Belgisch-flämisch-wallonische Genremalerei. Portrait eines Mannes, dem in der Jugend die Testikeln von einem behinderten älteren Buben zertrümmert worden sind. Der Film entwickelt eine Atomosphäre als stünde er unter der Dunst- oder Käseglocke dieser zerstörten männlichen Geschlechtsmerkmale. Mit einem Protagonisten, Jacky heißt er, der sein Unglück („Ich habe nicht, was in meiner Natur liegen sollte“) ständig wie eine Monstranz vor sich herträgt statt es kompensierend zu nutzen. Der Gedanke des Verdrängens findet zwar Eingang bereits in die ersten geschriebenen Texte, die noch vor dem Titel kommen, fast dichterisch geht es da um „Dinge, die still werden lassen“, die eingefroren werden, tief begraben. Es geht um den Vorfall, der von der Familie des Täters als Unfall dargestellt wird. Später sieht man Bruno, den Täter, in einer Anstalt dümpeln.
Der Film fängt dezidiert so an, dass er eine Atmosphäre schaffen will um dieses Unglück herum, das verdrängt wurde und Jahre später wieder hochkommt. Weil Jacky seinem Jugendfreund Diderik wieder begegnet (der ist inzwischen Polizeispitzel), der damals Zeuge des Vorfalles war, der einzige unbeteiligte Augenzeuge. Die Geschichte, die quasi als Drahtgestell für dieses Portrait dienen soll, spielt in den Sphären belgischer Viehzüchter und der ganzen Mafia, die illegale Hormonpräparate für schnelleres und fleischigeres Wachstum unter die Züchter bringt. Es gibt einen Mord an einem Kriminalbeamten (doch die Kriminaler tragen nachher keine Trauer). Es geht um Einschusslöcher in einem BMW, die vertuscht werden müssen, um Reifen, die Garagisten zurückhaben möchten, damit sie nicht in Verdacht geraten.
Es spielt noch eine Jugendfreundin eine Rolle, die jetzt in einer Parfümerie arbeitet und Jacky ausgiebig über Deos und Parfüms berät. Oder es wird ein Angebot an Hormonprodukten erläutert. Es werden ein Kaiserschnitt und die Geburt eines Kalbes gezeigt.
Der Film gibt von Anfang an klar zu verstehen, dass es ihm ernst ist, dass er Stimmung erzeugen will. Nach dem einleitenden Text fährt ein Jeep über Land, nähert sich der Kamera, aber es gibt kein Fahrgeräusch, nur der Wind bläst. Das macht geheimnisvoll. Oder die gelegentlichen Tempoverlangsamungen durch die Kamera. Diese schaffen Bedeutung. Wir haben es hier mit einem bedeutungsvollen Thema zu tun. Allerdings ein ziemliches Randthema, meine ich, Männer ohne Eier, natürlich tritt an einer Stelle ein Verhandlungspartner von Jacky ins Fettnäpfchen, indem er ohne irgendwas zu wissen, ihn als einen Mann ohne Eier beschimpft. Zur Demonstranz-Atmosphäre trägt auch die oft sehr feierliche Streichermusik beim. Stichwort am Anfang: gearscht, gearscht bist Du immer.
Die Frage ist allerdings, wer will einen Typen, der immer gearscht ist kennenlernen, wenn er das auch noch so demonstativ spielt und die Dramaturgie keine raffinierten, wenn auch vielleicht riskanten Kniffe anwendet, zum Beispiel, dass dieses Defizit, dieses Problem, ihn ständig zu neuen Beweisen von männlicher Selbstbehauptung zwingen würde, so dass es für einen Außenstehenden völlig überraschend, schier unfassbar wäre, zu erfahren, was ihm widerfahren ist, mit welchem Defizit er leben muss. Jacky aber ergibt sich eher passiv in sein Schicksal, zieht die Verarschung förmlich an. Ein unglücklicher Mensch, der das Unglück anzieht. Nur, wer will schon zwei Stunden, so lange dauert der Film, mit einem unglücklichen Menschen verbringen. Was der Film wirklich schaftt, das ist diese schuldbewusste Atmosphäre herzustellen. Ein Mensch mit Defiziten, der fühlt sich oft schuldbewusst. Und das transportiert Michael R. Roskam, Regisseur und Autor des Filmes, hundert Pro.
Der Versuch der Defizitkompensation kommt durchaus vor. Mit Muskelaufbau, Testosteron und mit dem Parfüm geht Jacky auch in die Disco. Aber wie er endlich mit der Drogeriewarenverkäuferin, die ihm das Parfüm verkauft hat, anbandeln kann, da schleppt ein anderer sie ab. Dem geht es nicht gut. Der lag bald darauf schon im Koma. Er ist fast wie ein Tier, dieser Jacky. Die beiden flämischen/oder wallonischen Garagisten, wegen denen er in die Mordsgeschichte hineingezogen werden soll, da geht’s ihm güllennass eini. Und einen Ansatz zu Schwulitäten gibts mit einem der Kommissare.
Am Anfang auch die Atmosphäre mit der niedrig gestellten Kamera im fast leeren Stall.
Warum mit der Titel „Genremalerei“ eingefallen ist? Weil die Figuren, es sind vor allem Mannsbilder, generell sehr dumpf gezeichnet sind, so wie auf flämischen Wirtshausbildern des 16. oder 17. Jahrhunderts, Frans Hals.
Jacky geht schwer wie ein Bulle. Auch das vielleicht ein kleines Denkproblem, er müsse den Stier spielen. Das macht er schon gut. Nur der Spannung der Geschichte hilft es wenig.
Atmsphäre entsteht auch dadurch, dass offenbar die Hoden, die Jacky fehlen, praktisch alle Farben aus dem Film absorbiert haben, wie so ein Colorauswaschtuch.
So wie der Jacky hier gespielt wird, macht er gelegentlich einen leicht behinderten Eindruck.
Ein flämisch-wallonisches Sittengemälde, das mir suggeriert, die ganzen Landsleute des Regisseurs hätten keine Eier. Eine ziemlich subtile wie gleichzeitig brutale Kritik.
Kleine Szene vor der Disco am Eingang, er muss ein Hemd tragen, das scheint auch eher eine private Reminiszenz des Regisseurs denn irgendwas, was die Geschichte vorwärts bringt.
Auch zur Atmosphäre: alle Szenen im haargenau gleichen Rhyhtmus.
Portrait eines Tiers.
Kurz: dem Konflikt fehlen die dramaturgischen Eier.