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Störung

Die perfekte Welt,

die gibt es nur auf der Bühne, die ideale Welt ist nur auf der Bühne möglich; nur hier kann der Autor Fortschritte in seinem Denkkabinett machen; der Rest ist Störung und Scherben. Der Rest ist Traumatisierung, Flucht, Psychiatrie, der Wunsch nach Suizid. So herauszulesen aus den nachgelassenen Texten eines Freundes von Regisseur und Drehbuchautor Constantin Hatz.

In ruhigem Schwarz-Weiß inszeniert Constantin Hatz die Fragmente mit verschiedenen Protagonisten, die die Textstücke voice-over oder live sprechen. Dass der Autor derselbe ist, wird schnell klar, dass der Text auf unterschiedliche Leben übertragbar und somit von einer allgemeinen Gültigkeit ist, auch.

Es sind die Probleme von Krieg und Flucht, von Vertreibung und Tod, auch von Krankheit, vom Ankommen in einer fremden Welt und sich darin fremd befinden allein schon durch den Mangel an Sprachkenntnis.

Es geht darum, dass ein Hirn das alles nicht fassen und verarbeiten kann. Es geht um den Versuch, beispielweise als Holzfäller fernab der Menschen und mit konkretem Arbeiten die beunruhigenden Probleme zu bewältigen.

Ganz konkret beschreibt der Autor, wie sein Vater von Soldaten brutal abgeführt wird oder die schwere Erkrankung der Mutter; die Erinnerung an einen toten Mann im Minenfeld, aber auch Züchtigung im Kinderheim; wörtlich zitiert werden Dialoge aus der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie.

An Außenräumen gibt es deutschen Wald oder karge, eher mediterrane Landschaft; Innenräume sind nebst einer Bühne, schablonenhaft steril eingerichtete Wohnungen oder Institute monolithischer Neubebauungen.

Die Monologe werden von den Darstellern unaufgeregt sachlich gesprochen.

Vielleicht kann der Film gelesen werden als eindringliche Illustration der Gedanken eines Menschen, der hier nie angekommen ist, nie ankommen konnte – als ein Menetekel über all den aktuellen Fluchtbewegungen, die ja von Menschen, von erwachsenen Menschen, Politikern, in Gang gesetzt werden.

Kommentar zu den Reviews vom 23. November 2023

Heute punktet im Kino der Norden. Allen voran Estland mit einer ungewöhnlich intimen Nahaufnahme von einer Gruppe von Frauen, dicht gefolgt von zwei brillanten Briten, einem ganz großen Altmeister, der unmissverständlich Mitgefühl für Flüchtlinge demonstriert und einem jüngeren Meister, der einen Altmeister der Schauspielkunst grandios auf die Leinwand bringt. Auf Englisch gibts ein französisches Biopic. Kroatien lässt sich nicht lumpen mit einer märchenhaften Animationsfantasie. Frankreich punktet in Thailand mit Genrekino aus dem Effeff. Das deutsche Kino beschäftigt sich mit den Frauen, einmal mit einem kleinen Stück Haut, um dessen Unversehrtheit große Dramen sich abspielen, und zum anderen mit dem unziemlichen und ungezügelten Frust und der Wut über die wenig rosigen Perspektiven, die ein Frauenleben nach dem Abitur bietet. DVDs kommen aus den USA, aus Frankreich und aus Britannien. Sie beschäftigen sich mit der besonderen Fähigkeit unbewusster Manipulation, mit dem lindernden Effekt eines Gesellschaftstanzes und mit tödlichen Unterwassergefahren. Im TV gabs ein Movie als Erinnerung an einen zu früh verstorbenen, direkt humanistischen Regisseur und um Gelder zu binden, hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen holprigen Challenge mit viel Geschwätz sich einfallen lassen.

Kino
SMOKE SAUNA SISTERHOOD
Katharsis für Körper und Seele

THE OLD OAK
Fremdenhass in altbritischer Kneipe

IN VOLLER BLÜTE – THE GREAT ESCAPER
Der Veteran, der nochmal über den Kanal fuhr.

NAPOLEON
Kleiner, großer Mann

KIT & ANTOINETTE UND DER MAGISCHE HIMBEERHUT
Von Vorurteilen und Verschwörungstheorien

FARANG – SCHATTEN DER UNTERWELT
Vaterliebe, die eine Blutspur hinterlässt.

ELAHA
Eine Jungerfernhäutchenstory

DEAD GIRLS DANCING
Auch Mädels müssen mal die Sau raus lassen dürfen.

DVD
HYPNOTIC
Die Sache mit diesen besonderen Fähigkeiten.

DIE RUMBA-THERAPIE
Der Genuss liegt in der Erfüllung des Erwartbaren.

DEEP FEAR
Den Film muss man erst mal aushalten!

TV
MORIN
Bestenauslese Mitte der 30er dieses Jahrhundert mit weit fortentwickelter KI.

#CHALLENGE1923 – 3 MENSCHEN. 6 SONGS. Folge 1
Der öffentlich-rechtliche Versuch, einen 3-Minuten-Song mit Labern auf 18 Minuten zu strecken, ohne sich für den Song selber zu interessieren.

Napoleon

Starker Mann –
mit großer Kelle angerührt,

wie es sich gehört für einen klein gewachsenen Mann mit großen Ambitionen, wie Napoleon es war; wobei Ridley Scott nach dem Drehbuch von David Scarpa just auf diesen Aspekt der Organminderwertigkeit wenig Wert legt.

Scott und Scarpa interessiert der Machtmensch, der meist mit regloser Miene die Welt um sich herum beobachtet, daraus seine Schlüsse zieht und die Gunst der Stunde zu nutzen weiß, erst, um ein siegreicher Soldat in der Besiegung der Engländer bei Toulon zu werden, um diese Meriten bald schon einzusetzen, um sich innert kürzester Zeit faktisch selber zum Kaiser von Frankreich zu krönen, auch wenn der Form halber die Geistlichkeit das tut.

Damit die reglose Machtmiene nicht zur Masche wird, hat ihm das Drehbuch Momente vorgesehen, in denen Napoleon mal lacht; das wirkt wie einer Befreiung, wenn er privat mit Josephine (Vanessa Kirby) gezeigt wird, die er später heiratet.

Joaquin Phoenix spielt diesen Machtmenschen absolut richtig und viele werden wieder von einer grandiosen Schauspielerleistung sprechen; dabei scheint die reglose Miene doch mehr eine Sache der Konsequenz zu sein. Und sie lässt an Diktatoren von heute denken, wie den russischen Despoten, der mit regloser Miene den Überfallskrieg auf die Ukraine erklärt mit Tausenden von Toten, aber auch an einen deutschen Bundeskanzler, dem das Bundesverfassungsgericht gerade 60 Milliarden Euro aus dem Budget weggestrichen hat (ein erklecklicher volkswirtschaftlicher Faktor) und der mit einer Miene, als sei nicht mal ein Windhauch durch den Bundestag gezogen, sagt, man werde das sorgfältig prüfen.

Es werden flott erzählt die verschiedenen Stufen der Machterklimmung und dann der Machtausübung bis hin zum Russlandfeldzug; dazwischen Ägypten, die Gerüchte über Seitensprünge seiner Frau, das Problem der Kinderlosigkeit und damit des Throhnfolgermangels.

Furios sind immer die Schlachtengemälder; die sind um 1800 rum auch besonders kinoergiebig, wenn Phalanxen von Soldaten aufeinanderzumarschieren, wenn die Kavallerie mit nach vorn gestreckten Säbeln vorprescht, wenn Kanonenkugeln durch die Luft gejagt werden.

Es ist ein Kino, das sich bildprotokollhaft diese Geschichte vorgenommen hat und das in zügigem Tempo tut; es ist nicht ein Kino, das berühren möchte; auch wenn es für die Liebesgeschichte Momente des Melos eingebaut hat.

Es ist ein Kino, dem große Schlachten durchaus gelegen kommen. Es ist ein Kino, das im ersten Moment irritiert, denn es ist eine urfranzösische Geschichte, aber es wird Englisch gesprochen. Es ist ein süffiges Kino fürs breite Volk, das illustrierte Historie liebt. Es ist ein Kino, das in unserer Zeit der allerorten gedeihenden, größenwahnsinnigen Autokraten dieses Thema mit prächtigen Schauwerten und prima Schauspielern anregend vorführt.

In voller Blüte – The Great Escaper

Der große Ausbrecher,

so heißt der Originaltitel und ist reißerisch angemessen, einfach weil Oliver Parker nach dem Drehbuch von William Ivory mit seinem hinreißenden Protagonisten Michael Caine als Weltkriegsveteran Bernard Jordan einen wunderbaren Kinoerzählfilm auf die Leinwand zaubert, hergestellt mit allen Finessen des Kinohandwerkes und getragen von der jahrzehntelang erprobten Schauspielkunst eines Michael Caine und seiner wunderbaren Partnerin Glenda Jackson als dessen Gattin Irene.

Die haben sich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges kennen- und lieben gelernt und es scheint eine lebenslange Liebe geworden zu sein von der Art wie im Dokumentarfilm Für Immer eindrücklich geschildert.

Der Film ist modern und heutig. Er schildert erst das Leben im vornehmen Alten- und Pflegeheim „The Pines“. Das hat Charme, das hat Zauber ganz ohne Verklärung. Das verstehen die Engländer, auch so ein Thema wie das Altern, die Pflege sowohl mit wachem Auge als auch mit Humor zu schildern.

Die Feierlichkeiten zum Gedenken an den 70. Jahrestag des D-Days stehen an. Der hochdekorierte Bernard möchte nochmal über den Kanal, möchte nochmal an den Ort, an dem er vor 70 Jahren gekämpft und einen Freund verloren hat.

Die Info über diesen Verlust, wird der Film allerdings erst im Laufe der Ereignisse enthüllen. Bernard wollte auch seine Frau mitnehmen, die aber gesundheitlich schlechter dran ist als er; vor allem hat er vergessen, sich anzumelden.

Da es ihm aber keine Ruhe lässt, geht er auf eigene Faust mit dem Rollator los. Das ist der originaltitelgebende Ausbruch, der noch von sich reden machen wird. Man leidet mit dem gebrechlichen Mann mit, wie er seinen Weg geht, aufs Schiff kommt.

Der Film erzählt in gekonnter Verzopfmanier nun einerseits die Erlebnisse und Ereignisse des Ausbrechers in Frankreich bei den Feierlichkeiten, bei denen besonders eine Versöhnungsgeste mit deutschen Veteranen, die erstmals auch teilnehmen, um ihrer Toten zu gedenken, beeindruckt.

Andererseits verfolgt der Film im Pflegeheim, wie dort mit dem Verschwinden des Seniors umgegangen wird. Die sich am wenigsten Sorge macht, ist seine Frau Irene, die sowieso nie um einen kessen Spruch verlegen ist. Als Drittes flicht der Film Erinnerungen ein an die junge Liebe der beiden sowie an die traumatischen Erlebnisse bei der Landung in der Normandie.

The Old Oak

Spielend durch den Kino-TüV,

falls es denn so einen gäbe, kämen der versierte Drehbuchautor Paul Laverty und der nicht minder versierte Inszenierungsmeister Ken Loach mit dieser neuen Zusammenarbeit.

Es sind alle Regeln für ein Meisterwerk der Kunst befolgt. Es wird ein aktuelles Thema anhand von einer Einzelbegebenheit minutiös rechercheriert und bestens nachvollzieh- und mitfühlbar erzählt.

Meisterlich sowieso die Schilderung der runtergekommenen Verhältnisse in der ehemaligen Bergbaustadt Durham, die heute aus dem letzten Loch pfeift. Grade noch ein paar Hanseln, die zum regelmäßigen Bier in „The Old Oak“ zusammenkommen beim Wirt TJ Ballantyne (Dave Turner), der natürlicherweise als Zentralfigur, den sich entwickelnden Widersprüchen im Ort direkt ausgeliefert und damit einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt sein wird.

Garniert wird das perfekte Soziodram, das mit viel Rührseligkeit sich am Ende fast selbst bemitleidet, mit einer bedeutungsvollen Rührstory um das Hundchen Marra.

Unruhe kommt auf in Durham, wie syrische Bürgerkriegsflüchtlinge ankommen; es ist das Jahr 2016. Damit fängt der Film an. Nicht nur, dass am Ort die Immobilienpreise im freien Fall sich befinden, jetzt werden in leerstehende Häuser auch noch die Neuankömlinge einquartiert. Für Stammtischbrüder ist das zuviel. Die sind unverhohlen fremdenfeindlich.

Die Zentralfigur bei den Flüchtlingen ist Yara (Ebla Mari). Sie kann im Gegensatz zu den anderen Flüchtlingen Englisch und dafür gibt es auch eine plausible Begründung. Was sie mit TJ verbindet, ist die Liebe zur Fotografie. Sie hat eine gute Kamera, die aber bei einer Belästigung durch junge Typen aus Durham beschädigt wird.

Diese Kamera wird zum Requisit, das Yara näher zu TJ bringt, der sich zwar aus den lokalen Auseinandersetzungen raushält, dem aber Mitleid nicht fremd ist, wie er sich überhaupt als hilfsbereit erweist, auch wenn seine Stammkunden das übel kommentieren. Ganz verdirbt er es sich mit ihnen, wie sie für einen speziellen Anlass den kleinen Saal der Kneip öffnen möchten und TJ das den Stammtischbrüdern verweigert, aber kurz darauf bereit ist, dieses für die Flüchtlinge zu tun.

So hat TJ schlechte Karten bei seinen Stammkunden. Es wird zu einem dramatischen Ereignis kommen, wie auch die Filmdramaturgie das verlangt, die zum Ausgangspunkt der Läuterung wird.

Ein Wermutstropfen aus Syrien in das Happy End hinein wird Ken Loach dazu nutzen, dem Film den Stempel seines persönlichen Mitleids mit den syrischen Kriegsgeschädigten aufzudrücken. Das gekonnte Melosoziodram droht dadurch am Ende zum schweren britischen Rührstück zu werden.

Smoke Sauna Sisterhood

Frauen intim

Das ist Kino. Das ist Intimität. Das ist Erotik – vielleicht für manche. Das ist für den Voyeur; – der per definitionem in jedem Kinogänger steckt.

Welcher Mann kann schon so nah, an in einer kleinen Holzhütte dicht gedrängten Frauen sein. Sie würden die Gespräche nie führen, wenn ein Mann anwesend wäre. Sie würden nie so und direkt über ihre Probleme als Frauen reden. Über Vergewaltigung und Schwangerschaftsabbrüche, über die „Krankheit“ Frau, über die Entdeckung der lesbischen Liebe, von der Frauwerdung bis zum Brustkrebs und zur Totgeburt und über das Leben nach dem Tod.

Regisseurin Anna Hints muss ein ganz besonderes Vertrauen zu ihren Protagonistinnen aufgebaut haben, dass sie so nah mit Kamera und Mikro bei den Saunagängen der „Schwestern“ wie sie sich nennen, dabei sein durfte, ihren Gesprächen lauschen, ihren Formen mit der Kamera folgen, auf Details der nackten Körper verweilen durfte.

Dadurch kommt aber auch ein großer Respekt zustande, nie werden die Figuren denunziert, nie entblößt; sie bewahren ihre Würde. Das ist eine große Kunst.

Es gibt auch die Ausflüge aus der Sauna, nackt ins Eisloch im zugefrorenen See, in den Schnee hinaus, in die Natur.

Der Film spielt zu verschiedenen Jahreszeiten. Er zeigt die Frauen auch beim Holzhacken für die estnische Trockensauna, die, wie im Abspann zu lesen ist, von der Unesco zum materiellen Weltkulturerbe zählt, er zeigt die Frauen bei Zubereiten von Fleisch für das Räuchern.

Die Kamera kann auch kunstvoll verweilen beim Rauch, den ein Aufguss entstehen lässt oder bei Stimmungen in der freien Natur wie dem Polarlicht oder Nebel über dem Wasser.

Die Sauna als ein geschützter Raum für die Frauen, wo sie nicht nur physisch nackt sind, sondern auch einen Seelenstrip vollziehen, wo sie alle gleich sind: Kreatur letztlich, die schmerzfähig als auch schmerzanfällig ist, die aber auch lustvoll zu einem Lied auf dem Bauch trommeln kann. Die Sauna als Ort der Reinigung von Körper und Seele, als Ort weiblicher Psychohygiene.

Kit & Antoinette und der magische Himbeerhut

Vorurteil und Verschwörungstheorie

Die Ameisen glauben, dass Musik Mauern zum Einstürzen bringe, die sind wohl geschult an den Trompeten von Jericho und die benachbarten Grillen wollen nicht wahrhaben, dass es einen Winter gibt und dass die zackigen Schneeflocken sie töten können.

Die Ameisen sind Architekten und bauen ihren Bau, die Grillen sind Musiker und verbringen den Tag mit Musizieren.

Antoinette ist die Tochter des Ameisenchefs Anton. Sie verpasst ihre Ameisen-Architekten-Diplomfeier, weil sie zu spät ist und wegen einer Abkürzung vom Weg abkommt. Sie landet bei den Grillen und freundet sich mit Musiker Kit an. Dieser bringt sie zurück zum Ameisenstaat, wird dort aber verhaftet.

Inzwischen baut Musterschüler Antheodor ein ziemlich verkehrtes Haus. Antoinette befreit Kit. Aber Antheor ist in Antoinette verliebt und ihm gefällt nicht, dass sie mit Kit zusammenspannt.

So wird die Ausgangslage für den Animationsfilm von Luka Rukavina geschildert, der mit Rona Julj nach der Geschichte von Darko Bakliza auch das Drehbuch geschrieben hat. Die dramatischen Ereignisse werden zu Erkenntnissen und zum Abbau von Vorurteilen führen.

Elaha

Dieses Jungfernhäutchen

ist für den menschlichen, insonderheit für den weiblichen, Organismus ein Organ so überflüssig wie der Blinddarm, kann aber, wenn es innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation nicht mehr intakt ist, verheerendere Folgen haben als ein geplatzter Blinddarm, das kann bis zum Ehrenmord führen im kurdischen Milieu, in dem Milena Aboyan ihren Film ansiedelt.

Die Protagonistin ist Elaha (Bayan Layla). Sie ist die einzige, die bei IMDb mit ihrer Rolle identifizierbar ist – sonst sind die Angaben dort überheblich uninformativ.

Elaha ist eine junge Frau, die noch bei ihren Eltern in einer Stadt in Deutschland in einer einfachen Siedlung und zusammen mit zwei jüngeren Geschwistern auf engem Raum zusammenlebt. Sie arbeitet in einer Kleiderreinigungsfirma und nimmt einen Kurs für junge, erwachsene Immigranten, die lernen sollen, sich zu bewerben. Geleitet wird der Kurs von einer Hochschwangeren, die anfangs des Filmes schon so einen dicken Bauch hat, dass sie kurz vor der Entbindung stehen müsste, die passiert aber nicht, eher im Gegenteil scheint der Bauch im Laufe der Szenen wieder etwas weniger schwanger zu werden. Solche Unachtsamkeiten beim Filmemachen sind ärgerlich. Das gab es gerade kürzlich bei dem unsäglichen Trauzeugen-Film schon mal.

Hier ist er noch ärgerlicher, weil Milena Aboyan richtigerweise viel Energie in die Entwicklung des Drehbuchs und der Konfliktlinie gesteckt hat und auch Dialoge, Sätze wie, dass noch Milch im Kühlschrank sei, braucht sie nicht.

Durch diese Fokussierung auf die Storyline und einer sinnigen Beschränkung auf ein Quadratformat der Leinwand und Knappheit der Szenen auf das Wesentliche erzeugt die Filmemacherin einen Kinosog, wie er bei deutschen Themenfilm selten zu finden ist.

Allerdings muss diese Review unter einen Vorbehalt gestellt werden: aus technischen Gründen konnte stefe nur etwa 90 Minuten von 110 des Filmes sehen.

Bei allen Schablonen, die das Thema gezwungenermaßen auffährt, war zu dem Zeitpunkt nicht klar, wie der Film ausgehen würde. Elaha hat nämlich schon Sex gehabt, mit einem deutschen Ex-Knasti. Jetzt soll sie aber mit einem Kurden verheiratet werden. Und die Familie des Bräutigams, es scheint vor allem die Mutter, verlangt eine ärztliche Untersuchung der Braut auf ihre Jungfräulichkeit hin.

Elahas Probleme werden die sein, das nicht mehr intakte Teil wiederherstellen zu lassen, oder sich eine Fakemethode anzueignen (gibt es in der Apotheke zu kaufen und ist viel günstiger als die Rekonstruktion). Oder falls das nicht gelingt, muss sie akzeptieren, dass sie eine Ehrlose sei und der Familie gerade noch so viel wert wie eine Tote. Da besteht intensiver Klärungsbedarf bei diesem Cultur Clash in unserer freien Gesellschaft.

Grad kürzlich hat in Hof ein Kurzfilm den archaischen Brauch der Beschneidung kritisch bleuchtet: Verrücktes Blut.

#CHALLENGE1923 – 3 MENSCHEN. 6 SONGS. Folge 1 (BR-Klassik, Donnerstag, 23. November 2023, 00.00 Uhr)

Wer hat die größte Karotte?
Wer kocht den besten Fisch?
Wer hat am schnellsten …

Ein ausgelutschtes Fernsehprinzip, das mit der Challenge; Gärtner, Köche, Häuslebauer und weißgottnicht was.

Hier geht es darum, dass Profimusiker innert vier Wochen Songs nach Schallplatten von 1923, hier Folge 1 zum Beispiel von Betti Smith, zur Aufführbarkeit bringen, eine Sängerin, ein Rapper und ein Pianist.

Nichts dagegen, solche Musik, gerade wenn sie innovativ und engagiert war, aus den Archiven zu holen und dem Publikum zu präsentieren.

Hier aber in der Sendung Ulrich Habersetzer unter dramaturgischer Beratung von BR Visual Production, Storytelling, unter redaktioneller Mitarbeit von Alex Naumann und Franziskus Büscher, redaktionell betreut von Beate Sampson, wird gefühlt die Hälfte der Zeit vor allem gelabert, wie toll, wie herausfordernd die das finden oder es wird PR von anderen Auftritten eingeblendet.

Nach etwa zwei Dritteln der 18-Minuten-Sendung und nach ein paar Takten Probe, wird wieder gelabert („ich bin geflasht, wie David Du, mit Worten spielst“).

Es wirkt so, als ob eine Fernsehredaktion oder eine dem Fernsehen zuarbeitende Firma krampfhaft nach Sendeformaten sucht, um Sendezeit zu füllen oder um Fernsehgelder abzugreifen. Die Vermittlung des tieferen Sinnes dieser Musik bleibt dabei auf der Strecke.

Wer ausgeharrt hat, wird am Schluss mit einem ganz gut anhörbaren „Downhearted Blues“ belohnt, und mit dem Versprechen vertröstet, das komplette Konzert dann in Folge 6 sehen und hören zu dürfen.

Morin (ARD, Mittwoch, 22. November 2023, 20.15 Uhr)

Brave New World

Ganz so krass wie die Vision von Aldous Huxley ist dieser Erinnerungsfilm an den früh verstorbenen, sehr menschlichen Regisseur Christian Görlitz nicht; er spielt ja auch schon im Jahre 2037 und nicht erst im Jahre 2540.

Insofern ist dieser Fernsehfilm von Almut Getto, die mit Hans-Ullrich Krause das Drehbuch von Christian Görlitz weiterentwickelt und zu Ende geschrieben hat, näher an unserer Zeit; redaktionelle Betreuung durch Claudia Simionescu und Birgit Tietze.

Gerade KI ist ein heiß diskutiertes Thema, Avatare, Hologramme. Die Jugend forscht schon früh. Morin (Leo Alonso-Kallscheuer) ist elf Jahre alt und betreibt im Garten biologische Experimente mit seiner Schulfreundin. Der Leistungsdruck ist enorm. Schon früh müssen die Kids wissen, wo sie hinwollen.

Ein Ziel ist die Junior Academy Lucas, ein von der Industrie gesponsertes Institut mit Totalüberwachung und maximalem Wettbewerb, alles ist überwacht wie in Total Trust.

Dem Buben vergeht bald das kindliche Lachen. Freundschaften zerbrechen und die Frage ist, wem noch zu trauen ist. Von einem Selbstmordversuch von einem Schulbuben ist die Rede. Aber das Institut redet sich heraus mit seiner Rundumversorgung und Totalüberwachung, indem der Junge ja gerettet werden konnte. Denn jederzeit steht die Hologramm-KI abrufbereit zu Verfügung, bei Morin ist es Leona (Yodit Tarikwa), die auch mal zu unsauberen Tricks greift.

Das zeigt der Film sehr schön, dass trotz aller futuristischen Mittel und Ausstattung das Menschliche das ist, was zählt und was am leichtesten droht, unter die Räder zu kommen; dass es das ist, worauf es ankommt, und nicht irgendwelche Rangfolgen und mögliche Vorteile in einer Karriere, die auf den Weltraum schielt.