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Ella und das große Rennen

Bei Filmen aus Skandinavien bin ich mir manchmal nicht so ganz sicher, ob die nicht in einer langen Polarnacht und unter Beiziehung von guten Mengen Alkohols ersonnen wurden und ob ihnen dann bei der Morgendämmerung nicht irgendwie der Schwung ausging.

Diesem Film des Finnen Taneli Mustonen, der mit Aleksi Hyvrinen und Timo Parvela auch das Buch geschrieben hat, könnte es so ergangen sein. Er fängt mit überbordendem Erzählelan an; schildert mit massivem Vergnügen am Schildern mit vermutlich bescheidenem Budget und entsprechender Kompensation an Vivacité und Verrücktheit die Geschichte einer kleinen Schule irgendwo in Finnland. Es gibt nur wenige Schüler dort.

Diese Schule soll abgerissen werden, damit ein ehrgeiziger Papa für seinen Buben, den er zum Formel-1-Talent entwickeln möchte, eine Rennstrecke zum Üben bauen kann. Deshalb bedroht der Papa den Direktor der großen Schule, er solle alle kleinen Schulen im Umkreis schließen und die Schüler auf die große Schule schicken.

Die kleine, entzückend entrückte Schule oben am Berg ist uns da bereits vorgestellt worden. Eine Schule, in die die Kinder gerne gehen, denn der Lehrer ist hauptsächlich müde, verteilt die Eulenstempel ohne in die Hefte zu schauen und schaut auch ziemlich verrückt aus.

Vom Schulamt kommt nun ein Formular, das die kleine Schule im Hinblick auf den Umzug ausfüllen muss. Kommt für unseren Lehrer gar nicht in Frage. Er lässt einfach einen Aufsatz über Tiere von einer begabten Schülerin direkt in das Formular eintragen. Hier geht es um Käfighaltung und Verhaltensweisen, die, wenn man sie einer Schule zuschreibt, politisch nicht ganz korrekt sind. Wie nun das Schulamt pikiert und empört auf den Bericht reagiert und sofort sich aufmacht, die Schule zu inspizieren, da sitzen doch tatsächlich die Schüler in einer Art Käfig, der aus Bauzaungittern zusammengestellt wurde, an ihren alten Tischen, die zum Abtransport bereit stehen.

Nun müssen die Schüler in die große Schule. Da gibt es witzige Szenen, wie sie sich zurecht finden sollen. Schließlich kommen sie dahinter, weswegen ihre Schule geschlossen worden ist. Sie lernen auch den Rennfahrervater und den eingebildeten, blonden Rennfahrerbuben, der immer im roten Rennfahreranzug rumläuft, kennen. Jetzt wollen sie den Abriss verhindern. Vom Moment dieses rationalen Zieles an, versucht die Handlung, die auch schnell an Tempo verliert, vernünftelnd an ihr Ziel zu gelangen. Was nicht so leicht ist, denn die Entscheidung darüber, ob Schule oder Rennstrecke, soll ein Rennen auf einer bestehenden Strecke fällen. Da werden sich in einer an sich lustigen Szene ein alter VW-Bus ohne Motor und mit zwei Hunden davor an der Startlinie neben einem richtigen Boliden aus der Formel 1 gegenüberstehen. Die Schüler von der kleinen Schule gegen den Verwöhntbuben. Die Hase- und Igel-Erwartung wird allerdings unterlaufen.

Ein Wort verdient die deutsche Untertitelung. Sie scheint mit einer Übersetzungsmaschine aus dem Internet passiert zu sein, so heißt es beispielsweise statt unfair: unfähr.

Der Künstler und das Mädchen

Faktisch leistet hier Fernando Trueba, der mit Jean-Claude Carrière auch das Drehbuch geschrieben hat, Gedenkarbeit, Gedächtnisarbeit, vielleicht sogar Verehrungsarbeit anhand einer Künstler-und sein-Modell-Geschichte. Denn den Film hat er seinem verstorbenen Bruder gewidmet, der Bildhauer war.

Der Film ist in schwarz-weiß gedreht und spielt zur Zeit kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges in einer kleinen Ortschaft im Süden Frankreichs in der Nähe der Grenze zu Spanien.

Die Hauptfigur ist der von den Jahren, vom Wetter und vom Leben geprägte Jean Rochefort, der etwas Clownhaftes in seinen Augen hat, als der alte Bildhauer Marc Cros. Er ist immer auf der Suche nach neuen Modellen, nach hübschen, jungen Frauen, die ihm Modell stehen für seine Skulpturen. Die Frau schlechthin ist für ihn der erste Gottesbeweis. Der zweite ist das Olivenöl. So wird er am Ende des Filmes ganz glücklich in seiner Atelier-Hütte oberhalb des Ortes vor der neuen Skulptur, die er während diesem Film geschaffen hat, sitzen, sie betrachten, noch feilen an ihr und dann ein Weißbrot mit draufgeträufeltem Olivenöl zu sich nehmen.

Derweil ist sein Modell schon auf dem Weg woanders hin. Es ist ein spanisches Mädchen, ungebildet und ländlich, sinnliche Lippen mit einem eher rauen Ton. Claudia Cardinale, als Léa Cros, die Frau des Bildhauers, hat sie ihm beschafft, sie lag mit Lumpen bekleidet und Löchern in den Schuhsohlen vor einer Haustür in der Ortschaft. Früher war Léa das Modell.

Der Hauptteil des Filmes beschäftigt sich mit den Sitzungen von Maler und Modell. Aida Folch als Mercè braucht sich vor Schönheiten der bildenden Kunst nicht verstecken. Diese Sitzungen geben Anlass für Erörterungen über die Kunst, kunstphilosophische Betrachtungen auch anhand einer Postkarte mit einer schnellen Rembrandt-Skizze drauf; er dürfte kaum mehr als 45 Minuten gebraucht haben, meint Cros, aber das sei nicht das Entscheidende.

Die Grundthese des Filmes: lieber Kunst statt Krieg. Letzterer spielt in den Film hinein. Auf dem Markt werden Brieftauben konfisziert, angeblich wegen Spionage, der Volksmund vermutet eher kulinarisches Begehren der Soldaten. Von Stalingrad ist die Rede. Einmal findet Mercè einen amerikanischen Fallschirmspringer im Wald; sie selbst arbeitet mit der Résistance zusammen und schmuggelt Partisanen nach Frankreich.

Andererseits hocken die Nazis in Frankreich. Und so kommt es zu einer Begegnung, die als ein epigonales Echo auf Melvilles einzigartigen Film „Das Schweigen des Meeres“ von 1949 gelesen werden kann; dort ein zwangsuntergebrachter deutscher Offizier mit Bewunderung für die französische Kultur; hier ein deutscher Offizier, Götz Otto, der als Offizier Werner ein Bewunderer und Kenner des Werkes von Marc Cros ist und diesen auch aufsucht. Und es gibt poetisch-malerische Szenen auf einer Wiese, an einem Wasserfall. Ein schöner Festtagsfilm.

Tatort: Allmächtig (TV, ARD, BR)

Dieser Tatort ist grober Unfug auf Gebührenzahlerkosten und pinkelt dem eigenen Sender ans Bein, dem BR (Intendant Ulrich Wilhelm), mit einen Plot, der davon ausgeht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag nicht erfüllt. Kein reeller Kaufmann würde dafür 1,3 bis 1,5 Millionen Euro hinlegen. Denn der Skandal, der dem Fall zugrunde liegt, geht von einer dysfunktionalen Öffentlichkeit aus und ist so groß, dass auf ihn der Slogan der Abendschau angewandt werden müsste: „Wenn’s so wäre, wüssten Sie’s aus der Abendschau“. Die in diesem Tatort postulierte Öffentlichkeit, weiß es aber nicht. Wenn der Skandal so groß wäre, wie in diesem Fall angenommen („bei der Motivlage kommt da halb München in Frage“), und die Öffentlichkeit jenseits des Internets hätte davon nichts mitgekriegt, dann hätte diese Öffentlichkeit ein Problem. Und dann müsste diese kritisiert werden. Der Fall geht von einer Öffentlichkeit aus, der der reihenweise Ruin ehrbarer, gestandener Mitbürger (u.a. ein gut eingeführtes Fischrestaurant am Viktualienmarkt, eine angesehene Finanzbeamtin) durch ein perfides Internetstartup-Unternehmen (AAA), das mit wachsendem Erfolg ehrenrührige, denunziatorische Mobbing-Clips im Internet verbreitet, verborgen bleibt oder die den Skandal verschweigt. Falls die Öffentlichkeit der Medien jenseits des Internets in München noch funktioniert, so entzieht das diesem Tatort allerdings den Boden unter den Füßen, und er darf gewiss als grober Unfug bezeichnet werden. Denn die Öffentlichkeit, von der hier die Rede ist, ist ein demokratischer Grundpfeiler, und wenn der nicht mehr funktioniert, dann haben wir ein Problem mit der Demokratie. Dieser Tatort setzt just dies voraus. Die verfasste Öffentlichkeit tritt erst mit den beiden Kommissaren auf den Plan, erst nach dem Verschwinden einer Person. An zwei Stellen fragen die Kommissare dann immerhin wegen Schadenersatzklage und Anzeige, vermutlich um den Vorwurf des Unfugs im Drehbuch vorbeugend zu heilen.

Um den haarsträubenden Plot zu übertünchen, wurde nun viel zähe TV-Handwerkerei-Paste mit prononcierter Kinosehnsucht, Kameraspielereien, einer Fülle an Ausstattung mit liebevollen Details, einer sanften, angenehm zurückhaltenden und nicht unnötig dramatisierenden Musik drüber gestrichen; aber gegen die Unglaubwürdigkeit der Rollen helfen auch keine noch so hübschen, noch so TV-beflissenen Darsteller.

Plot-Rekapitulationsversuch. Ein aggressives Internetstartup-Unternehmen, „AAA“, generiert im Internet mit perfiden Kameraüberfällen auf ahnungslose Opfer („gehen einfach rein und filmen“) zur Herstellung von Mobbing- und Denunziations-Clips (das „k“ von „kein Nazi“ wird einfach weggeschnitten) über 170’000 Klicks pro Clip, mit der Provokation von Hass (Hassmails) und Häme (Sarah Nazibraut), ruiniert damit reihenweise Existenzen, wird aber von der verfassten und medialen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen und hat jetzt eben eine Siegesfeier hinter sich, denn das „richtige“ Fernsehen ist interessiert (BR?, ARD? Interessieren die sich für Clips, die ihre eigenen Kommissare als „Dreck“ bezeichnen müssen?). Das ist eine „Riesenchance“, wie die Mitgesellschafterin Lohmiller dem Kommissar gegenüber versonnen meint (ihr kümmernder Ton bei diesem Begriff steht in merkwürdigem Gegensatz zum Erfolg, den die großzügigen Studioräumlichkeiten (wie sich später zeigen wird allerdings ohne Sprinkleranlage, ein Schwarzbau?) und das luxuriöse Loft von AAA, dem Namen und Gesicht des Unternehmens, über den Dächern von München vorgeben; was brauchen die noch händeringend eine „Chance“, wenn es ihnen schon so gut geht?). Allerdings war AAA bei der Siegesfeier unentschuldigt ferngeblieben, ein Fakt, der die Firma hätte alarmieren müssen, es aber offenbar nicht getan hat, die Feier scheint, als ob nichts gewesen wäre, ohne ihn stattgefunden zu haben.

Der nicht ganz keusche, katholische Pfarrer Fruhmann aus Schwabing ist eines der Opfer von AAA („noch ein Braten im Ofen?“). Dafür wurde er von der Kirche nach Obertaufkirchen strafversetzt. Er gründet eine Selbsthilfe-Gruppe der Opfer von AAA. Dies sind u.a. eine Finanzbeamtin, die ihren Job verliert und zur Messi wird, ein Nazi-Aussteiger, der andauernd neu untertauchen muss, ein Restaurant-Betreiber, der den Abstieg zum Wurstbudenbetreiber verkraften muss und der Pfarrer selbst, der von Schwabing nach Obertaufkirchen gemaßregelt wurde. Offenbar hat aber keines der Opfer Vertrauen in den Rechtsstaat oder in die Medien außerhalb des Internets, auch nicht in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, noch in eine der Münchner Tageszeitungen und alarmiert diese oder erstattet Anzeige. Keiner traut sich, dem Treiben von AAA juristisch zu begegnen, keiner traut sich, die Presse oder Medien zu informieren – trotz enormem Ausmaß des Skandals: keine Öffentlichkeit.

Diese Grundlegung des Falles, die zu den Todesfällen führen wird, die dann wenigstens die verfasste Öffentlichkeit in den Personen der beiden Kommissare auf den Plan ruft, ist schlicht nicht nachvollziehbar, ist haarsträubend und ohne jeden realen gesellschaftlichen Hintergrund; der Film muss also woanders spielen; garantiert nicht in München, wohl kaum in Deutschland. Diese Konstruktion ist, das darf man wohl mit Fug und Recht behaupten, hirnrissig bis grober Unfug zu nennen; um so mehr, als die Opfer nicht so dargestellt werden, als sie von der Wirksamkeit von Medienöffentlichkeit keinerlei Ahnung hätten; das muss ja eine sehr dumme Spezies von Mensch sein, die offenbar nur im Internet lebt, welches hier so stark ist, dass es solche Opfer zustande bringen kann.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Begründung des Pfarrers für den Verzicht auf die Beiziehung der medialen und verfassten Öffentlichkeit mit Hinweis auf Mandelas Politik der Vergebung so, dass sich die katholische Kirche nur wundern dürfte, was für strohdumme Pfarrer das Fernsehen erfindet und engagiert, die den Mandela so bescheuert interpretieren. Nun ist allerdings sein Anwärter auf das Priesteramt, den der Pfarrer auch in die Kunst des Exorzismus einführt, etwas übereifrig. Es geht einiges schief, was dann doch den Rechtsstaat in Form der beiden langjährigen Kommissare mit ihrem werbewirksam inszenierten BMW (mal nachfragen, was die PR-Verabredungen zwischen BR und der Automobilfirma sind; wie weit das Sponsoring auf die Inszenierung des Wagens und damit des Filmes Einfluss nimmt) auf den Plan.

Ein haarsträubender Plot, der in einer offenbar von der verfassten Öffentlichkeit, juristisch wie medial abgeschotteten, gesetzlosen Internetwildnis spielt, jenseits aller anderen Medien-Öffentlichkeit und an dem gleich drei Autoren mitgekocht haben: Harald Göckeritz, Gerlinde Wolf, Edward Berger – für diesen schwach durchdachten Mist, der noch seinen Auftraggeber schlecht aussehen lässt, werden sie ein ansehnliches Honorar aus Gebührengeldern kassiert haben. Die Firma Hager Moss hat den Film für den BR produziert.

Ein Ensemble von soliden Berufsleuten vor und hinter der Kamera kämpft nun verzweifelt gegen diesen hahnebüchenen Plot, der mit den üblichen TV-Methoden auch gar nicht plausibel darstellbar wäre, versucht mit diversen Mittelchen von der Hirnrissigkeit des Buches abzulenken. Hirnrissig im Sinne, dass es in der Realität unserer Gesellschaft nicht vorstellbar ist, dass ein Skandal dieses Ausmaßes, reihenweise ruinierte Existenzen durch Hunderttausende von Klicks im Internet, nicht ins Bewusstsein der restlichen Öffentlichkeit gedrungen sein soll; dass keines der Opfer sich weder an die juristische verfasste Öffentlichkeit noch an die Presse oder Medien außerhalb des Internets gewandt hat. Das ist reine Zombiefantasie der Autoren. Sie haben einen Zombieplot geschrieben und den wollen die Macher zurecht nicht als solchen erkennbar machen, weil dann wäre es ja kein „Tatort“, dann wäre es Sonntagabend-Trash. Mit viel Kamera- und Inszenierngshokuspokus und -firlefanz bemüht sich das Team hinter der Kamera den Eindruck von Eleganz und Modernität zu erwecken, um von diesem hinterwäldlerischen Plot, der bestenfalls Schaum aus sensationslüsterner Schlagzeilenschlägerei ist, abzulenken.

Mittel zur Entzombisierung des Plots.
Während den beiden Kommissaren durchaus anzusehen ist, dass ihnen Buch und Regie (und möglicherweise auch einige Kollegen) nicht allzu sehr behagen, täuschen sie wiederum grandios durch den Rhythmus ihres seit Jahrzehnten wie bei vorgerückten Ehepaaren eingeübten Pas-de-Deux, den sie beim gemeinsamen Betreten eines Raumes oder wenn sie mit vorgehaltenen Pistolen in Räume eindringen, hinlegen, nicht nur über den abstrusen, lebensfernen Plot hinweg, sondern sie balancieren auch noch allfällige Ansätze von Arthrose in den Knien geschmeidig aus (Ingwer wäre zu empfehlen).

Kameraspielereien zur Plotverschleierung: die Verhörsituation der beiden noch lebenden AAA-Gesellschafter hintereinander in parallelen Räumen, die Befragung gespiegelt in der Linse der, Achtung Markenwerbung: „Handycam“, durch ein Lüftungsgitter oder aufgenommen mit normaler Fiktionskamera und dies gedoppelt hintereinander und die beiden Akteure stört je die mitfilmende Kamera. Solche Spiegelungsspielereien lenken wirkungsvoll ab von einer unterirdischen Story.

Ablenkungs-Inszenierungschoreographie im prächtigen Kirchlein von Obertaufkirchen mit den beiden Kommissaren und dem Pfaffen und seinem Zauberlehrling. Ein Hin- und Hergegehe zwischen Kirchenschiff und Empore, richtig kopflos. So kann Text barock verspielt werden.

Auch die Castingabteilung versucht gegen den Plot zu halten, zu besänftigen, indem sie Schauspieler bestellt, die gar nicht erst den Anspruch haben, Realität abzubilden, „Figur-Sein“ rüberzubringen, sondern die klar zu verstehen geben, dass sie „gekonnt gelernt“ einen fremden Text präsentieren und performen und locker vorschauspielern. Die einzige Figur, die Geheimnis hat, und insofern reales „Sein“ behauptet, ist der Täter. Der sich damit vom ersten Auftritt an schon verrät.

Innere-Monolog- und Wartesituationen. Um die Leere der Figuren, die so ein hirnloser Plot impliziert, zu überspielen, gibt es zwei Intermezzis mit vorgetäuschten inneren Monologen, je nach einem Drittel des Filmes, das eine Mal werden alle möglichen Täter in Gedanken versunken gezeigt, rasch hintereinander geschnitten, das andere Mal versuchen die beiden Kommissare in schnell wechselnden, verschiedenen Positionsarrangements in ihrem Büro Klarheit über den Fall zu gewinnen. Ein Mittel, was den Eindruck von Tiefe erweckt, die der Plot nicht bietet.

Auch die Musik versucht suggestiv zu beschwichtigen. So schlimm ist das alles doch gar nicht. Es gibt hier keine Schmerzen.

Kein reeller Kaufmann würde für dieses lausig-gearbeitete, sensationslüsterne Plotwerk mit so unsolide erfundener Story 1,3 bis 1,5 Millionen Euro auf den Tisch legen. Der BR tut es. Wie viel geht davon für die Story, wie viel für deren Reparatur resp. deren Vertuschung und Halbwegs-Erträglichmachung drauf? So einen miserabel recherchierten Plot würden eingefleischte Splatter- oder Horrorfilmer für wenig Tausend Euro drehen: aber dann: „holla die Waldfee!“

Bei genauer Lektüre des Drehbuches hätte die meisten Mitwirkenden ihre Teilnahme an diesem Tatort absagen müssen (so ’n Schmarrn mach ich nicht mit). Aber es locken die Gebührengelder, die nach der Reform noch reichlicher fließen, sie locken mindestens so stark wie manche Politiker der Kuchen der große Koalition.

Geschickt und mit viel Fleiß und Aufwand verbrämter Trash. Im Grunde genommen ist die Gesellschaft, die hier skizziert wird, die sich abseits der juristisch verfassten und medialen Öffentlichkeit bewegt, eine Zombie-Gesellschaft, müsste dann korrekterweise auch als solche dargestellt werden. Das wäre echter Horror: dies mitten unter uns.

Fazit: dieser Tatort ist ein unverzeihliches Gebührenverbrennungsdesaster, weil er mit unglaublichem Aufwand versucht, den Trash, den der Plot darstellt, zu vertuschen. Redaktion: Claudia Simionescu.

Nett. Die Katze, die vorm Count-Down die Fahrbahn der beiden Fahnder kreuzt. Die schwerhörige Bayerin im Friedhof: „was is?“. Während das Studio sich zum flammenden Inferno entwickelt, versucht der Kommissar ein Verhör = Suspense. Der junge IT-Mensch, der dann doch lieber in seinem fensterlosen Kellerraum bleibt. Herr Kolbeck, der während der Befragung mit einem Metzgermesser Karotten zerhackt und dazu sagt: klar war ich wütend. Die abgefilmte Exorzismusfantasie des Kommissars. Und last not least, Werbung für die Trauerhilfe Denk unter dem Namen „Herz“. Wer bietet Trauerhilfe für diesen Tatort? Das Herz nicht, hier muss man denken.

Blau ist eine warme Farbe

Was ist die Liebe, fragt sich Abdellatif Kechiche, der diesen Film frei nach einem Comic von Julie Maroh geschrieben und gedreht hat. Was ist die Liebe, wo kommt sie und wie in unserem Alltag vor, was bewirkt sie, was ist ihr Preis und vor allem: kann sie ewig dauern? Da er zu keiner definitiven Antwort kommt, nennt er denn seinen Film, inzwischen großer Cannes-Gewinner, im französischen Original „Das Leben von Adele, Kaptiel 1 & 2“. Womit auch klar ist, dass Adele die Hauptfigur ist. Kechiche hat mit Adèle Exarchopoulos eine Schauspielerin gefunden, die mit seiner Hilfe extraordinäre Starqualitäten entwickelt: eine unglaubliche Präsenz und die mit den darzustellenden Gefühlen bis ins Extrem geht und nie einen Moment von erlernter Schauspielerroutine erweckt und deren Gesicht keinerlei Spuren von geometriesüchtigen Gesichtschirurgen aufweist.

Da Kechiche sich für den Menschen in seiner Ganzheit interessiert, er ihn in seiner Ganzheit wahrnimmt und darstellt, sind seine Szenen näher beim Real Life als bei verkürzter Künstlichkeit. Egal, welcher alltäglichen Art die Szenen sind, ob die Familie beim Spaghettiessen oder ob Adele auf dem Schulweg ist oder im College oder bei ihrer 18. Geburtstagsüberraschungsfeier von Freunden und Verwandten oder später im Kindergarten oder bei einer Vernissage ihrer Freundin: immer klopft er die Szene darauf hin ab, wie es gerade um die Liebe und Liebessehnsüchte oder das Liebesglück, die Abwesenheit von Liebe oder um das Liebesleiden von Adele steht.

Anfangs sind es Gespräche in der Schule unter den Mädchen über die Jungs, die sie beobachten, es gibt Dates mit einem Jungen, Küsse, aber es gibt auch den Moment, wo Adele zwei junge, in einander verliebte Frauen entdeckt, das Bild schlägt wie ein Blitz ein, es beunruhigt sie nachts im Bett, sie hat die Vision der Liebe mit jener Frau.

Die Liebe sucht sich ihren Weg. Es gibt einen Besuch in einer schwulen Bar. Es gibt Gespräche mit Frauen. Es gibt die Begegnung mit Emma, Léa Seydoux; hier fängt die Liebe hemmungslos Feuer, die Liebe der noch unbedarften Adele zu Emma, die schon, auch als Schauspielerin, bedeutend mehr Biographie aufzuweisen hat. Sie ist bildende Künstlerin, zeichnet, malt, ist auf dem Wege einer Karriere. Diese Welt fasziniert Adele, die aus einfachen Verhältnissen kommt, aus Verhältnissen, wo ein Teller Spaghetti mit sicht- und hörbarem Vergnügen verschlungen wird, denn hier geht die Liebe durch den Magen.

Das Thema zum Film hat Kechiche mittels einer Schulstunde eingeführt, anhand eines Marivaux-Textes sollen die Jungs und Mädchen ihre Gedanken über die Liebe formulieren, wie sie erkennbar wird, wie sie einschlagen kann. Ein Blitz ist jedenfalls harmlos gegen das, was Adele passiert; eine heiße totale Liebe zu Emma; unsäglich schön gefilmte erotische Sexszenen, traumhaft schön und ausdauernd, sei es bei ihren Eltern in ihrem Zimmer, während die Eltern glauben, Emma würde auf dem Notbett schlafen oder bei den Eltern von Emma, die ihre Freundin ganz offiziell vorstellen darf.

Je schöner, heftiger, intensiver diese Liebesszenen werden, desto mehr fragt sich der Zuschauer, ja kann denn das immer so weiter gehen. Kann es offenbar nicht. Bei einer Party beobachtet Adele Emma mit der schwangeren Lise und spürt intuitiv, dass das mehr ist als nur Smalltalk. Nach der Party gibt sich Emma nur wiederwillig der begierigen, brennenden Adele hin, bremst das Manöver aus. Nicht lange dauert es bis zum Krach und, au, das ist eine heftige Szene!, Emma schmeißt Adele Knall auf Fall raus. Dabei war sie doch ihre Muse.

Die direkten Folgen dieser Trennung erspart uns Kechiche. Springt drei Jahre weiter. Adele ist jetzt Kindergärtnerin. Hält der Beruf sie zusammen? Sie muss ohne diese Liebe weiter leben, aber sie hat sie gehabt; vielleicht wäre ja sowieso öde Routine draus geworden, wer weiß; sie hat gelegentliche One-Night Stands, ein Kollege möchte mit ihr ausgehen.

Und es wird zu erneuten Begegnungen mit Emma kommen. Die ist jetzt mit Lise zusammen. Sie haben ein Kind. Adele hat sich verändert, der Beruf hat sie verändert; sie trägt Brille und die Haare strenger. Dem Zuschauer geht es nicht anders als dem Filmemacher, der sagt, er würde sich sehr interessieren, wie es mit Adele weiter geht. Will sie überhaupt noch eine andere Liebe, nachdem sie diese eine, sensationelle, auch filmisch sensationelle, Liebe erlebt hat, reicht das vielleicht für ein ganzes Leben? Denn zu toppen dürfte das kaum sein. Kann diese Liebe weiter in ihr glühen. Oder muss das Leben lieblos ohne Liebe weiter gehen mit Hingabe an die Kinder, die sie unterrichtet?

Der Film schult den Zuschauer auch darin, wie lebensnah, wie glaubwürdig Kino sein kann, wie nah am Leben, obwohl doch alles durchdacht und inszeniert ist. Weil Kechiche hart am Thema bleibt und es gnadenlos knetet, durchforscht, beobachtet, dürfte das die grandiose Qualität und Faszination dieses Filmes ausmachen.

Genug gesagt – Enough Said

Nicole Holofcener, die Autorin und Regisseurin dieser Komödie über Einzeleltern, die ihr Kind ins Studium verlieren und Kompensation suchen, hat Humor und ein Händchen sondergleichen für spielerisch-spielende Inszenierung, so dass die Geschichte so wirkt, als erzähle sie sprudelnd direkt aus dem Leben.

Das Leichte ist das Schwere und das beherrscht Nicole Holofcener. Ob man das Thema nun mag oder nicht. Jeder sieht sowieso immer nur seine Probleme. Die Schwangere sieht überall Schwangere. Hier sind es getrennt lebende Elternteile, deren Kinder gerade flügge geworden und dabei sind, sich in ferne Städte ins Studium zu verabschieden.

Die allein zurückgebliebenen Eltern können sich nun entweder auf Hobbies konzentrieren wie Stricken oder Weben (letzteres ätsch, war nur ein Witz von Albert, James Gandolfini, in einer anrührenden letzten Rolle, der übrigens von seiner Ex als Wabbel-Bauch bezeichnet wird und keine Kalorienbücher mag). Albert ändert sein Verhalten im Schlafzimmer kein bisschen, obwohl seine Ex die Nachttischchen mitgenommen hat: jetzt liegt einfach alles auf dem Boden. Und von Zahnbürsten, die seine Freunde sind, mag er sich sowieso nicht trennen.

Oder diese etwas einsameren, älteren Herrschaften, die garantiert kein Frischfleisch mehr sind, machen sich wieder auf Partnersuche. So jedenfalls hält es unsere umwerfend charmante Hauptdarstellerin Eva, Julia Louis-Dreyfus, die immer erst skeptisch nachdenkt, bevor sie redet, ganz im Gegenteil zu einer ihrer Kundinnen (sie ist Masseuse), die pausenlos quatscht; nach diesem Nachdenken trifft sie aber den Nagel auf den Kopf oder sagt dem Albert, den sie eben erst auf einer Party kennen gelernt hat, sie sehe seinen Penis.

Genau so direkt hat sie auf der Party gesprochen, dass hier überhaupt keine interessanten Männer seien. Einer davon war Albert. Auch eine Lyrikerin hat sie dort kennengelernt, die gerne ihre Karte nimmt und zu einer ihrer Kundinnen wird. Alle diese Leute, genau so wie ihre beste Freundin Sarah, haben flügge gewordene Kinder, die gerade dabei sind, das Elternhaus zu verlassen, auch Evas Tochter.

Im Zentrum steht nicht das hübsche Frischfleisch der Töchter, die ausfliegen, im Zentrum bleiben die zurückgebliebenen Mittelalter, die für „Shit“ wie Verliebtheit sich zu alt fühlen. Nur mag sich damit Nicole Holofcener nicht zufrieden geben. Denn der Liebesstachel juckt und löckt. Auch wenn Barthaare und Frauenhaare dazwischen kommen, wenn die physische Annäherung kompliziert geworden ist. Anstelle der Jugend hat das Alter den Humor gewonnen und kann so prekäre Situationen leicht entschärfen, zu denen es in so einem Drehbuch unweigerlich kommen muss.

Die Regiekunst von Nicole Holofcener dürfte die sein, die Menschen immer locker und leicht erscheinen zu lassen, glaubwürdig wie selten in einer Komödie. Sie spielen nicht diesen ätzend schweren Realismus, sie spielen einen spielerischen Realismus, gekonnte Natürlichkeit könnte man es nennen, so dass man dieser Komödie und diesen Komödianten, die den Komödianten so gar nicht raushängen lassen, einfach gerne zuschaut. Kino von ganz eigenem Charme, auch wenn der neue Geliebte Hände wie Paddel hat. Die Beschreibung macht nämlich den Gegenstand. Und macht ihn wirklich, aber auch erträglich. Alltagspoesie. Beim ersten Sonntagsbrunch hat der ungeschickte Albert für Eva nur Bagels aufgetischt, nicht wenige; ihre begeisterte Antwort darauf: ich liebe Brot. Das ist herzerfrischend. Charme der ersten Gespräche auf dem Rasen vor dem Haus: Eva fängt an Unkraut auszuzupfen; darauf fängt Albert auch an; aber er rupft das Rasengras aus. Und da es sich um einen Film aus der Sparte Familienfilm und zudem aus Amerika handelt, wird sich bei Thanksgiving, dem unerlässlichen Familienfest, bis auf die lebensentscheidenden Details ungefähr alles klären.

Beware of Mr. Baker

Obwohl diese Dokumentation vom zur Zeit dominierenden Muster einer Mischung aus Archivaufnahmen und neuen Interviews mit dem Protagonisten und Menschen aus seiner Umgebung, Weggefährten, Verwandten nicht abweicht, lediglich mit kohlezeichnungshaften Animationen noch ergänzt wird, so sollte man den Film von Jay Bulger vielleicht doch besser im Kino anschauen. Denn sein Protagonist, der Jahrhundertdrummer Ginger Baker, könnte womöglich die Fernsehkiste oder den Computer zur Explosion bringen. Obwohl er die siebzig Jahre überschritten hat und an einem Stock geht, ist selbst der Dokumentarist vor ihm nicht sicher. Bei der Verabschiedung nach Ende der Dreharbeiten holte er sich eine blutige Nase, die ihm Baker mit dem Stock über das Autodach hinweg geschlagen hat, wie dieser hört, dass der Dokumentarist sich jetzt auf den Weg mache, seine ehemaligen Wegbegleiter aufzusuchen.

„Beware of Mr. Baker“, das steht auch am Toreingang zum Anwesen in Südafrika, was Baker bis vor kurzem noch mit einer Frau, zwei Stiefkindern, vielen Hunden und 38 Pferden bewohnt hat. Misstrauen ist sein vielleicht hervorragendstes Charaktermerkmal. Verlass ist nur auf Hunde und Pferde, meint Baker an einer Stelle. Und, das sagt er zwar nicht, aber das ist an ihm abzulesen, wenn er mit guten Musikern spielen kann. Zuletzt bei einem Konzert in Salzburg 2010. Da musste er Geld verdienen, weil er keinen Penny mehr hatte, nachdem er sein Landgut in Südafrika und seine Pferde und Hunde hatte verkaufen müssen.

Einer, der ohne jeden Gedanken an bürgerliche Sicherheit und Vorsorge radikal nur der Musik und dem Moment lebt, der nie mit komplizierten Gedanken an das Morgen und Übermorgen sich das Heute vermiesen lässt. Der Spaß muss im Heute sein. Die Musik muss im Heute sein.

Begründet scheint diese Haltung und sein Misstrauen gegen vorgebliche Verlässlichkeiten in einem einschneidenden Erlebnis in seiner Kindheit, wie er mit vier Jahren erlebt hat, wie sein Vater mit dem Zug weggefahren ist in den Krieg, und er ihn nie wieder gesehen hat. Ihm also eine ordnende Leitfigur gefehlt hat. Er hat stattdessen Ordnung, Timing, Takt, Rhythmus in der Musik entdeckt. Denn getrommelt habe er schon immer. Das konnte er von Natur aus. Hier hat er keine Schule, keine ihn leitenden Vorbilder gebraucht. Er zählt an einer Stelle vier Drummer auf, die ihn glücklich gemacht haben. Dabei kommen ihm die Tränen.

Jay Bulger, der Dokumentarist, hat sich eines Tricks bedient, um an den misstrauischen Mr. Baker ranzukommen. Schon vor einigen Jahren habe er einfach behauptet, er schreibe einen Bericht über Baker für die Zeitschrift „Rolling Stone“, was zwar eine Lüge war; aber er habe dann drei Monate mit Baker unter einem Dach gelebt und den Artikel konnte er tatsächlich an „Rolling Stone“ verkaufen. Als Nachbearbeitung dazu ist dieser Film entstanden. In welchem Baker in jeder Interview-Szene eine neues, exklusives Hemd trägt.

Die 38 Pferde habe er sich aus England nach Südafrika einfliegen lassen. Bezahlt habe er sie aus der Gage eines Revivals-Konzertes in der Royal-Albert-Hall mit der berühmten Band „Cream“ mit Eric Clapton und Jack Bruce, welche in Interviews auch zu Wort kommen.

Schöne Szene im Salzburg-Konzert, er entsorgt eine Zigarette, indem er sie in die Luft wirft und sie dort mit dem Trommelschläger zerbröselt, zerfetzt. Nonchalant.

Die Vaterlosigkeit scheint sein Leben geprägt zu haben. Sie äußerte sich in ständigen Orts- und Beziehungswechseln, Unstetigkeit auch mit den Bands, die er immer wieder gegründet hat; das Leben als wahnwitzige Achterbahn eines phänomenalen Menschen und Musikers. Ein Manager meint, mit Baker sei es wie mit einer Rakete, wie mit einem Feuerwerk, das entfalte eine grandiose Wirkung, sei aber auch schnell vorbei.

Sein wildes, geniales Künstlertum. Er konnte überall einsteigen und die Musiker zu ungeahnten Höhen animieren, genau so bei den Watutsi-Drummers in Afrika. Aber er war auch gefürchtet in seiner Radikalität. Dieser sind nicht selten Möblierungen zum Opfer gefallen. Gelegentlich konnte er sich selbst nicht auf dem Stuhl halten, denn auch Drogenexzesse waren seine ständigen Begleiter und es war nicht leicht, davon runter zu kommen. Leidtragende eines solchen Lebens waren seine Angehörigen: seine Familie in England, deren Haus eines Tages einfach gepfändet wurde. Mit seinem Sohn hat er in einer späten Phase in New York im „Iridium“ zusammengespielt hat, aber auch das ging schnell wieder auseinander; keine Dauerhaftigkeit, keine Stetigkeit.

Belle & Sebastian

Dieser Film von Nicolas Varnier, der mit Fabien Suarez und Juliettes Sales auch das Drehbuch geschrieben hat, baut auf der Bücherreihe gleichen Titels von Cécile Aubry auf, welche schon den Stoff für eine Fernsehserie in der 60ern und 70ern des letzten Jahrhunderts geliefert hat. Das muss jedoch nicht unbedingt der Grund dafür sein, dass ich mir als Zuschauer vorkomme, als habe ich in einem irgendwie von der Zeitgeschichte übersehenen Gebäude ein wunderbares Bilderbuch entdeckt, wie aus einer anderen Zeit. Das kann auch an der Regie von Nicolas Varnier oder am Cast, liegen, der so ganz ohne modisch-affige Schauspielerattitüde auskommt; der aber auch gar nicht versucht, irgendwie auf altmodisch zu spielen.

Die Geschichte spielt in einem hochgelegenen Dorf in Savoyen an der Grenze zur Schweiz und den darüber liegenden Alpen und Tälern in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Nazis sind bereits in Frankreich einmarschiert und halten es besetzt. Es gibt Rettungswege für Flüchtlinge über Bergpfade in die Schweiz.

Im Zentrum stehen die Erlebnisse des Buben Sebastian. Der sollte eigentlich zur Schule gehen. Aber dessen Mutter sei in Amerika und als Vaterersatz dient ihm Opa César, ein richtiger Älpler, der Vieh und Schafe auf der Alp hat. Bei dem treibt Sebastian sich am liebsten rum.

Zur Zeit gehe ein wildes Tier im Tal rum und reiße Schafe, heißt es bei den Bauern. Dieses wilde Tier ist ein großer Hund. Sebastian wird sich mit ihm anfreunden; aber die beiden werden auch in einer gefährlichen Situation beim Menschenschmuggel eine wichtige Rolle spielen.

Die Deutschen sind im Dorf. Sie sind nicht als zackige Bestien gezeichnet. Sie tun ihren Dienst pflichtbewusst und versuchen dem Menschenschmuggel auf die Spur zu kommen. Der deutsche Leutnant verlangt in der Bäckerei 50 Pfund Brot pro Woche, aber ihm gefällt die junge Bäckerin durchaus.

Was den Film zum Erlebnis macht, das sind einerseits die gewaltigen Naturaufnahmen, schon zu Beginn kann einem schier schwindlig werden, wie Sebastian und César am Rande einer Alp, die als Steilwand plötzlich abfällt, auf Spurensuche nach dem wilden Tier sind; dazu eindrückliche Impressionen von der Schroffheit und der Menschenfeindlichkeit kahler Berghänge.

Diese Bilder von der Gefährlichkeit der Alpen werden im Finale, was im Winter stattfindet, noch übertroffen; da kämpfen sich Menschen und die Hündin durch knietiefen Schnee und über Gletscher- und Felsspalten der sicheren Schweiz zu, bereits von den verfolgenden Deutschen im Feldstecher beobachtet. Hier kommt es zu atemberaubend waghalsigen Szenen. Vorher war Sommer; blühende Bergwiesen, eine schneeweiße Hündin (nach einem Bad in einem kühlen Bergsee blitzeblank sauber); der Bub und die Hündin, die er Belle, die Schöne, nennt.

Auch idyllische Szenen von Bub und Hündin, dass einem die berühmte Geschichte von Lassie in den Sinn kommt. Vor allem aber geht es um die Schafe, die gerissen werden, um eine Treibjagd auf den Hund, mit dem sich Sebastian doch längst schon angefreundet hat, um eine Begegnung mit den Wölfen, die die eigentlichen Übeltäter sind, um die misstrauischen Deutschen, um André, der wie ein Bock stinke und deshalb vom Biest gebissen worden sei oder dass César Wunden immer mit Génépi heilt oder wie der verletzten Belle in einem geheimen Unterstand hoch oben über dem Dorf vom Arzt Guillaume eine Spritze verpasst werden kann. Der Ort heißt St. Martin, die Zeit: es ist 1943.

Dinosaurier 3D – Im Reich der Giganten

Jedes Fossil erzählt eine Geschichte. Was der Zahn eines Fossils uns alles erzählen kann, das beweisen uns anschaulich als eines Dinosaurierzahns Interpreten Barry Cook und Neil Nightingale nach einem Drehbuch von John Collee mit einem Zeithupfer 70 Millionen Jahre zurück ins Reich der Dinosaurier. Kino als ein spannender Ausflug in ein quicklebendiges, naturhistorisches Museum. Wobei 3D hier die Reise noch schöner macht.

Die Geschichte, die der Dinosaurierzahn aus der kleinen Rahmenhandlung im Heute erzählt, könnte eine fossile Geschichte sein, eine Geschichte von einer Gültigkeit über 70 Millionen Jahre, auch wenn die Dinosaurier längst ausgestorben sind: es ist die Geschichte vom kleinen Buben, vom kleinen Pachyrhinosaurus Patchi, der der benachteiligte, verletzliche Junge mit einem Loch im Ohr ist und unter einem Übervater Kolosso, dem Herdenführer, und einem sich durchsetzenden, älteren Bruder Bruto leidet und der auch mal gefragt wird, ob er eigentlich ein Mädchen sein, der aber pfiffig ist, sich zu helfen weiß und schließlich zum Helden und dann sogar zum Herdenführer wird und nebenbei mit seiner Angebeteten Juniper den Familienzyklus mit einem Nest voller Eier beenden darf. Diese Geschichte ist, das beweisen uns diese Dinosaurier, ewig und zeitlos und immer wieder schön, besonders wenn die Filmemacher mehr Interesse an der historischen Rekonstruktion zeigen, wie bunt und vielfältig die Dinosaurierwelt doch gewesen sein muss.

Das Vergnügen, was sich uns durch die 3D-Brille darbietet, ist ein Blick in eine längst vergangene Zeit, in Landschaften, wie die Filmemacher sie in der Wildnis Alaskas original gefilmt und dann mit den äußerst sorgfältig, liebevoll und möglichst von fossilen Funden hochrechnend mit dem Computer animierten Dinosaurier bevölkert haben, sie in ihren jahreszeitlichen Wanderungen verfolgend („Im Sommer nach Norden, im Winter nach Süden, jedes Jahr die gleiche Nummer; das kommt daher, wenn man ein Gehirn von der Größe einer Walnuss hat“).

Unsere Hauptherde sind die Pachyrhinosaurier. Sie sind Vegetarier, Babynahrung: Spinatmüsli; Delikatesse für Erwachsene: Carpaccio aus Salbeirauch und geriebenem Moos oder deftig: zwei große Beerensträucher. Ihre schlimmsten Gegner sind die fleischfressenden Gorgosaurier; die sehen aus wie gerupfte Emus, jedoch größer und massiver und statt mit Flügeln mit Rumpfstücken von zweifingrigen Händen versehen.

Unser unterhaltsamer Reiseführer durch dieses lebendige Naturmuseum ist der Alexomis-Vogel Alex, schwarz mit einigen roten Federn und auf Deutsch gesprochen von Otto Walkes mit einer unverschämt jugendlich-frischen und pfiffig zu nennenden Stimme, in der der Otto-Schalk durchblitzt, aber auch die Kommentare, die zwischenzeitlich wieder klar machen, dass es sich lediglich um eine Geschichte handelt, sind köstlich und wirken spontan.

Weitere Figuren, mal bunter, mal weniger, mal größer, mal kleiner: Troodon, der Wunden reißende Zahn, Ankylosaurus, Pflanzenfresser, Itsperonikus, westliche Klaue, Fleischfresser, Alptrodon, Erster Zeh, (Zahn?) Allesfresser, Pterosaurier, die geflügelte Echse, der Gorgosaurus mit 60 Zähnen und sehr gefräßig, der Edmontosaurier aus Edmont, riesig, aber mit einem Gehirn so klein wie eine Erbse. Diese und weitere Saurier werden mitten im Film kurz vorgestellt wie in einem Lehrbuch.

Kleine oder größere, schöne Effekte: das Nordlicht in der Polarnacht (größer), oder das Pfeifen im Ohrloch von Patchi (kleiner, aber oho!).
Die Herde muss bei ihrer Wanderung über den Witwenmacherpass ziehen.
Die Erzählung ist Erzählung. Die kann es mit sich bringen, dass der ältere Bruder den Hechtsprung von Patchi ins Wasser nochmal sehen will. So wird der Film kurz zurückgedreht und die Szene kommt nochmal. Und es war tatsächlich ein Hechtsprung. Oder sollten wir nochmal zurückdrehen?

Machete Kills

In Danny Trejo, der Machete spielt, stecken laut IMDb 256 Film- und Fernsehrollen. Sein Gesicht hat also viele Rollen zu erzählen. Die Machete-Figur hat er auch schon gespielt. Das ist ein Sequel, welches gleich zu Beginn auch als Prequel zum nächsten Machete-Film angepriesen wird. Denn der Bösewicht des Filmes, das ist Mel Gibson als Voz, ein Bösewicht mit Allmachtphantasien wie ehedem die Bösewichte bei James Bond, wird am Schluss mit seiner in lächerliche, blaue Raumnegligés gekleideten Sekte in den Weltraum abheben.

Für dieses Sequel wird Machete ohne zu zögern am Ende des Filmes auf Bitte des amerikanischen Präsidenten hin zusagen. Das war anfangs des Filmes, als der Präsident ihn ins Weiße Haus hat holen lassen und für die Mission gegen Voz begeistern wollte, noch anders, da hat der Präsident noch Überredungskunst anwenden müssen. Aber es geht doch. Denn Machete ist der Stärkste. Und er liebt, wie sein Name sagt, die Machete, es kann aber ruhig eine modernere Variante mit Raffinessen wie ein Schweizer Taschenmesser sein. Er wird so nur noch stärker. Er ist ein Koloss, eine Kampfmaschine, er ist der Stärkste, der einzige, der für die Mission gegen Voz in Frage kommt. Um an Voz ranzukommen, muss er erst in Mexiko Mendez auffinden und diesen in die USA schaffen. Da steht dann immer mal in gelber Farbe die noch verbleibende Meilenzahl eingeblendet, die „Gialli“ lassen grüßen.

Es wird hier bildfreudig auf die Leinwand gemalt, was der Stoff hergibt, das Puff Desdemona in Mexiko darf nicht fehlen noch die Misswahl in San Antonio. Die dürftige Ausstattung der Damen ist vor allem kampf- und filmfreundlich. Selbstschießende BHs, aber auch Pants können sich zu gefährlichen Waffen entwickeln.

Diese ganzen Abenteuer-, Kampf- und Verfolgungsgeschichten werden auf einer soliden, filmischen Schiene vorangebracht, richtig gekonnt. Aber merkwürdigerweise stellt sich der Eindruck ein, man fährt in eine leere Gegend, will fragen, was an diesem Film spricht mich heute Lebenden an? Ich komme mir vor, wie per Timemachine in ein Bahnhofskino der 70er transportiert (auch wenn im Film Handys mitspielen und moderne Technik). Dies scheint mir ein Film wie für ein vergangenes Publikum gemacht. Er wirkt wir aus der Zeit gefallen. Wobei den Machern, das ist Robert Rodriguez als Regisseur, der mit Kyle Ward auch das Drehbuch geschrieben hat, auch ein kinointerner Gag einfällt, wie Machete mit einer Nutte zur Sache kommt, da wird das Bild völlig unscharf und der Text eingeblendet, man möge bitte die 3D-Brillen aufsetzen – hatten wir leider nicht dabei.

Mendez, der beigeschafft werden soll, ist so was wie eine Operettenfigur, allein schon die schnörkelige Uniform, die er anfangs trägt. Und trotzdem Pointen zu Bin Laden oder seinen Nachfolgern: America anyway needs its spooky man. So nett gemeint, so müde wirkt das. Der Überbösewicht, der sich seine eigenen Clowns bildet, seine eigenen Klons, darum ist er scharf auf Machete; vielleicht wird ja das Sequel im Weltraum von einem dieser Klons gespielt. Stellenweise stellt sich aber auch der Verdacht ein, die Geschichte als solche sei wenig durchdacht, sie bediene sich lediglich aus der Abenteuerfilmgeschichte erfolgreicher Elemente. Einzig die Nabelschnur als Referenz an einen harten Gag aus dem Vorgängerfilm, wird hier in neuer, auch ganz neckischer Variante zitiert. Sind Weihnachtsverächter als Zielpublikum erhofft?

Als unsere Berge Skifahren lernten – Goldrausch im Gebirge (TV BR)

Der zweite Teil dieses Archiv- und Interviewgestöbers von Katarina Schickling über die Entwicklung der Skifahrerei in den Alpen setzt mit den Amis ein, die nach dem Krieg hier waren und auch Skifahren wollten, geht nahtlos über zum Wirtschaftswunder und der sich entwickelnden Touristikindustrie mit dem aufkommenden Massentourismus („das Skifahren verliert seine Unschuld“) und endet mit der deprimierenden Einsicht, dass der Schnee immer weniger („In 20 Jahren ist das Geschäft mit dem weißen Rausch beendet“) und die Pisten immer künstlicher werden (Trostpflästerchen: „Kunstschnee ist kompakt, echter Schnee stört da nur“). Hier gibt es viel Material aus Nachrichten und Features, was der BR selber zu dem Thema produziert hat.

Und über allem irrlichtert ein Musiksalat.