Archiv der Kategorie: Review

Queer

Statuarik

wird mit dem ersten Bild behauptet, ein Stück Stoffbezug offensichtlich eines Sitzmöbels in Grau. Ein Tausendfüßler kriecht drüber. Der wird noch mehrfach symbolisch beigezogen werden in diesem neuen Film von Luca Guadagnino, zu welchem Justin Kuritzkes das Drehbuch nach einer Kurzgeschichte von William S. Burroughs geschrieben hat.

Es folgen weitere, statuarische Aufnahme von Details eines Schreibtisches, Inserts, Stills. Das ist vorerst ein Schock, diese Statuarik, wenn man den letzten Film von Guadagnino noch bestens im Kopf hat, Challengers mit demselben Drehbuchautor, ein unglaublich rasanter Film, so schnell wie ein Tennisball, latent vibrierend die Homosexualität zwischen den beiden Titelhelden.

Und jetzt das, eingefahrenes Schwulenleben von William Lee (Daniel Craig) irgendwo in Mexiko. Anbaggern und Abschleppen, bezahlen oder nicht. Sich in der Kneipe über Schwulität unterhalten. Öder geht’s nicht. Diese Ödnis, diese Statuarik wird leider auch öde präsentiert und die schwulen Beziehungen, die One-Night oder One-Hour Stands im Hotel dito.

Großes Ereignis ist der Vorfall, den der rundliche Möchtegernautor Joe (Jason Schwartzman) berichtet. Ihm hat ein junger Lover nebst diversen Dingen seine Schreibmaschine geklaut. Das ist schlimm, er steht da wie heute einer, der nicht mehr ins Internet kann. Aber der Film spielt in einer Zeit lange davor.

So viel zu den Aufregungen im ersten Kapitel, einem statuarischen, schwulen Sittengemälde aus Mexiko. Länger schon ist Lee der bebrillte Eugene (Drew Starkey) aufgefallen. Den lädt er auf einen Trip nach Lateinamerika ein. Der sagt zu.

Endlich kommt Bewegung in den Stillstand von queer as queer can. In der schwer leserlichen handschriftlichen Titelfarbe erscheint Kapitel 2 und wird als ‚Travelling Companions‘ angekündigt.

Sicher kann der geneigte Zuschauer jetzt ablesen, dass Lee vor der Leere und dem Stillstand des Schwulenlebens sich auf den Weg macht, auf die Suche nach Erfüllung. Das Bedürfnis darnach hat sich mir allerdings aus dem Spiel von Daniel Craig nicht erschlossen. Er spielt mir vielleicht zu dominant, dass er als Weltpromi Daniel Craig – und natürlich exzellent – einen Schwulen spielt (wenn das nicht schon mal wieder eine Diskriminierung ist…).

Heroin und Kokain werden wichtiger, nehmen mehr Leinwandfläche und -zeit ein. Die Folgen bekommt Lee körperlich zu spüren mit fröstelndem Kränkeln. Aber er will mehr, er spricht immer wieder von Telepathie und glaubt von einer halluzogenen Droge zu wissen, die es irgendwo im Amazonas-Gebiet gebe.

Der Film begibt sich auf die Spuren von B-Movie-Dschungelabenteurern und tischt diese fett studiohaft und auch mal einen Schuss übertrieben gespielt auf. Von den Rauschzuständen, die sich so ergeben, wird auch die Kamera erfasst und der Film scheint die filmische Kurve gerade noch so zu kriegen. Inhaltlich schält sich der Satz heraus „I am not queer, I am disembodied“.

Nosferatu – Der Untote

Das Gruseln vor der Ehe?

Fast könnte man meinen, es gehe Robert Eggers in seiner Interpretation des Nosferatu-Stoffes um das Gruseln einer jungen Frau vor der Ehe.

Sicher, Ellen (Lily-Rose Depp) hatte schon vor der Ehe mit Thomas (Nicholas Hoult) Wahn- und Fiebervorstellungen. Aber die Ehe ist etwas Definitives, auch heute noch, und auch das mit dem Kinderkriegen.

Fast möchte man meinen, so ausführlich der Film im zweiten Teil die Krankheitsgeschichten schildert, ihn interessiert das Krankhafte an einer normalen Ehe. Diese zeichnet er anfangs großartig, das junge Paar, das Glück, die biedermeierliche Ausstattung, das perfekte Lebensgefühl der Biedermeierzeit, die Möblierung, die spitzenmäßigen zeitgenössischen Kostüme. Romantische Gemälde.

Und es scheint, als ob es an Ellen liegt, womöglich an ihren Ängsten vor der Ehe, dass sie das Böse, das Biest anzieht. Dieser Wunsch muss so stark sein, dieser unbewusste Drang, dass er bis in die Karpaten dringt.

Anfänglich hält sich Robert Egger weitgehend an Friedrich Wilhelm Murnau, lässt sich bis weit nach Transsylvanien hinein von der murnauschen Sensibilität für Lichteffekte inspirieren und über sich hinauswachsen.

Wobei eine Überblendung erkennbar wird an Tochter Tomasin in The Witch, einem früheren Film von Eggers, Frau, Sünde, das Hexenhafte, das Übernatürliche.

Wenn sich der Regisseur nun auch noch in der Erzählknappheit eines Murnau hätte antörnen lassen, dann wäre der Film gar Top of the Top. So aber zieht er sich.

Die deutsche Synchro ist überaus sorgfältig; aber wenn sie schon Nosferatu eine Art Transsylvanien-Akkzent verpasst, so hätte sie wenigstens dem ausdrücklich als Schweizer geschilderten Professor von Franz (Wille Dafoe) einen leichten Schweizer Tonfall geben dürfen; das wäre ausnahmsweise sinnig gewesen und hätte Charme auf die Tonspur gebracht.

Im rückwärtigen Teil des Filmes kommen Assoziationen zum Thema „Die Schöne und das Biest“ aufgrund expliziter Schilderungen der Liebesakte und auch der Erwähnung von Ellen ihrem Thomas gegenüber, dass Nosferatu sexuell mehr drauf habe.

Der Verzicht auf das Breitformat lässt den Film als Kunstfilm erkennen und ermöglicht mehr Nähe und Intimität, was dem Kinoerlebnis mit diesem Stoff durchaus dienlich ist. Und was ihm auch geholfen hat: die Münchner Pressevorführung im Dolby-Kino des Mathäser Filmpalastes stattfinden zu lassen; das Kino, das am meisten Licht schluckt und so den Film – und gerade im Murnau-Kontext: das Licht – noch stärker zur Geltung kommen lässt.

Feste & Freunde

Schuheinlagen nötig, auch leihweise,

das ist eines von vielen Themen, die offenbar die heutige Generation um die 40 oder 50 umtreibt, also die bereits in ein etwas reiferes Erwachsenenalter hineingewachsen sind, oder es interessiert, wie man Polizisten dazu bringt, Knöllchen zurückzunehmen, aber durchaus auch das zentrale und titelgebende Thema, dass Freunde im Leben wichtig sind und dass es gut sei, wenn es ihrer nicht zu wenige sind.

Also eine Weiterentwicklung oder ein Illustrationsversch des berühmten Liedes „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das beste, was es gibt auf der Welt“.

Es ist ein typisch deutscher Themenfilm, von allem etwas und nichts richtig, viel Anekdotisches dabei, wie zu Covidzeiten und mit strengen Covidvorschriften im Park eine Party gefeiert werden kann.

Der Film von David Dietl nach dem Drehbuch von Elena Senft achtet bei der Besetzung schwerpunktmäßig auf Schauspielerpersönlichkeiten; die meisten der Protagonisten könnten allein einen Film tragen und wären auch spannend genug, mit gründlich durchdachten Figuren zu glänzen: Ronald Zehrfeld, Nicholas Ofczarek, Annette Frier, Trystan Pütter, Katia Fellin, Laura Tonke, Jasmin Shakeri, Marlene Tanczik, Henning Flüsloh.

Der Film ist in gefälliger Werbeästhetik gedreht, entsprechend ist die Musik. Er ist mit Zwischentiteln versehen, die indizieren, welches Fest die Freundesclique gerade feiert, es beginnt mit Sylvester 2019, es gibt die Hochzeit, die Taufe, das Hoffest, den Geburtstag und vieles mehr.

Die Leute kennen sich lange, von manchen erfährt man auch ihren Beruf. Es ist mehr das intellektuell-künstlerische Milieu. Man ist modern. Vor allem gibt es jede Menge Affären, was man in einer Freundesclique tunlichst vermeiden sollte.

Vor lauter Vielem bleibt wenig haften. Hin und wieder werden vielsagend Philosopheme über Freundschaft eingestreut. Ein Sammelsurium, so spannend, wie wenn Gastgeber ihren Gästen die Fotoalben aus dem letzten Urlaub zeigen.

Bernhard Bär – Mission Mars

Geballte Ladung an Genres

Die Chinesen wollen’s wissen. Hier packt Chao Wang, der mit Yilin Wang und Pei-ju Liu auch das Drehbuch geschrieben hat, eine ganze Ladung in den teils opulenten Animationsfilm: Abenteuergeschichte, Weltraumgeschichte, Katastrophenfilm (Sandsturm), Fantsie-Wunderwelten, Sci-Fi, Action, Liebe, Freundschaft, Wissenschaftsthriller und eine leicht trottelig sympathische Hauptfigur, Bernhard der Bär, an dem der 6-jährigen Yasmin vor allem gefallen hat, dass er nackt ist.

Ein eklektischer Kinderfilm, der vielleicht etwas zu viel will. Bernhard schleicht sich heimlich in eine Marsmission ein, bringt alles durcheinander und eher versehentlich rettet er zum guten Ende alles.

Der kindgerechteste Teil ist sicher der in den zauberhaft bunt-blumigen Fantasiewelten auf dem Mars. Hier soll Bernhard das Monster einfangen. Das ist recht knuddelig, erinnert entfernt an Hollywood-Animationsfiguren in jener Badezimmerbürstenästhetik, vor allem, es ist nicht furchteinflößend. Das darf es auch nicht sein, denn Bernhard wird sich mit ihm anfreunden.

Das Monster ist zuständig für die Liebesgeschichte im Film zu einem süßen, tierischen Marsfräulein. Andererseits soll Bernhard es fangen und mit seinem minonhaften Betreuungsroboter sehen sie, wie begeistert das Monster einen Liebesfilm schaut. Sie greifen zu einer List. Sie wollen Szenen daraus nachspielen, um das Monster fangen zu können. Um das Kino und das Inszenieren geht es also auch noch.

Für den Wissenschaftsthriller ist die Mannschaft dieser Marsmission zuständig. Ihnen stellt sich als raffinierter Gegner der Forscher in den Weg, der seit 30 Jahren auf den Mars verbannt lebt. Er hat das Monster entdeckt und weiß offenbar genau Bescheid über die allmächtige Energie, die aus seinem Blut zu gewinnen sind. Allzu detailliert wird dieser Zusammenhang allerdings nicht geschildert.

Zugute zu halten ist dem Film, dass er den Zuschauer nicht mit zu dichter und zu rasanter Action überfordert, die flammt nur kurzfristig auf. Immer wieder gibt es Schwarzbild, um zu einem neuen Kapitel überzublättern.

Die Action unter den Erwachsenen ist knallhart, da wird geschossen, da blitzen Feuer auf; im Unterschied zu anderen chinesischen Kinderfilmen kommt er nicht offensichtlich ideologielastig daher. Er stützt sich vor allem auf die leicht linkischen, tapsigen Eigenschaften des nackten Bären. Die deutsche Synchro ist oft nicht verständlich und der Bär stöhnt so viel und übertrieben, dass es ihn Sympathiepunkte kostet.

Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts (ARD, Sonntag, 29. Dezember 2024, 20.15 Uhr)

Sex sells,

das weiß nicht nur Anora-Regisseur Sean Baker, das wissen alte weiße (und intellektuelle) Männer wie Regisseur Domink Graf und Drehbuchautor Tobias Kniebe und die öffentlich-rechtlichen Redakteure Claudia Simionescu und Tobias Schultze nicken das mit glänzenden Äuglein ab; sie suhlen sich ungeniert mit öffentlich-rechtlichem Rundfunkgeld im prickelnd-anrüchigen Milieu einer jungen Sado-Maso-Liebe, die in einem romantischen Wohnwagen Sexfilmchen fürs Internet dreht. Und können nicht oft genug solche Sexseiten ins Bild scrollen. Wie zufällig gibt es in diesem Kontext auch bildsüffige Parties mit jungen Girlies. Auch das sells.

Alte weiße Männer scheinen auf Frauen zu stehen, die alle einen Tick zu exaltiert auftreten. Vielleicht fällt das besonders auf, weil Kommissarin Johanna Wokalek so wohltuend natürlich spielt. Das sollte die Casting-Abteilung künftig vielleicht berücksichtigen.

Gediegen-geschmackvoll-kinohaft ist der Anfang; ein vertrauliches Gespräch zwischen einer jungen Frau (Emma Preisendanz) und einem sehr knapp sprechenden, zuhörenden älteren Mann (Michael Roll, den Edelshrink, wie er später charakterisiert wird, würde man ihm nie geben und antrainierte, knappe Sprechweise macht noch keinen Psychiater) über eine Beziehung zu einem Lucky (Florian Geißelmann), die nicht nach jedermanns Gusto zu sein scheint.

Nach knapp 5 Minuten gibt es die bildliche Erklärung zu diesem Anderssein und das immer krassere Urteil der Welt dazu: Fesselspiele mit einem jungen Mann mit BH. Wie geil.

Ein Sprung um drei Tage. Eine Szene um das Vögelchen-Motiv. Auf einer Brücke beißt ein Köter einen kleinen Vogel blutig. Die Erzählerin von vorher verscheucht den Hund, kurz nachdem sie an den beiden Kommissaren vorbeigestreift ist, die im Sperrmüll einen Tisch suchen. Und schon fliegt die typische-TV-Frage durch den Raum „Ist was passiert“. Ja, es ist was passiert, meint der Krimi, denn er schneidet wieder um auf den Altmöbelplatz und lässt diesen mit Sirenengehupe im Hintergrund polizeilich absperren. Ab hier verschneidet er die kriminologische Untersuchung mit der Aufklärung der Tat und einem Gerangel der schon kurz angeschnittenen Sado-Maso-Szene in einem Wohnwagen.

Diffus bleibt die juristische Zwickmühle, in die eine Spurenuntersucherin (Jule Gartzke) kommt, die eine Verwandtschaft zwischen zwei DNAs feststellt und die diese Erkenntnis offenbar nicht an die untersuchenden Behörden weitergeben darf. Insofern wird auch nicht klar, ob dieser öffentlich-rechtliche Krimi auf ein Problem in der Gesetzgebung hinweisen will, ein Problem, was sozusagen offiziell gegen die Gerechtigkeit der Strafverfolgung gerichtet ist. Der Film lässt hier eine genaue Beschreibung der Sachlage vermissen. Frau Ambacher vertritt dieses Problem.

Eine beim Kindertheater oder mit Schränken auch beim Bauerntheater garantiert funktionierende Phase des Filmes ist das Versteckspiel der Kommissarin bei der Mädelsparty in der Villa des Blutgold-CEOs (Martin Rapold). Sophisticated dabei ist das Spiel, wie sie heimlich das Treppenhaus erklimmt, die Partyjugend ist längst stoned, nur zwei Jungs in auslandenden Sesseln glauben, sie durch Farbfilter zu sehen und diskutieren, ob das wirklich jemand ist oder eine Erscheinung. Das ist fein gemacht, dieses kleine Impromptu über Wahrnehmung. Das erinnert ein wenig an das Kippfenster bei Tati in Playtime, bei dem der Sound der Busgesellschaft, die damit bildlich in die Höhe gehoben wird, das entsprechend entzückte Aha formt. Heimlichkeiten auch wie im Groschenroman oder wie bei Thomas Willmanns Eisernem Marquis, wenn der Protagonist sich verliebt in das Landhaus seiner Angebeteten bei Wien schleicht.

Das Moralin darf öffentlich-rechtlich nicht vergessen werden: der Utrierkommissar (Stephan Zinner) muss beim Durchblättern von Schund den Kommentar „geiler Dreckhengst“ auf die Tonspur baffen.

Im Zusammentreffen mit Herrn Horschalek und dessen Kampfunfähigmachung im eigenen Haus muss man direkt an Götz George selig denken, wie der Polizeiarbeit verstanden hat.

Die Untersuchung der gewaltsam entnommenen DNA-Probe wirkt wie Zeitschinderei oder wie überflüssige, künstliche Erzeugung von Spannung. Das Resultat als kleine Mitteilung in den Krimi zu bringen, hätte vollkommen genügt, diese Untersuchung in solcher Ausführlichkeit zu zeigen, bringt nichts. Wir sind ja hier nicht in einem Labor-Schulungsfilm.

Die parallel dazu stattfindende Auseinandersetzung zwischen Kommissarin und mutmaßlichem Täter ist ebenso wenig erhellend, performativ wenig ergiebig. So wenig wie das Aufsuchen von Mia im Wohnwagen durch den Edelshrink „Was machst du da?“. Das ist nicht plausibel, dass er sie dort aufsucht, noch dass er ihren Freund kleinen Wichser nennt.

Andererseits verständlich, diese Verzögerungen, sie sind erforderlich, um das Tohuwabohu der Twists um die Täterschaft (und gleich auch noch der Vaterschaft) 10 Minuten vor Schluss nochmal aufzuschnüren und Zeit mit Fehlspuren zu füllen.

Allerdings ist die CEO-Figur auch nicht recht plausibel geschrieben. Wie überhaupt die zwei alten weißen Männer in diesem Tatort bemerkenswert wenig schlüssig gedacht und besetzt sind. Wenn die Macher sich wenigstens an Glatzköpfe getraut hätten. Wenig Selbstreflexion von Macherseite, also von den zwei alten weißen, intellektuellen Männern, zu just ihrer eigenen Gattung, die doch versucht, in unserer Gesellschaft so mächtig aufzutreten, so eminent wichtig zu sein und die dafür ja auch entsprechend honoriert werden. Erstaunliche Unschärfen bei diesen Figuren. Mit dem öffentlich-rechtlichen Spiegel- und Selbstbild alter weißer Männer jedenfalls scheint es zu hapern in dieser unserer heilen, und doch so süßen, softsexy Fernsehwelt. Alte weiße Männer als blinder Fleck in der Wahrnehmung alter weißer Männer.

Mitproduziert von Provobis.

Politisch gefällig ist es, die Goldfirma rot mit dem Text Blutgold zu beschmieren, aber wer weiß, wer von den gut mit öffentlichen Zwangsgebühren entlöhnten Beteiligten an diesem Film selber in Gold investiert hat, so suggeriert es das Drehbuch mit einem Kommentar des Kokommissars. Das Thema der Rufmordkampagne kommt klischeehaft daher.

Der Plot an sich kommt einem doch recht aus bekannten Versatzstücken zusammengeschustert vor, Sex and Crime, Internet und Sex, Thema Kapitalismus, Gold (oder Diamanten) und Blut, CEO und Angst um den Ruf, dann noch das Thema der Vaterschaft. Statt halt wirklich mal eine moderne Figur gründlich unter die Lupe zu nehmen, ihre Handlungsmaximen, ihre Orientierung, ihre Needs.

So muss in 90 Minuten eine brauchbare Handlung hergezaubert werden, die näherer Betrachtung nicht standhalten kann.

Wenn das Thema Vaterschaft eine Rolle spielt, dann sollte die Beziehung auch plausibel gemacht werden. Hier scheint es mehr ums Image zu gehen, und also eh wurst, wer der Erzeuger ist. Die Plot-Versatzstücke bleiben in groben Klischees hängen. Auch wie die heutigen Reichen gezeichnet werden genau so wie die Wohnwagenidylle. Das ist immer die Gefahr beim Polizeiruf oder beim Tatort, dass er überladen wird vor lauter politischer Korrektheit, weil all dies hineingepackt werden soll und letztlich nur anskizziert bleiben kann. So bleibt Plausibilität auf der Strecke, das Interesse schwächelt, immer aber ist Verlass auf den guten Geschmack von Dominik Graf.

Gernstl unterwegs: Von Küchsünden und Luftschlössern (BR, Donnerstag, 26. Dezember 2024, 18.45 Uhr)

Der Jagdtrieb ist da.

Das dürfte der letzte Gernstl-Unterwegs gewesen sein.

Schöner symbolischer Abschluss bei einem 78-jährigen Fischer am Ammersee. Der hört auf, weil sich das Fischen nicht mehr lohnt. Gernstl hört auf, weil die Redaktion es so will. Kommentar des Fischers „Der Jagdtriebe ist da“. Er wird weiter auf den See hinausfahren.

Was wird Gernstl machen? Auch bei ihm dürfte der Jagdtrieb bleiben. Angst um ihn braucht keiner haben. Er dürfte gut versorgt sein. Und er hat sich mehr als empfohlen mit sympathischen Werbefilmchen für kleine Betriebe.

Heute einmal kulinarischer Art bei einer argentinischen Italienerin in München, bei einem Instrumentenbauer in Amberg, bei einer speziellen Freiluftgalerie mit kinetischer Kunst, einer Exveterinärin, die Tierköpfe aus Filz und Hörnern macht und beim Fischereibetrieb am Ammersee.

Zukunftssorgen braucht Gernstl keine haben. Grad fei schee wars. Aber irgendwann ist jeder Party vorbei. Es kommen neue Formate, neue Reisejournalisten, es tauchen neue Originale mit eigenen Geschäftsidee auf. Falls die Welt nicht irgendwann am Klimawandel zugrundegegangen sein wird.

Kommentar zu den Reviews vom 26. Dezember 2024

Wem nach all den Feiertagen die Decke auf den Kopf fällt, der ist im Kino bestens aufgehoben bei attraktiven Neustarts! Der Iran beglückt auch die Christenwelt mit einem Weltkino weit jenseits religiöser Kleinkrämerei und Engstirnigkeit; dieses Kino traut sich was. Und auch das französische Kino ist nicht unzimperlich im Umgang mit gegensätzlichen Gefühlen und schafft gezielt die verbindende Gemeinsamkeit. Das amerikanische Kino wiederum schöpft schon beim Kinderfilm aus dem unermesslichen Reservoir an Action- und Sic-Fi-Elementen gepaart mit Supergeschwindigkeiten und vor allem mit Familiensinn. Auf der anderen Seite schickt das amerikanische Kino zwei hübsche, missionsbegeisterte Misssionarinnen zu einem zwielichtigen Herrn, der allein in einem unübersichtlichen Anwesen haust. Und last not least lässt ein ungefördertes deutsches Kino sich nicht lumpen in seiner Thrillerbegeisterung. Am schlechtesten schneidet einmal mehr das Öffentlich-Rechtliche ab, dem nichts anderes als Schnulzstullen eines verblichenen Sängers einfällt und das dabei ist, ein Fossil zu Grabe zu tragen.

Kino
DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMES
Die kann gefährlich werden, auch für Unterdrücker

DIE LEISEN UND DIE GROSSEN TÖNE
Der Crash von musikalischer Pop- und Hochkultur

SONIC THE HEDGEHOG 3
Von diesem Tempo hätte ein Daniel Düsentrieb nur träumen können.

HERETIC
Warum lassen sie ihn alle gewähren, das fragt sich der Unhold selber?

RAUB IHREN ATEM
Agententhriller vom Neckar

TV
UDO!
Schmalz, Schmalz!!

GERNSTL UNTERWEGS – VON MEERJUNGFRAUEN UND GLOBETROTTERN
Wiederholungen machen das Leben einfacher.

Sonic the Hedgehog 3

Rasanz, Explosionen und Komik
um die Familienidylle

Sonic, Knuckles und Tails bilden mit Tom und Maddie die perfekte Familie. Sie könnten sich harmlosen Vergnügen wie Picknick im Garten hingeben und gegen die aufkommende Langeweile ein Wettrennen liefern in der Art von Hase und Igel, wo nicht so klar ist, wer jetzt wieso der Schnellere sein soll; spielen da etwa Hologramme mit?

Abendfüllend wäre eine solche Veranstaltung kaum. Aber die Drehbuchautoren Pat Casey, Josh Miller und John Whittington kennen sich aus und wissen, wie man Spannung erzeugt, mit Gegensätzlichkeit nicht nur von Gut und Böse, sondern gleich auch mit einer Doublage von Figuren.

So fängt der Film in der Regie von Jeff Fowler noch vor der Präsentation der Familienidylle im fernen, düsteren Tokio an mit einem Hauch Katastrophenfilm. Eine Festung mitten im Meer, alles grau in grau. Hier fängt das Double von Sonic, das ist Shadow, an zu leben.

Shadow wurde vor 50 Jahren eingefangen und in einem Hochsicherheitslabor wie in Formalin eingelegt gefangen gehalten. Der forschende Professor Robotnik hat seine Rechnung allerdings ohne seine empathische Enkelin gemacht, die sich zu dem Wesen hingezogen fühlt.

Nach 50 Jahren sprengt Shadow alle Sicherheitskordons und überall auf der Welt schrillt der Alarm, die Exposition für einen SciFi-Katastrophenfilm ist gegeben.

Um das nicht in Erwachsenenernst ausarten zu lassen, wird Jim Carrey als Dr. Robotnik gleich noch sein Enkel Gerald hinzuerfunden. Die sehen beide wild aus und sehen sich verdammt ähnlich und da Jim Carrey beide spielt, ist es ihm auch erlaubt, darüber einen Insiderscherz zu machen. Auch hier eine Doublage, ein Gegenspielerpaar mit unverhofft viel Gemeinsamkeiten, das für eine kräftige Prise Scherz und Joke, Gag und Crazyness sorgt, nie verlegen, noch eins draufzusetzen.

Die Haupthandlung spielt in London. Hier müssen Hochsicherheitscodes geknackt werden, hier wird dafür ein zweiter Schlüssel gebraucht. Die Installation wirkt wie ein Echo auf die Hochsicherheitsmassnahmen der Kronjuwelen, aber hier ist alles top of the top an moderner Elektronik.

Zwischen all der Hektik und Superaction findet der Film immer wieder Zeit für eine kleine Verschnaufpause, ein philosophisches Gespräch, dass es bei Handlungen darauf ankomme, sein Herz sprechen zu lassen, dass man immer eine Wahl habe oder über die Sterne und dass manche schon erloschen sind, wenn das Licht bei uns ankommt. Verhält es sich mit dem Kino nicht vielleicht ähnlich? Die deutsche Synchro ist sehr ordentlich gemacht.

Raub ihren Atem

So tickt HNYWOOD

Der Name der Produktionsfirma dieses Filmes gibt ganz klar die Orientierung an Hollywood vor, man sitzt zwar in Heilbronn, Heilbronnywood, aber man scheut sich nicht, es den Großen gleich tun zu wollen, sich zu orientieren an Hollywoods Traumfabrik, wie diese Agententhriller herstellt, wenn auch weit entfernt von deren Budgets.

Man greift zu anderen Mitteln der Unterscheidung, zum Dialekt als gestalterischem Mittel. Man beruft sich auf die großen Dichter der eigenen Herkunft, auf Schiller im Schwabenland und auf Lessing in Sachsen. Dementsprechend werden die beiden Dialekte eingesetzt.

Im Kino ist Dialekt nie ein Nachteil, im Gegenteil, wenn auch Münchner Ohren den einen oder anderen Verständnisverlust dafür in Kauf nehmen müssen, aber lieber so und lebendig („wie mir wirklich sind“) statt steril.

Heilbronn, genauer gesagt: Andreas Kröneck, der Autor und Regisseur dieses Filmes, hat seine Vorbilder studiert. Die Hauptelemente sind da: ein Liste, verdeckte Ermittler, der Besitzer der Liste und eine weitere Gruppe, die sich dafür interessiert. Steuerung der einen Gruppe von Italien aus. Der Streit um die Liste kondensiert sich in einem Hotel. Hier wird beobachtet, fotografiert, heimlich kommuniziert, aber auch angebandelt, Agentenatmosphäre pur und das Menschliche wird nicht wegradiert. Es gibt auch Raum für Liebe, eine lesbische, für Zweifel, Selbstreflexion, gar für einen lethalen Hirntumor eines der Beteiligten.

Das größte Manko ist das Buch, das es nicht schafft, den Normalbürger an einem seiner Interessen von Anfang an abzuholen und mitzunehmen durch die Geschichte. Alles andere (Dialoge, Genrechiffren, Bilder, Montage, Ausstattung, musikalische Untermalung, Atmosphäre, Cast, Schauspielerführung, Sex) ist fabelhaft und zeigt, dass es heute keine Provinz mehr gibt, dass man in Heilbronn so aufregende Filme machen kann wie irgendwo anders auf der Welt. Und mit der musikalischen Aufmotzung und Akzentuierung sowieso.

Die Saat des heiligen Feigenbaums

Der Todesurteilforderer und seine drei Lügnerinnen

Im Anspann dieses neuen Filmes des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof (Doch das Böse gibt es nicht) findet sich eine Erklärung zum Heiligen Feigenbaum. Der ist eine Schmarotzerpflanze. Die Samen werden mit Vogelkot auf Gastbäumen ausgeschieden, entwickeln von den Ästen aus Wurzeln, ersticken irgendwann ihren Wirtsbaum und stehen dann selbständig da.

Das Bild kann wohl doppelt gelesen werden: einerseits ist die iranische Führung und Geistlichkeit so eine Schmarotzerpflanze, die sich fett auf den Iran hockt, oder in der humoristischen Variante – und die wird der Film am Ende suggerieren – hockt sich der Filmemacher auf das Regime der Geistlichkeit, lässt es ersticken und macht daraus einen überraschenden Film.

Stickigkeit und Ersticken dominieren das Gros dieses fast dreistündigen Filmes. Man bekommt schon Zweifel am Kino und dessen doch gern gesehener Befreiungsfunktion. Nein, es herrscht Stickigkeit in diesem illegal und underground gedrehten Film.

Innenaufnahmen in abgeschotteten Räumen dominieren. Die Protagonistenfamilie wohnt in einer zu engen Wohnung. Vater Iman (Missagh Zareh), der seiner Familie nie erzählt hat, was er eigentlich tut als Broterwerb, hat im Staatsapparat eine Beförderung erhalten.

Im Auftrag und auf Befehl (was nicht rechtens ist), muss er dem Gericht die Vorschläge für Todesurteile unterbreiten. Es ist die Zeit der Demonstrationen; diese bringen Guerillafootage in den Film.

Und es ist eine Zeit massenhafter Todesurteile. Die Lage ist gespannt zwischen Iman, seiner Frau Najmeh (Soheila Golestani) und seinen beiden späten Teens von Töchtern Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki). Die Aussicht auf eine größere Wohnung ist gegeben. Vor allem muss die Familie dicht halten, was den Job des Vaters betrifft. Er erhält jetzt auch eine Pistole zu seinem Schutz, um die ein großes Geheimnis gemacht wird.

Verkomplizierend kommt hinzu, dass eine Freundin einer der Töchter bei einer Demo verletzt wird und nicht nur das, sie wird auch noch verhaftet. Ohne interne Intervention dürfte ihr der Tod sicher sein.

Die Lage der Familie spitzt sich aus zwei Gründen zu: die Pistole vom Vater verschwindet. Über sie wusste nur die Gattin Bescheid. Und Name, Adresse, Telefonnummern von Iman werden im Internet geleakt.

Die Kacke ist am Dampfen; Verfolgungswahn schleicht sich ein in die Familie. Allein wegen dem Verlust der Pistole befürchtet Iman, 20 Jahre Aufbauarbeit an seiner Karriere verlustig zu gehen.

Die Stickigkeit in Iran, in der Wohnung und im Film steigern sich ins Unerträgliche.

Jetzt fällt dem Regisseur etwas ein, was an New Hollywood erinnert. Er verlegt den Drehort samt Protagonistenfamilie in eine weit von Teheran entfernte Wüstenei, wo die Familie noch über eine Unterkunft verfügt.

Und wehe, wenn die filmischen Fesseln losgelassen, jetzt wird zum Countdown ein Film, den man als New-Hollywood-Thriller und Revenge-Movie bezeichnen könnte unter dem Titel: “Der Todesurteilforderer und seine drei Lügnerinnen“.

Die Ehre des iranischen Kinos ist somit gerettet, es hat sich aus der dem Regime geschuldeten Stickigkeit befreit. So wie auch der Regisseur kurz vor der Preisverleihung in Cannes abenteuerlich aus seiner Heimat fliehen konnte.