Archiv der Kategorie: Filmpremiere

This was a Graffiti – Mute – Schimäre: 3 Kurzfilme im Rio-Filmpalast München

Am Samstag gab es drei Kurzfilmpremieren im Rio-Filmpalast am Rosenheimer-Platz in München. Es waren Kurzfilme von Studenten der Macromedia Fachhochschule, die im Rahmen verschiedener Programme zustande gekommen sind.

Der Film THIS WAS A GRAFFITI von Valeriya Boyko ist aus einem Programm, das 50 junge Menschen aus der Ukraine nach Bosnien gebracht hat. Fragen über das Verhalten im Krieg wurden erörtert und fanden ihren künstlerischen Niederschlag. Eines der Projekte ist dieser Kurzfilm. Bosnien hat den Krieg hinter sich, in der Ukraine tobt er nach wie vor wie enthemmt und mit riesigen Blutbädern. Die Dokumentaristin hat Menschen befragt, die damals Graffitis an Postämter geschrieben haben, in kyrillischer Schrift. Von den Graffitis ist heute nichts mehr zu sehen und auch damals wurden sie oft schnell übertüncht oder übermalt. Es mag für uns Mitteleuropäer, die des Kyrillischen nicht mächtig sind, hier ein paar Verständnisprobleme geben; aber der Film macht neugierig, mehr über diese Bürger zu erfahren, die auf diese Art nicht stillgehalten haben. Der Film ist in einer zarten Farbgebung gehalten, zeigt Sarajevo als eine filmschöne Stadt, von der man sich gar nicht mehr vorstellen mag, dass hier mal ein grauenhafter Krieg gewütet hat (Kamera: Faris Avdic).

Pablo Knappe Rodriguez hat für einen Dollar die Rechte an der Kurzgeschichte MUTE von Stephen King erworben. Das war ein Programm des berühmten Autors (Das Dollar Baby-Program), mit dem er Nachwuchstalente zu Kurzgeschichtenverfilmungen von ihm animieren wollte. Ein begehrtes Privileg. Mit Pablo Knappe Rodriguez hat King einen exzellenten Griff getan. Der Deutsch-Spanier schafft es in den wenigen Minuten und mit den beschränkten Mitteln, die für solche Filme normalerweise zur Verfügung stehen und unter widrigsten Kältebedingungen in Estland, wo er sein Auslandsemester verbrachte, mehr düstere King-Atmosphäre zu erzeugen, als aufwändige Verfilmungen es zuletzt taten wie Friedhof der Kuscheltiere oder Der dunkle Turm. Dies auch dank dem Protagonisten Michael Jamak, einem deutschen Schauspieler von internationalem Kinoformat. Er spielt Monette, der im Beichtstuhl versucht, sich Gewissheit über die Ermordung seiner Frau zu verschaffen. Hatte Gott die Hände im Spiel? Sehr mysteriös. Pablo hat die Kinghaftigkeit des Stoffes kinematographisch brillant eingefangen, auch mit Hilfe der vorzüglichen Kameraabeit von Yannick Mayer.

Der dritte Kurzfilm SCHIMÄRE war ein feministischer. Daria Zekert zeigt eine Frau, Annie (Patricia Ivanauskas), die sich zu wehren weiß, die sich ein fieses Mittel gegen die Übergriffigkeit toxischer Männlichkeit hat einfallen lassen. Ein Film mit dem kecken Appeal eines offensiven Feminismus und der Revengetendenz ähnlich wie in The Substance oder Titane und deutlich fokussierter als der aktuelle Die geschützten Männer.

Fatima – Ein kurzes Leben (Zum Welttag gegen Kinderarbeit)

Fatima – eine Recherche

und ein Nach-Ruf, das wäre die zutreffendere Titelung; der Beisatz zu Fatima „ein kurzes Leben“ suggeriert Betroffenheit, lässt Bedröppeltheit befürchten. Trifft nicht zu. Betroffenheit mag der Auslöser für Hakim El-Hachoumi gewesen sein, den Film mit Andrei Schwartz zu machen. 

Der Fall, dem Hachoumi nachspürt, war ein Skandal in Marokko. Ein 17-jähriges Hausmädchen, Fatima, das in einem simplen Polizistenhaushalt gefangen gehalten, gefoltert, möglicherweise auch missbraucht worden und so mit schlimmsten Wundmalen und Verbrennungen zu Tode gekommen ist. 

Nach-Ruf insofern, als der Filmemacher Fatima persönlich anspricht, obwohl er sie nicht kennt und ihr zu verstehen gibt, dass ihr Tod hoffentlich nicht vergeblich gewesen sei. Eigentlich ihr zu verstehen gibt, dass sie für uns noch lebt und in uns etwas auslöst, was der Film ja auch tut. 

Es ist ein typisches Armutsthema. Mädchen aus armen Familien werden verkauft oder wie hier „vermietet“. Sie werden weggeben zu besser gestellten Familien, verdingen sich als Hausmädchen. Ihr Lohn wird an ihre Familie geschickt. Die gesetzlichen Regelungen in Marokko sind gelinde gesagt verbesserungswürdig. 

Fatimas Familie, das sind Bauern in einem Dorf im Atlas in Marokko. Die Familie, zu der sie kommt, ist eine Polizistenfamilie mit zwei Kindern, die in einem besseren Wohnblock in Agadir am Meer wohnt. Fatima ist 14, wie sie weggeben wird, mit 17 ist sie tot. 

Der Fall hat in Marokko Aufsehen erregt, zu Demonstrationen geführt und eine Diskussion ausgelöst. 

Fatimas Familie ist kinderreich und arm; das Thema Verhütung scheint hier nicht bekannt zu sein („wie die Karnikel“, sagt ein Mädchen selbst). Das Dorf leidet unter Trockenheit. Hakim El Hachoumi schildert mit feinem Kinohändchen das Dorfleben, nutzt auch die Landschaft, in der man Bibelilme drehen könnte. 

El Hachoumi spricht mit der Familie, sucht Menschnrechtsanwälte in einer Stadt auf dem Weg nach Agadir auf, geht auf den Friedhof mit dem Grab von Fatima. Er schildert die Geschichte luzide wie einen Kriminalfall, bei dem die Frage zunächst offen bleibt, wer der oder die Täter waren, ob sie gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, was an den Tag kommt und was nicht. 

Somit gibt der Film auch einen Einblick in Marokkos Zivilgesellschaft. Die sind ja keine Hinterwäldler, selbst im Dorf gründen sie eine Kooperative, um die Mädchen in einer Bäckerei zu beschäftigen, damit sie nicht mehr als Hausmädchen verkauft werden müssen. 

In dem Zusammenhang kann auf Filme vom DOK.fest München verwiesen werden: zum Thema Trockenheit und Bildung School of Hope, zum Thema Rechte der Frau in Marokko Suspended Wifes.

Hier gehts zum Film.

Impreza – Das Fest (Berlinale)

Mitten in den europäischen Schmerz.

Es geht um grundsätzlich Demokratisch-Europäisches. Hof hat den Film nicht genommen – das ist unverzeihlich. Jetzt an der Berlinale: der HFF-Abschlussfilm von Alexandra Wesolowski.

Die Filmemacherin hat ihre Tante Danuta in Warschau besucht, die sich anschickt mit ihrem Mann Maciej die goldene Hochzeit zu feiern. Die beiden sind 50 Jahre verheiratet. Eheschließung 1966 tief im Kommunismus. Es sind gebildete Leute. Die Berufe haben sie hinter sich gelassen, darum spielen diese keine Rolle mehr.

Sie wohnen stilvoll, mehr als nur bürgerlich in einer vornehm eingerichteten Villa. An den Wänden großformatige Ölgemälde, auch Danuta als junge Frau. Sie spielt meisterlich Klavier. Die Figurine einer Balletttänzerin erzählt von mindestens einem Faible für diese Kunst.

Danuta ist eine resolute, höchst gepflegte Dame. Nicht vorstellbar, dass sie, ohne sich hergerichtet zu haben, aus dem Haus gehen würde. Sie übt als strenge Regisseurin mit dem Enkel den Begrüßungstext für die Gäste. Damit fängt der Film an.

Die Vorbereitungen für das Fest, zu dem auch eine kirchliche Feier gehört, sind der äußere Plot dieses Dokumentarfilmes; soweit handelt es sich vorerst um eine reine Privatangelegenheit. Die europäische Dimension meldet sich eruptiv in heftigen Diskussionen mit der informierten und engagierten polnischen Verwandtschaft. Alexandra ist bundesrepublikanisch sozialisiert, spricht fließend polnisch und hat ihre liebe Mühe mit den rechtslastigen Ansichten ihrer Verwandten.

Dabei offenbart sich ein unerwartet politisches Bewusstsein der Polen, andererseits ein abgrundtiefer Skeptizismus allem linken Gedankengut gegenüber, das dem Ideologieverdacht ausgesetzt ist wegen der Schnittmenge zum leidvoll Jahrzehnte lang erlebten, unterdrückerischen Kommunismus. Gleichzeitig wird eingeschränkt, man reagiere vielleicht naiv, intuitiv und sowieso mit einem natürlichen Reflex gegen alles von Außen, was einem Vorschriften machen möchte wie die EU.

Gerade in der kommunistischen Zeit wurde in der heute rechts sich verordnenden Schicht die politische (private) Diskussion gepflegt – und Danuta meint, da war man wengistens einer Meinung.

Es wird aber auch die Angst vor der europäischen Verordnungswut spürbar (Sexunterricht im Kindergarten? Genderthema). Auf den Einwand gegen den Euroskeptizismus, Polen profitiere doch finanziell von der EU, kommt stracks zurück, ohne zu überlegen und wohlformuliert, dass die französischen Bauern doch mehr EU-Subventionen erhalten würden als die polnischen.

Als eingefleischter Westeuropäer muss man sich bei diesem Film an der eignen Nase nehmen, ob wir uns, bloß weil wir wirtschaftlich und lebensstandardmäßig erfolgreicher sind, hochnäsig aufführen und ob wirtschaftlicher Erfolg wirklich das einzige Kriterium für die Wertigkeit und Wertschätzung eines anderen Landes darstellen darf.

Denn es kommt auch der Vorwurf, dass gegen die jetzige polnische Regierung sofort ein Aufschrei durch Europa gehe wegen verfassungsrechtlicher Fragen, während bei den früheren, linken Regierungen die EU die dort herrschende Korruption mit Stillschweigen quittiert habe.

Der Film sollte Pflichtprogramm werden für jeden Politiker, der seinen Mund zum Thema Europa und Polen aufzumachen gedenkt.

Da er gerade mal 75 Minuten lang ist, könnte er im Kino durchaus mit dem deutlich behaglicheren „Death is so permanent“ als Vorfilm gezeigt werden. Der hatte gleichzeitig mit Wesolowskis Film Team-Premiere in München. Es ist der HFF-Abschlussfilm (ca. 25 Minuten) von Moritz S. Binder, der hintersinnig das an der HFF Gelernte zum Thema Filmemachen und Drehbuchschreiben reflektiert anhand eines Fotos, das den Vater des Filmemachers anno 1952 als Knirps mit dem „12-Finger-GI“ auf einem Schwarz-Weiß-Foto zeigt. Dieses soll Dreh- und Angelpunkt für den Film des Studenten werden, damit er diesem voranstellen kann: nach einer wahren Geschichte.