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Bullhead

Belgisch-flämisch-wallonische Genremalerei. Portrait eines Mannes, dem in der Jugend die Testikeln von einem behinderten älteren Buben zertrümmert worden sind. Der Film entwickelt eine Atomosphäre als stünde er unter der Dunst- oder Käseglocke dieser zerstörten männlichen Geschlechtsmerkmale. Mit einem Protagonisten, Jacky heißt er, der sein Unglück („Ich habe nicht, was in meiner Natur liegen sollte“) ständig wie eine Monstranz vor sich herträgt statt es kompensierend zu nutzen. Der Gedanke des Verdrängens findet zwar Eingang bereits in die ersten geschriebenen Texte, die noch vor dem Titel kommen, fast dichterisch geht es da um „Dinge, die still werden lassen“, die eingefroren werden, tief begraben. Es geht um den Vorfall, der von der Familie des Täters als Unfall dargestellt wird. Später sieht man Bruno, den Täter, in einer Anstalt dümpeln.

Der Film fängt dezidiert so an, dass er eine Atmosphäre schaffen will um dieses Unglück herum, das verdrängt wurde und Jahre später wieder hochkommt. Weil Jacky seinem Jugendfreund Diderik wieder begegnet (der ist inzwischen Polizeispitzel), der damals Zeuge des Vorfalles war, der einzige unbeteiligte Augenzeuge. Die Geschichte, die quasi als Drahtgestell für dieses Portrait dienen soll, spielt in den Sphären belgischer Viehzüchter und der ganzen Mafia, die illegale Hormonpräparate für schnelleres und fleischigeres Wachstum unter die Züchter bringt. Es gibt einen Mord an einem Kriminalbeamten (doch die Kriminaler tragen nachher keine Trauer). Es geht um Einschusslöcher in einem BMW, die vertuscht werden müssen, um Reifen, die Garagisten zurückhaben möchten, damit sie nicht in Verdacht geraten.

Es spielt noch eine Jugendfreundin eine Rolle, die jetzt in einer Parfümerie arbeitet und Jacky ausgiebig über Deos und Parfüms berät. Oder es wird ein Angebot an Hormonprodukten erläutert. Es werden ein Kaiserschnitt und die Geburt eines Kalbes gezeigt.

Der Film gibt von Anfang an klar zu verstehen, dass es ihm ernst ist, dass er Stimmung erzeugen will. Nach dem einleitenden Text fährt ein Jeep über Land, nähert sich der Kamera, aber es gibt kein Fahrgeräusch, nur der Wind bläst. Das macht geheimnisvoll. Oder die gelegentlichen Tempoverlangsamungen durch die Kamera. Diese schaffen Bedeutung. Wir haben es hier mit einem bedeutungsvollen Thema zu tun. Allerdings ein ziemliches Randthema, meine ich, Männer ohne Eier, natürlich tritt an einer Stelle ein Verhandlungspartner von Jacky ins Fettnäpfchen, indem er ohne irgendwas zu wissen, ihn als einen Mann ohne Eier beschimpft. Zur Demonstranz-Atmosphäre trägt auch die oft sehr feierliche Streichermusik beim. Stichwort am Anfang: gearscht, gearscht bist Du immer.

Die Frage ist allerdings, wer will einen Typen, der immer gearscht ist kennenlernen, wenn er das auch noch so demonstativ spielt und die Dramaturgie keine raffinierten, wenn auch vielleicht riskanten Kniffe anwendet, zum Beispiel, dass dieses Defizit, dieses Problem, ihn ständig zu neuen Beweisen von männlicher Selbstbehauptung zwingen würde, so dass es für einen Außenstehenden völlig überraschend, schier unfassbar wäre, zu erfahren, was ihm widerfahren ist, mit welchem Defizit er leben muss. Jacky aber ergibt sich eher passiv in sein Schicksal, zieht die Verarschung förmlich an. Ein unglücklicher Mensch, der das Unglück anzieht. Nur, wer will schon zwei Stunden, so lange dauert der Film, mit einem unglücklichen Menschen verbringen. Was der Film wirklich schaftt, das ist diese schuldbewusste Atmosphäre herzustellen. Ein Mensch mit Defiziten, der fühlt sich oft schuldbewusst. Und das transportiert Michael R. Roskam, Regisseur und Autor des Filmes, hundert Pro.

Der Versuch der Defizitkompensation kommt durchaus vor. Mit Muskelaufbau, Testosteron und mit dem Parfüm geht Jacky auch in die Disco. Aber wie er endlich mit der Drogeriewarenverkäuferin, die ihm das Parfüm verkauft hat, anbandeln kann, da schleppt ein anderer sie ab. Dem geht es nicht gut. Der lag bald darauf schon im Koma. Er ist fast wie ein Tier, dieser Jacky. Die beiden flämischen/oder wallonischen Garagisten, wegen denen er in die Mordsgeschichte hineingezogen werden soll, da geht’s ihm güllennass eini. Und einen Ansatz zu Schwulitäten gibts mit einem der Kommissare.

Am Anfang auch die Atmosphäre mit der niedrig gestellten Kamera im fast leeren Stall.
Warum mit der Titel „Genremalerei“ eingefallen ist? Weil die Figuren, es sind vor allem Mannsbilder, generell sehr dumpf gezeichnet sind, so wie auf flämischen Wirtshausbildern des 16. oder 17. Jahrhunderts, Frans Hals.

Jacky geht schwer wie ein Bulle. Auch das vielleicht ein kleines Denkproblem, er müsse den Stier spielen. Das macht er schon gut. Nur der Spannung der Geschichte hilft es wenig.
Atmsphäre entsteht auch dadurch, dass offenbar die Hoden, die Jacky fehlen, praktisch alle Farben aus dem Film absorbiert haben, wie so ein Colorauswaschtuch.
So wie der Jacky hier gespielt wird, macht er gelegentlich einen leicht behinderten Eindruck.
Ein flämisch-wallonisches Sittengemälde, das mir suggeriert, die ganzen Landsleute des Regisseurs hätten keine Eier. Eine ziemlich subtile wie gleichzeitig brutale Kritik.
Kleine Szene vor der Disco am Eingang, er muss ein Hemd tragen, das scheint auch eher eine private Reminiszenz des Regisseurs denn irgendwas, was die Geschichte vorwärts bringt.
Auch zur Atmosphäre: alle Szenen im haargenau gleichen Rhyhtmus.
Portrait eines Tiers.
Kurz: dem Konflikt fehlen die dramaturgischen Eier.

Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel

Die Kindergeschichten von Cornelia Funke verkaufen sich millionenfach. Da muss was dran sein. Obwohl mir diese Geschichte hier eher wie ein lustiger Modeartikel vorkommt, für den sich wahrscheinlich in einigen Jahren kein Mensch und kein Kind mehr interessieren wird, weil dann ein neuer Autor, eine neue Autorin mit lustigen, nicht allzu tiefen in den Zeitgeschmack passenden Geschichten für Kinder den Markt erobert haben wird.

Der Weihnachtsmann, der in einem alten Bauwagen wohnt und den ein Elch von der Weihnachtswelt in die richtige Welt zieht, der hat einen bösen Gegner, der ihn zur Eissäule erstarren lassen will.  Also bittschön, im alten Testament gibt’s eine Geschichte, wo ein Mensch Gefahr läuft, zur Salzsäule zu erstarren – dort allerdings mit ethischer Begründung. Das dürfte der Unterschied sein zu modischen Geschichten, die sich solcher Bilder frisch und frei bedienen, ohne gleich einen tieferen Sinn damit erzeugen zu wollen.

Waldemar Wichteltod, den spielt der Volker Lechtenbrink mit der tiefen Stimme und den haben sie auf ganz böse geschminkt, der will jedenfall alle Weihnachtsmänner zu Eiszapfen erstarren lassen. Nur einer ist ihm noch übrig geblieben. Das ist der aus unserem Film. Und hier wird erzählt, wie und wieso ihm das nicht gelingen wird. Unser Weihnachtsmann konnte also entkommen und fliegt gerade am Himmel; da bleibt Wichteltod als ein letzter Versuch, mit Sturm und Gewitter ihn zum Abstürzen zu bringen.

Der Bauwagen mit dem letzten Weihnachtsmann steht also plötzlich in der kleinen Stadt in der der Film nun spielen wird. In dieser Stadt ist gerade eine Kleinfamilie aus Vater, der seinen Bankjob verloren hat, Mutter, die eine kleine Confiserie eröffnet und Sohn Ben neu hinzugezogen. Ben sieht nachts den Weihnachtwagen abstürzen, aber von seinem Fenster aus beobachtet er auch Charlotte im Haus gegenüber. Mit der wird er zuerst zusammenprallen. Dann aber werden sie gemeinsam versuchen, den Weihnachtsmann zu schützen vor dem ihn verfolgenden Wichteltod und seinen grauen Männern, die in der Weihnachtswelt Nussknacker sind (animiert) und vielleicht inspiriert von den grauen Männern der Zeit, wie sie in Momo von Michael Ende vorkommen.

Das hört sich vielleicht ein bisschen abstrus an. Ist es wohl auch. Darf es aber auch sein. Das sind eben Weihnachtszeit-Mode-Geschichten. Für wer noch an den Weihnachtsmann glaubt. Weihnachtsmänner sind sowieso immer mehr in. Sie zieren in der Weihnachtszeit immer häufiger Hausfassaden und Balkone. Christentum hin oder her. Die Kirchen leeren sich, die Hausfassaden bevölkern sich stattdessen mit Weihnachtsmännern. So geht es auch im Weihnachtsfilm zu. Hier steht der Weihnachtsmann für den, der Wunder vollbringen und die Kinder beschenken kann.

Das Drehbuch zum Film haben Uschi Reich, die als erfolgreiche Kinderfilmproduzentin zu charakterisieren ein Muss ist, Benjamin Biehn und Robin Getrost nach dem Buch von Cornelia Funke geschrieben, zweckmässig, pragmatisch und sie kommen ziemlich ohne dumme Fernsehdialoge, die alles erklären aus, ja es gibt sogar Szenen mit richtigen Auseinandersetzungen, eine ernsthafte Diskussion über die Existenz des Weihnachtsmannes beispielsweise, immerhin das wird reflektiert. Aber auch keine an den Haaren herbeigezogenen Witze und Gags. Oliver Dieckmann hat das alles konzentriert auf die Geschichte und ihren Fortgang hin inszeniert. Dass den Figuren in solchen Filmen immer etwas Masken- und Klischeehaftes anhaftet, dürfte zum einen in der Hollywoodaffinität oder –sehnsucht der Bavaria-Ateliers begründet liegen, aber auch in der Art wie solche Kindergeschichten nun mal erzählt werden und aus Erfahrung zu funktionieren scheinen.

Die große Passion

Wenn einer sich mit einem Film ins Kino traut, muss er damit rechnen, dass Kino mit Kino verglichen wird. Wenn einer sich mit einer Dokumentation ins Kino traut, also für sein Werk Kinotauglichkeit beansprucht, muss er damit rechnen, dass man mit anderen Kino-Dokumentationen vergleicht. Dieser Film hier nennt sich ganz ungeniert „Die große Passion“ und nicht etwa „Making of Passionsfestspiele of Oberammergau“, was dem hier Gebotenen allerdings deutlich näher käme und eine adäquate Erwartungshaltung aufbauen würde, die dann nicht zu schnell in Enttäuschung kippte.

Es geht um die Dokumentation eines kulturellen Ereignisses, eines weltberühmten noch dazu. Zum Vergleich ziehe ich heran „La Danse – Das Ballett der Pariser Oper“ von Frederick Wiseman. Er hat mit relativ bescheidenem Drehaufwand, ein sehr präzises Bild dieser aufwändigen und weltberühmten Institution gezeichnet, man hat nicht nur von der Architektur was kapiert, sondern auch von den Probenabläufen, dem Werden von Choreographien und nicht weniger von der Organisation hinter der Bühne, sei es der Vertretung der Tänzerinnen, der Regelung ihrer Altersversorgung oder der Beziehungspflege zu den Sponsoren. Es scheint, dass Wiseman sehr viel Vorarbeit im Kopf und in der Recherche geleistet hat und dadurch mit verhältnismäßig bescheidenem Drehaufwand zu Ergebnissen gelangte, die Kinospannung zu erzeugen vermögen und Zuschauer anziehen.

Jörg Adolph scheint anders vorgegangen zu sein. Sein Prinzip scheint gewesen zu sein, hingehen, Kamera drauf halten und dann schauen, wie aus dem Material ein Film zusammenzuschneiden sei. Auch das kann funktionieren. Seine primäre Qualität also war Bildersammlerfleiss. Sein Objekt: Herstellung der Oberammergauer Passionsspiele. Er war an 200 Drehtagen vor Ort und hat 300 Stunden Material abgedreht. Das dürfte beim Schneiden und Auswählen zur Qual der Wahl geführt haben und ihn vielleicht auch etwas den Überblick verlieren lassen haben.

Herausgekommen ist jedenfalls aus meiner Sicht ein sehr langer Film, der allenfalls den Titel, wie schon erwähnt, „Making of Passionsspiele Oberammergau“ oder vielleicht „Team-Film der Passionsspiele“ für die Beteiligten, Interessierte und zugewandte Orte, verdiente, jedoch garantiert nicht den großspurigen Titel „Die große Passion“.

Herausgekommen ist ein Aneinanderreihfilm von Schnipseln von Proben, Besprechungen, Aufführungsausschnitten, diese kitschigen lebenden Bilder, diese von Darstellern gestellten Tableaus immer wieder zwischendrin, der Rest mehr oder weniger chronologisch, obwohl dann nach dem Ende der Aufführung wieder eine Probe reingeschnitten wird und dann noch ein Kommentar. Der Kommentar ist von Christian Stückl, dem Regisseur der Spiele und der Hauptdokumenationsfigur, weil er halt gut und leicht reden und sich ins Szene setzen kann. Mit seinem Schlusskommentar soll wohl versucht werden, dem Ganzen einen kritischen Anstrich zu verleihen. Stückl meint, dass Jesus gewiss nicht von einer Kirche wie der katholischen geträumt hätte und sicher das nicht gewollt hätte. Das erscheint mir doch ganz schön scheinheilig oder alibihaft zu sein, denn ohne Kirche gäbe es die ganze (große!) Tradition der bildnerischen Darstellung des Kreuzweges nicht, die die Basis dieser Spiele ist. Dieser rasch noch hinzugefügte Kommentar reicht also nicht aus, dem Film den Stellenwert des Kritischen zu geben oder einer pointierten Haltung zum Stoff erkennen zu lassen, ihn von der Apostrophierung als PR-hafte, wohlgesinnte, freundschaftliche Hofberichterstattung oder eben des familiären Teamfilmes zu befreien.

Die Filmer hatten also viele Reisen nach Oberammergau unternommen, haben auch mal eine Dorfansicht und Impressionen von hinter der Bühne, aus der Kantine, Garderobe, Dusche, Schneiderei, Pressekonferenzen mitgenommen, haben Talkshowausschnitte aus Amerika eingefügt, eine Schauspielerreise nach Israel begleitet, sind auf Tuchkaufreise nach Indien mitgefahren, zum Papst – die Dokumentaristen haben wenigstens schöne Reisen gehabt, die dem Film und dem unverbandelten Zuschauer allerdings nicht allzuviel an Gegenwert bringen.

Wie Jörg Adolph insgesamt der geistig strukturierende Neugierfaden zu fehlen scheint. Keine Differenzierung zwischen Äusserlichkeit und Inhaltlichkeiten, da gibt’s zwar eine Diskussion mit Geistlichen, katholischen und jüdischen. Blitzt sozusagen kurz auf, reicht aber nicht für einen das Zuschauerinteresse leitenden geistigen Faden.

Der einzige „inhaltliche“ Faden, der allerdings mehr Gegenstand als Faden ist, ist das Portrait des großen Zampano der Festspiele: Christian Stückl, den man sich nach diesem Film sehr gut als „Theatermacher“ von Thomas Bernhard vorstellen könnte. Man könnte den Film auch ohne große Fehlermarge „die Soloshow des Oberammergauers Christian Stückl“ nennen, denn er redet weitaus am meisten und ist immer lustig dabei zuzusehen und außerdem ist er ein gebürtiger Oberammergauer, was Voraussetzung ist, dort mitzumachen. Er ist sozusagen der wahre Jesus von Oberammergau. Aber sowas hinterfrägt dieser Film nicht. Er präsentiert es als Wahrheit. Das reicht allerdings bei weitem nicht aus, Kinospannung zu erzeugen; ist quasi nur der ständig erneute Beleg für diese Behauptung in immer anderen und meist doch sehr ähnlichen Bildern. Der Zampano und die Darsteller, der Zampano und die Politik der Gemeinde, der Zampano und die Medien, der Zampano und die Arbeit am Buch und mit dem Stab, der Zampano und die Komparsen, der Zampano und das (verbotene) Rauchen.

Faktisch also ein Film über den Theatermacher Christian Stückl; was aber dem Filmemacher offenbar gar nicht richtig bewusst war, weil es nicht seine Absicht war – sonst hätte er den Film anders betiteln müssen; diese Diskrepanz zwischen Titel und Inhalt verweist meiner Meinung nach das ganze Produkt dann doch eher in die Schublade „laienhafte Bemühung“.

Der Fall Chodorkowski

Der Fall Chodorkowski oder eine Materialiensammlung zu Aufstieg und Fall des russischen Oligarchen Michail Chodorkowski. Materialiensammlung als eine spannende Reportage, vor allem anfangs sehr kinohaft, im Verlauf der Geschichte dann allerdings sich mehr der Fernseh-Eiligkeit annähernd in der Häufigkeit der Schnitte.

Das erste Bild ist ein besonders komponiertes, was auch imponiert, erst ist nur ein ganz schmaler Schlitz am oberen Bildrand zu sehen. Die Kamera dreht sich gegen den Uhrzeigersinn, sie ist an einem festen Standort und der Schlitz weitet sich wie das Törchen zu einer Gefängniszelle, durch welches das Essen gereicht wird, nach unten, streift eine sibirische Landschaft mit Oelpumpen, dreht sich dann immer mehr einer erhöht gelegenen russischen Kirche zu, senkt sich aber gleich ab und kommt vor drei Jugendlichen, die unten an einer improvisierten Treppe zur Kirche Aufstellung genommen haben, zum Stillstand. Diese werden gefragt, ob sie wissen, wer Chodorkowski sei. Die Frau antwortet mit Nein, einer der Jungen meint, das sei einer der Russland viel Geld gestohlen habe. Das trifft allerdings nicht den Kern des Filmes. Insofern ist der Einstieg vielleicht etwas oberflächlich – aber umso schöner. Den Kern der Sache dürfte später Bundeskanzler Schröder (in einer Archivaufnahme) getroffen haben mit der Bemerkung: Männersache. Doch davon später mehr.

Was man dem Film ansieht, dass Cyril Tuschi sehr lange daran gearbeitet hat, sehr vielfältiges Material gefunden und selbst gedreht hat, weit über das Maß einer üblichen Fernsehreportage hinaus und angesichts der Brisanz des Themas in Russland, denn die Auseinandersetzung Putin – Chodorkowski dauert an, auch recht couragiert. Die beiden Kampfhähne befinden sich in Warteposition, Putin als Premier, während Medjedew Präsident ist und Chodorkowski immer noch im Gefängnis sitzt und schon weitere Anklagen auf ihn warten. Angesichts der Brisanz der Materie, einer nicht beendeten „Männersache“ also, so ist jedenfalls mein Eindruck, dürfte Cyril Tuschi sehr viel erreicht haben, ja sogar ein Interview mit Chodorkowski selbst anlässlich eines Termines vor Gericht und durch eine Glaswand.

Tuschi präsentiert sein Material chronologisch. Geht zurück auf die Ausbildungszeit von Mischa, wie Chodorkowski von Vertrauten und von seiner Mutter genannt wird. Er bringt Einblicke in den Übergang vom Kommunismus zu den Privatisierungen und wie es möglich war, dass Leute, die ganz ohne Geld angefangen haben, in so kurzer Zeit zu Milliardären geworden sind. Das erklärt überzeugend ein amerikanischer Banker, dass denen Yukos praktisch geschenkt worden sei für 300 Millionen, obwohl die Firma schon kurz darauf mit 6 Milliarden zu Buche schlug, weil nämlich sonst ausländische Investoren zugeschlagen hätten und dass das kein Land wolle, es aber in Russland niemanden gab, der soviel Geld hätte hinblättern können.

Viele Originalaufnahmen ergeben ein differenziertes Bild von Mischa. Wie er sehr ehrgeizig gewesen ist, hellwach und hochintelligent, darum wohl bald der reichste Mann der Welt unter 40 Jahren geworden ist, der auch Termine mit dem amerikanischen Präsidenten hatte, aber ab da wurde es kritisch, wie er Kontakt zur amerikanischen Oelindustrie aufgenommen hat. Es gibt Leute, die ihn als arrogant bezeichnen. Obwohl er immer darauf geschaut hat, bescheidener zu leben, als er es sich hätte leisten können. So hielten es auch die anderen Manager von Yukos.

Man könnte einen anderen Zugang zu diesem Material finden: man könnte sagen, es ist der Stoff zu einem grandiosen Thriller. In dieser Hinsicht bekommt das Schröder-Wort Gewicht: Männersache. Ein reiner Machtkampf, ein Hahnenkampf zweier Männer, der zwischen Putin und Chodorkowski, den Eindruck suggeriert der Film und widerlegt ihn keineswegs, versucht es gar nicht erst. Es wären viele Elemente für diesen Thriller zu finden.

Der Kampf dieser beiden. Die Warnungen, die Putin ausstößt. Den ersten Manager, den er verhaften lässt. Dazu gibt’s im Film ein schönes Statement: willst Du ein Rudel Wölfe verjagen, reicht es, wenn Du den Leitwolf tötest. Michail wusste also, dass er der nächste wäre. Und trotzdem ist er nach einer Amerikareise wieder zurückgekehrt und wurde prompt verhaftet. Heute meint er dazu, dass er das in vollem Bewusstsein in Kauf genommen habe, dass er aber wohl naiv gewesen sei, was das Gerichtswesen in Russland betreffe. Und zitiert den Weisen, der es gar nicht erst zu einer solchen Situation kommen lässt. Putin konnte es nicht ertragen, dass Michail die politische Opposition unterstützte.

Ein Game zwischen zwei Männern. Politische Macht gegen Geldmacht. Die Geldmacht in immer größerem Ehrgeiz zum Aufbau eines Imperiums und glaubend, sie könne sich alles erlauben. Die politische Macht eitel bis dort hinaus und empfindlich, hochempfindlich und sicher war es nicht klug, beim Jahrestreffen mit den Miliardären, das der russische Präsident abhielt, ihm die Korruption direkt vorzuwerfen, die zu beseitigen sei. Man ist auch in höchsten Kreisen nachtragend und extrem wehleidig.

Es ist auch ein Kampf menschenrechtsverachtender Diktatur (Putin) gegen den Glauben an die Meinungsfreiheit der Demokratie (Chodorkowski), so wird das hier natürlich nicht genannt. Joschka Fischer weist darauf hin, dass die Dinge im politischen Geschäft anders laufen und ganz sicher nicht nach den Idealen von Menschenrechten und dem kapitalistischen Idealisten Chodorkowski, der mit einer Stiftung Bildung unterstützt und der die Welt verändern will, der Transparenz in die Bücher geschaffen hat (darum konnte er dann, wies brenzlig wurde, auch nicht mit 100 Millionen Schmiergeld sich aus der Affäre ziehen, das wäre damit nachweisbar geworden).

Besonders die frühen Bilder zeigen Chodorwoski mit einer unglaublichen Aura, die ihm tiefleuchtende Schönheit verleiht. Er strahlt dadurch auch Macht aus. Es gebe drei Arten von Unterstützern für Mischa, das erste seien vor allem Rentner aus Russland, das zweite die Menschenrechtsaktivisten und das dritte Menschen, die ihn einfach schön finden. Sein Sohn lebt in Boston. Die Mutter in einem schönen Haus in Russland. Aber sie bwoht nur noch zwei, drei Zimmer.

Was mich richtig stört, das ist die Kommentarsprecherstimme, die hört sich nach routinierter Fernsehtagesschau an, reduziert das Kino aufs Fernsehformat.
Chodorkowskis brutale Gefangennahme aus seinem Privatjet heraus wird animiert gezeichnet.
Eine weitere Animation, wie er im Geld schwimmt, und wie er wieder auftaucht, ist der Schnauz weg, der amerikanische Imageberater wars. Die hatten von Banking keine Ahnung, wie sie die erste private Bank Russlands gründeten. Aber er hatte eben auch ein Bewusstsein seiner eigenen Unerfahrenheit und war dadurch lernbereit und lernte auch sehr schnell.
Die russische Elite sei noch nicht bereit gewesen „for this attitude“.
Der Sohn findet den Vater autoritär. Also auch ein Vatersohnkonflikt gehört am Rande zu diesem Thriller.

Seine erste Frau tritt auch auf im Film. Die waren ein Paar im Komsomol, der Jugendorganistion der Partei; Liebe schneller als die Blicke es sagen können.
Joschka Fischer mit Heftpflaster auf der linken Daumenkuppe. Wo hat er sich geschnitten, doch nicht etwa bei den Menschenrechten.
Stalin-Zitat: Wenn der Feind nicht aufgibt, so töte ihn.
Die Villen der geflohenen Oligarchen in Moskau (etwa sieben Oligarchen sind sofort nach Mischas Verhaftung ausgereist) stehen leer in einer umzäunten Siedlung, werden aber auf Stand-by gehalten.
Besitz und Freiheit. Das schneidet Mischa im Gefängnis an, dass er sich erst hier frei fühle, vorher habe er sich immer um den Besitz zu kümmern gehabt.
Mischa denkt immer noch daran to win the end-game.
Er hat im Gefängnis jedenfalls keine Zeit für Meditation, er hat genügend mit den Prozessen zu tun und auch andere Verpflichtungen.
Musik von Avo Pärt. Passt.

Tom Sawyer

Bei Mark Twain, auf dessen Geschichte der Film beruht, kann schon nichts schief gehen, werden sich die Produzenten gedacht haben. Die Kinobearbeitung von Sascha Arango ist durchaus dazu angetan, eine Kinospannung zu erzeugen, sie behält konsequent die Erzählebene von Tom Sawyer und seinem Freund Huckleberry Finn bei. Die Dialoge sind, wenn auch nicht das Non-Plus-Ultra an Sprache fürs Kino, so doch handlungsförderlich. Das dürfte das Solideste an der Geschichte sein, sicher auch die Kostüme und die Ausstattung und die Mississippilandschaft, die Computertechnik an der Havel möglich machte.

Die Geschichte braucht hier nicht referiert zu werden; die dürfte sattsam bekannt sein. Aber dann fängt es vom Kinostandpunkt aus, also vom Anspruch her, werthaltiges Kino zu sehen, doch arg zu hapern an. Die Regie übernahm Frau Hermine Hundgeburth. Sie erledigte ihre Arbeit vom Produzentenstandpunkt aus bestimmt ausgezeichnet, indem sie den Drehplan eingehalten haben dürfte. Leider scheint sie kein Interesse, keine Zeit oder keine Gefühl für Sprachregie zu haben. Oft sprechen die Schauspieler zu laut, zu aufgesetzt; nur ein Beispiel: wenn Tom und Huck sich auf dem Dachboden der Hütte des Indianer Joe verstecken, und sie wissen, dass er ihnen ans Leder will und er ist hier im Film ganz besonders bös dargestellt, aber dazu später, und wie er dann mit seinem Kumpel die Hütte verlassen hat, so lehnen die beiden Buben sich entspannt an die Wand, schnaufen aus und unterhalten sich dann in Normallautstärke, als sei nichts gewesen und als könne der Joe nicht jeden Moment wieder zurückkehren.

Da ist aber noch ein anderes Problem: Mississippi ist tiefer Süden in den USA, da spricht garantiert kein Mensch irgend ein Hochamerikanisch, wie die hier und das ist besonders bei den Buben ärgerlich, ein superglattes, aalglattes TV-Hochdeutsch sprechen; das tut den Figuren gewaltigen Abbruch. Frau Hundegburth scheint aber auch kein Interesse oder keine Zeit oder kein Feeling für die Arbeit an den Figuren der Schauspieler zu haben. Die Buben grinsen viel zu oft, als hätten sie gerade in einer TV-Show was gewonnen; Frau Hundegburth scheint sich überhaupt nicht für Menschenbeobachtung und daraus zu erzielende Impulse für die Figuren und damit den Wert eines Filmes zu interessieren.

Wenn zum Beispiel Heike Makatsch, die auch überrissen böse gezeichnete Tante Polly spielt, in der Kirche weint (das ist da, wo sie glauben, Tom sei gestorben), dann kommt das so übertrieben und gekünstelt rüber, so unglaubwürdig; genauso wie die Figur des Indianer Joe, was krampft sich hier Benno Fürmann ab um diesen unnüanciert bös, bös, bös zu spielen. Mark Twain hat die Figur garantiet nicht so entworfen. Natürlich steht nirgendwo geschrieben, der Regisseur oder die Regisseurin hätte den Schauspielern zu glaubwürdigen Figuren zu verhelfen. Aber, da kommen wir zu einem weiteren Punkt: dem Cast. Der scheint hier in praktisch allen Positionen ein Missgriff zu sein. Angefangen bei den beiden Buben. Man sieht ihnen einfach die guten deutschen Verhältnisse an, aus denen sie stammen (könnte man ja machen, aber dann müsste das im Rahmen deutlich werden, dass Wohlstandsbuben arme Mississippi-Kinder darzustellen versuchen). Vielleicht hätte man da in Asyllagern suchen müssen, in Outsiderverhältnissen. Buben, die andere Dinge erleben, als ein Kid, der heutzutage in geordneten deutschen Verhältnissen mit dem Auto von Spieltermin zu Schultermin zu Sporttermin zu Klaviertermin zu Sprechertermin zu Drehtermin gefahren wird. Warum spielt Peter Lohmeyer, den man doch sonst als Protagonist kennt, die Minirolle des Richters Thatcher und fühlt sich außerdem noch sichtbar unwohl oder gar unsicher darin? Vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass eine solche Charge oft schwieriger zu spielen ist als ein Hauptpart. Was ist der Sheriff für eine merkwürdig unterdrückte Figur? Einzig der Sargschreiner Muff Potter, gespielt von Joachim Krol, zeigt meines Erachtens Qualitäten, die Empathie ermöglichen; spielt die Rolle, als sei es die Rolle seines Lebens. Im Kino sollte man diesen Anspruch von allen Darstellern erwarten (das machen uns doch gerade die so oft gepriesenen Amerikaner immer wieder vor).

Auch der Lehrer ist ein merkwürdig krümelige Figur, nicht Fisch nicht Fleisch, nicht Wissenschaftler, nicht Pädagoge. Er tut so, als ob sein Job und seine Rolle schwierig seien. Nicht zufriedenstellend.

Insgesamt ein Produkt, das lediglich für den deutschen Markt gedacht sein kann. Wenn man an die Südstaaten denkt, so fehlt hier vollkommen das darstellerische Temperament. Auch so eine Fernsehkitschszene, wie die Buben auf dem Floß sich umarmen. Generell: die Darsteller tun mir zu oft so als ob. Aber Tom und Huck haben doch ernsthafte Probleme zu bewältigen; das kommt für mich auch durch das Spiel der Erwachsenen überhaupt nicht raus. Wir machen hier eine Sause. Wir spielen hier Film. Sommerurlaub für die Kids. Das ist so kein Wonnepfropfenkino. Aber für den inländischen Markt offenbar brauchbar. Das dürfte am meisten dem Buch zu verdanken sein, dass wenigstens das funktionieren könnte. Man könnte auch sagen: ein Mark Twain lässt sich nicht so leicht umbringen.
Im übrigen ist der Film mit fast zwei Stunden deutlich zu lang.

Submarine

Wer hat nicht schon von der eigenen Beerdigung geträumt und sich vorgestellt, wie die Leute alle weinen und Kerzen anstecken und dass das womöglich in den Nachrichten kommt und dass die Nachwelt einen als einen wichtigen, vorbildlichen, unersetzlichen Erdenbürger und Zeitgenossen betrauert, dass das ganze Land um einen weint, wer kennt das nicht. Um sich dann noch zur Überraschung aller die eigene Auferstehung vorzustellen. Diese Fantasie malt sich unsere Hauptfigur, Oliver Tate, ein Heranwachsender in einem idyllischen Hafendorf in Wales, Great Britain, aus. Er lebt mit seinen Eltern, dem Vater, einem Meeresbiologen und der Mutter, die gerade mit dem Nachbarn, einem Esoteriker, anbandelt, in einer Einfamilienhausgebäulichkeit. Im Prolog zum Film, der die erwähnte Todesfantasie enthält, geht es des weiteren um die Konstitution des Individuums. Im Zimmer von Oliver, fallen vor allem ein Skelett und ein Fernrohr auf. Damit kann er bei den Nachbarn geistig „fensterln“.

Das erste Kapitel ist überschrieben mit: Jordana Bevan. Das ist ein ziemlich lausiges Mädchen an der Schule. An sich war Oliver in Zoe verliebt, eine dickliche junge Frau und Outsiderin. Die hatte er sogar einmal geküsst. Aber sie ist dann zum Opfer eines Mobbings geworden. Nachdem die Burschen inklusive Jordana sie in den Wald getrieben und ihr die Schultasche entrissen haben und sie beim Versuch, diese wieder zu fangen, rittlings in einen Tümpel gefallen ist, ab diesem Tag ward sie in der Schule nicht mehr gesehen.

Doch die jungen Burschen wollen die Mädels kennen lernen. Eine Freundin ist für das Image auf der Straße, für die sogenannten „Street Credits“ von hervorragender Bedeutung, so raisonniert zumindest unser Oliver. Er macht sich also ausgerechnet an Jordana ran, die sich erst sehr schnöselig benimmt und nach einigen Komplikationen schafft er es, schafft er „das erste Mal“. Die Mutter ist erst geschockt und will schon sagen, sie hätte ja gemeint, er sei …, aber das Wort kommt ihr doch nicht über die Lippen. Mit Jordana als Lebensabschnittspartnerin windet sich Oliver durch die Wirren des Coming of Age, mit einer atavistischen Liebe, die hinten und vorne keine Liebe ist. Man hat den Eindruck, auch das Mädchen macht das mit, um es kennen zu lernen. Doch die beiden haben keine gemeinsamen Interessen. Das zeigt sich, wie er ihr einen Packen Bücher zum Lesen geben will, Nietzsche und dergleichen. Dafür ist sie ein karger Boden. In der Schule gibt es nebst Froschschenkel-Experimenten noch eine Schwulenhatz auf ihn; aber Jordana hatte bei ihrem ersten Kuss Fotos geschossen. Die dienen unverhofft zum Beweis des Gegenteils. Es gibt sogar einen Besuch bei ihren spießigen Eltern. Doch ihre Mutter hat einen Gehirntumor.

Über die kurze heftige Liebes- und Brunftzeit mit Jordana drehten die beiden auch einen Super-8-Film, der in voller Länge eingespielt wird, wie sie nachts auf dem Rummelplatz sind, am Meer, wie sie Wunderkerzen abbrennen lassen, vorgespieltes Liebesglück pur.

Der Film dürfte Mitte der achziger Jahre spielen, denn die Eltern gehen immer donnerstags ins Kino, sie wollten an diesem einen Tag, an dem Oliver Jordana eingeladen hat, einen Rohmer schauen, waren dann aber im Crocodile Dundee. Die Phase mit Jordana ist in dem Moment zu Ende, in dem sie einen anderen nimmt, den mit dem sehr langen Hals. Oliver geht deswegen nicht zugrunde noch bringt er sich um. Jetzt kümmert er sich und das ist das zweite Kapitel, um „Graham Purvis“. Das ist der esoterische Nachbar – und diesem und dessen Frau guckt er in die Fenster. Er nennt sie die Ninas. Dieser Purvis wird sich im zweiten Kapitel von seiner Frau trennen. Ab hier verlässt die Story das übliche Coming-of-Age-Feld, denn Oliver spioniert jetzt seinen Eltern nach, spioniert sie aus; wenn sie nicht zuhause sind, wühlt er in ihren Dingen, er will etwas erfahren über ihr Leben, über ihre erwachsene Liebe und er weiß, dass es sieben Monate her ist, dass die beiden zum letzten Mal Sex gehabt haben. Außerdem hat er herausgefunden, dass dieser Purvis ein merkwüdiger falscher Heiliger ist, der Sessions über die Kraft des Lichtes und die seelische Freiheit abhält. Und Mutter geht plötzlich wieder zu seinen Vorträgen. Wobei zu sagen ist, dass sowohl Mutter als auch der Vater und auch dieser Purvis, sehr reduzierte Figuren sind, mit wenig Ambition zu Persönlichkeit und Individualität, eher wie leicht sterile Serienmodelle des Vater- und Muttertypes, aber in nicht-klischeehafter Besetzung.

Oliver interessiert sich also für die Praxis der Ehe der Eltern oder die vermeintliche Krise; er schreibt einen falschen Brief an die Mutter, unterschrieben mit Lloyd, dem Vornamen des Vaters, dass er doch wieder mit ihr schlafen wolle. Kurz, Oliver will, wenn er mit sich schon nicht zurecht kommt, obwohl er an einem Punkt auch die Erkenntnis hat, dass er sehr gut mit sich allein zurecht kommt, die Ehe der Eltern retten oder wiederbeleben.

Das dritte Kapitel ist überschrieben mit „Show-Down“. Unter anderem muss Oliver in der Schule einen dieser Kassiber vorlesen, die sich die Schüler – immer schön in Uniform – während des Unterrichts gerne zustecken; ausgerechnet der war ein Liebesgeständnis an Jordana. Gebasht werden für die Liebe.

Beim Rekapitulieren des Filmes fällt mir auf, dass das gar nicht so leicht geht. Mitten beim Schauen hatte ich den Eindruck, dass es ein rein privatistischer Film ist. Die Langsamkeit und Unaufgeregtheit der Erzählweise erinnerte mich mehr daran, wie ein Mensch, der Dinge, die er vielleicht schon vergessen hat, wieder versucht an den Tag zu bringen. Das geht nicht immer in der Reihenfolge und das geht auch nicht leicht. Der Eindruck entsteht, dass der Regisseur und Drehbuchtautor Richard Ayoade ein Originalvorbild, was in diesem Falle ein Buch von Joe Dunthorne ist, getreulich nacherzählen will. Und dass ihm mehr um Korrektheit als um einen eleganten Fluss von Geschichte geht. Dieses sehr Individuelle hat aber auch zur Folge, dass es nicht als prototypisch für den Begriff „Coming of Age“ stehen kann, wenn auch viele der Elemente enthalten sind.

Was mich beim Erinnern am meisten verwundert und auch weiter beschäftigt, ist die Parallele der Krisen der Pubertät des Kindes mit der Krise in der Ehe der Eltern. Das kommt zwar oft vor in solchen Filmen, dass die gerade in Scheidung sind, wird aber doch meist mehr informativ als eher zufällige Nebenerscheinung abgehandelt. Was mich hier fasziniert ist, dass dieser Film sozusagen der Verwicklung von Eherkrise der Eltern und Coming-of-Age-Krise der Jungen auf die Spur kommen will. Ein Gebiet, wo es meiner Meinung nach noch so einiges auszuloten gäbe.

Richard Wilhelm und das I Ging

Das Kino und geistige Gehalte. Das Kino und die Dokumentation. Hier scheinen wir es eher mit einem naiven Begriff von beidem zu tun zu haben. Bettina Wilhelm, die Autorin und Regisseurin dieses Filmes, ist die Enkelin des berühmten, von ihr hier vorgestellten Richard Wilhelm, dessen Hauptwerk, die Übersetzung des I Ging auch heute noch gebräuchlich ist. Also machte sie einen Film über den Großvater, machte sich auf, seinen Spuren zu folgen. Herausgekommen ist ein sehr privates, wenn auch nicht unsympathisches Durcheinander auch vom Bild her. Es gibt wie immer in solchen Bildmontagewerken spannendes historisches Material, hier aus China, denn Wilhelm lebte lange Zeit in Shanghai. Das war um die vorletzte Jahrundertwende, Zeit des Boxeraufstandes und Zeit des Ersten Weltkrieges. Er sollte dort Missionar sein. Er stammte aus dem Schwäbischen. Ihn interessierte aber nicht so sehr die Taufe oder Bekehrung von Chinesen. Vor allem interessierte ihn das Studium des Chinesischen und von chinesischen Schriften.

Der Film fängt damit an, dass die Regisseurin erst mal sich selber zeigt, im Flugzeug nach China sitzend und auf die Wolken hinunter schauend. Sie erzählt, dass sie im Rahmen der Vorbereitung für den Film auch Kontakt zu einem Experten für das I Ging aufgenommen habe, einem Professor Smith in England. Und auch zu einem Experten für das I-Ging-Orakel. Den sieht man dann immer mal, oft ohne Kopf, mit Schafgarben und Münzenwerfen die Vorbereitungen für die schicksalshafte Seite des I Ging treffend. Der Hauptteil der Lehre sei aber, was der Mensch dann mit dieser schicksalshaften Ausgangslage, die der Spezialist anschließend mit komplizierten Zahlenreihen, Hexgrammen und Trigrammen, die ein Bild ergeben, ablesen kann, was der Mensch also daraus mache; das scheint, dem Film zu entnehmen, die Essenz dieser chinesischen Lehre zu sein. Sie sei bei uns im Westen vor allem in den 70er Jahren bei der Jugend sehr In gewesen; schließlich kannte Richard Wilhelm auch Hermann Hesse (der auch die 70er Jahre Jugend weltweit angesprochen hat), Albert Schweizer und C. G. Jung (um dieses zu illustrieren gibt es ein Insert mit dem Blick auf das Jung-Haus in Küsnacht am Zürichsee; kürzlich auch bei Cronenberg zu sehen).

Es ist wie eine Fernsehdokumentation mit einem eher ermüdend auf „schön“ und auf schmeichelhaft von Sylvester Groth gesprochenen Kommentar.

Dann hupft die Erzählung von China wieder nach Deutschland, nach Stuttgart, wo Wilhelm in der Blumenstraße geboren worden sei, und das wird auch mal schnell hoppla-di-hopp ins Bild genommen. Dann der Schlosspark mit merkwürdigen Aufnahmen von einer Venus, die Wilhelm als Junge mal geküsst habe. Privates Material mit sehr wenig Bezug zum im Titel versprochenen Thema. Das kommt dann erst gegen Schluss wieder, nach einem wilden Bilderrodeo mit vielem x-beliebigem Straßenmaterial aus dem heutigen China, Wald-, Wiesen- und Teichmaterial sowie Aufnahmen von einem Kloster, einer Kirche, Hochhäusern; offenbar alles schnell und ohne großes Konzept geschossen (so zufällig wie der Wurf der Münzen für das I-Ging-Orakel).

Über dem Bilderwust Zitate vom alten Wilhelm, Berichte, wie er beim Boxeraufstand – da gibt’s grausliche alte Fotos von Leichen, neben denen die abgeschlagenen Köpfe liegen – und wie er, da die Chinesen die Deutschen nicht verstanden und die immer gleich geschossen haben, es schaffte, da er des Chinesischen mächtig war, zu vermitteln und dem Blutbad ein Ende zu bereiten. Dann ist wieder die Rede von Konfuzius, davon dass es bei ihm um ein liebevolles und vorurteilsloses Verstehen gehe; Wilhelm habe die Gespräche des Konfuzius übersetzt. Eins erzeugt Zwei. Zwei erzeugt Drei. Das Drei erzeugt alle Dinge. Alle Dinge haben im Rücken das Dritte und stehen im Schatten. Das Strömen der Kraft gibt Harmonie.

1911 kam in China das Ende einer zweitausendjährigen Herrschaft. Dazu gibt es einem schönen historischen Ausschnitt zu sehen, wie einer Frau der Zopf abgeschnitten wird. Zusammenbruch des alten China.

Die besten Fotos stammen vom Fotografen Ren Xiha, der ein heutiger Fotograf ist und ein sehr gutes Auge für die Verhältnisse hat – im Gegensatz zu unserem touristischen Kameramann. Dazwischen wieder Familiäres, Papa Wilhelm und seine vier Söhne. Der jüngste war der Vater der Dokumentaristin. Sie selbst sei auch in China aufgewachsen. Aber der Film erzählt nicht, wie sie dorthin gekommen ist, denn 1920 kehrte Wilhelm zurück nach Deutschland.

Es ist wirklich nicht leicht, so ein Durcheinander, das sich in etwa an der Historie, also der privaten von Wilhelm orientiert, zu referieren, mit all den Zwischenbemerkungen zu den Übersetzungen. Der Film ist nicht dem Titel gerecht und ausgehend vom wichtigsten Werk Wilhelms strukturiert worden. Keine kinokundenfreundliche Gestaltung. Und was dann in China weiter war mit dem, was nach dem Zusammenbruch der alten Herrschaft passiert ist, kein Wort davon. Nur dass Wilhelm danach wieder zurückkehrte als wissenschaftlicher Berater der deutschen Botschaft in Peking. Und 1924 wieder nach Deutschland fuhr. Denn die Familie, die hatte er dort gelassen. Er habe dann Vorträge gehalten. Und einen Lehrstuhl für China in Frankfurt am Main innegehabt, sei aber angefeindet worden, wegen seiner angeblich nicht ganz wissenschaftlichen Methoden.

Dabei war früher im Film erzählt worden, wie sorgfältig er sein Übersetzungsgeschäft betrieben habe. Erst hat er eine Übersetzung aus dem Chinesischen angefertigt. Dann ohne das Original eine Rückübersetzung ins Chinesische vorgenommen. Diese dann ganz genau mit einem Chinesen durchgegangen und so weiter. Und die Vision einer neuen Kultur von Ost und West zusammen. Da fällt mir gerade auf, das ist eigentlich höchst aktuell. Auf diesen Aktualitätshinweis verzichtet der Film ganz. Frau Wilhelm Enkelin war nur überrascht, mit wieviel Hochachtung sie überall empfangen wurde. Es gibt auch noch die Schule, die ihr Großvater gegründet hat.

Vielleicht ist das Kalkül hinter diesem Film, es handle sich ja um eine bekannte Persönlichkeit und ein heute noch bekanntes Buch und so werden die Leute schon ins Kino strömen, denn es kommt im Film ja vieles vor, was mit Wilhelm und dem I Ging zu tun hat.

Das alte Missverständnis, dass ein spannender Stoff Grund und Anlass genug seien, einen Dokumentarfim zu finanzieren und zu drehen, erst recht, wenn die Dokumentaristin als augenfälligstes Merkmal vor allem die Verwandtschaft mit der Berühmtheit aufzuweisen hat. Es macht aber schon einen Unterschied, ob man so einen Film für die eigene Familie und Bekannte dreht, so wie es hier aussieht, oder ob man mit öffentlichen Geldern diese Geschichte der Öffentlichkeit nahe bringen möchte.

Lucky Trouble

So vergnügt sich denn wohl Russland mit einer Mischung aus Liebesgeschichte und Kinderfußballgeschichte. Sie fängt sehr gesteuert an: ein Loblied auf Moskau, die Stadt der Künstler, Literaten, Geschäftsleute. Stürmer, der Protagonist, will Autor werden und ist glücklich gerade in Moskau zu sein. Er ist Lehrer in der Provinz, läuft aber einem jungen Paar, was bald heiraten will, vors Auto und nachher gibt’s, weils gleich zwischen ihm und der Lady funkt, eine Riesendiskussion mit dickem Polizisten, jeder will Schuld gewesen sein, bis der Polizist entnervt aufgibt und die Leute ziehen lässt.

Stürmer will zu Fuß weiter gehen, nachdem er der Braut noch zugeflüstert hat, den Mann solle sie auf keinen Fall heiraten. Prompt steigt sie aus dem Auto und damit aus der angepeilten Ehe aus. Stürmer, der Möchtegernautor und Nadya, so heißt die abgehauene Braut, haben schöne Liebestage in Moskau. Stürmer hat sein Manuskript weggeworfen, man sieht dann auch, wie sie es wieder aus der Mülltonne klaubt und erwartet, dass das irgendwann fortgesponnen würde, aber seine literarischen Ambitionen sind erotischen gewichen und spielen im Rest des Filmes keine Rolle mehr.

Sie beschließen zu heiraten, vorher will er aber noch schnell zurück in sein Kaff und seinen Job als Lehrer an den Nagel hängen, während die Braut von der Mutter, die genau das erlebt hat, die Angst eingebläut bekommt, der wird nie wieder kommen und du kannst den Rest des Lebens auf ihn warten, so wie ich. In etwa kommt es so aber doch ein bisschen anders.

Denn die Schuldirektorin im Kaff, die steht auch auf Stürmer und sie meint, der Blumenstrauß, den er bei sich hat, wie er die Kündigung einreicht, sei für sie. Aber er sagt, nein, er fahre nach Moskau zum Heiraten und kündige. Dann muss er eilig zum Bahnhof mit seinem Köfferchen, so leicht kann man in Russland Existenzen auflösen respektive umsiedeln, ein blauer Anzug dazu, das Kündigungsschreiben und bereits die Blumen für die Braut im entfernten Moskau in der Hand.

Er nähert sich dem Bahnhof, da stellt sich ihm ein typischer, schwerfüßiger Gag in den Weg, Vor dem Zug stehen Schüler Spalier und ein Sportfunktionär spricht von den Fußballmeisterschaften. Stürmer will sich wegschleichen, um den Zug zu erwischen, statt dessen erwischt ihn der Funktionär, hält ihn für einen Fußballtrainer und die Lehrerin, die inzwischen dazu gekommen ist, bestätigt das; inzwischen fährt der Zug hinter dem undurchdringlichen Schülerspalier ab und Stürmer wird verdonnert, morgen mit seiner Fußballmannschaft aus lauter 12jährigen anzutreten. Eine Art Slapstickschicksal, in das er geraten ist. Er entscheidet sich, herrenlose Straßenjungs aufzusammeln und zu einer Mannschaft zu machen, die garantiert verlieren würde, somit wäre er frei, abzureisen.

Doch gegen solche Planung arbeitet das Schicksal mit List und Tücke und Gemeinheit an. So eine Lottertruppe kann in einem Film, der mit dem Schicksal spielt, nicht verlieren. Zwischen dem Lehrer und den Straßenjungs enstpinnt sich eine Art Schicksalsgemeinschaft, die sich auf einen Siegespfad begibt; das wirkt durchaus anrührend bis zum Moment, wo er ihnen gestehen muss, mit welch faulen Tricks er versucht habe, den Verlust des Spieles herbeizuführen, dass er Durchfalltabletten besorgt habe oder den Torhüter während der ersten Halbzeit in der Garderobe eingesperrt habe. Parallelkomplikation ist die Hochzeit, die sie in Moskau schon mal anfangen wollen ohne den Bräutigam, es gibt ja sms; die feiern also zuerst den zweiten Tag und wollen dann am nächsten erst zum Standesamt, wenn der Bräutigam dann da ist, der am Telefon hanebüchene Lügen zur Begründung seines Nichterscheinens erfindet.

Hochzeit und Tournier werden in schnellen, kurzen Sequenzen ineinander geschnitten, denn bei der Hochzeit taucht auch noch der ursprüngliche Bräutigam auf und die Fußballgeschichte wird durch ein Link zu einem internationalen Verbrecherkartell zusätzlich spannend gemacht, denn ein Mafioso mit Yacht muss mit seiner Mannschaft unbedingt gewinnen, aber da wandert die Story unverhofft aus dem Genre des Schicksalsspiels in das des Thrillers, vielleicht weil der Autor, Roman Nepomnyashchiy seinem reinen Schicksalsspiel nicht traut, vielleicht, weil er den Charakter Stürmers unterm Aspekt des Schicksals und seines Verhältnisses dazu zu wenig untersucht hatte und dadurch für zu unergiebig hielt.

Um das Knäuel an Komplikationen, die der Autor durch den Genrewechsel herbeiführt in vernünftiger Filmlaufzeit wieder auflösen zu können, muss er die Braut aus Moskau wie mit Zauberkunst ins Provinznest schaffen.

Schon an den übergeschminkten Mimen erkennen wir, dass wohl der russische Geschmack ein anderer ist als unserer und auch die oft übertrieben wirkende Darstellungsweise liest sich für uns wie eine Fremdsprache; vielleicht wollte der Regisseur Levan Gaabriadze damit auf sich als besonders talentiert aufmerksam machen.

The Thing

Eine sympathische Mischung aus norwegischer Hausmannskost und Hollywood, vielleicht weil Hollywood etwas unternehmen muss gegen die Erstarrung in der eigenen Größe und dem Zwang zu immer mehr Umsatz? Ein Teil der spielenden Mannschaft ist norwegisch und spricht auch norwegisch. In der deutschen Fassung werden die norwegischen Originalstimmen, und das ist angenehm, mit deutschen Untertiteln versehen, während man sich bei den englischen Stimmen mit einer allzu routinierten deutschen Synchronfassung zufrieden gab. Dass nicht mit Stars besetzt wurde, trägt jedoch zum insgesamt freundlichen Eindruck des Filmes bei.

Es geht um eine Forschungsstation im ewigen Eis. Die Forscher machen eine sensationelle Entdeckung. Leider verselbständigt sich das merkwürdige, grauenhafte Lebewesen, kaum wird das Eis angebohrt. Es zeigt äußerst gefährliche Eigenschaften, soviel darf hier verraten werden, dass es sich nämlich in seine Opfer hineinassimiliert, so dass der Forscherkollege von eben immer noch aussieht wie der Forscherkollege von eben, obwohl er zum Untier mutiert ist, das plötzlich aus ihm herausbrechen kann und und weitere Opfer macht. Das wird als Problem leider erst ganz am Schluss richtig deutlich und empathisch brisant wird, wie Kate, eine der Forscherinnen, mit einem Kollegen abhauen will, und sie sich fragen muss, ob er nun Mensch oder Monster sei; merkwürdig ist allerdings, dass er den Ohrring plötzlich auf der anderen Seite trägt. Mensch oder Monster, das ist nun eine Frage, die jeder Mensch aus vielen Lebenssituationen kennt. Da kann der Zuschauer durchaus andocken.

Die Monster sind hochprofessionell und auch originell animiert, wenn auch Innovation auf diesem Feld nicht mehr leicht sein dürfte, oft zweiköpfig mit einem Touch von Surrealismus à la Dali oder Max Ernst. Sowieso sind die handwerklich-technischen Dinge auf Hollywood-Niveau, besonders auch die Musik aber auch Kamera, Schnitt, Animation.

Vielleicht macht es diese Mischung aus Norwegen und Hollywood, dass die Erzählhaltung angenehm unprätentiös wirkt: wir erzählen Euch jetzt ganz genau, was vorher war. Nämlich vor „The Thing“ von John Carpenter von 1982. Richtig, wir haben hier ein Prequel vor uns, das dort aufzuhören vorgibt, wo John Carpenter 1982 anfing. Andererseits entwickelt gerade diese an sich sympathische Erzählattitüde gelegentlich etwas Betuliches, vielleicht zu sehr bemüht, es richtig zu machen, statt sich von den gewiss längst noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten des Horrorgenres zu neuen Ufern vorzuwagen.
Die Seriosität der Haltung, die sich dämpfend auf den Horror auswirkt. Vielleicht haben Regisseur Matthijs van Heijningen zu viel Respekt vor Hollywood und vor den Namen John Carpenter? In dieser Hinsicht kommt mir dieser Film eher vor wie eine devote Verehrungsgabe für einen fiktiven John-Carpenter-Altar denn durchs Original inspirierte und zu neuem Horror aufbrechende Keckheit.

Der ganz gewöhnliche Wahnsinn

Ein Premium-Produkt aus dem amerikanischen Sortiment von Themenfilmen. Thema ist die Vereinbarkeit von Karriere und Familie bei Frauen. Und die Komplikationen, die eine solche Konstellation bringen kann. Das wird mit gutem Tempo und Rhythmus und einer Auswahl schneidiger Schauspieler so dargeboten, dass immer klar ist, dass es gut ausgehen wird und dass auch Berufstätige sich nach Arbeitsschluss den Film entspannt reinziehen können.

Sarah Jessica Parker ist die wieselflinke und ständig in Bewegung sich befindliche Kate Reddy. Sie ist sicher keine besonders begabte Hausfrau. Das wird gleich zu Beginn amüsant gezeigt. Sie soll für die Schule einen selbstgemachten Kuchen vorbereiten. Das geht so: sie kauft einen Fertigkuchen, stülpt den in ein Gefäß aus ihrem Haushalt, zerwalzt die Oberfläche und streut viel zu viel Puderzucker drüber. So muss sie, glaubt sie, sich vor den Müttern der anderen Kinder keine Blöße geben.

Nachts liegt sie wacht und memoriert ihre Liste all der Dinge, die sie noch zu erledigen hat. Sie arbeitet auf einer Investment Bank bei „Edwin Morgan Foster“ und sie hat eine brilliante Idee bezüglich eines Renten-Investment-Fonds, auf den die Amerikaner mit ihrer schlechten Altersversorung sicher scharf wären. Sie erweckt das Interesse von höheren Stellen. Muss jetzt aber ständig nach New York jetten.

Sie selbst wohnt mir ihrem Mann, dem schulpflichtigen Töchterchen und einem kleinen Buben in Boston. Jack Abelhammer heißt der hohe Boss, der auf sie aufmerksam geworden ist, ein schöner Name, der irgendwie so gar nicht zu Pierce Brosnan passt, der sein gutes Aussehen und seine vorbildlichen Benimmformen dieser Rolle leiht.

Erotik und Karriere. Sicher knistert es zwischen den beiden. Und in der Familie kriselts wegen der häufigen Abwesenheit der Mutter. Aber sie behauptet, sie schaffe alles.

Um die beiden Protagonisten Jack und Kate herum sind noch eine Reihe weiterer Figuren professionell entworfen und arrangiert, eine Kollegin, die gegen Kinder ist, Momo, die dann aber auch schwanger wird, eine Kollegin die Kate unterstützt, andere Figuren, die skeptischer sind. Natürlich kommt die „beste Chance“ zum ungünstigsten Zeitpunkt. Kate hat ihre liebe Not, den Kindergeburtstag nicht zu vergessen oder mal ein paar Tage für die Familie in Austin zu nehmen, von wo sie dann doch wieder unvermittelt abreisen muss.

Aber nächstes Jahr wird sie gewiss mit ihrem Töchterchen einen Schneemann bauen. Wie es sich für so einen Film gehört, ist er auch Doku über den Lifestyle einer gehobenen Klasse im inzwischen nicht mehr ganz so selbstsicheren Amerika.

Ziel und Entwicklung von Kate ist in diesem Film, um es auf ein Zitat zu bringen: stop making lists und lernen zu sagen, I am unavailable, because I have to make a snowman.

Schon die Besetzung von Abelhammer mit Brosnan macht jedoch klar, dass diese Figur nie zu einer ernsthaften Gefahr für die Familie wird. Die Familie ist dann am Ende doch das Höchste. Und Karriere können wir nebenbei immer noch machen.