Archiv der Kategorie: Kurzfilm

Je veux déguster – Taste Life (internationale hofer filmtage 2023)

Dieser unstillbar Hunger nach Leben

Man könnte Bunuel im Hinterkopf haben.

Antonin (Léo-Antonin Lutinier, der auch der Regisseur und Drehbuchautor ist) will sich nicht mit einem Leben in Routine, in vorgegebenen Bahnen, im strengen Korsett des Benimms, mit der Abgeklärtheit der Erwachsenenwelt zufrieden geben, er will in keiner Weise aufgeben und sich geschlagen geben von den Verhältnissen der menschlichen Überlebensorganisation.

Aber Antonin möchte auch Liebe, möchte mit seiner Freundin Sarah (Sarah Le Picard) zusammensein ebenso wie mit seinem Freund Seb (Sébastine Pouderoux); dieser ist Schauspieler. Andererseits ist es für die beiden konventionellen Mitmenschen schier nicht machbar, mit Antonin, der keinerlei Benimmregeln und Konventionen anerkennt, es auszuhalten. Er tanzt mitten auf der Straße einen Grotesktanz oder geht in endloser Zeitlupe über einen Fußgängerüberweg, sein ganzes Leben scheint eine einzige Performance ohne Rücksicht auf keinerlei Verabredungen.

Wenn Antonin den Impuls hat, mit Seb zu reden, weil Sarah sich von ihm trennen will, so ist ihm egal, ob dieser mitten in einer Theateraufführung auf der Bühne steht. Antonin ist eine Art Systemsprenger und für diese gibt es im Funktionalismus-Diktat unserer Gesellschaft nur einen Ort und das ist die Psychiatrie, wie diese unterhaltsame filmische Studie von 25 Minuten zum Thema Anpassung zeigt.

Im Traum sind alle Quallen feucht (internationale hofer filmtage 2023)

Die unausgesprochenen Träume

Der Titel dieses 27-Minüters von Marie Luise Lehner ist vielleicht kühner, als was sich ihre Sauna-Protagonisten in dieser ironisch-süffisanten Betrachtung des Sauna-Lebens trauen.

Sowieso ist erst mal alles geregelt. Das nimmt die Filmemacherin gewissermaßen in Überbetonung auf die Schippe. Wie sich die Saunagänger vorzubereiten haben, was an Hygienevorschriften zu beachten ist, wie ein Saunagang abzulaufen hat, Umgang mit Nacktheit und Badetüchern.

Die Saunagänge hier werden erschwert dadurch, dass es Leute aus Brasilien gibt, die nur Portugiesisch sprechen. Das erfordert allerlei Mimik, besonders wenn es um die Anmache geht. Die findet natürlich mehr oder weniger subtil statt, auch das wohlwollende Betrachten der anderen Saunagänger.

Es gibt überraschende Paarungen, das Darsteller-Personal ist divers. Und das Ende ist nicht das Ende, das ist nur das Ende der regulären Saunazeit; dann kanns weitergehen ohne die Vorschriften; in der Beschreibung dessen, was – wild – folgt, bleibt die Regisseurin aber lächelnd zurückhaltend. Schließlich passieren die Dinge in der Fantasie, auch die Quallen.

Siehe demnächst auch den Film „Smoke Sauna Sisterhood“, einer Dokumentation über einen skandinavischen Frauensaunabrauch, der Weltkulturerbe sein soll.

Der Tod der Stille (internationale hofer filmtage 2023)

Todeshumorig

Wow, was sich in 23 Minuten für Welten auf die Leinwand projizieren lassen, welch Grenzweg zwischen Leben und Tod beschreiten.

Überhaupt scheint der Tod junge Fimemacher wieder mehr zu beschäftigen. Kürzlich im Kinofilm Sophie, der Tod und Ich, da vielleicht etwas zu sehr im mittelalterlichen Mysterienspiel hängen geblieben.

Sascha Fersch, und man glaubt es kaum, unter öffentlich-rechtlicher Fernsehredaktionsobhut, Claudia Gladziejewski, gibt dem Tod ein frisches Gesicht, lässt das Schwarz-Weiß seines Ausstattungsfestes von Labor oder seiner Zentrale leuchtend hell erstrahlen, erinnert in seinem ersten Gang an Nosferatu, der großartig stumme Götz Otto mit der Todesmaske und dem schwarzen Umhang.

Es gibt ein Leben jenseits, eines in Farbe, durch seine Lupe kann der Tod die Details in Farbe sehen. Er ist unterwegs in mittelalterlichem Gemäuer oder am Lilienberg in München auf der Suche nach seiner Ernte.

Der Tod kann mitten ins Leben reinplatzen. Junge Mädels feiern unbeschwert und in Farbe einen Geburtstag. Sie wollen mit dem Auto noch wohinfahren. Crash. Die Stunde des Todes. Anna (Mira Huber) schafft es irgendwie in die Zwischenwelt – die der Film dadurch andeutet, dass sie in Realzeit über eine Autobahnbrücke geht, während die Autos darunter im Zeitrauffer nur Schatten abgeben. Sie sucht die Freundin. Die ist schon auf dem Friedhof.

Sascha Fersch scheint voller Lust und mit dem entsprechenden Sound-Design die Möglichkeiten des Kinos für Zwischenwelten und Jenseitswelten ausloten zu wollen, mit ansteckendem Kinofieber.

Cornetto im Gras (internationale hofer filmtage 2023)

Absurdes Österreich

So etwas wie inkontinenter Alltag irgendwo in Österreich (wenn einer Hochdeutsch spricht, wird er angeherrscht, doch Deutsch zu sprechen).

Ein Alltag mit Lücken und Unerklärlichem, ein Alltag mit Zusammenhangsdefiziten. Ein Würstelbudenbetreiber, der mit seinem dementen Opa fuhrwerkt. Ein entlaufenes Pferd. Eine Frau die nachts am Würstelstand am Rand eine Fußballfeldes ein entlaufenes Pferd sucht. Die Frage, ob man Tiramisu mit Ei macht. Das Muffins-Thema am Würstlstand.

Österreich Absurdistan. Menschen, die glotzen. Menschen, die andere beobachten. Menschen, die einen Mixer besorgen, damit aus dem Eigelb – was denn? – etwas geschlagen wird. Eine Spinne, die schon 17 Jahre in einem Terrarium wohnt und versorgt werden will.

Es ist garantiert kein TV-Realismus, den David Lapuch in seinem 30-minütigen Film so als ob ein Zusammenhang bestünde auf die Leinwand bringt, ein Ministück Österreich wie aus einem Terrarium zeichnend.

Und das Cornetto, was im Gras landet, kommt selbstverständlich auch vor, egal was Symbolleser daraus interpretieren mögen.

Auswildern (internationale hofer filmtage 2023)

Die wilden Pferde

In diesem 17-minütigen Film von Eveline Schönfeld werden wilde Pferde, von denen manche gar nicht wissen, dass es sie noch gibt, dem jungen, mit Hilfe von KI durchorganisierten, optimistischen Life-Style einer neuen Yuppie-Generation (oder heißt der modische Begriff Generation Z?) gegenüber gestellt.

Bild einer Generation, die nach Orientierung sucht in all den Liebes- und Künstlerkarriereunsicherheiten innerhalb des modernen IT-Korsettes.

Die Bilder wären gut für ein Life-Style-Magazin. Die wilden Pferde als Symbol einer durch das hier dargestellte Leben nicht zu stillenden Sehnsucht.

Als er ein Stein war (internationale hofer filmtage 2023)

Trauma Kinderstar

Kinder können im Film so schön sein, so süß, so bewegend sein. Aber irgendwo verursachen sie einem doch immer auch ein Grummeln im Magen. Es ist ja auch so leicht mit Kindern im Film zu punkten, genau so wie mit Tieren …

So stellt sich immer auch die Frage, ob man die Kinder namentlich in der Kritik erwähnen soll. Manchmal sind es ehrgeizige Eltern, die die Kinder direkt auf die Leinwand treiben. Wie gehen die Kinder nicht nur mit der Berühmtheit, sondern auch mit dem Geld um?

Kürzlich hat die Dokumentation The most beautiful Boy of the world das Schicksal des ehemaligen Tadzio-Darstellers aus dem Welterfolg Der Tod in Venedig beleuchtet.

Kinderstartum kann das Leben eines Menschen verändern, auch zerstören. Dieses Themas hat sich Daniel Holzberg, der mit Svetlana Belesova auch das Drehbuch geschrieben hat, in seinem halbstündigen Film angenommen und gezeigt, dass es wert wäre, noch intensiver untersucht und beleuchtet zu werden. Es ist schon eine ethische Frage, diese Kinderarbeit als Kinderstar.

Dem ehemaligen Darsteller des wundersüßen Knaben Thani in einem Breitleinwand-Epos geht es im Erwachsenen-Alter (Sebastien Griegel) nicht unbedingt gut. Immer noch lebt er bei seiner Mutter (Jule Ronstedt). Sie will die Herrschaft über ihn nicht loslassen.

Er wird in die Öffentlichkeit gezerrt, ist krank, schluckt Pillen, studiert die Tataren und Filmschnitt, eine Beziehung hat er nicht und sein Blind Date wird ihm durch den Nachruhm auch wieder versaut.

Eine Lösung für das Problem Kinderarbeit im Film scheint es nicht zu geben. Filme ganz ohne Kinder, das wäre doch auch furchtbar; aber ob die Erwachsenen, die Kinder im Film einsetzen, wirklich die ganze Verantwortung dafür übernehmen, das ist eine andere Frage. Meist ist es doch Kinderexploitation und die Fälle des nahtlosen Überganges vom Kinderstar zum Erwachsenenstar gelingt doch eher selten, wie Exemplum zeigt.

Lake of Dreams (beim Open Air Kino des Fünf Seen Fimfestivals)

Klassisches Ballett in freier Natur, im Wald und am See

Zur Piano-Begleitung auf einem Floß (Axel Werner). Klassischer Paartanz. Die Tänzerin (Melissa Chapski) im leichten, roten Kleid dreht ihre Pirouetten auf einem Holzsteg im Abendlicht.

Der Mann (Sava Milojevic) steht im weißen Anzug auf einem Stumpf im Dschungel. Erst bleibt er wie festgeklebt, versucht sich wegzubewegen in riskanten Schräglagen, Nachwuchstänzer umgarnen ihn am Sockel.

Dann schafft er es, sich loszueisen, rennt leichtfüßig durch das Grün, findet den Steg, irgendwie denkt man an die Bären und Wölfe, die sich in unseren zivilisationsdurchtränkten Wäldern auch finden. Er rennt dem Steg und der Abendsonne entgegen.

Über den See stakst ein Gondoliere mit seiner Gondel ohne Liebespaar. Aber auf dem erweiterten Steg umtanzt sich das Paar. Dann nimmt es Platz auf zwei vorbereiteten Sesseln, blickt in die untergehende Sonne am bayerischen Wörthsee.

Ein leicht beschwingtes Sommer-Tanz-Abenteuer. Könnte gedacht sein als Werbung für Schmuck, Luxusuhren oder Eheringe, als Werbung für ein Leben im Glück. Für Inszenierung und Produktion dieses Kurzfilmes stehen Axel Werner & Friends.

Interview: Ein paar Fragen an Nicolas Cassardt (und Philipp Klett)

In Deutschland ist Filmkünstlertum weitgehend Untertanentum, da, wer von Filmkunst leben will, auf die Gunst von weisungsgebundenen Redakteuren und Förderern angewiesen ist. Insofern ist in Deutschland ein filmisches Nachdenken über Künstlertum – außerhalb des Genres der Künstlerbiographie -, wenn vielleicht nicht tabuisiert, so doch immerhin ungewöhnlich.

Einer der Nachwuchsfilmer, der noch nicht in die Fördermangel genommen wurde, hat nun gerade das gemacht, sich mit dem Künstlertum am Beispiel der Malerei auseinandergesetzt im Kurzfilm „Große Kunst“. Der junge Filmemacher heißt Nicolas Cassardt und sein koproduzierender Kameramann ist Philipp Klett. „Große Kunst“ ist ein Schauspielerfilm, ein Ensemblefilm, der eine erfolgreiche Festivalreise verbunden mit einem schönen Preisregen absolviert hat.

„Große Kunst“ spielt in einem Malatelier und kann interpretiert werden als ein Statement der Filmemacher, dass sie sich Großes zutrauen, dass sie aber einen Plan B haben, für alle Fälle, wobei der Plan B dann, gottseidank, doch wieder in Frage gestellt wird. Es geht um künstlerische Ambition und Hybris, aber auch um Talent und Können. Dazu bedarf es eines gewissen künstlerischen Wahnsinns, den transportiert am extrovertiertesten Michael Jamak als Frank, der sich herrichtet wie Salvador Dali. Ein Zitat von Vincent van Gogh gibt den ambitionierten Malern Power: „Wenn du eine innere Stimme hörst, die sagt: ‚Du kannst nicht malen‘, dann male auf jeden Fall, damit diese Stimme zum Schweigen gebracht wird“.

Das neuestes Werk von Nicolas Cassardt und Philipp Klett ist ein dreiviertellanger Film, ein pfiffig gemachter Mystery-Thriller mit Witz und Tiefgang, „Ihr letzter Coup“, der anfangs März im Kino Neues Rottmann in München begeisternde Premiere hatte.

Hier zu den Fragen und Antworten:

Warum ein Kurzfilm?
Ein Kurzfilm ist die ideale Spielwiese für junge Filmemacher. Man muss nicht so viel Geld wie bei größeren Produktionen investieren, die Anzahl der Drehtage ist überschaubar und man findet leichter SchauspielerInnen und Crewmitglieder, die sich auf das Projekt einlassen. Gleichzeitig bietet die zeitliche Beschränktheit in der Erzählweise wiederum kreative Limitationen, die mich zu einer konkreten Geschichte inspirieren. Was kann ich erzählen, das vom inszenatorischen Aufwand und den Kosten her noch im Rahmen unserer Möglichkeiten bleibt? Ist es ein Kammerspiel, ein Psycho-Thriller mit mehreren Locations oder etwa ein Traumszenario mit einem aufwändigeren Szenenbild? Das alles fließt in die Vision mit ein, wenn ich ein Drehbuch schreibe. Das wirklich Herausfordernde ist meines Erachtens die Figurenpsychologie. Wir wollen Figuren sehen, die markant sind, sich einem Konflikt stellen und sich dabei weiterentwickeln. In Kurzfilmen kann man den eigenen Figuren teils nur bedingt Raum zur vollen Entfaltung geben, das finde ich manchmal etwas unbefriedigend. Das Gleiche gilt ja für ihre literarischen Pendants, für Novellen und Kurzgeschichten.
Darum ist die zentrale Frage bei der Produktion eines Kurzfilms: Widmet die filmische Erzählung eher dem Plot oder ihren Figuren die meiste Zeit?

Warum das Thema (also das von Große Kunst)?
Das ist schon eine seltsame Entstehungsgeschichte. Mein Kollege und guter Freund Philip Klett wollte mich mit einer Aufgabe kreativ anregen. Ich sollte mir eine Geschichte ausdenken, in der eine Person schreien will, es jedoch aus irgendeinem Grund nicht kann.
Die Idee für die Aufgabenstellung kam ihm durch ein Gespräch mit einer Bekannten, die Lust hatte, sich schauspielerisch einmal auszuprobieren. Ich weiß nicht mehr, wie sie genau auf so ein absurdes Setting kamen, ich machte mich jedoch gleich daran, mir einen passenden Plot dazu zu überlegen. Dabei dachte ich an Modelle bei Malkursen, die in unterschiedlichen Posen lange stillhalten müssen, um gezeichnet zu werden. Das ist schon eine ermüdende, stumpfsinnige Arbeit. Was aber, wenn auch noch die TeilnehmerInnen des Kurses allesamt ziemlich unbegabt sind? Es ist dann doppelt ärgerlich, wenn man als Ergebnis schließlich so ein Gewurschtel vor die Nase gehalten bekommt. Das fand ich ganz lustig als Ausgangslage für den Film. Außerdem amüsieren mich alle Formen der Kleinkunst, seien es schlechte Laientheater, Trashfilme oder eben stümperhaft gemalte Bilder. Da ist die Diskrepanz zwischen Schein und Sein sehr groß und es wirkt fast immer komisch, wenn Menschen ein verzerrtes Selbstbild haben. Es braucht ja auch eine gewisse Hybris, zu sagen: „Ich mache jetzt Kunst. Nehmt mich bitte ernst.“ Die Figuren in Große Kunst sind größtenteils sehr eingebildet, versponnen und merken nicht, wie schlecht ihr handwerkliches Können und wie platt ihre künstlerischen Einfälle sind. Sie vertreten denke ich eher die Haltung, dass alles subjektiv ist und ihre Kunst daher nicht nach objektiven Maßstäben beurteilt werden kann. Wieso sich also nicht in eine Reihe mit Pablo Picasso, Salvador Dalí oder Frida Kahlo stellen, wenn es vermeintlich kein besser oder schlechter gibt? So eine überhebliche, tendenziell esoterisch-postmoderne Haltung ist mir auch teils in meinem Studium der Theaterwissenschaft an der LMU begegnet und ich hatte Lust, sie ein bisschen aufs Korn zu nehmen. Mit Große Kunst haben wir definitiv keinen Kurzfilm, der große Kunst sein will. Das ist ein kleiner, leichter Film, der auf hoffentlich unterhaltsame Weise das künstlerische Streben persifliert.

Wie stemmt Ihr das Projekt wirtschaftlich?
Philip und ich haben beide Geld in das Projekt gesteckt, um ein ordentliches Kostümbild, die Fahrt- und Übernachtungskosten der DarstellerInnen und die Miete zusätzlichen Equipments finanzieren zu können. Wir hatten keine Förderung und das wäre denke ich bei dem Projekt auch aussichtslos gewesen. Wir hatten Glück, dass wir tolle, passende SchauspielerInnen gefunden haben, die sich bereit erklärt haben, nur aus Spaß an der Sache in dem Kurzfilm mitzuspielen. Das ist wirklich ein Traum jedes Filmemachers und wir sind nach wie vor in gutem Kontakt mit ihnen. Das ist der Idealfall, wenn man für einen Kurzfilm begeisterungsfähige, lustige DarstellerInnen findet, die Spaß an ihrer Rolle haben und das Skript mögen. Ein Film steht und fällt mit der Besetzung. Wir haben Große Kunst auch nur an einem Wochenende in München gedreht, das heißt der zeitliche und monetäre Aufwand hielt sich zum Glück in Grenzen.

Wie habt Ihr die Schauspieler gefunden?
Wir haben über Crew United und Cast Forward Annoncen aufgegeben, die das jeweilige Rollenprofil und das Projekt beschrieben haben. Wir hatten tatsächlich auch insgesamt über 50 Bewerbungen für die sechs Rollen. Ich habe mit recht vielen gezoomt und es waren einige gute DarstellerInnen dabei. Wir haben aber nach richtigen Charakterköpfen gesucht, die obendrein noch eine Begabung im komischen Spiel haben. Da haben sich dann bald unsere Favoriten herauskristallisiert, die sich sofort in ihre Rollen hineingedacht haben. Marion Elskis zum Beispiel, die eine erfahrene Film- und Theaterdarstellerin ist, hat mich bei unserem ersten Zoom-Gespräch gleich mit einer aufgemalten Monobraue begrüßt, ganz ihrer exaltierten Figur entsprechend. Jürgen Höfle, der auch im echten Leben Künstler ist, empfing mich schon ganz im Malerlook mit roter Schiebermütze und Ralf Legat hatte auch gleich Ideen, wie das Kostümbild seiner Figur seiner Vorstellung nach auszusehen hätte. Michael Jamak, der eine Schlüsselrolle im Film hat, hatte sogar eine Idee für das Ende, die seiner Meinung nach mehr zu der Psychologie seiner egomanischen Figur passen würde. Wir haben schließlich tatsächlich die leicht veränderte Version des Endes im Film verwendet. Auch Jessica Cecilia de Jong und Hanna Decker haben ihre Rollen gut ausgefüllt und den Cast mit ihrem jeweiligen Naturell ideal ergänzt. Große Kunst ist letzten Endes – wenn auch im kleinen Stil – ein Ensemblefilm.

Was gibt es von der Festivalfront zu berichten?
Philip und ich sind mit Große Kunst erst so richtig in die Welt der Filmfestivals hineingewachsen. Wir haben den Kurzfilm bei vielen Festivals eingereicht, und als wir dann das erste Mal für eine Kategorie nominiert wurden, waren wir beide richtig aus dem Häuschen. Wir haben nun insgesamt bei neun Festivals in der Kategorie „Beste Komödie“ gewonnen, wurden bei einigen nominiert und sind bei einigen abgelehnt worden. Insgesamt ist das ein Erfolg, der uns als Filmemacher weiter anspornt, den wir aber auch nicht überbewerten. Es gibt enorme Qualitätsunterschiede bei Film Festivals. Als wir beim Best Istanbul Film Festival gewonnen haben, dachten meine Eltern erst, wir würden jetzt nach Istanbul geflogen werden, um bei der Preisverleihung live den goldenen Award entgegenzunehmen. Die traurige Realität war dann, dass wir ihn hätten kaufen müssen, nachdem wir ihn schon gewonnen hatten. Wir hätten dann auch die Versandkosten selbst zahlen müssen, um ihn in Händen halten zu können. Andererseits gibt es auch sehr schöne Wettbewerbe wie das Europäische Filmfestival Göttingen, wo unser Film ebenfalls lief. Da wurde uns zum Teil die Hinfahrt finanziert, das Hotel plus Frühstück und wir wurden auf sehr liebenswürdige, familiäre Weise in die gesamte Veranstaltung mit eingebunden. Das war ein großartiges Erlebnis und ein perfektes Setting, um einen eigenen Film das erste Mal auf der Kinoleinwand sehen zu können – ein magischer Moment für uns.
Bei den Vienna International Film Awards haben wir – obwohl wir Finalisten waren – die Veranstaltung wiederum vorzeitig verlassen, weil alles so scheiße war. Jede Kategorie hatte drei Stunden Verzögerung, Essen und Drinks waren sehr teuer und die ModeratorInnen waren bemerkenswert unlustig und langweilig. Der Abend hat sich wahnsinnig gezogen und wurde gleichzeitig inszeniert, als wären wir bei der jährlichen Oscarverleihung. Da sind wir wieder bei der Diskrepanz zwischen Schein und Sein.

Gibt es neue Projekte?
Wir haben am 04. März die Premiere unseres mit Abstand größten Projekts gefeiert: Ihr Letzter Coup. Ein fast 60-minütiger Heist-Thriller. Daran haben wir ein halbes Jahr gearbeitet. Den Film haben wir mit einer Crowd Funding Kampagne und einer gehörigen Portion Eigenkapital finanziert. Ich denke, neben unserem hohen künstlerischen und technischen Anspruch bei dem Projekt ist unsere größte Leistung einfach, dass wir den Film gemeinsam grundsätzlich zustande gebracht haben. Ich lehne mich nicht mal allzu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte es ist leichter, einen zweistündigen Spielfilm mit Produktionsfirma, Fördergeldern und einem großen Team zu drehen, als einen 60-Minüter zu zweit als Hauptverantwortliche mit einem sehr kleinen Team. Wir haben uns beide um die gesamte Organisation, das Casting, Location Scouting, die Finanzierung, die Verträge, Postproduktion die Vermarktung, Promo etc. gekümmert. Philip hat als Director of Photography außerdem die Kameraarbeit übernommen, ich die Regie und das Schreiben des Drehbuchs. Wir haben gegen so viele Widerstände ankämpfen müssen und sind ein so hohes finanzielles Risiko eingegangen, dass ich uns beide nun ohne Scham als Filmproduzenten bezeichnen kann. Manche Produzenten, die Absolventen einer Filmhochschule sind, mögen sich jetzt an den Kopf langen, aber das kümmert mich nicht. Wir sind mit der Produktion von Ihr Letzter Coup durch eine besonders harte Schule gegangen, dass ich uns einen abendfüllenden Spielfilm genauso zutraue. Der wird auch kommen. Jetzt gönnen wir uns aber beide erstmal Erholung nach dem ganzen Stress.

Türchen, Türchen

Türchen, Türchen öffne Dich, wer ist die Schönste im ganzen Land, oh, nein, falsche Baustelle, es ist Advent, in jedem Fenster ein Kerzlein brennt, Zeit für Adventskalender, Zeit für tägliche Überraschungen und es herrscht Kinoverbot im Lande. 

Aber das Kino lässt sich nicht unterkriegen, aus allen möglichen Spalten und Netztteilen lugt es heraus, spricht uns an. X-Filme hat seit erstem Dezember den Adventskalender 2020 hamlet_X von Herbert Fritsch online.

Herbert Fritsch persönlich, ein sympathischer, älterer Herr, hat die erste Kerze in einem kleinen Video angezündet. 

Egal, ob man die Aktivitäten von Herbert Fritsch kennt oder nicht. Er hat sei Januar 2001 Kurzszenen inszeniert und verfilmt in einer „smarten Kreuzung zwischen Monumentalfilm in gigantischer Besetzung und Low-Budget-Projekt“ (aus dem Werbetext von X_Film). 

Der Geist Hamlets habe sich in die Filme reingeschlichen. Jeden Tag gibt es einen neuen Clip. 

Am zweiten Dezember kämpft Christoph Schlingensief sich ab in einem Parforceritt zwischen Gynäkologen-Besteck, Ophelia und Hamlet. 

Vielleicht könnte man die Methode des Herangehens an so einen klassischen Stoff mit Destruktion im Sinne eine Neukomposition beschreiben, um die Kunst vorm Risiko des Ausleierns und des Erstarrens im Gebetsmühlenhaften zu bewahren.

Die Reihe der Filme von Herbert Fritsch sei noch nicht abgeschlossen. Aber die kurzen, anregenden, vielleicht auch verstörenden, manchmal womöglich auf Anhieb nicht gleich entzifferbaren Einblicke durch die Türchen des Adventskalenders dürfte mit Heilig Abend vorerst zu Ende sein. Dann fangen die Tage wieder an, länger zu werden. 

Ganze Tage Zusammen (MUBI)

Mamre-Patmos-Schule.

Wenn auch nicht als solches deklariert, ist dieser Kurzfilm von Louise Donschen, den MUBI als Gratis-Werbezückerchen verschenken lässt, ein Porträt der Mamre Patmos-Schule, einer Förderschule der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. 

Weit entfernt von einem Werbespot der üblichen Sorte, bedient die Filmemacherin sich filmischer Mittel im Grenzbereich zur bildenden Kunst. 

Die Einzelimpressionen, die ein wundersames Gesamtbild der Institution abgeben, könnten genauso gut für sich als Video-Ausstellungstücke in einer Galerie gezeigt werden. Sie beobachten Protagonisten bei individuellen Tätigkeiten, vom Nähen über eine ärztliche Augenuntersuchung, beim Schälen eines Granatapfels bis zum spaßigen sich an das Lenkrad eines Busses setzen oder Schlagzeugspielen, neben einem Haus auf einer Bank sitzen oder lässig die Beine baumeln lassen am Bach, vom Schwimmen in Schwerelosigkeit aber auch eine Szene mit einer Archivarin, die auf Bilder aus einer anderen Zeit verweist, ganz dezent. 

Die Porträts setzen sich wie Puzzles zusammen aus mit Bedacht herausgepickten Details von den Protagonisten selbst als auch aus ihrer signifikanten Umgebung, die einer ruhigen Betrachtung wert sind und ihr standhalten, denn die Bezüge, die sie herstellen, wirken nicht beliebig, sondern relevant.