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Host – Something Dark has joined the Meeting (DVD)

Das Spukgeschäft in Covid-Zeiten

Irgendwann wird es Filmreihen und -kollektionen geben mit herausragenden oder typischen Filmen für die Covid-Zeit mit ihren teils absurden Distanzvorschriften, mit ihren Abstandsgeboten und Maskenpflichten.

Dieser Horrorfilm von Rob Savage, der mit Gemma Hurley und Jed Shepherd auch das Drehbuch geschrieben hat, dürfte dazu gehören und den Horror-Fan erfreuen, zu sehen, wie sich trotz solcher Vorschriften veritable und herrliche Spukfilme herstellen lassen.

Der Film macht es genau so, wie die Praxis es verlangt, statt Sitzungen und Zusammentreffen gibt es Zoommeetings. Auf die Spukwelt angewandt heißt das: Zoom-Seancen. Zu einer solchen verabreden sich Haley (Haley Bishop), Jemma (Jemma Moore), Radina (Radina Drandova), Emma (Emma Louise Webb) und Caroline (Caroline Ward) mit dem Medium Seylan (Seylan Baxter).

Das Medium bittet die Teilnehmer um den nötigen Ernst, mit dem sich die Teilnehmer anfänglich schwer tun. Genau das ist ein Indiz für die Glaubwürdigkeit, die in einem Horror- oder Spukfilm das A und das O ist. Nur wenn der Rahmen, der Boden der Geschichte glaubwürdig ist, können die übernatürlichen Phänomene faszinieren, was sie hier tun – durchaus auch ergötzlich.

Selbst über Zoom kann eine Gruppenautosuggestion funktionieren, was wohl typisch für spiritistische Seancen ist. Astralebenen lassen sich so ebenfalls finden. Die Teilnehmer sind allerdings auf diese Weise durch die räumliche Trennung weniger geschützt. Das erhöht noch das prinzipiell vorhandene Risiko, dass solche Seancen aus dem Ruder laufen.

Alien Romulus

Nix Generation Z,

nein, die jungen Leute, die hier aus einer Kolonie im Weltall selbstbestimmt und eigenwillig zu einer gefährlichen Mission aufbrechen, die gehen aufs Ganze, die sind risikobewusst, die nehmen mögliche Nachteile, die ihnen in der Kolonie dadurch entstehen können, in Kauf. Eher sind sie in der Nähe von Halbstarken anzusiedeln als bei der Generation Z.

Sie sind ein Ensemble aus zeitgeistig korrektem internationalem Mix hochtalentierten Schauspielernachwuchses: Isabela Merced, Cailee Spaeny, Archie Renaux, David Jonsson, Aileen Wu, Spike Fearn. Schon die Namen lassen auf unterschiedlichste Provenienzen schließen.

Der Film atmet den lockeren Geist seines Regisseurs Fede Alvarez, der mit Rodo Syagues und Dan O‘ Bannon auch das Drehbuch geschrieben hat. Dazu gibt es einen launigen Sound von Benjamin Wallfisch. Und in die Bilderwelt weht noch die Kunst eines H. R. Gigers hinein.

Es ist eine Alien-Welt, die problemlos als die Bebilderung von Urängsten, existenziellen wie sexuellen gelesen werden kann, Angst vor Liebe und Tod in vielerlei Spielarten, die schlaglichtartig wie in einer Geisterbahn auftauchen.

Eine Angst-Bilder-Welt wie sie ebenso gut in einem Dschungelfilm hergestellt werden könnte, die Angst vor der Anaconda; von den Darstellern wäre das nicht anders zu spielen; und Spinnen gelten eh als Angstmacher par excellence, egal ob im Dschungel oder im Weltall.

Aber die Crew befindet sich in einer Raumschiffwelt, einer etwas älteren, einer noch ganz ohne Hologramme dafür mit viel, viel Mechanik, immer müssen Türen und Schleusen geöffnet und geschlossen werden, Gitter oder Leitern herabgelassen. Es gibt schon rudimentäre Internetkommunikation, museal attraktive.

Das junge Team begibt sich in extreme Gefahr, stößt auf das Weltraumlab Romulus, eine Welt voller Unbekannten, die es zu durchforsten gilt. Dabei ist es immer wieder faszinierend, ob Weltall oder Dschungel, wie die Diskrepanz zwischen Wissen über das Funktionieren und Unwissen, zwischen Sich-Auskennen und Ahnungslosigkeit sich die Waage hält, so dass es immer Action gibt, Überraschungen, Rettungen und die Unberechenbarkeit der Aliens in all ihren Verwandlungsmöglichkeiten.

KI spielt auch mit, man muss nur einen neuen Chip beim Schlitz am Ohr einführen; über so einen Fremdchip sind Erkenntnisse und Wissen anderer möglich.

Allerdings wird das junge Team im Laufe der Handlung, die meinem rationalen Nachvollzug überwiegend fremd bleibt, ganz schön Federn lassen.

Der Film versteht es von Anfang an zu fesseln. Erst durch die Stille des Weltalls, dann durch den konreten Vorgang des Einfangens eines riesigen Gesteinsbrockens, während er auf der menschlichen Ebene mit Alltäglichkeiten wie, dass jemand jemandem 5 Bucks schuldet, anzudocken versteht. Und zu einem großartigen Sonnenuntergang im All, da kann eh niemand Nein sagen.

Nur noch ein einziges Mal

It ends with us,

so der amerikanische Originaltitel dieses Filmes von Justin Baldoni, der auch eine der Hauptrollen spielt, Ryle Kincaid, den Neurochirurgen.

Der amerikanische Titel beendet die Beziehung zwischen Ryle und Lily Bloom (Blake Lively) in ihrem Sinne. Der deutsche Titel referiert auf die gegenläufige Bewegung von Ryle, der nur noch ein einziges Mal sie küssen, sie lieben möchte.

Das Drehbuch hat Christy Hall geschrieben nach dem Roman von Colleen Hoover.

Der Film spielt vornehmlich in Boston. In feinen Kreisen. Lilys Vater war der Bürgermeister einer Ortschaft in der Nähe von Boston. Der Film fängt mit dem Tod dieses Bürgermeisters an. Lily soll ein paar Worte sprechen. Mutter drängt sie dazu. Sie solle 5 Punkte aufschreiben, warum ihr dieser Tod nahe geht, fünf Punkte, was an diesem Vater bemerkens- oder erinnerswert war.

Lily tritt mit einer Serviette an das Rednerpult. Sie bricht die Rede ab, denn zu keinem der notierten Punkte gibt es einen Text. Der Zuschauer kann zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ob vor lauter Rührung oder wieso.

Lily will in Boston einen Blumenladen eröffnen. Sie denkt auf der Dachterrasse des Hochhauses, in dem sie wohnt, über ihr Leben und alles nach. Da kommt Ryle aufs Dach gestürmt, kickt wie außer sich einen Stuhl in der Gegend herum. Die beiden kommen ins Gespräch. Er ist ein unverschämt gut, unverschämt männlich aussehender Italo-Typ.

Bis etwa zur Mitte des Filmes entsteht der Eindruck, es entwickelt sich jetzt eine Rom-Com aus weiblicher Sicht am Rande des Schmachtkinos, ja man beginnt schon, sich zu fragen, ob denn nichts weiter passiere, als die Eröffnung des Blumenladens, die Einführung der Figur der Allysa (Jenny Slate), die trotz Blumenhasses gerne mitarbeitet. Es stellt sich heraus, dass ihr Freund der Bruder von Ryle ist. So begegnen sich die beiden wieder. Rom-Com. Rom Com.

Es gibt Rückblenden auf die Kindheit von Lily. Sie beginnt aus Mitleid ein Verhältnis mit einem Außenseiter an der Schule, mit Atlas Corrigan (Brandon Sklenar). Aus dieser Zeit dürfte das Herz stammen, das sie am Hals tätowiert hat.

Es gibt kurze Flashbacks zu Szenen bei Lily zu Hause. Gewalt des Vaters gegen die Mutter. Je mehr die Liebe zwischen Ryle und Lily wächst, desto mehr rückt dieses Thema in den Fokus des Filmes. Dieser schildert nun mit den besten Mitteln und Traditionen des amerikanischen Kinos, hautnah und schmerzhaft, wie Gewalt sich in den besten Kreisen und bei den schönsten Menschen festbeißen und fortpflanzen kann. Ein intensives, beklemmendes Kinoerlebenis.

Paolo Conte alla Scala

Genusskino

Ein eleganter Mix aus Konzertmitschnitten, Drumherum-Impressionen von der Scala und deren exquisitem Publikum, Proben, Archivfootage mit Statements des großen Künstlers Paolo Conte über seine Entwicklung und seine Haltung zur Kunst und auch über sein Publikum, das durchaus gepflegt sei, aber auch neugierig auf Neues.

Kein Wunder ist der Jazz-Chansonnier beim Jazz gelandet. Seine ersten musikalischen Eindrücke schildert er als auf dem Lande, wie er den Traktor des Nachbarn hörte.

Der positive Einsatz führte ihn dahin, wo er jetzt ist. Auch seine Selbstreflexion von Kunst, der Nebel (der Erkennntis), seine Neigung zu Tiefe, Freiheit, Wahrheit, Essenz, also nicht das Repetitive der klassischen Kunst, das Abarbeiten von Kanons.

Auch die Improvisation, das Scatten, ja das Machen reiner Sch- und Windgeräusche mit dem Mund oder der Einsatz einer kleinen Tröte. Begleiten lässt er sich von einem vielseitigen Orchester mit Zupf-, Streich- und Schlaginstrumenten jeder Art, gelegentlich begleitet von drei antörnenden Sängerinnen; die Musik von ihm arrangiert und komponiert; die Welt inspiriert ihn, die Gerüche und Farben von Landschaften und Städten, die Charaktere der Menschen und die Differenzen der Möglichkeiten von Musik im Vergleich zur Literatur.

Hinzu kommt die Reife, das Alter, die Erfahrung, die Gelassenheit, die Intimität zu seiner Musik, die Vertrautheit.

Der Film von Giorgio Testi, der mit Pasquala Plastino auch das Drehbuch nach einer Idee von Caterina Caselli geschrieben hat, ist so wunderbar zu genießen, weil die Musik nicht verhackstückt wird. Mit eleganter Kamera werden ganze Songs, Musik- und Gesangsnummern im Film belassen. Der Beifang kommt als ungezwungene Beilage zwischen die Musik-Acts.

Ein Film, der dem großen Künstler ungeschmälert die Ehre gibt, ohne ihn zu überhöhen, der seinen Mitkünstlern einen würdigen Platz einräumt und sie entsprechend zur Geltung kommen lässt. Und so ist denn hier der Applaus des Publikums, der auch seinen Platz findet, ausnahmesweise mehr als angebracht in einem Film.

Das Phänomen alter Künstler.

Der Film ist eingeteilt in die Akte des Konzertes. Anfangs des Aktes fängt hinter der Bühne an. Der Vorhang wird geöffnet, der Künstler wird an den Rand der Bühne begleitet und unter aufbrandendem Applaus begibt er sich zum Flügel inmitten des Orchesters. Im zweiten Akt eine lange Impro-Session mit Solos einzelner Orchestermusiker, was er musikstilistisch als Basar bezeichnet, der ihn immer aufs Neue verwundert und begeistert.

Karl Valentin – Die beliebtesten Kurzfilm

Im Photoatelier –
Subalternentum

Karl Valentin und Liesl Karlstadt als Lehrling sind im Fotoatelier Bella Donna angestellt. Die Fotos macht der Meister. Sie sind lediglich Handlanger.

Der Meister verreist für ein paar Tage und überträgt den beiden unvorbereiteten Untergebenen die Verantwortung. Da sie solche nie gelernt haben, geraten sie ständig ins Straucheln. Erst wollen sie das Dachatelier gar nicht aufmachen, sondern Party feiern und rauchen. Wie der Chef unvermutet zurückkommt, verhaspeln sie sich in Widersprüche und Lügen und Erfindungen; hilfreich sind Missverständnisse jeglicher Art, dass man Wörter wörtlich nimmt oder besonders dumm damit umgeht.

Wie sie beim nächsten Klingeln glauben, es sei wieder der Meister, kommt richtige Kundschaft. Die hat es in sich. Die Oma missversteht das mit dem Baby, das sie nackt ausziehen soll, einer ist ein Henker, bei dem muss man vorsichtig sein und ein Brautpaar ist definitiv zu groß, zu lang, um auf einem Hochzeitsbild Platz zu haben. Klar ist nur, dass man in der Dunkelkammer nichts sehen kann. Und zwischendrin verknotet Karl Valentin kurz mal genial seine Beine.

Die Orchesterprobe –
Unbotmäßigkeit

Auch im Orchester heißt es, sich unterordnen. Solches wird gerne kompensiert in üblem Geratsche über den Boss.

Karl Valentin ist Orchestermusiker (Trompete, Geige, Schlagzeug). Liesl Karlstadt ist der Kapellmeister. Valentin ergeht sich in üblen Tiraden über ihn. Dieser hört zu. Dass er ertappt wird, überspielt Valentin mit Kritik an der Krawatte des Kapellmeisters, die schief hängt.

Auch hier gehört zur Dialogmethode das ständige Missverständnis, das bewusste meist, das gezielt eingesetzte, Rhythmus, was ist das, nein, wer ist das, ach so, denn kenne er.

Unbotmäßig ist Karl Valentin. Er unterbricht andauernd die Probe. Einmal stört ihn sein Hosenträger, dann hört er einen Ton. Eine Diskussion entbrennt über den Schlagzeuger, der nicht da ist, sieht man, dass er nicht da ist, kann man jemanden sehen, der nicht da ist.

Gekrönt wird der Kurzfilm mit einem Furioso am Schlagzeug, das Noten, Notenständer, alles durcheinanderwirbelt, um dann kräftig in den Schlussakkord einzustimmen.

Ein Dialog zwischen den beiden Protagonisten artet aus in einen Fechtkampf mit Geigenbogen und Dirigentenstab. Eine Rechthaberdiskussion entbrennt um die Anekdote, die Valentin zum Besten gibt, das sei eine Überraschunge, ein Zufall oder mehr, er spreche von einem Radfahrer und tatsächlich sei in diesem Moment einer dahergekommen.

Im Schallplattenladen –
Kulturgut-Zertrümmerer

Karl Valentin ist ein wählerischer Kunde, der nicht weiß, was er will und die Verkäuferin Liesl Karlstadt zur Verzweiflung bringt. Im Laden gibt es eine biegsame Platte, alle anderen sind starr und zerbrechlich. Die Zerbrechlichkeit will systematisch getestet sein. Und dann noch eine, fast schon wie Tortenschlachten bei Laurel und Hardy, am eigenen Kopf zerbrochen und dann noch eine am Kopf der Verkäuferin. Am Schluss gleicht der Laden einem Schlachtfeld und die letzten Kunden sind vertrieben. Karl Valentin wütet im Plattenladen wie der Elefant im Porzelladen. Man sollte nicht auf Platten tanzen wollen.

Der Firmling –
Gegen den Benimm und dagegen, dass manche glauben, sie seien feiner als andere

Karl Valentin als Vater und Liesl Karlstadt als köstlicher Firmling wollen den Tag in einem feinen Lokal feiern, in einem Lokal der Bourgeoisie, der sie nicht angehören.

Sie sind hier deplaziert und haben keinen Benimm comme il faut. Gleich zu Beginn legen sie eine grandiose Slapsticknummer hin, in der kein Stuhl und kein Tisch auf seinen Beinen bleibt; naturhafte Hindernisse auf dem Weg zu einem Feiertagsessen.

Aber wenn man glaubt, Affentaler sei ein anderer Käse als Emmentaler, weil man ja auf das Essen fixiert ist, so führt das zu unendlichen Missverständnissen, die auszuräumen kaum was hilft; wie will man denn den Käse mit dem Korken aus der Flasche herauszaubern. Der Vater besäuft sich am Schnaps und der Firmling bekommt eine Limo mit Strohhalm, mit dem auch umgegangen sein will.

Das ganze Lokal bekommt die Geschichte mit, wie der Firmling an seinen passgenauen Anzug gekommen ist, weil einer zu kaufen zu teuer war, aber ritsche-ratsche mit der Schere kann so ein Teil so zugeschnitten werden, dass es aussieht wie angegossen.

Die Abwesenheit jeglicher Art von Benimm illustriert der Firmling außerdem mit einem fast chronischen, kindlichen Lachen, es prustet nur so aus ihm raus, egal was passiert, er findet alles fei zünftig. Widersprüche, die das Leben schreibt, wenn nichts Passendes zusammentrifft. Und im Suff rutschen dem Vater weinerliche Kriegskameradensentimentalitäten heraus.

Die Erbschaft –
Der Besitz der Besitzlosen
Wer keinen Besitz mehr hat, dem wird auch dieser noch weggenommen.

Karl Valentin lebt als Karl Meier mit seiner Frau Barbara, Liesl Karlstadt, wie der arme Poet in der Dachkammer. Sein Schnittlauch ist sein Kaktus, wenn Carl Spitzweg ihn gemalt hätte. Er ist mit riesigen Augenbrauen und einem breitkrempigen Hut ausgestattet. Mit einem wackeligen Kinderwagen geht er als Lumpensammler durch die Straßen, stochert mit einem speziellen Stab, so sieht man sie heute noch, in den Mülltonnen. Er wird verarscht von einer Frau im vierten Stock, die was von Zeitungen redet.

Zuhause ist die Diskussion um die Zeitungen, dass die ausländischen ergiebiger seien, weil größer, aber eben schwerer zu lesen.

Der Gerichtsvollzieher hockt ihnen auf der Pelle. Der Hausmeister reklamiert Mietrückstände. Zu pfänden gibt es nichts mehr außer einem leeren Nachtkastl. Aber auch das wird sinnig verspielt, wie es versteckt werden soll vorm Gerichtsvollzieher.

Dann der rettende Engel, ein Beamte gibt Bescheid über eine Erbschaft. Ja sie haben wohl Verwandte in Amerika. Aber wem es schlecht geht, der ist nicht gemacht fürs Glück und glückliche Zufälle. Auch hier veräppelt das Schicksal die eh schon Gebeutelten. Ihr Glück mit dem übrig geblieben Lüster mag romantisch aussehen – aber ist Besitzlosigkeit nicht vielleicht das größte Glück?

Goodbye Julia

Sudanesisches Gewissensdrama

Dieses Drama um Lüge und Wahrheit spielt in Khartum um 2005 und 2010.

Es spielt vor dem Hintergrund der bürgerkriegsänlichen Zustände bis hin zur Abstimmung der Abspaltung des Südens vom Norden verbunden mit der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.

Die Spaltung des Landes spiegelt sich in der Konstellation des Plots. Das Ehepaar Mona (Eiman Yousif) und Akram (Nazar Goma) leben gut bürgerlich, wenn nicht herrschaftlich, in der Hauptstadt. Er ist Schreiner. Sie sind Christen und sehen sich den Arabern zugehörig, sie sprechen Arabisch. Ihre Wohnung ist ausladend und bestückt mit feinen Möbeln.

Mona war eine Sängerin, sie hat das Singen auf Wunsch ihres Gatten aufgegeben. Auch wollte sie nie wieder lügen. Es gab da so eine Geschichte. Mit diesem Vorfall setzt Drehbuchautor und Regisseur Mohamed Kordofani das Drama in Gang, das von Mona verursacht wird. Es wird schwer wie in den Gewissensdramen der 50er Jahre im Nachkriegseuropa über der Geschichte lasten.

Mona fährt bei einer Spritzfahrt in ein anderes Stadtviertel einen schwarzen Jungen an. Sie begeht Fahrerflucht. Der Vater des Jungen verfolgt sie auf dem Motorrad bis zu ihrem Haus. Ihr Mann Akram sieht Mona in Gefahr. Er erschießt den Verfolger. Da zur Zeit Unruhen herrschen und das Opfer ein Südsudanese, als ein Schwarzer ist, vertuscht die Polizei den Fall. Es handle sich um einen unbekannten Toten von Unruhen.

Mona lässt ihr Gewissen keine Ruhe. Sie forscht bei der Polizei nach, besticht. Der weitere Plot wirkt bekannt wie aus x Filmen. Sie freundet sich mit Julia (Siran Riak), der Witwe des Erschossenen an. Da sie Geld hat und Julia mit ihrem Sohn allein ist, da außerdem deren Hütte zerstört wurde, hat Mona leichtes Spiel, sie für sich zu gewinnen, sie bei sich aufzunehmen. Es ist die Rede von den Südsudanesen als den Sklaven.

Dass es ein sudanesische Kino kaum gibt, wurde einem bewusst beim Film Mit 20 wirst Du sterben. Im aktuellen Film stehen nebst dem Sudan auch Schweden, Deutschland, Saudi-Arabien, Frankreich und Ägypten als Produktionsländer. Entsprechend wird der Stoff gewalkt worden sein, um alle Produzenten zum Mitziehen zu gewinnen. Es ist ein sehr klares Script, eine schnörkellose Inszenierung mit prima Schauspielern, das Drama ist präzise herausgearbeitet. Trotzdem fragt man sich, wer den Film sehen will. Die Sudanesen selbst? Hier bei uns wird sich allenfalls ein für Afrika interessiertes Publikum finden, denn die Themen in unserer Gesellschaft sind andere.

Gagarin: Einmal schwerelos und zurück

Banlieu-Tristesse

Die Banlieu, die Banlieu von Paris, Schmelztigel der Immigranten und Abgehängten.

Es gab immer wieder Versuche, ein gutes Lebensmilieu für die Bewohner Frankreichs zu schaffen. In den 60ern wurde die Siedlung Gagarine gebaut zu Ehren des Kosmonauten Yuri Gagarin.

Im Zentrum des Films von Fanny Liatard und Jérémy Trouilh, die mit Benjamin Charbit auch das Drehbuch geschrieben haben, steht Youri (Alseni Bathily). Der bewältigt sein Coming of Age mit Astronauten-Träumen. Auf dem Dach des Hochhauses, in dem er wohnt, versammelt er die nötigen Requisiten für seine Raumfahrtsfantasien. Nachts kann man dort auf einem Teppich liegen und in den Sternenhimmel gucken. Begleiterin für Yuri wird in dieser Zeit Diana (Lyna Khoudri), ein Romamädchen, das mit ihrem Clan in einer Wohnwagensiedlung nebenan wohnt.

Der Film schildert liebevoll das Leben im und neben dem Hochhaus. Er schildert, wie Youri mit Freunden etwas unternehmen will gegen den katastrophalen Zustand des Gebäudes. Sie wollen Leitungen reparieren, den Lift wieder fahrbar machen. Dazu brauchen sie Geld. Bei der Beschaffung von Material ist Diana hilfreich. Bei der Beschreibung dieser Aktionen wirkt der Film gutmenschenhaft bemüht. Auch scheint es ab und an, als habe er sich richtiggehend verschossen in das von ihm geschilderte Milieu.

Eines Tages gibt es im Haus eine Inspektion. Der Report ist verheerend. Das Haus soll abgerissen werden. Dazu gibt es ein paar hübsche Bilder von Hochhaussprengungen. Widerstand ist zwecklos. Die Menschen ziehen folgsam aus und um.

Nur Yuri will sich seine Träume nicht nehmen lassen. Er perfektioniert seine Raumstation unterm Dach und, da wird es dann doch spannend, er sorgt für einen überraschenden Coup.

Vielleicht kommt dem Film grad sein Bemühen, Verständnis und Empathie für die Bewohner dieser Siedlung zu zeigen, in die Quere, diese Paralllität zwischen Raumfahrtsfantasien einerseits und romantisierender Mitleidstour andererseits; immerhin stemmt sich Yuris Aktion gegen das teils wie Kitsch erscheinende Bemühen.

Didi

Die Zukunft ahnen

Das Faszinierende an diesem intimen Coming-of-Age-Porträt von Chris (Izaac Wang), der Didi genannt wird, ist die Vorstellung, was dieser junge Mann, wenn er denn Schauspieler werden würde, für packende Männerrollen spielen könnte. Diese Ernsthaftigkeit im Blick, dieses Sich-nicht-Vereinnahmen lassen, natürlich auch sein eigenes Gefühl für dieses jetzt von mir hineininterpretierte Potential – es könnte ja auch ganz was anderes sein – bei gleichzeitigem Noch-Eingeschnürtsein in die kleine Immigrantenfamilie in Kalifornien.

Mutter (Joan Chen) schlägt die Familie durch. Sie ist eine nicht unbegabte Malerin. Sie wird unterstützt wiederum von ihrer Schwiegermutter Nai Nai (Zhang Li Hua). Die alte Frau spricht kein Englisch, hilft im Haushalt mit und hat ein Auge auf die Kinder, auf Didi und seine ältere Schwester Vivian (Shirley Chen). Didi ist in der letzten Klasse vor dem Übergang ins College im Jahre 2008.

Der Film von Sean Wang ist ganz nah an seinem Protagonisten und dessen Problemen, die teils auch zu Problemen für seine Familie werden. Wenn er einen Jungen niederschlägt, so wird schnell auch die Mutter involviert. Und die ergreift nicht unbedingt die Partei ihres Sohnes.

Es sind vielleicht durchschnittliche moderne Familienverhältnisse, in denen immer Konfliktpotential steckt, das aber von Sean Wang nicht storytellingbedingt zum Drama stilisiert wird.

Chris ist in der Phase, wo er sich schon mal in ein Mädchen verguckt, aber auch voller Hemmungen ist. Er chattet viel und es wird entsprechend zurückgechattet; das macht den Film durchaus realitätnah, aber nicht in jedem Moment leinwandergiebig.

Die Kids haben zudem ihre eigene aus wilden Abkürzungen bestehende Chatsprache. Auch die Information läuft übers Internet, wie das erste Mal küssen, wie Skateboarder filmen?

So ganz zuhause fühlt sich Chris nicht in seiner Clique. Er nimmt das Angebot von anderen Jungs an, ihre Skateboard-Künste zu filmen, er behauptet keck, er sei Filmer. Aber er muss damit umgehen, dass er im entscheidenden Moment nicht wach genug ist. Er schreibt in den Chats, er sei sad. Auch seine Mutter muss mit der Ablehnung für eine Kunstausstellung zurechtkommen.

Am Schluss übernimmt das Storytelling vom Atmosphärischen, schließt den berührenden Film mit dem gelungenen Übergang ins College im Jahr 2009 ab.

Touch

Kulturelle Brücken bauen,

das glückt vielleicht in etwa so, wie der Versuch, den Film von Balthasar Kormákur, der mit Olaf Olafsson auch das Drehbuch geschrieben hat, auf einen Haiku zu reduzieren: „Die isländischen Fische sprechen nicht japanisch, sondern sie machen so (hier zwei Schnappbewegungen mit dem Mund) – anders als Frau Dörrie. Hiroshima mon Amour.

Das ist holprig wie irgendwas; stellt aber auch in Frage, ob so eine kulturelle Brücke überhaupt möglich ist, wie weit der eine sich in die Kultur des anderen versetzen kann. Wie weit es sich lediglich um Schwärmertum handelt von Mandelblüten oder von der japanischen Küche; wie weit eine ernsthafte Auseinandersetzung möglich ist im Hinblick auf die Atombombe in Hiroshima.

Die Atombombe war schon Thema in Alain Resnais‘ Film „Hiroshima, mon Amour“. Referiert Baltasar Kormákur gezielt darauf? Auch bei ihm geht es um eine interkulturelle Liebe, der die Atombombe in die Quere kommt. Bei Kormákur verliebt sich ein verführerisch hübscher, schlaksiger Isländer, Kristofer (Palmi Kormákur), in die Japanerin Miko (Koki).

Das ist in den frühen 70ern in London. Kristofer studiert inmitten von Studentenunruhen, ist mit Ausschließung von der Uni konfrontiert, beschließt, sich für den erstbesten Job, den er ausgeschildert findet, zu bewerben. Er wird tags drauf Tellerwäscher in einem japanischen Restaurant, verliebt sich in die Tochter Miko.

Dass Miku eine Hibakusha ist, das weiß er zu dem Zeitpunkt nicht, eine Frau, die mögliche Erbschädigungen durch den Atombombenabwurf in sich trägt, denn ihre Mutter war mit ihr schwanger und mitten in der Katastrophe. Das ist jetzt ein arger Spoiler.

Doch die Geschichte wird sowieso ganz anders erzählt. Der alte Kristofer (Egill Ólafsson) betreibt ein japanisches Restaurant auf Island. Er schließt es von einem Tag auf den anderen, verreist nach London. Er begibt sich auf Spurensuche nach London und von dort aus nach Tokio. Es ist die Zeit drohender Shutdowns und aufkommender Maskenpflicht. Reisen wird zum Risiko.

Die Liebe von Kristófer und Miko wird in Rückblenden erzählt, auch wie sie plötzlich zu Ende geht. Kormákur versucht, diese Geschichte ernsthaft zu erzählen, ohne diese gewisse originäre Schrägheit inselhafter Betrachtung, durch die das isländische Kino gerne zu faszinieren vermag.

The Dead don‘ t Hurt

Kill your darlings, denn Tote tun nicht weh (andere Lesart: Tote empfinden keinen Schmerz), wie der Titel dieses Filmes von Viggo Mortensen bestätigt. Er hat natürlich nicht den Drehbuchlehrsatz gemeint. Er meint wohl in diesem Film, bei dem er das Drehbuch geschrieben, die Regie geführt, die Hauptrolle gespielt, die Musik geschrieben und mittproduziert hat, dass die Leichen in einem Western einen nicht zu beunruhigen brauchen.

Gleich in den ersten drei Minuten gibt es mindestens drei Tote.

Vicky Krieps spielt als Vivienne Mortensens französisch sprechende Frau und es sind zwei Chargen, die praktisch in dem Moment erschossen werden, wo man sie kennenlernt und sich noch nicht gemerkt haben kann.

Es zeigt sich, dass diese ersten Bilder, die den Western recht heutig erscheinen lassen, Spoiler auf den späteren Handlungsverlauf sind; besser der Film spoilert als die Kritik.

Immerhin fällt auf, wenn man den Titel und den Tod einer der Heldinnen betrachtet, dass das keine allzu tiefe Liebe gewesen sein kann, zwischen Holger Olsen (Viggo Mortensen) und Vivienne, denn er reitet ungerührt mit seinem Bübchen fort, nachdem er den Sheriff-Stern zurückgegeben hat. Auch das ein filmimmanenter Spoiler auf die spätere Handlung.

Was will uns Mortensen also mit dem Film erzählen, wenn Figuren so schmerzlos eliminiert oder aus der Geschichte gekillt werden? Da fängt das Raten an. Auch die Erzählstruktur versucht mit dieser Spoilerei mehr zu verrätseln als zu offenbaren, denn die Geschichte springt willkürlich, wie es scheint, zwischen den verschiedenen Zeitebenen im Leben von Holger und der Entwicklung des Wild West Dorfes Elks Flat hin und her.

Elks Flat selbst hat bereits eine fest installierte Pfründenstruktur, klare Machtverhältnisse jenseits der Demokratie und die Toten am Anfang, die führen zur Henkung eines Unschuldigen. Dies und der Tod seiner Frau scheinen für Holger der Anlass zu sein, das Land zu verlassen.

Zu den nicht gekillten Darlings, die einem dann doch irgendwie aufstoßen. Mortensen scheint vernarrt zu sein in seinen Stoff und als Schauspieler natürlich in den Western-Anti-Helden, den er spielt. Das kommt auch gut, er mit dem Westernhut mit längerem oder weniger langem Haar, hoch zu Pferd mit oder ohne halblahmen Buben vornedrauf, dass sind alles wunderschöne Wildwestbilder wie aus dem Büchlein; aber das dürfte nicht reichen, um ein breiteres Publikum damit zu erreichen; dafür hätte die Geschichte dann doch konsequenter, auch thematisch, gebürstet werden müssen.

So scheint es, als habe Mortensen um sich als Figur herum ein paar ihm gängige Westernelemente so zusammengeschustert, wie er hier im Film selbst versucht, einen Stadel zu bauen; ein Unternehmen, dem nicht allzu großer Erfolg beschieden ist.

Die nicht gekillten Darlinge von Mortensen kämpfen sozusagen ständig – und dies erfolgreich – gegen das Zustandekommen einer plausiblen und fesselnden Story. So jedenfalls kann der Film aus sich heraus nicht plausibel machen, warum er erzählt werden soll.