Morsches Hollywood.
Dieses Buch ist nicht der Bericht einer Betriebsprüfungskommission so wenig wie einer Unternehmensberatung. Es ist ein skeptischer Befund aus vielfältigsten Quellen und Gesprächen, Begegnungen und Einsichten über die jüngeren Jahrzehnte der großen Hollywoodstudios Walt Disney Pictures, Lionsgate, Paramount Pictures, Sony, 20th Century Fox, Universal Pictures und Warner Bros.
Die Haupteinsicht von Philipp Koenig, dem Autor dieser Recherche und Betrachtung, ist die, dass es den Studios einzig und allein darum geht, Geld zu verdienen, dass es jedoch eine hochspekulative Industrie sei, die zwar immer wieder mit spektakulären Hits aufwartet, die in kurzer Zeit ein Mehrfaches des Investments in die Kassen spülen, die aber die regelmäßigen Flops lieber zu verschweigen versucht, produktionsmethodisch erstarrt ist und auf Nummer sicher geht. Eine Industrie, in der das Künstlerische zum Handlanger der Manager verkommen ist, die die Filme mutlos nach ihrem Gusto formen.
Es ist eine Industrie, die sich bequem in den Franchises einrichtet und durch die Unzahl von Sequels und Prequels und Spin-Offs längst sich selbst zu kannibalisieren droht (Kampf um die Starttermine). Gleichzeitig ist sie aber bei jedem neuen Projekt überzeugt, den ultimativen Hit zu landen. Eine Industrie, die auf billige Jahrmarktunterhaltung setzt, auf universell vermarktbares Vergnügen mit Superhelden ohne Tiefe, eine Industrie, die inzwischen kaum mehr Oscars, dafür umso mehr Goldene Himbeeren einsackt.
Hollywood ist eine Industrie, die gut in der Nähe des Glücksspieles angesiedelt werden kann, denn keiner kennt sich aus und schon gar nicht die Executives und CEOs, keiner kann den Publikumsgeschmack und die Publikumsneigung Jahre im Voraus erraten, keiner weiß, wie das Erfolgsrezept geht.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Verwertungskette (nach dem Kinostart die DVD- und anschließend die Fernsehauswertung) wegen dem Internet bröckelt. Hollywood will die Herausforderung nicht wahrhaben und haut stattdessen wie besinnungslos mit immer gigantischeren Budgets immer ähnlichere, mit Computeranimation überladene Produkte raus. Dazu setzt es immense Werbebudgets ein, denn das erste Wochenende sollte die Produktionskosten annähernd einspielen, weil die Mund-zu-Mund-Propaganda an Tempo gewinnt und wenn ein Film den Publikumsgeschmack nicht trifft, so kursieren die ersten Negativmeldung stante pede im Internet.
In Amerika gibt es für diese Industrie praktisch kein Wachstum mehr. Die einzige Chance für Wachstum liegt im Export, im Weltmarkt; aber der größte Zukunftsmarkt, China, zeigt sich zickig, will die Studios nicht die Werbung machen lassen und ist restriktiv, indem nur eine bestimmte Anzahl ausländischer Filme dort überhaupt einen Start bekommen.
Philipp König schreibt das hochspannend und hat weitläufig und mit vielen Quellennachweisen recherchiert. Hollywood ist viel morscher als der Hochglanz, mit dem es sich umgibt, ahnen lässt, mithin auf dem absteigenden Ast – dies ist meine Interpretation.
Eine Frage allerdings, die mich schon lange wundert, die wird hier nicht behandelt, das war wohl thematisch auch nicht beabsichtigt: wieso die Tentpoles (die Zeltstangen, an denen sich die Studios festhalten), also die Blockbuster der Hollywoodstudios, sich auf dem Deutschen Markt doch generell so gut halten und warum sie in der Presse in Relation zur dünnen Substanz der Filme so überproportional viel Platz bekommen. Das wäre eine eigene Untersuchung wert, die vielleicht einiges über lange gewachsene Vertriebsstrukturen und Beziehungen zu den Medien erzählen würde. Mich wundert es immer wieder, wie bei Pressevorführungen eines neuen Tentpoles ein massiv stärkerer Andrang herrscht als bei vielen anderen, deutlich interessanteren Filmen.
Das Buch ist selbstverständlich auch, wie Philipp Koenig es beabsichtigt, eine Einführung in die amerikanische Hollywoodindustrie und ein aufregender Praxisbericht über ungeahnt abenteuerliche Planungs- und Herstellungsmethoden.
Inhalt kompakt.
Über die Autorenschwemme und die Chancenlosigkeit, ein Buch loszuwerden, wie Lottogewinn. Schlecht bezahlte Reader- und Assistentenjobs; diese aber als Karriereeinsteig. Die problematische Stellung des Autors ganz unten in der Hierarchie, mit dem nach Belieben umgesprungen wird. Die Executives von den Business-Schools, die Bürokratien (inklusive Antwälte) und die (haarsträubenden) Folgen. Verheerende stoffunabhängige Eigendynamiken, die sich in die Stoffentwicklung einschleichen. Das x-fache Umschreiben von Drehbüchern als Absicherung gegen den Vorwurf bei einem allfälligen Flop, nicht alles versucht zu haben. Oder von der Degradierung der Autoren zu überbezahlten Ghostwritern (Zettel von den Executives). Vom verderblichen Einfluss der Drehbuchratgeberliteratur.
Warum Marktforschung, computerisierte Drehbuchanalyse und Testscreenings nicht wissenschaftlich sein können und keine besseren Vorhersagen erlauben als beim Würfeln (die Suche nach der Erfolgsformel). Daten sammeln ist eines, sie zu interpretieren ein anderes – oder von der Kontrollillusion resp. von Ritualen, die glauben machen, in die Zukunft sehen zu können und die Panik vor Innovation.
Finanzierung „eine Verbindung von degeneriertem Glücksspiel, Wunscherfüllung und magischem Denken.“
Über Einnahmequellen vorher und nachher und ab wann ein Film ein Geschäft ist für das Studio. Generell die Probleme der Kalkulation, da keiner weiß, wie das Produkt ankommen wird, da jeder Film ein Prototyp ist und lange vor der Premiere geplant werden muss. Eine Gewinn- und Verlustrechnung vor dem Verkauf sei in Hollywood reines Wunschdenken, was zu exorbitanter Kreativität in den Geschäftsbroschüren führt.
Über die chaotische Dynamik der Filmeinnahmen, dass er keine Leitwerte gibt, weil keiner was weiß und dass die Endabrechnung eines Filmes ein Geheimnis ist, was auch ein Problem ist für Mitarbeiter, die auf Profitbeteiligung arbeiten.
Problem der Nicht-Planbarkeit eines Hits; die historisch größten Hits seien der Fahrlässigkeit der Studiobosse zu verdanken. Marketing und Fernsehen (der 30-Sekunden-Trailer) als neu hinzukommende Einflussfaktoren. Der Zwang zum Erfolg am ersten Wochenende, die Werbemillionen und das Schreckgespenst Internet, das die Studios nicht mehr in der Hand haben.
High-Concept-Filme, Stars, Agenten und deren Killer-Instinkt. Blüte des Starsystems in den 90er Jahren, Package-System, Pac-Scripts und Drebhuchauktionen. Die Spezialeffekte als neue Stars, Franchises und Austauschbarkeit der Hauptdarsteller und dass Stars keine Garantie für Erfolg sind.
Probleme der Verfilmung von Videospielen (resp. der Entwicklung von Videospielen nach Filmen). Alternativlosigkeit der Franchises für die großen Studios, Tentpoles und die Monotonie der Effektenrekordjagd. Abnutzung von Wiederholungen und Remakes, von Sequels und Prequels, die aber gemacht werden, um möglichst kein Geld zu verlieren: „Die Eigentümer der Hollywoodstudios mögen keine Filme und träumen vom sicheren Wachstum“ (diese Eigentümer sind Investmentfonds oder eigenwillige Medienmogule).
Kino der Attraktionen, Spektakel, Bayhem und das unausgereifte 3D. Risiko der Tentpoles, zu einer Ökonomie zu führen, die nur Verlierer kennt. Das miese Geschäft VFX (Situation der VFX-Künstler oft prekär; von den Studios ausgenutzte Idealisten, ohne Gewerkschaften, ohne Verband, ohne Respekt von den Studios). Zunehmender Einfluss der Postproduktion und damit der Studios bei gleichzeitigem Schwinden des Einflusses des Regisseurs, der Arbeit am Set.
Über die Bedrohung der Hollywoodstudios durch das Internet. Erst bricht die DVD-Verwertung ein; die jungen Zuschauer sind kaum mehr Fernsehkonsumenten; man spricht von Cord-Cutting; somit auch die Fernsehwerbung. Ferner zeigt das Internet illegal die größte Auswahl von Filmen. Die Studios, die reagieren nicht. Thema Streaming-Dienste und Serienmarathone; Netflix und Amazon als Herausforderung für die Mediengiganten, die ignorieren diese; sie schauen tatenlos dem Ende der Verwertungskette zu.
Der Hochmut der Studios mit ihren Tentpoles und das neue Gewicht von Serien im Internet, die wieder Charaktere zulassen, über die die Leute sich unterhalten und die nicht nur blasse Superhelden haben.
Da in Amerika kein Wachstum zu erwarten ist und die Verwertungskette ausdünnt, heißt die Politik: Internationalisierung und Steuerschlupflöcher weltweit nutzen (siehe Stupid German Money bis 2007***). China als Wachstumsgebiet. Der ständige Niedergang der Filmindustrie.
„Hollywoods Traumfabriken wollen keine neuen Ideen entwickeln, sondern nur noch ihr existierendes Repertoire recyceln“.
***Anmerkung von stefe: German Money ist auch heute noch stupid durch das Fördermodell, was jedem, der in Deutschland produziert, Carte-Blanche-Subvention in den Rachen wirft.