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Oslo Stories: Sehnsucht

Den Menschen in Oslo zugewandt,

genauer: einigen wenigen Menschen in der norwegischen Hauptstadt, aber so genau hingeschaut, diese so genau aufs Korn genommen in ihren Lebeneinrichtungen, wie sie fühlen, sehen, Vertrauen oder Geheimnisse haben, dass es Menschen auf aller Welt sein könnten.

Gerade das konkret Lokalisierbare schafft hier im dritten Teil der Oslo-Trilogie von Dag Johan Haugerud die universelle Gültigkeit. Dritter Teil: das ist er in Deutschland; eigentlich ist er der einführendeTeil, es ist das Buch, das Buch, das Buch, was hier das Entscheidende ist.

Momentweise wirkt der Film, wie schon seine beiden Vorgänger (original: Nachfolger), wie ein Podcast, wie eine Kollegin nach dem Screening meinte, wie ein Hörspiel also. Es ist mehr. Die Kamera nimmt sogar eine bestimmende Position ein, sei es bei den immer wieder dazwischen geschnittenen Stadtimpressionen von Oslo, sei es in der behutsamen Führung des Zuschauers in kaum unterschnittenen Dialogszenen, wie sie merklich ihr Interesse in der ersten Szene mit den zwei Kaminfegern, die in einem verglasten Eckzimmer sich gegenüber stehen/lehnen mit Oslo-Häusergewusel im Hintergrund, von der Erzählung des einen zur Erzählung des anderen lenkt.

Es ist die Szene, die das Thema des Filmes vorgibt, es sind zwei minimale Dinge, wenn man so will, der eine hatte einen Traum, der andere ein Erlebnis. Und die beiden Dinge sind eingebettet in die jeweilige Lebensumgebung der beiden, jedes Mal sind da Frau und ein oder zwei Kinder.

Die Fokussierung fängt mit den ersten Bildern über die Dächer der norwegischen Stadt an. Überall sind Kaminfeger am Werk. Einer lässt mal einen Feger oder eine Bürste, so genau konnte ich das nicht erkennen, ins Kamin hinunter. Klar, eine interpretierbare Aktion, die schon auf Späteres verweist.

Kurz fällt einem der Film Bird ein; da steht Franz Rogowski als zentrale Symbolfigur wie ein Vogel auf Dächern. Dort geht es um die Schilderung eines britischen Außenseiter-Milieus.

Hier bei Haugerud geht es, das belegen die vedutischen Zwischenbilder, um den städtischen Durchschnittsmenschen von Heute. Die zwei Protagonisten sind Kaminfeger (Jan Gunnar Roise und Thorbjorn Harr), comme-il-faut verheiratet, haben vielleicht vor der Ehe mal andere Hetero-Erlebnisse gehabt.

Zu Filmbeginn ist in beider Leben eine neue Erfahrung getreten. Im vertraulichen Pausen- oder Feierabendgespräch erzählt der eine dem anderen, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, eine Begegnung mit Davo Bowie und der habe ihn angeschaut wie eine Frau – es wird dann noch reflektiert, dass man Träume durch das Erzählen noch mal anders mache -; der andere antwortet mit einem Erlebnis vom Vortag. Wie er nach dem Kaminkehren zum Hausherren gegangen sei, habe dieser ihn gefragt, ob er mit ihm schlafen wolle. Es wird sein erstes homosexuelles Erlebnis gewesen sein. Und er hat es nicht als negativ empfunden.

Dramatik kehrt ein, wie er das seiner Frau erzählt; die kann nur schwer damit umgehen. Der andere hingegen, aktiver Christ, hat seit seinem Traum das Gefühl einer höheren Stimmlage, was für seine Position im Kirchenchor problematisch werden kann.

Der Film schildert wie in einem ausgezeichneten Roman, die Entwicklungen, die diese beiden Erlebnisse in Gang setzen, die Dynamik, beobachtet sie genau, wie die Figuren denken, wie sie fühlen, wie sie reagieren, immer entlang den Themen Vertrauen, Geheimnis, Untreue und was ist Liebe überhaupt, was ist die Differenz zum Sex.

Die Risse im Schornstein, die der eine bei seinem späteren Verführer festgestellt haben will, die stehen auch wunderbar für die Haarrisse, die so kleine Erlebnisse in Beziehungen auslösen können und vielleicht sogar für die winzige Differenz zwischen öffentlichem und privatem Raum, wie er von Hannah Arendt zitiert wird und wie dazu jeder, das meint der Film, sein eigenes Narrativ finden müsse.

Moria Six

Stimmungsbilder um ein Unrecht

Der Brand des Flüchtlingslager Moria, ein Fanal für die europäische Flüchtlingspolitik, elektrisiert die Filmstudentin Jennifer Mallmann. Vor allem beschäftigte sie, dass die Brandstifter, die auch im oben verlinkten Wikipedia-Artikel als gesetzt gelten, allein aufgrund einer einzigen Zeugaussage verurteilt worden sind.

Es sind 6 junge Männer aus Afghanistan. Zu einem von ihnen, Hasan, hat die Dokumentaristin Kontakt aufgenommen. Der Brief- oder Mailwechsel mit ihm Voice-over gesprochen ist ein Bestandtteil des Filmes.

Darum herum sind Stimmungsbilder versammelt von der Insel Lesbos, Ruinen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager, Bilder mit zurückgelassenen menschlichen Habseligkeiten, geschmackvolle Standfotografie, auch immer wieder das Meer und symbolisch eine leere Bank davor.

Es gibt einen Besuch in einem modernen mit Hightech eingerichteten und überwachten Flüchtlingslager, es gibt Footage von illegalen Pushbacks.

Ein Touristenführer und Seenotretter kommt zu Wort, Anwältinnen, eine NGO-Mitarbeiterin, ein Lagerleiter („We have a nice view every day“) und Hasan selbst ist zu sehen bei einem Freigang ans Meer oder auf dem Weg zum Gericht.

Die Musik gibt einem mit ihren dunklen Tönen bei manchen Bildern zu verstehen, dass ein schlechtes Gewissen angebracht wäre. Und das ist es ja auch für uns Menschen, die im Speckgürtel der Welt leben, in einem unglaublichen Wohlstand, jetzt mal unbesehen von den Problemen, die auch wir haben, diese offenbar unvermeidliche Schere zwischen Arm und Reich. Aber dass vieles von unserem Luxus mit der weltweiten Ungleichheit zu tun hat, ist wohl nicht abzustreiten, und dass diese Ungleichheit, auch die sich ausbreitenden Unweltkatastrophen einerseits, diktatorische Regimes andererseits und auch Armut die Menschen zur abenteuerlichen Flucht treiben. Über diese Problematik lässt sich trefflich nachdenken bei dem sehr meditativ gehaltenen Film.

Monsieur Aznavour

Von der Straße bis nach ganz oben

Das verbindet Charles Aznavour mit Edith Piaf, dass er von der Straße kam und es im Geschäft des Chansons ganz nach oben gebracht hat. Deshalb, und natürlich bestimmt auch wegen seiner Ausstrahlung und seiner Begabung, hat sie ihn sich geschnappt, solange er noch kein Topstar war. Er spielt auf ihren Tourneen eine Nebenrolle, darf Vorgruppe sein, vielleicht auch Bettgenosse. Sie nimmt ihn unter ihre Fittiche, lässt ihn aber nicht hochkommen. Hier zeigt sich eine Parallele zum Aufstieg von Bob Dylan, wie er in Like a Complete Unknown geschildert wird. Seine Förderin war Joan Baez.

Aznavour folgt der Piaf mit seinem Pianisten Pierre Roche (Bastien Bouillon) hochriskant nach New York. Sie schickt ihn nach Kanada. Dabei ist Charles (Tahar Rahim) in Paris verheiratet, hat ein Kind. In Montreal haben sie ein gutes Einkommen, aber es reicht bestenfalls zu lokaler Berühmtheit.

Bei einem Aufenthalt in Paris diktiert die Piaf Aznavour, was er zu tun habe. Nebst der Nasen-OP muss er Beziehungen aufgeben, die zu seinem Pianisten und die zu seiner Frau. Allerdings rechnet die Piaf nicht damit, dass er daraus lernt und auch die berufliche Beziehung zu ihr kappt.

Aznavour macht sich selbständig mit Auftritten mit eigenen Texten. Nur darin sieht er für sich eine Zukunft. Und die wird auch glanzvoll und reich sein. Nach vielen Frauengeschichten bleibt er an Ulla (Petra Silander) aus Schweden hängen. Die stellt ihn vor die Alternative, entweder reist sie wieder nach Hause oder er heiratet sie.

Buch und Regie zu diesem doch recht braven Nacherzähl-Biopic stammen von Mehdi Idir und Grand Corps Malade. Sie gehen chronologisch vor, die Zeit-Sprünge kommen ab und an etwas beliebig daher; die einzelnen Szenen sind angenehm kurz skizziert.

Der Film wirkt auf mich, trotz guter Schauspielerauswahl und Inszenierung, ernüchternd, da er gar nicht erst versucht, ein Geheimnis in Aznavour zu finden, das ihn treibt, sondern sich damit begnügt, Einzelszenen aus diesem Leben schön aufgeschäumt und fein wie Baiser nachzuzeichnen. Das Biopic scheint präpariert für ein Klatschspaltenmedium; so wirken auch die Konflikte, an denen es nicht gefehlt hat in diesem Leben, weichgespült. Die Chansons dagegen, die sind unsterblich.

Mission: Impossible 8 – The Final Reckoning

Pathos der Weltrettung

In den ersten Sequenzen des Films von Christopher McQuarrie, der mit Bruce Geller und Erik Jendreson auch das Buch geschrieben hat, drängt sich einem die Idee eines Tom-Cruise-Mausoleums auf, in schnellster Schnittfolge wird als eine Art Stream of Erinnerung/Bewunderung/Verehrung/Stolz für den Zuschauer augenfälliges Footage aus der Reihe aufblitzen gelassen. Damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben: mit dem amerikanischen Megastar, der – wie Sisyphus – unaufhörlich die Welt retten muss und bekannt ist dafür, seine Stunts selber zu machen, auch wenn er dabei dem Alter geschuldet inzwischen etwas angestrengt dreinblickt, wie beim berühmten Motorradsprung in den österreichischen Alpen.

Einal mehr soll er die Welt mit seiner Truppe kurz vor dem Untergang retten. Dazu bedarf es erneut abenteuerlichster und waghalsigster Aktionen. Ein fehlendes Schlüsselteil wird in einem U-Boot tief auf dem Grund der eisigen Bering-See vermutet. Diese Sequenz lässt einen an Last Breath denken. Der Film zieht einen hinein in diese furios-düstere Unterwasserwelt.

Man wird bei so einem Film gebeten, nicht zu viel zu spoilern. So lassen wir denn Content Content sein.

Immerhin, eine weitere aufregende Action-Geschichte, die die Produktion selber im Trailer spoilert, sei erinnert: in Afrika präsentiert der Superstar spektakuläre Luftakrobatik bei der Verfolgungsjagd von zwei zweisitzigen Propellermaschinen über dem grünen, zerfklüfteten Dschungel. Hier reißt der Star oft vor Anstrengung, wie er es früher gerne gemacht hat, den Mund auf. Nun ja, ein Körper mit 60 ist nun mal nicht mehr so leicht akrobatisch und turnerisch zu bewegen wie mit 20 oder 30.

Mit Teil 1 des mutmaßlichen Abschlusses der Reihe hat Tom Cruise marktwirtschaftliches Pech gehabt. Im Kino ist er gnadenlos weggespült worden von der kinoaufregenden Neulingspaarung Barbenheimer, Barbie und Oppenheimer.

Für diesen zweiten und letzten Teil scheint das Marktumfeld günstiger: weit und breit keine Konkurrenz an Blockbustern in Sicht. Aber, es gibt da ein Aber. Das betrifft die Erzählung vom Einzelkämpfer, der die Welt rettet. Die Frage ist, ob diese noch konkurrenzfähig ist zur inzwischen radikal umgewälzten politischen Realitätserzählung.

Im Film wird auf eine amerikanische Präsidentin spekuliert. Das hätte wohl Kamala Harris werden sollen. Eine Frau, der im Film eine gewisse Menschlichkeit zugeschrieben wird. Das wäre ein Umfeld berechenbarer Politik, in der der Held sein Heldenprogramm mit den üblichen Hindernissen abspulen könnte.

Dem ist aber nicht mehr so mit dem neuen, alten Typen im Weißen Haus. Der wirbelt die Politik und die Welt durcheinander wie der Herbstwind einen Stoß loser Blätter. Da ist nichts mehr mit pathetischer Rettung der Welt in lediglich düsterem und von immer wieder sich aufplusternder, schwerer Musik wie auf Schmerzkissen gehobenem, verlässlichem Umfeld. Dagegen wirkt diese Ein-Mann-Welt-Rettung wie in die Jahre gekommen; ehrenhaft in die Jahre gekommen und reif fürs Mausoleum.

Lioness – Die Löwin

Flott hingeblättert

wird in diesem Film von Raymond Grimbergen nach dem Drehbuch von Jeroen Margry das Coming-of-Age von Rosi (Alyssa van Ommeren), von der Freizeitkickerin in Surinam bis zum ersten Spiel in der holländischen Frauenfußballmannschaft.

Das hat etwas Ansteckendes, wie leichthändig die Filmemacher der jungen Frau folgen, die selbst ebenfalls in keiner Sekunde verbissen wirkt, obwohl sich ihr ständig Probleme in den Weg stellen.

In Surinam sieht der Opa es nicht gern, dass ein Mädel Fußball spielt. Wie sie 15 ist, macht ihr Vater einen Karrieresprung und die Familie zieht nach Holland um. Sie fügt sich, muss sich in der neuen Umgebung zurechtfinden. Im Fußball findet sie Anschluss. Aber auch hier entstehen Probleme, es gibt die typische Bitch und die vermeintliche Freundin agiert plötzlich mies, weil sie eine Konkurrenzsituation empfindet.

Die Löwin, sie beißt die Probleme einfach weg, sie lässt sich nicht runterziehen; sie muss auch den Tod ihrer sie begeistert aus Surinam begleitenden Oma verkraften. Das macht sie so sympathisch, dass sie dabei nicht die Heldin spielt, auch nicht diejenige, die überlegen und souverän über den Dingen steht. Auch sie muss immer wieder aufstehen, sie wird gefoult. Letztlich siegen sowohl bei ihr als auch bei den anderen Mädchen der Teamgeist.

Die Erzähl-Spannung richtet sich auf ein entscheidendes Spiel, dessen Gewinn die Meisterschaft bedeuten würde. Auch diesen Storyfaden entwickelt der Film unverbissen, locker und souverän mit teils tollkühnen Drohnenflügen. Ein Fußballfilm, der den Ball schnell spielt und flach hält. Er erinnert an einen anderen Frauenfußballfilm, der jedoch eine ganz andere Baustelle bedeutet, nicht aber, wenn es um den Teamgeist geht: Hana, Dul Sed.

Harvest

Das Sämannmotiv,

so wie es unsere gläubigen Vorfahren gerne im Wohn- oder Schlafzimmer aufhängten, der Sämann mit Umhang und langen Haaren, nachempfunden der Darstellung der Jünger Christi, scheint die bildliche Umsetzung des Titels Harvest / Ernte.

Vor der Ernte muss gesät werden. Die Ernte findet früh im Film von Athina Rachel Tsangari statt, die mit Joslyn Barnes das Drehbuch nach dem Roman von Jim Crace geschrieben hat. Es sind arme Dörfler, in bildwirksam dargestellter Armut, die Ähren lesen dürfen, nachdem sie in einem der vielen chorischen Auftritte mit der Sense im Takt gemäht haben.

Das Dorf sieht elendiglich aus, malerisch elendiglich, nur rohe Erde, nicht mal Stein oder Kies, nur Erde, als ob diese eben von Schweinen durchpflügt worden wäre.

Es gibt im bescheidenen Dorf der 50 Bewohner ein stattliches Herrschaftshaus. Hier residiert Master Kent (Harry Melling). Er macht die Dörfler betrunken, füttert sie, Anlass für opernhaftschöne Bilder für die ewig aufgeregte Wackelkamera, hält ihnen eine Rede, die das Programm seiner Ausbeutung beschönigt. Es soll kein Getreideanbau mehr stattfinden. Da würde es auch keine Ernte und keinen Sämann mehr brauchen, kann sich der Dörfler denken. Nur noch eingezäunte Weiden.

Die Herrschaften von Auswärts, die zu dritt ihren Kontrollauftritt haben, wollen den Profit maximieren. Zuvor schon ist Kartograph Master Jordan (Frank Dillane) im Dorf zugange. Er fertigt kunstvolle Zeichnungen, zweidimensional, der Gegend an.

Der Held des Dorfes, Walter Thirsk (Caleb Landry Jones), ein Pictoecho auf die Christus-Ikonographie, interpretiert das so: der Besitzer wolle das Dorf platt machen.

Einiges läuft schief auf diesem Areal der Armseligkeit, des menschlichen Elends. Master Kent lässt seit dem Tod seiner Frau das Dorf verwahrlosen; es sieht schäbig aus.

Ein Haus wurde angezündet. Damit setzt der Film ein. Wilde Bilder des Chores der Dorfbewohner in wallenden Umhängen, opernhaft, die versuchen, mit untauglichen Hilfsmitteln das Feuer zu löschen.

Eindringlinge werden an den Pranger gestellt. Auch sie sind gut zur Fütterung des entfesselten Bilderfurors, der sich an älterer Ölmalerei zu orientieren scheint. Ebenso wie das tote Pferd, das von einem anderen Pferd durchs Dorf gezogen wird.

Der Film tobt sich aus in dieser Art von Bilderwelt mit dem Höhepunkt einer bacchantischen Maskenorgie und scheint dabei ab und an den Faden der Story aus den Augen zu verlieren oder die Idee, die damit transportiert werden soll.

Des Menschen Existenz als Elend, als Abhängigkeit, als Geschundensein, als Grundlage für Heilslehren und damit wiederum für eine Herrschaft, die sich des Sämann-Bildes bemächtigt, bei gleichzeitiger Suche nach dem Rädelsführer. Das Harmonium auf der Tonspur kann als weiterer Hinweis auf das Element christlich-religiösen Ritus‘ gelesen werden.

Archiv der Zukunft

Sammelgut

Naturhistorische Museen sind Orte, an denen sich sammelt, was Menschen zusammentragen. Als Sinnbild für diesen Typus von Museen steht die Glasvitrine mit ausgestopften Tieren drin.

Das wird leicht assoziiert mit einer rückständigen, verstaubten und mit Staubfängern gefüllten Räumlichkeit. Dass dem nicht so sein muss, zeigt der Film von Joerg Burger mit seinem prallen Einblick in das Naturhistorische Museum Wien. Es ist an und für sich schon ein Prachtbau, kommt immer wieder in Filmen vor. Es ist ein Ort, der überquillt vor Sammelgut. Es ist aber auch ein Ort mit Heerscharen von Mitarbeitern, unterstützt von Ehrenamtlichen, die sich darum kümmern, die das Sammelgut systematisieren, es untersuchen, sei es für Grundlagenforschung oder für angewandte Bereiche.

Hightech wie Computeranalyse, DNA-Untersuchungen oder 3-D-Drucker finden sich ebenso, wie der Eintrag von Hand in ein dickes Buch. Der Film guckt bei vielen Abteilungen vorbei. Man kann es nicht direkt eine planmäßige Führung nennen.

Es beginnt mit der Tierpräparation. Hier kommt einem der Film The Second Life- Das zweite Leben der Tiere in den Sinn, ein Film, der sich als Aufruf zur Bewahrung des Planeten versteht. Hier indes geht es um eine vielfältige Übersicht über das, man möchte fast sagen, Monstrum von Museum mit seinen teils uralten Sammlungen von Käfern, Schmetterlingen, menschlichen Schädeln, Dinosauriern, Meteoriten, Versteinerungen, Mineralien.

Die Museumsleute handeln nicht nur als Forschungsstubenmenschen, sie gehen auch hinaus in die Natur, untersuchen das Leben von heute an einem Fluss oder sie versuchen die historische Rekonstruktion der Verbrennung eines Schweines auf einem Scheiterhaufen.

Probleme werden angesprochen: niemand hat eine genaue Übersicht, was das Museum allein an gepressten Pflanzen hat; nur ein Bruchteil davon scheint systematisch erfasst. Beklagenswert ist, dass das Budget zum Ankauf von neuem Sammelgut zusammenschrumpft, eine schlechte Investition ins künftige Renommée und dann sind da die makaber anmutenden Menschenvermessungen aus der Nazizeit, wobei der untersuchende Arzt immer noch respektvoll als Doktor Wastl erwähnt wird oder das Thema der Provenienzforschung am vorbildlichen Beispiel der Restitution geplünderter Menschenschädel der Maori aus Neuseeland.

Das Museum sieht sich nicht nur als Sammlerin der Vergangenheit, sondern durch seine Forschungen speziell auf dem Gebiet der Evolution auch als eine Institution, die Hinweise auf die Zukunft geben kann.

Bergmenschen – Schule auf der Alm, Folge 1: Ankommen (ARD, Donnerstag, 22. Mai 2025, 00.00 Uhr)

Stefansalm
Dokku als Appetizer

Hier verbringen Jugendliche der 10. und 11. Klasse einige Wochen auf einer Alm. Sie üben das Zusammenleben, sie lernen Seiten der Welt und des Lebens kennen, die ihn so nicht vertraut sein dürften. Es ist ein Projekt, was sie zwar selber bezahlen müssen, aber es gibt auch Stipendien dafür.

Ein Team vom BR um Katrin Baldrich und Josef Bayer dokumentiert das, redaktionell betreut von Peter Stenz und Michael Düchs. In dieser ersten Folge wird das Projekt skizzenhaft vorgestellt. Vor allem sieht man die Schüler damit beschäftigt, unter fachkundiger Leitung, einen Hühnerstall zusammenzuzimmern.

Das Filmteam muss für den dokumentarischen Ansatz gelobt werden, in der ersten Woche auf der Alm, nicht dabei zu sein. Das ist oft ein Problem, wenn Dinge des Zusammenlebens für eine Dokumentation aufbereitet werden sollen, dass die Dokumentation selber einen verändernden Einfluss hat. Deutlich ist mir das beim Film ‚Im Prinzip Familie‘ aufgefallen (ab 5. Juni im Kino).

Prinzipiell ist es sicher im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkes, solche Bildungsthemen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen; sicher sind sie auch attraktiv, wer hätte das während der Schulzeit nicht auch gern mal gehabt. Das Projekt nennt sich ‚Klassenzimmer auf der Alm‘ und wird hier flott und knapp präsentiert.

Lebenslinien: Statistisch bin ich unsterblich (BR, Montag, 19 Mai, 22.00 Uhr)

Glück entsteht nicht durch die Abwesenheit von Problemen.

Glück entsteht durch die Lösung von Problemen, meint Stephan, der Protagonist dieser Lebenslinien von Tanja von Ungern-Sternberg unter redaktioneller Betreuung durch Christiane von Hahn.

Das kann unter Umständen die Solidargemeinschaft der Krankenkassenbeitragszahler teuer zu stehen kommen, wenn eine einzige Tablette für einen Mukoviszidose-Patienten die Beiträge von 70 Zahlern auffrisst. So rechnet es der Protagonist Stephan vor. Das Medikament gibt es noch nicht lange.

Stephan ist jetzt um die 60. Jahrzehntelang musste er täglich mehrere Stunden Therapie machen, allein schon um einschlafen zu können, anderthalb Stunden. Die von den Ärzten vor 40 Jahren vorhergesagte Lebenserwartung hat er längst um ein Vielfaches übetroffen.

Man fragt sich, woher er die Zeit nimmt bei einem Fulltime-Job beim europäischen Patentamt, mit dem Vorsitz bei einer Muskoviszidose-Stiftung, als Familienvater mit einer Familie mit drei inzwischen erwachsenen Söhnen, als Mitglied des deutschen Ethikrates und dann bis vor noch nicht allzu langer Zeit mit den mehreren Stunden Therapie. Die sich jetzt erübrigen.

Diese Lebenslinien wildern vielleicht ein bisschen viel im Gesundheitsressort. Es gibt aber durchaus Themen, die darüber hinausweisen, die unglaubliche Disziplin und Konsequenz in der Lebensführung des Protagonisten oder auch die Äußerung der Mutter, die ausdrücklich auf das Christentum als wichtigem Halt in der schwierigen Zeit mit dem kranken Kind hinweist oder die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung des Protagonisten in der Muskoviszidose-Stiftung oder im Ethikrat.

Bezzel & Schwarz – Die Grenzgänger: In der Münchner Großmarkthalle (BR, Montag, 19. Mai 2025, 20.15 Uhr)

Ausgesprochen passend

Hier kommen die beiden Protagonisten Simon Schwarz und Sebastian Bezzel als Grenzgänger in Serie ausgesprochen passend. Das hat es noch nicht gerade gegeben, dass sich mir beim Schauen des Formates Fantasien aufdrängen, die die beiden molligen Kumpels in einem fiktionalen Format als Mitarbeiter des Milieus, das sie für den BR erkunden sollen, aufdrängt.

Mir im Kopf hat sich drumherum ein Großmarkthallenkrimi abgespielt. Mehr wird nicht verraten, Angst vor Ideenklau. Aber der war super.

Vielleicht hängt diese Punktgenauigkeit der Rollen damit zusammen, dass die beiden Darsteller ungewöhnlich früh aufstehen müssen, zumindest am ersten der drei Drehtage, die sie für die 45-Minuten-Sendung angesetzt bekommen haben. Der Bezzel Sebastian jedenfalls hält den ersten Drehtag nicht zur Gänze durch. Der lässt sich entschuldigen.

Sie haben die nötige Kumpelhaftigkeit. Auch stinkt der TV-Film von Ekki Wetzel nach der Grundidee von Thorsten Berg und Thorsten Berrar unter redaktioneller Betreuung durch Anne Bürger, Ingmar Gundmann, Iris Messow-Ludwig nicht dermaßen nach Produktwerbung wie die Reihe es gerne tut, einzig vielleicht das Münchner Fischrestaurant, das sich bei seinem Großeinkauf selbstverständlich als erstklassig darstellt.

Allerdings besteht beim Großhandel nicht so sehr die Gefahr der Produkt- oder Firmenwerbung, da dieser ja nicht an den Endkunden liefert. So macht also die Runde durch den Großmarkt direkt Spaß mit den eindeutig geforderten Darstellern, wenn sie auch nur für die Kamera so tun, als würden sie arbeiten.

Die Sendung nimmt einen mit in einen Kosmos mit ganz eigenen Regeln, mit Familiendynastien, in die der Normalbürger nicht unbedingt Einblick erhält. Ein etwas merkwürdiges Gefühl beschleicht einen einzig bei der Begegnung der beiden Protagonisten mit Bedürftigen, die auf die Tafel angewiesen sind, wenn man bedenkt, dass die beiden mit Geldern der sozial unfair zu Lasten einkommensschwacher Haushalte erhobenen Rundfunkgebühr großzügig versorgt werden, und mit wie wenig eine alleinerziehende Mutter auskommen muss.

Die beiden in der Großmarkthalle, das hat etwas Unheimliches, irgendwie passen sie dazu, wie ein Ei zum anderen, aber irgendwie spürt man auch eine Differenz; sie vertreten eine andere Welt; es könnte ein düstere Welt sein. Undercover und die so tun, als ob sie arbeiten. Schockfeststellung: Hier ist alles hell und hier wird gearbeitet. … Ist hier Linksverkehr, fahrn doch alle links. Anscheinend. … Auch wenns ein bissl früh ist, eigentlich zu früh für uns. … Dann brauchn ma jetzt einen Sitzplatz zum Verhandeln. Also ich würde mich jetzt gerne hinsetzen und was trinken. … Mich reichts jetzt, ich leg mi jetzt hin und geh schlafen. So früh gibt es konditionelle Probleme. Der Sebastian muss sich mitten im Dreh hinlegen. Er kann die Augen kaum mehr offenhalten. Wieso ist das alles eingerüstet? Weil, äh, das fragen wir die Kira (Die Chefin vom Großmarkt).
Drehort Niederkaltenkirchen. Pater noster.
Wirtshaus.
Ja, wir sind die Metzgernationalmannschaft. Weißwurstherstellung.
Familybusiness.
Ab in den Kapitalistenmagen.