Archiv der Kategorie: Review

Generation Wohnkrise Folge 3: Unbezahlbare Mieten – wie der irre Markt funktioniert (BR, Mittwoch, 19. März 2025, 00.03 Uhr)

Konfus

Diese Folge der Reihe ist die bislang konfuseste. Sie schlingert unbeholfen um Sätze herum wie „Warum ist der Mietmarkt so irre“ und warum es an bezahlbarem Wohnraum fehle.

Noch schlimmer wird der Verhau, indem in dieser fernsehtypischen Verzopfmanier verschiedene Stränge ineineander verwickelt werden ohne Sinn und Ziel. Zwischendrin gibt es mal einen runtergenuschelten Hinweis auf die Politik, aber so klar fällt der nicht aus.

Das Thema gäbe Brisantes her. Allein die Familie mit den vier Kindern, die in einer Zweizimmerwohnung lebt und nichts Bezahlbares findet. Und wie zum Hohn wird ihr ein Luxuspärchen gegenübergestellt, das zwischen 3500 und 5000 Euro für eine Mehrzimmer-Wohnung mit begehbarem Kleiderschrank bezahlt, während die Familie mit den vier Kindern die Schmerzgrenze bei 2600 Euro warm sieht.

Dann haben die Fernsehleute, die diesen Film zu verantworten haben, Anna Ellmann, Rebekka Markthaler und Lena Wallbrunn mit redaktioneller Mitarbeit von Hanna Heim noch einen im moralischen Sinne „guten“ Immobilien-Investor gefunden in Wasserburg am Inn – sonst ist München der Ort dieses Fernsehwütens -, der aber auch nicht so richtig rausrücken will, wieviel er denn nun wirklich verdient.

Das Chaos in der Wohn- und Mietwelt soll wiederum vom Team R.A.L.P.H., Buch und Idee Anna Ellmann, Redaktionelle Mitarbeit: Ralph Glander, mit einem Chaos im Büro von Ralph gespiegelt oder gedoppelt werden; zudem bauen sie ein dämliches Musikratespiel ein.

Ständig tauchen bei diesem Ralph Mietinteressenten im ARD-Büro auf mit Mappen oder zur Besichtigung. Dann wird Party gefeiert, während er zu moderieren versucht. Das verwässert und entschärft das Thema endgültig. Dabei hätten sie sich, wenn es denn dem BR und seinen Redakteurinnen Anna Siefert und Antonia Böhm, ernst wäre mit dem Wohnthema, mit den Ideen des verstorbenen SPD-Politikers Hans-Jochen Vogel beschäftigen und versuchen können, dessen Ideen Raum zu geben und sie verständlich darzustellen; das wäre definitiv im Sinne des Grundauftrages eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks. So aber ist es definitiv Zwangsgebührenverschleuderung mittels lauwarmer Themenbehandlung und dass sie auch noch einen Tipp reinhauen, wie man die Mietpreisbremse umgehen kann, das ist doch wohl die Höhe.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Generation Wohnkrise Folge 2: Wohnung als Investment – wann der Kauf sich auszahlt (HR, 19. März 2025, 00.02 Uhr)

Nicht ganz so verworren

wie Folge 1 dieser Reihe, die vom BR stammte.

Diese zweite Folge, die sich dem Thema Wohnung als Investment widmet, stammt vom HR, der Hauptfilm von Hannah Altschuck. Die erzählt eine schöne Geschichte. Die Geschichte von der etwa 40-jährigen, kinderlosen Erzieherin, die sich ganz ohne Eigenkapital den Traum von einer Eigentumswohnung verwirklicht.

Zumindest die erste halbe Stunde der 45-Minuten-Sendung ist nur dieser Geschichte gewidmet. Und wenn das Team Ralph nach Anna Ellmann in der Regie von Anna Ellmann und Stuart McPadden mit dem Komiker Ralph mit ihren Spielereien mit Wassergebläse, langem Kunstbart, Kuchenfrage und Konfektbuchstabenspielereien übernimmt, kann man ja ruhig mal in die Küche oder aufs Klo gehen oder einen Anruf tätigen oder ein e-Mail schreiben.

Die Redaktion vom HR liegt bei Moritz Zimmermann und Anke Heinhaus. Aber sie können es dann nach einer schönen halben Stunde doch nicht lassen, auf die TV-typische Verhackstückerei, die Verwursterei zurückzugreifen. Da muss noch ein angeberischer Selfmade-Immobilientyp her, der mit Auto, Uhr und Haus aufschneidet, ohne dass er zu dem Thema auch nur eine sinnvolle Nuance beizusteuern hätte.

Es gelten für das Konstrukt der Sendung nach wie vor die Einwände, die schon bei Folge 1 vorgebracht worden sind. Die große Frage: wer soll mit so einer Themenverwursterei angesprochen werden?

Generation Wohnkrise Folge 1: Jackpot Immobilie – wie wir klug vererben (ARD, BR, Mittwoch, 19. März 2025, 00.01 Uhr)

Intention Infotainment,

also eine Mischung aus Information und Entertainment, dürfte sich dieses BR/ARD-Format nennen, das tief in der Nacht für Leute mit Schlafproblemen versendet wird, um anschließend in der Mediathek vor sich hinzuschlummern, gar eine Mediathekenmumie zu werden.

Der Entertainmentteil dieser Sendung von Anna Ellmann und Lena Appel unter redaktioneller Fürsorge von Anna Siefert und Antonia Böhm, spielt in einem nicht genutzten ARD- oder BR-Büro.

Hier wendet sich einer, der sich kleidet und gibt wie ein Komiker, ein Ralph, direkt an das Publikum und versucht seine Späßchen zwischen dünn gesäten Inhalten zu machen. Beim Wort Niesbrauch niest es plötzlich rundum und dann schallt es überall „Gesundheit“, sogar am Telefon.

Aus dem Archiv taucht der rundliche Ko-Komiker Achim auf. Wenn der Begriff Cum-Ex fällt, spielt er den Zauberer, der aus einer Schubkarre Geld verschwinden lässt.

Es wird nicht so richtig klar, für welche Kinder die Sendung gedacht ist oder für welche kindlichen Geister und welch relevantes Interesse sie an dem doch ernsten Thema haben sollten. Für ernsthaft am Thema Erben Interessierte wiederum ist unklar, was die komischen Einsprengsel sollen.

Die vorgestellten Fälle wiederum werden in der unsäglichen TV-Verzopfmanier präsentiert, die für denjenigen, der sich seriös für einen bestimmten Fall interessiert, nur schwer verdaulich ist. Drei Fälle werden vorgestellt. Ein Ehepaar mit zwei Häusern, eines davon mit drei Wohnungen, verschenkt seinen Besitz schon zu Lebzeiten an die drei Kinder. Drei andere Geschwister und Erben eines Hauses im Flachland sind heillos zerstritten, weil zwei Geld sehen wollen und der dritte das Haus behalten möchte. Ein Nachlasspfleger macht sich mit seiner Mitarbeiterin und einem Hygienekoffer auf den Weg ins Alpenvorland in das unbewohnte Haus eines verstorbenen Millionärs und versucht Hinweise auf ein gültiges Testament und auf Erben.

Zwischendrin gibt der lustige Ralph noch Steuertipps für Superreiche, die bestimmt um die Zeit BR oder ARD schauen, um zu erfahren, wie sie effizient Erbschaftssteuer sparen können. Der Zuschauer erfährt auch, wieviel Geld dem Staat durch Sonderregelungen für diese Spezies entgeht.

Es mag zwar eine Kundschaft geben für so magazinhaften TV-Kuddelmuddel; aber wer Erbprobleme hat, dürfte sich kaum hier informieren. Solche Sendungen, so nett und belanglos sie sein mögen, könnte sich der BR, der unter extremem Sparzwang steht, bestens sparen, ohne dass sein Image auch nur einen Kratzer bekäme und ohne dass er von seinem Grundauftrag auch nur einen Millimeter abweichen würde.

Rote Karte des zwangsgebührenzahlers!

Lebenslinien: Eva Karl Faltermeier – Wenn Mama auf die Bühne geht (BR, Montag, 17. März 2025, 22.00 Uhr)

PR-Maßnahme des BR für eine mutmaßlich schwächelnde Talk-Sendung

Die Sendung heißt Karlsplatz und es gibt sie seit 2023. Die selber wiederum, so befand stefe in seiner Review, vor allem als PR-Veranstaltung für „sogenannte ‚Namen‘ in der TV-Branche“ geplant sei.

Bei dem, was es damals zu sehen gab, einer erstaunlichen Ideen- und Geistarmut, wäre es nicht verwunderlich, dass die Sendung nicht so richtig zieht. Es stellt sich die Frage, ob es einen Wettbewerb um die Moderatorenposition gegeben hat, oder ob das einfach eine Gunst der Redaktion war, dass Eva Karl Faltermeier jetzt eine eigene Sendung bekommen müsse.

Im Voice Over Text dieser Lebenslinien, wird es so dargestellt, als sei es ein Wunder, der Wille Gottes oder Gnade eines Kaisers: „und bekommt 2023 mit Karlsplatz ihre eigene Talk-Sendung“ (tja, so naiv plappert BR-Kommentartext, als ob niemand sich was dabei gedacht habe).

Das insinuiert, es sei ein Verdienst der Protagonistin, die Sendung bekommen zu haben; dabei war es vielleicht lediglich eine Gunst; das Verfahren, wie es dazu kam, wird verbrämt; so ein Text dazu wirkt ein bisschen wie Voodoo-Journalismus. Und nirgendwo steht, dass sie die begehrte Position unter hunderten von Bewerbern erlangt hat. Der BR hält überhaupt hinterm Vorhang, wie es dazu kam. Sowas müsste er doch wenigstens auf dieser Metaebene offenlegen. Es geht schließlich um öffentliche Gelder, deren Umgang begründet werden muss, und nicht um privates Mäzenatentum. Mehr Ehrlichkeit des BR könnte durchaus geeignet sein, verlorene Vertrauenspunkte zurückzugewinnen.

Mit diesen Lebenslinien von Birgit Deitering versucht der BR ein PR-Brikett nachzulegen. So richtig zünden will es nicht. Eva Karl Faltermeier ist zwar sympathisch, schlagfertig und kann reden wie ein Wasserfall. Aber so unbedingt erzählenswert erscheint das alles nicht; da ist sie entweder zu jung; oder es ist zu wenig herausgearbeitet worden, wo sie selber Entscheide gefällt hat; oder diese werden in ihrem ununterbrochenen Redeschwall nivelliert.

In punkto Privatleben ergibt sich eine traurige Übereinstimmung mit Ines Procter. Auch bei ihr ging die Beziehung zu ihrem Mann auseinander, wie sie sich für das Showleben entschieden hat.

Die Ausschnitte aus dem Soloprogramm wiederum deuten an, dass dieses den üblichen Rahmen kapitalistischer Kabarettkultur nicht sprengt. Jedoch just für dieses ist so eine Sendung wiederum ein unbezahlbares Werbevehikel; auf Kosten der Zwangsgbührenzahler.

Und auch hier gilt, was schon bei den Lebenslinien zu Willy Astor festgestellt wurde; mit solchen Eigen-PR- und Promi-PR-lastigen Lebenslinien tut sich der BR keinen Gefallen; er köchelt lediglich bräsig im eigenen Sud und wundert sich dann, dass die Stimmen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz abschaffen wollen (es gibt nur eine Partei, die das vertritt) immer mehr werden.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

The Critic

Schöner Kinoschinken –
gut abgehangen

Der Film von Anand Tucker nach dem Drehbuch von Patrick Marber nach dem Roman „Curtain Call“ von Anthony Quinn und gewidmet Bill Kenwright („no risk, no magic“ – ein großes Risiko geht dieser Film allerdings nicht ein) entwirft ein opulentes Gegenbild zum Satz von André Bazin (dem Vater der Nouvelle Vague, wie bei Wikipedia nachzulesen ist) – und garantiert nicht im Stil der Nouvelle Vague – nämlich dem Kritiker als Machtfigur und nicht der Kritik als einem Tropfen Wasser, der in einen Fluss fällt.

Hier ist der Kritiker Jimmy Erskine, der in der Besetzung mit Ian McKellen aussieht und spielt wie ein Schmierenkomödiant, gesetztes Schmierentum, ein Mörder, ein Intrigant, ein Karrieremacher und wohlhabend obendrein.

Erskine wohnt exquisit. Sein Assistent Tom (Alfred Enoch) ist Kohabitant, offiziell schläft er auf dem Sofa, wie Jimmy bei einer Polizeibefragung angibt. Tom tippt für ihn die Theaterverrisse. Nach dem Theater kann der Weg von Jimmy auch mal über den Park führen, wo er Sex mit einem Stricher in der Art des „rough way“ hat.

Jimmy schreibt mit goldenem Schreibstifft, trägt weißen Schal, perfekten Anzug. Er hat die Nachwuchsschauspielerin Nina Land (Gemma Arterton) auf dem Kieker, schreibt über das Stück „White Devil“ im Due Theater einen gnadenlosen Verriss im „Daily Chronicle“.

Sein Verleger David Brooke (Mark Strong) steht allerdings auf die Jungschauspielerin und verlangt von ihm eine bessere Bewertung. Da Nina bei Jimmy auftaucht und sich beschwert, setzt dieser sie für eine infame Intrige ein.

Eine weitere Komponente des sich anbahnenden Dramas ist der Schwiegersohn von David (Ben Barnes), der unsterblich in Nina verliebt ist.

Der Film zelebriert förmlich das Theatrale, ertrinkt teils schier in der schwülstigen Musik, den Kostümen, der Ausstattung und der forcierten Diktion. Und wenn man sich nach der Pressevorführung die aus dem Saal strömenden Filmkritiker anschaut, so braucht es schon sehr viel Phantaise, Gemeinsamkeiten mit der im Film dargestellten Figur zu entdecken.

Wobei auch klar ist, damals, der Film spielt in den 30ern des letzten Jahrhunderts, dass sich heute durch Internet, Influencer, Blogs und auch die Vielfalt der Medien eine ganze andere Kritikerlandschaft gebildet hat als die monopolistische von damals. Und, trostreich für die Presse, ist es doch noch nicht lange her, dass ein Münchner Kinobetreiber erzählt hat, er müsse für einen bestimmten Film mehr Vorstellungen ansetzen, da in der SZ eine positive Rezession erschienen sei. (Die hat schändlicherweise ihre Kinoseite sang- und klanglos eingehen lassen; hat sie was gegen die Kinobetreiber?).

Sterben ohne Gott

Die fröhliche Wissenschaft vom Tod und vom Sterben

Zu den Themen Sterben und Tod ist vermutlich längst alles gesagt. Einerseits.

Andererseits ist es das Thema, das das ganze Leben, Tun und Streben des Menschen bestimmt und gleichzeitig in Frage stellt. Es ist das Thema, das der Mensch vermutlich nie bewältigt, das er immer wieder und von Neuem ventilieren, durchdenken, reflektieren, Revue passieren lassen muss, da der Tod den Menschen überfordert.

In einer anregenden und angeregt parlierenden Form tut diese Moritz Terwesten mit seinem Film. Er hält ihn zwar, bis auf gelegentliches Rotbild, in angemessenem Schwarz/Weiß, wodurch aber die inspirierende Leichtigkeit eher noch stärker zu Geltung kommt.

Es sind alte Gedanken und Erkenntnisse vorgetragen in leicht fasslicher Form von Fachleuten der unterschiedlichsten Provenienzen, mal griffig, handlich formuliert wie beim Philosophen und Ethiker Franz Josef Wetz, mal mit dem Gestus der Blasiertheit eines Kulturkritikers wie Wolfgang M. Schmitt (der vielleicht dadurch Eingang in die Ewigkeit sucht?).

Frisch, forsch und pragmatisch wirken die Englischsprachler Lawrence Krauss (theoretischer Physiker) und Sheldon Solomon (Sozialpsychologe, Begründer des TMT).

Jörgen Buttgereit, am berühmtesten ist sein Film Nekromantik, erzählt, wie ihm das Zubereiten einer Horrorszene, in der Menschenfleisch zerfällt, beim Verarbeiten des Todes seiner Mutter half. Ein Bestatter (Eric Wrede) berichtet von der sich ändernden Bestattungskultur.

Das Hauptproblem des Menschen ist seine Endlichkeit. Er kann sich seinen Tod nicht vorstellen. Die Religion macht ihr Geschäft damit, dass sie eine Lösung anbietet, die den Anschluss an das ewige Leben in Aussicht stellt.

Wetz hält das für ein Vorgemache, wenn, was der Haupttenor zu dem Thema ist, die Leute sagen, vor dem Tod hätten sie keine Angst, aber vor den Schmerzen des Sterbens. Denn die wahre Angst sei die vor dem Tod. Und nicht nur die Religion macht sich das zunutze, im Kino gibt es das Horrorgenre, das das leidlich ausbeutet, indem es die Angstlust schürt.

Es gibt die Sepulkralkultur, die davon spricht, dass jemand „in Frieden ruhe“, während Wetz prosaisch meint, hier rotte – bestenfalls – Fleisch dahin. Der Mensch möchte perpetuieren, daraufhin richtet sich sein Streben, sei es das nach Geld, nach Vermögen, das nach Fortpflanzung oder der Trieb, ein Werk zu hinterlassen, Musik, Literatur, Malerei Unsterblichkeitsprojekte.

Der Film bezieht seine Leichtigkeit auch aus der Montage. Die Gesprächspartner sind in ihren Arbeits- oder Wohnräumen aufgenommen, so scheint es zumindest, oder in einem Kino. Dieser ernste Teil des Filmes löst sich immer wieder in wilde Animationen auf oder weicht der Montage von Städteimpressionen. Dadurch verhindert Moritz Terwesten, der auch selber im Bild erscheint als Sprecher oder Befrager, dass aus der todernsten Angelegenheit eine solche wird. Denn was will man mehr mit einer unlösbaren, unausweichlichen Sache als sie sich erträglich machen, gar, wie hier, unterhaltsam.

Sein Tag ohne Frauen – The Island Stood Still

Solidarität

ist eigentlich ein ganz einfaches, effektives Mittel für eine Gruppe von Menschen, die benachteiligt, ausgegrenzt, diskriminiert, ungleich behandelt werden. Merkwürdigerweise ist sie allerdings recht selten. Und wenn sie einmal passiert und richtig schön Rabbatz macht und etwas erreicht dadurch, dann ist sie berichtenswert.

Über einen solchen raren Akt der Solidarität, der von Lysistrata inspiriert gewesen sein könnte, berichtet höchst kurzweilig und anregend Pamela Hogan nach dem Drehbuch von Hrafnhildur Gunnarsdóttir.

Es geht um den historischen Aufstand der Frauen von Island am 24. Oktober 1975 mit weitreichenden Folgen auf die Gender-Equality in Island.

Der Begriff ‚historisch‘ dürfte nicht übertrieben sein, der Begriff ‚Aufstand‘ eher, handelte es sich doch je nach subjektiver Interpretation um einen Streik oder lediglich um einen freien Tag.

Der Hintergrund ist die eklatante Ungleichheit der Frauen als unbezahlte Hausfrauen, als deutlich schlechter bezahlte Sekretärinnen, Telefonistinnen oder Arbeiterinnen in der Fischfabrik und meist ohne Zugang zu akademischer Bildung und Führungspositionen.

Dass die UN das Jahr 1975 zum Internationalen Jahr der Frau gemacht hat, ist ein wichtiger Impuls für eine Gruppe Aktivistinnen, die bewusst rote Strümpfe anziehen und die Idee des Frauenausstandes ausbrüten und realisieren.

Einige dieser Frauen kommen zu Wort in einem amüsanten Strom aus Archivbildern, Animationen, Islandimpressionen. Sie berichten von damals, welche Hemmungen sie überwinden mussten, welche Überzeugungsarbeit leisten und wie ungewiss das Unternehmen war; aber auch, was ihre persönlichen Beweggründe waren, dass sie als Frauen gewisse Karrierechancen gar nicht hatten.

Der Film zeichnet den Weg von anfangs eher originellen, wenig bedarften Aktionen, wie diejenige mit der weißen Kuh, die sie zum Misswettbewerb lotsen, bis hin zur systematisch und wochenlang vorbereiteten Großkundgebung, an der 90 Prozent von Islands Frauen teilnehmen.

Der Film erzählt von der Kraft der Solidarität, aber auch von der Kraft passiven Widerstandes und man fragt sich, warum nicht viel öfter benachteiligte Gruppen, Minderheiten zu diesem Mittel greifen. Man stelle sich zum Beispiel vor, alle Illegalen in den USA würden sich organisieren und nur einen einzigen Tag ihre Funktion in der amerikanischen Gesellschaft nicht wahrnehmen. Da würden Herrn Trump vielleicht noch die Augen rauskullern. Siehe die nahtlose, unverzichtbare Integration und das Funktionieren Illegaler unter dem Mikroskop von La Cocina – Der Geschmack des Lebens.

Köln 75

Eine Bresche für den Free-Jazz
Eine Bresche für Keith Jarrett
Eine Bresche für die Improvisation und gegen den Perfektionismus

In den 70ern war Jazz in Deutschland keinesfalls etabliert, all die Variationen von Standard bis zum Free Jazz und bis Keith Jarret. Auf jeden Fall musste der Radiomoderator vom WDR von der Protagonistin dieses Filmes von Ido Fluk, Vera Brandes (Mala Emde), beinah beknieet werden, ein Andkündigung für seine Hörer zu machen für den Auftritt des Jazzmzusikers an der Oper in Köln im Jahre 1975. Daraus wurde das berühmte The Köln Concert. Organisiert wurde es von Eva Brandes.

Eva Brandes existiert wirklich. Sie hat die Erzählung aus ihrem Leben für das Drehbuch geliefert. Sie wird im Film auch in einer Variante von 50 Jahren dargestellt, hier von Susanne Wolf. Sie ist die Protagonistin der kleinen Rahmenhandlung. Es handelt sich um den 50. Geburtstag. Die braucht der Film, um ihr gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater zu erklären. Dieser ist Zahnarzt und wird dargestellt von Ulrich Tukur in bewährter Altborniertmännermanier. Aus diesem Anlass erklärt er den versammelten Gästen, dass sie die Enttäuschung seines Lebens sei.

Wie sie in der jungen Variante von ihm eine Ohrfeige bekommt, weil sie um einen Vorschuss von 10′ 000 Mark zur Finanzierung des Jarrett-Konzertes bittet, erklärt sie die daraus resultierende Wunde Nachfragenden mit dem simplen Begriff Patriarchat.

Der Vater ist typischer Vertreter der Nachkriegs-, der Aufbaugeneration und erwartet eine identische Haltung zu Leben, Ausbildung und Beruf. Für Jazz hat er null Verständnis, auch nicht dafür, dass seine Tochter eine Deutschlandtour für Keith managt. Sie ist nicht mal 20.

So wie Like a Complete Unknown es für Bob Dylan versucht dieser Film als Partialbiopic einen Ausschnitt aus dem Leben von Eva Brandes nachzuillustrieren; dadurch wirkt er allerdings auch relativ brav und ordentlich und mit viel Erklärsätzen, vermutlich zur Freude des koproduzierenden Fernsehens.

Anfangs des Filmes ist Eva noch nicht erwachsen. Ein Musiker, den sie in einer Kneipe anmacht, lässt kurzerhand eine Tournee für sich von ihr organisieren. So findet sie zu ihrem Beruf. Sie muss das Bluffen lernen, das Aufschneiden, sie muss heimlich in der Praxis ihres Vaters telefonieren.

Momentweise fühlte ich mich angesichts des Spiels von Mala Emde an den Film Die Mittagsfrau.

Es gibt einen Strang im Film, der sich der Aufklärung über den Jazz vornimmt und es gibt eingebettet ein Roadmovie von Lausanne nach Köln. Dort hatte Jarrett mit seinem Manager und Renault-Fahrer eines seiner wilden Konzerte. Das Geld für den Flug nach Köln wollen die beiden sich sparen und fahren mit der Klappermühle.

In Lausanne kontaktiert sie der Musikkritiker Michael Watts (Michael Chernus). Dieser erinnert an den Film The Critic, bei dem es um einen Theaterkritiker alter Schule geht. Das hier ist die modernere Variante davon. Der Fahrt der drei nach Köln haftet etwas Mystisches an, denn der Künstler will absolut kein Interview geben. Durchaus faszinierend, wenn ein Fachjournalist keine Fragen stellen darf, ja vor allem schweigen soll. Es versteht sich von selbst, dass daraus ein Gespräch wird.

Die Vorbereitungen zum Auftritt in Köln werden filmisch breit erzählt. Der Flügel ist nicht nicht der versprochene; es ist ein Schrott-Flügel; zwei Klavierspezialisten arbeiten sich an diesem ab; die Lulu-Aufführung parallel dazu ist offenbar vorm Eisernen Vorhang und ganz ohne Bühnenbild. Alles nicht so recht realistisch und offenbar nur als kilometerlanger Anlauf für die Flügelpointe gedacht.

Immerhin gibt der Film zu verstehen, wie der Perfektionismus nicht alles sein kann und wie ein Panne wie die mit dem Klavier zu künstlerisch offenbar einmalig kreativen Leistungen treiben kann. Das wäre dann die noch längere Pointe dieses Filmes: dass das Konzert wohl zum berühmtesten des Pianisten geworden ist.

Der Regisseur wollte Eva Brandes von hinter der Bühne ins Licht holen. Dafür scheint er mir aber nicht genügend nachdgedacht zu haben, was es bedeutet, Licht auf ein Schattengewächs zu werfen. Denn die Mechanismen des Rampenlichtes sind nun mal da. Und um ein Schattengewächs, ohne die Rampenlichtmechanismen zu bedienen, in dieses zu setzen, bräuchte es vielleicht einen etwas anderen kinematographischen Zugangs als den üblichen.

Verena muss in dieser Phase des Filmes viel und ausdauernd in und um die Oper Köln rennen. Also ob sie Lola hieße. Das signalisiert Hektik.

Für immer hier

Brasilianitá

Copa Cabana, Rio, Sonne, Strand, Jugend, elastische, schöne Körper, Erotik in der Luft, Wärme, so stellen wir uns Brasilien vor. Dazu große Familien, die in einem eigenen Haus wohnen, eine Bedienstete haben.

Genau so zeichnet Walter Salles (Unterwegs – On the Road) das brasilianische Leben in seinem Film nach dem Drehbuch von Murilo Hauser und Heitor Lorega nach der Biographie von Marcelo Rubens Paiva: Papa Rubens (Selton Mello), Mama Eunice (Fernanda Torres) und viele, viele Kinder.

Der Papa ist im intellektuellen Milieu tätig. Grad kommen die Kids vom Strand, sie haben einen struppigen Hund aufgelesen und erbetteln vom Papa die Erlaubnis, das Tier in der Familie aufzunehmen. Papa kann nicht ablehnen.

Das ist die eine Seite der Brasilianitá. Aber es gibt das düstere Kapitel der Militärdiktaur. Es ist 1970. In den Nachrichten nimmt die Entführung des Schweizer Botschafters Giovanni Bucher breiten Raum ein. Er wird gegen 70 politische Gefangene freigepresst. Das Leben in der Familie Paiva scheint unbesorgt.

In der Art einer Telenovela schildert Salles Episoden aus diesem bald elementar verletzten Familienleben. Ab und an hat der Vater diskrete Telefonate, ab und an werden an der Tür Briefumschläge ausgehändigt. In dieses sorglose Leben hinein klingeln nicht besonders sympathisch aussehende Männer. Sie wollen Vater zu einer Befragung mitnehmen. Er fährt mit dem eigenen, schicken, roten Auto. Er würde bald zurück sein.

Später werden auch Eunice und eine Tochter abgeholt. Eine andere ist zu einem Auslandaufenthalt nach England abgereist. Ein Schock für die Familie und auch für den Zuschauer, wie diese Personen mitten aus einem zivilen Leben heraus im Militärgefängnis landen. Folter wird nicht direkt gezeigt, aber angedeutet.

Man fragt sich als Zuschauer über die Sinnigkeit solcher Methoden. Was bringt es, aus einem Menschen Geständnisse herauszupressen, die womöglich gar keine sind? Salles schildert Verhaftung, Verhör und auch wieder Freilassung der Frauen so, dass sich einem diese Fragen aufdrängen. Wie kann es sein, dass solche Regimes sich überhaupt etablieren und was versprechen sie sich von diesen verletzenden, demütigenden Methoden und davon, dass sie Menschen einfach verschwinden lassen?

Das wird im weiteren Verlauf des Filmes eine der Fragen sein, was ist mit Rubens passiert, wo ist er, lebt er überhaupt noch und wie geht die Familie damit um? Es geht hier nicht um einen einmaligen Fall, es gibt Hunderte davon. Der Film ist ein Puzzleteil zur Aufarbeitung dieses grauenhaften Kapitels der brasilianischen Geschichte.

Die Schattenjäger

Atmosphäre des Misstrauens unter Vertriebenen

Es herrscht eine Atmosphäre des Misstrauens unter den syrischen Kriegsflüchtlingen in Europa. Denn es sind nicht nur vom Regime Verfolgte geflohen. Unter den Flüchtlingen sind auch ehemalige Folterknechte, Schergen des Assad-Regimes.

Das ergibt für den Film von Jonathan Millet, der mit Florence Rochat auch das Drehbuch geschrieben hat, durchgehend eine Thrilleratmosphäre, die in Momenten, wo die konspirative Gruppe im Zentrum aufzufliegen droht, sich, musikalisch unterstützt, der Zerreißspannung nähert.

Hamid (Adam Bessa) sass im berüchtigten Folterknast von Saydnaya und ist 2014 mit anderen Gefangenen von syrischen Soldaten im Niemandsland ausgesetzt worden. Die Flucht nach Europa gelingt.

Hamid hat sich einer verschwiegenen Gruppe von Assad-Opfern angeschlossen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, flüchtige Täter des Regimes in Europa aufzuspüren und sie der Justiz zuzuführen, siehe Website.

2016 begegnet Hamid in Strassburg Harfaz (Tawfeek Barhom) und ist sich sicher, seinen ehemaligen Folterer vor sich zu haben; obwohl er ihn nie gesehen hat, da den Opfern bei den schmerzhaften Prozeduren ein Sack über den Kopf gezogen worden sind. Aber es gibt ja noch die Stimme, die Schritte, die Ausdünstung, die selbst durch Parfüm erkennbar ist.

Das erzählt der Film, wie Hamid Harfaz beschattet, wie er sich ihm nähert, wie er sogar mit ihm ins Gespräch kommt (in Frankreich sind nicht so viele Syrer wie in Deutschland).

Der Film erzählt von der Vorsicht der Gruppe in der Kommunikation untereinander als auch beim Verfolgen der Fährten, denn es gab auch schon Fehlzugriffe. Und er erzählt von der Diskussion in der Gruppe, ob Selbstjustiz oder ob sie die Fälle vor Gericht und an die Öffentlichkeit bringen soll.