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Joker: Folie á Deux

Traditionelles, amerikanisches Unterhaltungskino

Allerdings als Mix aus Genres wie Musical, Justizdrama, Liebesfilm, Knastfilm vor dem Hintergrund des Serienmörderthemas und dieses wiederum im Zusammenhang mit verschissenen Kindheiten (Missbrauch) und kompensatorisch dazu als einer Wurzel von Entertainment.

Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sitzt im Knast, Hochsicherheitstrakt, Arkham Asylum. Er war Entertainer, einer im bunten Anzug und mit Clownsgesicht geschminkt. Er gilt als Serienmörder. Den letzten Mord hat er im Fernsehen vor laufender Kamera begangen, er hat den Moderator umgebracht. Dadurch ist der Knasti gleichzeitig zum Medienstart geworden. Es hat sich in Gotham eine Fangemeinde aufgebaut.

Es warten auf ihn der Prozess und vorher noch die Befragung, ob er zurechnungsfähig sei, also prozessfähig.

Im Gefängnis lernt er Lee (Lady Gaga) kennen. Die ist ein Fan von ihm. Sie verlieben sich. Das ist der Rom-Com-Teil des Filmes, wenn auch nicht direkt so romantisch, aber immerhin Anlass genug für ein paar gemeinsame und dann auch wieder einzelne Song- und Tanznummern.

Todd Phillips, der mit Scott Silver und Bob Kane auch das Drehbuch geschrieben hat, inszeniert das in bester amerikanischer Unterhaltungsmanier. Die Figuren kommen gut ausgewählt und charakterisiert rüber und erzeugen einen glaubwürdigen Filmrealismus. Etwa die etwas älteren Herren von Gefängniswärtern, die ihren prominenten Gefangenen recht gern mögen und über die er vor Gericht, schimpft.

Die Musik umhüllt einen mit einer gewissen Schwere, jener von Zirkus und gleichzeitig aus Hollywoodfilmen, in denen gesteppt wird. Eine Steppnummer kommt auch hier vor. Die Darsteller, allen voran das Protagonistenpaar, vermögen zu fesseln; sie sind Leinwand-Phänomene. Wie das amerikanische Kino nach wie vor ein gutes Händchen für die Darstellung von Medienhype hat. Und auch sonst noch so Einfälle, die dem Film schließlich zum vielleicht nicht so zwingenden Ende verhelfen.

Zone

This is my own story

„This film is dedicated to the humans who drove the MittelbauDora camp into the tunnels of the Thiringian Kohnstein, and who, while buidling the V1 and V2 rockets, never found their way back to the light, to life again, because other humans sentenced them to die“.

Jugend in verdrängender Zeit

auf einem Boden, unter dem kurz zuvor Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Raketen für die Nazis gebaut haben.

Nordhausen am Harz.

Es gibt Hinweise auf die zeitliche Einordnung dieses Filmes von Christina Friedrich nach ihrem eigenen Roman „Keller“. Ihre Mutter hörte Mireille Mathieu. Die hatte Mitte der 60er ihren Durchbruch. Der Start von Sojus 15 taucht in dieser Recherche einer Jugend auf. Das war 1974. Der Mauerfall spielt kurz mit. Das war 1989. Da ist die Protogonistin eine junge Frau und bringt ein Kind zur Welt.

Der Film puzzlet den mythischen Weg von einer Kindheit in die Welt der Erwachsenen. Er reiht Mosaikstückchen an Mosaikstückchen, die die Bilder- und Erinnerungwelt der jungen Frau ausmachen, auch mit von einer Frauenstimme vorgelesenen Prosatexten, im Tonfall autobiographisch.

Es ist eine Kindheit, die noch in der Käseglocke der Nachkriegszeit einsetzt, der Käseglocke, die das verdrängte, was ein weiteres Leben nach den Nazigräueln unmöglich gemacht hätte. Es ist eine Kindheit da, wo ehedem unter der Erde die V1 und V2 Raketen gebaut wurden, von Menschen, die das Tageslicht nie mehr erblickten.

Es ist eine Kindheit, die das Glück bürgerlicher Freiheit symbolisiert. Blümchentapeten. Adrett gekleidete Kinder. Eine Welt mit Kaffee und Kuchen am Sonntag. Aber Mutter geht es schlecht. Das ist der Wermutstropfen in der Familienidylle mit vielen Kindern. Mit einer Mutter, die vorher noch Geschichten erzählt oder vorgelesen hat.

Es ist eine Familie voller Liebe. Liebe, Zärtlichkeit, Sehnsucht sind weitere Mosaiksteinchen. Aber auch theatrale Installationen bis hin zum absurden Theater.

Der Film ist eine Reflektion darüber, was in und unter manchen Räumen sein und gewesen ein kann. Es ist ein Film mit einer ausgeprägt räumlichen und inszenatorischen Stärke. Aber auch mit einer großen Skepsis gegenüber der Freiheit über der Erde im Gegensatz zu den vergangenen Gefangenen darunter.

Der Film ist eine Abfolge memorabler Close-Ups einer Jugend, die selbst eine Last spürt, die Ängste bebildert. Es ist aber auch ein Film, der keine Scheu vor Populärem auf der Tonspur hat, nebst Klassischem. Es ist ein Film aus vielen, historisch bedingten kulturell-religiösen Schnipseln.

Es ist ein Film, der bedacht und geschmackvoll Dinge umkreist, die in jenem Deutschland nicht so direkt ausgesprochen werden konnten. Ein Film mit Flash auf die Kinderwelt der 60er in der DDR; Erziehung, Hygiene, Drill. Ein Bildpoem eines Coming-of-Age in spezieller historischer Situation auf speziellem Boden. Aufzeigen einer Jugend in einer spießigen Restauration bürgerlicher Gesellschaft?

The Wild Robot

Ein Gspass muss sein,

das Thema KI ist viel zu ernst und inzwischen viel zu angstbeladen, als dass man sich nicht auch einen Spaß draus machen dürfte. Und den machen die von Dreamworks mit allen ausgebufften Mitteln der Animation.

Roboter Roz brütet ein Ei aus. Es ist ein Gänseei. Im Wald. In der freien Natur. In der schönsten Animationsnatur.

Roz lernt die Mutterinstinkte. Roz kümmert sich um die kleine Gans. Das erzählt Chris Sanders, der mit Peter Brown auch das Drehbuch geschrieben hat, mit einem wahren Feuerwerk an Gags und Tricks und was alles passiert um das Heranwachsen des Kücken und das Zusammenwachsen der Waldfamilie herum.

Allein, was der Roboter alles kann, was er alles verlieren und dann wieder rebooten kann. Aus der Fülle an prima Zeichentrickgags fällt es schwer, einzelne hervorzuheben.

Gänslein wächst heran. Wie es groß ist und und fliegen und schwimmen lernen sollte, schwenkt der Film auf eine mehr epischer Erzählweise. Roboter Roz spielt den Fluglehrer.

Wie es Herbst wird, schließt die Gans sich den Zugvögeln an. Hier denkt man kurz an den aparten Kinderfilm Raus aus dem Teich.

Einen Zwischenhalt in einem Maisfeld nutzt der Film für einen Querverweis zur industriellen Landwirtschaft.

In der Heimat – immer liegt das Thema Familie und Heimat in der Luft – legen sich die Tiere zum Winterschlaf nieder. Dort wird Roz nicht wie einsten Noah die Tierwelt in einer Arche, sondern in einer Höhle retten. Was ihm später noch von Nutzen sein wird in der Form von unverbrüchlicher Solidarität, wie das Heimatschiff Roz zurückholen will.

Es gibt jede Menge richtiggehend poetischer Bilder von Roz, verloren in der Natur, teilrepariert, nach dem Winter moosübewuchert. Und es gibt zerstörte Natur. Die kann einem ein Lächeln hervorzaubern, wenn man an den Film Das Geheimnis der Bäume denkt und dass ein abgeholzter Wald gerade mal 800 Jahre braucht, um sich vollständig inklusive Tierwelt zu regenerieren. Wie lächerlich oder gerade mal „niedlich“ ist doch die Roboterwelt dagegen.

Memory

Diese Fragilität der Existenz
die trockene Alkoholikerin und der Demente

Die Stabilität unserer Existenz sind Bewussstsein und Vertrauen, das ist mein Papa, das ist meine Mama, das ist meine Oma – und das bin ich und in der Familie bin ich geborgen, das ist mein Schutzraum. Daraus bezieh ich meine Identität, die sich wiederum in der Außenwelt weiter formuliert und definiert, genährt aus dem, was in der Familie geworden ist.

Bei Sylvia (Jessica Chastain) trifft das so nicht ganz zu. Schon in der Pubertät scheint sie das Trinken begonnen zu haben. Sie lebt mit ihrer Tochter Anna (Brooke Timber) in New York. Sie arbeitet bei den AA. Sie selbst ist seit 13 Jahren trocken. Anna ist im hübschesten Jungmädchenalter. Sylvias Schwester lebt auch in New York. Bei dieser ist Mutter zu Besuch, mit der Sylvia seit Jahren nicht mehr gesprochen hat.

Nach einer Party der Woodbury High School folgt ihr Saul Shapiro (Peter Sarsgaard). Der wiederum lebt bei seinem Bruder, braucht aber Betreuung, da er an Demenz leidet. Peter Sarsgaard spielt das großartig. Er verbringt eine ganze Nacht vor dem Haus von Sylvia; er hat sich in sie verguckt. Der Kontakt ist geknüpft, wie sie am nächsten Morgen sich um ihn kümmert. Sie wird in Teilzeit seine Betreuung übernehmen.

Der Film von Michel Franco besticht durch die intime Nähe und Glaubwürdigkeit, mit der er beim Geschehen dabei ist, fast könnte man von einer Familienaufstellung sprechen. In keiner Sekunde wirkt der Film so, als arbeite er sich an einem Plot ab. Immer nur ist er in intimer Näher, nie voyeuristisch, immer beobachtend und abwartend dabei, fast so, als ob er mitspiele beim Monopoly oder beim Memory; was alles in selbstverständlicher Normalität abläuft, nie gespielt rüberkommt auf einem Level nie aufgesetzt wirkender Ernsthaftigkeit.

Es wird sich herausstellen, dass das mit dem Gedächtnis offenbar eine dramaturgische Finte ist, die geschickt kaschiert, dass der Film sich ein schwierigeres, delikateres Thema vorgenommen hat, über das zu sprechen gerade für die Beteiligten extrem schwer ist und nicht nur das, das nämlich auch im Kino zu verhandeln ein richtiger Drahtseilakt ist. Der ist aber hier so gelungen, dass man nach der Vorführung beinah versucht, festen Boden unter den Füßen zu suchen. Das Mottolied ist A Whiter Shade of Pale.

Cranko

Hier zählt Kritik noch was, auch wenn der Hinweis auf den Eunuchen nicht ausgespart wird, aber beim Rückflug von New York lässt sich die Ballettruppe von John Cranko gerne die Jubeltexte der New Yorker Presse vorlesen – und glaubt sie auch.

Von der schwäbischen Provinz an die Met, könnte die Überschrift auch lauten. Dabei war Stuttgart anno 1961 offenbar weniger provinziell als London, das vom begabten Tänzer und Choreographen nichts mehr wissen wollte, weil Cranko (Sam Riley) offenbar in eine Sexfalle mit einem Mann gelaufen war.

Im Schwabenländle würden sie daraus keinen Skandal machen, meinte Walter Erich Schäfer (Hanns Zischler, immer einen Tick zu deutlich zeigend, dass er Theater spielt), der damalige Chef der Stuttgarter Oper.

Der Film von Joachim Lang ist eine sentimentale Verehrung des genialen Choreographen. Einerseits legt er Wert auf die Grundeinstellung, dass es beim Ballett darum gehe, das zu zeigen, was Worte nicht zeigen können und ums Himmels Willen nicht um perfekte Technik, es geht um das Humane, damit gleichzeitig, denn wo Licht ist, muss Schatten sein, auch das Inhumane, was Cranko später mit „Spuren“ inszenierte.

Dabei hat ihn Die Ermittlung in der Aufführung von Peter Palitzsch in Stuttgart wohl besonders berührt. Es wird im Film eine Szene daraus nachgestellt. Das ganze Stück ist in einer hervorragenden Film-Theater-Inszenierung diesen Sommer ins Kino gekommen.

Der Film beginnt mit Crankos Ankunft in Stuttgart, erste Ankunft lebendig, hoffnungsvoll, zweite Ankunft am Ende des Filmes ist er auf dem Rückflug von den USA gestorben. Alkohol und die ewige Raucherei dürften nebst privatem Unglück, gerade auch in Liebesdingen, mit der Grund gewesen sein für den frühen Tod.

Am Ende kann der Film seine Verehrungsgefühle nicht mehr beherrschen, lässt Zeitzeugen und Schauspieler aus dem Film gleichermaßen Rosen am Grab des Künstlers niederlegen. Wie der Film überhaupt ein Schlagseite in Richtung Groschenroman nicht verleugnet, auch wenn er versucht, den künstlerischen Entwicklungen und den damit verbundenen Hinter-den-Kulissen-Kämpfen Raum zu geben .

Vom Licht her taucht er die Räumlichkeiten, speziell die herrschaftliche Staatsoper von Stuttgart, in sentimentales Licht. Der Film trennt sich auch ungern, so als ob er verliebt sei, von seinen Szenen, schneidet immer einen Tick zu spät, wiederholt auch Sujets, in die er wohl auch verliebt ist: die Visionen von Cranko, wie die Tänzer auf dem Platz vor der Oper spielen, wie sich das in seinem Augenstern spiegelt, immer ein kleines Too Much zu viel. Im Vergleich zur Subtanz sind dadurch über zwei Stunden Spielzeit zu lang. Insofern wirkt dieses Kino zwar schön, aber etwas altbacken. Dazu dürfte die im Abspann erwähnte Beratung durch das Fernsehen sein Teil beigetragen haben.

Butchers Raghorn

A sad, sadistic motherfucker,

so bezeichnet sich Clyde (Nick Biskupek), der mit dem Crusher (Michael Swatton) in einer Horrorhütte im Wald lebt. Dort treiben sie ihr Unwesen.

Clyde ist der smartere, der auch mal zur Gitarre singt, der die Verbrechen die er begeht, die Folterungen, auf Video aufzeichnet und der auch den Hinweis auf das Texas Kettensägemassaker bringt, mit dem Zusatz, dass wir hier nicht in Texas seien.

Crusher ist der glatzköpfige, bullige Schlachtertyp. An ihm sind seine Atemgeräusche faszinierend, wie ein hungrig-erschöpftes Tier.

Wir sind irgendwo in der amerikanischen Provinz, in einer menschenarmen Provinz mit viel Wald und ungeteerten, kaum befahrenen Straßen. Wenn da ein Auto von auswärts an die Tankstelle kommt, so fragt der gemütliche Sheriff Hill (Mark Templin) schon mal, wo man herkomme und wo man hingehe.

Das ist ungangehem für Josh (Sam Huntsman), Sarah (Hollie Kennedy), Rico (Miguel Cortez) und Brian (Dave Coleman), die in ihrem Lincoln hintendrin ein Entführungsopfer (Corgand Svendsen) haben. Sei eine Viertelmillion wert. Das muss man überspielen.

Die Gruppe will eigentlich nur Geld und kein Blut. Wie das so ist mit den guten Vorsätzen. Da kann ein Wapiti-Hirsch dazwischen kommen und dann müssen sich die Wege mit denen der Sadisten kreuzen. Da wird es dann ganz furchtbar, horrorhaft, passend zum Modewort Bodyhorror.

Dass es so kommen wird, erzählt der Film gleich zu Beginn mit der Schilderung einer Szene mit Crusher. Er verfolgt eine blutende, junge Frau im Nachthemd im Wald. Und keine drei Minuten vergehen, bis heftig Blut fließt, nicht realistisch, sondern wie es sich für trashighen Horror gehört: schön und viel.

Das Hackebeil auf dem Holzstock ist signalhaft deutlich ins Bild gerückt.

Ganz so abwegig sind solche Bebilderungen der Menschheit als verkommener Gattung, als Abschaum nicht angesichts der Bilder von den tagtäglichen Blutbädern in der Ukraine, in Gaza, im Sudan und an vielen weiterern Orten. Es ist nicht alles humanistisch, was auf zwei Beinen steht.

Faszinierend ist auch der Sheriff, der inmitten all der Katastrophen in stoisch-professioneller Ruhe Spuren betrachtet und diese verfolgt, ohne jede Aufgeregtheit, ohne jede Nervosität. So, als sei dem Amt zu vertrauen.

Architecton

Steine mahlen

Der Kreislauf der Steine – und zwischendurch richten die Menschen Merkwürdiges und nicht unbedingt Sinniges mit diesen an. Sie sprengen ihn aus dem Felsen, sie mahlen ihn, sie gießen ihn mit dem 3-D-Drucker, sie bauen Häuser mit ihm, die 30 oder 40 Jahre halten, auch Hochhäuser, dann zerstören sie diese wieder, auch mit Kriegen, dann müssen sie die Schuttreste abtransportieren und zu neuen Bergen auftürmen oder zu Schutthalden.

Oder sie nehmen einzelne Steine und legen daraus im Garten einen sinnlosen Kreis. Deshalb nennen sie ihn dann magischen Kreis. Die Steine haben den Vorteil, dass die Roboter von Rasenmähern dort nicht hingelangen.

Der den magischen Kreis in seinem Garten mit zwei Hilfskräften anlegt, ist der betagte italienische Architekt Michele de Lucci. Der darf in dem Film, der nur aus einem Prolog und einem Epilog besteht, in letzterem über Sinn und Unsinn des Umgangs der Menschen mit Stein, in der speziellen Verwendung als Beton, laut nachdenken und sich wundern über sich, dass er jetzt wieder so ein Hochhaus in Mailand bauen wird, das sich durch nichts von anderen abhebt und von begrenzter Haltbarkeitsdauer.

Der Film von Victor Kossakovsky will ausdrücklich nicht durch eine traditionelle Erzählstruktur überzeugen, das hat den Filmemacher (Vivan las Antipodas, Aquarela und Gunda) nie interessiert.

Kossakovsky mag es gerne im Sinne der Schlagzeilenträchtigkeit, des Aufsehenerregens; das war schon bei seinem ersten Film, den wir hier zu sehen bekommen haben so, das ist nicht ohne Extravaganz des Ausscheidungskriteriums für einen Stoff, Antipoden fotografisch festzuhalten.

Vielleicht wäre von einem hochgezüchteten Geschmäcklertum zu sprechen, welches nicht ohne Eitelkeit ist, partout aufzufallen. Das tun die Bilder denn auch. Die sind untrennbar verbunden mit dem Kameramann, das ist Ben Bernhard, der schon die starken Naturbilder in Antipoden und Aquarela zu verantworten hatte. Auch in Rohbau war er der Kameramann.

Dazu kommt ein spezifischer Sound, ausgeklügelt, oft an der Grenze zur Ironie. Auch das diesen unbedingten Willen zur Einzigartigkeit bestätigend. Und auch das: den Zuschauer in seinen Sehgewohnheiten trietzen, speziell den Bildungsbürger, der immer gerne wüsste, wo jetzt die Lokalitäten sich befinden, die endlosen Wohnblocks, teils bereits in Trümmern liegend, die zum Abriss bereit stehen, in der Ukraine, im Libanon? Und die Ruinenstadt? Palmyra (ach nein, da kann man zur Zeit bestimmt nicht drehen) oder Baalbek? Wo steht das terrassierte Bergwerk, in welchem im Tagebau Steine weggesprengt und anschließend zermalmt werden?

Manchmal ist der Filmemacher gnädig und gibt einen Hinweis mehr oder weniger direkt oder auch nur versteckt. Und der Abspann läuft zu schnell, um Sicherheit zu gewinnen.

Klar, es ist ein großes Thema, was die Menschen mit den Steinen machen, ist es doch nach dem Wasser das zweitmeist von ihm verwendete Material. Viel Unsinn auf jeden Fall, aber klar ist auch, dass man mit dem geeigneten Kameramann unendlich viel Material überwältigender Bilder sammeln und montieren kann; auch Schwarz-Weiß macht sich dabei gut.

Ein Bilderepos, auch gespeist von einer immer höher entwickelten und raffinierten Drohnentechnik. Eine Absicht hinter dem Film ist sicher, Überwältigungskino zu schaffen. Wobei Story- und Essenzausbeute verhältnissmäßig gering bleiben.

Als entsprechend geistigen Input hat der Autor Giovanni Pascoli ausgewählt mit dem Satz: Heute gibt es etwas Neues unter der Sonne – oder eher etwas Altes. Manchmal scheint allein der Wille, etwas Spezielles zu sein, schon zu genügen, um etwas Auffallendes herzustellen.

Power of Love

Nur ein geiles Böckchen?

Robert (Nicola Perot) ist supergut aussehend, mittelmeerischer Typ, schwarzlockiges Haar, kantiges Gesicht, Bartansatz, athletischer Körper, erotischer Blick. Er studiert, wie er sagt, irgendwas mit Ökonomie. Er macht Liebesspiele mit der Finnin Saara (Saara Kotkaniemi). Er erwartet die Zusage für ein wichtiges Stipendium und besucht Saara für einen gemeinsamen Sommerurlaub in Finnland.

Es gibt wenige Länder, die mit ihren Seen und Inseln und dem nordischen Licht und den Holzdatschen und den Saunen und Wäldern so viel Filmfutter bieten, Kamerafutter, Kameragenussfutter.

Auf so einer Datsche oder Insel kann man wunderbar auch wenige Menschen in klaren oder eben nicht ganz klaren Beziehungen sich aussetzen. Und genau dazu nutzt Autor und Regisseur Jonas Rothlaender Finnland auch aus, auch um sprachliche Farben in den Film zu tragen; teils wird Deutsch gesprochen, teils Englisch, teils Finnisch, so wie die Verständigung im Rahmen des Sprachenerwerbs am besten möglich ist.

Saara ist eine schön weibliche und blonde Skandinavierin, karrierebewusst in der naturwissenschaftlichen Forschung. Sie verspricht sich einen Bekanntheitsschub davon, dass ihre Chefin in der nächsten Veröffentlichung auch ihren Namen dem Einsatz gemäß nennen will.

Zwischen Robert und Saara laufen Liebesspiele, die mit Fesselung zu tun haben, mit Dominanz und Untertanentum, mit Gewalt (Power), wie im Titel des Filmes erwähnt. Für diese Liebesspiele haben sie ein Safe-Word vereinbart für allfällige, sofortige Beendigung.

Der Urlaub in Finnland wird zum Prüfstein der Beziehung werden. Die Frage, wie ernst es den beiden ist, das Thema des Kinderwunsches, der Vereinbarkeit mit der Karriere, auch des wirtschaftlichen Stemmens einer Familie.

Die Themen werden in wechselnden menschlichen Konstellation ventiliert, eine Zeitlang sind die Eltern von Saara dabei, dann gibt es den Besuch bei einem befreundeten Paar aus derselben Generation mit ähnlicher Problemsituation. Es wird ein fesselnder Prozess. Wie ernst meint es Robert wirklich?

Zucchero

Knuffliger Sänger

mit lederner Stimme, der dem italienischen Schlager einen Schuss Blues beifügt, der den musikalischen Brückenschlag zwischen Emilia Roma in Italien und New Orleans in den Vereinigten schafft, der weltberühmt ist und überall auf der Welt die Stadien füllt, dazu ständig auf Tournee ist, das ist Zucchero.

Zucchero ist ein nahbarer Mann, heimatverbunden, geerdet, er strahlt Verlässlichkeit und Hingabe aus, ihm fehlen die Starallüren, vor allem: er ist hochmusikalisch und musikalisch nicht nur vielseitig, dann auch wieder neugierig wie das Konzert in Kuba mit kubanischen Musikern zeigt.

Zucchero hat relativ schnell zu sich und seinem Stil gefunden. Es hat zwei Auftritte beim Schlagerfestival in San Remo gebraucht, bei denen er auf den hintersten Plätzen gelandet ist. Aber beim zweiten Mal wurde der Song ein Hit, die Startrampe für die weitere, schnelle Karriere eines Musikers, der so gar nicht nach Karrierist aussieht und der so auftritt, als bedeute ihm Ruhm nichts.

Im Gegenteil, wie er bald schon die großen Arenen bespielt, bekommt er plötzlich Depressionen; was auch mit dem Scheitern seiner Ehe zu gehabt habe. Dagegen hilft ihm ein Landgut in der Toskana.

Dieser Film von Giangiacomo de Stefano und Valentina Zanella nach dem Drehbuch, das sie zusammen mit Federico Fava geschrieben haben, ist jene Art von Musikfilm, die als distinguiertes Promotion-Tool gedacht sein könnten, äußerst gepflegt in Bildgestaltung, Design, Schnitt und der Präsentation von Archivmaterial wie in der Auswahl und Einbindung weltberühmter Stars aus der Musikwelt.

So entsteht ein süffiger Film mit genügend Musikstücken. Erstaunlich, mit wem Zucchero alles zusammengespielt hat und selbstverständlich sind die Größen des internationalen Musikbusiness voll des Lobes über ihn.

In dem Film wird auch offenbart, wer wohl hinter „Pavarotti International“ gestanden hat; auch daraus gibt es einen Clip. Siehe auch Pavarotti.

Rohbau

A Roadmovie to Albany,

das ist der unbeschwerte Teil dieses Filmes von Tuna Kaptan (Nacht Grenze Morgen) nach dem Drehbuch von Fentje Hanke und unter öffentlich-rechtlicher Fernsehbetreuung durch Jan Berning (SWR), Daniela Muck (ARTE) und Claudia Gladziejewski (BR).

In einem vielsitzigen, etwas abgwrackten Sprinter ist der ziemlich fertig aussehende Dietrich Lutz (Peter Schneider) unterwegs aus Hamburg nach Albanien. Neben ihm sitzt Irsa (Angjela Prenci). Über die Grenze hat er sie im Kühlraum eines LKW gegen Bestechungsgeld schmuggeln lassen.

Wenn man die Vorgeschichte nicht kennen würde, könnte man meinen, ein ungleiches Paar, eine Fahrgemeinschaft, ein Mann, der eine Tramperin mitgenommen hat. In einem albanischen Restaurant tanzen sie sogar ausgelassen und betrinken sich. In ihrem albanischen Dorf ist sie ganz begierig darauf, ihm, wie einem Lieblingsonkel, alles zu zeigen und ihn der Oma vorzustellen.

Die Oma allerdings stellt Fragen nach ihrem Sohn, der in Deutschland sein soll. Der ist auch das Missing-Link für die Vorgeschichte des Albanien-Tripps der beiden.

Ausgebeutete

In seinem Vorgängerfilm Nacht Grenze Morgen hat Tuna Kaptan hautnah Immigranten beim illegalen Grenzübertritt von der Türkei in die EU begleitet. Jetzt geht es ihm um illegale Arbeiter in Deutschland.

In einer düsteren, thrillerhaften Fahrt in der Nähe des Hamburger Hafens liest Dietrich Lutz, der sich Lutz nennt, eine Gruppe Albaner auf, um sie zu einer nächtlichen Baustelle in der neuen Hafencity zu bringen.

Die Arbeiter bereiten bei nur spärlichem Licht die Eisengitter für den Betonguss vor. Außerhalb des Kamerabereichs passiert ein Unfall, das verrät die Tonspur. Das ganze Geschehen, wird vorerst vergeheimnisst und erst nach etwa einer Stunde aufgelöst.

In der Zwischenzeit taucht als Systemsprenger Irsa auf, die auf der Baustelle rumturnt. Gleichzeitig ist Lutz in Verkaufsgespräche mit Investoren involviert; er darf keinen schlechten Eindruck erwecken.

Irsa spricht hervorragend Englisch und ist auf der Suche nach ihrem Vater. Zu vermuten ist, dass es sich bei diesem um das Unfallopfer handelt. Es sind somit die Voraussetzungen für ein Gewissensdrama gegeben. Lutz fühlt sich schuldig, weil er genau weiß, was mit dem Albaner passiert ist – der Zuschauer wird im Ungefähren gelassen.

Lutz freundet sich gleichzeitig mit Irsa, der Tochter des Opfers, an, kann ihr die Wahrheit aber nicht sagen.

Hier erinnert der Film an den kürzlich aus dem Sudan gekommenen Film Goodbye Julia, mit einer allerdings etwas unterschiedlichen Konstellation: dort sucht die Täterin direkt den Kontakt zur ahnungslosen Witwe des Opfers. Hier ist Lutz nicht mal der Täter; aber als Beschäftiger von Illegalen steht er auf dieser Seite.

Für die Kamera hat Tuna Kaptan den grandiosen Kossakovsky-Kameramann Ben Bernhard gewinnen können.