Archiv der Kategorie: Review

Lebenslinien: Katja Ebstein – Schlagerstar mit Widerspruch (BR, Montag, 15. Mai 2023, 22.00 Uhr)

Auf die letzten paar Minuten dieses ansprechenden Features über eine Künstlerin, die auch eine Bürgerin ist, und also ganz im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkes, hätte gerne verzichtet werden können, da wird es sülzig in den Statements, und ebenfalls auf den Ausschnitt einer Show – der Moderator ist quasi nicht vorhanden, wenn er mit Katja Ebstein singt – einer Show, die der BR mit Hängen und Würgen seit Jahren wie sauer Bier anzupreisen und zu etablieren versucht, diese letzten paar Minuten gehörten gestrichen, dann würde ein wunderbarer Eindruck bleiben von einem Menschen mit Gesangsbegabung und Bühnenaura, der gleichzeitig ein Künstler und ein Bürger, also eine Künstlerin und eine Bürgerin ist.

Beim breiten Publikum war sie als Schlagersängerin bekannt. Sie war sich nicht zu schön für Schlager, aber das Feinsinnige, das Literarische mag sie mehr. Sie hätte irgendwann eh ganz mit den Routinen und dem Erfolgsdruck des Schlagergeschäftes aufgehört. Sie geht als Musical-Darstellerin auf die Bühne, macht Gesangsabende. Ihr erster Mann Christian Bruhn schreibt weiter für sie.

Evelyn Schels hat Katja Ebstein porträtiert, die quicklebendig weiter im Geschäft ist. Es gibt tolle Aufnahmen aus dem riesigen Show-Theater, dem Friedrichspalast, wie auch aus dem bayerischen Alpengebiet.

Katja Ebstein hat sich immer als politischer Mensch gesehen, hat sich für die Wiedervereinigung der beiden Deutschland eingesetzt. Allerdings konnten sich diese Lebenslinien eine Werbung für den Ausstatter der Sängerin aus Hamburg nicht verknusen. Das wirkt so schleichwerberisch.

Mit den Abstrichen aus den letzten Minuten, also sülzige Statements, peinliche BR-Show und Boutiquenbesuch in Hamburg, rangieren diese Lebenslinien unter Redaktion von Fatima Abdollahyan im oberen Segment, besonders im Segment der gerne schleimiger Promi-PR-Lebenslinien, da steht Katja Ebstein einzigartig da, eine Schleimspur- und devote Verehrungs-Lebenslinie ist mit ihr von Natur aus nicht zu machen.

Wenzel – Glaubt nie, was ich singe

Wer ihn noch nicht kannte,

der kann ihn hier kennenlernen, den authentischen, melancholischen, aufrechten, unverbiegbaren Sänger Hans-Eckardt Wenzel in dieser Dokumentation von Lew Hohmann unter redaktioneller Betreuung von Jens Stubenrauch (rbb) und Thomas Beyer (MDR).

Dass ihn nicht jeder kennt, obwohl er schon Jahrzehnte im Musikgeschäft ist, liegt wohl an seinem Charakter, dass er nicht Dinge tut, nur um der Karriere willen, sondern, dass er das tut, was er für wichtig hält, dass er die Texte schreibt, die ihn beschäftigen; dass er in der DDR nicht Systemopposition betrieben hat, sondern mit Clownerien die Kritik, ohne ins Messer zu laufen, anzubringen wusste und sehr wohl auch verstanden worden ist darin.

Vielleicht liegt es auch am Genre der Musik, die, wenn man hier Konzertmitschnitte sieht, gerne in Richtung Volksfest tendiert.

Andererseits hat er eine internationale Seite, um die ihn manch deutscher Sänger beneiden dürfte: das ist der Kontakt zu Arlo Guthrie, mit dem zusammen er Konzerte gegeben hat, mit dem er in Amerika in Nashville auftreten durfte und im Archiv von Arlo machte er Funde, die er musikalisch umsetzte.

Der Film ist ein Doku mit Talking Heads, mit Besichtigung früherer Wirkungsorte, mit Songs, Archivmaterial bis in die DDR-Zeiten. Ein Thema sind seine Frauen, seine Kinder. Seinen jüngsten, etwa 10 Jahre alten (Stief?)Sohn lässt er bereits im Konzert auftreten. Covid spielt eine Rolle. Eine künstlerische Krise mit Zusammenbruch führte ihn von der DDR nach Nicaragua, wo er als als Krankenwagenfahrer gearbeitet hat.

Am meisten am Herzen liegt ihm sein eigenes Kamp-Festival. Das nächste Kamp Open Air ist bereits angekündigt. Der Film selbst ist selbstverständlich auch ein Promotionsprodukt für den Sänger, der mehr mit seinem Einsatz, seinem Engagement, seiner Ehrlichkeit überzeugt als mit seiner Stimme.

Miyama, Kyoto Prefecture

Sich hineinversetzen lassen

in die Welt des Uwe Walter aus Thüringen, der seit 30 Jahren in einem japanischen 600-Seelendorf im Bezirk Kyoto mit seiner japanischen Frau wohnt, dort Reis anbaut und Musik macht und dem hin und wieder ein deutscher Schlager wie „Marina, Marina“ einfällt.

Das Dorf liegt am Oberlauf eines Flusses in einem naturgeschützten Waldgebiet, wo, auf den ersten Blick, sich Fuchs und Hase Gutnacht sagen.

Nach und nach offenbart der Film von Rainer Komers das reichhaltige Dorfleben. Auch die Veränderungen, Uwe soll sein Haus abreißen, es muss ein neues gebaut werden; denn seins gehört ihm nicht und scheint ein Schwarzbau zu sein. Wo will er sich beerdigen lassen. Im Dorf geht nicht.

Wildschweine und Rehe, auch Füchse und sogar Affen müssen von den Gärten ferngehalten werden. Ein Taifun hat Verwüstungen angerichtet. Immer wieder das beruhigende Grün der Berggegend. Uwe plagt sich mit dem Garten, dem Reisfeld oder unterrichtet Flöte. Er ist aktiv bei der Männerrunde, die den Festzug plant.

Es gibt alte Frauen, die Gymnnastik machen, Kinder, die in die Schule gehen, fahrende Händler. Zu erfahren ist von einer Bürgerinitiative, die den Bau eines Speicherkraftwerkes verhindert hat und auch die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage. So bleibt das Tal grün, idyllisch und attraktiv für Touristen. Es gibt Hausdächer, die mit Reet gedeckt sind.

Die Musik hat Uwe vor Jahrzehnten nach Japan gelockt. Zurück möchte er nicht nach Deutschland.

Der Film selbst wirk wie eine Meditation mit dem vielen, entspannenden Grün, dem ruhigen Dorfleben. Leute frönen der Jagd oder dem Fischen. Holz wird geschlagen an den steilen Abhängen, Truthähne geschlachtet und zum Verkauf vorbereitet. Im Gegensatz zur Ortsschilderung im georgischen Film Was wir sehen, wenn wir zum Himmel schauen herrscht hier über allem die Ruhe, die Sachlichkeit, japanische Unaufgeregtheit.

Book Club: ein neues Kapitel

Kalkül

Vielleicht war das Kalkül von Bill Hoderman, der mit Erin Simms auch das Drehbuch geschrieben hat, dieses: schreib ein Drehbuch für ältere, weibliche Hollywoodstars; denn die klagen immer, es gäbe nicht genügend Rollen für sie. Insofern würden sie das vielleicht nicht so genau lesen und eine Absichtserklärung unterschreiben, die Rolle spielen zu wollen. Mit diesen powervollen Erklärungen, gleich vier Stück (von Jane Fond, Mary Steenburgn, Diane Keaton und Candice Bergen), begibt er sich zu Produzenten und Geldgebern, die umgehend die Finanzierung sicherstellen.

Genau gelesen hat vermutlich keiner, was da im Drehbuch stand. Die Idee war die, ausgehend vom Film Book Club- Das Beste kommt noch mit vier Stars aufzutrumpfen. Sie sollten nach Covid eine Italienreise machen, in ihrem Alter würde so eine Chance wohl nicht so schnell wieder kommen.

Also die Stars in ein PR-trächtig ins Bild gesetztes Lufthansaflugzeug verfrachtet. Sie in Rom an berühmten Filmstellen so filmprosaisch vorbeikreischen und vorbeiflanieren lassen, dass einem die Innereien in Aufruhr geraten, wenn einem im Hinterkopf der Brunnen von Trevi mit Anita Ackberg aufflackert.

Irgendwie muss der Film jetzt mit Ideen, was die vier Damen in Italien alles erleben sollten, gefüllt werden.

Vielleicht ist auch in Venedig und Florenz noch was an Filmförderung abzugreifen, man könnte es versuchen.

Man könnte den Damen ihr Gepäck von falschen Gepäckträgern klauen lassen. Man könnte noch die Urne eines der Ehemänner der vier Protagonistinnen dazupacken.

Allzu Originelles lassen sich jedenfalls Bill Holderman und Erin Simms nicht einfallen, Überraschendes ist nicht zu erwarten. Noch ein paar Pennäler-Konflikte mit der Polizei, ein Techtelmechtel mit einem Koch, eine nächtliche Bootsfahrt mit einem Casanova. Das Ziel der Hochzeit von Vivian soll präsent bleiben.

Und was wäre eine Hochzeitsfeier ohne Pannen; aber warum nicht eine Doppelhochzeit draus werden lassen. Jedenfalls hat Jennifer Lopez mit Shotgun Wedding mehr Dreistigkeit im Umgang mit dem Genre Hochzeitsfilm bewiesen – und vermutlich auch mehr Publikumskenntnis und im Super-Bowl-Film Bradys Ladies ist das Kalkül mit vier Senior-Diven deutlich besser aufgegangen.

Vermutlich ist in diesem Film das Spektakel hinter den Kulissen deutlich spannender gewesen, als was sich vor der Kamera abspielte: vier solche Kaliber von Stars so lange in einem fremden Land und auf so engem Raum friedlich im Zaum zu halten.

Beau is afraid

Im Niemandsland muttergeformter und mutterbehrrschter Psyche. Ein armer Kerl ist er, Beau (Joaquin Phoenix) vollkommen orientierungslos. Sage noch einer, es gebe keine Gewalt von Frauen gegen Männer. Dann heißt der so Deformierte auch noch Beau, Schön (seine selbe Mutter verniedlicht ihn als „Karottchen“), derweil stottert ihm selbst ein kleiner Boots-Motor in der großen Schlussabrechnung vor kolosseumshafter Kulisse, so viel Antike muss sein, bei der Geschichte eines heutigen Unternehmens, das sich die Sicherheit auf die Fahne geschrieben hat. Keine Sicherheit beim Sohn dieser Unternehmerin.

Die Wassermanns

sind Unternehmer in den USA; Ihr Wohnort ist nach ihnen benannt: Watertown. Die Mutter (Patti LuPone) ist besonders erfolgreich. Allerdings wäre das ziemlich langweilig, nur so eine unternehmerische Erfolgsgeschichte nachzuerzählen (so wie Air – Der große Wurf).

Nein, Ari Aster (der schon mit Midsommar und Hereditary die Grenzen der Alltagskonvention weit gesprengt hat) hat mehr im Sinn.

Vielleicht haben ihn die Psychothriller von Kim Ki Young inspiriert, in die Psyche der Beziehung zwischen dieser erfolgreichen Mutter und dem doch ziemlich muttergestörten Sohn hineinzutauchen, sozusagen die Negativvariante einer absolutistischen Mutterherrschaft über ihren Sohn lustvoll und bildkräftig zu bschreiben, in einem traumatischen dreistündigen Trip, der so fesselt, dass man beileibe nicht auf die Idee käme, zum Beispiel die schauspielerischen Leistungen zu bewerten. In der Nähe solch psychotischer Abgründe wäre vielleicht noch mother! von Darren Aronovsky zu finden.

Weil der Sachverhalt so glasklar herausgearbeitet wird, dass man sich damit beschäftigen muss. Sicher sind nicht alle Mütter so. Sonst wäre wohl die wie in einem sanften Theatertraum vorgeführte Variante eines normalen Männerlebens überhaupt nicht möglich, nämlich einen Beruf zu erlernen, ein Haus zu bauen, seinen Garten zu kultivieren, eine Familie zu gründen und in ihr sich fortzupflanzen – allein diese Sequenz des Filmes ist so wunderbar samt der Gegenrede von Beau, der wie verloren in diesen Märchenwald geraten ist, der hier Zuneigung, Aufmerksamkeit und Wundversorgung findet; es ist der Märchenwald der Waisenkinder; Beau glaubt, hier seinen Vater wiederzufinden, von dem doch die Mutter in einer dramatischen Szene erzählt, wann und wie genau er gestorben seid, heftig, heftig.

Und damit dem Sohn unendliche Schuldgefühle einpflanzt und ihm dies auch vorwirft, wie überhaupt, was sie alles für ihn getan habe.

Ari Aster schildert bannend ein Abhängigkeitsverhältnis, das offenbar nicht mal der Tod, geschweige denn der Psychiater entschärfen, gar auflösen kann. Pech hat Beau auch mit Elaine (Parker Posey), die er schon als Kind kennenlernt (Armen Nahepatian als Teen Beau und Julia Antonelli als Teen Elaine), bei der Erotik ein merkwürdig harter und geschäftiger Vorgang ist.

Dabei ist Beau nicht mal als romantischer Träumer geschildert. Aber das Leben mit dieser Mutter zeichnet ihn. Er kann ihr nichts recht machen. Sie ist ein Alptraum, den er nicht los wird. Und der ist auch ständig vorhanden, auch auf der Tonspur mit oft penetranten Frauenstimmen oder diesem sirenenhaften Gesang hoher Frauenstimmen, später dann mit der typisch amerikanischen Filmstar-Vamp-Stimme.

Der Film ist ein Psychotrip, bei dem es gut ist, dass der Zuschauer in einem Kinosessel und nicht in einem Sattel sitzt, sonst könnte es ihn rausschleudern. Manchmal fragt man sich, ob dieses Leben, wenn es denn überhaupt ein Leben ist, eines in eine Richtung oder im Kreis ist, bei dem immer wieder die Mutter auftaucht, in einer gewaltigen Schlussszene als theatrale Anklägerin mit dem wie ein Staatsanwalt agierenden Richard Kind. Der Film beeindruckt, weil diese absolute Herrschaft der Mutter keine Sekunde lang als billiges Klischee rüberkommt, weil Ari Aster minutiös diesen gnadenlosen Herrschaftsmechanismus als eine Variante von Mutterschaft gnadenlos freilegt. Oder es ihm mindestens Spaß macht, derlei zu behaupten.

Adios Buenos Aires

Aufbrechen, um zu bleiben

2001 ist die ökonomisch-politische Lage in Argentinien katastrophal, es gibt Demonstrationen, Run auf die Banken.

In dieser Zeit siedelt German Kral (Ein letzter Tango), der mit Fernando Castets und Stephan Puchner auch das Drehbuch geschrieben hat, seinen Film an.

Julio ist seine Hauptfigur (leider sind bei IMDb die Darsteller nicht mit ihren Rollennamen aufgeführt). Dieser betreibt einen kleinen Schuhladen, den er von seinem Vater übernommen hat. Es ist nicht mehr davon zu leben. Er schmiedet Auswanderungspläne in Richtung Europa und Berlin, weil dort alles so viel besser sei. Töchterchen möchte nicht mit. Ein Crash mit einer Taxifahrerin beschädigt sein Auto, das er doch verkaufen wollte, um die Überfahrt zu finanzieren.

So ein Crash verbindet durch die Formalitäten, das kann sich hinziehen, bis Beziehungen entstehen. Aber auch bei der Taxifahrerin sind die Lebensumstände haarsträubend. Man muss sich durchwursteln in diesem Argentinien. Sie schlägt Ratenzahlung vor. Aber auch in der Autowerkstatt eines Musiker-Freundes passieren Dinge, die hier bei uns unvorstellbar wären, in Argentinien aber mit Lakonie quittiert werden: wozu braucht ein Auto einen Motor, wenn es schon keine Räder mehr hat. Räder haben in Argentinien die Eigenschaft, sich selbständig zu machen, leichter noch als Auswanderer.

Den positiven Input in diese wenig rosigen Lebensumstände bringt der einst berühmte, jetzt vergessene Sänger Tortorella. Die Band um Julio hat die Idee, ihn zu suchen und zu bitten, doch mit ihnen zu singen. Ein Unternehmen, das positiv verläuft und dem Film einige schöne Lieder bringt. Dieser illustrieren bestens die Stimmung, die der Film transportiert, als sei er aus einer anderen Zeit, in der ein anderes Tempo und andere Werte galten: die Werte anrührender Menschlichkeit, wenn schon aus der Wirtschaft nichts zu machen ist. Entfernt erinnert der Film an Mika Kaurismäki, der auch nie den Eindruck erweckt, als könne ihn irgendetwas zu irgendetwas drängen.

Kinder auf der Flucht (ARD, Montag, 8. Mai 2023, 22.50 Uhr)

Geschichtsgebräu, mitzuverantworten von 13 öffentlich-rechtlichen Redakteuren

Schauderstories vom Kriegsende unterm neckisch flippigen Eitel-Label „ARD History“, zusammengebraut von Jan N. Lorenzen unter der Gremienkompatibilität verlangenden Betreuung von gleich 13 öffentlich-rechtlichen Redakteuren: Mirjam Dolderer SWR,
Gabriele Trost SWR, Mark Willock SWR, Andrea Bräu BR, Susanne Poelchau BR, Sabine Mieder HR, Anais Roth MDR, Marc Brasse NDR, Michaela Herold RB, Rolf Bergmann RBB, Natalie Weber SR, Mathias Werth WDR, Thilo Kasper ARD MEDIATHEK.

Es erzählen heute weit über 80/90-Jährige, die Ende des Krieges als Kinder vor den Sowjets geflohen sind. Die Protagonisten, es sind dies lauter Menschen, die zur Zeit des Kriegsendes um die 5, 6, 9 oder zehn Jahre, gar 13 Jahre alt waren und die trotz Fluchttrauma ein hohes Alter von 90 Jahren erreicht haben und denen es offenbar allen ziemlich gut geht, erzählen gut ausgeleuchtet auf einen Sessel vor dunklem Hintergrund gesetzt und der auf einem Bühnenboden steht. Ihnen gegenüber sitzt eine ominöse Schattenfigur im Dunkeln, die, selten zwar, eine Frage stellt. Dazwischen wirbelt ein wilder Archiv-Bilder-Mix über den Fernsehschirm, bei dem propagandistische Hitlerbilder nicht fehlen.

In diesem Film der Produktion Hoferichter und Jacobs sind die Russen die Bösen, die Soldaten (auch solche der Siegermächte), die die deutschen Frauen auf der Flucht reihenweise vergewaltigt haben. Dazwischen stark trauersymbolische Bilder von blühenden Pflanzen, Sonnenuntergängen, Ähren im Wind.

„Rechtlos, schutzlos, das ist das Schicksal in den jetzt sowjetisch besetzten Gebieten“,
„Die Gewalt, die Deutschland jahrelang verübt hat, richtet sich nun gegen die Deutschen selbst“,
„In den während des Krieges von den Deutschen besetzten Ländern, entlädt sich die Wut an den Deutschen.“ Es geht um die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Eichstätt war nach Sibirien direkt ein gutes Leben. Andere wiederum waren Bettel- und Wolfskinder in Litauen und Polen.

Die Doku versammelt einen kruden Mix aus Protagonisten, zB die Tochter eines polnischen Widerstandskämpfers, die ihm das nie verzeiht, und die die Germanisierung in einem deutschen Gauheim erlebte. Oder eine jüdische Überlebende. Eine Lebensborn-Frau. Ein Mann, der in Tschechien die Nemec-Armbinde tragen musste, um sich als Deutscher zu erkennen zu geben; wegen Jugendlichkeit blieb ihm der Tod im Massaker von Postelberg im Mai 1945 erspart.

Dieser krude Protagonistenmix wird noch zusätzlich in der unsäglichen Doku-Verzopfmanier präsentiert, so dass es schwer ist, sich einzelne Schicksale nachvollziehbar einzuprägen. So eine Doku will Konfusion anrichten und nicht Klarheit schaffen – was der Sinn von Dokumentationen eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkes wäre; denn Konfusion ist immer im Sinne von Usurpatoren der Macht, von Manipulation. Seriöse Geschichtsdoku wäre anders.

Geändert am Kriegsverhalten hat sich nichts, wenn man Berichte über den Umgang der russischen Eroberer mit ukrainischen Kindern liest.

Displaced Persons verlaufen sich in ARD-History.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Grillen mit Ivana und Adnan (BR, Sonntag, 7. Mai 2023, 17.15 Uhr)

Bei aller Sympathie für die Laienhaftigkeit dieser BR-Sendung sind vor dem Hintergrund der sozial unfairen Finanzierung des bald 10-Milliarden-Pottes des öffentlich-rechtlichen Rundfunk mittels Haushaltszwangsgebühr zu Lasten einkommensschwacher Haushalte, was bedeutet, dass die Reichen im Lande sich faktisch nicht an dieser Finanzierung beteiligen, solche Sendungen, die heute jedermann selbst mit dem eigenen Handy drehen und bei Youtube oder wo auch immer ins Netz stellen kann, in keiner Weise mehr zu rechtfertigen. Sie bieten ideales Einsparpotential, dem Land geht ohne so eine Sendung absolut rein gar nichts verloren, der Demokratie schon gar nicht; die Sendung: verzichtbar.

Redaktionsleiter Ingmar Grundmann und die betreuende Redakteurin Sonja Kochendörfer, die mit Drehbuch und Regie Franziska Maral betraut haben, werden so zu BR-Redakteuren verzichtbarer Sendungen, zu Redakteuren mit Einsparpotential – die gleich mit eingespart werden können.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Spoiler Alarm

Das Spoiler-Ding

ist eigentlich mehr ein Ding, das gegen die Kritik eingewendet wird, wenn sie zu viel über ihr kritisiertes Objekt, sei es Buch, Theater, Oper, Film verrät; oft wird die Filmkritik sogar ausdrücklich von der PR-Agentur gebeten, das Ende des Filmes nicht zu verraten; was irgendwie absurd ist, da meistens schon die Kategorisierung eines Filmes als Drama (das geht schlecht aus) als Komödie oder Rom-Com (die geht gut aus) verrät, wie es endet – und bei einem Whodonit-Krimi à la Agatha-Christie versteht es sich von selbst, dass man den Täter nicht verrät.

Insofern bleibt dieser Titel als Filmtitel rätselhaft und der Film selber vermag das auch nicht aufzuklären; erst wenn man im Abspann liest, dass das Buch von Michael Ausiello, das die Grundlage für das Drehbuch von David Marshall Grant und Dan Savage, das von Michael Showalter inszeniert wurde, im Originaltitel heißt „Spoiler Alert: The Hero Dies“, wird klar, dass dieser Titel, wobei im Deutschen aus dem Alert ein Alarm wurde, lediglich eine bestimmte Erzählmethode verrät, nämlich, dass zum Vornherein klar ist, dass der Held am Schluss stirbt.

Eine legitime und auch gar nicht unbedingt schlechte Methode mit solcher Ankündigung. Das hat Einfluss auf die Erzählweise, wenn das zum Vornherein feststeht. Da braucht man nicht künstlich eine Spannung erzeugen, wie es weitergeht; man kann auf das Geraune des Märchentons verzichten. Man kann vorgehen wie beim Durchblättern eines Familienfotoalbumes und sozusagen nachillustrierend berichten; die Entwicklungen zügig abhandeln.

So kann man, wir sind ja im Kino, den Zuschauer in die Intimitäten dieser Beziehung hineinziehen. Was einer auch durchaus als unangenehm empfinden kann, besonderns, wenn wie hier, die Liebe so ganz ohne Eortik anfängt, die Liebe zwischen Jim Parsons (jawohl: Michael Ausiello) und Kit Cowan (Ben Aldrige).

Diese Liebe startet auch überhaupt nicht als große Liebe, vielmehr als üblicher Kontakt in einer schwulen Bar. Da gibt es von Anfang an kein Geheimnis. Und erst lockt mal der Sex. Wobei Jim ein paar Macken hat, weshalb das mit dem Sex nicht gleich, zack, zack, reibungslos geht.

Der Film hat ein paar ganz sympathische Macken im Sinne von Figuren wie der schrägen „Einsilbigen“, der Mitbewohnerin von Kit. Oder die sympathisch gezeichneten Eltern von Kit, Landeier, die relativ schnell die Schwulität ihres Sohnes akzeptieren. Oder der Psychiater, den die beiden für die Paartherapie aufsuchen.

Wie überhaupt der Eindruck einer fortschrittlichen Kino- und Kulturwelt entsteht, in der eine schwule Liebesgeschichte genau so langweilig und überraschungsfrei buchstabiert werden kann wie eine Hetero-Geschichte. Im Gegensatz zum noch schrillen Movie Bros, das als Einzug der Gayness in den Mainstream gefeiert wurde.

Die tiefere Liebe, die greift sowieso erst später mit der Diagnose eines bösartigen Tumors; den als Ärztin zu verkünden wurde eine Darstellerin gewählt, die bei Disney die Prinzessin Elsa in der Eiskönigin spielen könnte; auch das nur ein weiteres schräges Detail, das der Geschichte Einmaligkeit verleiht.

Somit ist also auch gespoilert, dass es sich um einen Tumorfilm handelt, einen Tumor-Liebesfilm, um genau zu sein und, wenn wir schon am Spoilern sind, psst! Es handelt sich auch um einen Hochzeitsfilm – yes I will!

Mediterranean Fever

Ein Israel-Film?
Ein Palästina-Film?
Ein pessoptimistisches Leben als Palästinenser in Israel?

Der Film von Maha Haj über den palästinensischen Autor Waleed (Amer Hlehel), der in einer nicht näher bezeichneten Ortschaft am Meer lebt, an der zwar nirgends israelische Flaggen – aber auch keine palästinensischen – wehen, wo aber nebst Arabisch an manchen Orten Hebräisch gesprochen wird; ist wohl ein fingiertes Israel, das reale erlebt aktuell gerade eine seiner größten Staatskrisen.

Dieser Film erinnert an das Theaterstück Der Pessoptimist von Emile Habibi , ein Stück das voller Selbstironie die verzweifelte Lage der Palästinenser in Israel beschreibt, ohne jede Anklage oder Parteinahme. Das Stück war in Israel sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch ein Riesenerfolg gewesen.

Diese Haltung zu dem never-ending Konflikt könnte sich Maha Haj zu eigen gemacht haben; sie gibt das auch mit dem Anton Tschechow Zitat zu verstehen: „Was für ein schöner Tag, ich kann mich nicht entscheiden, zu trinken oder mich aufzuhängen“.

Waleed ist Autor, der seinen Erstling noch nicht geschrieben hat und unter Depressionen leidet. Er lebt mit seiner Frau Ola (Anat Hadid) und seinen Kindern Shams (Samir Elias) und der pubertären Nour (Cynthia Saleem) an einem angenehmen Nichtort am Meer, nicht idyllisch, Straßen und Eisenbahnlinien sind in der Nachbarschaft.

Eine Schlüsselszene ist die Geschichte vom Bauchweh von Shams. Das hat er nämlich immer am Tag der Geographie-Stunde. Dort wird israelische Geschichte gelehrt, Jerusalem zur Hauptstadt erklärt, aber vom Vater hörte Shams es doch anderes.

Ein neu eingezogener Nachbar weckt das Interesse von Waleed. Es ist Jalal (Ashraf Farah) mit seiner Frau Raneen (Shaden Kanboura). Der ist in Erpresser- und Geldeintreibergeschichten verwickelt. Unter dem Vorwand, für den Krimi, den er schreibe, recherchieren zu wollen, sucht Waleed Jalals Nähe.

Die beiden Nachbarn sind schnell in der Verfolgung der jeweils eigenen Ideen verbandelt, haben Schnittmengen in den Lösungsansätzen zur unerträglichen Situation ihres Lebens.

Der Film ist eine deutsch-zyprisch-französisch-palästinensische Koproduktion und zeigt ähnliche Erzählqualitäten wie neuere israelische Filme, die es zu uns ins Kino geschafft haben, wenn auch thematisch anders gelagert wie Two oder Concerned Citizen, die beide auch einem gepflegten Realismus frönen, der auf jegliche Übertreibung verzichtet, der durch die Konzentration auf die Gedanken und die daraus folgenden Handlungen der Figuren attraktiv und glaubwürdig wird und überraschende Einblicke in das Leben in jener Mittelmeergegend gewährt, die doch so pardiesisch sein könnte.