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Endlich

Der Film fängt wunderbar an und entwickelt gleich einen Sog. Eine männliche Voice-Over erzählt zu Bildern von einer Baumgruppe in einer Landschaft vor einem Hof von einem aus dem Knast entflohenen Selbstmörder, der sich unter der Baumgruppe die Pistole an die Stirn gehalten habe und wohl schneller war als die Schüsse der Polizei, die ihn verfolgte. Der Mann, der das erzählt, war der einzig Anwesende auf dem Hof, der vom einem Fluss als eine Art Halbinsel umfangen und geschützt wird, so dass auf dem Hof immer die Türen offen seien; die Polizei warnte den Bewohner, er hat den Ausbrecher auch vorbeigehen sehen. Dazu werden in ausgewählter Schnittfolge verschiedene Bilder des Tatortes gezeigt, immer leicht in Grün-Grau und dann noch näher Details von der Tatstelle, den Absperrbändern, einer Blutlache.

Kino, denkt man. Aber das hält leider nicht lange an in diesem Novemberfilm, der sich mit der Trauer- und vor allem der Bestatterkultur in Deutschland beschäftigt. Und rutscht leider gleich in eine recht beliebige TV-Doku mit vielen Selbstäußerungen und Statements ab. Nur nicht extrem werden. Schön mischen, eine protestantische Pfarrerin, einen jüdischen Rabbi, einen islamischen Geistlichen, einen Buddhisten. Und die reden über den Tod und den Teufel. Und das fotografisch ergiebige Krematorium am Baumschulenweg in Berlin (hier vertüdelt sich die Kamera ziemlich). Einen Typen, der Familienaufstellungen nach Todesfällen macht. Eine Trauerrednerin, die für eine Urnenbeisetzung eine einsame Frau mit einem Trauergast begleitet. Einen Bestatter, der sehr viel quasselt. Jemand, der mit der Heimholung von Leichen aus aller Welt befasst ist. Eine Konservatorin des ägyptischen Museums, die einen langen Gang an vielen grüßenden Wärtern vorbei zu einer Sammlung mit geraubten Mumien macht. Eine Bestatterschule. Es gibt viele Zwischentitel, der Unfall, der Notfall, der Normalfall, der Trauerfall.

Und immer wieder der Dresdner Bürgerchor, der im Chor Texte von Menschen aus einem Hospiz spricht. Für Buch und Regie zeichnen Katja Dringenberg und Christiane Voss verantwortlich.

Eine ganz heiße Nummer

Markus Goller hat letztes Jahr mit „Friendship!“ einen verdienten Kinoerfolg hingelegt. Gründe dafür waren meiner Meinung nach: ein zeithistorischer Hintergrund (junger Mann, der in der DDR aufgewachsen ist, sucht nach der Grenzöffnung seinen Vater in L.A.), in den das Roadmovie eingebettet war, dann sicher die Qualität, dass Goller mit Schauspielern eine Atomosphäre erzeugen kann und schließlich die Leinwandnachhaltigkeit eines Friedrich Mücke, die von mir aus gesehen zu wenig Beachtung gefunden hat.

„Eine ganz heiße Nummer“ nun ist weder ein Roadmovie, noch gibt es einen dedizierten zeitgeschichtlichen Hintergrund noch spielt ein Friedrich Mücke mit. Was also bleibt, das ist die Arbeit mit dem Ensemble, das erzeugt hier, vor allem weil überwiegend ein schönes zumindest angenehmes Bayerisch gesprochen wird, eine durchaus „heimelige“ Atmosphäre, wozu sicher auch die durchgehende Professionalität der Schauspieler beiträgt.

Bloß, wegen einer Atomosphäre allein dürfte noch niemand ins Kino zu bewegen sein. Bleibt also die Geschichte und die Figurenzeichnung. Da fangen für mich die Probleme an. Die Geschichte könnte auf den ersten Blick inspiriert sein von „Die Herbstzeitlosen“, einem beachtlichen Schweizer Kinoerfolg. Dort haben einige Frauen aus einem Provinznest als wirtschaftliche Überlebenschance nur noch den Aufbau eines Geschäftes zur Herstellung und Verkauf und Internetversand von Dessous gesehen. Eine pikante Sache in der kribbelnden Zone am Rande der Schlüpfrigkeit.

Hier wollen drei Frauen auf dem Lande (Gisela Schneeberger, Rosalie Thomass und Bettina Mittendorfer) ihr Lebensmittelgeschäft vor dem Ruin retten, indem sie eine Telefonsexline eröffnen – der erotische Reiz der Dessous fällt also schon mal weg. Auch die Struktur der Gruppe, hiermit komme ich auf die Figuren zu sprechen, scheint mir wenig durchdacht. Es wird nicht spürbar, dass diese Damen den Laden schon lange zusammen geführt haben. Es gibt keine klare Hierarchie. Wer in diesem Trio hätte sich besser für die zentrale Figur angeboten als Gisela Schneeberger! Dem ist aber nicht so. Schade, das hätte, wenn das Buch entsprechend geschrieben worden wäre, der Sache bestimmt einen ganz anderen Drive gegeben.

Die Struktur der Damen-Gruppe bleibt aber unklar. Die Figuren werden nach und nach mit ihren Beziehungen vorgestellt, die selbstverständlich alle freud- und glücklos sind. Die attraktive Thomass, die gerade wieder ein Techtelmechtel mit einem geilen Münchner Bock hat, der sie nach München holen will oder die vollkommen verhärmte Bettina Mittendorfer, mit einer widerborstigen Tochter und einem bis nach dem Tod geilen lustgreisen Vater. Überhaupt scheinen mir die Figuren undeutlich, wenig gearbeitet, so á la Handgelenk mal pi hingespielt.

Zum Beispiel Sigi Zimmerschied als Pfarrer. Der hat zwar ein Wahnsinnsgesicht, erinnert an Louis de Funès, aber unklar ist, warum er, nebst dem Banker als einzigem versucht, Hochdeutsch zu sprechen. Seine Pfarrerfigur ist so harmlos im Rahmen aller gängigen Klischees, dass sich deswegen garantiert kein Fernsehregisseur mehr erhängen wird, wie noch weiland in seinem Film „Schartl“. Entweder das Alter oder das Fernsehgeld machen blind, müde und unempfindlich. Schön fürs Fernsehgeld die Händchen falten, die Beichte abnehmen und dabei die Kollekte zählenl, über Gott und die Kirche bramabarsieren, die Kacke vom Hund Lump aufnehmen und in die Manteltasche stecken und nächtens begehrlich dem Liebesgestöhn von Lena lauschen, wie pikant.

Die Wirtin des Dorfes ist eine ganz Sehnige mit recht penetranter Stimme, voll gegen das Wirtinnen-Klischee besetzt: eine Wirtin als die Moralapostelin, merkwürdig. Und ihr Mann ist der Bürgermeister.

Mir scheint, das ganze Stück ist zu oberflächlich geschrieben, als ob wir tief im letzten Jahrhundert lebten, wo Sex noch ganz was Böses war, wo es noch keine Beate-Uhse-Läden gegeben hat. Es scheint mir ziemlich vorgestrig, das Stück. Das mag ein Grund sein, warum man mit den Figuren – und damit auch mit der Glaubwürdigkeit der Geschichte – ständig in die Bedrouille gerät.

Es gibt eine Probe des Kirchenchores; die singen so grottenfalsch, dass man einfach nur von billigster Daneben-Inszenierung sprechen kann, die zeigen will, wie dumm und ungebildet und unmusikalisch diese Frauen aus dem Bayerischen Wald sind. Oder aus der Nähe von Regensburg. Die Grenze der Lustigkeit überschritten.

Auch wie der Betrieb des Sex-Telefon-Geschäftes geschildert wird, das ist wenig witzig. Das lässt die Frauen als ziemlich doofe Hühner erscheinen, dass die mit Kopfhörer im geöffneten Laden Liebesgespräche führen und dabei Gestelle einräumen; und dann noch zu Dritt den Gockel machen und nicht bemerken wollen, wie die Dorfbewohner und Kundschaft dazu kommen so dumm werden Menschen gerade noch  im dümmsten  Bauerntheter dargestellt. Erwartbar und insofern wenig überraschend war, dass einer der Kunden der Banker sein wird und einer war dann sogar der Dekan.

Es gibt zugegeben doch einen kleinen wirtschaftlich-historischen Zusammenhang. Im ehemaligen Grenzgebiet ist die Glashüttenindustrie bedroht, die ganze Gegend steht damit am Rande des wirtschaftlichen Niedergangs. Es spielt dabei, der Faden ist sehr dünn gesponnen, die Beschaffung neuer Kirchenfenster eine Rolle, wer den Auftrag kriegt, das könnte einen Impuls für die bedrohte Industrie geben.

Richtig peinlich, dass der katholische Frauenbund Mediationsübungen machen muss mit dem bekannten Om und bescheidenen Witzchen dazu. Dann immer diese Melodien im Anklang an berühmte Roadmovies oder Gaunerstories, umso eklatanter, je mehr die Musik versucht großes Kino zu suggerieren und dabei den bayerischen Heimatabend dieses  Fernsehgebühren-Bescheidengeist-Vereins kreuzbieder  untermalt.

Die Einleitung ist viel zu lang, viel zu umständlich obwohl von sympathischer Atomosphäre, aber es dauert bis endlich die Kreditkündigung kommt, also der Hauptkonflikt ausbricht, und die drei Frauen am See sitzen und die Idee mit der Sex-Hotline haben, mit der sie viel Geld verdienen wollen. Und nachher geht’s so sonderbar leicht. So unverständlich wie dumm, dass sie die Flugblätter im Dorf verteilen; also da gehört eine gewisse Bescheuertheit dazu, die kennen doch die Männer im Dorf alle. Kaum glaubwürdig, dass diese Flugblätter soviel Kundschaft bringen, wie sie nachher Geld verdienen. Da die Gruppe der drei Frauen dramaturgisch nicht durchdacht ist, werden Nummern gerne zu talentierten Solonummern ohne weitere Wirkung.

Eine ZDF-Lauwarmsuppe auf bescheiden-schlüpfrigem Niveau, Zielpublikum: die über dem ZDF-Zuseher-Durchschnitt von 72 liegende, ältere gepflegte Damenschaft, die sich Sex durchaus noch vorstellen könnte, sich aber nicht traut, sich mit Pornobüchern und –filmen zum eigenen Vergnügen einzudecken.

Einkauf von Sex-Artikeln in der Stadt mit anschließender Polizeikontrolle, dies eine Szene, die an schüler- und anfängerhaftes Kino erinnert vom Denken her. „Los Vollgas, Polizei“,  „Die Polizei Dein Freund und Helfer“. Seichtgebiete, cineastische Seichtgebiete.

Zimmerschied, nachdem er Sexgestöhnt in der Gasse gehört hat, zum Hund: „Lumpi, über sowas ist der heilige Vater sehr traurig“ (da hätte Sigi Zimmerschied als jung sich sicher sehr aufgeregt, über eine so bescheidene Gägchen).

Dann gibt’s Gruppengags: wie die drei Frauen alle gleichzeitig die Sonnenbrille aufsetzen und andere schlecht koordinierte Dinge.

Wie sie dem Gekreuzigten eine Krawatte vor die Augen binden, damit er ihre Sexgespräche nicht hören kann. Armselig.

Wie der lustgreisgeile Alte reinplatzt.

Deckt Schlüpfrigkeitsbedarf massiv Verklemmter.

„Logisch bin I geil auf Di wie Nachbars Lumpi. Ich will dass Du mich richtig..

Hier ist Maja, wie die Biene, so heiß.

Zimmerschied zitiert Johannes 2/20 oder 2/17 (akustisch nicht richtig verstanden)

Wie ist das alles hausbacken. Andrea Sixt, die Autorin, scheint älter und ruhiger geworden zu sein, wer sich noch an „Workaholic“ erinnert.

Auch wie sie den Telefonsex lernen ist wenig schlüssig vorgeführt und mit null Witz. Kein Moment ist die Story anrührend.

Reine Fernsehsoße, garantiert nicht im Sinne des Auftrages des öffentlichen Rundunkes und der Verwendung seiner Gelder.

Dann noch die Diashow mit den Vorschlägen für die Kirchenfenster, der pseudokunstkritisch gemeinte Diskurs des Dekans. Witz komm heraus, wir stutzen dir die Flügel.

Bild: der Mob mit Fackeln aus Revolutionsdramen. Passt auch gar nicht mehr zu allem Vorangegangenen. Vielleicht wollten die sich der Bewegung „Empört Euch“ (gegen solche Fernsehware) anschließen.

 

 

Underwater Love – A Pink Musical

Leicht und beschwingt, belustigt, irgendwie sorglos und nicht mit dem Gefühl, jetzt große Interpretationsarbeit leisten zu müssen, groß einen Handlungsstrang zu rekonstruieren oder Hauptfiguren zu analysieren, auf Empathie hin zu untersuchen oder was auch immer einem speziell bei deutschen Filmen, aber längst nicht nur, einfällt. Die Unbeschwertheit des Filmes hat sich übertragen. Ich bin auch nicht gestresst von Überspannung oder bildlicher Überforderung. Oder dass ich mich mit Ambitionen bis Überambitionen nachwachsender Filmkünstler und Möchtegernfilmkünstler oder mit den hohen Ansprüchen von Altmeistern rumschlagen muss. Nein, das Menü hier wird wirklich leicht verdaulich serviert von Shinji Imaoka. Und die Gurken sind ja nur zum Anschauen da, nicht mal in die muss man hineinbeißen.

Die Kappas sind merkwürdige japanische Fabelwesen, die unter Wasser leben, eine Mulde auf dem Kopf haben, einen Schnabel, eine Gestensprache, die darin besteht, dass sie die Arme vom Körper weg schwingen und dann in der Vogelscheuchenstellung innehalten lassen und sie fordern die Menschen zum Sumo-Ringen heraus. Kappas sind Animationsfiguren in einem Realfilm. Der Film entlässt einen aus dem Kino mit einem Kappa im Kopf und beim nächsten Toilettengang erwischt man sich, wie man sich nicht wundern würde, wenn so ein Kappa plötzlich aus dem Wasser herausguckte und einen angrinste und einem zu verstehen gäbe, wie windig doch so eine menschliche Existenz sein könne, die immer wieder pinkeln müsse.

Kappas sind ganz unaufgeregte Wesen, so stellt sie der Film gleich zu Beginn vor: ein Kappa mitten in einem See riesiger grüner Blätter endlos lang an einer Gurke kauend. Das entsprechende Geräusch wird einem nicht vorenthalten. Ein grandioses Grün-Bild, voll philosophisch, volle Augenweide, reiner Stoizismus.

Asuka ist Arbeiterin in einer Fischfabrik am Meer. Sie ist kurz davor zu heiraten. Bei der Arbeit entdeckt sie einen Fisch, der noch lebt. Sie trägt ihn ins Meer zurück. Aus dem Meer taucht ein Kappa auf. Er isst den Fisch. Sie rennt zurück und erzählt den ungläubigen Kolleginnen, sie habe einen Kappa gesehen.

Wie sie nach Hause fährt mit ihrem Kleinwagen, da trampt doch tatsächlich ein Kappa. Sie nimmt ihn mit. Es ist ihr Freund Aoki, der vor 17 Jahren gestorben ist. Inzwischen ist er offenbar ein Kappa geworden. Sie nimmt ihn mit nach Hause. Er duscht sich. Da kommt Asukas Bräutigam. Sie will ihn abwimmeln. Dadurch wird Asuka nur geiler. Eine heiße Liebesszene folgt, ganz nackt die beiden. Der Kappa hält sich versteckt und wird nicht entdeckt. Asuka ist jetzt 35.

Am nächsten Tag stellt ihr Bräutigam, der auch ihr Chef ist, völlig unvermittelt den Kappa als neuen Mitarbeiter vor und teilt ihn Asuka zu.

Aber der Kappa kann bei Asuka nicht bleiben, denn sie will heiraten. Eine sexy Frau mit Minirock, minier geht nicht, verführt jetzt den Kappa in seiner ehemaligen Wohnung, die leer steht. Zuerst will die Frau Geld. Ein solches hat ein Kappa nicht. Also macht sies umsonst, zieht sich aus und dem Kappa sein Glied aus der Hose, das sehr dunkel ist und so als hätte es eine in die Höhe geschossene dreifach übereinandertegürmte Eichel. Sie bläst ihm einen. Japaner können manche Dinge wirklich sehr entspannt angehen.

Bei einer weiteren Begegnung zwischen dem Kappa, Asuka und ihrem Bräutigam kommt es zum Eklat aus Misstrauen des Bräutigams heraus. Das ist die Stelle mit der einzigen kleinen Schreierei im Film.

Der Komplikationen werden immer mehr. Bis auch der Teufel ins Spiel kommt, eine ganz merkwürdige Menschengestalt in einem Kleid wie ein mehrfarbiger Clown-Ringel-Strumpf. Die Lage spitzt sich immer mehr zu. Und wenn auch alles fast beschaulich langsam vor sich geht, so sind es doch am Ende eine ganze Menge Szenen, die noch zu referieren wären.

Zwischendrin wird die Spielhandlung immer wieder unterbrochen mit Songs, was heißt hier Song, es sind Lieder mit einem Thema, wie die alten Frauen, ein Hochzeitstanz zu einer hochzeitsmarschähnlichen Musik, oder fatalistisch: es bleibt wie es ist (die Tanz-Bewegungen dazu sind fast schon lasch zu nenen), der Kappa allein am Meer oder vom Vielfraß, der auch den Teller frisst oder ein Glücks- und Freudentaumeltanz. Dazu machen die Akteure unter Verzicht auf jede choreographische Anleitung oder Perfektion Bewegungen, die kaum mehr als lockernde Schüttel- und Schwingbewegungen sind und stellen sich auch frontal zur Kamera. Man könnte diesen Tanz unambitioniertes Gehupfe nennen. Ein unehrgeiziges Loslassen.

Vielleicht nimmt der Film seine Lässigkeit auch daher, dass er sich frei fühlt, sich vom japanischen Pink-Genre inspiriert zu fühlen, sich aber nicht gezwungen sieht, das auf Teufel kommt raus zu egalisieren, zu toppen oder zu perfektionieren. Insofern dürfte er das Genre genau verstanden haben.

Zwischendrin erzählt Asuka dem Kappa, was sie nach seinem Tod gemacht habe. Aha, man schlägt sich durch ist sein Kommentar. Sie war zehn Jahre in Tokio. Dann kam sie auf familiären Gründen zurück. Sie möchte Kinder.
Zur Arbeit in der Fabrik im Freien muss der Kappa eine Sonnenbrille tragen.
Asuka beim Spielen mit dem Wasserschlauch: ich wässere Deine Mulde.
Ständig sind irgendwo irgendwelche Gurken zu sehen.
Kussversuch zwischen Nutte und Kappa, nicht leicht wegen dem Schnabel.
Ein sehr übersichtlicher Film.
Die Analperle spielt im weiteren Verlauf des Filmes eine Rolle. Sie wird einem alten Kappa aus dem Leib gerissen und die große Kugel aus Gedärm soll sich Asuka in den Anus stecken.. (Der Filmverleih hat eine FSK-Freigabe ab 16 beantragt).
Später gibt’s auf die eingeschobene Kugel noch einen Totenfick mit dem toten Kappa, der daraufhin als Mensch wieder aufwacht und sich dann auflöst.

Am Schluss ist alles nur ein Traum, eine Phantasie gewesen und der Zuschauer ist glücklich, dass der Mensch ein so phantasiebegabtes Wesen ist und sich Zeit für seine Phantasien lassen kann.
Wir treffen uns irgendwo wieder.

Over Your Cities Grass Will Grow

Ein Film für Betrachter und Müßiggänger. Die werden den höchsten Genuss darin haben, Anselm Kiefer dabei zuzuschauen wie er mit der Hingabe eines kleinen Buben und ohne jedes intellektuelle Gehabe Säulenhallen aus der Erde buddelt, eine Turm- und Ruinenstadt baut wozu ihn die Bibel, Lilith, eine Frauenfigur („es wird ein Trümmerhaufen sein“) inspiriert hat und die zu Ruinen werden sollen, wie er Blei in Spalten eines Kunstwerkes gießt, wie er Zähne für ein Kunstwerk bemalt, die an die griechische Mythologie erinnern und aus denen Soldaten wachsen sollen oder wie er nur dasitzt mit der Fernbedienung eines Lastenkranes in der Hand und damit konzentriert ein flaches Schiffsmodell als Aufbau für ein Gemälde manövriert, wie er Teller zerdeppert oder Glasscheiben und sie dann in die Taschen der schönen, wie er findet M. steckt. Den Begriff hat er aus dem Hebräischen, und das meint das bewohnte Haus. Wie ihn die Zahlenspielereien der Kabbala faszinieren, wo es nur noch um Wortzahlen und keineswegs mehr um Inhalte geht. Wie er aber auch froh ist, seinen Bauplatz in Barjac im Süden Frankreichs, auf dem er eine halbe Ruinenstadt erschaffen hat, zu verlassen und in der Nähe von Paris eine neue Halle für sein Schaffen zu benutzen.

Die Dokumentation beschäftigt sich hauptsächlich mit der Ruinenstadt, die Anselm Kiefer in Barjac erschaffen hat. Es ist eine Führung durch diese Anlage, ohne allerdings einem genauen Plan zu folgen, ohne eine Orientierungsskizze, das dürfte auch kaum wichtig sein, so entgeht man dem Trieb zum Abhaken und kann sich wunderbar mitnehmen lassen und Sophie Phiennes, die Dokumentaristin ist sehr sensibel darin, einem genügend Zeit zu lassen, ohne dasss es jemals langweilig wird.

Schon bald stellte ich mir die Frage, worum es hier gehe, um Inszenierung von Ruinen oder um den Aufbau eines Anscheines von Gewordenheit. Mir kamen barocke Gartenlanlagen in den Sinn, bei denen Ruinen eingebaut worden sind, Follies, es gibt welche in Kassel Wilhelmshöhe. Das ist vielleicht für mich das überraschendste, diese Parallelität von Anselm Kiefer zum Barock. Er baut natürlich mit heutiger Technik, das ist also nicht halbfertiges Gemäuer, er arbeitet mit Beton und Betonfertigteilen und mit Betonunfertigteilen oder die als solche hergestellt worden sind. Er gießt eine ganze Mengen sieben Meter hoher Säulen aus Beton in die Erde, ohne Verschalung nur nach Aushub mit einer Bohrmaschine, baut über die Säulenenden eine Decke darüber und lässt dann, er hat mehrere Assistenten, Vincent, Bouleaem, Lior, das Erdreich drunter ausbaggern. Er versieht Wände mit Inschriften, die von einem früheren Leben innerhalb dieser Zeugen sollen, Texte von Ingeborg Bachmann oder „Tausend Blumen blühen“ oder er baut einen Bunker mit abstrakten Betten und dem Titel „die Frauen der Revolution“, über den Betten sind einzelne Namen angeschrieben. Die Kamera schaut sich in solchen Räumen in Ruhe um. Die Dokumentaristin legt mal eher tragische Musik drüber, dann aber auch Ligeti oder einfach nur Vogelgezwitscher.

Eine verzaubernde Zauberruinenstadt. Viele Dinge können Dekor sein oder Nebensächlichkeiten oder auch tiefere Bedeutung haben, das bleibt dem Betrachter überlassen.
Fiennes beobachtet Kiefer beim Pinseln oder beim Schaben, beim Material auf die Bildoberfläche werfen oder wie die Assistenten das mehrere Quadratmeter große Gemälde mit Baumstämmen drauf anheben und dagegen klopfen, so dass eine große Staubwolke entsteht und vieles von dem drauf geworfenen Material runterfällt (die arbeiten ohne Mundschutz). Die Ardèche, die ist voller Jäger. So heißt dieses Bild.

Schönes Bild: die kleinen giftig-grünen Bagger oder Transporter für Aushub und Abraum der Säulenhalle.

Die Assistenten müssen ihm auch helfen, die Schiffsmaquetten, les navettes, vor eine übergroßes Bild zu hieven, es muss waagrecht hängen.

Dann immer die Bücher. Die Bücherverbrennungen, besser die Bücheranbrennungen, einer hält ein Buchbündel mit einer Eisenstange in ein loderndes Feuer, nur kurz, dann nimmt er es raus und löscht das Feuer, ein angekokelter Haufen, nicht mehr als Papier oder Buch zu erkennen. Oder die überdimensionierte Form eines aufgeschlagenen Buches aus Hartmaterial, mit Blättern drin, was auch mit Kranhilfe vor ein Bild mit Meeressaum gehoben werden muss. Vorher müssen die Assistenten noch eine Seite aufschlagen. Aber dann scheint ihm das Buch zu groß. Er hat eine ganze Serienproduktion solcher Bücher bereitliegen; so ist denn bald ein kleineres gefunden: perfekt. Jetzt muss noch Säure drauf, dann ein Spritzer aus dem Wasserschlauch.

Es gibt Ansätze zu einem Interview mit einem Kunstkritiker, der möchte sehr gelehrt über das Licht und was das für eine Rolle spiele reden, und dass doch das der Grund gewesen sein, dass Kiefer deswegen hierhergekommen sei für dieses Projekt. Nein, meint Kiefer, jede Gegend habe ihr Licht und die Tunnels, da ginge es weniger ums Licht, als um dessen Aussperrung, darum haben die nur ganz kleine Lichtschächte.

Es gibt eine Szene, da steht Kiefer oben auf einem Erdabraum, hat ein leeres Becken hängen, die Assistenten kommen mit kochendem Blei, gießen es ins Becken und Kiefer gießt es aus und lässt es den Hügel runter laufen. Aber es fließt nicht, wie er es will, drum muss mit großen Brennern nachgeholfen werden. Ein wunderbarer Effekt. Später kommt eine kleinere, subtilere Gießszene mit dem Bild und den Spalten und den Zähnen drauf, da müssen die Spalten gefüllt werden und Kiefer ist glücklich wie ein kleines Kind, dass alles aufgefüllt wird, wobei er ständig dem Assistenten sagt, mehr oder genug.

Bohrungen mit großen Bohrern wie zum Bau der Spundwände großer Baustellen. Bei den Zähnen gibt es eine lustige Bemerkung über Hollywoodzähne. Solche will er natürlich nicht.
Scheiben zerdeppern.
Der Film ist definitiv nur was für philosophische Betrachter. (Oder auch für passionierte Baustellenbesucher, einfach zu sehen, wie Dinge getan werden, wie Dinge verändert werden oder sich verändern).
Bonjour Tristesse.
Kiefer zelebriert die kindliche Freiheit; die besteht aus großer Konzentration und Hingabe. Diese Freiheit und dass sie passiert, und auch dass sie durch diesen Film festgehalten wird, ist fast die Sache selbst. Er braucht keine Abgrenzungstexte, keine Großmachtexte, ihn interessiert die Sache.

Der Kritiker fragt, man ist jetzt bei der Ansammlung von Türmen, die er aus kleinen Betonvierecken aufbaut, garantiert nicht TÜV-proof, ein bisschen erinnert das auch an Saana, und der Kritiker fragt, ob er eventuell eine Material-Opposition liebe. Kiefer antwortet, das Paradadoxe, das interessiere ihn sehr. Aber man hat nicht den Eindruck, dass Kiefer sehr scharf darauf ist, über seine Dinge zu reden. Er will sie lieber machen. Er will sich auch gar nicht auf eine Auseinandersetzung mit dem Interviewer einlassen, dafür hat er er keine Energie. Er sagt, was in seinem Kopf vorgeht, ohne irgend einen Korrektur-Ton. Er zitiert nach der Lilith-Passage, erstens wie ergiebig doch die Bibel, aber auch die Mythologie sei, und dass eben aus jener Passage der Text stammt, „Das Gras werde wachsen über Eurer Stadt“.

Dann sucht die Kamera von innen einige Installationen von Kiefer in einem Gewächshaus ab, indem sie nicht auf die Dinge zu geht, sondern rundum schauend, sich ganz langsam zurückzieht.
Bücherverbrennungen, Bücherfeuertaufe.
Künstliche Ruinenlandschaft, eines der Gewächshäuser praktisch nur mit kaputten Betonelementen, wo überall die Eisenstäbe rausschauen, angefüllt. Früher gabe es noch Fertigtreppen aus Beton zu sehen, jetzt im Gewächshaus scheinen sie schon ewig zu liegen.
Ligeti-Musik wie Heuschrecken-Musik.

Die Schechina: Einwohung oder Wohnstatt Gottes: weißkapuzige Jacken, die Taschen mit Glasscherben gefüllt.

Hotel Lux

Zwei Stand-up-Comedians im Berlin um 1938, die mit einer Hitler- und eine Stalinparodie Furore machten, müssen aus Deutschland fliehen. Sie landen beide in Moskau im Hotel Lux, in dem sich viele Flüchtlinge zusammenfinden, die aber dort vor Säuberungen auch nicht sicher sind. So gelingt den beiden Parodisten in ihren Parade-Parodie-Rollen die Flucht aus Russland mit Hilfe einer Pilotin, die auch in diesem Hotel war.

Das wäre Stoff für einen aberwitzigen Studentenkurzfilm, der vermutlich gerade aus dem Mangel an Geld mit Witz und Humor (bissig bis schwarz) und Esprit auf die Leinwand gedonnert werden könnte. Leider wird der Kurzfilmstoff bei Leander Haußmann, der zu allem Unglück zusammen mit Uwe Timm auch noch das Buch geschrieben hat, auf 110 millionenteure Filmminuten ausgewalzt und weil das zur Austreibung allfälliger Substanz noch nicht reichte, in einer unsäglichen formalingetränkten Orchestersuppe ertränkt. Da konnte der vortreffliche Schnittmeister Hansjörg Weißbrich beim besten Willen gerade noch den äußeren Anschein eines Spielfilmes zusammencutten.

Witz und Humor und Esprit glänzen hier mit fast vollkommener Abwesenheit oder sind reduziert auf die Leander Haußman vielleicht entgegenkommende Atmosphäre eines McDonald-Kindergeburtstages, werden auf Witzchen und Sprüchlein geschrumpft. Alles schön familiär.

A propos familiär, das ist das Stichwort zum Cast. Ein merkwürdig theatralischer, eindimensionaler Cast. Es gibt hier zwei Ausnahmefiguren, die für mich internationales Kinoformat durchblicken lassen. Es ist der Darsteller des Stalin, Valery Grishko, schwerer Held, und der Darsteller des Parodisten Hans Zeisig, Michael Bully Herbig. Der kommt sehr persönlich rüber, wenn ihm auch unglücklicherweise viel zu viele geistarme Kicherwitzchen als Dialog verordnet worden sind. Er bringt das trotzdem mit angenehmer Stimme und Noblesse. Aber um ihn rum, so scheint es mir, läuft der vollkommen falsche Film ab. Wenn ich ihn sehe, denke ich an eine grandiose Beziehungs- oder Abenteuerkomödie und Bully vielleicht den Entwicklungen immer einen Schritt hinterher, weil er auch was Verträumtes hat. Aber nie das perfekt Hingeklotzte eines Jürgen Vogel, der den Hitlerparodisten hölzern zimmert. Bully hat Charme. Insofern ist er ein Fremdkörper in einem so besetzten deutschen Film. Bully ist geschmeidig. Und vermutlich hat Bully auch eine sehr ernsthafte Arbeitshaltung an den Tag gelegt, zurecht beeindruckt von den (Theater)Regiefähgikeiten eines Leander Haußmann und eingedenk dessen, dass er nicht von einer dieser Schauspielschulen kommt. Da kommt was raus. Ein bisschen hat Haußmann ja auch Sprachregie mit allen geführt, aber auf einer sehr technischen Ebene, was nicht reicht, die Figuren attraktiv zu machen oder Tiefe oder Mehrschichtigkeit erahnen zu lassen.

Warum ich diesem Film kein langes Erdenleben prophezeie, das ist einmal mehr hauptsächlich das Buch. Das ist eine einigermaßen chronologische Aneinanderreihung von Szenen, die den Gesamtsachverhalt oder den Themenkomplex Hotel Lux unterm hervorgehobenen Aspekt von Zeisig und Meyer (Vogel) illustrieren sollen. Ein Buch, was keine Ahnung zu haben scheint von Konflikten, die eine dramatische Handlung vorwärtstreiben und den Geist des Zuschauers bannen können. Ein Buch, was die Rezeptionstechnik des Kino-Zuschauers zu ignorieren scheint.

Was dem Film zusätzlich einen Hauch von Blässe gibt, das sind die Parodienummern aus dem Berlin der 30er Jahre. Das können heutige Darsteller schlicht nicht mehr. Sie haben nicht die Technik und auch nicht die Erfahrung der damaligen Stand-Up-Comedians. Das hätte vielleicht reflektiert werden müssen.

Man könnte auch sagen: ein Film voller Diskrepanzen.
Diskrezpanz zwischen Thema und der vollbusigen Musiksauce.
Diskrepanz zwischen finanziellem Aufwand und bescheidenem geistigem Ertrag.
Diskrepanz zwischen Stand-up der 30er und den heutigen Darstellern.
Dirskrepanz zwischen Inhalt (für einen Kurzfilmsketch geeignet) und der breiten Auswalzung auf fast zwei Stunden mit hohem, auch öffentlichem, Millionenbudget.
Diskrepanz zwischen Stil von Haußmann und dem Ernst des Themenkomplexes. Haußmann verniedlicht, vernettet, ohne dieses zu kennzeichnen.
Diskrepanz zwischen Anspruch und Bedürfnis des Familiären von Haußmann und einem teuren Ad-Hoc-Cast, der zu keinem Ensemble zusammenwachsen kann. Im Ensemble-Fall könnte es sogar funktionieren, ein Hinweis darauf wäre die „Sonnenallee“.
Diskrepanz zwischen durchaus einzelnen schönen Bildern, die aber keinen Spannungs-Zusammenhang ergeben wollen.
Überdimensionierung kleiner Gags: wenn Bully, der mit dem Astrologen Hitlers verwechselt wird und auf den Stalin scharf ist, zur Privataudienz bei Stalin das Haus betritt und dem Diener die Hand reichen will und der streckt ihm statt dessen Pantoffeln entgegen. Das ist ein billiger Operettengag. Oder Schülertheater. Nichts dagegen, aber müssen dafür Millionen Gebühren und Steuegelder ausgegeben werden?

Poliezei

Die Polizei, das heißt auf Französisch: la police und wird mit einem kurzen „o“ und einem langen „i“ wie „ie“ gesprochen. Der französische Original-Titel des Filmes lautet nun aber nicht „police“ sondern „polisse“, also mit kurzem „o“ und kurzem „i“ und einem harten „s“ wie beim deutschen „Schmiss“. Der deutsche Titel lautet nun also auch nicht „Polizei“, sondern „Poliezei“, also mit kurzem „o“ und langem „i“ wie bei „Liebe“, ergibt aber aus meinem Worterfahrungshorizont absolut keine Assoziation zum Begriff „Polizei“, sondern nur die Idee, dass es schlicht falsch geschrieben ist und dass es Probleme mit den Rechtschreibprogrammen gibt. Auf Französisch ergeht es mir nicht anders. „Polisse“ reimt sich vielleicht schwach auf „Clarisse“, einen Frauennamen (eine solche spielt aber laut Besetzungblatt nicht mit), garantiert aber nicht auf „Paris“, weil da das „i“ lang ist und auch nur ein „s“ am Ende (das außerdem gar nicht ausgesprochen wird), obwohl der Film sogar in Paris spielt. Und innerhalb vom Film ist mir auch keinerlei Hinweis aufgefallen, was es damit auf sich haben könnte. Kuddelmuddel von Anfang an, schon vom Titel ausgehend. Signal vielleicht, dass man es hier wirklich mit Ungereimtem, Unverständlichem zu tun bekommen wird.

Und so ist es denn auch. Irgendwo auch verständlich, denn die Filmemacherin Maiwenn Le Besco, die Schauspielerin ist, will ein außerordentlich delikates Thema behandeln: Pädophilie. Genauer gesagt: die Pädophilie aus den Augen der ermittelnden Polizei, und nicht etwa eines einzigen Polizisten, weil das nämlich für einen zuviel werden könnte, sondern gleich aus den Augen einer ganzen Ermittlermannschaft in einem Dezernat in Paris, einer Mannschaft, die spielend das Dschungelcamp von RTL herausfordern könnte. Wenn man kurz vorher den sensiblen iranischen Film „Wind und Nebel“ von Mohammed Ali Talebi gesehen hat, wo es allerdings um eine andere Traumatisierung ging, ja, richtig, andere Baustelle, aber eben auch sehr sensibel und ohne jedes falsche Pathos, so kann ich hier nur den Kopf schütteln. Und ihn noch mehr schütteln über die Begeisterung, die der Film in Cannes ausgelöst haben soll. Vielleicht ist es die pure Hilflosigkeit dem Thema gegenüber, die sich in einem bewusst groben Zugang äußert.

Pädophilie ist ein heikles Thema, heikler gehts nimmer, erst recht wenn es in der Familie passiert oder mit Erziehungsberchtigten und da passiert sie auch am meisten. Zu verstehen ist auch, dass jemand, der darüber einen Film machen möchte, peinlich versucht sein wird, kein falsches Pathos, keine Opfertümelei, keine schmierige Lügerei, keine mitleidtriefende Sauce aufkommen zu lassen und von Anfang an versucht dem gegenzusteuern. Das dürfte einer der Gründe gewesen sein, gleich ein ganzes Kommissariat auf die Pädophilie loszulassen. Ein Kommissariat, was noch dazu eine richtige Mannschaft bilden, ein Team, das sich auch freie Zeiten teilt. Mit Teamgeist gegen Pädophilie. Und das selbst, das ist sicher auch richtig gedacht, ein großes Problem hat, ein seelisches, die Dinge, die sie zu hören kriegt, zu verdauen. Das Mittel, das Maiwenn Le Besco, die selber noch dazu mitspielt, nämlich eine Fotografin, die das Team über ein gewisse Zeit begleiten soll und die dann auch noch eine Affäre anfängt, als ob sie mit Buch und Regie nicht ausgelastet genug wäre, also das Mittel, wofür sie sich entscheidet, mit der Delikatesse und der Unerträglichkeit der kinderschänderischen Verbrechen umzugehen ist das: sie lässt die Mannschaft, in einigen Fällen sogar beim Verhör, vor allem aber, wenn sie unter sich sind, eine Schrill-Chose abspielen, als wollten sie das, was dem Menschen schwer fällt, wahr zu haben, übertönen. Abwehrzauber.

Die Schauspieler überagieren also dauernd, sie sind ständig aufgekratzt, so schlimm habe ich es bei einem einmaligen Blick ins RTL-Dschungelcamp gesehen, sie schreien, sie geraten schnell aneinander, sie schrauben sich in Gefühlshöhen oder dann lässt die Regisseurin einen schwarzen Jungen minutenlang schreien. Mithin erweckt sie den Eindruck, als ob sie ihr Publikum einfach nur nerven möchte mit Verdrängungsaktivitäten. Nerven mit dem, was die Gesellschaft verdrängt.

Viele Szenen scheinen improvisiert, soll Lebensnähe wie bei einer Doku-Soaps erwecken, alle sprechen durcheinander und die Kamera scheint immer erst als letzte dazu gekommen zu sein und ist oft nicht da, wo es interssant wäre. Vielleicht hat die Regisseurin das einem Produzenten oder einem Redakteur so glaubwürdig als kunstvoll verklickert.

Der Film fängt mit einer schwierigen Verhörsituation an, ein ganz kleines Mädchen, das gerade sprechen kann, wird von zwei Polizeibeamtinnen befragt, was der Papa denn so alles gemacht habe, wenn er sie gestreichelt hat, ob über oder unter dem Pyjama, was sie unter Po verstehe, ob im Liegen oder im Stehen, ob im Schlafzimmer im Bett oder wo sonst.

Kein Frage, es ist ein riesiger Themenkomplex und es scheint, als wolle die Macherin noch dazu einen Katalog aller möglichen Verbrechen an Kindern vorführen, Sex mit den eigenen Kindern, der Lehrer und der Bub auf dem Clo (dem Buben hats gefallen), die Rumänen, die die Kinder auf den Strich schicken, das Mädchen, das sich selber im Internet anbietet. Wobei die Kinder sonderbarerweise überhaupt nicht verstört wirken. Was solche, die es wirklich erleben, eben doch sind. Aber da ist nicht auf Realismus geachtet worden. Es ging nicht um glaubwürdige Darstellung, das ist sie in keinem Moment. Es geht darum, Lärm um das Thema zu machen, eher ein Appellativfilm, ein knalliges Plakat.

Aus den Notizen.
Die plappern und plappern und plappern, als ob sie das Thema verdrängen wollen.
Aufgesetztes Schauspielergetue. Wackelkamera, unvorbereitete Kamera soll Echtheit suggerieren. Echtheit im falschen Getue.
Inszenierung wie die Privatsender, die einen auf Sensationshascherei machen.
Das hält kein Mensch 127 Minuten aus (oder es richtet sich an ein privatsendersensationskonditioniertes Publikum).
Vollkommen überrissene Figuren.
Der Ton immer mehr als nur eine Idee zu laut, will sagen: ja nicht hinhören.

Die Fotografin muss auf Geheiss eines Kollegen die Haare aufmachen „Mach die Haare auf, es reicht mit dem Oma-Look“ – wenn man hinterher liest, dass die Schauspielerin selbst das geschrieben und inszeniert hat, so ist das nur allerpeinlichste Selbst-Schmalz-Darstellung. Eitelkeit, die sich noch auf dem Rücken der Pädophilie darstellen will zu interpretieren.

Die Gauditruppe von der Kindersitte.
Die Pizza-Trüffel-Schweine von der Sitte, halt nein, sie essen Trüffel-Pizza.
Einen Bösen hat die Autorin auch eingebaut, reinstes, billigstes Klischee, Herr Bouchard, der das erstarrte, korrupte Establishment vertritt und in einem besonders krassen Fall schützend die Hand über den Angeklagten hält.
Klein Oussmanns Geschrei, wie sie ihm die Mutter wegnehmen.
Faublaise, heißt der Pädophile, der Beziehungen bis hoch hinauf hat.
Oh Schreck, und eine Totgeburt nach einer Vergewaltigung muss auch noch vorkommen in diesem Kinderpornokuriositätenkabinett.
Gleichzeitig will die Regisseurin sich noch gut darstellen. Als Schauspieler hat sie ein Team von wie es scheint Fernsehseriendarstellern gecastet, eine Art Chaostruppe, die sie wahrscheinlich alle bewundern und ihr den Hof machen, denn sie ist ja die Regisseurin, hat also Macht, und die alles mit sich machen lassen und vor lauter Teamgaudi vergessen haben, dass es um ein ernstes Thema geht. Das wird in Cannes als Kunst interpretiert.
Geburtstagsfeier und dräuende Musik drüber.
Schießübungen.
Disco darf nicht fehlen, bringt einen Schuss gutbürgerlicher Mitte in das Abseits-Thema.
Das dürfte der Miss-Schnitt des Jahres werden: wie die Polizistin mit der Kühlbox mit der Totgeburt drin durch einen Spitalflur geht und dann blendet die Regisseurin von der Kühlbox mit der Totgeburt drin auf einen Kindergeburtstagskuchen mit wenigen Kerzlein, die gleich ausgepustet werden.

Eine Gaudi-Liebesfahrt mit Polizeisirene darf in diesem Schema nicht fehlen Melissa, so heißt die Fotografin, mit ihrem Maghrebien. Peinliche Schauspielerinnenträume sind das, die nun gar nichts mit dem Thema zu tun haben. Klar, sie möchte zeigen, dass auch die Polizisten nur Menchen sind, als ob wir das nicht wüssten und die brauchen nebst der Kinderpornographie den Raum für die eigene Liebe und das Liebesabenteuer.
Schreiszene im Kommissariat, die sind auch immer in großen Mengen da, diese Kommissare, wie eine Kommissarin einen Muslim anschreit, der sein Kind zwangsverheiraten wollte, lange vor der Volljährigkeit, dass nichts davon im Koran stehe. Sehr expressive, sehr engagierte Auftritte sind das, die gelegentlich im Einzelnen durchaus Qualitäten entwickeln.
Äztende Selbstdarstellung der Regisseurin.
Dann noch der Versuch der Gefangennahmne bei einem Kinderhandel in einem Shopping-Center, das muss groß gezeigt werden, Action mit viel, viel Geschrei und Zeter und Mordio und einem verletzten Polizisten.

Nun, die Filmemacherin hätte noch Stunden und Jahre so weiter drehen können, ich glaube Schneiden und Montage ist das Ihrige nicht, sowenig wie Schreiben und Inszenieren.
Der Film scheint mir, nicht nur wegen seiner Länge von 127 Minuten, auch wegen der Machart nicht mal geeignet für Themenveranstaltungen, was man sonst bei ähnlichen Filmen mit schwierigen Themen zur ihrer Rettung immer noch vorbringen kann. Cannes bestimmt nur dank geeigneter Drähte.
Dann noch der malerische Fenstersturz einer Kommissarin während der vom Sportlehrer geliebte Bube die Trophäe in einem Wettbewerb entgegennehmen darf.

Die Wahrheit der Lüge

Ein Mann hält sich zwei Frauen, angekettet in einem tiefen Keller. Er treibt perfide Psychsospielchen mit ihnen, quält und foltert sie, doch der Lebenswille der Frauen will einfach nicht zerbrechen. Vielleicht liegt das daran, dass der Mann den Frauen mitgeteilt hat, wann er sie wieder freilassen wird, so haben sie stets ein Fünklein Hoffnung vor Augen. Der Mann kommt in die Bredouille, denn sein unbedingtes Ziel ist es, die beiden Frauen innerhalb der gesetzten Zeit „zum Gipfel“ zu führen.

Diese Ausgangssituation eröffnet Die Wahrheit der Lüge, den neuen Film von Roland Reber. Wie in seinen bisherigen Filmen schart Reber das Kernteam seiner wtp-Filmproduktion um sich; inszeniert ohne Filmförderung, ohne große Kosten oder anderes Tamtam, minimalistisch. Mit jeder Menge Herzblut aller Beteiligten und dem, was drumherum noch nötig ist, nicht mehr.

Einzig technisch hat wtp massiv aufgerüstet seit der letzten Produktion: Gedreht wurde auf einer Arri Alexa, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dramaturgisch – leider kann mehr über die Filmhandlung nicht erzählt werden, ohne den Filmgenuss stark zu beeinträchtigen – hat sich Roland Reber stark dem Mainstreamkino angenähert: Die Handlung ist stringent und sinnfällig, alle Entscheidungen und Konsequenzen sind jederzeit logisch nachvollziehbar, es gibt Twists und Wendungen sowie überraschende Enthüllungen, die das Erlebte rückwirkend in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dies kommt dem Film sehr zu Gute, denn auf diese Weise ist er einem weit breiteren Publikum zugänglich als die bisherigen, doch sehr theateresken, eher kopflastigen Filme von Reber.

Nichtsdestoweniger kommt das Grübelzentrum im Gehirn bei diesem Film noch lange nicht zu kurz. Was für Saw, Cube und anderen Gefangenschafts-Horrorstreifen die Frage nach dem Wie, ist für Die Wahrheit der Lüge die Frage nach dem Warum. Klug und gekonnt überlässt es Roland Reber dem Zuschauer selbst, sich seine Meinung zu bilden. Zum Ende des Films wird kein Faktum unbekannt sein, doch die Frage nach dem Warum wird den Zuschauer noch eine ganze Weile umtreiben. Menschliche Abgründe auszuleuchten, ist eine der großen Fähigkeiten von Roland Reber, er hat nur seinen Stil etwas geändert.

Bei der Besetzung trifft der Zuschauer auf alte Bekannte: Marina Anna Eich spielt eine der Entführten, Antje Nikola Mönning eine Partnerin des Entführers. Dieser wird von Christoph Baumann gespielt, den man mittlerweile getrost als Hausdarsteller für wtp ansehen darf. Julia Jaschke ist ein Neuzugang im wtp-Universum, sie spielt die zweite Entführte. Weitere Rollen kommen nur am fernen Rande vor und sind weitgehend unwichtig für den Handlungsfortgang.

Die Dreiecksbeziehung zwischen den Entführten und dem Entführer ist das Fundament, auf dem der Film ruht. Die Beziehung des Entführers zu seiner Geschäftspartnerin ist der Hebel, der dieses Fundament jederzeit aushebeln kann. Diese Drei-plus-Eins-Konstellation erlaubt es, alle möglichen Beziehungsvarianten der klassischen Dreierbeziehung um eine ganze Dimension zu erweitern und damit exponentiell zu verkomplizieren. Ein geschickter dramaturgischer Schachzug, denn so kann alles, was eben noch in Stein gemeißelt schien, jederzeit in sich zusammenfallen. Ein faszinierendes Spiel der längeren Hebel.

Marina Anna Eich und Julia Jaschke leben die Verzweiflung der angeketteten Entführten absolut überzeugend aus, besonders sei hier hervorgehoben, dass die beiden stark unterschiedliche Figuren darstellen, die sich auch unter zunehmendem Stress entsprechend unterschiedlich entwickeln. Antje Nikola Mönning bringt mit ihrer kühlen Unnahbarkeit den Entführer ziemlich ins Schwitzen, was Christoph Baumann in seiner Rolle auch gekonnt vermittelt. Er sitzt schauspielerisch zwischen den Stühlen: Nach unten muss er der gnadenlose Machthaber sein, nach oben sieht die Sache schon anders aus. Schauspielerisch muss man hier allen Beteiligten absoluten Respekt zollen.

Kamera, Licht und Ton sind absolut zielsicher geführt, gesetzt und aufgezeichnet; gerade die subtile Tongestaltung im Verlies als zentrales Element der psychologischen Kriegsführung wird über den Verlauf des Films hinweg immer stärker offenbar. Besonders auffallend bei der Bildgestaltung ist, dass hier mit einer Zahl von Fahrten gearbeitet wurde, was dem Film im Vergleich zu seinen Vorgängern eine ganz neue Dynamik gibt.

Die Musik ist feinfühlig für den Film komponiert und wartet mit einigen ebenfalls extra für den Film geschriebenen Liedern auf, die das Erlebnis im Kino nicht nur abrunden, sondern ihm auch eine gewisse Aura verleihen. Die Musik bietet zwar nicht klassische Themes wie bei Jaws oder Indiana Jones (was in diesem Film auch absolut fehl am Platze wäre), ist aber deutlich auffälliger, stärker im Vordergrund befindlich, mitreißender als diese Landplage der nichtssagenden, sich emotional vor sich hin windenden Keyboardbegleitungen ohne rechte Melodie so vieler deutscher Produktionen.

Auch das Restliche ist mit großer Liebe und vor allem höchster Professionalität gestaltet. Im Grunde handelt es sich bei Die Wahrheit der Lüge um einen Psychothriller, wie er auch mit sieben- bis achtstelligem Produktionskosten entsprechend aufwendiger hätte gedreht werden können. Man merkt dem Film die Theater-Vergangenheit von Roland Reber zwar noch immer deutlich an, doch diesmal muss man bei der Einordnung in Genres eindeutig das Attribut „experimentell“ weglassen. wtp ist im großen Kino angekommen.

Der Film (98 Min) läuft auf den Hofer Filmtagen 2011 und wird April 2012 ins Kino kommen.

[offizielle Webseite]

Contagion

Was ist ein Katastrophen-, ein Epidemiefilm ohne Humor? Das ist wenn Steven Soderbergh ein Buch von Scott Z. Burns verfilmt, das von einem Virus handelt das eine Fledermaus in einem Schweinestall auf ein junges Schwein fallen lässt, das dann der Metzger in die Hand bekommt und an seinem Kleid abwischt und dann, da muss der Zuschauer vielleicht selbst noch zwei drei Zwischenstationen erfinden, einer blonden Amerikanerin die Hand drückt und das vor laufender Kamera und dann geht die nachrichtenähnliche Zählung los: Tag 1, Tag 2, Tag 3, Chikago, London, Tokio, Kairo, Frankfurt und immer die Einwohnerzahlen dabei und jeden Tag wird mehr Menschen in mehr Städten übel und sie husten und brechen zusammen und dann sterben sie und es beginnt eine große Hektik bei den Gesundheitsbehörden und den Medien und den Forschungsinstituten, und es muss recherchiert werden, wer wem die Hand geschüttelt hat, wer mit wem Kontakt gehabt hat und ein paar Schicksale werden über die ganze der Dauer der Epidemie, das sind etwa 138 Tage, verfolgt.

Steven Soderbergh hat das alles superflott und erstklassig im Stile einer unterhaltenden Nachrichten-Magazin-Sendung inszeniert und hat mit der Fortdauer der Epidemie ein paar Längen eingebaut, so dass die Leute im Publikum das Husten anfangen und der Rest glaubt dann, die sind auch schon infiziert. Die Humorfreiheit dürfte für die Verbreitung dieses Epidemiefilms und damit Generierung von Gewinn das Hauptdefizit sein sowie natürlich der Versuch der ehrenwerten fachlich-sachlichen Objektivität, des Vorgaukelns von Systematik der Berichterstattung. Das bietet nicht so richtig einen Unterhaltungswert. Fürs Bildungskino dagegen ist es wiederum zu impressionistisch.

Ob sich das Publikum für diese Art informativen leicht-verdaulichen Seminars zur Verbreitung von Seuchen auf unserem Planeten im Kino erwärmen lässt, das wird sich weisen. Ich bin da eher skeptisch. Kommt noch dazu, dass das Thema Seuchen zur Zeit ein Aschenputteldasein fristet vor lauter Weltfinanzproblemen, die einfach viel gefährlicher und unberechenbarer erscheinen. Um dem Seuchenfilm aus diesem Aschenputteldasein herauszuhelfen ist das Soderberghwerk zu bieder, zu brav, zu seriös, zu sehr dem Realistischen verhaftet. Das jedoch kennt man zur Genüge, auch wenn es hier leicht konsumierbar ausgewählt und aneinandergefügt worden ist.

Urban Explorer

Deutsches Genrekino pur!

Aber bitte jetzt nicht lachen, denn wer darunter „Hell“ versteht, wie dort manche Kritiker gejubelt haben, der kann hier lernen, was Genre ist, was Genrefreude sein kann. Allerdings ist das gewiss nichts für schwache Nerven.

Andy Fetcher, der Regisseur hält sich nicht lange auf beim Titel und der Exposition. Sein Buchautor heißt Martin Thau.

Ein Amerikaner, der in Freiburg studiert hat, und seine Freundin aus Venezuela, eine Koreanerin und eine Französin, treffen sich an einem Nicht-Ort in den Outskirts von Berlin in der Nähe einer Disco. Blind-Date insofern, als sie sich für eine „Urban Explorer“-Tour in den Untergrund von Berlin übers Internet angemeldet haben.

In kurzen Texten wird das umrissen und die Erwartungshaltung exponiert. Dann trifft Max Riemelt ein, der Fremdenführer. Ein kurzes Gespräch zwischen der Koreanerin und der Französin wirft gleich schon einen leicht makabren Hauch in die ansonsten noch vollkommen normale Geschichte. Sie sprechen vom Boyfriend der Koreanerin. Die Französin glaubt was von Selbstmord gehört zu haben und die Koreanerin antworte, das hoffe sie doch (wie gut, dass keine Fernsehredaktion und kein Filmfördergremium die Finger in dieses frei finanzierte Projekt stecken konnten!).

So viel kann jedenfalls verraten werden, dass es bei den Teilnehmern, die diese abenteuerliche Tour gebucht haben – sie alle wollen etwas Ungewöhnliches erleben, und das werden sie auch! – einen gewissen Personalverlust zu verzeichnen geben wird.

Der Einstieg verläuft auf gewohnten Pfaden heutiger junger Leute, nämlich über eine Disco, in der gerade Hochbetrieb herrscht. Durch eine Hintertür geht’s in einen Keller runter. Bis dahin ist klar, dass sie etwas Ungewöhliches erleben wollen; hier wird auch der Plan der Expedition erläutert, dass sie nämlich zum Fahrerbunker vorstoßen wollen, den noch keiner von innen gesehen habe und dass es dort noch Fresken aus der Nazizeit geben soll und andere Vermächtnisse des Fahrers vom Führer, daher Fahrerbunker.

Bis zu diesem Bunker verläuft die Reise glatt, leicht skurril sogar, als ob es sich um ein Kunst-Happening handle; etwaige Zweifel an der Sicherheit räumt der Reiseleiter aus, indem er sagt, er mache das schon über ein Jahr, er kenne sich aus, er sei schon etwa zehn Mal unten gewesen.

In dieser ersten Phase kommen vor: Fledermäuse, Zeichnungen aus Phosphor, zwei Typen mit Kampfhund, Patronenhülsen, eine noch angeschriebene DDR-Grenze, ein Schulungsraum, wos Kaffee gibt, in Fischerhosen müssen sie das Wasser eines Kanals durchwaten, sie erfahren etwas über ein gigantisches Forschungsprojekt der Nazis namens Odin, das hier 25 Meter unter der Erde im Verborgenen betrieben worden sei. Das wird mit schneller Kamera und in gutem Rhythmus mit geschickt eingelegten kleinen Verschnaufpausen zur Orientierung und Standortbestimmung erzählt. Es erweckt den Eindruck einer Art Kleinkunst- Performacne-Installation. Alles ganz harmlos. Bald gelangen sie zum ominösen Fahrerbunker, die Fresken oder Graffitis sind relativ gut erhalten, schneidiger Nazizschund.

Bis hierher waren wir Zeuge eines modernes Events mit recht durchsichtigem Gruselcharakter. Allerdings würde ich ab hier, ab dem Moment, wo sie wieder zurückkehren wollen, Menschen mit schwachen Nerven eher raten, das Kino zu verlassen oder Ohren und Augen bis zum Ende des Filmes zu schließen. Bis hierher – und das wird sich fortsetzen – war auch das Gefühl des Eingesperrtsein gut vermittelt, also für Klaustrophobe schon bisher eine gewisse Herausforderung. Aber ab jetzt, da geht’s Schlag auf Schlag. Es passieren Dinge, die diejenigen, die überleben werden, garantiert nicht vergessen werden, die sie garantiert verändern werden – und die sie nicht überleben werden, die werden das Gesehene und Erlittene als ihr Geheimnis mit ins Gab nehmen.

Noch grauslicher wird’s, wenn man sich dabei vorstellt, dass vielleicht gerade im gleichen Moment die Bundeskanzlerin 30 Meter über uns den Papst empfängt. Denn wir sind tief in den Berliner Untergrund geraten, in ein Underground-Movie, welches uns schockierende Einblicke gewährt in abscheuliche Parallelwelten.

Das Horrorschocker-Genre, vermutlich speziell für Fans des Genres. Meine Einschätzung ist die, dass dieser Film vor allem auf dem DVD-Markt gute Chancen haben dürfte. Die heutigen Kinos scheinen mir für so einen „dreckigen“ Film fast zu sauber.

Cirkus Columbia

Der Jugoslawien-Krieg war mir immer fremd. Vielleicht verändert so ein Krieg noch mehr die kulturellen Unterschiede, die Sprache des Filmes. Allein schon die Begeisterung für nackte männliche Oberkörper. Männerkultur. Körperkultur. Es gibt in diesem Film so viele davon, so offensichtlich sich ihrer Kräfte und auch ihrer Schönheit Bewusste. Oder dann nur mit einem Unterhemd bekleidet. Ich meine, das läuft so nebenher. Und ist nicht unschön. Es ist ständig präsent. Dann die körperliche Energie generell. Martin ist nun vielleicht nicht der Protagonist, aber mindestens dessen Sohn. Ein junger Mann, der gerade einen Job in einer Tankstelle gefunden hat. Er ist begeisterter Amateurfunker. Er träumt von einem Kontakt nach Amerika. Der titelgebende Zirkus, resp. sein Kettenkarrusell spielt nur am Anfang kurz eine Rolle und dann am Schluss.

Wir sind im Jahre 1991. Die Mauer sei falsch rum gefallen, wird an einer Stelle moniert. Auch das vielleicht eine Balkanansicht. Die ersten Explosionen vom Krieg sind zu sehen. Riesige Rauchwolken, die in der kleinen Ortschaft in Herzegowina sich explosionsartig ausbreiten. Da hat unser Protagonist, Divko Buntic, sich schon zu seiner Noch-Gattin aufs Kettenkarrusell gehockt. Sie hatte er vor vielen Jahren schnöd mit dem Buben sitzen lassen. Sie konnte zwar in dem Haus wohnen, musste keine Miete bezahlen. Aber er hat nicht ein Mal was von sich hören lassen. Er war abgehauen nach Deutschland. Mit einem dicken Mercedes mit Münchner Kennzeichen kehrt er nun mit einer deutlich jüngeren Frau zurück. Er hängt den reichen Macker raus. Ihm gehört die Welt. Denn er hat Geld. Und immer noch Beziehungen. Ein Besuch beim Bürgermeister genügt, und der rückt mit eine Kohorte von Polizisten an, um das Haus mit der Frau, von der er noch nicht geschieden ist, und dem Sohn räumen zu lassen. Nullkommaplötzlich. Dann darf die junge Geliebte einziehen. Das Heiligste ist dem Divko seine Katze Bonny. Denn die hatte ihm einst Glück gebracht. Sie ist entlaufen– und zwar durch das offene Dachfenster, das der Sohn Martin offengelassen hat, weil er dort seinen Amateurfunk installiert hatte.

Der Film dreht sich jetzt darum, wie diese Beziehungspersonen, es gibt noch Freunde von Martin, es gibt Leo, den ehemaligen Gemeindepräsidenten und etliche andere Ersatzväter, die es gut mit dem Jungen meinten, es geht also darum, wie die auseinander gebrochene Familie um einander herum tanzt; die Jungs gehen immer wieder schwimmen, irgendwann fickt Martin die Geliebte des Vaters, die Mutter ist vor allem entsetzt und sie ist zudem eingebuchtet worden; letzteres ist Divko, ihrem Noch-Ehemann dann doch zuviel. Ein weiterer Besuch beim Bürgermeister und sie wird aus dem Knast entlassen; sie erhält den Schlüssel zu einer runtergekommenen Behausung.

Vom Kippen der Verhältnisse.

Es dreht sich alles nur darum, dass die leibliche Mutter von Martin keinen Kontakt zum Mann und dessen Geliebten will; der Vater will aber den Sohn kennen lernen, ist er doch der Vater. Der Sohn ist für alles zu haben. Nur nicht für die Armee. Das ist vielleicht doch ein kleiner Schockpunkt im Film, wie gegen Ende, es gibt schon die Gerüchte vom bevorstehenden Krieg und die Mutter und der Junge wollen fliehen und die Geliebte auch, denn die schaut immer entsetzter zu, wie ihr Lover sich aufführt, sich aufgeführt hat und seit sie in Jugoslawien sind, hatten sie auch keinen Sex mehr. Und wie der Junge dann noch sein Funkerzeugs holt, auch um die Kaserne, die überfallen werden soll, von neu eingekleideten Soldaten aufgehalten wird, und alle sind plötzlich Armee und er will aber nicht und wird verhaftet und dann verschafft sich der Vater im Pyjama Einlass im Gemeindehaus in dessen Keller der Sohn und andere Verhaftete bereits verhörmässig blutig geschlagen worden sind und nimmt den Sohn einfach mit; er hatte vorher noch vom entmachteten Gemeindepräsidenten der schleunigst die Uniform wieder ausgezogen hatte, die Pistole requiriert.

Diese Militarisierung der Verhältnisse, wie das so schnell geht, wie plötzlich bei einer bestimmten Temperatur sich Eis auf dem Wasser bildet, das ist unheimlich und man bangt auch, ob die es noch schaffen zu fliehen. Jedenfalls kann Savo, der die Fluchtaktion durchführen will, nicht mehr zur Kaserne zurück und hat kein Auto mehr. Da stellt der alte Divko seinen Mercedes zur Verfügung und Savo, Mutter, Geliebte und Martin brausen davon. Divko begibt sich zum Karrussellplatz. Da taucht seine Frau auf, die Katze auf dem Arm. Und dann fahren sie Karrussell und der Krieg kann beginnen. Grenzen des Symbolismus.

Die Katze war ein Dauerthema, wie die entlaufen ist, setzt Divko alles daran, sie wieder zu finden. An einer Stelle wird spöttisch erwähnt, sein Sohn und seine Geliebte würden nur noch miauend durch die Stadt ziehen, auch durch den Friedhof. Divko verteilt sogar Flugblätter und verspricht 2000 DM für die Wiederbeibringung der Katze. Andauernd klopft ihn fortan der Dorftrottel, der wie ein vewahrloster Jesus aussieht, frühmorgens aus dem Bett, hat ein verwildertes Katzenvieh auf dem Arm und will den Finderlohn. Er wird von Divko geschimpft, erhält aber 20 DM.

Tja, was will uns das alles erzählen, was will uns Danis Tanovic mit diesem, seinem oscarnominierten Film erzählen?

Details.

Die wahnsinig emotional überrissene Begrüßung mit dem Bürgermeister bei der Ankunft.
Wohnungsräumung. Divko fordert seine Freundin auf, den noch kochenden Topf zuzubereiten.
Sie gehen auswärts essen. Ein Tierkopf wird serviert. Divko drückt das Auge aus, bietet es ihr an, sie findet das igitt!, er vertilgt ihn.

Mit umgehängtem Jackett wandelt der große Herr durch die Ortschaft.
Es wird sehr frisch gespielt, sehr kräftig, sehr energetisch und oft mit nacktem Oberkörper.
Leo, der vorherige Bürgermeister versteht die Zwangsräumung nicht.
Lucija, die Frau von Divko: Jetzt wo Sie and er Macht sind, kehrt der Abschaum zurück
Schon in der ersten Nacht wirft Martin einen Stein ins Schlafzimmerfenster seiner Vaters. Der verlangt von ihm, dieses zur Reparatur zu bringen. Während der Glaser glasert, springen die hübschen Männerkörper, Martin und sein Freund, den er mitgenommen hat, von einer Brücke in den Fluss. Sie fühlen sich als geile junge Männer und wollen ficken. Und gehen sich auch kurz an die Körper und rangeln vergnügt.
Dann eine Schlägerei auf der Brücke. Wieso? Wie schnell das kippt.
Divko hat den Frisiersalon, wo seine Frau gearbeitet hat, gekauft und neu eingerichtet und schenkt ihn seiner Geliebten. Die findet in Lucijas Schublade ein Bild von Lucija mit dem kleinen Martin.
Azra, so heißt die Freundin, ist nicht begeistert vom Salon: ich geh lieber Bonny suchen.
„Die Serben bombardieren Dubvronik“
Und Azra fragt Divko: Sind wir wegen alter Rechnungen da?
Savo: Wir fahren morgen, es wird ein Massaker geben.