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Männerherzen

Fazit: Ein zu einer großen Tüte Popcorn und einem 1,5-Liter-Becher-Brause gewiss Freitag abends in Begleitung von Kumpels oder dem Gspusi wohl zu vertragende bunte Mischung. Der Film schaukelt wie eine Nussschale auf der Dünung moderner Paarbeziehungen über der Tiefenströmung heutiger männliche Identitäts-Verunsicherung.

Zwei Qualitäten.

Etwa ein halbes Dutzend ineinander arrangierte, stark vereinfachend, beinah strichmännchenhaft knapp skizzierte Liebesgeschichten, ein Mikrokosmos aus den verschiedenartigsten Männlichkeitsbehauptungen zwischen Nudelreklame aus den 50ern und der Herren-Duft-Reklame von heute und ihren Lieben und deren Hindernissen. Dass sie alle zu einem guten Ende finden, darf ruhig verraten werden, es sind Minikomödien. Schön daran, was für einen deutschen Film leider schon eine ungewöhnliche Qualität ist, dass vielen Szenen Beobachtungen aus dem Alltag zugrunde liegen. Somit kann der Zuschauer auch problemlos andocken.

Viele nette Witzchen, zum Beispiel über den Namen Günther, versuchen das Niveau leicht zugänglich zu halten.

Die zweite Qualität betrifft das Schauspielerische.

Sie wird bestimmt und dominiert von Til Schweiger und dessen internationalen Erfahrungen, seinen Folgerungen daraus. Er erinnert an einen Zombie, eine Männercharge wie aus einem Vietnamkriegsfilm, Rolle „starke Type“. Mann oh Mann. Die Show ist der Mann.

Er spielt einen Musikproduzenten, der aus Geldgründen Kitsch-Schlager produziert und, nachdem er kurz vor Ende des Films eine Schwangere vom Rad runtergefahren hat, eine fast christliche Bekehrung erlebt (in diesem Rahmen gesehen ist das doch recht amerikanisch!), das Geschäft hinschmeißt, ein Gutmensch wird (als solcher wirkt er dann recht fad) und aus Berlin, wo er sich immer als Bayer aufgespielt hat, Münchner Kennzeichen und FC-Bayern-Aufkleber, in sein tatsächliches Heimatdorf, ein Kaff in Westhessen, zurückkehrt.

Das ist nicht negativ gesehen. Im Gegenteil. Er scheint seine Kollegen zu einer ähnlichen Art Typen-Schauspielerei zu animieren, was diese mit Wonne tun, auch das eine im deutschen Film rare Qualität.

Der Effekt ist der, dass das Gemenge aus Typen, gerade diese Zombiehaftigkeit Schweigers und seiner Epigonen, eine im Grunde genommen skurrile Zwergenwelt abgibt, trotz oder gerade wegen dem teils dröhnenden, PS-protzenden und gewichthebenden Macho-Getue.

Der Eindruck wird noch verstärkt durch vermutete Klauseln im Vertrag von Schweiger, dass sein Kopf immer eine Idee größer und deutlicher als die Gesichter seiner Mitspieler zu fotografieren sei. Schrittmacher für Startum à l’Américaine.

Die Kombination der hier festgestellten Qualitäten ergibt einen durchaus ansehbaren skurrilen Bilderbogen, wobei noch ungeklärt ist, wie weit diese Skurrilität freiwillig oder nicht ist; ob der junge Simon Verhoeven, der Regisseur, schon mit so viel Psychowasser gewaschen, schon so durchtrieben im Spiel mit den nicht unbedingt bewussten Qualitäten seiner Schauspieler ist.

Zu denken gibt einem allenfalls die Erkenntnis, dass Til Schweiger in seiner Altersklasse wohl der derzeitig starhafteste deutsche Filmstar sein dürfte, was das Filmland dann doch wieder als ziemliches Zombie- und Zwergenland erscheinen lässt.

Es kommt der Tag

Es ist im Moment gesellschaftlicher Konsens, Filme über Terroristen zu machen. Das kommt gut an bei den Redaktionen. Erst recht, wenn Iris Berben Judith Hofmann, die Ex-Terroristin, gibt.

Hier ist immerhin der Plot auf einen Satz zusammenzufassen, aber das wars dann auch schon. Frau Hofmann, besagte Iris Berben, ist nach Banküberfällen und einem Mord abgetaucht, hat im Elsass ein neues Leben aufgebaut, hat einen Winzer geheiratet, ist Aktivistin in einer Umweltschutzvereinigung (glaubwürdig?), aktuell gerade gegen Genmais.

Ihre terroristische Vergangenheit holt sie ein in Form einer ihrer Töchter, die sie beim Untertauchen zurücklassen musste. Diese wird gespielt von Katharina Schüttler, Alice heisst sie im Film, eisern-verschlossenes Gesicht, gut geformt, sehr deutsch, bei den Gängen immer die Arme am Körper angelehnt, wer weiss, wer ihr das gesagt hat.

Diese Tochter resp. diese von Frau Hofmann im neuen Leben verschwiegene Vergangenheit, platzt also bei Winzers rein.

Jetzt müsste nur noch eine Geschichte daraus gemacht werden. Zu früh wollen wir das düstere Geheimnis nicht ans Licht bringen. Das geht folgendermaßen.

Wir stellen Frau Berben mit ihren Umweltschützern vor. Heile Heilerwelt. Dann stellen wir Alice vor, die Tochter, wie sie einen Typen auf einem Autobahnparkplatz bumst, einen netten Jungen, die daraufhin sein Zeugs rausschmeisst, während er pinkeln geht, und ihn zurücklässt.

Sie ist also eine Gestörte. Das haben wir kapiert.
Diese Gestörte hat die Mutter aufgespürt und will sie nun herausfordern.
Sie taucht unvermutet bei Winzers auf, quartiert sich als Gast ein.

Erst müssen diverse Szenen erfunden werden, Frühstücks- und Essenszenen, bei denen die Dramatis Personae zusammenkommen. Das Problem ist allerdings, dass dann mit viel Spass und Gejuchze auch mal Sekt geöffnet werden muss, irgendwelche Füllgespräche erfunden werden, kostbare vertane Kinozeit, bis endlich ein Gespräch Mutter-Tochter zustande kommt.

Dazwischen erscheinen ohne jede dramaturgische Begründung die Großeltern des Winzers, Franzosen… Es folgen typischen Auslegeordnungen bürgerlicher Szenen deutscher Filmemacher und Filmemacherinnen, so, wie sie sich die Deutschen (und hier auch die Franzosen) so etwas eben vorstellen.

Der Film fängt an, eine Drehbuchwerkstatt haben wir auch besucht, mit dem Voice-Over-Text einer Frauenstimme, die über das Wasser, das den Fluss runterfliesst, räsoniert und den Weg umgekehrt gehen möchte. Zu guter Letzt kotzt Frau Berben am Fluss ihren Mageninhalt (oder ihre Vergangenheit) aus: frisch gereinigt muss sie nun entscheiden, in welche Richtung sie gehen wird. Der Fluß fliesst abwärts…

Short Cut to Hollywood

Schon die Grundidee ist hornochsig. Das Trio aus Mittermeier, Stahlberg und Kottenkamp will Weltkarriere machen, indem Stahlberg sich eine Extremität nach der anderen amputieren lässt mit dem medialen Höhepunkt seines gezielten Aus-dem-Leben-Scheidens.

Wenn so eine hirnrissige Sache im Kino funktionieren soll, muss das ganz genau als realistischer Plan dargelegt werden (und, wie er vielleicht durchaus beabsichtigt, dem Tod in letzter Minute noch ein Schnippchen zu schlagen vermag), damit wir das mit Interesse verfolgen, ob es auch funktioniert.

Und es müssen auch plausible Gründe angeführt werden, welche Notlage für die Drei vorherrscht, dass sie überhaupt auf eine solche Idee kommen und allen Ernstes an deren Durchführung herangehen. Nichts von alledem bei Stahlberg. Die Idee kommt eher wie eine Primanerscherz auf die Leinwand und gleich geht’s unreflektiert, ohne Hindernisse an die Umsetzung. So entsteht keine Spannung.

Dass es in Amerika dann nicht auf Anhieb funktioniert, also das Hindernis mit dem Produzenten, dem sie den amputierten Arm von Stahlberg in einer grossen Phiole auf den Konferenztisch hauen um dann medienecholos wieder rausgeschmissen zu werden, ist weder spannend noch originell und keineswegs dazu angetan, Empathie für die Akteure zu empfinden, zu klotzig und flüchtig wird das inszeniert und gefilmt.

Sowohl Drehbuchidee als auch deren handwerkliche Durchführung sind einfältig zu nennen. Und einfältige Filme will umgotteswillen niemand im Kino sehen.

Ausserdem legen sich die Akteure selbst ein Ei, indem sie den Vergleich mit amerikanischen Schauspielern direkt herausfordern und dabei ziemlich schwach abschneiden. Bei der Todesszene im Prunkbett hinter rotem Tepppich auf Hochausdach mit Hintergrund Las Vegas, da kommt kurz Interesse auf. Als aktuelle Folie sieht man den Tod von Michael Jackson als Film hinterm Film und die Mutter, die aus Deutschland angegflogen kommt, die erweckt Mitgefühl. Leider sind in diesem Moment schon weit über 60 Minuten Unerträglichkeit hinter einem. Wegen eines solch kleinen Trostpflasters würde wohl kaum einer ins Kino gehen.

Ein weiteres deutsches Förderprodukt, dessen Flop schon bei sorgfältiger Lektüre des Drehbuches hätte prognostiziert und also vermieden werden können. Keine dreidimensionalen Charaktere, keine Figuren, die irgendwelches Mitgefühl erwecken. Alle bleich und papieren. Hat das keiner gesehen von den Redaktueren und den Förderern, oder sind alle so verbandelt untereinander, dass, wie bei des Königs neuen Kleidern, keiner sich was zu sagen getraut hat, um das Projekt frühzeitig zu stoppen oder dramatische dramaturgische Korrekturen zu verlangen?

Löblich ist allein der medienkritische Ansatz. Geht aber ungefähr so in die Binsen, wie das Unterfangen, mit einer Papierschere echten Drahtzaun durchschneiden zu wollen.

So ein bisschen parodieren und flachsen und lustig sein ist eben krass wenig im Gegenwert zu einem Kinoticket.

Ashes of Time Redux

Wong Kar Wai tischt auf. Und nicht bescheiden.

Für das westliche Auge ist das viel aufs Mal. Die ganzen, vielen, schnellen englischen Untertitel. Die verschiedenen Handlungsstränge. Die verschiedenen Figuren und ihre Namen; die für uns Westler auch nicht ganz so leicht zu unterscheiden sind.

Dann das Riesen-Farb-Festival. Die Zeichnungen und Bilder aus den Aschen, Sänden, den Wolken.  Chromatographie. Chromatomovie. Die Farbbestandteile in ständigem Fluss. Alles ist moving. Elementarfilm.

Die erste Prämisse oder These, die kann man sich merken, weil sie am Schluss nochmal kommt. Die Frage an einen 40-jährigen, ob es nicht Leute gebe im Leben, denen er bisher begegnet ist, denen er eigentlich lieber nicht begegnet wäre oder die er gar umbringen wolle. Ein Einsiedler würde sich für diesen Job zur Verfügung stellen. Eine Art Wüstendjango. Der erhält einmal im Jahr Besuch von einem anderen einsamen Wolf oder Reiter, der einen Wein dabei hat, der einen vergessen lässt, wenn man davon getrunken hat.

Die Liebe vergessen? Manche Liebesgeschichte vergessen? Lieben, denen man lieber nicht begegnet wäre?

Oder: meisterhafte Variationen zum Thema Repulsionskräfte der Liebe. Denn immer lieben die Falschen die Falschen.

Noch ein Motto des Filmes. Die Natur ist ruhig. Der Wind ist ruhig. Aber im Inneren der Menschen brodeln die Gefühle. Die bringen die Unruhe.

Der Bogen der Begegnungen und Kämpfe, der Zärtlichkeiten und Nachdenklichkeiten spannt sich über die Jahreszeiten. Zyklik als Erzählmuster, Zyklik von Sein, Werden und Vergehen. Von Unausweichlichkeit? Dabei die Martial Arts  im geistigen Rotationszentrum, ohne dass das Sujet bildlich zu sehr bedient würde.

Wüstenbilder, Sandbilder, Wasserbilder, Wolkenbilder.

Wie farbiger, rieselnder Sand bilden sich die Bilder. Oder wie die Farben beim Ostereierfärben in einander übergehen. Der Zuschauer sitzt davor, schaut hinein und staunt. Darf die Liebesgeschichten, die erfolglosen, darin entdecken.

Allein um die Bildoberfläche und das Spiel mit ihr zu beschreiben, wie sie verschwimmt, sich verändert, wie sie grobkörnig, feinkörnig, wässrig oder wolkig wird, wie sie  wie vom Winde verweht changiert, wie sie selbst in manchen Portraits an Rembrandt erinnert durch den Umgang mit dem Licht, wäre eine eigene Wissenschaft, würde ein eigenes Vokabular verlangen. Der Zuschauer aufgefordet zum Sprachschöpfen.

Sollte man nochmal anschauen. Und weiter enträtseln. Und interpretieren. Oder einfach geniessen. Wie hiess jene Sendung vom BR? ZEN, Zuschauen, Entspannen, Nachdenken.

Sturm

Die einführende Szene ist eine Art Homevideo. Glückliche Familie am Strand, Papa, Mama, zwei Kinder. Sie bespritzen sich mit Wasser, sind vergnügt drauf, happy. Der geneigte Zuschauer denkt sich, wenn von einer glücklichen Familie erzählt wird, dann wird auch das Unglück nicht weit sein. Denn eine glückliche Familie trägt keine Kinogeschichte 105 Minuten lang. Schon ist die Familie auf der mondänen Hotel-Bungalow-Terrasse. Papa erhält einen Handyanruf. Seine Gesichtszüge frieren ein. Sofort wird klar, denn er wendet sich verdeckend von der Familie ab, er lebt noch in einer anderen Welt, in einer abgründigen Welt. Da er ausserdem noch gut ausschaut wie Jean Reno, haben die ersten Minuten bereits genügend Interesse für die Figur und deren Schicksal geweckt.

Szenenwechsel. Kerry Fox, lt. IMDb Jahrgang 1966, liegt mit Rolf Lassgard, Jahrgang 1955 und etwas aus der Form geraten, im Bett. Ästhetisch erotisch ist das ein rechter Abstieg zur knackigen Familie von der Eingangsszene. Sollen wir uns jetzt für dieses Liebesleben interessieren? Das wäre eine herbe Enttäuschung. Aber wir sollen, denn die beiden sind auch beruflich verbandelt und bilden das Link zum Thema des Filmes, er ist EU-Politiker, sie Anwältin am ICTY, am Internationalen Jugoslawien-Tribunal in Den Haag.

Mit der Enttäuschung, dass nicht mit der bisher interessantesten Figur weitergemacht wird – dieser Jean-Reno-Typ wird später als Angeklagter im Prozess auf Komparsenformat geschrumpft – stellt sich auch die Enttäuschung ein, dass es wenig Reiz macht, die Geschichte weiter zu rekapitulieren. Kein gutes Zeichen.

Denn der Rest des Filmes bleibt ein bestenfalls solides Gemisch à la Fernsehkrimi-Struktur aus Tribunal, Problemen einer ambitionierten Staatsanwältin mit dem Gericht einerseits und der Wahrheitsfindung andererseits, dazu noch die Affaire mit dem Politiker, dies alles vor dem Hintergrund abscheulicher Verbrechen, sowie Erläuterungen in Spielhandlung zum erwähnten Jugoslawien-Tribunal.

Es scheint, der Eindruck war schon bei Requiem und Lichter da, dass die Methode Schmid die ist, sich eines sozialen Randthemas anzunehmen, Exorzismus in Requiem, Ostgrenzgänger in Lichter oder in Sturm die Brutalitäten im Balkankrieg, um dann einen Spielfilm draus zu machen. Eine Geschichte dazu zu konstruieren. Durch ein Zuviel an guten Absichten geht er dabei womöglich unkalkulierbare Risiken, Drehbuchrisiken, ein, die den Kinogänger dann unbefriedigt oder nur teilbefriedigt zurücklassen.

Was soll die Liebesgeschichte in Den Haag? Sie verwirrt nur. Hat Schmid sich nicht zuviel vorgenommen, einerseits auf die Exzesse im Jugoslawien-Krieg hinzuweisen, und wie sie heute noch versteckt werden, dann den Gerichtshof nicht nur zu erklären zu versuchen, sondern ihn gleichzeitig mit einer oberflächlichen, wenig attraktiven Liebesgeschichte in schwammiges Licht zu hüllen?

Wobei die Süffigkeit der Bereitstellung des Bildmaterials von Hans-Christian Schmid und seinem Kameramann, Bogumil Godfrejów und seinem Schnittmeister Hansjörg Weissbrich inzwischen eine Souveränität erreicht hat, die schon an Glattheit grenzt. Stärkere Bücher sollten da in Zukunft dagegen halten!

Sturm – kein Bild, kein Dialog, keine Szene im Film, die den Titel assoziierbar und haftbar machten – bestärkt den Verdacht, der schon bei Requiem und Lichter keimte, dass Schmid doch eher ein falscher Pfaffe sei, sein Geschäft mehr mit der Moral als mit brilliantem Kino macht, mit den menschlichen Kloaken, auch Aussenseiter sind Menschen, das zeige ich Euch. Aber er fasst sie mit so spitzen Fingern an, dass ja kein Schmutz dran kleben bleibt, dass daraus ein doch eher steriles Sehvergnügen wird.

Andererseits hat aber Schmid mit diesem Prinzip so viele Preise eingeheimst und ist inzwischen selbst ein kleiner Säulenheiliger des deutschen, ja des europäischen Kinos geworden.

Zu empfehlen ist Sturm gewiss Geschichtslehrern, die im Kino eine interessante Ergänzung zum Schulunterricht über die neuere europäsche Geschichte finden können.

Whisky mit Wodka

Whisky und Wodka, das sind keine Gegensätze, die ziehen sich weder an noch stoßen sie sich ab, Whisky und Wodka ergeben kein explosives Gemisch, sie stehen nicht für Dialektik, somit auch nicht für Spannung. Also schon im ist Titel praktisch tote Hose. Leider erfüllt sich der Titel.

Die Schauspieler sind gut. Henry Hübchen ist gut. Das Team ist gut. Da gibt’s nichts zu deuteln. Bei Andreas Dresen ist das Team immer gut. Das strahlt dann auch von der Leinwand positiv ab.

Der Plot wäre auch gut. Alternder, alkoholkranker Schauspieler, Henry Hübchen, droht mit seinen Ausfällen einen Filmdreh zu ruinieren. Der Produzent entschliesst sich, jede Szene noch ein zweites Mal mit einem, jüngeren und besser aussehenden Ersatz, Markus Hering als Arno Runge, dem man gerne zuschaut, zu drehen, um nicht den Abbruch der Dreharbeiten riskieren zu müssen. Da wäre massiver Konfliktstoff, der bei einem Schauspieler ans Eingemachte geht, vorhanden.

Dieser Konflikt könnte die Handlung spannend vorantreiben. Einerseits zwischen den beiden absolut unverträglichen, ja sich ausschliessenden  Schauspieler-Egos, dem je eigenen Need, als einziger geliebt und anerkannt zu werden, der beste sein zu müssen, der Überzeugendere. Es gibt für einen Schauspieler keine stärker verdrängte Erkenntnis als die, ersetzbar zu sein.

Und dies in der spannenden Sphäre zwischen realer fiktiver Filmwelt, also der der Menschen am Set, und zwischen fiktiver fiktiver Filmwelt, also der expliziten Spielszenen. Die Schauspieler sind gut, haben wir gesagt, nun ja, diese beiden Welten auseinanderzuhalten und spielend auseinander zu dividieren scheint dann doch nicht so leicht, da wurde auf viel Reiz verzichtet.

Statt dessen bekommen wir, gefragt oder ungefagt, einen Blick ins Nähkästchen eines Filmdrehs vorgesetzt; eher im Sinne von Witzen und zu Szenen geschmiedeten Anekdoten, zum Beispiel die Witz-Anekdote, wie die Schauspieler dastehen und warten bis der Take anfangen soll. Es dauert und dauert, und die Assistentin ruft: „Schnell, die Schauspieler werden älter“. So geht es denn  auch sehr schnell mit dem Humor des Zuschauers.

Wie immer ist der Dresen-Film eher das Produkt einer Art Schauspielerfreizeit, diesmal in Mecklenburg-Vorpommern, weil es da Filmförderung gibt, – auch dies wird in einen Insiderwitz eingebaut. Und so ein respektabler Schauspieler Henry Hübchen auch ist, so richtig lustig ist er denn eben doch nicht, bei Dresen bauen die Schauspieler immer viel selber ein. Dann heisst Hübchen auch noch Kullberg. Ob das jetzt ein Witz ist oder ein Lapsus, schwer zu sagen, Kullberg, Kolberg – das in einem deutschen Film, der noch dazu  den Geist der miefigen Betulichkeit und Spiessigkeit der 50er Jahre, der so einiges nicht wahr haben wollte, atmet… Ein tüchtige Prise Godard wäre für die Angelegenheit nicht von Schaden gewesen.

Der Zuschauer bleibt außen vor bei diesem an Insider-Witzen reichen Movie und fragt sich, ob diese doch teils teuren und namhaften Mimen, Corinna Harfouch ist mit von der Party, Sylvester Groth, Tilo Prückner, ob die wirklich keine spannenderen Geschichten zu erzählen haben.

Darauf eine Soda.

Chéri – Eine Komödie der Eitelkeiten

Jede Liebe sucht ihren passenden Topf oder Deckel. Das hat uns Eric Rohmer in seinen „Moralischen Erzählungen“ wunderbar leicht vorgemacht. Im Britannien der Belle Epoque und natürlich in einem Milieu, in dem Geld keine Rolle spielt und in welchem dieser Film angesiedelt ist, hindert die perfekte, grandiose Ausstattung, die ist ein einziges Fest, die Leichtigkeit des Spieles, der Liebessensationen doch. Denn man darf die Opulenz  nicht verschenken. Also muss die Kamera langsam bleiben, müssen die Spieler eingeengt sehr präzise agieren, fast staatstheaterlich, manchmal, so der  Eindruck, gar etwas bemüht.

Der junge Mann, Sohn einer feisten Lebedame, sie eine Knallcharge von Besetzung, lernt die Liebe bei einer ebensolchen, der Michelle Pfeiffer. Und verliebt sich in sie und sie in ihn. Aber irgendwann muss er heiraten. Eine hübsche, junge Adelige, logisch. Das tut er auch pflichtbewusst. Aber dann sucht sich die Liebe halt doch ihren Weg dahin, wo sie zum Erblühen kam, zurück. So einfach so simpel. Wobei dann zwar zum schlechten Ende erzählt wird, der junge Mann habe sich erschossen. Und Michelle bleibt traurig in Großaufnahme zurück.

Frears scheint kein besonderer Ohrregisseur zu sein, deshalb wird allenthalben theatermäßig laut und undifferenziert in der Phrasierung und Melodisierung der Texte gesprochen. Die Schauspieler liefern den gut gelernten Text gut ab. Im Theater würden sie dafür bejubelt. Im Kino ist es an den Möglichkeiten des Mediums weit vorbei- oder drüber hinausgespielt. Daher auch nicht geeignet für das breite Publikum. Böse Zungen würden da eher und zurecht wohl die Kukidentmafia als mögliche Klientele ausmachen.

Wie gesagt, die Ausstattung ist erstklassig und überwältigend oft; aber anscheinend waren Kamera und Regie ebenso überwältigt und achteten nicht genau auf die psychologischen Finessen der Figuren, auf die drängende Continuity des Motivs der Geschichte.

Es ist selbst fraglich, ob das ältere Publium dem viel abgewinnen wird. Ein Film, wie es scheint, zum Vornherein fürs Museum alter Meister produziert. Wozu ihn dann noch ins Kino bringen?

Buchbesprechung: „Der Seelenhändler“ von Peter Orontes

Ich bin ein furchtbarer Journalist, wenn es um Buchkritik geht: Ich könnte keine Kritik schreiben, wenn ich das Buch nicht Deckel bis Deckel gelesen hätte, ich hätte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Nun, Der Seelenhändler kommt auf stolze 591 Seiten, zuzüglich Anhang. Das Hardcover ist kein Buch für die U-Bahn, und schon rein sprachlich lässt sich der Roman sicher nicht nebenher lesen, im Gegensatz zu so vielen In-Büchern der jüngeren Vergangenheit. Das heißt, ich brauche für die Kritik inklusive Lesezeit geschätzte 40-60 Stunden, und das zahlt mir keine Publikation. Also bleibe ich bei der Filmkritik und schreibe nur sporadisch und freiwillig über Bücher, die ich interessant finde. Wie Der Seelenhändler eben.

Die Handlung spielt im Jahr 1385 in der Steiermark, rund um die Orte Admont und Markt Sankt Gallen mit ihrer Burg Gallenstein. Hauptfigur ist Wolf von der Klause, ein geheimnisvoller Eigenbrötler, dessen Vorgeschichte weitgehend im Dunkeln bleibt, der aber mit Äbten, Grafen und anderen hochgestellten Persönlichkeiten per Du ist. Wolf wird als Sonderermittler eingesetzt, denn ein unbescholtener Köhler wurde samt Frau und Kindern bestialisch ermordet, aber nicht ausgeraubt. Die Sache stinkt zum Himmel, und das nicht nur, weil die Leichen erst nach einigen Tagen entdeckt werden. Nur kurze Zeit später wird ein (eigentlich wohl gesicherter) Geldtransport überfallen, das Geld geraubt und die mitreisenden venezianischen Kaufleute gefangengenommen. Auch hier soll Wolf ermitteln, und lange ist nicht klar, ob die beiden Fälle zusammenhängen oder nicht.

Während Wolf von der Klause immer wieder tageweise durch Ermittlungen mal hierhin, mal dorthin verschlagen wird, wird immer deutlicher, dass es ein „Insiderjob“ gewesen sein muss, und dass die Gefahr noch lange nicht gebannt ist. Es dauert nicht lang, und aus der mittelalterlichen Gemütlichkeit wird ein knallhartes Rennen, bei dem es um Menschenleben geht. Ein Rennen in mittelalterlichen Zeiteinheiten, nicht heutigen, wohlgemerkt.

Peter Orontes zeigt in seinem Erstlingswerk ein erstaunliches Erzähltalent und beweist absolute Liebe zum Detail: Ein Großteil der Figuren hat zu dieser Zeit tatsächlich an den angegebenen Orten gelebt, nur wenig künstlerische Freiheit war nötig, um die Hauptfigur und die Handlung in den realen Rahmen einzuflechten. In brillianten Farben zeichnet Orontes ein realitätsnahes Bild des Mittelalters, das bisher oft, meist durch Fantasyliteratur, beinahe schändlich verklärt wurde. Zwar geht auch Orontes auf die weniger attraktiven Alltagsetails wie Zahnpflege, Intimhygiene, Krankheiten und Parasiten nur mit reduzierter Deutlichkeit ein, doch liegt der Fokus der Erzählung ja auf den Ermittlungen in einer Zeit, als Beweismittelsicherung, Fingerabdrücke, DNS und selbst Sherlock Holmes noch weit, weit entfernte Zukunftsmusik waren. Vom Fotoapparat, Handy und GPS mal ganz zu schweigen.

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