Archiv der Kategorie: Review

The Ides of March – Tage des Verrats

Und eine der Hauptrollen spielt er auch noch, Tausendsassa George Clooney, der hier mit Hilfe von Grant Heslov und Beau Willimon auch das Buch geschrieben und noch dazu selbst die Regie geführt hat.

Schauspielerfilme haben oft den Vorteil, dass sie gut verständlich sind – hierzulande sind der überwiegende Teil der erfolgreichen einheimischen Filme Schauspielerfilme. Vielleicht weil sie aus der Praxis kommen. So ist es auch bei George Clooney. Er überfordert einen intellektuell nicht und auch nicht mit einer hochkomplizierten dramaturgischen Struktur noch mit schwer nachzuvollziehenden Rück- und Vorblenden oder Traumsequenzen noch irgendwelche Kameramätzchen. Die ist ganz unauffällig, denn ihn interessiert in erster Linie, das was zwischen den Personae Dramatis vor sich geht. Damit hat er schon einige Punkte gewonnen.

Außerdem weiß er ganz genau, was er uns erzählen will, er weiß auch, dass es garantiert nichts Neues ist, aber Altes neu und plastisch gestaltet, nämlich wie die Politik die Menschen korrumpiert und wie sie leicht zu Königsmördern werden, genauer gesagt, zu Caesarenmördern, wenn man den Titel des Filmes etwas erweitert interpretiert, denn die Iden des März waren das Datum (der 15. um genau zu sein, eben die Iden), an dem Julius Caesar von dem ihm nahestenden Brutus gemeuchelt worden ist.

Hier im Film sind die Iden des März jene von Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl. Stephen Meyers, gespielt von Ryan Gosling, ist der Wahlkampfmanager von George Clooney als Gouvernour Mike Morris. Er ist mit der Kampagne verheiratet, wie er die Frage nach dem Zivilstand beantwortet. Und er gerät ins Magnetfeld der Macht, man ist hier nicht mehr am College, sondern in der ersten Liga, wie er an einer Stelle sagt. In diesem Machtfeld um den potentiellen Präsidenten Morris spielen folgende Figuren mit und wollen alle ihr Süppchen kochen: der Chefwahlkampfmanager Paul, die Journalistin Ida, der Senator Thromson, der über 350 Vorwahlstimmen dem einen oder anderen Kandidaten zulenken und damit das Rennen entscheiden kann und schließlich noch der blonde Vamp von Praktikantin Molly. Was Praktikantinnen alles so anrichten können, das wissen wir spätestens seit Präsident Clinton.

Clooney unterlegt dieses Spiel um Macht mit viel gefühlvoller Musik, die man durchaus auch so interpretieren kann, dass es ihm um Gewissensfragen geht, und gibt dem Ganzen gelegentlich einen melodramatischen Touch.

In guten Händen

Warum es das Pikante, das Halbseidene so schwer hat heute, könnte man sich anlässlich dieses Filmes fragen. Vielleicht weil es einen eher sittenstrengen Hintergrund braucht, um voll zur Wirkung zu kommen. Eine solche Sittenstrenge ist heute nicht gegeben, allein was jeder mit zwei drei Klicks im Internet anschauen kann; da sind kaum Grenzen gesetzt, außer jenen des Gesetzes.

Tanya Wexler wollte etwas Pikantes machen; nach einem Buch von Stephen Dyer versucht sie, die Geschichte des Massagestabes zu rekonstruieren und als filmische Story zu präsentieren. Auch sie wird sich damit beschäftigt haben, wie ein solcher Gegenstand aus einer sittenstrengen Zeit, Ende des Neunzehnten Jahrhunderts, heutig und aktuell in Szene gesetzt werden könne. Im Abspann folgen dann neben den Credits noch wie im Museum einige Modelle aus der Geschichte des Massagestabes.

Tanya Wexler und ihr Autor Stephan Dyer hatten sich dafür entschieden, diese Geschichte grobmaschig, holzschnittartig wie ein Bilderbuch und nicht wie ein genau analysierter, dramatischer Konflikt, der sie vielleicht in Gang gesetzt haben könnte, zu präsentieren. Das fängt schon bei der Auswahl der Schauspieler an oder mit der Figurführung: die meisten sprechen sehr auswendig gelernt, sehr auf Präsentation der Sätze aus und nicht etwa innerhalb eines psychologischen Zusammenhanges mit Nuancen.

Auch der Protagonist scheint einzig nach seinem holzschnittartigen Beau-Gesicht ausgewählt worden zu sein; ein formal noch sehr unsicherer Schauspieler aber mit einer unglaublich harmonischen Nase und schön bleckenden Zähnen, wenn er lacht. Und mit feinen Händen, das muss man jedenfalls annehmen, denn die spielen eine zentrale Rolle, feine Hände statt eines Konfliktes.

Dr. Mortimer Granville ist dieser junge Arzt, der begierig nach Anstellungen sucht und sie immer wieder verliert, weil seine Hygienvorstellungen modern sind und keineswegs seinem Zeitalter entsprechen. Das wird illustriert mit einer Szene in einem Krankenhaus. Er will einer alten Frau den Beinverband wechseln, weil der völlig verdreckt ist – an sich sind die einzelnen Szenen plausibel und nachvollziehbar aufgelöst und inszeniert – der Chefarzt aber hat Sparsamkeit beim Verbandsmaterial befohlen und empfiehlt Beekmans Pills = Rubbish-Pillen, wie Granville meint und die er für ein Produkt von Scharlatanerie hält, die vielleicht Durchfall befördern, aber keine Heilung. Und schon ist er den Job los.

Er meldet sich bei Dr. Dalrymple, einem Frauenarzt für die bessere Gesellschaft, spezialisiert auf „Hysterie“, was vor allem meint, auf unbefriedigte, gehobenere Ladies, deren Gatten nicht mehr so richtig dolle sind im Bett. Er bereitet ihnen in einem speziell zubereiteten Stuhl und mit gleichmässigem Druck seiner Finger die benötigte Entspannung an den empfindliichen Stellen zwischen den Beinen. Ohne mit der Wimper zu zucken steigt Granville auf das Geschäft ein. Er ist logischerweise noch erfolgreicher als der Doktor, kriegt aber so viel zu tun, dass er eine Verkrampfung in der Hand spürt und die Hand vor der Aktion in Eiswasser kühlen muss. Die kalte Hand wiederum schockiert die rundliche Kundin Castellari und lässt sie auch nach einer Stunde Manipulation unbefriedigt zurück. Das schädigt den Ruf und wieder einmal ist Granville entlassen.

Dr. Dalrymple hat zwei Töchter, Charlotte und Emily. Emily ist die brave und vom Vater als Partie für Dr. Granville ausersehene, wie in einem billigen Romanheft, und Charlotte ist die launische, aufmüpfige, die sich um arme Leute kümmert, was ihr Papa nicht wusste, und welche Molly, eine ehemalige Nutte, als Dienstmädchen ins vornehme Elternhaus einschleuste. (Die wird dann die erste Probandin mit dem Massagestab und das erste Modell heißt denn auch so).

Erzählt wird so, dass schnell absehbar ist, Granville wird am Ende die aufmüpfige, sozialistische Tochter nehmen und nicht die langweilige brave, aber das ist weiter nicht von Belang, das muss rein, weil ein Massagestab allein doch nicht 90 Minuten Spielfilm hergibt.

Zu erwähnen ist noch: Granville wurde von einem schwulen Snob für das Studium unterstützt, wie der sich sowieso um junge Männer kümmerte; und der war ein Elektro-Tüftler, bestellte sich Generatoren und war gerade dabei, einen elektrischen Wischmob zu entwickeln, wie die Hand von Granville schmerzte und dieser beim Spielen mit dem Teil die glorreiche Idee hatte.

Erst wurden Versuche gemacht mit einem Rotor, der noch an eine große elektrische Dampfmaschine angeschlossen war. Hintenrum entwickelte Edmund, so heißt der Snob, den batteriebetriebenen kleinen Stab, den die Frau selbst benutzen konnte. Das ergab Lizenzgebühren, somit hatte Granville Geld, das er für die Armen spenden und diese Spende mit einem Heiratsantrag an Charlotte, die zwischendrin noch wegen ungebührlichen Benehmens im Gefängnis einsass, verbinden konnte.

Ein Film so inhalts- und facettenreich wie die Bedienungsanleitung für einen elektrischen Massagestab.

Sommer der Gaukler

Rosenmüller zeichnet ein ungehobeltes, wüstes Menschentum, Figuren, die stolzieren und blöken als hätte ein Laie und nicht der Herrgott die Menschen geschaffen (so wie Hamlet in seiner Rede eine bestimmte Art von Schauspielerei als abschreckendes Beispiel anführt), ein Kino zwischen Alptraum, Aufwachen, Zähneputzen und Morgengymnastik, Figuren, die alle nicht richtig sprechen können als ob sie Zahnlücken hätten, ein Kino, das dem Zielpublikum, den Kurgästen in bayerischen Alpenvorlande in BadTölz oder Bad Aibling ein herrliches Zerrbild ihrer Selbst vorführen soll.

Ein Kino, das klar macht, dass es sich weder für Godard noch für Melancholia interessiert. Ein Bauerntafelnmalerei-Genrekino. Rosenmüller interessiert mehr die malerische Bildtafel mit Bauerndeppen drauf als eine spannende Geschichte. Insofern die Möglichkeit des Kinos nur teilweise genutzt, mehr vom Bildnerischen und vom Sound her, nicht aber von der Möglichkeit des Kinos, eine spannende Geschichte aufzubauen und zu erzählen. Die Geschichte selbst, das vermittelt er uns im Untertext, die scheißt ihn nur an, es reicht doch vollkommen, wenn wir in Adlkofen, Grabenstätt und Miesbach, in Lalling oder Prittriching Erfolg haben, was wollen wir ein Kino für die Welt machen.

Oder: was Rosenmüller in „Wer früher stirbt, ist länger tot“ mit dem Bauerntheater-Strang schon verheißungsvoll angefangen hat, das führt er jetzt robuster, tollkühner (aber noch lange nicht so, dass er mit Hieronymus Bosch gleichziehen könnte) fort: die Malerei von der Menschheit als etwas Misslungenem (Aufgabe an den Caster: stellen sie ein Ensemble zusammen, was absolut drittklassig ist, was weder richtiges Bühnendeutsch sprechen noch richtig gehen oder sich in klassischen Kostümen bewegen kann, was grimassieren und utrieren kann und die theaterkulturell verpönte Zeigefingergestik einsetzt); die Menschheit als etwas Misslungenes darzustellen, das gelingt Rosenmüller recht plausibel; nur ist das leider nicht abendfüllend; selbst der Trash braucht eine spannende Geschichte, erst recht, wenn er fast zwei Stunden lang sein soll.

Wenn Prittwitz an der Knatter eine Kinokultur hätte, dann wäre Markus H. Rosenmüller einer ihrer herausragenden Exponenten. Oder man könnte zu formulieren versuchen: für die Geschichte, die davon handelt, wie der Theaterleiter Schikaneder Mozart kennenlernte und wie er in einem Bergdorf, in dem es gerade Spannungen zwischen Bergarbeitern und dem ausbeuterischen Kapitalisten gab, aus Geldmangel hängen geblieben ist, für diese Geschichte also, die im ausgehenden 18. Jahrhundert spielt, stellte er sich ein Ensemble aus Knattermimen zusammen, damits schön kracht und knattert und mimt.

Kommen wir zu den Glanzpunkten dieses Filmes. Da ist zum einen die Songnummer mit dem Hebel, den die Bergarbeiter singen, wobei der Chorführer Maxi Schafroth als Erwin Steinhauer aus dem Allgäu stimmlich herausragt, weil melodisch und gefühlt und inhaltlich. Auch den zweiten Glanzpunkt dieses Filmes verdanken wir dem Nachwuchskabarettisten Maxi Schafroth in seiner letzten Szene, wie er mit zwei Handkoffern und Huckepack auf seiner Angebeteten über einen Bergweg getragen wird und mit einer anrührend traurigen Komik erzählt, wie er aus dem Allgäu hierhergekommen sei. Der Rest ist Schweigen.

Nicht ganz. Die Musik verfolgt offenbar eine ganz andere Intention als das Theater in diesem Film, sie gibt großes Konzert und große Kunst vor. Was die Absicht dahinter ist, was damit ausgesagt werden soll, das bleibt mir rätselhaft. Ob das der Rahmen sein soll, der klar macht, dass es sich hier um Klamotte handelt, bei der der Regisseur, falls ihm mal fad wird, noch einen Hahn oder ein Schwein in die Szene bugsiert. Ob die Musik das Parodistische an diesem Film, das unfreiwillig Parodistische, also das nicht gekonnt Parodistische unterstreichen sollte? Großes Orchester zu kleiner Kunst. Fröhlicher Voralpentrash, der keinem was will. Eine Hommage an Mozart kann diese Musik jedenfalls nicht sein.

Rosenmüller pfeift auf jegliche Art von prononcierter Könnerschaft, von Beherrschung von Sprache, Gang und Gestik, findet dies nur langweilig (man mag ihm diese Skepsis dem Geschleckten und Perfekten gegenüber nicht mal übel nehmen). Ein Hoch auf die programmatische Drittklassigkeit. Es muss sich was tun vor der Kamera, egal ob es Sinn macht. Nur nicht in den langweiligen Bahnen des Erlernten, Überprobierten, Überstudierten lahmen.

Wenn der Film weniger als eine halbe Million gekostet hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass er sich mit dem Verkauf an die Kurorte halbwegs amortisieren liesse. Wenn er mehr gekostet hat, dann würde ich die Diskrepanz zwischen finanziellem Aufwand und geistig-künstlerischem Ertrag für mehr als bedenklich halten.

Als verantwortliche Autoren für das Drehbuch zeichnen Robert Hültner, Klaus Wolfertstettner, die sich damit nicht zwingend der Vorstellung von einem spannenden Kino andienen.

Ronal der Barbar – 3D

Frischepower aus Dänemark. Ausnahmsweise kann der Kurzinhalt aus dem Pressematerial übernommen werden, weil sich der ganz gut und meiner Meinung nach auch dem Film entsprechend anhört. „Barbaren: Vor Muskeln strotzende, mit Öl beschmierte Krieger im 80er Jahre Heavy Metal-Look. „Babes, Balls & Muscles“ – das sind ihre Markenzeichen. Nur Ronal hat von allem zu wenig, aber ausgerechnet er ist die letze Chance seines Barbarenstammes! An seiner Seite ein hormongesteuerter Barde, eine jungfräuliche Amazone und der schlechteste Fremdenführer der Welt. Der Beginn eines schrägen Funtasy-Abenteuers.“ Hinzuzufügen wäre, dass es sich um einen Animationsfilm handelt, der mit der entsprechenden Musik den kräftigen Eindruck verstärkt.

Faszinierend an diesen Figuren, vor allem an den Barbaren – es gibt noch Gegner von ihnen, die viel maschineller aussehen, viel technisierter, aber auch die sind zeichnerisch an archaischen Kunstwerken orientiert, wie sie beispielsweise auch Max Ernst fasziniert haben – aber die Barbaren selber, mit ihrem jüngsten Spross Ronal, der kaum dicker ist als ein Spermafädchen, die sind bis auf einen Sackhalter nackt, aber mit Rüstungen versehen, die jedoch der Kleine noch nicht hat. Er wird nach einem Überfall auf seinen Stamm, den er nicht verhindern konnte, weil ihm die Puste für das mehr als sprungschanzenlange Warnhorn nicht ausreichte und nachdem sein Stamm gefangen worden ist von den monströsen und nicht zimperlichen Gegnern, das Schwert wieder beschaffen müssen und mit dem auch noch das godzillahafte Monster am Schluss besiegen; David gegen Goliath.

Dazwischen gilt es noch Orry Gorry zu überwinden und viele andere Hindernisse, wie das so ist in solchen Filmen. Hier ist der Spaß an der Zeichnung der Figuren und der Gags und sexistischen Anspielungen dominant; über die Schmerzgrenze hinaus wird an Brustwarzen gedreht und gezogen. Und dem armen Ronal reicht in der Szene, wo er sich mit einer Essenz unsichtbar machen will, diese für den ganzen Körper, aber für die „balls“ leider nicht mehr, so dass diese während der ganzen Eindringungsaktion in ein fremdes Schloss für den Zuschauer als einziges sichtbar sind und die werden dann von Wachen auch noch mit kleinen Pfeilen beschossen, au weh! … und dann einen nach dem anderen wieder rausgezogen.

Das macht sicher nebst den erwähnten archetypischen Figurzeichnungen und –Ausstattungen der Reiz aus, dass diese Barbaren praktisch nur Körper, nur Fleisch sind, sie wirken dadurch so ungeschützt, so verletzlich, besonders unsere kleine Bohnenstange von Ronal, andererseits sind sie gewalttätig und unerschrocken, haben aber einen Watschelgang, als ob sie nicht ganz so ganz helle wären.

Übrigens, die Balls sind bei allen in etwa gleich groß, ob Hüne oder Sprenzling.
Was auch positiv auffällt: es ist zwar viel animiert, aber der Film scheint mir nicht überanimiert, er konzentriert sich, und das macht ihn durchaus attraktiv, vor allem auf die Figuren, erst mal auf diese Abenteurergruppe von Ronal, dem Barbaren, der Amazone und dem merkwürdigen Fremdenführer; eine Gruppe, die für sich genommen viel eher an Don Quichotte erinnert, als an einen Barbarenfilm; die eine gewisse Skurrilität hat; um so stumpfer wirken dann die maschinenhaften Bösfiguren. Und was noch auftaucht an Urvögeln.

Kurzweilige 90 Minuten, nicht mit dem gepflegten Besuch in einem feinen Tea Room zu verwechseln!

Das Buch stammt von Thorbjorn Christoffersen und Melanie Hagoplan. Für die Regie zeichnen Kresten Vestbjerg und Thorbjorn Christoffersen.

Sarahs Schlüssel

Die Ehre gehört hier ganz der Geschichte, auch explizit. Warum werden Geschichten erzählt? Weil wenn sie nicht erzählt werden, gibt es sie nicht oder sie werden vergessen. Sie bauen uns eine Vergangenheit und ohne Vergangenheit keine Zukunft.

Die Vorlage zur dieser Geschichte bildet der gleichnamige Roman von Sarahs Schlüssel von Tatiana de Rosnay, von dem auch in der deutschen Übersetzung über 80’000 Exemplare verkauft worden sind.

Der Regisseur Gilles Paquet-Brenner gibt dem Buch, der Erzählung den Vortritt. Er hat am Drehbuch für den Film mitgearbeitet mit Serge Joncour. Sie nehmen sich selbst zurück. Sie versuchen sorgfältig den Faden der Geschichte nachzuerzählen. Dabei ist der titelgebende Schlüssel von Sarah, die die Hauptperson der Geschichte in der Geschichte ist, ein immer wieder auftauchendes Leit-Requisit.

Um Sarah und ihren Schlüssel herum wird die Rahmengeschichte erzählt, oder sie entschlüsselnd entwickelt sich die Entdeckergeschichte um die Geschichte. Die ursprüngliche Geschichte fand in der Besatzungszeit Frankreichs durch Deutschland statt. Eines von 10’000 jüdischen Schicksalen, die mithilfe der Franzosen in die KZs kamen; jener Tausenden, die tagelang im Velodrom in Paris, wo heute sinnigerweise das Innenministereium steht, unter grauhenhaften Umständen zusammengepfercht waren, wobei allein dort 100 Menschen Selbstmord begangen haben.

Unter diesen Menschen war auch die kleine Sarah mit ihren Eltern und sie hatte den Schlüssel für eben jene Tapetentür in ihrer Wohnung im dritten Stock in der Rue Saintoge 36, hinter der sie bevor sie mit der Polizei mitgehen mussten, ihren Bruder versteckt hatte. Den Schlüssel hatte sie mitgenommen. Der erste Versuch, den Bruder zu retten, schlug fehl. Sie wollte den Schlüssel einer jungen Frau anvertrauen, die erfolgreich aus dem Vélodrom d’Hiver zu fliehen versuchte; aber der Vater hatte den Schlüssel der Dame nicht mitgegeben. So behielt Sarah ihn bei sich, auch beim Transport ins KZ, auch wie sie mit der Mutter vom Vater getrennt wurde, auch wie sie von der Mutter getrennt wurde, auch wie sie mit einem anderen Mädchen aus dem KZ mithilfe eines verständigen Wärters fliehen konnte. Auch auf ihrem Weg zurück nach Paris.

Die Rahmenhandlung spielt heute. Kristin Scott Thomas spielt die Journalistin Julia Jarmond. Sie möchte über das Vélodrome d’Hiver einen großen Bericht machen. Parallel dazu kann sie in die Wohnung ihres Mannes ziehen, der wiederum diejenige seiner Eltern übernimmt, die zuvor schon 60 Jahre in der Rue Saintoge gewohnt hatten, es ist die Nummer 36. Dass sie diese Wohnung 1942 übernommen hatten, macht Julia stutzig. Sie fängt die Recherche an – und stösst auf die Geschichte von Sarah und ihrem Schlüssel.

Gilles Paquet-Brenner rührt seine Geschichte kräftig, aber ohne jedes Etepetete an; lässt gerade die Verhaftungs- und Vélodrome-Szenen laut und mit viel Vivacité und Energie spielen. Überzieht aber nie das Erzähltempo. Kommt ganz ohne filmischen Mätzchen aus. Überhaupt rührt ihn kein cineastischer Ehrgeiz, der der Geschichte irgendwie den Rang ablaufen könnte. Die Geschichte um die Entdeckung der Geschichte und die Geschichte von Sarah werden schön ineinander verzahnt erzählt, bis zu dem Moment, wo der Schlüssel wieder zum Vorschein kommt. Und fast nur informativ werden dann noch in einigen Szenen, die ziemlich abrupt zwischen Frankreich, Brooklyn und Italien spielen, drangehängt.

Eine der beklemmenderen Geschichten aus der Schwemme der Nazizeitfilme.

Let Me In

Dieser Film besticht zuerst und vor allem durch seine Sorgfalt und durch seinen durchgehalten suggestiven Sound.

Remake eines Vampirfilmes des skandinavischen Autors John Ajvide Linquist, der mit Matt Reeves für das Drehbuch zeichnet. Matt Reeves hat minutiös Regie geführt. Gerade dieses bestechend Bedachte an diesem Film dürfte sein Klumpfuss für die Verwertung sein: fast zu deutlich zeigt er, wie sorgfältig er arbeitet, jede Einstellung, jede Reaktion, was sieht man zuerst, was dann. Was darf der Zuschauer wissen, was noch nicht. Auch die Parallele zwischen Anfangs- und Schlussbild weist auf diese Sorgfalt hin. Im ersten Bild ist ein Sanka mit Warnlicht und Begleitfahrzeugen durch eine unbewohnte, trostlose Gegend unterwegs durch die Nacht. Der Sanka sieht aus wie ein Kasten. Was ist in dem Kasten, die Frage stellt sich durch die Sorgfalt, wie dieser Konvoi ins Bild gerückt wird. Ganz am Schluss des Filmes sitzt unser Protagonist, der bildhübsche 12jährige Owen, im Zug, vor sich einen Koffer, der wie ein Metallkasten aussieht, könnte im Format in etwa eine Miniausgabe des Sankas vom Anfang sein, Owen hat Süßigkeiten darauf liegen, die verzehrt er, er schaut versonnen aus dem Fenster und der Schaffner kontrolliert das Ticket. Diesmal weiß der Zuschauer, was in dem Kasten ist. Owen scheint jedenfalls den Film und die grauenhaften Dinge, die darin ganz fein vorgeführt werden, unbeschadet überstanden zu haben. Eine Entwicklungsphase?

Owen lebt mit seiner Mutter in Los Alamos, New Mexiko. Wir schreiben das Jahr 1983. US-Präsident Reagan ist ab und an im Fernsehen zu sehen. Owen wird in diesem Film Dinge erleben, die vielleicht einen Vorgeschmack auf das Grauen des Erwachsenwerdens liefern. Owen beobachtet mit einem Fernrohr von seinem Zimmer aus die Nachbarn. Ein Pärchen, was sich immer wieder heftig liebt, Ausblick auf das bevorstehende Erlebnis der Liebe. Und ein Mädchen, das mit seinem Vater in einer Wohnung haust.

In der Schule haben es drei ältere und also schon entwickeltere Jungs auf Owen abgesehen, sie nennen ihn Mädchen und belästigen ihn. Am Frühstückstisch zuhause spricht die Mutter ein Tischgebet und wünscht fromm den Schutz vorm Bösen – intuitiv die Gefahr ansprechend. Denn das Mädchen von gegenüber, Abby, Owen lernt es bald schon näher kennen, behauptet, 12 Jahre alt zu sein, und das schon seit einiger Zeit. Mit ihr gibt es sowieso viel Sonderbares, Abgründiges. Sie geht auch bei Schnee – die meiste Zeit in diesem Film ist Winter, kein helles Sonnenlicht, keine farbigen fröhlichen Stimmungen – Abby geht auch bei Schnee barfuß.

Abby und Owen spüren eine Zuneigung zueinander. Das ist wie eine Attraktion von glühenden Kohlen. Denn Abby ist ein Vampir. Das gibt Anlass für einige sorgfältig gearbeitete Vampirismus-Szenen, ganz schön grausam und blutig, aber so fein. Und was es mit Abbys Vater auf sich hat, das braucht hier nicht verraten werden. Das ist eine andere Story. Insofern ist die Geschichte auch noch mit diesem Vater belastet. Das macht sie nicht leichter und das fällt bei dem geruhsamen Tempo, hervorgerufen durch die vermutliche Absicht des Regisseurs, ganz genau zu sein, ganz präzise das Zuschauerinteresse zu leiten, schon sehr auf. Oder meinte der Filmemacher, weil der Film im Jahre 1983 spielt, er müsse die Gemütlichkeit von damals evozieren?

Das Personal im Film ist übersichtlich – auch das spricht für den Film. Nebst den erwähnten Figuren gibt es noch einen Kriminaler, einen Sportlehrer und einige weitere, ganz kleine Neben-Figuren.

Mir erzählt dieser Film auch von einer ganz sensiblen Hingabe ans Genre, das sich mit der vielleicht empfindlichsten, empfindsamsten, ahnungsvollsten Phase im Leben eines Menschen, die für die merkwürdigsten Fantasien empfänglich ist, beschäftigt, mit der Phase des Umbruchs von der Kindheit zum Erwachsensein.

Zwischendrin kam mir auch der Begriff: Gesellenstück in den Sinn. Ein Film, mehr um der anerkannten Fachwelt zu zeigen, man könne das, man wisse, wie mit dem Genre umgehen. Der Film hat sich für eine makellos cineastische Schönschrift entschieden.

Übrigens: was Owen von Abby lernt: sich zu wehren. Nach unschönen Begegnungen mit den älteren Rowdies von der Schule fängt Owen an, sich zu stählen, zu trainieren und zeigt es denen denn auch.

Was mir so ein bisschen fehlt, ist das Need, genau diese Story zu erzählen, sie erzählen zu müssen. Dem Gesellenstück fehlt für mich das Persönliche, das was den Zuschauer von heute anspricht. Gerade bei der Inflation von Vampirfilmen. Da reicht es nicht aus, dass der Vampir weiblich sei und erst 12. Und die Geschichte mit dem Vater, die erhellt wenig, eigentlich gar nichts, so schön sie gemacht ist. Einiges ist dann doch auch – gerade wegen der Umsicht des Machers – sehr absehbar. Ich würde so sagen: Matt Reeves dehnt, was zu dehnen ist hinsichtlich Spannung, er überdehnt nicht, aber er dehnt sehr, damit ja dem Zuschauer nichts verloren geht. Den Entscheid für diese Methode bezahlt er mit einem Verzicht auf das cineastisch prickelnde Element des Eindruckes von Spontaneität – dafür sollte er sich vielleicht zunächst ein paar Renoir-Filme zu Gemüte führen.

Nie mehr ohne Dich

Den Film würde ich vielleicht schubladisieren unter „Talent“ und mir in erster Linie die Namen Stefan C. Schäfer als Regisseur und als Drehbuchautor zusammen mit Christoph Silber merken und mir sicher anschauen, wenn von denen wieder was auf den Markt kommt. Was mich für den Film, die Hauptrolle spielt der Deutsche Ken Duken, vereinnahmt, ist schon mal, dass er nicht von der Last von irgendwelchen deutschen Filmförderungen oder Fernsehgeldern gebeugt und eingeschnürt daher kommt. Es ist eine einfache, sicher auch recht naiv erdachte Liebesgeschichte. Insofern kaum für ein größeres Publikum geeignet; dazu hätten dann doch die Charaktere genauer studiert und das Thema ganz präzise eingegrenzt werden müssen.

So ist es eine erfundene Liebesgeschichte, die zwar einen realen Hintergrund haben soll. Um ein Kernchen von Wahrheit herum erfindet man Geschichten. Es ist sicher die Drehbucharbeit, die Konstruktion der Geschichte, nämlich die Reduktion auf einen einfachen Handlungsstrang und einen überschaubaren Fächer an Figuren und auch die sehr präzise Arbeit an den Szenen, an den Dialogen und auch das vor der Kamera In-Szene-Setzen, was mir hier gefällt.

Sicher spielt auch die Eitelkeit des deutschen Schauspielers mit, in einem amerikanischen Film eine Hauptrolle spielen zu dürfen. Und so wie Ken Duken sich aufspielt, dürfte er sich gewiss für andere amerikanische Produktionen empfehlen. Aber wie gesagt, das reicht noch nicht aus, einen Kinobesuch zu rechtfertigen. Den deutschen Studenten zumindest wäre es durchaus zu empfehlen, den Film anzuschauen. Vielleicht auch gerade, weil hier sehr standardhaft gearbeitet worden ist, weil sozusagen das Drehbuchskelett noch sehr deutlich zum Vorschein kommt. Aber wie will mans anders lernen.

Ken Duken, der hier Niklas heißt, soll für seine europäische Firma für einen Kurztrip nach New York. Er soll zackig bei einer Firma Stellen streichen. Das ist schnell erledigt. Nun ja, beim Reflektieren fällt mir auf, Ken Duken versucht sich hier zwar fürs Kino zu empfehlen, aber er scheint mir dann doch etwas zu sehr von sich eingenommen, als dass er richtig gründlich die Eigenschaften eines solchen Managers studiert hätte. Er zelebriert mir die Auftritte zu sehr. Das führt zu einer Verlangsamung, die zwar der Rezeption entgegenkommt, indem man sich die Bilder besser merken kann, andererseits aber dann doch auch weg von der Geschichte.

Was von der Geschichte her lustig gedacht ist: er hat in New York vom ersten Moment an seinen Leib- und Magen-Taxifahrer, der immer wieder für ihn da ist und der sich zum Coach in Liebessachen entwickelt. Das ist doch schon was.

Und bevor Duken in der Firma eintrifft, begegnet er Laetizia, der schwarzen Jazz-Sängerin, von der er noch nicht weiß, dass sie bald ein Opfer seiner Rausschmeißaktion werden wird. (das haben wir doch neulich bei Cédric Klapisch gehabt in „Mein Stück vom Kuchen“ – und bei dem Vergleich fällt einem schon auf, wieviel weiter Klapisch in der Kunst des Erzählens doch ist und dass wir es hier mit rechten Anfängern zu tun haben); nichtsdestotrotz: Niklas verliebt sich in sie; sie treffen sich wieder und wieder – obwohl er doch nur einen Tag hat, denn am Abend soll er wieder zurückfliegen. Er möchte sie gleich mitnehmen und in Europa zu einem Star machen, auch die Begründung dafür, das spricht wieder fürs Drehbuch, dass Jazz nämlich in Europa mehr geschätzt würde.

Das ergibt eine Diskussion zwischen den beiden, denn sie möchte nicht weg aus New York. Sie wirft ihm vor, er glaube, er könne mit Geld alles machen und sie müsse verzichten, er sei also nicht bereit, für seine Liebe etwas zu opfern, nun ja, die teure Uhr von seinem Chef Roland, die würde er ihr schenken. Der Dialog wird noch Folgen haben.

Irgendwann kommt Laetizia allerdings dahinter, dass er der Postenkiller ist. Sie hat ihn da schon in der Wohnung, die sie eben erst bezogen hat, weil sie zuhause ausgezogen ist. Der Papa ist Pfarrer. Und der ist die Hauptperson einer flankierenden Liebes-Geschichte.

In ihrer Wohnung kommt Laetizia dahinter, wer Niklas ist. Das lässt sie in die Luft gehen, sie nimmt einen Schuh von ihm und sein Handy und schmeißt die Dinge weg. Das zwingt ihn nun nur mit Hemd, der Hose, einem Schuh und ohne Handy sich in New York auf die Suche nach ihr zu machen.

Ein Freund von ihr schenkt ihm dann noch ein Veilchen, sprich einen Schlag ins Gesicht; da finden sich Kids, die ihm ein feuchtes Tuch geben, das er gegen den Kopf halten kann, nun das sind schon Filmsszenen, die man sich merken kann und die auch die Hilflosigkeit von Niklas schön ausdrücken wie er dann auf einen Schwarzen im Hauseingang gegenüber zugeht und den bittet, ob er einen Handyanruf machen dürfe, wie er also mit dem weißen Tuch gegen den Kopf und nur mit einem Schuh bekleidet auf diesen Typen zugeht und ihm dafür die Uhr schenkt, das ist nicht ohne. Und schön gesetzt.

Positiv fällt mir vielleicht an diesem Film auf, dass die Macher nicht versuchen Dinge zu tun, die sie nicht können, sondern das in Szene setzen, was ihnen plausibel scheint, auch wenn die Geschichte wie erwähnt, durchaus leicht süßlich ist, da sollten sie den Klapisch studieren.

Was mir auch gefällt, die Konkretheit in den Bezeichnungen, die Firma, die Hausadresse, One Battery Park Plaza, die Calvary Church, die Musikbar „Outpost“.

Das Problem mit der Ken-Duken-Rolle ist vielleicht das, dass er sich hier sowohl als Romantiker als auch als knallharter Sanierer präsentieren möchte. Den Widerspruch hätte man genauer unter die Lupe nehmen und zur Profilierung der Figur entschieden einsetzen können.

Thema: der Vater von Laetizia, Pastor Lester Johnson, spricht in der Kirche über Beherztheit – auch das wird später wieder aufgenommen. Und auch „Der Kampf im Dunklen“ ist ein Thema.

Vielleicht passiert die Annäherung zwischen Niklas und Laetizia zu gemütlich, undezidiert- oder sollte damit Unbeherztheit illustrieren; das müsste vielleicht wirklich mehr ein Amour Fou sein, wie ein Blitzschlag.
Das war mir dann too much, dass Ken Duken auch noch das Lied von Matthias Claudius „Der Mond ist aufgegangen „ singen musste/wollte.
Lustig die Kids, die ihn fragen, wie es war, als er geschlagen worden ist.
.
Ein kleiner schön gemachter, schnuckeliger Festivalfilm.
Die Orgelimpros beim Gespräch in der Kirche Niklas/Pastor, die sind musikalisch das Treffendste in diesem Film.
Hat auch eine Moral: es geht um Menschen, die Mut beweisen, etwas zu riskieren, wobei diese Moral als Thema in den einzelnen Szenen dann doch stärker und durchgängiger hätte prononciert werden sollen: als das Problem von Ken Duken, da wäre dann der Zwiespalt zwischen Romantiker und Sanierer sehr fruchtbar als ein Motor für die Geschichte einzusetzen gewesen. Na ja, vielleicht beim nächsten Mal.

Wader Wecker Vater Land

Ein junger Filmemacher, Rudi Gaul, nähert sich mit scheuer Naivität den Sängerikonen, für die seine Elterngeneration geschwärmt hat: Konstantin Wecker und Hannes Wader.

Gaul formuliert allerdings nicht primär die Verwunderung oder die Neugier seiner Generation darüber, dass Wader und Wecker einsten seinen Eltern geistige und emotionale Nahrung waren; nein, Gaul meidet den Generationenkonflikt, versucht geschmackvoll ein liebe- und respektvolles Portrait der beiden Sänger im Rentneralter auf Tournee durchaus im Sinne eines verehrenden Betrachters herzustellen. Das ist das was mir hier zu sehen scheint: ein Fanartikel mit vielen netten Runduminformationen, man erkennt ganz deutlich, was für einen Wagen Wecker fährt und welchen Wein Wader trinkt, oder dass Frau Wecker Gebäck für ein Geschäft in München herstellt.

Anlass für die Dokumentation war eine gemeinsame Tournee der beiden Sänger, eine Idee, die der umtriebige Wecker hatte, vermutlich nicht um die Welt zu ändern sondern mehr aus Marketing-Gründen; Synergie könnte man das nennen.

Hannes Wader, der sich selbst steif wie ein Stock und außerdem gescheitert sieht, machte mit. Auch er muss ab und an Geld verdienen, das denkt sich jedenfalls der Zuseher. Es dürften definitiv Geldbeschaffungsprobleme gewesen sein, eine andere Begründung für das Geschäftsmodell mit dieser Tournee wird im Film auch nicht vorgebracht.

Denn das Seniorenpublikum, was die beiden in der Jugend verehrte, ist heute recht zahlungskräftig. Andererseits vermehrt es sich nicht mehr; es muss aus biologischen Gründen mit Schwund gerechnet werden. Über die wirtschaftlichen Hintergründe jedoch kein Wort im Film, das ist schade und zwingt den Betrachter zu Spekulationen, wie eben angeführt und stützt dagegen den Eindruck von diesem Film als einer devoten Ikonenverehrung. Und wenn es nicht Einblicke in Fehler und Verfehlungen der beiden gäbe, die längst allgemein bekannt sind, dann hörte sich ihr heutiger Gesang stellenweise an, als ob ein alterndes Schlagersängerduo das Provinzpublikum mit einer Abschiedstournee erfreuen möchte.

Die beiden Herren sind, so ist zu erfahren, beide mehr oder weniger in ihre Karrieren hineingerutscht. Beide behaupten, sie hätten jeweils das gesungen, was sie beschäftigt hat. Wecker ist irgendwann in die Toscana geflohen, weil er hier zu berühmt war und weil jede politische Gruppierung ihn für sich vereinnahmen wollte, ihm sagen wollte, was er zu singen habe. Wader hatte sich eine Windmühle im deutschen Flachland gekauft. Vor einiger Zeit ist er mit seiner Frau nach Kassel gezogen. Er hat einen erstklassigen Weinkeller und erwähnt bei dessen Besichtigung ausdrücklich er sei kein Sammler, das sei der Stoff für ein Jahr.

Der Film ist sicher was für Nostalgiker. Aber dem Wader sind damals viele Fans abhanden gekommen, wie er in die DKP eingetreten ist; dazu gibt es schönes Archivfootage (was wie immer in solchen Filmen sowieso das Spannendste ist; den Äußerungen, den Selbstäußerungen den Protagonisten gegenüber wäre ich eher skeptisch, so wie Wader sagt, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sei er sowieso viel skeptischer geworden, und seine Frau meint, die Hingabe, die er vorher gehabt habe, die sei nie wieder gekommen, nie wieder diese Begeisterung, sagte sie).

Wader ist noch zu Kriegszeiten zur Welt gekommen, er hatte nie ein Vater-Sohn-Verhältnis, weil der Vater an Front gewesen ist.

Der Film bringt viele Liedausschnitte.
Die beiden singen zusammen, manchmal Wecker zum Beispiel auf bayerisch oder italienisch und Wader dann auf deutsch. Wecker, der Münchner Glamour-Boy.
Dat Du miin Leefste büst (Wader Holländisch, Wecker deutsch) und zum Mitsingen. Volksliedabend. Seniorenbusiness. Angenehmer Film für den Seniorennachmittag.

Waders RAF-Intermezzo, die Verhaftung, weil er Gudrun Ensslin Unterkunft gewährt hat, ohne dass er wusste, wer sie sei; hatte heimliche Sympathie. Es folgen Schleyer-Video, Mauerfall-Video. Immer schön an der Zeitgeschichte bleiben. Nach Eintritt in DKP sind bei Wader die Einkünfte um 60 Prozent eingebrochen, die Leute haben ihm die zerderpperten Platten zurückgeschickt. Chor der Parteiveteranen, er also Solosänger – wie aus einer Marthaler-Inszenierung, aber ohne jede Ironie.

Weckers Verhaftung, sein Kommentar: nie so viel Presse und Medien wie bei Koks, Verhaftung und Hochzeit. Wecker fabuliert über das wirkliche Leben angesichts eines exzessiven Lebens und des Todes. Sein Sohn, sein jüngster, darf ihn eine Szene abfragen für den Film „Wunderkinder“, dazu gibt es Bilder vom Dreh, in der Maske. Er darf auch den Laden vorführen, in dem Gebäck seiner Frau verkauft wird. Zum Ende hin träumt er noch die Utopie einer herrschaftsfreien Welt. Er selbst fährt einen schwarzen Lexus M KW 1647. Amin heißt sein mädchenhafter Sohn, der den Papa Wecker Rollentext abfragt. Dann die Familie Wecker beim Essen, noch zwei ältere Söhne, ganz brav und steif, ganz wohl ist ihnen nicht bei dieser Dokumentiererei.

Zum Schluss noch vielen, langen Applaus als letzter Beweis der Verehrerqualität dieses Filmes und seines Machers.

Das Buch schrieb Rudi Gaul mit Matthias Leitner.

Rubbeldiekatz

Vor mir liegen sehe ich eine schrill aufgebretzelte, stylish-großmäulige Mumie von Charleys Tante. Nicht dass mich jetzt einer falsch versteht. Die Schauspieler hängen sich rein in ihre Rollen, sie verbrauchen Energie und sprechen Texte, oft auch ganz gezielt auf Pointe. Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle gibt, was er kann, um die Travestie-Rolle zu bedienen (es handelt sich um eine Travestie-Geschichte, die nicht näher erläutert werden braucht, es wird aber ausdrücklich auf Charleys Tante referiert, indem Schweighöfer in eben jenem Stück die Tante spielt und also die Utensilien zur äußerlichen Geschlechtstransformierung greifbar hat und sich so bei einem Casting für einen Film im Loop der Hitlerfilmklamotten als Darstellerin melden kann und auch die Rolle noch kriegt, was dann zu Komplikationen mit seiner Partnerin führt, die er nachts zuvor noch als Mann gevögelt hat, so weit so simpel und das wars dann sowieso schon).

Schweighöfer lässt sich also zu einer wundervollen Frau schminken und herrichten, die seiner männlichen Liebheit in Nichts nachsteht und er stöckelt durch den Film und versucht ein angeregtes Gesicht, obwohl die Story so gar nicht anregend ist, dass sie schnell ermüdet; ich vermute, das hängt damit zusammen, dass gar nicht erst versucht worden ist, den Rollen Tiefe und damit Futter zu geben, sondern dass der billige Plot dazu herhalten sollte, um jede Menge Travestie-Jokes aneinander zu reihen, einer abgegriffener als der andere.

Das hätte vielleicht funktioniert, wenn Schweighöfer wirklich den Transvestiten in sich gesucht und zugelassen hätte, die Frau in sich, dieses Flirrende, Schwirrende, Vibrierende, was den ganzen Mann, der so gerne eine Frau sein möchte, aufregt, aufregend macht und ständig auf Draht hält; dem könnte man dann stundenlang zu schauen, wenn diese existenzielle Seite aufgespürt worden wäre.

Davon ist bei Schweighöfer so gar nichts zu spüren, er spielt es als eine Rolle, offenbar ohne jedes Bewusstsein für die Transvestiten-Problematik und einzig darum bemüht, die vom kruden Plot vorgegebenen Komplikationen darzustellen.

Der Film kommt mir heillos stehen geblieben vor, vielleicht irgendwo in den 70er Jahren, von der Art des Kinos her, das vorgibt, großes Unterhaltungskino sein zu wollen, schrill-plakatives Unterhaltungskino.
Für mich ist der am deutlichsten dechiffrierbare Untertext der, hey, wir machen hier was Lustiges, wir machen hier so richtig einen drauf.

Wir wollen Möpse sehen. Make me feel like you. Alex, ich brauch einen Mann, der einen Plan hat. Sag jetzt nicht, dass Du Dich verknallt hast. Dank an unser Konto. Projekte für 50 Millionen und ihr schafft es nicht, echte Titten von falschen zu unterscheiden.

Zäh zusammenfließender Schluss.

Buch: Detlev Buck, Anika Decker.
Regie: Detlev Buck.

Gasland [DVD-Start und Verlosung]

Ein ziemlicher Horror, dieser Dokumentarfilm. Nicht wegen Special Effects und Gespenstern. Resp. im Grunde genommen genau wegen Special Effects und Gespenstern. Nur sind wir hier nicht auf dem Rummelplatz, damit uns schauderlich wird, noch sind wir in irgend einem Hinterhofkino, das „schmutzige“ Genrefilme zeigt, noch sind wir hier im Möchte-Gerne-Genre-Kino von „Hell“, nein, wir sind hier höchstoffiziell in der Dokumentarabteilung gelandet und im Amerika von heute, in der Abteilung „real life“.

Für die Special Effects sorgt die Firma Halliburton und Co., und die Gespenster, das sind Figuren wie Dick Cheney (auf dem Segway) und Konsorten. Es sind jene skrupellosen Geschäftsmänner, die wegen der Gasexploration ganze Landstriche in Amerika verwüsten lassen. Der Film leistet unter Verzicht von Special Effects mit einer Betrachtung dessen, was in manchen Gebieten der USA von der Industrie betreiben wird, den Horror, den „Hell“ beabsichtigte.

Die Geschichte ist eine abenteuerliche. Josh Fox wohnt in einem schönen Holzhaus in den Wäldern von Pennsylvania in der Nähe vom Delaware River (dieser dient übrigens auch als eine Quelle fürs Trinkwasser in New York). Josh Fox wohnt in reiner, sauberer Natur. Sein Haus wurde von ihm und seiner Familie gebaut. Man erinnert sich an die Nixon-Zeit, die von der heutigen politischen Situation aus besehen, was die Umwelt betrifft, eine paradiesische Zeit gewesen sein muss.

Nun ist anzumerken, dass die Vereinigten Staaten, wie es hieß, förmlich auf einem Ozean von natürlichem Gas liegen. In Zeiten von Energiehunger und Abhängigkeit von Importöl schreit so eine Ressource geradezu darnach, ausgebeutet zu werden. Aber es gibt eben keine sauberen Gasgewinnungsverfahren, jedenfalls bis heute nicht. Die Entsorgung des giftigen Outputs der Gasgewinnung, die könnte man ja gesetzlich regeln. Allerdings, da ist Josh dann darauf gekommen, hat sich die Lobby der Gasexplorationsindustrie mit Millionen von Dollars die Gesetzgeber in Washington praktisch gekauft, eine Carte Blanche zur Umweltvergiftung geben lassen, durch Eliminierung jeglicher Schutzbestimmung für Umwelt, Natur und Mensch. So dass trotz Naturschutzbemühungen in vielerlei Hinsicht, die Gasgewinnung ohne jede Umweltgesetzgebung stattfinden kann. Der Nicht-Gesetzgebungs-Horror hinter dem Horror.

Josh Fox ist folgendermaßen auf die Geschichte gestoßen. Eines Tages wurde ihm angeboten, Land für die Gasgewinnung zu verpachten. Für eine seiner Meinung nach sehr hohe Summe. Das machte ihn stutzig. Er fing an, sich in seiner Umgebung umzusehen, flussaufwärts stieß er bald schon auf die ersten Anlagen und die ersten Beschwerden, schnell auch auf Zahlen, die schwindlig werden lassen. 1 – 7 Millionen Gallons of Water, die gebraucht würden, um ein Loch zur Gasgewinnung zu drillen, und so ein Loch kann bis zu 18 Mal gespült werden. Für diesen Vorgang wird Wasser eingepresst. Dieses Wasser ist allerdings mit einem tödlichen Mix von Chemikalien versetzt und die Ölindustrie weigert sich, die Kombination der Gifte bekannt zu geben. Das vergiftete Wasser wird ungereinigt in die Umwelt entsorgt in die Flüsse oder mittels Evaporation direkt in die Luft.

Opfer von solchen Verunreinigungen müssen, so will es das Gesetz, selber den Nachweis für die Ursache erbringen. Wie sollen sie das, wenn der Giftmix von den Verursachern noch dazu geheim gehalten wird. Je tiefer Fox in die Materie eindringt, je weiter er sich umsieht, desto mehr Horror entdeckte er. Zur Erträglichmachung dieses Trips, der ihn immer weiter in immer mehr Staaten führt, untermalt er die Reise gerne mit Country-Musik.

Er stößt auf Tiere, denen die Haare ausfallen, tote Tiere, verfärbte Kühe, Wasser ab Wasserhahn, das so mit Gas durchsetzt ist, dass man es anzünden kann und vor der Stichflamme sich in Acht nehmen muss, Leute mit Kopfschmerzen und Gehirntumoren in Gegenden, in denen vor der Gasgewinnung sowas nicht vorgekommen ist. Vollkommen verödete Landstriche. Bilder, wo man sieht, wie ein mit giftigen Chemikalien durchsetzter Spray in die Luft gesprüht wird. Und überall Beweise des Verlustes der Trinkqualität des Wassers. Leute mit bisher einwandfrei sprudelnden Quellen müssen das Wasser jetzt in Tanks einkaufen. Aber sie selbst haben das Land verpachtet. Das Geld lockte. Auf den Punkt geht Fox aber nicht zu tief ein. Überall Warnschilder wegen Explosionsgefahr und Gas in der Luft. Denn ganz dicht geht so eine Gewinnung nicht vor sich. Auch nicht an den Kompressionsstationen. Gas ist ein flüchtiger Stoff.

Fast dadaistische Ausmaße nimmt eine Aufzählung all der Gifte an, die dem Wasser zur Gasexploration beigemischt werden. Und bei einer Anhörung zum Thema wird ein Vertreter der Gasindustrie aufgefordert, die Liste der Gifte vorzulesen und er fragt irritiert zurück, ob er alle vorlesen soll, denn die Liste ist seitenlang. Er ergibt sich in sein Schicksal, aber der Dokumentarfilmer erspart uns die ganze Länge.

Trinkwasser, was gerade noch für bizarre wissenschaftliche Experimente zu taugen scheint. Umweltzerstörung unglaublichen Ausmaßes in der Nähe des Yellowstone-Nationalparkes auf einem Gebiet von der Größe von Connecticut. Und, nicht zu unterschätzen, das Problem der Trinkwasserversorgung für New York.

Schockierend ist nebst verödeter Landschaften, der hemmungslosen Verschmutzerei ohne jede Sicherheitsvorschriften vor allem auch das offizielle politische Amerika, Washington, das nichts unternimmt, das den Öllobbies und der Cheney-Fraktion offenbar nichts entgegenzusetzen hat. Das ist so unglaublich hinterwäldlerisch, dass man es gar nicht glauben möchte. Auch unter Obama tut sich offenbar nichts zum Schutze der Natur vor den Gasgiften.

An einer Stelle zählt Fox auf, wieviele LKWs es braucht, um so ein Bohrloch aufzubauen, in Gang zu setzen und in Betrieb zu halten. LKW-Ladungen voller Chemikalien, Rohre und Gerätschaften. Die Zahl geht in die Hunderte von Fahrten.

Interessant übrigens im Abspann, welche Firmen und welche Ministerien der Administration Josh Fox ein Interview verweigerten, welche Departements der staatlichen Verwaltung, von den Firmen sind es unter anderem Halliburton, Shell, Exxon, BP, Chevron, um nur einige zu nennen. Hinterwäldlerisch, oh, oh.

> – – – – – – – – – – <

Das Thema Fracking (Hydraulic Fracturing) ist weltweit ein brennendes, denn nicht nur in den USA wird der Fels-Untergrund eines ganzen Landes zerbröselt, um an eingeschlossenes Gas zu kommen. Auch in Europa ist Fracking aktuell, so zum Beispiel in Irland, aber auch in Deutschland. In Frankreich wird Fracking dahingegen höchstwahrscheinlich komplett verboten. Es gibt zahlreiche Initiativen gegen das Fracking, und ebensoviele Reportagen und Dokumentationen zum Thema. Hier zum Beispiel der Weltspiegel von vor einem Jahr:

Wir verlosen 3 DVDs des Films Gasland. Um an der Verlosung teilzunehmen, einfach einen Kommentar abgeben. (Beleidigende Kommentare und doppelte oder mehrfache Einträge werden gelöscht bzw. nicht berücksichtigt. – Eine Chance pro Teilnehmer.) Per Zufallszahlengenerator von random.org werden die Gewinner ermittelt, wobei 1 für den 1. Kommentar steht usw. Die Verlosung läuft bis Sonntag, den 18.12. (4. Advent) um 15 Uhr. Im Laufe des Abends werden die Gewinnerkommentare ausgelost und die Zufallszahlen als Kommentar veröffentlicht. Die Gewinner werden außerdem per Mail über ihren Gewinn in Kenntnis gesetzt. Sie erhalten die DVD, indem sie mir ihre RL-Adresse per Antwortmail schicken, diese wird dann an die PR-Agentur des Films weitergegeben, die dann die DVDs verschickt. Diese sollte noch deutlich vor Weihnachten ankommen, so dass sie ggf. weiterverschenkt werden kann.

HINWEIS: Der Veröffentlichungstermin von Gasland hat sich verschoben, die DVD kommt am 21.12.2011 auf den Markt. Das heißt, die DVDs können auch erst ab dem 21.12. verschickt werden. Die Verlosung endet wie gehabt am 18.12., wie oben geschrieben.