Raus aus dem Gulag!
Das ist spektakulär und traurig-aktuell, dieses wegen der Ereignisse in Syrien und dem Öffnen der Foltergefängnisse, jenes wegen der Aktionen des Protagonisten Kraven, Sergei Kravinoff (Aaron Taylor-Johns).
In einem Transport wird Kraven mit anderen Gefangenen in eine Strafkolonie im tiefsten Sibirien gefahren. Bei einer Pinkelpause wird Nummer 864, die er ist, angegangen, er solle sich hüten abhauen zu wollen.
Wie Kraven sich im Straflager nullkommanichts Respekt verschafft, das ist denkwürdig, vor allem, wie er sich mit dem großen Boss der Gefangenen anlegt. Das wird temporeich und gerade noch am Rande des Stuntglaubwürdigen erzählt. Ihm gelangt die Flucht. Er ist bereits als ein Superheld charakterisiert, ein Marvelheld, auf den in der Eiswüste Sibiriens hinter einer Wolkenwand ein Flugzeug wartet.
Der Film von J. Ch. Chandor nach dem Drehbuch von Richard Wenk, Art Marcum und Matt Holloway schneidet 16 Jahre zurück in ein britisches Internat. Das ist jetzt ein leichter Schock, nach den Bildern von Kraven, gerade auch mit seinem gut herausgestellten und mutmaßlich filmisch nachbearbeiteten, makellosen Körper und seinem abenteuerlich-verwegenen Gesicht. Er (jetzt Levi Miller) und sein Bruder Dimitri (Billy Barratt) sind reine Milchbuben dagegen, schön, fein, zierlich, sogar harmlos im Vergleich zum verwöhnten Iwan aus Anora. Vater Nikolai (Russell Crowe – so richtig klar wird nicht, warum er diesen recht austauschbaren Typen von superreichem Russenkriminellen spielt) will seinen Söhnen das Jagen beibringen.
Der Film wechselt nach Tansania zur Großwildjagd, macht dort einen Zwischenstopp bei einer einheimischen Wunderheilerin und nimmt einen Schluck Zaubertrank zu sich. Dadurch wird er unwirklicher, fantasiehafter, vielleicht auch betrunkener.
Ein Zaubertrank von Calypso (Ariana De Bose) rettet Sergei nach einem Jagdunfall jedenfalls das Leben und scheint ihm die für einen Marvelfilm nötigen Zauberkräfte zu verleihen; eine Erkläraktion. Er flieht vor seinem Vater ins Land seiner Herkunft, ins fernöstliche Russland und bildet sich im dortigen mythischen Wald als Coming-of-Age selbst zum Hunter aus, zum Menschenjäger.
In der weiteren Erzählung schleicht sich durchaus Betuliches in den Film rein, die Dialoge wirken oft gestelzt, weil sie sehr gesetzt vorgetragen werden und lieber Erklär- statt Charakterisierdialoge sind.
Kraven findet in London Calypso wieder, die jetzt Anwältin mit nicht allzu lupenreiner Kundschaft ist, trifft dort aber auch auf Gegner, die mit ähnlichen Zauberkräften ausgestattet sind, das ist Big Rhino (Chi Lewis-Parry) und der listige Foreigner (Christopher Abbott).
So ist der Film ausgerüstet für eine ganze Menge von ordentlichen Action-Standardsituationen, mal mehr, mal weniger mit Nachhilfe des Computers. Und immer ist einer der Gegner dem anderen einen Schritt voraus. Die Brüder werden sich wieder begegnen, Dimitri hat sich der Kunst zugewandt als Pianist und Sänger. Letztlich geht es auch im Actionfilm immer um die Familie. Teil einer russischen Familie zu sein, und dazu noch eines so vermögenden und verfilzten Oligarchen, ist nicht leicht, das zeigt auch dieser Film.