht sie, die Geschichte des Massagestabes zu rekonstruieren und als filmische Story zu präsentieren. Auch sie wird sich damit beschäftigt haben, wie ein solcher Gegenstand aus einer sittenstrengen Zeit, Ende des Neunzehnten Jahrhunderts, heutig und aktuell in Szene gesetzt werden könne. Im Abspann folgen dann neben den Credits noch wie im Museum einige Modelle aus der Geschichte des Massagestabes.

Tanya Wexler und ihr Autor Stephan Dyer hatten sich dafür entschieden, diese Geschichte grobmaschig, holzschnittartig wie ein Bilderbuch und nicht wie ein genau analysierter, dramatischer Konflikt, der sie vielleicht in Gang gesetzt haben könnte, zu präsentieren. Das fängt schon bei der Auswahl der Schauspieler an oder mit der Figurführung: die meisten sprechen sehr auswendig gelernt, sehr auf Präsentation der Sätze aus und nicht etwa innerhalb eines psychologischen Zusammenhanges mit Nuancen.

Auch der Protagonist scheint einzig nach seinem holzschnittartigen Beau-Gesicht ausgewählt worden zu sein; ein formal noch sehr unsicherer Schauspieler aber mit einer unglaublich harmonischen Nase und schön bleckenden Zähnen, wenn er lacht. Und mit feinen Händen, das muss man jedenfalls annehmen, denn die spielen eine zentrale Rolle, feine Hände statt eines Konfliktes.

Dr. Mortimer Granville ist dieser junge Arzt, der begierig nach Anstellungen sucht und sie immer wieder verliert, weil seine Hygienvorstellungen modern sind und keineswegs seinem Zeitalter entsprechen. Das wird illustriert mit einer Szene in einem Krankenhaus. Er will einer alten Frau den Beinverband wechseln, weil der völlig verdreckt ist – an sich sind die einzelnen Szenen plausibel und nachvollziehbar aufgelöst und inszeniert – der Chefarzt aber hat Sparsamkeit beim Verbandsmaterial befohlen und empfiehlt Beekmans Pills = Rubbish-Pillen, wie Granville meint und die er für ein Produkt von Scharlatanerie hält, die vielleicht Durchfall befördern, aber keine Heilung. Und schon ist er den Job los.

Er meldet sich bei Dr. Dalrymple, einem Frauenarzt für die bessere Gesellschaft, spezialisiert auf „Hysterie“, was vor allem meint, auf unbefriedigte, gehobenere Ladies, deren Gatten nicht mehr so richtig dolle sind im Bett. Er bereitet ihnen in einem speziell zubereiteten Stuhl und mit gleichmässigem Druck seiner Finger die benötigte Entspannung an den empfindliichen Stellen zwischen den Beinen. Ohne mit der Wimper zu zucken steigt Granville auf das Geschäft ein. Er ist logischerweise noch erfolgreicher als der Doktor, kriegt aber so viel zu tun, dass er eine Verkrampfung in der Hand spürt und die Hand vor der Aktion in Eiswasser kühlen muss. Die kalte Hand wiederum schockiert die rundliche Kundin Castellari und lässt sie auch nach einer Stunde Manipulation unbefriedigt zurück. Das schädigt den Ruf und wieder einmal ist Granville entlassen.

Dr. Dalrymple hat zwei Töchter, Charlotte und Emily. Emily ist die brave und vom Vater als Partie für Dr. Granville ausersehene, wie in einem billigen Romanheft, und Charlotte ist die launische, aufmüpfige, die sich um arme Leute kümmert, was ihr Papa nicht wusste, und welche Molly, eine ehemalige Nutte, als Dienstmädchen ins vornehme Elternhaus einschleuste. (Die wird dann die erste Probandin mit dem Massagestab und das erste Modell heißt denn auch so).

Erzählt wird so, dass schnell absehbar ist, Granville wird am Ende die aufmüpfige, sozialistische Tochter nehmen und nicht die langweilige brave, aber das ist weiter nicht von Belang, das muss rein, weil ein Massagestab allein doch nicht 90 Minuten Spielfilm hergibt.

Zu erwähnen ist noch: Granville wurde von einem schwulen Snob für das Studium unterstützt, wie der sich sowieso um junge Männer kümmerte; und der war ein Elektro-Tüftler, bestellte sich Generatoren und war gerade dabei, einen elektrischen Wischmob zu entwickeln, wie die Hand von Granville schmerzte und dieser beim Spielen mit dem Teil die glorreiche Idee hatte.

Erst wurden Versuche gemacht mit einem Rotor, der noch an eine große elektrische Dampfmaschine angeschlossen war. Hintenrum entwickelte Edmund, so heißt der Snob, den batteriebetriebenen kleinen Stab, den die Frau selbst benutzen konnte. Das ergab Lizenzgebühren, somit hatte Granville Geld, das er für die Armen spenden und diese Spende mit einem Heiratsantrag an Charlotte, die zwischendrin noch wegen ungebührlichen Benehmens im Gefängnis einsass, verbinden konnte.

Ein Film so inhalts- und facettenreich wie die Bedienungsanleitung für einen elektrischen Massagestab.

Sommer der Gaukler

Rosenmüller zeichnet ein ungehobeltes, wüstes Menschentum, Figuren, die stolzieren und blöken als hätte ein Laie und nicht der Herrgott die Menschen geschaffen (so wie Hamlet in seiner Rede eine bestimmte Art von Schauspielerei als abschreckendes Beispiel anführt), ein Kino zwischen Alptraum, Aufwachen, Zähneputzen und Morgengymnastik, Figuren, die alle nicht richtig sprechen können als ob sie Zahnlücken hätten, ein Kino, das dem Zielpublikum, den Kurgästen in bayerischen Alpenvorlande in BadTölz oder Bad Aibling ein herrliches Zerrbild ihrer Selbst vorführen soll.

Ein Kino, das klar macht, dass es sich weder für Godard noch für Melancholia interessiert. Ein Bauerntafelnmalerei-Genrekino. Rosenmüller interessiert mehr die malerische Bildtafel mit Bauerndeppen drauf als eine spannende Geschichte. Insofern die Möglichkeit des Kinos nur teilweise genutzt, mehr vom Bildnerischen und vom Sound her, nicht aber von der Möglichkeit des Kinos, eine spannende Geschichte aufzubauen und zu erzählen. Die Geschichte selbst, das vermittelt er uns im Untertext, die scheißt ihn nur an, es reicht doch vollkommen, wenn wir in Adlkofen, Grabenstätt und Miesbach, in Lalling oder Prittriching Erfolg haben, was wollen wir ein Kino für die Welt machen.

Oder: was Rosenmüller in „Wer früher stirbt, ist länger tot“ mit dem Bauerntheater-Strang schon verheißungsvoll angefangen hat, das führt er jetzt robuster, tollkühner (aber noch lange nicht so, dass er mit Hieronymus Bosch gleichziehen könnte) fort: die Malerei von der Menschheit als etwas Misslungenem (Aufgabe an den Caster: stellen sie ein Ensemble zusammen, was absolut drittklassig ist, was weder richtiges Bühnendeutsch sprechen noch richtig gehen oder sich in klassischen Kostümen bewegen kann, was grimassieren und utrieren kann und die theaterkulturell verpönte Zeigefingergestik einsetzt); die Menschheit als etwas Misslungenes darzustellen, das gelingt Rosenmüller recht plausibel; nur ist das leider nicht abendfüllend; selbst der Trash braucht eine spannende Geschichte, erst recht, wenn er fast zwei Stunden lang sein soll.

Wenn Prittwitz an der Knatter eine Kinokultur hätte, dann wäre Markus H. Rosenmüller einer ihrer herausragenden Exponenten. Oder man könnte zu formulieren versuchen: für die Geschichte, die davon handelt, wie der Theaterleiter Schikaneder Mozart kennenlernte und wie er in einem Bergdorf, in dem es gerade Spannungen zwischen Bergarbeitern und dem ausbeuterischen Kapitalisten gab, aus Geldmangel hängen geblieben ist, für diese Geschichte also, die im ausgehenden 18. Jahrhundert spielt, stellte er sich ein Ensemble aus Knattermimen zusammen, damits schön kracht und knattert und mimt.

Kommen wir zu den Glanzpunkten dieses Filmes. Da ist zum einen die Songnummer mit dem Hebel, den die Bergarbeiter singen, wobei der Chorführer Maxi Schafroth als Erwin Steinhauer aus dem Allgäu stimmlich herausragt, weil melodisch und gefühlt und inhaltlich. Auch den zweiten Glanzpunkt dieses Filmes verdanken wir dem Nachwuchskabarettisten Maxi Schafroth in seiner letzten Szene, wie er mit zwei Handkoffern und Huckepack auf seiner Angebeteten über einen Bergweg getragen wird und mit einer anrührend traurigen Komik erzählt, wie er aus dem Allgäu hierhergekommen sei. Der Rest ist Schweigen.

Nicht ganz. Die Musik verfolgt offenbar eine ganz andere Intention als das Theater in diesem Film, sie gibt großes Konzert und große Kunst vor. Was die Absicht dahinter ist, was damit ausgesagt werden soll, das bleibt mir rätselhaft. Ob das der Rahmen sein soll, der klar macht, dass es sich hier um Klamotte handelt, bei der der Regisseur, falls ihm mal fad wird, noch einen Hahn oder ein Schwein in die Szene bugsiert. Ob die Musik das Parodistische an diesem Film, das unfreiwillig Parodistische, also das nicht gekonnt Parodistische unterstreichen sollte? Großes Orchester zu kleiner Kunst. Fröhlicher Voralpentrash, der keinem was will. Eine Hommage an Mozart kann diese Musik jedenfalls nicht sein.

Rosenmüller pfeift auf jegliche Art von prononcierter Könnerschaft, von Beherrschung von Sprache, Gang und Gestik, findet dies nur langweilig (man mag ihm diese Skepsis dem Geschleckten und Perfekten gegenüber nicht mal übel nehmen). Ein Hoch auf die programmatische Drittklassigkeit. Es muss sich was tun vor der Kamera, egal ob es Sinn macht. Nur nicht in den langweiligen Bahnen des Erlernten, Überprobierten, Überstudierten lahmen.

Wenn der Film weniger als eine halbe Million gekostet hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass er sich mit dem Verkauf an die Kurorte halbwegs amortisieren liesse. Wenn er mehr gekostet hat, dann würde ich die Diskrepanz zwischen finanziellem Aufwand und geistig-künstlerischem Ertrag für mehr als bedenklich halten.

Als verantwortliche Autoren für das Drehbuch zeichnen Robert Hültner, Klaus Wolfertstettner, die sich damit nicht zwingend der Vorstellung von einem spannenden Kino andienen.

Ronal der Barbar – 3D

Frischepower aus Dänemark. Ausnahmsweise kann der Kurzinhalt aus dem Pressematerial übernommen werden, weil sich der ganz gut und meiner Meinung nach auch dem Film entsprechend anhört. „Barbaren: Vor Muskeln strotzende, mit Öl beschmierte Krieger im 80er Jahre Heavy Metal-Look. „Babes, Balls & Muscles“ – das sind ihre Markenzeichen. Nur Ronal hat von allem zu wenig, aber ausgerechnet er ist die letze Chance seines Barbarenstammes! An seiner Seite ein hormongesteuerter Barde, eine jungfräuliche Amazone und der schlechteste Fremdenführer der Welt. Der Beginn eines schrägen Funtasy-Abenteuers.“ Hinzuzufügen wäre, dass es sich um einen Animationsfilm handelt, der mit der entsprechenden Musik den kräftigen Eindruck verstärkt.

Faszinierend an diesen Figuren, vor allem an den Barbaren – es gibt noch Gegner von ihnen, die viel maschineller aussehen, viel technisierter, aber auch die sind zeichnerisch an archaischen Kunstwerken orientiert, wie sie beispielsweise auch Max Ernst fasziniert haben – aber die Barbaren selber, mit ihrem jüngsten Spross Ronal, der kaum dicker ist als ein Spermafädchen, die sind bis auf einen Sackhalter nackt, aber mit Rüstungen versehen, die jedoch der Kleine noch nicht hat. Er wird nach einem Überfall auf seinen Stamm, den er nicht verhindern konnte, weil ihm die Puste für das mehr als sprungschanzenlange Warnhorn nicht ausreichte und nachdem sein Stamm gefangen worden ist von den monströsen und nicht zimperlichen Gegnern, das Schwert wieder beschaffen müssen und mit dem auch noch das godzillahafte Monster am Schluss besiegen; David gegen Goliath.

Dazwischen gilt es noch Orry Gorry zu überwinden und viele andere Hindernisse, wie das so ist in solchen Filmen. Hier ist der Spaß an der Zeichnung der Figuren und der Gags und sexistischen Anspielungen dominant; über die Schmerzgrenze hinaus wird an Brustwarzen gedreht und gezogen. Und dem armen Ronal reicht in der Szene, wo er sich mit einer Essenz unsichtbar machen will, diese für den ganzen Körper, aber für die „balls“ leider nicht mehr, so dass diese während der ganzen Eindringungsaktion in ein fremdes Schloss für den Zuschauer als einziges sichtbar sind und die werden dann von Wachen auch noch mit kleinen Pfeilen beschossen, au weh! … und dann einen nach dem anderen wieder rausgezogen.

Das macht sicher nebst den erwähnten archetypischen Figurzeichnungen und –Ausstattungen der Reiz aus, dass diese Barbaren praktisch nur Körper, nur Fleisch sind, sie wirken dadurch so ungeschützt, so verletzlich, besonders unsere kleine Bohnenstange von Ronal, andererseits sind sie gewalttätig und unerschrocken, haben aber einen Watschelgang, als ob sie nicht ganz so ganz helle wären.

Übrigens, die Balls sind bei allen in etwa gleich groß, ob Hüne oder Sprenzling.
Was auch positiv auffällt: es ist zwar viel animiert, aber der Film scheint mir nicht überanimiert, er konzentriert sich, und das macht ihn durchaus attraktiv, vor allem auf die Figuren, erst mal auf diese Abenteurergruppe von Ronal, dem Barbaren, der Amazone und dem merkwürdigen Fremdenführer; eine Gruppe, die für sich genommen viel eher an Don Quichotte erinnert, als an einen Barbarenfilm; die eine gewisse Skurrilität hat; um so stumpfer wirken dann die maschinenhaften Bösfiguren. Und was noch auftaucht an Urvögeln.

Kurzweilige 90 Minuten, nicht mit dem gepflegten Besuch in einem feinen Tea Room zu verwechseln!

Das Buch stammt von Thorbjorn Christoffersen und Melanie Hagoplan. Für die Regie zeichnen Kresten Vestbjerg und Thorbjorn Christoffersen.

Sarahs Schlüssel

Die Ehre gehört hier ganz der Geschichte, auch explizit. Warum werden Geschichten erzählt? Weil wenn sie nicht erzählt werden, gibt es sie nicht oder sie werden vergessen. Sie bauen uns eine Vergangenheit und ohne Vergangenheit keine Zukunft.

Die Vorlage zur dieser Geschichte bildet der gleichnamige Roman von Sarahs Schlüssel von Tatiana de Rosnay, von dem auch in der deutschen Übersetzung über 80’000 Exemplare verkauft worden sind.

Der Regisseur Gilles Paquet-Brenner gibt dem Buch, der Erzählung den Vortritt. Er hat am Drehbuch für den Film mitgearbeitet mit Serge Joncour. Sie nehmen sich selbst zurück. Sie versuchen sorgfältig den Faden der Geschichte nachzuerzählen. Dabei ist der titelgebende Schlüssel von Sarah, die die Hauptperson der Geschichte in der Geschichte ist, ein immer wieder auftauchendes Leit-Requisit.

Um Sarah und ihren Schlüssel herum wird die Rahmengeschichte erzählt, oder sie entschlüsselnd entwickelt sich die Entdeckergeschichte um die Geschichte. Die ursprüngliche Geschichte fand in der Besatzungszeit Frankreichs durch Deutschland statt. Eines von 10’000 jüdischen Schicksalen, die mithilfe der Franzosen in die KZs kamen; jener Tausenden, die tagelang im Velodrom in Paris, wo heute sinnigerweise das Innenministereium steht, unter grauhenhaften Umständen zusammengepfercht waren, wobei allein dort 100 Menschen Selbstmord begangen haben.

Unter diesen Menschen war auch die kleine Sarah mit ihren Eltern und sie hatte den Schlüssel für eben jene Tapetentür in ihrer Wohnung im dritten Stock in der Rue Saintoge 36, hinter der sie bevor sie mit der Polizei mitgehen mussten, ihren Bruder versteckt hatte. Den Schlüssel hatte sie mitgenommen. Der erste Versuch, den Bruder zu retten, schlug fehl. Sie wollte den Schlüssel einer jungen Frau anvertrauen, die erfolgreich aus dem Vélodrom d’Hiver zu fliehen versuchte; aber der Vater hatte den Schlüssel der Dame nicht mitgegeben. So behielt Sarah ihn bei sich, auch beim Transport ins KZ, auch wie sie mit der Mutter vom Vater getrennt wurde, auch wie sie von der Mutter getrennt wurde, auch wie sie mit einem anderen Mädchen aus dem KZ mithilfe eines verständigen Wärters fliehen konnte. Auch auf ihrem Weg zurück nach Paris.

Die Rahmenhandlung spielt heute. Kristin Scott Thomas spielt die Journalistin Julia Jarmond. Sie möchte über das Vélodrome d’Hiver einen großen Bericht machen. Parallel dazu kann sie in die Wohnung ihres Mannes ziehen, der wiederum diejenige seiner Eltern übernimmt, die zuvor schon 60 Jahre in der Rue Saintoge gewohnt hatten, es ist die Nummer 36. Dass sie diese Wohnung 1942 übernommen hatten, macht Julia stutzig. Sie fängt die Recherche an – und stösst auf die Geschichte von Sarah und ihrem Schlüssel.

Gilles Paquet-Brenner rührt seine Geschichte kräftig, aber ohne jedes Etepetete an; lässt gerade die Verhaftungs- und Vélodrome-Szenen laut und mit viel Vivacité und Energie spielen. Überzieht aber nie das Erzähltempo. Kommt ganz ohne filmischen Mätzchen aus. Überhaupt rührt ihn kein cineastischer Ehrgeiz, der der Geschichte irgendwie den Rang ablaufen könnte. Die Geschichte um die Entdeckung der Geschichte und die Geschichte von Sarah werden schön ineinander verzahnt erzählt, bis zu dem Moment, wo der Schlüssel wieder zum Vorschein kommt. Und fast nur informativ werden dann noch in einigen Szenen, die ziemlich abrupt zwischen Frankreich, Brooklyn und Italien spielen, drangehängt.

Eine der beklemmenderen Geschichten aus der Schwemme der Nazizeitfilme.

Let Me In

Dieser Film besticht zuerst und vor allem durch seine Sorgfalt und durch seinen durchgehalten suggestiven Sound.

Remake eines Vampirfilmes des skandinavischen Autors John Ajvide Linquist, der mit Matt Reeves für das Drehbuch zeichnet. Matt Reeves hat minutiös Regie geführt. Gerade dieses bestechend Bedachte an diesem Film dürfte sein Klumpfuss für die Verwertung sein: fast zu deutlich zeigt er, wie sorgfältig er arbeitet, jede Einstellung, jede Reaktion, was sieht man zuerst, was dann. Was darf der Zuschauer wissen, was noch nicht. Auch die Parallele zwischen Anfangs- und Schlussbild weist auf diese Sorgfalt hin. Im ersten Bild ist ein Sanka mit Warnlicht und Begleitfahrzeugen durch eine unbewohnte, trostlose Gegend unterwegs durch die Nacht. Der Sanka sieht aus wie ein Kasten. Was ist in dem Kasten, die Frage stellt sich durch die Sorgfalt, wie dieser Konvoi ins Bild gerückt wird. Ganz am Schluss des Filmes sitzt unser Protagonist, der bildhübsche 12jährige Owen, im Zug, vor sich einen Koffer, der wie ein Metallkasten aussieht, könnte im Format in etwa eine Miniausgabe des Sankas vom Anfang sein, Owen hat Süßigkeiten darauf liegen, die verzehrt er, er schaut versonnen aus dem Fenster und der Schaffner kontrolliert das Ticket. Diesmal weiß der Zuschauer, was in dem Kasten ist. Owen scheint jedenfalls den Film und die grauenhaften Dinge, die darin ganz fein vorgeführt werden, unbeschadet überstanden zu haben. Eine Entwicklungsphase?

Owen lebt mit seiner Mutter in Los Alamos, New Mexiko. Wir schreiben das Jahr 1983. US-Präsident Reagan ist ab und an im Fernsehen zu sehen. Owen wird in diesem Film Dinge erleben, die vielleicht einen Vorgeschmack auf das Grauen des Erwachsenwerdens liefern. Owen beobachtet mit einem Fernrohr von seinem Zimmer aus die Nachbarn. Ein Pärchen, was sich immer wieder heftig liebt, Ausblick auf das bevorstehende Erlebnis der Liebe. Und ein Mädchen, das mit seinem Vater in einer Wohnung haust.

In der Schule haben es drei ältere und also schon entwickeltere Jungs auf Owen abgesehen, sie nennen ihn Mädchen und belästigen ihn. Am Frühstückstisch zuhause spricht die Mutter ein Tischgebet und wünscht fromm den Schutz vorm Bösen – intuitiv die Gefahr ansprechend. Denn das Mädchen von gegenüber, Abby, Owen lernt es bald schon näher kennen, behauptet, 12 Jahre alt zu sein, und das schon seit einiger Zeit. Mit ihr gibt es sowieso viel Sonderbares, Abgründiges. Sie geht auch bei Schnee – die meiste Zeit in diesem Film ist Winter, kein helles Sonnenlicht, keine farbigen fröhlichen Stimmungen – Abby geht auch bei Schnee barfuß.

Abby und Owen spüren eine Zuneigung zueinander. Das ist wie eine Attraktion von glühenden Kohlen. Denn Abby ist ein Vampir. Das gibt Anlass für einige sorgfältig gearbeitete Vampirismus-Szenen, ganz schön grausam und blutig, aber so fein. Und was es mit Abbys Vater auf sich hat, das braucht hier nicht verraten werden. Das ist eine andere Story. Insofern ist die Geschichte auch noch mit diesem Vater belastet. Das macht sie nicht leichter und das fällt bei dem geruhsamen Tempo, hervorgerufen durch die vermutliche Absicht des Regisseurs, ganz genau zu sein, ganz präzise das Zuschauerinteresse zu leiten, schon sehr auf. Oder meinte der Filmemacher, weil der Film im Jahre 1983 spielt, er müsse die Gemütlichkeit von damals evozieren?

Das Personal im Film ist übersichtlich – auch das spricht für den Film. Nebst den erwähnten Figuren gibt es noch einen Kriminaler, einen Sportlehrer und einige weitere, ganz kleine Neben-Figuren.

Mir erzählt dieser Film auch von einer ganz sensiblen Hingabe ans Genre, das sich mit der vielleicht empfindlichsten, empfindsamsten, ahnungsvollsten Phase im Leben eines Menschen, die für die merkwürdigsten Fantasien empfänglich ist, beschäftigt, mit der Phase des Umbruchs von der Kindheit zum Erwachsensein.

Zwischendrin kam mir auch der Begriff: Gesellenstück in den Sinn. Ein Film, mehr um der anerkannten Fachwelt zu zeigen, man könne das, man wisse, wie mit dem Genre umgehen. Der Film hat sich für eine makellos cineastische Schönschrift entschieden.

Übrigens: was Owen von Abby lernt: sich zu wehren. Nach unschönen Begegnungen mit den älteren Rowdies von der Schule fängt Owen an, sich zu stählen, zu trainieren und zeigt es denen denn auch.

Was mir so ein bisschen fehlt, ist das Need, genau diese Story zu erzählen, sie erzählen zu müssen. Dem Gesellenstück fehlt für mich das Persönliche, das was den Zuschauer von heute anspricht. Gerade bei der Inflation von Vampirfilmen. Da reicht es nicht aus, dass der Vampir weiblich sei und erst 12. Und die Geschichte mit dem Vater, die erhellt wenig, eigentlich gar nichts, so schön sie gemacht ist. Einiges ist dann doch auch – gerade wegen der Umsicht des Machers – sehr absehbar. Ich würde so sagen: Matt Reeves dehnt, was zu dehnen ist hinsichtlich Spannung, er überdehnt nicht, aber er dehnt sehr, damit ja dem Zuschauer nichts verloren geht. Den Entscheid für diese Methode bezahlt er mit einem Verzicht auf das cineastisch prickelnde Element des Eindruckes von Spontaneität – dafür sollte er sich vielleicht zunächst ein paar Renoir-Filme zu Gemüte führen.