Die weiße Stretchlimousine mit der Nummer 202 DXM 95 ist quasi die Titelfigur in diesem Film, zumindest einer der Leihwagen „Holy Motors“, von denen die Firma Dutzende im Angebot hat. Da müsste schon die Interpretiererei anfangen, warum heißt diese Leihwagen-, Leihlimousinenfirma „Holy Motors“ und gleich noch die Frage, sind das wirklich Leihwagen? Was ist in unserer Gesellschaft überhaupt heilig? Aber auch das ist nicht die Frage, die sich zwingend stellt nach der knapp zweistündigen Paris-Rundfahrt, auf die uns Leo Carax, der Autor und Regisseur, mit seinem Hauptdarsteller Denis Lavant, chauffiert von Céline, Edith Scob, mitnimmt, um unser Weltbild etwas auf den Prüfstand zu stellen.
Die Tour nachzuerzählen, die Carax nach dem klassischen Muster der Einheit von Ort, Zeit und Handlung präsentiert (Ort ist einerseits die Limousine, andererseits Paris, Zeit ist ein Tag im Leben von Oscar und die Handlung, das sind die Aufgaben, die Gigs, die Oscar erfüllen muss, sein tägliches Pflichtenheft, was er abarbeiten muss und was jeden Tag ein neues ist; eine Art Störhandwerker oder auch Entstörungsdienst oder wie auch immer), wäre viel zu schade.
Es gibt vielleicht einen kurzen Moment, etwa nach Job zwei oder drei, wo ich gedacht habe, wird dieses Muster jetzt stur abgearbeitet, aber die Tour ist so voller unerwarteter Wendungen, dass sich der Gedanke sofort verflüchtigt hat.
Um also keinem die Überraschungen, die Verblüffungen zu nehmen, versuche ich mehr zu formulieren, was mir nach diesem Film durch den Kopf gegangen ist. So viel will ich noch erwähnen, möglicherweise hat Carax sich durch das „Second Life“, was vor einigen Jahren im Internet grassiert ist, inspirieren lassen. Aber was er daraus macht, das geht sicher weit darüber hinaus.
Im Grunde genommen befragt Carax den Menschen über die Figur Oscar auf seine Handlungsfähigkeit hin, auf seine Entscheidungsfreiheit, auf sein Glück, ob Armut und Reichtum gottgegebene Deskriptionen von menschlicher Existenz sind, ob es genügend Sicherheit für den Reichtum und die Schönheit gibt, ob das nicht alles nur Ausprägungen ein und desselben Seins seien, aber auch die Frage nach der Identitätsdefinition des Menschen – oder ob er doch nur eine austauschbare Größe sei. Oder die Frage, was sind Menschen bereit, mit sich alles machen zu lassen, anderen anzutun, bloss um zu überleben.
Nun doch einige Details: zum Thema Sicherheit: wie Oscar in einer seiner Figuren einen strengen Sicherheitsbereich betreten muss, wird vorher eine Speichelprobe zur Identifizierung verlangt; die wird über ein Schläuchlein, was an dem Wandgerät, das wie ein Wasserkocher aussieht, wie ein Telefonhörer hängt, dann fängt es in diesem Gefäß an zu brodeln und die Sesam öffnet sich. Oder die Lunchbox aus Plastik, die er in der Limousine bekommt oder vorfindet, scheint vom Feinsten zu sein, wie sie die 5-Sterne-Hotellerie durchaus mal zu einem Anlass, wo Porzellan zu riskant ist, bereitstellt mit De-Luxe-Essen vom Feinsten darin, was hier aber mehr wie grünes Graszeugs aussieht.
Auf einem Grabstein in einem endlosen Pariser Friedhof steht lediglich eine Webadresse: www.vugan.fr ; wer die anklickt, bekommt eine Rückkoppelung zum Film, inklusive bereits einer Kritik.
Ganz zum Schluss dann eine augenzwinkernde „Inspiration“, sprich „Ideenklau“ von der amerikanische Trickfilmproduktion „Cars“, diese aber gleich in einen weit größeren Zusammenhang stellend.
Oder die Frage: who were we when we were who we were. Schalk, Spielerei, Wortspielerei, Tiefsinn oder höherer Blödsinn, Existenz- und Identitätsfragen, die aufgeheitert werden zum Beispiel mit einer satirischen Inszenierung eines Fotoshootings, das zu einem bösen Spiel, einer bitter-bissigen Satire auf „la Belle et la Bête“ ausartet und wie aus einem Schal eine Burka zu machen sei, wie schnell Verhältnisse kippen können.
Vielleicht das noch: der Affe ist das Symbol für die Schauspielerei. Sind wir nicht alle Schauspieler, das ist allerdings nur eine der Fragen und wahrscheinlich lange nicht die zentrale, sollen wir unsere Rollen immer wieder üben, wollen wir das alles noch einmal erleben? Oder gibt es einen Point of no Return, was doch mit einer fixen Identität gleichzusetzen wäre, was der Definition des Menschen durch seine Position, Funktion oder Rolle gleichkäme. Dies die Erstarrung der Gesellschaft in Inhumanität.