Archiv der Kategorie: Review

Hot Milk

beloved – beheaded

Diese kleine Differenz in der Buchstabenkombination und in krass gegensätzlichem Sinn dürfte der schmale Grat sein, aus dem der Roman von Deborah Levy seine Faszination bezieht, den Rebecca Lenkiewicz einfühlsam bebildert.

Die Zwiespältigkeit der Liebe von einer Mutter, Rose (Fiona Shaw) zu ihrer Tochter Sofia (Emma Mackey). Die Mutter, Engländerin, bindet die Tochter an sich, da sie wegen gelähmter Beine an den Rollstuhl gefesselt und also auf Hilfe angewiesen ist. Die Tochter ist eine klassische, wilde Schönheit. Der Vater ein abgängiger Grieche. Leicht vorzustellen, dass diese Mutterliebe die Tochter um den Kopf, um ihr Leben bringt.

Der Film schildert einen Aufenthalt dieser beiden Geschöpfe in Almería. Die Mutter erhofft sich vom Arzt Gomez (Vincent Perez), einem Spezialisten, eine Wunderbehandlung.

Die Atmosphäre am Sonnenstrand erinnert verblüffend an den Film Lesvia. Dort ist der Strand ein griechischer. Aber Liebe liegt in der Luft. Auch hier wird es ein lesbisches Abenteuer werden.

Sofia, von der Mutter nur Fia genannt, liegt am Strand. Hoch am Horizont auf einem Pferd reitet Ingrid (Vicky Krieps) einher. Allerdings komplizieren sich die Dinge, da Ingrid polyamourös ist. Sie ist auch mit Matthew (Yann Gael) zugange. Und da ist auch noch die Tochter von Gomez, Julieta (Patsy Ferran).

Der Film erzählt diesen Sommer nicht als RomCom oder als Drama. Er tippt lediglich verschiedene Vorfälle und Szenen an. Er ist nicht auf Thrill angelegt. Ihm hat es das Atmosphärische angetan. Das wird unterstützt durch die Tonspur, die gegebenenfalls deutlich zu verstehen gibt, dass Prickelndes oder Gefährliches in der Luft liegt.

Der Film schildert ein Leben, das dahinplätschert, es gibt lautstarke Auseinandersetzungen, aber das Leben könnte ewig so weitergehen, solange die Tochter sich nicht von der Mutter emanzipiert.

Fia macht zwischendrin einen Kurztripp zu ihrem Vater nach Griechenland, wo er mit einer anderen Frau noch ein kleines Töchterchen hat. Er ermuntert seine erwachsene Tochter, die Mutter mal genauer nach ihrer Geschichte zu fragen.

Frisch

Bruderkampf

Der ältere Bruder Mirko (Franz Pätzold) war immer schon da im Leben von Kai (Louis Hofmann). Kai ist im Umgang mit Geld nicht allzu geschickt, landet in einer Schuldenspirale.

Bruder Kai ist Dealer, kennt den Knast von innen und hat da einiges gelernt. Die beiden Brüder wachsen beim Onkel Andy (Sascha Alexander Gersak) auf. Der ist ein grobklotziger Typ und Metzger.

Unvorsichtigerweise wird Ayse (Canan Kir) schwanger von Kai. In dem sozialen Grenz- oder Absturzmilieu bedeutet das, dass er sie heiraten muss, Kind ist bald schon da. Mit dem Geld geht es nicht besser. Kai kann beim Onkel in der Schlachterei arbeiten. Das nutzt der energie- und emotionsvoll erzählte Film von Damian Johan Harper nach dem gleichnamigen Roman von Mark McNay für deftige, symbolträchtige Bilder nach einem wohl bedachten Script, das exzellenter Milieuschilderung dient.

Dazu passt wunderbar die verrauchte Stimme von Ralf Richter als Ich-Erzähler, dazu dient eine feine Auswahl von Schauspielern, die sich voll in die Riemen legen.

Verhängnisvoll für den kleinen Bruder ist sein Ungeschick im Umgang mit Geld insofern, als sein älterer Bruder ihm aus der Patsche helfen will, aber eben nicht mit seriösen Dingen, wie dem Metzgerberuf, sondern mit einem Job als Kurierfahrer für Drogen.

Ein soziales Problem für den jungen Vater ist zudem die Augenschwäche seines Kindes. Dieses soll nicht so eine billige Brille tragen; ein Augen-OP aber kostet Geld, das an anderer Stelle fehlt. Ein Auto möchte der junge Vater auch, er behauptet, um damit zur Arbeit zu fahren. Er haut seine Chefin in der Metzgerei um Geld an. Er ist in einem Abwärtsstrudel gefangen und Geldeintreiber sind ihm auf den Fersen, mehr als einmal erlebt er das physisch.

Überraschend taucht ein Jugendfreund aus dem Absturzmilieu plötzlich als Polizist auf, Selo (Zejhun Demirov), was die Sache für Kai nicht einfacher macht. Im Script vermengt der Filmemacher Damian John Harper geschickt verschiedene Erzähl- und Collagetechniken, Rückblenden, Einsatz des Voice-Over, Stills und als Musik gängig Schlagerhaftes.

Als ideellen Überbau mag man die Winnetou-Filme nehmen, die die beiden Brüder geprägt haben.

Ellie & Abbie (BR, Donnerstag, 3. Juli 2025, 23.15 Uhr)

Für ihre Schwonkels –
um Paarung geht es

in diesem munteren, australischen Konversationsstück von Monica Zanetti von 2020.

Um Paare im bürgerlichen Sinne als Lebensgemeinschaft. Die Sonderheit hier, es geht um ein Paar gleichen Geschlechtes, hier von zwei Frauen, der titelgebenden Ellie (Sophie Hawkshaw) und Abbie (Zoe Terakes). Das größte Problem für die Mutter von Ellie (Marta Dusseldorp) ist, dass sie befürchtet, keine Enkel zu bekommen. Das dürfte heutezutage das geringste Problem sein. Da gibt es genügend Filme zum Thema.

Diese Angst spürt Ellie, weshalb sie ihr Coming-Out der Mutter gegenüber unvermittelt und ohne innere Vorbereitung mitteilt. Klar, die ist aus dem genannten Grund schockiert. Sie scheint doch mehr an Enkeln als am Glück ihrer Tochter interessiert.

Coming-Out ist eines, sich der Auserwählten erklären, ein anderes, wer weiß, ob sie überhaupt so tickt. Das gedankliche Hin und Her, das Abwägen und Verwerfen, das Sich-Trauen und nicht, findet bei Ellie doppelte Unterstützung.

Einerseits plappert sie die Selbstmotivationssätze einer Influencerin im Internet nach. Ferner stützt sie sich auf die unsichtbare Freundin, oder die nur für sie sichtbar ist. Das ist die Freundin ihrer Tante Patty (Rachel House), einer Rentnerin, die ihr Fahrunterricht gibt und ihre Mutter gut kennt.

Es gibt da aber auch eine Beziehung zu ihrer bei einem Autounfall verstorbenen Tante Tara (Julia Billington). Die taucht ihr als anregender, ermutigender, manchmal clownesker Geist auf und hält Zwiesprache mit ihr. Verkompliziert wird die Angelegenheit durch ein natürliches Ungeschick, was Elli im Umgang mit ihren Gefühlen pflegt.

Es ist eine hübsch australisch-hemdsärmelig, ganz ohne Wenn und Aber nach vorn blickende Konversation, die die Entwicklung hin zum Abschlussabend der Schule, wo man jemanden, den man mag einladen soll, nach vorne treibt und damit die Entwicklung von Ellie zur parnterfähigen Frau.

Das weniger konventionelle Lesbentum hat auch seinen Auftritt, wenn auch eher randständig, mit der Location Oxford-Street. Die lässt an den Film Lesvia denken.

M3GAN 2.0

Wenn die KI sich verselbständigt,

fängt es im Kino für mein einfaches Gemüt an, kompliziert zu werden.

Da stellen sich pausenlos Fragen, wie weit sich so ein Roboter verselbständigen kann, wie weit er noch im Auftrag von Menschen handelt. Vielleicht sind das akademische Fragen, die mich aber ablenken und es mir erschweren, der Handlung und den Bildern zu folgen.

Das Thema mag zu einem Zeitpunkt, zu welchem in der Realpolitik nur plumpe, 60 Meter in die Erde eindringende Bomben den knalligen Ton angeben, noch weltfremder wirken, da erscheint es wie pathetisch, sich auf diese Art mit einer irgendwie doch unausgegorenen KI zu beschäftigen.

Zweifellos sind Settings und die Bilder im Film von Regisseur Gerard Johnstone attraktiv, modern, die Schauspielerinnen, Allison Williams als Gemma, Violet McGraw als Cady, und die weiteren Doublagen, hübsch oder auch mal hübsch entstellt, alles zugegebenermaßen bildstark.

Aber es beschäftigen mich auch die menschlichen Figuren, wie weit sind die noch menschlich? Wie weit sind sie manipuliert? Wie weit sind sie überhaupt selbständig entscheidungsfähig? Ist an ihnen vielleicht auch rumgefummelt worden? Es gibt in so einem Film überhaupt nicht mehr den freien Menschen, unseren alten humanistischen, immer unrealistischer erscheinenden Traum. Vielleicht dient so ein Film vor allem dazu, auf der Klaviatur der Angst vor KI zu spielen.

Heißgelaufene Künstlerfantasien. Ein hypothetischer Film in gewisser Weise, der in genrespezifischen Gewässern furios angelt oder visionär malt und zeichnet, bis hin zu der der KI immanenten Selbstdestruktivität.

F 1: Der Film

Auf Farce-Ritt mit Brad Pitt

Natürlich ist es eine Farce, einen 60-jährigen, noch dazu recht molligen Mann, in das Kostüm eines Formel-1-Rennfahrers zu pressen, ihm den engen Helm überzustülpen, unter dem das Gesicht wie eine Qualle wirkt, und so den Mann in einen Boliden zu stecken, der für absolut schlanke, asketische, federleicht federnde Rennfahrer gebaut ist.

Aber Brad Pitt ist ein Wonnepfropfen, verbreitet gute Laune und es macht Spaß, mit ihm diese über zwei Stunden im Formel-1-Zirkus zu verbringen, auch weil Joseph Kosinksi, der mit Ehren Kruger auch das Drehbuch geschrieben hat mit dem Ehrgeiz eines Formel-1-Fahrers und auch mit dessen Konzentration, ein fabelhaftes Bildmaterial aus Originalrennaufnahmen und Studioinserts geschossen und in hohem Tempo brillant zusammenmontiert hat, dass man ihm nicht aus kann, so dass der Sound von Hans Zimmer aus den Tonboxen dagegen direkt routiniert wirkt.

Die Story ist so funktionabel wie haarsträubend zugleich. Der Rennstall APXGP ist in der Krise. Brad Pitt war vor 30 Jahren Rennfahrer. Er hatte einen furchtbaren Unfall gebaut und war damit verbrannt für eine solche Karriere.

Jetzt, mit Spielalter 50 etwa, soll er den Stall retten. Er wird gleich ans Steuer gesetzt. Alles was es für eine professionelle Story braucht, wird aufgefahren, die Krisen, die Unfälle, die Hindernisse, die Rivalität mit dem Teamkollegen, nichts davon neu, aber erfrischend dargereicht.

Schauspielerisch ragt aus dem Ensemble Javier Bardem als Rennstallchef Ruben heraus, der an Pitt glaubt und ihn ans Steuer drängt.

Unterm Strich ist der Film eine massive, den sprühenden Charme von Brad Pitt, der das mit sich machen lässt, aussaugende Werbeveranstaltung für das Milliardenunternehmen Formel 1, deren Austragungsorte und den ganzen Werberummel drum herum und natürlich vollgepfropft mit Werbebannern.

Heidi – Die Legende vom Luchs

Johanna Spyri umweltkrimitechnisch aufgepeppt

Schnaittinger ist ein Sägewerksbetreiber und früher Raubbauer an der Natur. Er lebt zur Zeit, als Autos noch seltene Pioniervehikel sind und mit Holz oder Kohle angetrieben werden. Mit dem Gefährt kommt er im Dörfli, einem tief in den Alpen gelegenen Dorf an. Er will hier ein Sägewerk betreiben. Dazu braucht er die Unterschrift der Dorfbewohner. Alle machen mit.

Einer weigert sich. Es ist der Alpöhi, der außerhalb des Dorfes lebt. Seit er im Verruf steht, den Kirchturm angezündet zu haben, ist es einsam um ihn geworden. Bei ihm lebt seine Enkelin, die putzmuntere Heidi. Sie verbringt eine sorglose Kindheit mit ihrem Kinderfreund Peter auf der herrlich und farbenprächtig illustrierten Alm, am Fuße steiler, bedrohlicher Berge.

Der Animationsfilm von Toby Schwarz und Aizea Roca Berridi nach dem Drehbuch von Peter Dollinger, Tess Meyer und Marcus Sauermann, das auf Figuren aus dem Buch von Johanna Spyri basiert, zeichnet die Bergwelt oft sehr süß, überschreitet dabei nie die Grenze zum Kitsch, er lässt das Bedrohliche der Naturgewalt nicht aus und verschweigt nicht, wie stotzig da oben Wege sein können und wie nah am Absturz die dünnen Pfade und Steige sind. Man denkt an aktuelle Bergstürze.

Die Musik orientiert sich am Ländler, greift gerne auch auf die dorther stammenden zarten Töne zurück, gibt dem Alphorn seinen Auftritt.

Unfreiwillig wird Heidi in die Industrialisierungsgeschichte hineingezogen. Der Investor will dem Dorf jeden Gefallen tun, um die Zustimmung zu seinem Projekt zu erhalten. Dazu gehört auch, dass er den Luchs, der eine Gefahr für die Hühner ist, jagen will. Er stellt Fallen auf.

Heidi entdeckt in einer der Fallen einen jungen Luchs mit einer Wunde an einem Bein. Mithilfe von Peter befreit sie das Tier; die Falle stellt sich als gefährlich heraus und wenig gesichert. Heimlich nimmt Heidi den jungen Luchs bei sich auf. Die Krimihandlung zwischen dem bösen Investor und dem Schutzinstinkt von Heidi und dann auch vom Opa kommt in Gang.

Der Film ist gut nachvollziehbar erzählt, die Situationen sind keinesfalls verharmlosend, aber auch nicht übertrieben. Es ist auch die Geschichte einer Freundschaft, sowohl zwischen Heidi und Peter, als auch zwischen Heidi und ihrem Großvater und zu Klara, die sie mit einer beigelegten Fahrkarte in einem Brief ans Meer einlädt. Da ist allerdings der kleine Luchs davor.

Mit exzellent eingesetzen Drohnenaufnahmen bekommt die Landschaft ein anschauliches Bild. Momentweise erinnern die Szenen an das Marionettentheater. Die deutsche Sprecherfassung kann sich hören lassen.

Go Clara go: Die Kunst des kreativen Widerstands

Avantgardekunst in der Diktatur

Ein Fundstück mittemang aus dem spröden Gebiet sozialistischer Staatskunst, eine wilde Blüte tobender Kunst eines fünf Jahre währenden Künstlerkollektivs, das sich Clara Mosch nannte, deren Treffpunkt die Galerie Oben in der damaligen Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, war, von 1977 bis zur Schließung 1982 und deren Kunstwerke heute im Getty Museum in L. A. als seltene Kostabarkeiten gesammelt und behandelt werden, das ist in einem Bandwurmsatz zusammengefasst, das worum es in dieser ansprechenden Dokumentation von Sylvie Kürsten geht.

Das Label für das Künstlerkollektiv Clara Mosch fungiert als Ich-Erzählerin. Es ist weder die Dokumentaristin noch die einzige Frau im Künstlerkollektiv. Es ist eine sympathische Erzählstimme, die sich spontan in Dokustücke aus Archiven einmischt, sie kommentiert oder erklärt.

Es war eine Kunst, wie sie moderner nicht hätte sein können. Es ist eine Gegenkunst gegen die Erwartungshaltung des sozialistischen Realismus, es ist Pop-Art, Avant-Garde, Dada-Kunst, die Tanz, Performance, Veranstaltungen in freier Natur nicht ausschließt.

Clara Mosch mag als Phantom einer freien Kunst in einem unfreien Land gelten. Symbolisch dafür gibt es Tanzeinlagen einer verschleierten Tänzerin, abstrakter Solotanz. Die Schreie an die Basaltwände im Erzgebirge, noch bevor Joseph Beuys seine Basaltstöcke vor der Documenta in Kassel stapelte. Eine Holzperformance in einem abgeholzten Stück Wald. Die Asche der damals verbrannten Monumente wird heute kostbar verwahrt in Holzkistchen mit Gläsern und den jeweiligen Fotos dazu im Getty-Museum in L. A.

Die Galerie war ein multifunktionaler Raum, wie aus der Zeit gefallen, es war eine Produzentengalerie für die fünf Individualisten von Künstlern, Keimzelle des Avantardismus, eine Genossenschaftsgalerie. Sie verband derselbe Geist, derselbe Lebensanspruch.

Der Clou, die Stasi hat das beste und ausladenste Archiv an Fotos über diese Gruppe angelegt! Ein Strang des Filmes ist die Vorbereitung zu einer Ausstellung von Heute und selbstverständlich verbringt der Film Zeit mit den damaligen Mitgliedern des Kollektivs, die heute alle noch aktiv sind.

Der Film erinnert an In einem Land, das es nicht mehr gibt über Modefreaks in der DDR, oder auch This ain’t California
Auch Im Stillen Laut wirft einen Blick auf unangepasstes Künstlertum jener Zeit.

Diva Futura

Ein Meilenstein in Italiens Erotikindustrie
Fotoromanze

Riccardo Schicchi ist die zentrale Figur dieser Geschichte, die alle Elemente eine aufregenden Soap-Opera enthält von Liebe, Sex, schönen Frauen, Pornogeschäft, Betrug, Zerwürfnis, Ehe, Krankheit, Erfolg, Skandal, Polizei, Durchsuchung, Verhaftung.

Debora Attanasio (Barbar Ronchi) war lange die Sekretärin von Riccardo Schicchi (Pietro Castellito). Sie hat aus nächster Nähe Aufstieg und Fall von Diva Futura, wie das Unternehmen hieß, erlebt, hat darüber das Buch „Sagt Mama nicht, dass ich Sekretärin bin“ veröffentlicht. Dieses hat Regisseurin Giulia Louise Steigerwalt zur Grundlage für ihr Drehbuch genommen.

Die Filmerzählung, Filmskizze, die Fotoromanze umfängt den Zeitraum von 1994 bis zum Tode Schicchis 2012. Zuckerkrank war er sein ganzes Leben. Früh hat er seine Begeisterung für weibliche Schönheit entdeckt.

Das wird in einer undatierten Rückblende aus seiner Kindheit erzählt. Der Vater guckt mit dem Feldstecher aus dem Fenster. In Nachbarhäusern sind nackte Frauen oder Frauen beim An- oder Ausziehen zu entdecken. Das ist schön. Das findet auch der Bub schön, so wie er die Zeitschriften schön findet, die der Vater kauft. Er findet nichts Schändliches, nichts Unsauberes an weiblicher Nacktheit.

Später entdeckt er sein Talent, attraktive Frauen zu Stars zu machen und er weiß, dass Skandale dafür nützlich sein können. Diese These untermauert eine frühe Szene, der Film geht nicht chronologisch vor und springt hin und her zwischen den Zeitebenen, in der aus Tod und Begräbnis der Schlange, die Schicchi nebst Dutzenden von Katzen und manchmal auch Kaninchen hielt, ein PR-Event gemacht wird.

Einer seiner ersten Stars war Ilona Staller (Lidjija Kordic) als Cicciolina. Sie ist später in die Politik gegangen und dadurch noch berühmter geworden. Eine Repräsentantin der sexuellen Befreiung und Freiheit, die Riccardo Schicchi und seine Frauen zelebrierten und feierten und auch geschäftlich ausnutzten.

Riccardos große Liebe ist Moana (Denise Capezza); die hält viele Stürme aus. Und die Ehe hält auch noch, nachdem Moana längst bei Massimiliano (David Iachini) eingezogen ist und mit ihm Kinder hat. Aber auch mit Eva (Tesa Litvan) verbindet ihn viel.

Giulia Louise Steigerwalt schildert dieses aufregende Leben, das ständig in Bewegung und Aktivität war, wie für die Regenbogenpresse bereitet schlaglichtartig. Sie geht nicht den inneren Konflikten nach, sie versucht nicht, Handlungsmotive zu ergründen, sie schildert protokollarisch Erfolge, Schmerzen, Zerwürfnisse, Misstrauen, Fehler, Krankheit, Tod und die Sehnsucht nach dem Menschlichen selbst auf der Suche nach dem Schlaglichthaften.

Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne

Vom Umgang mit Flüchtlingen

Gibt es Flüchtlinge zweier Klassen? Die Frage scheint sich Julie Delpy nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gestellt zu haben, wie es darum ging, auch in Frankreich Flüchtlinge von dort aufzunehmen. Das fand sie krass ungerecht, dass sich in dem Moment offenbar niemand mehr für die Syrer interessiert und sie hat wohl entschieden, zu dem Thema einen Film zu machen.

Das Drehbuch hat Julie Delpy mit Matthieu Rumand und Nicolas Slomka geschrieben. Als Drehort für ihre moralische Lektion hat sie sich Paimpont in der Bretagne ausgesucht. Ein Städtchen mit gerade mal 1′ 778 Einwohnern, Stand 1. Januar 2022 laut Wikipedia. Ein halbes Dutzend Leute da aufzunehmen dürfte kein allzu großes Problem darstellen.

Als Konstrukt hat sich die Filmemacherin einen 5-Akter ausgedacht, die Akte jeweils mit einem klassischen Wandgemälde hinter dem Titel. Die Bilder sind zu kurz zu sehen, als dass man sich genau damit befassen könnte. Eine klassische Dramenstruktur mit einem Happy End ein Jahr nach dem 15. März 2022, der erwarteten Ankunft der ukrainischen Familie.

Am Rathaus flattert eine ukrainische Flagge. Die Protagonisten des Ortes und damit diejenigen des Filmes stehen aufgereiht vor dem Rathaus. Ein Kamerateam dokumentiert die Weltoffenheit von Paimpont. Der Sprinter mit den Gästen kommt an. Beim Empfangskomitee setzt es lange Gesichter: es sind keine Ukrainer, es ist eine syrische Familie.

Über eine syrische Flüchtlingsfamilie hat Ken Loach 2023 eine eindrückliche Sozialröntgenstudie eines englischen Provinzortes bereitgestellt in The Old Oak. July Delpy ist vielleicht nicht so gründlich vorgegangen. Bei ihr spürt man vor allem das Need, dass auch Syrer eine gerechte Behandlung verdienen und dass man die Ukrainer nicht bevorzugen dürfe. Überhaupt ärgert sie der latente Fremdenhass, der immer wieder zum Ausdruck kommt.

Ganz übel ist der Spengler (Laurent Laffite) im Ort, der der Flüchtlingsfamilie das Wasser abstellt. Der originelle Biobauer (Albert Delpy) verscherbelt eine undichte Scheune für einen Euro an die Familie. Und da der syrische Vater (Ziad Bakri) Architekt ist, wird er daraus eine stattliche Familienresidenz machen.

Der Film gibt sein Thema direkt und unumwunden vor, so bleibt vieles im Bereich des Erwartbaren. Er spielt nicht, wie Ken Loach es tut, über Bande, indem er vordergründig bei einem anderen Thema andockt, dem Häuserleerstand im britischen Städtchen. So wirken die Figuren oft lediglich erfunden, um bestimmte Thesen oder Positionen zum Thema zu verkörpern.

July Delpy selbst spielt die Obergute, die sich im Sinne des Guten selbst versündigt und gleichzeitig die Verbindung zu ihrer besten Freundin (Sandrine Kiberlain) aufs Spiel setzt. Der Gag mit der Geburt am Strand (India Hair), nur damit ein wichtiger Pflock für das Happy End am Schluss eingerammt ist, wirkt an den Haaren herbeigezogen; er hätte gründlicher und plausibler vorbereitet werden müssen.

Copa 71

Ein vergessener Vulkan in der Geschichte des Frauenfußballs

Frauenfußball-WM in Mexiko 1971. Nie davon gehört? Klingt exotisch. Ist es auch. Und wie! Keine Schande, davon nichts zu wissen, denn das unglaubliche Ereignis, dieser Vulkan, ist nach dem explosiven Furor sofort wieder erloschen, als sei nie etwas gewesen.

Aber es hat sie gegeben, diese Frauen-WM, auch wenn die Fifa tut, als sei ihr Name Hase und sie wisse von nichts. Es gab sie und sie fand in den zwei größten Arenen Mexikos statt mit dem Finale im Azteken-Stadion in Mexiko-City mit 110′ 000 Zuschauern vermutlich das größte Frauenfussballereignis überhaupt.

Um 1917 herum gab es in England einen blühenden Frauenfußball; aber die Männerherrschaft in dem Bereich fand bald Gründe, die Frauenkonkurrenz an den Rand zu drängen, auf die Bolzplätze.

Eine Erneuerungsbewegung fand im Geiste der aufmüpfigen 60er Jahre statt. Nachdem 1970 die Männer-Fußball-WM in Mexiko-City organisiert wurde, gibt es für die Nachnutzung der eigenes hingestellten Stadien unter den Besitzern, das sind Geschäftsleute aus dem Medienbusiness, die Idee der Frauen-WM.

Diese Geschichte entreißen mit ihrem Film James Erskine und Rachel Ramsay unter Drehbuchmitarbeit von Victoria Gregory der Vergessenheit. Das ist nichts für schwache Nerven. Es ist ein Turnier außerhalb der Fifa von Geschäftsleuten aus dem Boden gestampft und mit ihren Medien in Mexiko populär und erfolgreich gemacht. Qualifiziert haben sich die Mannschaften aus Argentinien, Mexiko, Frankreich, Italien, England und Dänemark.

Die Filmemacher haben Spielerinnen von damals vor die Kamera geholt und lassen sie zwischen dem aufregenden Archiv-Footage aus heutiger Sicht erzählen. Es wird klar, warum das Ereignis wie ein Vulkan war, der aber sofort darnach erlosch und es sozusagen vom nächsten Tag an schon in Vergessenheit geraten ließ. Die Herren der Fußballschöpfung sind daran nicht unbeteiligt. Auch die Teilnehmerinnen selbst haben seither kaum darüber gesprochen, erste heute wieder aus Anlass der Dokumentation.

Wie sich der deutsche Frauenfußball noch 20 Jahre später schwer getan hat, das zeigt der Film 11 Freundinnen.