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72. Filmkunstwochen München

Vom 24. Juli bis 14. August 2024 gehen die Münchner Filmkunstwochen in die 72. Runde, eine Münchner Spezialität, eine Kinoreihe, die es so als eine feine Sommerattraktivität nur in München gibt.

Dass es die Münchner Filmkunstwochen überhaupt gibt und dass es sie immer noch gibt, hängt wohl mit der Individualität der Münchner Kinobetreiber zusammen. Die Reihe geht zurück auf Münchner Kinobetreiberpersönlichkeiten von vor einem dreiviertel Jahrhundert. Da war der Kinomarkt in München noch aufgeteilt in Premierenkinos und Nachspielkinos. Die Kinos im Zentrum und die anderen weiter drum herum, die das Nachsehen hatten.

Im Zusammenhang mit der Initiative, dies zu ändern, entstanden auch die Filmkunstwochen. Dies und vieles mehr war zu erfahren bei der Pressekonferenz. Sie wurde präsentiert von Dunja Bialas, die mit Ludwig Sporrer die Filmkunstwochen organisiert.

Und auch das ist eine Spezialität, Bialas und Sporrer organisieren nur, die Filme selbst werden von den Kinobetreibern für ihre Kinos ausgewählt, das wiederum macht Exzellenz und Eigenheit dieses Kinoereignisses aus.

Bei der Pressekonferenz stellten die Betreiber selbst oder Mitarbeiter von ihnen die jeweiligen Programme und Schwerpunkte vor. Es sind profilierte Auswahlen, die die Individualität der jeweiligen Kinos wunderbar abbilden.

Zudem drängt eine junge Generation voller Elan und mit pointiertem Kinogespür in die Betreiberpositionen.

Der Trailer zu den Filmkunstwochen ist kurz und knackig. Die Reihen sind es auch. Powervoll und kinogeschichtsträchtig kehrt das Kino nach Corona zurück und will es einmal mehr wissen.

Es gibt unendlich viel nachzuholen und neu zu entdecken: es gibt eine Iffland-Ring-Reihe, eine, die sich auf synchronisierte französische und italienische Film konzentriert, Retros aus der jüngeren Filmgeschichte Tarantino, Coppola-Clan, Josef Hader, Taxi-Filme, Female Directors, Psychiatrie im Film, eine 35-mm-Film-Reihe, Film über den Stummfilmstar Valeska Gert oder eine Reihe mit Filmen der Schweizer Präsens-Film, In-the-Mood-Filme (asiatisch), Filmklassiker, es kommen Events und Lectures hinzu.

Es scheint ein stringenter Kuratierwille zu herrschen, der den früheren Gemischtwarenladen ersetzt. Davon könnte sich das Münchner Filmfest ein Stück abschneiden.

Im Anschluss an die Pressekonferenz im Leopold-Kino wurden restaurierte Tonfilm-Einakter von Karl Valentin gezeigt (ab 15. August im regulären Kinoprogramm). Da wurde klar, wieso München eine ziemlich einmalige Filmstadt ist, in der der Geist von Karl Valentin nach wie vor rumort, seinen eigenwilliges Denken ver- und entknotet wie seine Beine im Fotoatelier und der Unvergleichliches hervorgebracht hat, das man immer wieder gerne anschaut. Hier kann man nicht von Sommerloch, hier muss man von Sommerfülle sprechen.

Cinema Iran 2024

Der Mythos des Verbotenen prägt das Image des heutigen iranischen Filmes, der Mythos der Illegalität und der Verfolgung eignet dem iranischen Kino. Entweder müssen die Filmemacher sich ins Ausland absetzen, wenn sie Filme machen wollen, oder sie können es nur unter erschwerten Bedingungen tun oder sogar nur in der Illegalität, weil ihnen sonst Gefängnis droht. Der Folterknast von Evin hat in fiktionalen wie in dokumentarischen Filmen traurige Berühmtheit erlangt. Das iranische Kino ist immer die Aufmerksamkeit wert. In München werden jetzt unter dem Titel Cinema Iran 2024 eine Reihe neuerer, sehenswerte Film aus dem kinobegabten Persien vom 10. – 14. Juli gezeigt.

ACHILLES
Der Filmemacher als Orthopädietechniker und Systemsprenger

CELLULOID UNDERGROUND
Über im doppelten Sinn explosive Schätze

FÜR EIN STÜCK VOM KUCHEN
Das muss man sich schon selber holen.

SHAHID
Filmisch-essayistische Autoreflektion in den wilden Wassern eines Culture Clash

TATAMI
Gewinnen aus Egoismus oder verlieren für das System?

THE SUN WILL RISE
Wie kann ein Film Scharianonkonformes schariakonfom präsentieren? – Lysistrata in Teheran.

WINNERS
Die Oscar-Statue, der Müll und der Iran

Für ein Stück vom Kuchen (Cinema Iran 2024)

Der Kuchen der Liebe

Nicht jeder bekommt vom Kuchen der Liebe was ab. Mancher gar nichts. Oder zumindest lange nichts.

Die Witwe Mahin (Lili Farhadpour) lebt in Teheran in einem ordentlichen Haus mit kleinem Garten. Allein. Ihr Mann ist lange gestorben.

Der Taxifahrer Faramarz (Esmaeel Mehrabi) lebt auch allein. Über 30 Jahre schon. Es hat nicht sollen sein. Er konnte keine Kinder zeugen. Er lebt seine bescheidene Taxifahrerexistenz. Auf seine Art hat er keine Hoffnung mehr. Und das Leben wird immer teurer.

Mahin liebt es, Zitronenkuchen zu backen. Den würde sie allen ihren Leuten und Freunden auftischen. Sie lädt ihre Freundinnen ein. Alle sind verheiratet. Ein fröhliches Reden über Männer, das Alleinsein. Mahin fasst einen Entschluss. Das muss nicht für immer so bleiben.

In einem billigen Rentnerrestaurant lauscht sie den Gesprächen der alten Männer. Faramarz sitzt allein an einem Tisch. Er isst auswärts, weil er nicht für sich kocht. Mahin weiß jetzt seinen Namen, folgt ihm.

Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha erzählen diese Liebesgeschichte, die sich voller Respekt und Ahnung entspinnen wird, ganz ruhig, lakonisch fast, mit humaner Zuneigung zu ihren Figuren. Sie erzählen, wie selbstverständlich wie die beiden reifen Menschen aufeinander zugehen, wie sie zusammenkommen. Wie er sofort zustimmt, sie nach Hause zu fahren und mit ins Haus zu gehen.

Es gibt Bilder und Szenen eines stillen Einverständnisses, die geprägt sind vom aufkeimenden Glück. Hier ist nichts plump in der Anmache. Es ist die Erkenntnis, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei. Und dass er beim Zusammensein mit einem anderen ja nichts zu verlieren habe, außer dem Alleinsein.

In Mahins Wohnung ist Platz genug. Und wenn sie angezogen gemeinsam unter der Dusche sitzen, so gibt es noch trockene Kleider von ihrem Mann im Schrank.

Eine ganze Strecke verbringt der Film im kleinen Garten. Erst installiert Faramarz die elektrischen Lampen wieder, es hört auf zu regnen. Es ist reinste Idylle wie von den Malern der deutschen Romantik, grün, grün, mit sanft verteiltem Licht.

Die Kritik am Regime in Teheran wird nicht aggressiv und augenfällig vorgetragen, sie spielt mehr im Hintergrund mit als bittere Musik, als Umstand, mit dem man sich abgefunden hat. Die Kinder von Mahin sind längst im Ausland; für ältere Menschen ist es fast unmöglich, ein Visum für eine Reise zu erhalten; ein anderes Thema ist der Umgang mit den Veteranen.

Es ist ein Fim, der zeigt, wie schön und kostbar eine Liebe sein kann.

Winners (Cinema Iran 2024)

Das Kino als Botschaft
oder von den Irrwegen eines Oscars

Das iranische Kino muss allein aufgrund seiner DNA in einem kinofeindlichen Terrorstaat ständig ein Zeichen für das Kino setzen, sonst würde es sich selbst in Frage stellen. Denn Kino ist Ausdruck von Freiheit, letztlich Demokratie als Ermöglicher und Freiraumschaffer, insofern in einem despotischen Staat ein Zeichen der Revolution.

Das erfüllt dieser Film von Hassan Nazer, der mit Hamed Amami auch das Drehbuch geschrieben hat, in recht romantisierend-humorvoller Art, das Kino in der Funktion der Erträglichmachung von Armut und Elend.

Um das Kino auf den ihm zustehenden Sockel zu stellen, bedient sich Hassan Nazer eines gewagten Konstruktes. Oder eines sehr symbolträchtigen: das Kino landet auf der Müllhalde.

Hassan Nazer verdonnert seinen Protagonisten Nassser (Mohammad Amir Naji) auf eine Müllhalde. Lässt dort diesen ehemaligen Kinostar, der dem Ruhm nicht gewachsen war, Müllkinder schlecht für ihr Sammelgut bezahlen. Gibt ihm einen Mitarbeiter, der ein filmwütiger Sammler ist, an die Seite.

Als Katalysator fungiert der filmfreakige Bub Yahya (Parsa Maghami), dessen Mutter Kelims webt und vertreibt. Er schaut nachts Filme. Cinema Paradiso hat es ihm angetan. Er schaut die Filme immer und immer wieder.

Um die Elemente jetzt vollends zur Zündung zu bringen, führt der Autor und Regisseur eine Oscar-Statue in den Film ein, die in einer Taxe liegenbleibt und dann statt an den rechtmäßigen Besitzer zurückzugehen von einem untreuem Postbeamten als Trophäe ausgeliehen wird, um sie in seinem staubigen Dorf stolz herumzuzeigen.

Aber die eingewickelte Statue fällt aus der Tasche von seinem Moped und landet in den Händen des filmfreakigen Buben Yahya.

Der Film ist ein filmpolitisches Statement. Er weist explizit auf die internationale Anerkennung iranischen Kinos hin im Gegensatz zur Unterdrückung im Lande selbst. Zeichnet dieses Land auch als widersprüchlich zwischen Lehmhütten- und Staubstraßenwelt einerseits und Großstadtmoloch wie Teheran andererseits. Er verweist namentlich auf Trophäen, Filme und Filmemacher, inszeniert sie als unbekannt an der Müllhalde arbeitend, den Ruhm nicht ertragen habend; und kaum sind sie in der Großstadt, will jedermann ein Selfie mit ihnen machen. Sie machen sich Sorgen über ihre verdreckten, verstaubten Klamotten, gehen aber lachend drüber hinweg mit dem Argument, die Leute werden denken, es handle sich um Kostüm.

So trietzen sich Realität und Wirklichkeit, Sein und Schein der Kinowelt in der realen Welt eines von einem blutigen Regime gebeutelten Landes. Es ist ein humorvolles Statement, das eher den Kopf schüttelt über die Kleinkariertheit und weltfremde Verbohrtheit der Terrorherrschaft.

Hassan Nazar verbannt seine an sich berühmten Protagonisten in das staubige Provinzkaff Garmsar. Und dreimal darf man raten, wer in Teheran das Taxi fährt, mit dem Yahya unterwegs sein wird.

Mit Yahya und Leila (Helia Mohammadkhani) hat das iranische Kino einmal mehr eindrückliche Kinderdarsteller aufgeboten.

The Sun Will Rise (Cinema Iran 2024)

Lysistrata in Teheran 2023

Scharia und die Kunst. In Iran müsse Kunst immer genehmigt werden und den Scharia-Gesetzen entsprechen. Das betrifft das Zeigen von Weiblichkeit, was vor allem ein Verdecken ist. So möchte denn der Filmemacher Ayat Najafi in Teheran filmen und nicht gegen die Gesetze verstoßen.

Das zeitigt nicht nur erfreuliche Folgen. Denn er will auch seine Protagonisten, die ihr Gesicht nicht öffentlich zeigen dürfen, nicht verraten; das bedeutet, dass viel Footage nur bis etwa einen halben Meter über der Erde reicht, höher durfte die Kamera nicht gehen.

Man sieht Füße, Schuhe, von Frauen Männern. Oder Gesichter nur angeschnitten, nur in nicht identifizierbaren Ausschnitten. Man sieht sie im Stadtverkehr von Teheran. Und man sieht sieht in leichten Trainingshosen, barfuß oder in Strümpfen in einem Übungsraum in einem abgedunkelten Appartment Tanzschritte machen.

Auf der Tonspur wird das Lysistrata-Thema eingeführt. Es geht um den Aufstand der Frauen im alten Griechenland, die sich ihren Männern so lange verweigern wollen, bis sie mit ihren doofen Kriegsspielen aufhören.

Der Film ist eine Collage aus heimlich in der Öffentlichkeit gemachten Filmaufnahmen, aus schariakorrektem Mitschneiden von schariainkorrekten Theaterproben, aus Archivfootage von der Revolution der Frauen, aus anonymisierten Berichten von den Demos und auf der Tonspur der Entwicklung des Theaterstückes Lysistrata sowie Diskussionen über Sinn und Unsinn des Projektes.

Der Film wechselt von Farbe zu Schwarz/Weiß und umgekehrt.

Die Fixierung der Kamera auf die Beine macht einem allerdings auch klar, wie sehr wir in unserer mitmenschlichen Wahrnehmung gesichtsfixiert sind.

Im Probenprozess wird diskutiert, dass die Aufführung eine Aufarbeitung der auf den Tod von Masa folgende Revolution sein soll, es wird diskutiert, dass es eine Komödie sein soll, weil tragische Ereignisse tragisch zu verarbeiten wenig bringe.

Lysistrate als Modern-Dance-Performance. Die Schauspieler müssen sich nicht mehr als Schauspieler, sondern als Freiheitskämpfer sehen, andererseits ist es die Diskussion, ob man als Theatergruppe mit einem Stück, das nur wenige Leute sehen werden, überhaupt etwas erreichen kann, geschweige denn, ein revolutionäres Ziel. Eine Grundsatzdiskussion der Kunst nicht nur im Iran.

Auch das Filmmaking selbst wird thematisiert, der Freund, der aus Deutschland anreist, der die anonymisierten Aufnahmen macht; der Film, der erst am Schneidetisch entstehen wird, wenig mit O-Ton, sondern mit oft drübergelegtem Ton. Das bewirkt einen gewissen kunstgewerblichen Touch, wenn die politischen Umstände so gravierend praktisch in jedes einzelne Bild hineinregieren oder in jedem einzelnen Bild reflektiert werden. Aus den anonymisierten Credits ist selber ein Kunstwerk mit vielen roten Balken gemacht worden.

Tatami (Cinema Iran 2024)

Drastisch aufgemotztes Opportunismus-Bashing

anhand einer Judo-WM in Georgien und der Teilnahme der iranischen Frauenmannschaft.

Opportun wäre es für den iranischen Star Leila Hosseini (Arienne Mandi), nicht bis ins Finale zu kommen, um auszuschließen, dass sie dort auf die israelische Favoritin trifft; so ein Finale mit dem Todfeind wäre gegen die Staatsraison der Mullahs.

Leila reist mit ihrer Trainerin Maryam Ghanbari (Zar Amir Ebrahimi) an, die selber eine Topkämpferin war, aber bei der Meisterschaft in Seoul verletzungsbedingt aufgegeben hat. Maryam sieht das Talent ihres Schützlings und pusht sie so gut sie kann. Das führt zu glänzenden Erfolgen in den ersten Runden.

Zuhause im Iran verfolgt die Familie den Kampf, der dort am Fernsehen gezeigt wird, ihr Mann, ihr Bub, ihre Eltern, Freunde und Verwandte. Wie Leila eine Runde nach der anderen gewinnt, werden die Anrufe von Funktionären des iranischen Regimes mehr, auch von den begleitenden Sportfunktionären, es reiche jetzt, sie solle sich verletzungsbedingt aus dem Wettkampf zurückziehen.

Leila hat aber einen guten Lauf. Sie will Gold gewinnen. Somit stürzt sie sich in einen fatalen Konflikt; denn es ist klar, wenn sie sich nicht opportun verhält, wird der Mechanismus der Sippenhaft in Gang kommen.

Vorsichtshalber rät sie ihrem Mann schon mal zur Flucht mit dem Buben. Die Warnung für die Eltern, die kommt zu spät. Deren Schicksal wird dann weiter nicht verfolgt.

Die Vorgänge um Leila bleiben der Rennleitung nicht verborgen. Stacey (Jaime Ray Newman) und Jean Claire Abriel (Nadine Marshall) fangen an, sich um Leila zu kümmern, sie auf ihre Rechte aufmerksam zu machen, darauf, was Verstöße gegen die Wettkampfregeln sind.

Drastisch wirkt der Film von Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi nach dem Drehbuch von Guy Nattiv und Elham Erfani gleich mehrfach. Die Musik ist absolut drängend und Nachdruck gebend. Der Film ist in hartem Schwarz-Weiß fast ohne Zwischenstufen, also hier gut, da böse. Denn es gibt in solchen Fällen keine Zwischenlösungen. Entweder gewinnt Leila und dann verliert sie das Wohlwollen ihres Landes und der es beherrschenden Geistlichkeit oder sie lässt sich auf den faulen Zauber des Ausscheidens ein, erhält sich das Wohlwollen des furchtbaren Regimes, verliert aber ihren Selbstrespekt. Sie muss sich also klar entscheiden.

Es ist ja nicht so, dass dieser Opportunismus-Mechanismus nur im Iran vorkäme, hier ist es vielleicht nur leichter, ihn so drastisch darzustellen, der Mechanismus ist einem doch, zumindest wenn man da und dort ins Leben bei uns hineingerochen hat, nicht vollkommen fremd.

Shahid (Cinema Iran 2024)

Kino begriffen als Beschreibung eines Bewusstseinszustandes,

als eines Streams of Consiciousness, hier der Migration, der posttraumatischen Belastungsstörungen und als Zeitreise über mehrere Generationen, Kino begriffen als essayistisches Tool zur Konfrontation mit dem eigenen Ich, der eigenen Geschichte und des eigenen Künstlertums.

Im Film von Narges Kalhor, die mit Aydin Alinejadsomeeh auch das Drehbuch geschrieben hat, darstellen lässt sie sich von Baharak Abdolifard, geht alles über- und durcheinander. Sie will ihren Namen wechseln, da sie sich nicht mit „Shahid“ identifizieren will, dem Urururahn (Nima Nazarinia), der vor über 100 Jahren ein Märtyrer gewesen sein soll. Sie stößt an die bürokratischen Hürden, das erinnert an den Bürokratie-Satire-Film Irdische Verse. Es ist aber der Bürokratismus des KVR in München.

Was ist wahr, was ist Kulisse. Viele Szenen spielen ganz offensichtlich in einer Filmstudiokulisse, aber die Zeiten verschwimmen, Passanten gehen rückwärts. In die Zeit hinein drängt eine Gruppe geistlicher in langen Gewänder. Es ist eine Tanzgruppe. Erinnert an den Tanz der Derwische.

Die Lokalitäten sind die erwähnte Filmkulisse, eine Wohnung, das KVR mit einer Angestellten (Carin Huber), ein Theater, hier wird die Geschichte als Moderation vor farbfrohem Prospekt erzählt, es gibt Wischer aus dem modernen München, eine Bar.

Es gibt eine Szene beim Psychologen (Thomas Sprekelsen als Ribbentrop). Die ist nötig für die Namensänderung, die Shahid beantragt. Er wiederum findet, dass viele Sitzungen nötig seien. Immer taucht wieder die Tanzgruppe auf.

Die Protagonistin liegt anfangs nackt in Uterus-Stellung mitten innerhalb der Tänzer. Poesie stimmt den geistigen Akkord der Verlorenheit an, des Identitätsproblems, mittendrin zu sein und doch nicht, doch woanders zu sein.

Und immer wieder wird die Drehsituation reflektiert, die Regisseurin hört sich ein Tonstück an, während sie sich mit dem Geschichtenerzähler (Saleh Rozati) auf der Bühne sitzend unterhält oder Regieanweisungen für die nächste Szene gibt. Zwei Puppen sollen da stehen, wollen aber nicht so recht.

Es wird mit raffinierten Mitteln gearbeitet. Eine Projektordrohne soll Film auf die Gewänder der Darsteller werfen. Überschneidungen auch so möglich mit der Geschichte, gar mit Archivmaterial aus dem Iran. Aber auch hier kommt Polizei ins Spiel, holt eine Familie von Asylsuchenden ab. Die Erinnerung an Zirndorf wird wach beim Besuch eines Imbisses.

Es ist ein Film, der Culture Clash und individuelle Identitätsfindung wie eine Kunstaktion formuliert. Autodokufikitonal.

Iranerinnen scheinen gerne ihre Herkunftsproblematik und den damit einhergehenden Culture-Clash filmisch zu verarbeiten, so hielt es auch The Persian Version.

Celluloid Underground (Cinema Iran 2024)

Kino als Heimat –
„You’ll vanish into the screen of secrets“ Omar Khayyam

Das verbindet den Filmemacher Ehsan Khoshbakht, den Autor und Regisseur dieser Dokumentation, mit seinem Protagonisten Ahmad Jorghanian, dessen Tod der Anlass für diesen Film gab, dass das Kino für beide eine Art Heimat geworden ist, während der Iran, ihre administrative Heimat, diesen Begriff nicht mehr verdient.

Der Filmemacher ist ausgewandert nach England und sein Protagonist ist nach der iranischen Revolution von 1979 in seine filmische Heimat abgetaucht. Er rettet, da das Kino immer weniger gern gesehen ist im Iran, in den Untergrund, was zu retten ist an Boxen mit Celluloid-Rollen. Dafür geht er mehrfach ins Gefängnis, weil die Mullahs alles an Film vernichten wollten.

Diese Hommage an den passionierten Filmsammler und -retter verbindet Ehsan Khoshbakht mit einem Rückblick auf seine eigene Kinogenese, wie er als kleiner Bub von einem einzigen „frame“ aus einem Film angefixt war, wie er diesen projizierte und später ganze Filme zeigte.

Der Dokumentarist ist nach der Revolution geboren. Es gab also kaum noch Kinos, Liebesszenen fielen der Zensur zum Opfer. Es gab aber Fernsehen und auch Videokassetten.

Der Dokumentarist baut seinen Film zusammen aus einem aparten Mix aus illustrierendem Found- als auch Archiv-Footage, dieses sowohl zeitgeschichtlich als auch aus der Filmgeschichte, aus nachgedrehten Szenen als Reenactment, aus Schnipseln vom heutigen London und Erinnerungsstücken darin an Hitchcock.

Angesichts all der illustren Namen, wie John Huston, Chaplin, Fellini, Truffaut, die zitiert werden mit Filmausschnitten, fragt man sich schon, was die iranische Geistlichkeit bewegt, solch eine Panik vorm Kino zu schieben.

Vom vormaligen nordkoreanischen Diktator war bekannt, dass er ein Kinofan war und sogar sein eigenes Kino hatte, wenn er auch die Filme seinem Volk vorenthielt. Wer weiß, vielleicht hat die im Iran herrschende Geistlichkeit längst ein kleines Kino im Regierungsviertel eingerichtet, so versteckt, wie Ahmad seinen Filmschatz ihrem Zugriff entzogen hat.

Achilles (Cinema Iran 2024)

Mensch und System

Systemsprenger gibt es allerorten, weil Systeme Menschen einengen, jedes System auf seine Art.

Im Film von Farhad Delaram, der im Abspann gar nicht erst so tut, als ob der Film für den Hausgebrauch im Iran gemacht sei, sind Farid Achill (Mirsaeed Molavian) und Hedieh (Behdokht Valian), inszeniert als ein Kinotraumpaar, wie man es sich nur wünschen kann, die mit dem System, für das symbolisch die Wände (die reden oder horchen, wie man es nimmt) stehen, die Nicht-Angepassten, die Nicht-Anpassungfähigen oder die sich nicht anpassen wollen. So sind die Konflikte vorprogrammiert.

Farid, der eigentlich Filmemacher ist, hat alles hinter sich gelassen, Familie, Job und arbeitet in der Orthopädie-Abteilung eines Krankenhauses. Die Alternative wäre gewesen, auszuwandern. Oder in seinem Job, den er, wie er offen gesteht, dank Vitamin B durch einen Freund, der Arzt ist, bekommen hat, unauffälig zu bleiben, sich im System einzurichten.

In der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie trifft er auf die Patientin Hedieh. Die braucht eine Schiene für den Arm, denn sie hat sich eine Verletzung zugezogen, weil sie ständig gegen die Wand geschlagen hat. Ihre Begründung und die ihrer Zimmermitbewohnerin, die Wände würden ständig reden.

Seinen Nonkonformismus beweist Achill, indem er über die Wände Klebband klebt, eine filmisch gut erinnerliche Aktion, die beiden Patientinnen beteiligen sich daran. Hedieh hat als Mensch sein Interesse geweckt. Es muss dieses Systemsprengerische sein, das er in ihr spürt. Er überredet sie zur Flucht. So kommen die Roadmovieelemente in Gang.

Es gibt eine Zwischenstation bei Achills Vater, der ihn das erste Mal umarmt und der selber eine Migrationsgeschichte hinter sich hat. Die Geschichte von Hedieh wird nach und nach aufgeblättert oder von Farid recherchiert, es gibt ja heute Internet.

Von der Stadt wechselt der Film aufs Land in die Nähe vom Meer. Idylle pur ist das leerstehende Haus von Oma, das vorerst als Zufluchtsort dient. Denn längst sind die Häscher hinter ihnen her. Aber auch da zeigt sich, dass das Korn des Systemsprengertums noch nicht ausgestorben ist. Auf so einer Flucht finden sich immer auch überraschende Helfer.

Mit minamlinvasiver Kamera bringt der Filmemacher uns die Geschichte, die weit über simple Kritik an einem totalitären, schariagesteuerten System hinaus geht, für das große Kino näher, anknüpfend an die Tradition weltbekannter iranischer Filmemacher wie Abbas Kiarostami, Farah Pahlavi, Asghar Farhadi, Mohsen Makhmalbar, Mohammad Rasoulof.

Der Filmemacher selbst lässt seinem Double eine Verbitterung zuschreiben, wobei dessen faszinierendes Spiel eher das eines Zweiflers ist, der an Gott sowieso schon lange nicht mehr glaubt. Dagegen singt ein Chanson vom Glück mitten im Film an.

Es gibt ein paar raffinierte Kunstkniffe, einmal ziehen die Träume Farid aus dem Bett, ein ander Mal wird am Meer ein Film auf eine Leinwand projiziert, in dem eine Frau mit dem Säbel gegen die Gischt ankämpft.

A Cooler Climate (internationale hofer filmtage 2023)

Das Paradies auf Erden,

damit ist Kabul, sind die Gärten gemeint, die Babur dort hat anlegen lassen. So in etwa steht es sinngemäß auf dessen Sarkophag, der in Kabul aufgebahrt ist. So dürfte es inhaltlich auch in der Baburama stehen, der vermutlich ersten Autobiographie. Sie stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert.

Sie dient auch James Ivory, der diesen selbst autobiographischen Film mit Hilfe von Gil Gardner verfertigt hat, als ein Schlüssel zum Phänomen Afghanistan. Dieses hatte er 1960 für mehrere Monate besucht, um einen Dokumentarfilm fertigzustellen. Ein Grund und Anlass dafür war, dass sein amerikanischer Auftraggeber, für den er einen Film in Indien drehte, den Wunsch nach einer Dokumentation aus einem weiteren Nachbarland geäussert hat.

Für Afghanistan, für Kabul hat sich James Ivory aus einfachen klimatischen Gründen entschieden, weil es dort so mäßig ist. Gleichzeitig wundert er sich, dass er nur eine Stunde sich von Kabul entfernen müsse, um an einen Ort zu kommen, wo es nie schneie oder zwei Stunden, um an einen Ort zu kommen, wo ewiger Schnee liege.

Das Kabul, was James Ivory 1960 vorgefunden hat, war aber alles andere als paradiesisch. Es erschien ihm so, als habe sich seit den Beschreibungen Baburs nichts geändert, als sei das Land seither stehen geblieben. Und gefährlich dazu, wenn er mit dem Jeep es bereisen wollte.

Allerdings haben da bereits Russland als auch die USA Interesse an dem Land gezeigt; die Russen haben einen Staudamm gebaut, die USA eine Autostraße zum Khyber-Pass.

Der Film ist gleichzeitig ein Rückblick auf das Leben des Filmregisseurs, der in einer ansehnlichen Villa lebt, vermutlich geerbt von seinem Vater, einem Holzfabrikanten/Holzhändler in Oregon, der Hollywoods Bühnenauer mit Holz belieferte.

In dieser Villa schaut der inzwischen über 90-Jährige Fotsoammlungen durch, tippt auf einer elektrischen Schreibmaschine mit dem Zweifingersystem Texte, hat vor sich auf einem Großbildschirm die Afghanistanbilder; reflektiert sein Leben, in dem seine sexuelle, gleichgeschlechtliche Orientierung früh klar war und offenbar auch keine weiteren Probleme verursacht hat, ja, die sogar zur fruchtbaren persönlich-künstlerischen Partnerschaft mit Ismail Merchant geführt hat.