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Colombiana

Der Film ist in etwa so fantasievoll künstlerisch wie der Künstlername des französischen Regisseurs, der ursprünglich Fontana hieß und sich jetzt Megaton nennt.

Aber ein anderer dürfte weit mehr dazu beigetragen haben, dass dieser Film wie das Produkt einer reinen, hohlen Action-Schreibmechanik wirkt. Es ist Luc Besson, der am Drehbuch mitgeschrieben hat; er dürfte, da er auch der Produzent ist, die groben Storylines aus seinem oft benutzten, wenn nicht etwas abgenutzten Werkzeugkasten herausgeholt haben.

Man muss abwechseln, wenn man immer die gleiche Story erzählen will. Zur Abwechslung machen wir jetzt einmal eine bild- und makellos hübsche Schwarze mit fantastischen Beinen zur Hauptfigur. Eine Frau, um die sich Modelagenturen vermutlich reißen würden. Und dieses Model wollen wir jetzt nicht überfordern, es muss lediglich beweglich sein, aber für das Einsteigen und Durchzwängen durch enge Lüftungsschächte haben wir gewiss ein Body-Double in Reserve. Wir wollen sie nur einmal schauspielerisch an ihre Grenzen führen, wenn wir sie nach endlos und quälend langen 100 Minuten Actionkino ihre Mutter finden und dann einen Gefühlsausbruch spielen lassen. Das wirkt umso komischer, als die Maske der Emotionslosigkeit, die sie sonst aufgesetzt hat, nicht von einem tiefen Need bestimmt scheint, sondern lediglich den Vorgaben des schnell und routiniert zusammengefügten Plottes zu genügen hatte.

Der Plot geht so, denn wie gesagt, Abwechslung innerhalb des Genres soll den Eindruck erwecken, dass es noch lebt: in Kolumbiens Gangstermilieu ist unsere Protagonistin, Cataleya Restrepo, hineingeboren. Als Mädchen kurz vor der Pubertät (von einer Darstellerin entsprechenden Alters verkörpert) musste sie miterleben, wie ihr Vater von konkurrierenden Banden erschossen worden ist. Kurz vorher hatte er ihr noch einen kleinen Chip und eine Visitenkarte mit einer Adresse aus Amerika gegeben. Der Chip sei ihr amerikanischer Pass hat er ihr eingeschärft.

Um dem Film Volumen zu geben, wird jetzt eine ausgiebige Weile lang geschildert, wie dieses Mädchen sich in Bogota zu den Amerikanern durchschlägt, dank der Visitenkarte auch in ein Büro vorgelassen wird, den Chip, den es vorher bei der wilden Verfolgungsjagd in Bogota verschluckt hatte, auf den Bürotisch speit, den Chip aus den ihn einhüllenden Magen-Rückständen rauspuhlt, ihn dem Beamten gibt, der ihn angewidert in seinen Computer steckt und dann die sinnvolle Frage stellt, ob sie wisse, was das sei, worauf sie gut einstudiert antwortet, das sei ihr amerikanischer Pass.

Und schon wird sie in einen Privatjet verfrachtet und ist im Gelobten Land. Sie flieht aus der „Gastfreundschaft“ des CIA. Findet einen Onkel in Chicago. Auf unnötig realistische Verständigungsdialoge bei dieser Reise und dem Zurechtfinden in dem femdsprachigen Land wírd verzichtet. Der Onkel will sie zur Schule schicken. Sie möchte aber Killerin lernen. Lässt sich dann jedoch durch ein merkwürdiges Rumballerexperiment des Onkels überzeugen, dass Schule das Richtige sei. An diesem Punkt ist der Einleitung endgültig die Puste ausgegangen. Jetzt endlich darf das erwachsene Model die Rolle übernehmen. Nach einem Zeitsprung über mehrere Jahre.

Also Kalifornien einige Jahre später. Hier bringt die jetzt erwachsen gewordene Frau mit der amerikanischen Schulbildung, die eingangs erwähnte hübsche Besetzung, ihren ersten Killerjob über die Bühne. Sie rammt ein Polizeiauto und wird prompt in den Knast gesteckt. Mit einer menschenunmöglichen logistischen Meisterleistung bringt sie einen Häftling um und schafft es noch rechtzeitig aus dem Knast zu entkommen, bevor dieser abgeriegelt wird. Ab da folgt Mord um Mord. Alle mit ihrer spezifischen Signatur.

Ihr Gegenspieler, ein schwarzer FBI-Mann, kann sich nicht vorstellen, dass hinter dieser Mordserie eine Frau steckt. Er nimmt Witterung auf. Das zweite Dutzend der Morde ist fast voll. Einmal stehen sich die beiden auch gegenüber. Man hat den Eindruck, Besson findet, er könne einfach alles behaupten, was Menschen zu leisten imstande seien und das Publikum hätte es ihm abzukaufen. Ziemlich unvorstellbar, wie sie die Wohnung des hohen FBI-Beamten so verwanzen und alle Kameras abmontieren und den Stuhl, auf dem er absehbar sitzen würde, mit einer Explosionsanlage in eine tickende Zeitbombe verwandeln kann, um dann den höheren Chef anzurufen, er und seine Familie seien bedroht, und er sitze auf einem präparierten Stuhl. Wo diese hübsche Frau all das Wissen und Können her hat, ist doch zumindest etwas schleierhaft. Oder ist das gar als Hinweis auf das amerikanische Bildungssystem zu verstehen?

Vielleicht verselbständigt sich im Laufe des Erfolges und des Produzierens um des Produzieren willens so eine Genreschreibe und kennt überhaupt keine Grenzen mehr und bekommt das Gefühl, Glaubwürdigkeit sei gar nicht gefragt und ein schnell behaupteter und flüchtig skizzierter Plot angefüllt mit endlosen Action- und Verfolgunggsszenen würde dicke genügen, das Publikum sei ja anspruchslos.

Bis die Killerin endlich ihre Mutter wieder trifft, schraubt sich das Actionspektakel noch um einige Kurven in die Höhe. Action um des Filmvolumens willen. Schön hohl. Schön leer. Schön uninspiriert. Unanimiert und routiniert zugleich.

Easy Money

Die Mängel im Drehbuch von Maria Karlsson hinsichtlich Aufbau von Kinospannung macht der Regisseur Daniél Espinosa wett mit grosser Freude am Bild, einer fröhlich unverfrorenen Wackelkamera, mit Farbfiltern, einer teils fast experimentellen Musik und fotogener Zeichnung der Figuren. Diese Freude am Äußerlichen und Formalen erinnert allerdings in manchen Momenten eher an einen Hochschulfilm (zB, wenn J.W. unser blonde schwedische Protagonist dem Verfolger von Jorge folgt). Ob das allerdings ausreicht, um das Publikum ins Kino zu locken, sei dahingestellt.

Die Geschichte selbst, die wird sehr deutlich gemacht vor allem in Form von Dialogen, die die Qualität von Zwischentiteln haben. Dadurch entstand bei mir eher der Eindruck einer Handlungsskizze als einer Handlung selbst. Die verläuft so: unser Protagonist J.W., der protoypisch blonde Schwede, mehr Model als Actor, ist ein armer Student, studiert Wirtschaftswissenschaften und verliebt sich in eine nicht weniger protoypisch schwedische Blondine. Das ist nun allerdings ein so extremer Cast, der an eine Handlung sowieso kaum mehr denken lässt. Insofern brauchen sie ihre Verliebtheit auch gar nicht gross spielen, da reichen die Dialogtexte vollkommen. Denn es gibt immer noch die Schwedinnenfantasien.

J.W. jobbt als Taxifahrer und kann der Verlockung eines Angebotes, das unwahrscheinlich viel Geld bietet, nicht widerstehen. Er soll für eine Serbengang den aus dem Gefängnis entsprungenen Jorge einfangen und bei sich in der Studentenbude sicher unterbringen. Die erste Begegnung findet nach der erwähnten Verfolgung statt, denn hinter Jorge sind auch die Araber her, eine Konkurrenz“firma“. J.W. gerät also zwischen die Fronten und wenn man in so Dinge mal hineinrutscht, dann ist schwer wieder rauszukommen. Dazwischen hat er die Blondine kennengelernt. Nach zwei Stunden Film kommt es, wie es sich gehört, zu einem Countdown und zu einer Abrechnung.

Ärgerlich finde ich in diesem Film, dass wirklich an den Haaren herbeigezogen eine Szene in Berlin stattfindet, bloß weil (oder damit) deutsche Filmförderung fließt. Der Film würde genau so ohne jene Szene funktionieren. Die hockt wie ein Fremdkörper in dem Schwedenkuchen drin. Wenn einem solche Dinge einmal anfangen aufzufallen, wie Filme nach Förderprinzipien zusammengeschustert werden, wobei sie meist nicht gewinnen dabei, so kann einem das inzwischen auch den Rest des Filmes madig machen. Da müssen die wirklich aufpassen mit den Förderungen.

Der Film fängt mit den Vorbereitungen für den Gefängnisausbruch von Jorge, einem Spanier, an. Wie das mit einem Messer in der Socke und dann im Schuh beim Hofgang und in Absprache mit einem Kollegen prima gelingt. Auf ein Zeichen startet der Kollege einen Angriff auf die Wärter, Jorge greift sich ein Jackett, klettert die innere Drahtabsperrung mit der Stacheldrahtrolle drüber hoch, wirft das Jackett über den Stacheldraht, schwingt sich drüber und klettert an einem vorbereiteten Seil über die Außenmauer und rennt und rennt bis zu einem Waldstück, wo ein Kumpel ihn mit einem Auto erwartet. Er hat sich beim Sprung von der mehrere Meter hohen Außenmauer den Fuss verknackst, denn den Rest des Filmes humpelt er. Die Szenen scheinen im Fernsehrhythmus geschnitten und lange Zeit ist für mich der Eindruck auch prägend, dass es sich um Fernsehware handelt.

Ein Problem zum Aufbau der Kinospannung ist immer, wenn man den Film nicht mit der Hauptfigur anfängt. Hier taucht J.W. bald schon auf in Jungherrengesprächsrunden, junge Gecken in Anzügen. Aber es wird überhaupt noch nicht klar, dass er der Hauptdarsteller ist. Dann sehen wir ihn ein neu gekauftes, vermutlich billiges Hemd zu Hause auspacken, er schneidet alle Knöpfe weg und näht selbst mit Nadel und Faden andere Knöpfe an. Der Film zeigt uns aber keine Grossaufnahmen der Unterschiede, man kann es nur vermuten: teurere Knöpfe, Status-Knöpfe. Denn er ist zu einer Geburtstagsparty des Freundes von Sophie eingeladen. Dieser hat Sophie aber verlassen, das erfährt J.W. dann auf der Party beim Kennenlernen. Es wird darauf verzichtet, das im Film zu zeigen, dieses Überspringen des Funkens, man wollte ja keine Romantic Comedy machen. Es bleibt eher so eine Art dialogischer Feststellung. Also die Exposition des Filmes hat jetzt schon eine ganze Weile gedauert, man war auch noch im Taxibetrieb, und irgendwie ist kein Thema prominent und merkbar präsentiert worden. Das sind Drehbuchschwächen, die bewirken können, dass ein Film vom Publikum links liegen gelassen wird.

Dann kommt der Anruf an J.W. Wegen der Verfolgung von Jorge. Dieser wird von seinen Verfolgern niedergeschlagen. Liegt in einem Waldstück. Und J.W. weiß bis hierher überhaupt noch nicht, worum es eigentlich geht, der Zuschauer auch kaum. Jorge ist inzwischen von einem schwarzen jeepähnlichen Auto verfolgt worden. J.W. konnte wie ein Weltmeister, wie ein professioneller Privatdetektiv folgen. Vielleicht ist er ein geübter Krimizuschauer. Er bobachtet, wie Jorge geschlagen wird und rüttelt am Auto der Verfolger bis die Alarmanlage los geht und kann die somit von Jorge abenken, – das ist wirklich sehr merkwürdig, dass er das alles so selbstverständlich macht, er ist ja auch noch gar nicht als Persönlichkeit vorgestellt worden, das ist das Problem. Nachher kümmert er sich um Jorge und bringt ihn in seine Studentenbude.

Er bringt später plötzlich die Idee, fürs Geldwaschen eine Bank zu kaufen, ins Gespräch, eine Bank der es schlecht geht. Aber auch diese Dinge werden nicht genau verfolgt und wie das weiter geht, das bleibt im Raum stehen. Kommt dann nochmal bei einem Gespräch aufs Tapet. Aber spielt im übrigen Film keine Rolle mehr. Und am Schluss wird doch in bar bezahlt, wenn überhaupt.

Auch die Diskussion darüber, dass die Schweiz nicht mehr gut sei für Geldwäsche, die ist nun nicht gerade originell noch zielführend. Genau so wenig wie der Ausflug nach Berlin, wo gezeigt wird, wie Koks in Kohlköpfen, die in Treibhäusern gezogen werden, eingepackt und geschmuggelt werden.

Die Szenen sind nur anskizziert. Es wird behauptet statt gespielt.
Auch der Satz von Sophie „Ich bin so froh, dass ich die kennen gelernt habe“, der steht da, wie ein Text unter einem Standfoto, aber die Filmbilder, die erzählen das nicht.

Auch das mit der Erzählperspektive ist leider nicht durchdacht. Wenn die Gschichte wirklich von J.W. aus erzählt würde, das könnte ja spannend sein, wird es aber nicht. Er kommt immer wieder vor, wie eine Seitenfigur, obwohl er die zentrale Figur ist. Aber da hat das Buch schon den zwar schönen, aber vollkommen falschen Anfang genommen, so schön ein Ausbruch aus dem Gefängnis sein mag.

Die Folgerichtigkeit der Skizzen, die ist ok.
Aber eine Durchdenkung macht noch kein Drehbuch haptisch, empirisch nachvollziehbar. Und Wissensvermittlung von der Leinwand herunter reicht nicht für eine gute, spannende Unterhaltung. Zu sagen, wir haben das alles durchdacht, jetzt brauchen wir es gar nicht mehr inszenieren.
So wirkt der Film halt sehr formal, formalistisch.

Klangmusik. Mehrfach fängt der Ton wie eine Sirene an, die dann anhält. Ganz lustig.
Einmal nach einer Schießerei ist Johan bei den künftigen Schwiegereltern eingeladen, da entdeckt er einen Blutfleck auf dem weißen Hemd. Er wäscht ihn aus. Und geht wieder an die Tafel. Die Hemdsärmel müssten eigentlich nass sein. Da wären doch Nahaufnahmen sinnreich und die Reaktion der Schwiegereltern, wie sie es bemerken und verschweigen, oder wie sie es überhaupt nicht bemerken. Auch hier wird das mehr theoretisch in den Film gebracht, und keiner reagiert darauf.

Einmal haben sie ein Beziehungskistengespräch. Wahrscheinlich, weil es sein muss. Denn Sophie möchte Ferien machen in Frankreich im Haus ihrer Eltern. JW. will nicht, weil er ja arbeiten muss.
Dann die grosse Lektion von Jorge „In diesem Business sind alle Schweine“. Allerweltssatz.

Zum Schluss doch ein aufregend dekadent schönes Bild von J.W. in der Schießerei zum Countdown mit wilden Haarsträhnen über das blutverschmierte Gesicht, das dann zwar nicht ganz continuitygerecht weiter geschminkt ist. Das war leere schöne Schönheit.
Eine Aneinanderreihung von Stimmungsbildern zum Thema Dealerstory und braver Schwede. Vielleicht am besten als Musikvideo zu verwenden.

El Bulli: Cooking in Progress

Warum mir der Film prima gefallen hat, obwohl ich nun gar keinen Draht weder zu avantgardistischer Küche noch zu Kochsendungen jeglicher Art habe? Nun, mit Kochsendungen hat der Film schon einmal gar nichts gemeinsam, bis auf einige Bilder vom Pilze-Schneiden oder Fisch-Zerlegen. Natürlich wird auch Kochen gezeigt. Aber das Thema ist nicht primär die avantgardistische Küche von Ferran Adriá. Es ist auch nicht ein Feature über diesen berühmten Koch. Es ist viel mehr ein Laborbericht aus einer der neugierigsten, experimentierfreudigsten Küchen der Welt. Ein Film über das Kochen als Methode.

Das Restaurant „El Bulli“ von Ferran, wie er im Film immer genannt wird, ist in Spanien am Meer, hat nur ein halbes Jahr lang geöffnet, ist weltberühmt.

Ein halbes Jahr lang zieht sich Ferran mit einigen Mitstreitern in ein Anwesen im Inneren des Landes zurück. Dort wird mit wissenschaftlicher Akribie experimentiert, da wird der Kochplan für das zweite Halbjahr entworfen. Der Film erhebt sich auch weit über das Niveau jeglicher Kochsendung, weil er sich immer wieder Zeit lässt, Ferran oder seine Mitforscher ins Bild zu nehmen, während sie hochkonzentriert versuchen Pilze zu vakuumieren oder während sie Versuche mit Ravioli oder Eis anstellen. Portraits von Kochforschern. Der Film bringt viel Info über das Methodische von Ferrans Forschung. „lass uns radikal im Geschmack sein“, „das Problem ist die Intensität“. Er schleckt beim Probieren auch mal gerne genüßlich die Finger ab. Oder fährt seinen Assistenten an „gib mir nichts, was nicht gut ist!“. „Zuerst die Ideen notieren“, “wir müssen wißen, was im September gut ist“, er will „kreative Emotion“ .

Über die Experimente wird genau Buch geführt, es werden Listen angefertigt, Wände hängen voller Entwürfe für Menüfolgen. Alles wird fotografiert und dokumentiert. Über alle Vorgänge müssen genaue Notizen angefertigt werden. Und gegen Ende der Experimentierphase, da rastet Ferran fast aus, wie einer alles nur ausgedruckt hat und behauptet, auf dem Computer befinde sich nichts mehr. Nach der Experimentarbeit erfolgt die Auswertung wie bei einer wissenschaftlichen Besprechung an einem Tisch ohne jedes Nahrungsmittel oder Küchengerät, es dominieren die Laptops und Notizzettel, wie Ferran sie gerne bei sich hat, weshalb er auch oft einen dicken Bleistift sich hinters Ohr steckt (statt wie im Kinderbuch einen Kochlöffel).

Die Hierarchie der Köche ist fast vatikanisch. Wenn Ferran kommt, dann probiert er alles, wissen die Assistenten. Es geht um die Frage, Pilzsaft zu gewinnen, roh oder eben mittels Vakuumieren. Und beim Probieren: es hat schon einen sehr reinen Geschmack. „Beim einen ist die Farbe wichtig, beim anderen der Geschmack.“ Dann muss er die Assistenten wieder anhalten, alles aufzulisten, was sie da rein tun. Auch das Internet wird für Recherche benutzt, aber man findet da auch nicht alles.

Zwischen den Laborszenen, die mehr als die Hälfte des Filmes füllen, gibt es immer mal wieder Einkaufsszenen in einem bildnerisch höchst ergiebigen, leckeren Markt oder in Markthallen. Und etwas spanische Lebenslust und -Qualität en passant.

Einmal taucht der Sommelier auf. Der möchte schon was über die Aromenzusammenstellung wissen, aber Ferran wimmelt ihn ab, darauf komme es jetzt noch nicht an, den Geschmack werde man erst später feststellen können. „Im Moment ist der Geschmack nicht wichtig“. Den testet Ferran beim Ernstfall hochkonzentriert. An einem eigenen Tisch sitzt er und probiert alle 20 bis 30 Gänge durch, die die Gäste innert drei Stunden aufgetischt bekommen. Er kriegt das von seinem Personal extra serviert. Den Notizzettel hat er neben sich und macht zu allem seine Anmerkungen. Allein das Gesicht von ihm bei dieser Aktion. Wie er sowieso immer was sehr Waches und Sprungbereites hat, als ob er hinter jeder Ecke und hinter jedem Vorsprung auf einen kreativen Einfall wartete.

Zwischendrin sieht man auch mal einen Journalisten Notizen machen. Was aber alles wird, das sei eine Überraschung. Oder dann fragt Ferran, ob die Zeitschrift, „Natur“ wichtig sei, denn die würde einen Artikel bringen.

Es scheint so, als interessiere Ferran seine Berühmtheit wenig, als sei er wirklich nur auf das Essen fixiert und als habe er es soweit gebracht, dass er mit einem grossen Mitarbeiterstab, seine fast exzentrisch zu nennenden Forschungen betreiben kann. In einem Moment verzweifelt er auch schier, weil ihm bewusst ist, dass es eigentlich unendlich viele Möglichkeiten gibt „man weiß nie, woher die Ideen kommen“.

In der Experimentierphase ist ein Thema auch die Einführung von Fetten in Cocktails. Die Idee kommt auf, reines Wasser mit einer Oelschicht drüber anzubieten. Bei der Premiere hat dann der Oberkellner statt stillem Wasser Sprudel genommen, aber das war vielleicht sogar eine gute Idee. Beim Publikum kam das allerdings nicht so recht an. Obwohl Ferran fand, das seit gut für den Geschmack im Mund, für die Reinigung.

Bei der Menüplanung gibt es, wie die Köche es nennen, ein Toto, die einzelnen Gänge mit Sternen zu versehen, wirklich sehr lotteriehaft. Lotterie und Wissenschaft.

Die Musik über dem Ganzen ist geschmackvoll. Klänge, leicht spährisch, leicht avantgardistisch dem Sujet angepasst.

Die Kamera von Josef Altmayer ist hervorragend. Sie würde sich auch für Produktphotographie eignen, wie am Schluss noch die ganze Palette der einzelnen Gänge fantastisch fotografiert gezeigt wird. Das war mir dann aber ein Tic zu viel. Da war ich schon übersatt.

Die zweite Phase des Filmes zeigt den Betrieb. Wie der Tross an Personal eingeführt wird. Vorher noch kurz das Aufräumen in der Experimentierküche und das Einräumen im El Bulli. Ganz wohldosiert gibt’s auch ein paar schön gesetzte Aufnahmen vom Meer und dem Anwesen, wirklich meisterkochhaft dosiert!

Der Betrieb wird hochgefahren und an den ersten Abenden gibt es noch einige alte Rezepte, denn den Betrieb mit nur neuen anzufahren, das wäre eine Überforderung, meint Ferran. Die ganze Anlaufhektik, auch die wunderbar fotografiert und geschnitten. Aber wie gesagt, wie der Betrieb dann läuft, gut das war eben die Verkostung von Ferran noch eine gute Nummer, aber da hätte ich dann nicht mehr soviel gebraucht. Das waren mir von 30 vielleicht zwei drei Gänge zuviel.

Ferran unterscheidet in seiner Rede ans Personal auch ganz deutlich zwischen Kreativität und Produktion und dass sie hier in der Produktion seien. Also sie müssen sehr konzentriert arbeiten und sich genau an die Vorgaben halten.

Inzwischen düfte dieser Film bereits ein historisches Dokument sein, denn wie ich gelesen habe, hat Ferran inzwischen das „El Bulli“ endgültig geschlossen und will was Neues versuchen. Insofern hat Gereon Wetzel, der Filmemacher, mit diesem Dokumentarfilm auch ein historische Dokument über einen extravagenten Punkt in der Geschichte des Kochens bereit gestellt.

Shanghai

Ein weiterer Film, der handwerklich einwandfrei gemacht ist, es gibt nichts zu mäkeln, ein Thriller fürs Kino, ein Spionagerthriller, einer von der Sorte, bei der ich letztlich nie ganz durchblicke, wer nun wie für oder gegen wen arbeitet, dazu noch im komplexen Shanghi in der Zeit des Zweiten Weltkriegs 1941 kurz vor Pearl Harbour und bis die Japaner ganz Shanghai eroberten, das bis dahin in vier Zonen unterteilt war.

Die Hauptfigur ist Herr P. Soames, ein Amerikaner, offiziell Zeitungsschreiber und der wird nach Shanghai versetzt. Er war vorher, da gibts Rückblenden, in Warschau. Er gerät in Shanghai in ein Netz von Doppelagenten und Resistance gegen die Besatzer, das en detail nachzuerzählen mir unmöglich erscheint.

Eine Figur, das kann man hier in Deutschland noch erwähnen, wird von Franka Potente gespielt und wenn ich sie jetzt charakterisieren müsste, würde ich sagen, sie passt sich genau den internationalen, oft auch unpersönlichen Maßstäben einer solchen Produktion an, funktioniert hervorragend, fällt aber auch nicht weiter auf. Irgendwie lösen sich die Personen in solchen Filmen immer in den Geflechten und dem ganzen technischen Apparat auf. Sehen irgendwie auch immer ähnlich aus.

Zwischendrin habe ich versucht mich an Melville zu erinnern. An den kommt der Film nicht ran, weil er der Kamera zu viel Raum für Lichtspielereien, für wunderbare Schießereien in etwas verlangsamtem Tempo gibt; Action versus Understanding and Tension.
Der Film ist vielleicht von der Erlebnisqualität her mit dem Schlürfen, dem durchaus genussvollen, eines edlen Cognacs zu vergleichen.
Aber niemand trinkt ein Glas Cognac in einem Zug aus.
Den Schießereiszenen wohnt ein Reiz von Balletthaftigkeit inne.

Aber in einer solchen Produkten haben alle, wie mir scheint, natürlich ist das durch den Stoff bedingt, Pokerfaces. Hatten die bei Melville auch, aber er hat das anders genossen. Vielleicht mussten sie bei ihm lediglich auf die Sorgfalt im Tragen des Anzuges achten, während hier der Ablauf der Story komplizierend und überhaupt nicht zielführender für die Figuren im Vordergrund der Aufmerksamkeit stand.

Der Ausfall, und das wiegt doch sehr schwer, gerade auch beim Gedanken an Melville, ist der Hauptdarsteller, John Cusack mit seinem Pfannkuchengesicht, das einfach nur wie eine Fleischtomate wirkt, da wird noch der kleinste Ansatz einer Melville-Atmosphäre vernichtet. Auch sind mir, das scheint auch typisch für so eine Produktion und warum mir die immer sehr ähnlich vorkommen, prinzipiell diese Alphatypen von Schauspielern besetzt, die sich eine dicke Routinehaut zugelegt haben und insofern zuverlässig funktionieren, die aber auch die Melville-Qualität wie imprägniert verhindern, abprallen lassen. Es sind Figuren, die nie auch nur irgend eine Verletzlichkeit zeigen. Sie ordnen sich der Mechanik des gewiss plausiblen Drehbuches und der Drehmaschinerie vor Ort unter. Aber das hat man alles eben schon so oft gesehen. Und auch oft sehr gut und perfekt.

Die Blutbäder sind edel, malerisch.
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Dabei gibt es durchaus ein Gespräch zwischen Tanaka und Soames über die Romantiker und die Gefahr, in der sie sich befinden. Aber sie spielen eben diese Romantiker nicht (wie kürzlich bei „Blue Valentine“).
Das alte Lied vom Verrat wird in guter Konfektionsqualität vorgetragen.
Das dürfte genau der Grund sein, warum auch dieser Film absolut vorhersehbar kein besonderer Erfolg an der Kinokasse werden wird. Er schaut mir zu sehr auf das Genre, auf den historischen Aufwand, auf die Lichteffekte, auf die glatte Besetzung statt darauf, was den heutigen Menschen, auch bei einem historischen Stoff, beschäftigen könnte. Das sind immer die Verratssachen. Aber der Film orientiert sich nur an alten Filmen, wie man Geldspielrunden inszeniert, er interessiert sich nicht einen Deut dafür, welche Zeichen heute Vertrauen signalisieren und wie Verrat dann brutal funktioniert.

Wieder ein Film, der er es sich im anvisierten Genre gemütlich macht, sich gemütlich einrichtet und glaubt, wenn er die Gesetze des Genres ordentlich befolgt, dann kann ihm der Erfolg nicht ausbleiben. Getäuscht. Das muss wahrscheinlich die Arbeit eines jeden Filmes sein, egal in welchem Genre er sich bewegt, ganz genau zu schauen, welche Zeichen heute Geltung haben und wie sie also im Genre gehandhabt werden müssen. Man spielt einen Film aus 1940 oder 1898 auch nicht in einem Deutsch oder Englisch, das damals gesprochen worden ist, ja das scheint mir die Krux bei solchen Verfilmungen; wobei ich eben nicht von der gesprochenen Sprache spreche, die ist modernisiert, aber von der Zeichensprache, den Gesten, den Reaktionen, die laufen mir hier viel zu klischeehaft und zu unbedacht ab, als dass sie einen Menschen von Heute vom Hocker reißen könnten.

Mein Stück vom Kuchen

Céderic Klapisch, der Regisseur und Autor dieses Filmes, hält sich lustvoll schadlos an einem Exemplar verantwortungslosen Londoner Investmentbankers. Es macht ihm enorm Spass, der sich durchaus auf den Zuschauer überträgt, zwei Gegenwelten zu schildern, die so wie es im Film möglich ist, im realen Leben vermutlich nie aufeinander treffen würden. Er genießt die künstlerische Freiheit des Geschichtenerzählers und auch die Kunst, die er beherrscht, einen eher unwahrscheinlichen Sachverhalt glaubwürdig darzustellen.

Die eine Welt, die er schildert, ist die eines Investment-Bankers in London. Der hat nur Zahlen im Kopf, Gewinnmargen, die Spekulation, wie der Dollar auf eine Rede des amerikanischen Präsidenten reagieren könne, und da er vermutet, die Rede würde dem Dollar positive Impulse verleihen, kauft er mit einen „Short“-Geschäft auf Pump schnell 3 Millionen Doller und stösst sie innert einer Stunde nach der Rede wieder ab, hat also innert zwei Stunden mit zwei Telefonaten über 62’000 Euro verdient.

Diese Selbsterklärung seines Geschäftes kommt allerdings erst an der Stelle, wo er schon in Paris ist und gerade mit der Putzfrau über ihren Lohn verhandelt, was sie bräuchte, wenn sie auch den Buben noch hüten würde. Da findet er dann allerdings Stundenlöhne von 3.40 Euro auch indiskutabel und geht von 100 Euro pro Tag aus. Aber das ist vorgegriffen.

Steve Delarue heißt unser Banker und wird gespielt von Gilles Lellouche. Er ist so erfolgreich, dass sein Chef möchte, dass er in Paris eine Zweigstelle aufbaut, denn sein Arbeitgeber hat dort einige reiche Kunden. Über sein Privatleben ist nach und nach zu erfahren, dass er von einer Frau ein Kind hat, Alban, und dass der Bub jeweils am 4. des Monats ihn besucht. Er hatte eine grosse Liebe, Melody, aber da hat er mit einer Nacht mit einer Nutte Anlass zur Trennung gegeben. Es gibt ein Beispiel, wie er es als Solist mit Frauen hält. In London findet im Hochhaus ein Fotoshooting mit einem eleganten Model statt. Mit der tauscht er Adressen. Sie besucht ihn in Paris. Er nimmt sie mit zum Flugplatz und sie besteigen einen kleinen Privatflieger, mit der er sie nach Venedig mitnimmt in ein feines Hotel. Sie möchte aber nicht schon in der ersten Nacht, was er will. Er hat ihr ein blaues Unterhemd geschenkt. Andertags kommts zu dem, was er will. Aber die beiden passen nicht zusammen.

Das andere Ende des Handlungs- oder gar Täterzusammenhangs von Steve oder Stéphane, wie er sich in Frankreich nennt, denn er ist aus Frankreich, findet sich in Dünnkirchen. Es handelt sich um eine Fabrikschließung oder wie er später sagt, sie hätten Sifrnur „eingestampft“. Das sagt sich in London leicht. In Dünkirchen kann es sehr existentiell werden, wenn plötzlich über 1000 Menschen arbeitlos sind. In Dünnkirchen setzt Klapisch seinen Fokus auf die Folge einer Londoner Investment-Entscheidung von Stéphane. Denn er war Hauptakteur, die Fabrik in Dünnkirchen zu schließen, in der die Protagonistin des Films arbeitete. Stéphane wurde damit gewissermassen der Antagonist von France, gespielt von Karin Viard, die wegen dem Jobverlust Tabletten genommen hat und sich umbringen wollte. Aber sie hat drei reizende Töchterchen. Und die muss sie durchbringen. Die einzige Chance, Geld zu verdienen, sieht sie in Paris, als Putze. Kurz und amüsant wird ihre Ausbildung zur Putzfrau geschildert. Sie müsse vor allem einen ausländischen Akzent sich aneignen. Das übt sie laut und ausgiebig beim Bügeln. Sie will „viel Glück finden bei Arbeit in Frankreich“.

Ihre erste Stelle, warum es auch kompliziert machen, führt sie gleich zu Stéphane, der in Paris inzwischen ein luxuriöses Appartment bewohnt. Wichtig sind hier Sauna, Sporträume und dergleichen. Sie kriegt den Job, weil sie beim Vorstellungsgespräch kein Wort sagt und er eigentlich nur von sich und seiner Wohnung und von seiner Vorstellung von einer Putzkraft drauf los plappert. Tenor: nur ja keinen menschlichen Kontakt.

Dass France das Schema durchbrechen wird, das wissen wir aus der Erfahrung mit guten Geschichten und freuen uns darauf und es ist genüßlich mit anzusehen, wie sie nach und nach Gespräche führen müssen. Wie France dann mitansehen muss, wie das Fotomodel in der Wohnung auftaucht und sie ihm plötzlich sagt, die sei bestimmt nicht die richtige. Noch enger wird’s, wie Alban seinen Vatertag hat und die Mutter noch wissen lässt, sie fahre einen Monat in Urlaub. Einem Investmentbanker kommen auch die eigenen Kinder immer ungelegen, genau so wie Menschen im Allgemeinen. Aber wozu hat man eine Putzkraft. Für sie ist es allerdings ein Problem, nicht nach Hause zu den eigenen süßen Töchterchen nach Dünnkirchen zu können. Aber sie hat ja noch eine Schwester und eine Gehaltserhöhung liegt auch drin.

So ein Kind sorgt für Gesprächsstoff und dadurch weitere Annäherung. Bis zum Ausflug nach London, wo es super wäre, wenn er zu seinen Kollegen mit einer Frau erscheinen würde. Aus so einer Putzfrau lässt sich was machen. Das beweist jedenfalls France mit Grandezza. Wie sie aus der Stretchlimousine steigt, wie sie sich dann von Stéphane als die Russin Vlada vorstellen lässt und vollkommen bescheuerte Sachen zu den gelähmten Gesichtern spricht, als ob sie nicht richtig Englisch könne. Dann folgt eine Liebesnacht. Aber Stéphane hatte im Doppelzimmer nebenan noch eine andere. Und wie France mit Alban spazieren gehen soll, schneidet Stéphane eine Etage über dem Eingang lautstark ins Handy vor einem Kumpel auf, wie geil er noch schnell und nebenbei die Putze flachgelegt habe. Jetzt reicht es France. Sie haut mit dem Buben ab. Sie soll ja zur Tanzshow ihrer Tochter nach Dünnkirchen. Auch die Überfahrt gelingt reibungslos. Aber während der Veranstaltung wird sie verhaftet. Und auch Stéphane ist mit seiner früheren Freundin, mit einem dicken Sportwagen hinter ihr her. Bis es vor der Halle der Tanzaufführung zu einem eindrücklichen Countdown und einer Art unerwarteter Abrechnung kommt. Der kleine pikante Schuss Rachefantasie am Ende einer lustvollen Erzählung, die Klapisch mit viel Verve, leichter Hand und einem Herz für den einfachen Menschen auf die Leinwand bringt.

Le Havre

Nehmen wir an, der Film wäre Literatur, dann würde sich vielleicht der Begriff der Schnurre anbieten, einer ungewöhnlichen, in Teil-Bereichen sogar leicht gruseligen Erzählung über eine Begebenheit, die der Erzähler mit List in den Äuglein von sich gibt, um seinen Zuschauern ein wohlig-kitzelndes Gefühl zu vermitteln.

Aki Kaurismäki entpuppt sich hier als Altmeister dieser Kunst. Ihn interssieren seine drei Hauptfiguren, Marcel Marx, der als Schuhputzer in Le Havre lebt und arbeitet, das ist schon sehr skurril, denn der Schauspieler, André Willms wirkt doch viel zu intellektuell für so einen Job, ferner ist da Arletty, seine kränkelnde Ehefrau und Jean-Pierre Darroussin als Zivilkommissar Monet, der sich um die Wirksamkeit seiner Schauspieler-Routine keine Sorgen zu machen braucht, schon gar nicht in so erstklassiger Umgebung.

Um seiner Verwunderung über die Lebensart, die Lebenseinstellung, die Lebensbewältigungsmechanismen und kleinen Listen dieser doch nicht allzu dummen, nicht allzu ungebildeten Mitteleuropäer Ausdruck zu verleihen und diese zu schildern, auch ihre menschlichen Anfälligkeiten oder Gewohnheiten, bedient sich Kaurismäki eines Katalysators.

Einschub: Marcel Marx und seine Frau leben in einem kleinen Häuschen, das in eine Häuserreihe in einer engen Gasse eingequetscht ist mit einem ordentlichen Zaun aus zugespitzten und anständig bemalten Holzlatten. In Le Havre. Die Gasse besteht ferner, das ist wirklich wie die Anordnung in einem Kindermärchen, aus einem Gemüseladen, einer Kneipe und einem bösen Nachbarn, auch der ist sehr dezidiert bleich geschminkt wie Mephisto und ist der Miesling, der von hinterm Vorgang alles beobachtet und seine Mitmenschen denunziert. Wie im guten, alten Märchen.

Um also Leben in so eine Gasse, die wie von der Weltgeschichte übersehen und vergessen scheint, zu bringen, muss eine neue Figur hinzukommen. Der Erzähler entscheidet sich schlau für Idrissa, einen schwarzen Containerflüchtling aus Afrika. Der wird die selbstzufriedene, mit sich selbst beschäftigte Idylle nun aufmischen.

Der Container mit Idrissa und einem guten Dutzend weiterer Flüchtlinge wurde irrtümlich in Le Havre statt in England angelandet. Ein Kinderstimme macht den Hafenwächter auf die illegale menschliche Fracht aufmerksam. Mit martialischen Vorkehrungen und Maschinengewehren im Anschlag öffnet die Polizei den Container. Der Erzähler schildert uns nun das Bild das sich bietet nicht realistisch. Das wäre viel zu unangenehm für einen Winterabend am Kamin und für die Geruchsnerven. Das wäre direkt abstossend, wenn man sich realistisch ausmalen würe, wie es in so einem Container stinken muss und wie elend die Menschen sein müssen nach Tagen in dieser versiegelten Box. Es verstiesse gegen den Geist der Schnurre, hier Realismus zu wollen.

Unsere Protagonisten sind ja auch keine Europäer, die die Welt verändern wollen. Sie wollen ihrem ungelenken Gang höchstens ein Schnippchen schlagen, indem sie je nach Fall auch mal das Gesetz unterwandern und wie hier einem Illegalen zur Flucht nach England verhelfen. Da ist es wieder, das gute Märchen. Denn die für die Flucht und die Beschaffung der für den illegalen Transport über den Ärmelkanal nach England nötigen 3000 Euro, die kommen schnell zusammen dank einem anderen schnell organisierten Märchen: das kurzfristig aus dem Boden gestampfte Come-Back-Konzert des Sängers Robert; Marcel Marx kommt kaum nach mit dem Stempeln und Abreißen der Karten.

Es darf aber auch gekichert werden bei dieser Erzählung. Über einen Schlenker des Gemüsehändlers zum Beispiel mit dem im Gemüsekarren versteckten und von der Polizei gesuchten Flüchtling Idrissa. Denn der sehr menschliche Kommissar Monet hatte Marx kurz vor der anstehenden Razzia noch gewarnt. Auch Kommissar Monet ist ein heimlicher Spitzbube und agiert gegen das Gesetz, das er doch verteidigen soll, wenn er der Meinung ist, das Gesetz richte sich gegen die Humanität, die es doch vorgeblich schützen will. Das Gesetz aushebeln zu dessen eigenen Gunsten. Kurz vor dem Ende der Gasse und bevor es um die Kurve geht mit der Blumenkohl-Flüchtlingskarre, macht der Gemüsehändler also noch einen Schlenker in seinem Gang, den Bühnenkomiker gerne und gerne auch als einen Tic zu viel ihrem Publikum servieren, kurz vorm Abgang, erstens weil keiner gerne abgeht und zweitens, weil ein Abgang so und ohne Mätzchen einfach viel zu ernst und langweilig ist, erst recht in einer Schnurre.

Und die drei Klatschdamen der Gasse jammern und klagen, wenn sie sehen, wie der Blumenkohl, der den Flüchtling verdeckt, an ihnen vorbeigefahren wird, dass sie den doch für ihre Ehemänner bräuchten. Das sind leicht übertrieben gespielte, respektive erzählte Momente, die eben zur Erhöhung der Story und nicht irgend einer sozialkritischen Wahrheit dienen. Genau so wenn Marcel, dessen Frau, je mehr er in das Räuber- und Gendarmspiel, in das Versteckspiel des Schwarzen vor den Behörden involviert wird, desto kränker wird und er für sie ihrem Wunsch gemäss, der mit dem Tod der bald Sterbenden kam, das gelbe Kleid in ein prosaisches Packpapier einwickelt, so tut er das für meine Begriffe doch einen Deut zu ungeschickt, so bescheuert kann er nicht sein.

Übrigens, wie die Fluchtaktion glücklich zu Ende gegangen ist, und Marcel endlich seine Frau besuchen will, da liegt nur noch das scheußliche Packpapierpaket auf dem leeren Bett. Aha, tot. Nein, der Schnurrenerzähler hat sichs anders überlegt, er möchte seine Zuhörer nicht mit einem schlechten Gefühl nach Hause entlassen, aber die hübsche Wendung soll hier nicht ausgeplaudert werden, charakterisiert sie selbst doch auch wunderbar den Schnurrenerzähler und seine Haltung zu den Wünschen und Hoffnungen seiner Zuhörer.

Anfangs schwingt das Gefühl mit, dass von der Gefühlsdusseligkeit mancher Westler berichtet werde, die sich auf Flüchtlinge als Objekt für das Helfersyndrom förmlich stürzen. Aber der Eindruck, der erweist sich alsbald als falsch, je weiter die Schnurre fortschreitet.

Alle Deatils sind perfekt und meisterhaft erzählt und ineinander gefügt, wer den Begriff vom Kabinettstückchen bemüht, liegt sicher nicht falsch. Wie Idrissa aus dem Container wegrennt, wie er dann unter einem Kai verschwindet. Wie Marx, Karl, nein, Marx, aha, man höre, man höre, Marcel, wie Proust oder Marceau, ein künstlerischer Marx, ein Idealist – Kaurismäki macht hier vielleicht sogar eine Liebeserklärung an diese Art Idealisten, die vermutlich in einer linken Partei wären. Diese unverbesserlichen Idealisten, die zur Veränderung der Welt nichts wesentlich beitragen, die leiden unter der Welt, sich aber nicht sie zu verändern trauen, die sich mit diesen kleinen Spielen schadlos halten an der ungerechten Welt und den Behörden, die die gute Welt demokratiegemäss einrichten sollten aber meist das Gegenteil tun. Wie Marcel Marx auf der Treppe sitzt, den Jungen sieht, oben taucht Kommissar Monet auf, er sieht auch die Stulle, bittet Marx mitzukommen, aber er solle seine Brotzeit noch holen, und die holt er ohne das Sandwich und wie er die Treppe hinauf verschwindet, hört man nur akustisch, dass jemand durch Wasser watet .

Schnurrenhaft, wie Monet die Wohnung von Marx aufsucht und durchsuchen will und Idrissa hinter der Tür zum zweiten Zimmer sich versteckt hat, nur die offene Tür trennt ihn noch vom Kommissar und der Entdeckung und wie Marx bereits das Bügeleisen greift, um ihn eins überzubraten, jedoch Monet sich in diesem Moment umdreht, und Marx davon ablässt, denn das Motto des Filmes, ganz am Anfang auf einem Zeitungstitel zu lesen: Il y a toujours de l’espoir (die Hoffnung stirbt zuletzt).

Tournée

Das Ganze kommt mir doch eher vor wie ein Spleen, ein Gag, ein Vergnügen für sich selbst. Ein erfolgreicher Schauspieler, Mathieu Amalric, der im Filmleben vieles erreicht hat, wovon andere nur träumen können (Arbeiten mit André Téchiné, Raoul Ruiz, Alain Resnais, Luc Besson, Steven Spielberg, Sofie Coppola, Marc Forster) und der vielleicht einmal mit einer Theatertournée unterwegs war und dabei dies und das erlebt hat, denn wer ein Reise tut, der kann was erzählen und wer eine Theatertournée mitmacht, kann bestimmt besonders viel erzählen, und der nun einfach Lust hatte über dieses fahrende Künstlervolk einen Film zu machen und der es sich leisten kann und auch leistet, möglicherweise aber vollkommen vergessen hat, wie existentiell so eine Tournée mitunter werden kann; das kann sich jeder vorstellen, der einmal mit einer Gruppe Menschen auf engem Raum über längere Zeit zusammen sein musste. Mathieu Amalric schreibt nun also das Buch (dabei haben ihm andere noch geholfen), führt die Regie und spielt außerdem noch die Hauptrolle des Joachim Zand, des Tournéeleiters, der mit einer Gruppe vollbusiger Damen mit einer Art Stripshow, die hier Burlesque genannt wird, durch die französische Provinz tingelt, denn Paris war für ihn wegen Schulden verbrannte Erde.

Aber es war natürlich nicht so wie hier vermutet, es war alles ganz anders; Monsieur Amalric ist irgendwann auf den Geschmack der Regie gekommen und hatte lange schon einen Text der Schriftstellerin Colette mit sich herumgetragen; dieser Text bestand aus Notizen aus ihrer Zeit als Schauspielerin, Notizen, die während einer Tournée entstanden sind. Darin heißt es an einer Stelle „wir laufen in Richtung des Hotels, zu den stickigen Garderoben und den gleißenden Rampenlichtern. Wir laufen ungeduldig, plappernd, gackernd wie die Hühner“ ; diese letzte Bemerkung scheint prägend gewesen zu sein für die Inszenierung. Denn der Haufen vollbusiger Damen, aus denen die Truppe besteht, bewegt sich wirklich ständig wie ein Hühnerhaufen, viel zu aufgekratzt, aber nicht nur die Damen, auch das Provinz-Publikum überreagiert merklich in seinem Applaus, sie mussten die verschiedensten Varianten von Striptease-Nummern überiridisch gut finden, ob sich eine Dame nun erst mit Stars and Stripes leicht bedeckt oder in Stricke einwickelt oder hinter einem Fächer aus weißen Federn neckisch sich versteckt, um dann kurz Blöße zu zeigen.

Was bleibt? Schon kurz nach Verlassen des Kinos ist einzig die Erinnerung an einen Hühnerhaufen aus vollbusigen Damen mit blonden Perücken, die alle viel zu aufgekratzt agieren. Tutti Frutti per Tutti.

Gerhard Richter Painting

Kaum zu erwarten, dass Corinna Belz, die Dokumentaristin, den Film gemacht hätte und auch hätte machen können, wenn es sich bei Gerhard Richter nicht um einen der berühmtesten und teuersten deutschen Maler der Gegenwart handelte. Sie lässt jedenfalls mit ihren Fragen nicht erkennen, dass sie eine fundamentale Richter-Kennerin oder passionierte Richter-Liebhaberin sei. Das kommt jedoch dem Zuschauer durchaus zugute, diese Unvoreingenommenheit.

Richter hat sein Atelier in Köln. Er arbeitet dort mit zwei Assistenten und hat eine Büroleiterin. Er hat auch einen Probeausstellungsraum, ganz in weiß, da müssen die Bilder „reifen“, da hängt er sie erst mal hin und schaut sie immer wieder an und fotografiert sie und entscheidet dann darüber, ob sie „fertig“ sind oder ob nochmal drüber gegangen werden muss.

Die Dokumentaristin begleitet Richter überwiegend bei Vorbereitungsarbeiten für Ausstellungen in Köln, London und New York im Jahre 2009. In seinem Atelier gibt es kleine Modelle der zu behängenden Galerie-Räumlichkeiten, damit die Komposition der Ausstellungen vorbereitet werden kann.

Eine ganze Anzahl von Gemälden muss er für diese Ausstellungen noch herstellen oder fertig bringen. Dabei handelt es sich um abstrakte Arbeiten.

In einem eingeblendeten früheren Interview – die Dokumentaristin geht sehr sparsam mit historischem Material um, aber desto informativer – erzählt er, dass er 1961, wie er aus der DDR in den Westen gegangen sei, hier den kapitalistischen Realismus gemalt habe. Er hatte aber auch eine konkrete Phase, dazu gibt es in dem hier portraitierten Zeitraum eine Ausstellung in London.

Der Ruhm eines solchen Künstlers interessiert die Macherin des Filmes durchaus auch. Fotografenmeuten bei der Pressekonferenz zu einer Ausstellung, Vernissagen, Interviews oder auch Autogrammwünsche, inklusive Kommentar, dass die Berühmtheit zwar schön sei, aber ihn auch vom Arbeiten abhalte.

Über sein Arbeiten ist viel zu erfahren. Er scheint eher ein heimlicher Mensch zu sein. Er will beim Malen nicht beobachtet werden. Malen unter Beobachtung sei schlimmer als in der Klinik sein, das bringt er zur Sprache, wie er mit zwei Bildern einfach nicht weiter kommt, dass ihn die Kamera hindere. Man könnte das das Subversive an seiner Malerei nennen, er selbst benutzt den Ausdruck aber nicht. Auch wie er malt, abstrakt malt, ist sehr gut zu beobachten, denn Corinna Belz lässt sich sehr viel Zeit. Erst stellt er mit dem Pinsel mit verschiedenen Farben einfache Behauptungen in Form von Flächen und Pinselbahnen auf die Leinwand. Dann fängt seine Auseinandersetzung mit diesem Gegebenen an. Gerne passiert es ihm, dass er sehr bunt anfängt, hier zum Beispiel mit viel Gelb. Im weiteren Verlauf der Arbeit geht die Tendenz aber unwillkürlich hin zum Grau. Er merkt an, die Bilder machen, was sie wollen.

Malen nicht als Aktionismus. Sondern als ganz ruhig geführter Pinselstrich, ganz langsam und bedächtig, so wie die Filmemacherin sich auf ihn einlässt. Mit wenig Geräusch, außer dem Platschen herunterfallender Farbtropfen, wenn ein Strich mit dem Pinsel oder der an einem Griff befestigten und mit Farbe bestrichenen Glasscheibe, mit der er flächig über das Vorhandene streicht, von der Leinwand abstreift. Seine Auseinandersetzung ist die, ob die Flächen was erzählen oder ob nicht. Manche Bilder halten sehr lange. Manche nicht. Richter malt nie mit Malerschürze, nur mit sauberer Hose, einem Pulli oder gar einem Hemd; farbklecksig sind einzig seine Malerhandschuhe.

In der Unterhaltung mit einem Kunsthistoriker taucht die Frage auf, was der Maßstab dafür sei, ob ein Bild fertig sei, ob das Gute mit Wahrheit zu tun habe.

Frau Belz überfrachtet ihren Bilderbogen zu Gerhard Richter keineswegs mit Theorie und Geschwätz; es ist praktisch ein angenehmer, sehr ruhiger Atelier-Werkbesuch mit  etwas Vernissagen- und Berühmtheistklatsch und -Tratsch und wenigen kurzen, erhellenden historischen Einschlüssen dazwischen.

Malen als moralische Handlung (denn „schön“ malen sei kein Problem, meint Richter). Ein Film prima geeignet für die Sonntagsmatinee.

Giulia geht abends nie aus

Das ist Kino, Kino, Kino. Es umfängt einen, es umgarnt einen, es nebelt einen ein, es macht einen leicht, wie das Wasser im Schwimmbad (einer der Spielorte in diesem Film). Es betört einen, es raubt einem die Sinne. Kino pur. Am liebsten möchte man das Geheimnis der Zubereitung dieses Kinos von Giuseppe Piccioni erfahren. Die IMDb gibt nur bekannt, dass seit seinem letzten Film 5 Jahre vergangen sind und in derselben Internet Movie Data base taucht auch nicht eine Fernsehproduktion von ihm auf. Um es mal von außen zu betrachten.

Aber was erzählt uns dieses Kino? Doch gar nichts so Ungewöhnliches. Eine Dichter-, besser eine Autorenstory. Die Figuren, die dem Autor im Kopf rumtanzen, die seinen Realitätssinn leicht verwischen, so wie dieses Kino den Zuschauer bezaubert, und die sich selbständig machen.

Der Autor Giulio Montani, gespielt von Valerio Mastandrea, ist auf dem Wege des Erfolges. Die Gerüchte verdichten sich, dass er nah dran sei, einen wichtigen Literaturpreis zu gewinnen, den Premio Letterario MALASPINA. Das ist der ganz lockere äußere Handlungsfaden, um den sich die verschiedenen Deskriptionen seiner Befindlicheiten und Fantasien ranken.

Ein Dichter kann ganz schön viel Fantasie entwickeln. So viel, dass er manchmal zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann, soviel, dass seine erfunden Figuren – man kann vielleicht Ähnlichkeit mit der einen oder anderen Figur aus seinem Umkreis feststellen – sich selbständig machen und in einer Szene sogar sich zum Gruppenbild um sein Manuskript aufstellen und verwundert oder grinsend oder wie auch immer kommentierend darin lesen.

Da dürfte dem Dichter der Zugriff dann vollends abhanden gekommen sein. Um diesen ganz dünnen und nie penetranten Handlungsfaden, der so unscheinbar wie ein Untertext mitgeliefert wird, weil so einer zum gekonnten Geschichtenerzählen nun mal gehört, arrangiert Piccioni das Portrait, eines Mannes, der Schreiben durchaus als Handwerk versteht, der vielleicht auch gar nicht zu originell ist, der andauernd die Erfahrung macht, dass Leute, die sein Buch loben, es gar nicht zu Ende gelesen haben. Bis vielleicht auf den altklugen Filippo, den Sohn von Giulia, der Schwimmlehrerin, der Titelfigur, die er im Schwimmbad kennenlernt, der Schwimmlehrerin seiner Tochter, die nur dem Vater zuliebe den Schwimmunterricht nimmt.

Bei einem Gespräch mit seiner Tochter Constanza wird klar, dass sie keine Lust aufs Schwimmen hat. Allein wie dieses Schwimmbecken, die Bahnen, das Wasser, die Lehrerin und ihre Besprechung vom Beckenrand aus mit der Tochter vom beobachtenden Vater aus gesehen und inszeniert ist, ist geheimnisvoll schön und ungewöhnlich. Jedenfalls findet der Vater, wenn die Stunden schon bezahlt sind, so könne er ja den Schwimmunterricht nehmen, den seine Tochter nicht mag. Schon eine verrückte Vater- oder Dichterfigur. Denn er kann nicht mal schwimmen. Und ich glaube nicht dass ihm gleich bewusst ist, dass ihn die Schwimmlehrerin, das ist Giulia, die abends nie ausgeht, fasziniert. Oder er tapst einfach so, vollkommen ohne dazwischengeschaltete Reflexe der Begründung in die Beziehung rein. Wie Autoren möglicherweise sind, gar sein müssen.

Die dichterischen Fantasien des Autors Montani sind eher bescheidener Natur, aber auch wie dieses Bescheidene hier geschildert wird, ist umwerfend. Eine wirklich saudoofe Geschichte einer Gogo-Tänzerin und Nutte, die dem Pater beichtet, dass sie es für Geld mache. Und die ihn verlockt. Er solle doch auch mal kommen. Dieses Holzgesicht von Pater macht sich dann tatsächlich auf ins Rotlichtmilieu.

Etwas 80 – 90 Prozent des Filmes hält Piccioni den Zuschauer in dieser faszinierenden Schwebe zwischen Kino, Realität, Literatur, Erfindung, packt den Zuschauer in eine traumhafte Watte und nur damit dieser nicht abhebt, muss die Geschichte zum Ende hin ziemlich nüchtern geerdet werden. Dagegen aber fährt Piccioni dick Pralinen auf, die der Autor im Film mit seiner schwimmunlustigen Tochter ziemlich gierig verschlingt. Da muss ich noch mehr drüber lachen, wenn ich mir das jetzt vergegenwärtige.

Fast eher belustigt, wie Piccioni die Machenschaften und spießigen Geschäftigkeiten und Geschäftspraktiken um einen eminent wichtigen Literaturpreis herum schildert. Zum Beispiel die Privatlesung in einer Villa voller alter, selbstredend reicher, weißhaariger Erbinnen, Damen, Witwen, die alle vor der Lesung noch beim Coiffeur waren. Der Regisseur und das Publikum im Kino können amused sein. Auch die Begründung für die Lesung, die die Literaturagentin gibt, die Lesung bei dem Damenkränzchen, die sei halt wichtig, entbehrt jeglicher Rationalität. Liebenswert bösartig, wie Piccioni diese Dame von Literatur-Agentin schildert, die schamlos mit den Hoffnungen ihrer Klienten spielt und schachert.

Ein älteres Ehepaar verkörpert die Literaturfans. Meist sind sie im Lift anzutreffen und ihre Funktion ist einzig die, die Hoffnung unsseres Autors auf den Preis anzuheizen. Grandios und kostbar, weil so einfach und treffend. Man könnte sagen: das richtige Maß zwischen Kunst und Realität, zwischen Ernst und Satire getroffen. Wie bei einem Bassin, das genau so randvoll ist, dass immer wieder ein bisschen was drüberschwappt, aber nie wird der Zuschauer nass dabei, steht aber kurz vor dem köstlichen Schock, es könnte ihn gleich selbst erwischen.

Vielleicht ein Film für Menschen, die Literatur und Kunst zugetan sind, die diesen aber nicht bedingungslos verfallen sind, die sie als das nehmen, was sie im besten Fall sein können, eine Bereicherung, eine Würze für das Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Die drei Musketiere

Achtbare Familienunterhaltung, die man allein schon dafür mögen muss, da es sich um ein rein europäisches Produkt handelt. Dem man aber leider in jeder einzelnen Szene die Mühe ansieht, alles richtig und perfekt und toll und aufwändig erscheinen zu lassen und niemandem weh zu tun, noch jemanden zu schocken mit einer Enthauptung der bösen M’Lady de Winter beispielsweise. Das hat allerdings den Nachteil, dass eher der Eindruck von Szenenfolgen aus einem sprechenden Wachsfigurenkabinett denn der eines mitreißenden Spielfilmes entsteht. Denn in dem Riesenaufwand an Kostüm, Ausstattung und noch im Visier von zwei 3D-Kameras, bleibt den Akteuren wenig Spielraum. So stellt die Regie sie denn am liebsten dekorativ hin (wenn sie nicht gerade kämpfen müssen) und lässt sie in skizzenhaften Dialogen die wichtigsten Informationen zur Geschichte sprechen, ohne den Figuren grosses Eigenleben oder Kontur zu verleihen, ohne fesselnde Beziehungen entstehen zu lassen, die den Zuschauer bannen und fordern könnten.

Aufwand und Logistik zur Produktion dieses Filmes waren enorm. Lassen wir die Produktion sprechen: 2500 Komparsen, 710’000 Flugmeilen (24 mal um die Erde; von den zwei Flug-Schiffen, die irgendwie mit Jules Vernes konkurrieren zu scheinen wollen zu schweigen und die einen überdimensionalen Teil des Filmes einnehmen), 260’000 Liter Wasser zur Flutung eines künstlichen Kanals, 1’800 Marmorkacheln, 180 wasserspeiende Masken, 2’000 Schriftrollen, 800 Waffen, 3’000 Meter grüner Stoff, 55 Drehtage, 350 Personen im festen Filmteam und Abermillionen von Förderung aus allerlei staatlichen Fördertöpfen (und mit noch vielen imponierenden Zahlen mehr brüstet sich das Pressematerial und liefert damit wohl unabsichtlich effiziente Munition gegen den Film selbst); aber davon, dass auch nur ein Eimerchen Geist auf die Produktion verwendet worden wäre, die Geschichte heutespannend und aktuell zu gestalten, das Museale in heutige Seh- und Darstellungsgewohnheiten umzuwandeln, im Heutemenschen Seelensaiten zum Vibrieren zu bringen, davon ist leider kein Wort zu finden.

Der Plot ist einfach: die drei berühmten Musketiere wollen mit Hilfe des Provinzbengels d’Artagnan den franzöischen Knabenkönig vor den Intrigen des Kardinals Richelieu und damit Frankreich vor einem Krieg mit England bewahren.

Dass es sich bei vielen Darstellern um Stars handelt, fällt vor erdrückendem Aufwand und Statik der Szenen kaum auf. Mit No-Name-Darstellern hätte man vermutlich ohne grosse Qualitätsverluste ein ähnliches Resultat einfahren und dabei sehr viel Kosten sparen können und vielleicht wäre sogar ein Hauch Spontaneität und Urwüchsigkeit in die Produktion eingeflossen.

Ohngeachtet dessen: was war die Idee hinter dieser Unternehmung? Wollte man einfach einen grossen Film machen, einen Aufwandfilm, einen Logistikfilm? Wozu? Wollte man in Punkto schiere Grösse den Amerikanern endlich Paroli bieten?

Mir scheint vor lauter Zahlen und Litern und Metern und Komparsen und Luftschiffen und Kacheln und Stars das Wichtigste am Kino unter die Räder gekommen zu sein: eine spannende Geschichte zu erzählen. Vielleicht hat der grosse Geldberg, der hinter der Produktion stand, die Macher ängstlich und übervorsichtig gemacht und sie haben sich auf den verheerenden, vermeintlich risikolosesten gemeinsamen Nenner geeinigt: ein schmuckes Wachsfigurenkabinett, das ordentlich seine Texte und Kämpfe bietet, in ansprechendem Ambiente zu präsentieren. Geld scheint hier dem Kino-Geist den Schneid abgekauft zu haben.  Milchzahnkino.