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Faust

Wer hier großes Drama, großes Welttheater erwartet, wer hier neue Einsichten zu Goethes Faust erwartet, wer hier einen Film erwartet, der uns Zeitgenossen direkt anspricht und aufwühlt, der liegt hier falsch. Selbstverständlich auch wer Action, Thrill, große Liebe, Romantic Comedy erwartet, dürfte enttäuscht werden.

Wer sich aber einen Spass draus machen kann, wie Sokurov das aktuelle Bemühen, die Kinoleinwand immer breiter größer, computeranimierter und 3D-hafter in die Tiefe gehen zu lassen, köstlich konterkariert, der das Kino (sein Film ist in einer Art Super-8-Format gedreht) auf Minitur-Format schrumpfen lässt, wer einen Spass daran haben kann, sich auf eine Reise eher durch eine Gemäldegalerie des Biedermeier, und in dieser Pinakothek noch durch die kleinen Nebenräumlichkeiten, wo die ganz kleinen, winzigen Miniaturen mit Landschaften und Ruinen und den Menschen, wie sie darin wuseln und tun, mitnehmen lassen will, der kann dieser Kunstveranstaltung von Alexander Sokurow bestimmt einiges Lächeln und neckische Amüsements abgewinnen. Hilfe, das Kino und der Faust auf Liliput-Format geschrumpft – das lässt doch den Zuschauer um einiges größer werden!

Oder auch: wer Kino in einem sehr ursprünglichen Sinne erleben will, als eine Art altmodisches, magisches Jahrmarkterlebnis (würde passen zu den Nostalgietendenzen à la „historische Wiesn“ in München) erleben will, hier wie ein Blick durch eine magische Kugel, so wie Wahrsager sie gerne in Kinderfilmen benützen, in eine Welt, in eine wie vom Winde weggeblasene Aufführung des sonderbaren Spieles vom Doktor Faustus, hier dem Anatomen und Arzt, der ist hier richtig. Ich würde dieses Kino aber auf keinen Fall als Arthouse apostrophieren wollen.

Alexander Sokurow und seine Mitautoren Marina Koreneva und Yuri Arabov haben den Fauststoff von Goethe äußerst freizügig ausgeweidet und angewendet. Es gibt viel Erkennbares für den gebildeten deutschen Kulturgänger. Erkennbares durchaus auch in neuen landschaftlichen Zusammenhängen. Die Schlussszene am Geysir, wo über Leben und Tod geredet wird. Szenen in wilden, zerklüfteten Landschaften, ganz romantische Malerei, an reißenden Wildbächen, in Felsspalten, durch die sich Faust und sein Begleiter in groben Leinenhemden, nachdem sie sich der Ritterrüstungen entledigt haben, hindurchzwängen müssen.

Es fängt mit der Sektion einer männlichen Leiche an und der Frage, wo ist die Seele.
Vielleicht gerade weil Sokurow des Deutschen nicht mächtig ist, hat er sich besonders viel Mühe für die Stimm- und Tonkulisse gegeben, der ganze Film ist deutsch gesprochen, aber die Sprachspur für den Film wurde aufwändig im Studio hergestellt, ob deutsche oder österreichische Originaldarsteller oder russische. Vielleicht gerade weil Sokurow des Deutschen nicht mächtig ist, hat er besonders intensiv hingehört.

Was auch auf den starken regiemässigen Zugriff Sokurovs schließen lässt, ist, dass alle Figuren sich voll in den erwähnten malerischen Bildzusammenhang einfügen, so dass es völlig unnötig scheint, irgendwelche Schauspielernamen einzeln zu erwähnen, obwohl Stars wie Hanna Schygulla (und wie wunderbar selbstverständlich!) mit von der Partie sind.

Kino in der Nähe der Mühen und Qualitäten der Kupferstecherei anzusiedeln.
Bilderbuchkino mit ausgefeilter Tonkulisse.
Mit einer unübersehbaren Tendenz zum Kunstgewerblichen, kostbar und ausgetüftelt wie Fabergé-Eier.
Oder, Zitat: ein Prachtstück für die Autopsie. Kann ruhig interpretiert werden, dieser Film ist vielleicht ein Prachtstück für den Kunst- und Literaturforensiker.

Jagdhunde stören die Beerdigung von Valentin (russische Fantasie?)
Der Faust: ein körperlich nicht sehr agiler Darsteller, wohl auch mit Bewusstsein ausgewählt.
Miniturweltkino.
Die Wissenschaft auch nur als Beschäftigung gegen die Leere interpretiert. Vielleicht auch dieser Film. Wie die Stickerei bei den Frauen. Beschäftigungstherapie. Filmherstellung und Fieselei als Sokurows Beschäftigungsthearpie?

Der Erdenkreis ist zu eng. Das vielleicht das Motto des Filmes, die Begründung für das enge Format, für die Orientierung an der Malerei von Romantik und Biedermeier.
Kleiner Seitenhieb auf die Russen: Ist er ein Verrückter? Nein, ein Russe.
Volksnah: Ida sagt immer Unisität statt Universität.

Fast surrealistisches Bild, wenn dem Wagner der Homunculus samt Flasche auf den Boden fällt, die Flasche kaputt geht und das Homunculuschen halb zerquetscht daliegt und atmet wie ein Frosch.
Das Hasenbild von Dürer an einer Stelle zitiert. Kunstgeschichtskino?

Der Mephisto, der hier nicht Mephisto heißt, sondern der Wucherer (eine anatomisch abgrundtief, russisch komische Figur, statt mit Klumpfuß mit keinem Darmausgang vorn und mit einem Geschlechtsteilchen hinten baumelnd und großer Bauchwust).
Wie dieser Wucherer, während Faust in einer Kirche mit Margarete spricht, sich an einer hölzernen Marienstatue erotisch zu schaffen macht, bewusst despektierlich. Russische Fantasie. Dürfte in Deutschland auf nicht allzu fruchtbaren Boden fallen.

Faust im Gespräch mit Margarete, dass er sich den Tod der Mutter gewünscht hatte.
Garantiert kein aufklärerisches, kein analytisches Kino.

Sokurows Anti-3D-Kino auf Schrumpfdimension und gar nicht humorfrei, aber nicht unbedingt unsere Humorlage.

Schon am Anfang das schwer symbolisch aufgeladene Spiegelchen, das aus den Wolken hängt, wie ein Autorückspiegel.
Die Machart macht dieses Kunstwerk. Dieses Künstlichwerk.
In den Rüstungen, Faust, wir sind Leute, Großes zu erreichen.
Heinrich der Mächtige und Maurizius, wie der Wucherer sich in der Rüstung nennt, bevor sie sich auf den Weg zu den Geysiren aufmachen, Maurizius der Dunkle.

Alpenwüstengegendbilder wie in Passolinis Passion in den Armeleutegrobstoffhemden.
Vorm Geysir noch die Diskussion über die ewige Einsamkeit. Das Kino als ein Mittel gegen diese ewige Einsamkeit oder nur Ausdruck derselben?

Bezaubernde Lügen

Ein Mann, ein einfacher Mann, ein richtiger Mann, der noch dazu Jean heißt (gespielt von Sami Bouajily), der ist in der zentralen Location dieses Filmes, dem Frisörsalon „Les Intondables“ (was locker aus dem Handgelenk übersetzt heißt, „hier ist Frisieren schwierig“!) für die kleinen Reparaturarbeiten zuständig und erledigt diese auch hingebungsvoll. Diese Hingabe interpretieren die Frisösen, wofür gleich mehrere wundervolle französische Schauspielerinnen besetzt worden sind, doch glatt als Hingabe des Mannes an die Frau, und das bringt den Laden allein schon zum Kochen. Wie sich dann noch herausstellt, dass dieser Mann, dieser Jean, auch noch hochgebildet ist (dass er fließend Koreanisch fluchen kann, wird bei einer Beschimpfung zweier Ladendiebinnen offenkundig), dass er literarisch begabt ist und die herzzerreißendsten Liebesbriefe schreiben kann, so sind hier dramaturgische Strukturen ausgelegt, die die liebeshungrigen Damen jeden Alters auf Trab halten und auf die verwirrendsten Wege der Gefühle schicken, die aber hier, so viel sei verraten, denn wir sind nicht bei Alfonse de Musset, gut enden werden. Denn das können die Franzosen, die Liebe und die Spiele um die Liebe herum und sie können es im Film und in der Kunst und sowieso im Leben, soviel zum positiven Vorurteil, was hier seine Bestätigung findet.

Die Deutschen können das wohl weniger. Vielleicht sind sie zu verbiestert, zu ernsthaft. Darum heißt denn die deutsche Übersetzung von „De vraies Mensonges“ eben auch „bezaubernde“ Lügen und nicht „wahrhaftige“, „aufrichtige“, „lebenswahre“, „wirkliche“ , „reine“, „unverfälschte“.

Die Deutschen scheinen auch so sensible Wortspiele nicht besonders zu mögen. So könnte man werweißen, was die Deutschen unter so einem Film erwarten werden, der „bezaubernde Lügen“ heißt. Klar, wenn, Audrey Tautou mitspielt, erwarten sie vielleicht so etwas, wie „die fabelhafte Welt der Amélie“; und eine schöne Prise davon ist in diesem Film von Pierre Salvador, der mit Benoit Graffin auch liebevoll das Drehbuch entwickelt und geschrieben hat, bestimmt erhalten, auf durchaus zauberhafte Weise.

Die deutsche Übersetzung des Titels ist vielleicht mehr als Marketing-Gag gedacht. Hier ist allerdings nicht nur eine fabelhafte Amélie-Welt zu finden, hier sind fabelhafte Frauenwelten, die Franzosen scheinen im Film davon über einen unerschöpflichen Fundus zu verfügen, an filmzauberhaften Frauen; hier angeführt von Nathalie Baye als Maddy Dandrieux. Sie ist die Mutter von Emilie, gespielt von Audrey Tautou.

Der Mutter ist der Mann, ein erfolgreicher Künstler, abhanden gekommen; er hat ein Verhältnis mit einer Jüngeren, das setzt der Mutter sehr zu. Emilie führt den gut gehenden Frisörsalon, Stephanie Lagarde als Sylvia und Judith Chemla als Paulette sind männerherzenbezaubernde weitere Frisösen und immer wieder als Mittlerinnen für die Feigheit des einen oder anderen Protagonisten in Sachen Liebesdingen gefordert.

Emilie ist nämlich in Jean verliebt. Sie kann ihm das aber nicht sagen. Jean wiederum verliebt sich in Emilie und schreibt ihr einen anonymen, höchst literarisch-romantischen Liebesbrief. Sie distanziert sich allerdings immer mehr von ihm, wie sie darauf kommt, dass er ihr sprachlich haushoch überlegen ist und nachdem er sie immer mal wieder korrigiert hat. Sie lässt nur noch ihre Mitarbeiterinnen mit ihm kommunizieren.

Sie weiß allerdings nicht, woher der anonyme, handgeschriebene Brief kommt. Dieser bringt sie auf ganz andere Gedanken. Sie tippt den wunderschönen Text ab, druckt ihn mit dem Computer aus und schickt diese Fälschung an Maddy, ihre Mutter, um sie aufzuheitern, um ihr den Lebenselan wieder zu geben nach der Enttäuschung mit ihrem Mann. Maddy springt voll an auf diesen Brief, es juckt sie überall und die Tochter sieht sich gezwungen, weitere solche Texte zu erfinden, allerdings nicht gerade kongenial, köstlich, wie sie vorm Computer hockt und krampfhaft liebestextet. Als Postillion d’amour setzt sie Jean ein. Die Mutter folgt ihm und hält ihn richtiger- wie irrtümlicherweise für den Schöpfer der Zeilen; so gelangt sie directement in den Frisörsalon. Damit ist die Ausgangslage für diese herrliche, teils skurrile, teils groteske Liebesverwicklungs- und Liebesverwirrungskomödie gegeben, die den Zuschauer heiter aus dem Kino entlassen wird.

Kriegerin

Deutsches Kopfkino, wie es offenbar die Filmförderungen, die Fernsehredaktionen und die Filmhochschulen lieben (hier sind im produzierenden Boot dabei das ZDF mit dem Kleinen Fernsehspiel und die HFF Konrad Wolf aus Berlin). Der Film gewinnt allerdings durch Ereignisse, die längst nach dessen Fertigstellung in die Nachrichten gelangt sind, einen Hauch unverhoffter Aktualität, durch die Neonazi-Killer-Gruppe aus Zwickau.

Der Autor und Regisseur David Wnendt nimmt sich ein brisantes Thema vor: Neonazis in Irgendwo in Ostdeutschland. Um das Thema zu behandeln oder vorzustellen, erfindet er eine Geschichte, zumindest Ansätze dazu. Zwei junge Frauen, die beide Mutterkonflikte haben und sofern vorhanden auch ein gestörtes Verhältnis zum Vater, geraten in eine Neonazigrupppe. Verantwortlich für die Anfälligkeit zum Extremen sind also verwahrloste familiäre Milieus.

Die eine der beiden jungen Frauen arbeitet noch als Verkäuferin im Lebensmittelladen ihrer Mutter und die andere hat einen Brutalo-Vater, der ihr das Rauchen abgewöhnen will, indem er sie in seiner Gegenwart eine Packung Cigaretten bis zum Erbrechen, den Plastikeimer hält er bereit, rauchen lässt. Die eine weigert sich, Ausländer zu bedienen, kommt aber mit einem von ihnen in Kontakt, es dürfte sich um einen örtlichen Asylbewerber handeln, Rasul heißt er und stammt aus Afghanistan. Die menschliche Beziehung zu Rasul führt bei ihr dazu, den Kontakt zu den Neonazis zu lösen.

Vorher war sie sehr brutal zu Rasul. Eine Szene am Strand wurde erfunden, bei der Rasul mit seinem Bruder schwimmen geht, derweil pisst einer der Neonazis auf seine Kleider. Sie fahren dann mit ihrem Motorrad von dannen und die schwarzhaarige Deutsche fährt ihnen mit dem Auto hinterher und drängt sie in den Straßengraben. Später findet sie dort ein Absperrband und denkt, die sind beide tot und bekommt sowas wie Gewissensbisse.

Es werden Szenen erfunden, die Gespräche beinhalten, zwischen den jungen Frauen und ihren Müttern, mit dem Opa, wie sie bei den Neonazis sind. Es gibt auch eine Koch-Szene, die belegt, dass der Filmemacher recherchehalber gewiss nicht sehr tief ins afghanische Milieu eingedrungen ist, denn dort würde Reis nie, wie hier, ungewaschen direkt in das kochende Wasser gegeben werden.

Auch kommt es mir sehr unglaubwürdig vor, dass Rasul mit seinem Bruder und ohne weitere Kumpels an den Strand geht, der Ort ist jedenfalls nicht als so groß beschrieben, dass ihnen die Neonazis nicht bekannt sein dürften, und ausgerechnet, wo diese Clique sich aufhält, da gehen die schwimmen. Aber das musste eben so erfunden werden, damit das Mädel nachher die Sache mit dem Motorrad bauen kann.

Wieder einer dieser thematischen Filme, die wie ein Film aussehen, ich würde den Vergleich mit einem Auto wagen, der wie ein Auto aussieht, sogar der Motor ist drin und auch Benzin und man kann den Motor starten, aber der Wagen bewegt sich nicht von der Stelle; selbst mit laufendem Motor nicht, weil der Keilriemen fehlt. Oder bei diesem Film: es fehlt hier an der elementarsten dramaturgischen Arbeit, die natürlich sehr mühsam ist, besonders wenn man ein anspruchsvolles gesellschaftliches Thema behandeln will, aber damit es im Kino konsumierbar wird, muss zuvor eine Konfliktanalyse stattfinden und zwar der Hauptfigur über die die Kraftübertragung (um beim Auto- und Keilriemenbild zu bleiben) stattfindet, damit das Kinoauto ins Rollen kommen kann. Wenn dies fehlt, dann habens auch die Schauspieler schwer, weil sie immer nur Szenen, die Thesen des Autors unterstützen sollen, illustrieren müssen. Dann kommt wieder andauernd diese Fernsehfrage, was denn hier los sei, was denn der oder die hier mache oder sie overacten und sind viel zu laut, wie hier andauernd. Aber das Gehör, das wird auf diesen teuren Filmschulen mit den kostspieligen Lehrkräften offenbar überhaupt nicht geschult, die lernen zwar Sounddesing, aber was mit einer Schauspielerstimme alles zu machen wäre, das Wissen scheint nirgendwo mehr vorhanden so wenig wie das in die Figuren, die betrachtet werden, hineinzuhören.

J. Edgar

Ein etwas maues Cocksuckermovie. Dieses Kurzstatement hört sich härter an als es gemeint ist. Denn mau ist die Regiehandschrift von Clint Eastwood sicher nicht, sie strahlt den Charme und die Süffigkeit eines feinen Cremedesserts in einer vielleicht leicht in die Jahre gekommenen aber erstklassigen Konditorei aus. Und mau agieren auch die Darsteller nicht, weder Leonardo DiCaprio als Titelfigur, als der jahrzehntelange FBI-Chef John Edgar Hoover noch sein Freund und Mitarbeiter Armie Hammer als Clyde Tolson noch das übrige erstklassig besetzte und von Eastwood mit Samthandschuhen angefasste Ensemble.

Der Begriff mau hat sich mir aufgedrängt, wie ich mich gefragt habe, wie denn ein Biopic über Edgar Hoover gemacht sein müsste, dass es auch uns Europäer direkt anspricht. Beispielsweise mit dem Fokus auf die nicht ausgelebte aber ständig sich meldende Homosexualität von Hoover, also den Film von der Warte des Schwulenfilms angegangen. Vielleicht wäre das aufregend, reizvoll, thrilling für den heutigen Menschen, für den heutigen Kinogänger, gerade weil damals das Thema unter den Tisch gekehrt worden ist. Verdrängte Schwulität als Motor für eine außergewöhnliche Karriere, das wäre doch eine These, die garantiert zu Diskussionen führen könnte.

Es könnte genauso gut der Fokus auf die Beziehung zur Mutter, die offenbar für Hoover sein Leben lang die engste Beziehungsfigur gewesen ist, gerichtet worden sein, diese Beziehung als zentraler Betrachtungspunkt genommen. Die nie vollzogene Loslösung von der Mutter als Treibkraft für eine extraordinäre Laufbahn.

Vielleicht war das ursprüngliche Drehbuch ja auch hauptsächlich auf den schwulen Fokus gerichtet, denn der Drehbuchautor Dustin Lance Black hat mit „Milk“ schon eine ausgezeichnete Vorlage zu dem Thema, allerdings dort explizit thematisch, geschaffen.

Vielleicht waren es die Produzenten, die nichts zu Pointiertes wollten, die sich scheuten, eine so prominente Figur direkt unterm Aspekt der Getriebenheit durch eine nicht ausgelebte Sexualität zu analysieren und offenzulegen. Vielleicht haben aber, und das würd ich schon für einen kleinen Klecks im Reinheft der beiden halten, auch Eastwood und DiCaprio so ihre Berührungsängste zu dem Thema und wollten es nicht zu direkt, zu offensiv angehen.

So ist jedenfalls, wer immer auch die Entscheidungen dafür zu verantworten hat, ein mauer Mix eines Filmes entstanden, der sich nicht für einen subjektiven Erzählstandpunkt entscheiden konnte und so sachlich vermutlich korrekt, subjektiv-menschlich aber lau geblieben ist: etwa durch das Nachstellen historischer Momente, durch das Einfügen historischer Aufnahmen, Martin Luther King bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises, Richard Nixon bei der Triumphfahrt nach seiner Wahl, Kennedy, Sachthemakonzentration auf den Fall der Kindsentführung Lindbergh, als roter Faden, um daran die Entwicklung und Machterweiterung des FBI unter Hoover (Modernisierung der Methoden zur Sicherstellung forensischer Beweise am Beispiel der bei der Entführung verwendeten Holzleiter), Lauschangriffe, Ausweitung der Infobeschaffung, Anlegen geheimer und geheimster Akten – das wird eine nette Schlusspointe nach dem Tod Hoovers, wie Nixon als allererstes seine Mannen auf die Suche nach diese Akten schickt, dann Verhältnis zu seiner Mutter und als dritter Strang die Beziehung, die latent homosexuelle Beziehung zu seinem Mitarbeiter und Freund Clyde („eines musst Du mir versprechen, immer mit mir Mittagzuessen“).

Durch den Verzicht auf das Herausarbeiten eines ganz speziellen Standpunktes der Betrachtung bleibt diese allgemein, zwar sorgfältig, aber eben auch unangreifbar mau, eher im Sinne einer Biographie als Sachbuch, vielleicht haben da wirklich die Produzenten das größte Verschulden, die die nötigen Änderungen verlangten, denen aber weder Eastwood noch DiCaprio widersprachen.

Für die einzige, heftig-physische Szene zwischen den beiden ansonsten offenbar platonischen Lovern John und Clyde hätten sich Estwood und DiCaprio doch vorher noch mal „Brokeback Mountain“ von Ang Lee anschauen sollen, wie plausibel und gleichzeitg völlig überraschend er die Liebesszenen inszeniert hat. Das ist sicher der größte Minuspunkt, dass offenbar sowohl Eastwood als auch DiCaprio das Thema Schwulität wie chinesisches Essen nur mit Stäbchen anfassen, das dürfte die Angelegenheit hier zum geschäftlichen Rohrkrepierer werden lassen. Der Mangel an Mut in dieser Hinsicht dürfte sich in Negativzahlen an der Kinokasse materialisieren.

Schönes Kino für kaum ein Publikum.

Die Muppets

Die Geschichte hat einen langen Bart. Ein einstmals erfolgreiches Team, die Muppets, müssen nochmals antreten, um ihr Erbe zu retten. Seit 20 Jahren gibt es sie nur noch bei den Universalstudio-Filmtours als Dekor und Ausstellungsstück; die Einrichtung verlottert zusehends. Ein Oelmagnat will das Grundstück kaufen, weil der Vertrag mit den Muppets in wenigen Tagen ausläuft und er will dort nach Oel bohren. Allein die Muppets kriegen Wind von der Sache. Ein Fan, Walter, selber eine Muppetfigur und der Bruder von Gary, besuchen die Studios und erfahren dabei zufälligerweise von dem geplanten Deal. Jetzt trommeln sie die alten Muppets zusammen und wollen eine neue Show starten. Die muss bis Mitternacht 20 Millionen Dollar einspielen. Was sie, so steht es zu erwarten, wohl auch tun wird.

Sicher hätte man das fantasievoll für ein Publikum von heute machen können. Aber hier ist alles retro. Hier wird ein Amerika wieder aufleben gelassen mit seiner Musical-Tradition, deren Reiz unbestritten ist, die die ehemaligen moralischen Werte des Landes künstlerisch aufbereitet hatte, dieses Sein-Ziel-Erreichen-wollen, eine Sache durchhalten, gegen das Böse siegen, es allen zeigen, Land der unbegrenzten Möglichkeiten hieß die Ideologie. Aber das ist nicht mehr das Amerika von heute. Das hat keine gemeinsamen Werte mehr.

So funktioniert auch Hollywood nicht mehr nach dem alten Glamour-Muster. Ein Fehler vielleicht der Macher dieses Filmes nach dem Buch von Jason Segal und in der Regie von James Bobin, dass sie gemeint haben, sie müssen es machen wie damals, ein Fehler der häufig bei historischen Filmen passiert, dass die Macher das Publikum von einst anpeilen. Die gibt es hier sicher noch, Fans, die die Muppets gemocht haben, die sich mit der einen oder anderen Figur identifiziert hatten und denen es mit diesem Film vermutlich sogar gut gehen dürfte. Wer noch in der Vergangenheit lebt. Oder wer dort wenigstens schöne Erlebnisse hatte.

Ein Moment fällt ein bisschen raus, ist herzergreifend schön, wo Gary sehr traurig ist, weil er seine Liebesgeschichte wegen des Comebacks der Muppets vernachlässigt; er sitzt er am Flügel in einem abstrakten Raum, hat ein Alter Ego dabei und singt, ob er ein Muppet oder ein „man“, also ein Mann sei, was die Freundin ihn gefragt hatte und sein Bruder Walter singt, ebenfalls begleitet von einem Alter Ego denselben Song. Am Schluss setzt er mit diesem gepfiffenen Lied den gloriosen Schlusspunkt. Nein, es ist so heillos altbacken, dieser Film. Man kann nicht an einer Stelle andocken, alles zu bekannt, zu verbraucht, nichts, was das Heute anspricht. Eine richtig qualvolle Angelegenheit. Verlorene Zeit.

Mein liebster Alptraum

Isabelle Huppert ist eine der wunderbaren französischen Schauspielerinnen, konstant sehenswert, konstant gut, aber sie hätte sicher einen besseren Film verdient als diesen, den Anne Fontaine und Nicolas Mercier geschrieben haben und bei dem Anne Fontaine Regie geführt hat. Bloss weil man aus Frankreich ist, hat man noch nicht den Esprit gepachtet, bloss weil man Isabell Huppert als eine erfolgreiche Galeristin, die hier Agathe heißt und mit André Dussolier, einem Langweiler von Verleger, der hier Francois heißt und in deren Ehe längst tote Hose herrscht, bloss weil man in dieses gepflegte, bürgerliche Milieu Benoit Poelvoorde, der hier Patrick heißt, hineinplatzen lässt, der die Konventionen auf den Kopf stellt, also wegen all dem entsteht leider nicht notgedrungen Witz, Esprit und Spannung.

Sicher ist es zum Lachen, wenn in der Schule der Direktor einen Elternabend abhält und die Huppert als Mutter von Adrien sich über das Thema Begabungstest ereifert und dann kommt Patrick und sagt, man müsse über das Kantinenessen reden und die Wichtigkeit des Essens hervorhebt. Ab da spielt er immer und überall den Spielverderber. Er wohnt in einer Portierloge eines feinen Hauses in diesem feinen Pariser Arrondissement und er möchte, dass sein Sohn Tony guten Umgang erhält, obwohl der in anderen Dingen gut ist als im Lernen.

Tony, der Portierssohn, freundet sich mit dem lockenköpfigen Adrien an. Vater Patrick darf in der feinen Wohnung als Handwerker tätig werden; es geht um das Herausbrechen einer Wand zur Erstellung eines begehbaren Schrankes. Patrick darf den Verleger so charakterisieren: er leere wohl seine Eier aus und sei dann inspiriert. Oder er darf Agathe über deren Mann fragen, wie so ein Eiszapfen im Bett sei. Patrick ist der Advocatus des ungezügelten Lebens und des Irdischen im Gegensatz zur hehren Geisteswelt von Agathe und Francois.

Und weil das genau so präsentiert wird, weil es so präsentiert werden soll, eben als Zusammenprall zweier gegensätzlicher Welten und weil kaum eine Spielhandlung da ist, außer der Chose mit dem begehbaren Schrank und dass Patrick eine Wohnung im feinen Quartier sucht, weil er sonst seinen Sohn verliert und dabei lernt er die blonde Julie kennen, die auf dem Amt für Wohnungssuchende arbeitet und die über Patrick zu Francois vorstößt, was die Ehe von Francois und Agathe ins Rotieren bringt. (Man erfährt oft sehr viel über die Qualitäten eines Filmes beim Versuch, des Nacherzählens).

Der Film tritt sehr selbstsicher auf und glaubt, weil er französisch ist, er sei auch leicht und lustig. Hat sich darum vielleicht wenig um die Plausibilität der kaum vorhandenen Handlung gekümmert. So scheinen die Szenen relativ willkürlich gezimmert, um in immer neuen Varianten die Gegensätzlichkeit der beiden Klassen hervorzuheben.

Eine Fahrt zu IKEA von Patrick und Agathe wegen einem Wandschrank, nachdem er ihr vorher ausführlich erklärt hat, wie viel billiger das komme und wie schnell er den zusammengestellt hat. Esprit dabei? Fehlanzeige. Oder eine Vernissage, auf der Patrick unvermutet auftritt als Überraschungsgespenst in den feinen Verhältnissen, das mögen die Autoren, und wie er sich dann laut über ein hochgehandeltes Kunstwerk mit vor allem Leere drauf auslässt. Ach, es ist so an den Haaren herbeigezogen. So dick auf lustig gemacht, dass man vielleicht höflichkeitshalber sogar lacht. Weil wir ja so konditioniert sind. Das Rodeo mit der dicken Bonne. Gegen Ende macht es dann wirklich Mühe, der Huppert zu glauben, wie sie wieder auf Patrick stösst, den sie inzwischen wegen des Sohnes scheingeheiratet hat, und wie sie ihm bei einer Vernissage zuflüstert, sie brauche ihn. Dazu fehlt nun jeder Voraussetzung. Da die Geschichte vor allem auf den schnellen und billigen Lacher, der sich aus dem Zusammenprall der erwähnten zwei Lebenswelten ergibt, abzielt, so scheint sie als Ganzes unglaubwürdig ohne diese Unglaubwürdigkeit mit Witz oder Überraschung oder Absurdität kompensieren zu können.

The Real American – Joe McCarthy

Ein Berufsregisseur, Lutz Hachmeister, hat sich ein Projekt gesucht, vor allem wollte er mal international arbeiten mit feinen englischen Schauspielern und muss dabei auf auf McCarthy als Stoff gestoßen sein und hat einen Kinofilm gemacht, der kein Kinofilm ist und den im Kino auch keiner anschauen wird, hat einen Konsensfilm gemacht, der international verwertbar scheint und als schöne Amphibie noch vielerlei Auswertungen vor sich haben dürfte.

Wer nicht vertraut ist mit der Geschichte jener Jahre, es handelt sich um die frühen fünfziger Jahre in Amerika, es handelt sich praktisch nur um vier Jahre, in denen McCarthy resp. seine Anhörungen bis zu 20 Millionen Zuschauern vor die Fernseher locken konnte, also wer mit den Verhältnissen und den historischen Figuren um McCarthy herum nicht sehr vertraut ist, der wird seine liebe Mühe haben. Denn ständig kommen junge Männer aus dem Politbereich in schwarzweißen Dokumentaraufnahmen vor und in der nächsten Sekunde werden sie als noch lebende alte Männer interviewt, who ist who und was wollte wer. Das ist für jemanden, der sich nicht auskennt, kaum integrierbar in eine Geschichte.

Hachmeister hat viele Szenen, von denen es nur Schriftdokumente gibt, nachspielen lassen; die Szenen wurden aus Gründen der Filmförderung in Köln gedreht und der britische Schauspieler John Sessions, der in Köln vor allem das Kölsch und die gute Gage liebte, hat die Tage sehr genossen, hat einen etwas gemütlichen, allzu sympathischen McCarthy gespielt. Er hat den Fanatismus außen vor gelassen. Das trägt mit dazu bei, dass der Film wenig über die Atmosphäre jener Jahre erzählt. Was aber doch wichtig wäre.

Ersichtlich wird aus dem Film, dass McCarthy unbedingt in den politischen Machtbereich wollte, nach Washington. Dass er mit großem Einsatz seine Wahl betrieben hat. Mit tausenden von Briefen und Broschüren, die an seine potentiellen Wähler versandt worden sind. Und dass er es geschafft hatte; aber dass ihm offenbar kein Thema eingefallen ist, womit er sich hätte bekannt machen und profilieren können. Dann gab es eine Geschichte, die mit dem Kommunismus zu tun hatte und da hatte er plötzlich sein Feld gefunden, die gnadenlose Jagd auf alles vermeintlich Kommunistische, man musste von jemandem behaupten, er sei Kommunist, er hätte eine solche Gesinnung und dann musste man es noch irgendwie beweisen (Parallele zur heutigen amerikanischen Terroristenjagd, hinsichtlich welcher Obama gerade Gesetze unterzeichnet hat, die jeden Menschenrechtes spotten).

Im Film heißt es, McCarthy habe viele Karrieren ruiniert, aber Hachmeister hat nur ein Opfer angeführt, weil es bei dem bewiesen sei. Die beiden kannten sich sogar, und McCarthy, der so ein bisschen was vom Guttenberg hat, soll ihm bei aller Freundschaft gesagt habe, das müsse er jetzt machen. Sein Büro, was offensichtlich mit lauter Dilettanten besetzt war, professionalisierte die Jagd nach dem Bösen und schien in dieser Beziehung unkontrolliert sein Unwesen treiben zu können bis es dann zu weit ging, wie sie auch die Armee ins Visier genommen haben. Beim CIA war Schluss.

Aber es war nicht leicht, McCarthy loszuwerden. Er ist besonders auch durch seine Assistenten ins Gerede gekommen (eben hat bei uns ein Bundespräsident seinen Sprecher entlassen). Da wurde eine überlieferte Szene aus Köln nachgestellt, wie die beiden rumblödeln und sich jagen vor einer Pressekonferenz, was die Presse stumm staunend mitbekommen hat. Es gibt also Momente im Film, wo die Funktion von Denunziation aufblinkt. Aber generell weiß man immer zwischendrin wieder nicht, wenn wieder von Jo die Rede ist, ob der Film ihn nun positiv darstellen will oder nicht.

Einen richtigen, spannenden Spielfilm draus zu machen, das wäre eine Riesenarbeit. Einerseits die Einarbeitung der historischen Verhältnisse und einzelnen Actions und Intrigen. Andererseits die Entwicklung einer McCarthy- Figur als Hauptfigur, wie sie selbst eben auch getrieben, machtversessen und opportunistisch war und dafür über Leichen ging. Für einen wachen Geist gibt diese Materialiensammlung mit filmszenischen Nachillustrationen immerhin genügend Anregung, sich so eine Figur vorzustellen.

Aber, was wir hier sehen, das ist reines Fernsehen, Amphibienfernsehen.

Offroad

Dieser Film von Elmar Fischer fängt gewinnend an. Kurz und schmissig werden drei Locations und Personenkreise vorgestellt, die dann aufeinander losgelassen werden, es wird launig signalisiert, dass man sich in einem Genre tummeln möchte, das zum Beispiel in den 70ern groß Furore gemacht hat, das leichte Ganovengenre, Casinofilme oder so. Die Mess- und Erwartungslatte wird also hoch gesteckt. Das Wort am Anfang, dass das Leben eine Lotterie sei und einen mit Menschen zusammenbringe, die man ohne diese Lotterie (also das brave biedere Leben ohne Glücksspiel) nie kennen lernen würde und dass man dann schauen muss, wie man damit zurecht kommt.

Zum einen also in Berlin, Berlin Neukölln, ein schicker Laden, eine Agentur, zwei von den Yuppies sollen aufs Land fahren, einen Jeep auktionieren, dann eine Türkenfamilie in Neukölln, die Tochter möchte Musik studieren, aber Papa will, dass sie was Anständiges lernt. Und last not spießigst, Geilenkirchen, der Tradtionsgärtnereibetrieb Pälzer mit der Tochter, die den Laden übernehmen soll, die aber von der Sahara trämt, also das ist doch schon mal ein schöner Gegensatz, Geilenkirchen und die Sahara, und die einen kreuzbiederen Freund hat, den sie aber schon bald im Gartenhäuschen mit einer anderen überrascht, aber das kommt erst, nachdem sie völlig überraschend diesen Jeep mit den beiden Bullenhörnern vor der Kühlerhaube für etwas über 6000 Euro ersteigert hat, um den doch auch die Agenturtpyen aus Berlin bieten sollten, aber die waren zu spät dran.

Das bringt die Geschichte doppelt in Gang und offenbart die Dimension, die der Film, durchaus filmpositiv anstrebt, denn im Jeep sind unter der Bodenabdeckung im Kofferraum 50 Kilo reines Kokain versteckt. Damit gerät Meike, so heißt Nora Tschirner im Film, nun ins Visier der Berliner Schickis und Schlimmbuben und die installieren auch gleich einen Peilsender am Wagen, nachdem sie den partout auch nicht für einen viel höheren Preis wieder verkaufen wollte.

Nora Tschirner spielt dies Meike wirklich wunderbar als ein eigensinniges Wesen, das ein inneres Ziel hat und das nicht die kleinen spießigen Kompromisse die die Alltags- und Brotwerbsrituale erfordern eingeht, die was Ungewöhnliches fühlt in sich und die die Aussicht, das Familienunternehmen zu übernehmen abschreckt; die das Leben als Glücksspiel betrachtet. Sie spielt diese Meike so, dass man nicht glauben möchte in einem deutschen subventionierten und vom ZDF mitfinanzierten Film zu sein; auch die übrigen Figuren versuchen sich im Genre; man sieht ihnen allerdings sehr schnell an, dass hier im Lande einfach die Tradition fehlt oder dass die Besetzer die richtigen Typen dafür offenbar übersehen oder nicht wahrnehmen.

Anfangs flutscht die Handlung wunderbar. Meike entdeckt bald das Koks und will es als ahnungsloses Greenhorn verkaufen und immer die zwei Berliner auf den Fersen. Bis sie an den Türken aus Berlin gerät, dessen Schwester Musik studieren möchte und die das Studium, was die Familie nicht wissen darf, mit Jobs bei einem Escort-Service finanziert. Auch vom Buch her ist das bis weit über zwei Drittel schön auf Meike zugeschnitten und man schaut ihr gerne zu, wie sie, das Biedermädel aus Geilenkirchen in die unglaublichsten Welten eintaucht, in die von Sex und Crime und das irgendwie rein geschäftlich abhandelt, weil sie mit der Kohle, sie hat recherchiert, dass 50 Kg 2,5 Millionen Euro entsprechen, endlich in die Sahara fahren kann.

Stattdessen landet sie in Berlin, denn dort wird sie das Koks besser verkaufen können und auch mit dem Türken bahnt sich was an, er hatte sich vor der Disco, wo die beiden Verfolger sie zusammengeschlagen hatten, ihrer angenommen. Nach etwa zwei Dritteln des Filmes, ungefähr ab dem Zeitpunkt des Auftretens von Axel Milberg, der der Schmierigkeit eines Anwaltes Genüge tut,  hauts die Dramaturgie aus der Kurve, da vergisst sie Meike plötzlich, lässt sie nur noch mitlaufen in den sich überschlagenden Ereignissen zu denen immer noch eins und noch eins dazukommen, fast als hätten die Autoren oder der Autor Angst gehabt, es könnte langweilig werden; was es bis dahin nicht war, aber dann plötzlich ins oedeste Gelände deutscher Fernsehunterhaltung abdriftet, obwohl viele schöne Berlin- und Spree- und Maueraufnahmen das Auge erfreuen. Aber vielleicht hat sich das Buch durch Berlin ablenken lassen oder hat schlicht vergessen, den Urkonflikt von Meike, den zwischen Geilenkirchen, dem Koks und der Sahara, konsequent weiterzuspinnen. Da werden plötzlich ohne Rücksicht auf Meike vermeintliche Show-Downs erfunden.

Der Ansatz wäre wirklich ein Kino, was in den siebziger Jahren problemlos in einem Bahnhofskino hätte gezeigt werden können.

Schön von Meike: der eine meint, das sei eine Nummer zu groß für sie und sie meint, sie habe grade keine Lust, vernünftig zu sein. Schöne Bilder von Frachtkähnen (einer mit dem Sender, den Meike und der Türke inzwischen entdeckt haben) und der Kohle und den rauchenden Schloten.

Schönes Detail im Hintergrund eine Werbetafel mit wechselndem Text: Herzklopfen und Pulsrasen. Das wäre eine Ziel von Kino.

Helden des Polarkreises

Janne ist vielleicht ein lakonischer Finne, aber nicht unbedingt erfolgreich in den kapitalistischen Tugenden der Geldbeschaffung. Das nervt seine Freundin Inari ziemlich. Und weil ab morgen die Fernsehsendetechnik umgestellt wird, die beiden wohnen weit abgelegen im Hohen Norden 200 Kilometer von der nächsten größeren Stadt Roveniemi entfernt, soll Janne wenigstens bis dahin einen Digitalempfänger beschaffen. Wie es in seiner Natur liegt, sie gibt ihm 50 Euro, begibt er sich ins Dorf, trifft dort zufällig Kumpels, hat, bis er beim Laden erscheint, bereits zwei Euro ausgegeben, und der Ladenbesitzer ist stur, hat gerade geschloßen und ist partout nicht bereit, einen Preisnachlass zu gewähren. Er soll Montag wieder kommen. Jetzt reicht es Inari, wie er ohne Geld und Receiver nach Hause kommt, sie stellt ihn vor die Wahl: bis morgen früh um neun einen Digitalempfänger zu beschaffen oder sie wird ihn verlassen.

Das ist die Ausgangslage für das nun folgende, ziemlich verrückte, aber überhaupt nicht überdrehte Roadmovie von Janne, der mit den Kumpels Kapu und Tapiu losfährt, um erstens bei finnischer Winternacht und minus 15 Grad das Geld für den Receiver zu verdienen und auch noch ins 200 Kilometer entfernte Roveniemi zu fahren, denn sein Schwiegervater, der betreibt dort einen Laden.

Eingerahmt wird die Geschichte in eine kleine Landschaftsbeschreibung von einem einsamen Berg in Finnland, mit einem großen, stämmigem Baum drauf. Dieser hat den Erzähler unserer Geschichte in der Schule zu einem außergewöhnlichen Aufsatz veranlasst. Er war der Meinung, an diesem Baum hänge ein Strick, und dann zählt er auf, wer sich da schon und warum aufgehängt hat. Die Schlusspointe dieses insgesamt leichten und heiteren Films, die spielt dann wieder auf dem einsamen Berg.

Roadmovies sind an sich ein einfach herzustellendes und zu konsumierendes Genre. Sie sind gradlinig. Die Figuren haben ein Ziel. Es besteht die Möglichkeit ganz nebenbei einige Eigenarten oder typische Vorkommnisse (oder auch untypische) zu erzählen. Hier dürften es eher typische, wenn nicht gar stereotype Dinge sein, der überfahrene Elch und der damit verbundene Kontakt mit den reichen Russen, die schon sehr satirisch, aber durchaus differenziert geschildert werden; der Ex-Macker von Inari, ausgerechnet bei ihm wollen sie Benzin pumpen (im doppelten Sinne), der eine ganz gerdeheraus aber auch sehr eindimensionale Figur ist, der ein nicht näher definiertes  Safari-Mix-Unternehmen betreibt, sich sehr erfolgreich gibt: wo er wieder den Whyski her habe, aus Irland und dass er eine Putzfrau hat, Typ neureich, kapitalistisch und erfolgreich, genau der Gegenmodell zu Janne; dann das Luxusressort mit finnischer Sauna und Eisbaden und einem aufgeregten Haufen Bikini-Blondinen. Mehr Klischee geht auf so wenig Platz nicht. Kapu gerät hier in Wallungen, erkennt er doch die sexy Spielautomatenschönheit, die bei Level 11 nackt zu sehen gewesen wäre, aber genau den Level hat er nie erreicht.

Einziger Grund, Anlass und Ziel für dieses Roadmovies ist übrigens, dass Janne mit Inari am nächsten Tag „Titanic“ gucken will; nur deshalb braucht sie den Receiver so dringend.

Das Trio sind drei wunderbar lakonische Typen, und der Regisseur stellt sie gern Gegentypen gegenüber, einmal drei aufgebretzelten, mit Muskeln und großer Röhre ausgestatteten Mackern, die sie gleich anmachen; oder dann eben den Russen oder den Blondinen. Oder auch Pikku-Mikku.

Eher ein Movie für Nordic-Fans. Deshalb schwer verständlich, warum der Verleih sich für eine Synchronisation entschieden hat, die noch dazu lieblos-routiniert runtergespult wurde. Glauben die wirklich, die könnten dadurch den Wirkungskreis dieses Filmes vergrößern? Eher nicht, denn die wahren Finnlandfans, deren Zahl gewiss von Marktüberlegungen her nicht allzu groß sein dürfte, die dürften kaum an einer die Filmqualität mindernden deutschen Nachsynchronisation interessiert sein. Das wage ich zu behaupten, wenn ich auf den sehr bewussten Umgang mit dem Sound-Teppich, mit der Tonspur, die original gebliebene achte, die mit sensiblem Ohr ausgewählt, sehr bewusst, mei, was die allein, wenn das Trio wieder die Straße unter die Räder nimmt, für einen Klangteppich ausbreiten, einmalig! Und dann so eine austauschbare deutsche Synchronisation. Da dürften sich die Verleiher selber ins Fleisch geschnitten haben. Untertitelung wäre billiger und schonender gewesen und hätte mehr Publikum gebracht, soviel gilt für mich als ausgemacht.

Die Regie führte Dome Karukoski nach einem Buch von Pekko Pesonen.

Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen

Filmisch fängt es spannend an, ganz geheimnisvoll, zwei Jungs probieren einen Bruch in eine Villa, erst beobachten sie, wie das Licht offenbar mit Zeituhr gesteuert an- und ausgeht, was darauf schließen lässt, dass niemand zuhause ist. Ganz gedeckt unterhalten sich die beiden über diesen Sachverhalt. Dann pirschen sie sich über eine Hecke und den Garten an eine Tür ran. Die ist mit einem Bohrer, der etwas zu laut ist, schnell geöffnet. Sie dringen ein, bedienen sich an den Besitztümern, freuen sich über den ihnen zufallenden Reichtum. Da erscheint der Hausherr und die beiden hauen ab. Man sieht das Gesicht des Hausherrn allerdings nur kurz.

Einer der Jungs war Mike. Der wird tags drauf von Konrad Böhm in einer schwarzen Limousine verfolgt. Nun fragt man sich, ist dieser Konrad Böhm derselbe, den man abends zuvor ganz kurz im Morgenmantel in der Villa hat auftauchen und die Jungs in die Flucht schlagen sehen? Mike jedenfalls versucht in einen Hof zu fliehen, aber das Auto fährt um den Block herum und verstellt ihm den Weg. Wer ist Böhm und wieso macht er das? Ein Einführungsproblem einer der wichtigsten Figuren in diesem Film.

Wer ist Böhm? Und wie ist er auf Mike aufmerksam geworden? Jedenfalls will er ihn aus seinem Kleindiebleben in Rostock herausholen, das ist der Ort wo dieser Film, der möglicherweise ein Vatersuchefilm wird, spielt. Mike wohnt bei seiner Mutter, einer Frau, die in einer Betriebsküche arbeitet und davon träumt, einen eigenen kleinen Laden aufzumachen, aber es fehlt dazu noch ein Bankkredit. Böhm jedenfalls nimmt Mike unter seine Fittiche. Böhm scheint involviert in den Bau der Ostseepipeline. Als erstes besorgt er für Mike einen Anzug. Mike zieht ihn sich auf der Seepromenande an. Nach und nach kommt Mike hinter die Vergangenheit von Böhm, auch dessen Verhältnis zu seiner Mutter; der leibliche Vater ist unter ungeklärten Umständen zu DDR-Zeiten bei einer Schiffahrt verunglückt; das dicke Freundschaftsverhältnis zwischen Böhm und seinem Vater, aber auch, dass die alle drei für die Stasi gearbeitet haben; Mike entdeckt ein Stasi-Archiv in einem als Datsche getarnten Bunker, wo er viel aufschlussreiches Material über seinen Vater vermutet. Das wird im Film nicht weniger kompliziert exponiert, als hier nachzuererzählen versucht wird.

Die im Film vorkommenden Fakten und Dokumente, die alle, wie bereits im Vorspann erwähnt, reine Fiktion seien, die mit der Realität nichts und rein gar nichts zu tun habe, ergeben eine reiche Materialiensammlung. Die zu einer spannenden Geschichte aufzubereiten scheint mir den Autorinnen Dörte Franke und Khyana El Bitar vom Kinostandpunkt aus gesehen nicht so recht gelungen zu sein. Gerade die Unklarheit am Anfang, wie Böhm auf Mike gestossen ist, ist recht verwirrend. Und dass man so gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Dann ist die Geschichte zwar auf Mike als Hauptfigur geschrieben. Jacob Matschenz, der ihn spielt ist ein interessanter junger Schauspieler; aber dadurch, dass das Drehbuch sich ihn nicht voll und ganz als mit seinem Grundproblem vornimmt, denn ein solches scheint er so wie es hier gezeigt wird, gar nicht zu haben, er macht mit seinem Kumpel die Brüche, träumt vage davon, wegzukommen aus Rostock, vielleicht auch von seiner Mutter, der Alkoholikerin, aber was er will, wird nie richtig klar, seine Eigenschaften, die zu seinem Ziele förderlich oder hinderlich sind, die werden gar nicht erst vorgestellt. Er gerät einfach so in die Geschichte hinein; es gibt keinen Rahmen, der ihn dabei pusht oder hindert; er gerät zufällig in die Geschichte hinein, weil der Filmemacher Marc Bauder einen Film über das Weiterwirken von DDR-Seilschaften bis heute machen wollte.

Dadurch verzichten der Regisseur und seine Autorinnen auf das größte Kapital des Kinos, eine Geschichte als eine subjektive Geschichte, nämlich die von Mike zu erzählen. So bleibt der Zuschauer sachlich distanziert, freut sich allenfalls über den wunderschönen Kinoatem, von dem die Bilder, die auch ein schönes Bild von Rostock abgeben, durchweht sind, freut sich über die locker jazzige Begleitmusik die oft auch den Bass zupfen lässt; aber Mike bleibt ihm relativ egal. Es dürfte allenfalls für Festivals reichen, weil ja doch Substanz, geschichtliche, menschliche versammelt ist, aber eben nicht für den unbefangenen Zuschauer aufgedröselt. Für den bleibt die Geschichte so, wie sie erzählt wird, zu wirr.

Vermutlich wegen des Mangels einer klaren subjektiven Leitlinie, eines subjektiven Handlaufes genannt Hauptfigur. Wenn mir Mike gefällt, so tue ich mich schon schwerer mit seinem Gegenspieler resp. Protektor, mit der Besetzung von Böhm. Das scheint mir nun eine viel zu wenig gründlich studierte Rolle zu sein, besetzt mit einem Schauspieler, der, was in Deutschland nicht selten ist, Rollenarbeit bereits damit abgedeckt zu sehen scheint, wenn die Sprache einigermassen verständlich gearbeitet ist bei vollkommenem Verzicht aufs Studium der Abgründe, Eigenarten und Physis einer doch sehr zwiespältigen Figur wie dieser.

Allerdings ist das Drehbuch wenig hilfreich für die Rollenarbeit, versucht viel zu korrekt, ein Bild von Fakten, Einsicht in Seilschaften zu bieten. Thematisch orientiert, wie das Fernsehen es wünscht und liebt. Auch nicht ganz verständlich sind die dreimaligen Disco-Szenen, da habe ich keinen Grund dafür gesehen; da ist mir in keiner die Notwendigkeit klar geworden. Oder sind die unter den an sich angenehmen Art von Szenen zu sehen, die Mike im inneren Monolog zeigen sollten? Das wär kinohaft.

Der als Datsche getarnte Bunker mit dem Stasi-Archiv des revolutionären Antifaschisten am Stock.
Hotelklotz Neptun. Noch Einrichtung aus DDR-Zeiten. Schön nostalgisch.
Insegsamt kommt mir der Fall, der Sachverhalt sehr papieren vor. Er ist nicht in einen klaren Handlungsfaden eingebaut worden. Die Eigenart der Rezeption des Kinozuschauers, die additiv passiert, die die Handlung aufgrund der Informationen, die nacheinander geliefert werden, aufbaut, die wurde nicht berücksichtig.

Lob der alten DDR: „Wir haben hier Globalisierung betrieben, da gabs das Wort noch gar nicht“ . Kommentar zu Foto mit Strauss, Honecker und dem Vater von Mike.
Merkwürdige Szene: die Schießübung mit dem Apfel im Garten eines herrschaftlichen Gebäudes, auch so eine bedeutungsvolle Szene mit einem Schiller-Zitat betreffend die hohle Gasse von Küssnacht.

Hinweis, warum Mike immer Bewährung erhalten hat, obwohl er offenbar ein großes Vorstrafenegister hat, auch so eine theoretische Info, die als Hinweis auf die Seilschaften gilt, die aber nicht cineastisch erfahrbar wird. Theoretisch, nicht szenisch. Das Drehbuch hat sich in der Theorie verhakelt.

Konrad halte ich für eine vollkommene Fehlbesettzung (da kann der Schauspieler nichts dafür, da scheint es sich um eine Fehleinschätzung der besetzenden Person zu handeln).
„Übermorgen ist Schluss mit Regionalliga für uns beide“, auch das so ein rein theoretischer Satz.
Dann die moralinische Frage, was ist schief gelaufen in der DDR. Die Frage mag man sich in Seminaren stellen, aber in einem Spielfilm bräuchte sie schon eine ganz besondere Szene, um Brisanz zu entwickeln und nicht als Gesülz zu wirken wie hier.

Die Frage war, wer hatte die schnellsten Kaulquappen.
In welchem Zusammenhang war jetzt der Super-8-Film aus der Kindheit von Mike wichtig?
Verfilmung einer Stoffsammlung. Ein Wust-Film, der die Stoffsammlung in keinen cineastisch einsichtigen Zusammenhang zu bringen vermag.

Eine Szene mit Heinz Hoenig in einem Hotelzimmer. Wie aus einem anderen Kino, der Koloss, den man auch noch aus einem Swimming-Pool steigen sieht. Er darf ein paar Phrasen dreschen, die die Handlung auch nicht weiter bringen und in keinem direkten Handlungszusammenhang stehen, oder zumindest so wirken. Der Hoenig, der schnauft wenigstens merklich, der hat eine physische Präsenz trotz Papierdrehbuch, das scheint vielleicht der Unterschied zwischen einem Star seines Kalibers und den anderen, die auch nichts dafür können. Da müsste die Casting-Abteilung mehr geistige Energie auf ihren Job verwenden, falls ihr das Papierene dieses Drehbuches überhaupt aufgefallen ist.

Es gibt im Buch bestenfalls einen Argumentations- und einen Explikations-, aber leider, bitter fürs Kino, keinen Handlungsfaden.
Dann findet Mike und sein Kumpel im DDR-Archiv den Auftrag zur Liquidierung seines Vaters, in dem Moment werden sie überrascht, können aber abhauen.
Problem für die Mutter, sie kriegt das kalte Kotzen, dass Tieschke den Kredit gegeben hat.
Dann wird’s etwas sentimentaler. Ein großes Schiff von SCANDLINES fährt vorbei. Mutter und Sohn sitzen an der Mole.

Vielleicht haben auch die vielen Förderer diesem Film zum frühen Kindstod mitverholfen, weil wieder einmal keiner gemerkt hat, dass vieles nur gut gedacht, aber leider nicht in eine spannende Spielhandlung gebracht worden ist.
Mutter: Ich geh zur Polizei, ich werde alles erzählen.
Dann leicht sein wollende Standbein-, Spielbeinmusik.
Irgendwann schießt Mike noch ein Fickfoto im Hotel, nicht ganz klar von wem und zum Beweis wofür.