Archiv der Kategorie: Filmfest

And Every Mother’s Child is Going to Spy (internationale hofer filmtage 2023)

Über allem schwebt die Mutter.

Zwei filmbunte Chaosbrüder in künstlerisch-chaotischer WG, Milan und Ferdinand Dölberg, spielen Milan und Ferdinand, zwei Brüder, die in einer beengten, messihaften WG wohnen, arbeiten wollen, was auch immer, sich auf die Nerven gehen, Shisha rauchen und Bier trinken.

Die beiden Brüder haben den Weihnachtsraum eingerichtet, ein kitischiges Kabinettchen in einem Schrank, in dem der Genervte sich zurückziehen kann, bis er sich beruhigt.

Die Wohnung ist vollgestopft mit Künstlerischem, Bilder, Figuren, Perücken, ein Aquarium, Werkzeug, Bierkisten, Umzugskartons. Allein die Einrichtung ist es wert, künstlerische Installation genannt zu werden.

Laut Biographie kommen die beiden inszenierenden und spielenden Brüder aus der bildenden Kunst, der Druck- und Medientechnik. Ironisch-belustigt betrachten sie den ziellosen Aktivismus in einer vor Kreativität schier platzenden WG.

Hinzu kommt plötzlich ein dicker Besucher (Georg Vierbuchen), der allein den eh schon vollen Raum füllt und man fragt sich, wie dünn denn der Kameramann – oder die Kamerafrau – sein muss, um sich in dem Chaos fahrig-nervös und jederzeit von Details fasziniert bewegen zu können.

Klar, Wildheit allein macht noch kein Kunstwerk, aber was nicht ist, kann noch werden. Es gefällt dieser gänzliche Verzicht auf filmische Anbiederung an allfällige Förderer, Hochschulteacher oder Fernsehredakteure, diese radikale Hingabe an eine künstlerische Annäherung an das Leben des Künstlers als eines jungen Mannes.

Amigas en un Camino de Campo – Freundinnen auf einem Spazierweg (internationale hofer filmtage 2023)

Dieser wunderschöne Spaziergang, der uns trennt.

Was ist das Wesen des Spaziergangs? Er ist ein Kulturphänomen, am bekanntesten vielleicht in unserem Kulturkreis der Osterspaziegang in Goethes Faust. Er ist ein zeitlos Ding, schau auf die Spazierwege rund um die deutschen Städte am Sonntag.

Den Spaziergang hat sich Santiago Luz in seinem Spielfilm vorgenommen als eine Hommage an die Dichterin Roberta Iannamico. Drehort: Sierra de la Ventana.

Man denkt an Straub-Huillet, wie sie Dichtung in der Natur inszeniert haben. Dass wir in Argentinien sind, zeigt spätestens das monumentale Friedhofstor, das an den Film Schlachthäuser der Moderne erinnert. Architektur als Ausdruck einer wechselvollen Geschichte und zwei Frauen, die in der Pampas spazieren. Oder man denke an Trenque Lauquen.

Es sind die beiden Freundinnen, großartige Schauspielerinnen, Sandra (Eva Bianco) und Tere (Anabella Bacigalupo), die von einem Spaziertrio von Frauen übrig geblieben sind. Ein Ziel ist der Gang ans Grab der verstorbenen Claudia.

Der Hauptvorwand für den Spaziergang durch das Buschwerk und die kahle argentinische Landschaft ist ein Meteorit, der vergangene Nacht in der Nähe niedergegangen sein soll. Der Anlass zum Spaziergang für Claudia ist selbstgebackenes Brot, das sie Abnehmern in der Nachbarschaft bringt.

Das Brot ist auch ein Beziehungspunkt zur Dichtung von Roberta, die in der Nähe wohnen soll. Ein Gedicht von ihr beschäftigt sich mit den einfachen Dingen, zu denen Konkretes wie Brot und Wasser, aber auch Abstraktes wie Gefühle, Gefühlsstürme, Liebesthemen gehören.

Ab und an liest eine Darstellerin in der freien Natur aus dem Gedichtband von Roberta Iannamico.

Was die beiden Freundinnen auszeichnet, ist, dass sie gemeinsam schweigen können, aber auch das Spazieren wird thematisiert. Dazu gehört, dass Tere im Sinn hat, in die Stadt zu ziehen, was für die Spazierfreundschaft Folgen hätte. Insofern ist dieser Spaziergang auch zu interpretieren als ein Spaziergang, der sie trennen wird. Es ist ein meditativ-entspannender Bilderbogen über das stets vorübergehende Phänomen des Spazierganges, ein traumhafter Sonntags-Matineefilm, viel zu schön für den schnöden Kinoalltag.

Als er ein Stein war (internationale hofer filmtage 2023)

Trauma Kinderstar

Kinder können im Film so schön sein, so süß, so bewegend sein. Aber irgendwo verursachen sie einem doch immer auch ein Grummeln im Magen. Es ist ja auch so leicht mit Kindern im Film zu punkten, genau so wie mit Tieren …

So stellt sich immer auch die Frage, ob man die Kinder namentlich in der Kritik erwähnen soll. Manchmal sind es ehrgeizige Eltern, die die Kinder direkt auf die Leinwand treiben. Wie gehen die Kinder nicht nur mit der Berühmtheit, sondern auch mit dem Geld um?

Kürzlich hat die Dokumentation The most beautiful Boy of the world das Schicksal des ehemaligen Tadzio-Darstellers aus dem Welterfolg Der Tod in Venedig beleuchtet.

Kinderstartum kann das Leben eines Menschen verändern, auch zerstören. Dieses Themas hat sich Daniel Holzberg, der mit Svetlana Belesova auch das Drehbuch geschrieben hat, in seinem halbstündigen Film angenommen und gezeigt, dass es wert wäre, noch intensiver untersucht und beleuchtet zu werden. Es ist schon eine ethische Frage, diese Kinderarbeit als Kinderstar.

Dem ehemaligen Darsteller des wundersüßen Knaben Thani in einem Breitleinwand-Epos geht es im Erwachsenen-Alter (Sebastien Griegel) nicht unbedingt gut. Immer noch lebt er bei seiner Mutter (Jule Ronstedt). Sie will die Herrschaft über ihn nicht loslassen.

Er wird in die Öffentlichkeit gezerrt, ist krank, schluckt Pillen, studiert die Tataren und Filmschnitt, eine Beziehung hat er nicht und sein Blind Date wird ihm durch den Nachruhm auch wieder versaut.

Eine Lösung für das Problem Kinderarbeit im Film scheint es nicht zu geben. Filme ganz ohne Kinder, das wäre doch auch furchtbar; aber ob die Erwachsenen, die Kinder im Film einsetzen, wirklich die ganze Verantwortung dafür übernehmen, das ist eine andere Frage. Meist ist es doch Kinderexploitation und die Fälle des nahtlosen Überganges vom Kinderstar zum Erwachsenenstar gelingt doch eher selten, wie Exemplum zeigt.

A Cooler Climate (internationale hofer filmtage 2023)

Das Paradies auf Erden,

damit ist Kabul, sind die Gärten gemeint, die Babur dort hat anlegen lassen. So in etwa steht es sinngemäß auf dessen Sarkophag, der in Kabul aufgebahrt ist. So dürfte es inhaltlich auch in der Baburama stehen, der vermutlich ersten Autobiographie. Sie stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert.

Sie dient auch James Ivory, der diesen selbst autobiographischen Film mit Hilfe von Gil Gardner verfertigt hat, als ein Schlüssel zum Phänomen Afghanistan. Dieses hatte er 1960 für mehrere Monate besucht, um einen Dokumentarfilm fertigzustellen. Ein Grund und Anlass dafür war, dass sein amerikanischer Auftraggeber, für den er einen Film in Indien drehte, den Wunsch nach einer Dokumentation aus einem weiteren Nachbarland geäussert hat.

Für Afghanistan, für Kabul hat sich James Ivory aus einfachen klimatischen Gründen entschieden, weil es dort so mäßig ist. Gleichzeitig wundert er sich, dass er nur eine Stunde sich von Kabul entfernen müsse, um an einen Ort zu kommen, wo es nie schneie oder zwei Stunden, um an einen Ort zu kommen, wo ewiger Schnee liege.

Das Kabul, was James Ivory 1960 vorgefunden hat, war aber alles andere als paradiesisch. Es erschien ihm so, als habe sich seit den Beschreibungen Baburs nichts geändert, als sei das Land seither stehen geblieben. Und gefährlich dazu, wenn er mit dem Jeep es bereisen wollte.

Allerdings haben da bereits Russland als auch die USA Interesse an dem Land gezeigt; die Russen haben einen Staudamm gebaut, die USA eine Autostraße zum Khyber-Pass.

Der Film ist gleichzeitig ein Rückblick auf das Leben des Filmregisseurs, der in einer ansehnlichen Villa lebt, vermutlich geerbt von seinem Vater, einem Holzfabrikanten/Holzhändler in Oregon, der Hollywoods Bühnenauer mit Holz belieferte.

In dieser Villa schaut der inzwischen über 90-Jährige Fotsoammlungen durch, tippt auf einer elektrischen Schreibmaschine mit dem Zweifingersystem Texte, hat vor sich auf einem Großbildschirm die Afghanistanbilder; reflektiert sein Leben, in dem seine sexuelle, gleichgeschlechtliche Orientierung früh klar war und offenbar auch keine weiteren Probleme verursacht hat, ja, die sogar zur fruchtbaren persönlich-künstlerischen Partnerschaft mit Ismail Merchant geführt hat.

Lake of Dreams (beim Open Air Kino des Fünf Seen Fimfestivals)

Klassisches Ballett in freier Natur, im Wald und am See

Zur Piano-Begleitung auf einem Floß (Axel Werner). Klassischer Paartanz. Die Tänzerin (Melissa Chapski) im leichten, roten Kleid dreht ihre Pirouetten auf einem Holzsteg im Abendlicht.

Der Mann (Sava Milojevic) steht im weißen Anzug auf einem Stumpf im Dschungel. Erst bleibt er wie festgeklebt, versucht sich wegzubewegen in riskanten Schräglagen, Nachwuchstänzer umgarnen ihn am Sockel.

Dann schafft er es, sich loszueisen, rennt leichtfüßig durch das Grün, findet den Steg, irgendwie denkt man an die Bären und Wölfe, die sich in unseren zivilisationsdurchtränkten Wäldern auch finden. Er rennt dem Steg und der Abendsonne entgegen.

Über den See stakst ein Gondoliere mit seiner Gondel ohne Liebespaar. Aber auf dem erweiterten Steg umtanzt sich das Paar. Dann nimmt es Platz auf zwei vorbereiteten Sesseln, blickt in die untergehende Sonne am bayerischen Wörthsee.

Ein leicht beschwingtes Sommer-Tanz-Abenteuer. Könnte gedacht sein als Werbung für Schmuck, Luxusuhren oder Eheringe, als Werbung für ein Leben im Glück. Für Inszenierung und Produktion dieses Kurzfilmes stehen Axel Werner & Friends.

Münchner Filmkunstwochen 2023

Festival mit Ausflug

Vom 26. Juli bis 16. August 2023 finden die 71. Münchner Filmkunstwochen statt in den Kinos ABC KINO ARENA CITY KINOS KINO SOLLN MONOPOL NEUES MAXIM NEUES REX NEUES ROTTMANN RIO FILMPALAST STUDIO ISABELLA und THEATINER FILMKUNST.

Zum ersten Mal ist es ein Festival mit einem Ausflug (am 12. August). Ziel ist der Walchensee. Dort liegt nicht nur das Café aus dem Münchner Dokfilm-Hit Walchensee Forever; dort gibt es auch ein Museum mit filmgeschichtlichen Überraschungen, mit Zeichnungen, die Lovis Corinth von Ernst Lubitsch angefertigt hat. Womit klar ist, dass auch Lubitsch mit einigen seiner umwerfenden Komödien an den Filmkunstwochen vertreten sein wird.

Vielfalt

Die 71. Münchner Filmkunstwochen bieten ein überbordendes Programm; sie pflegen die Artenvielfalt, wie man es sich für die Natur nur wünschen könnte. Vielfalt als Grundlage für Gedeihen, als Grundlage für Lebensqualität, für Kinoqualität, ja für Demokratie.

Diese Vielfalt verdankt das Festival seiner Grundstruktur, dass die Inhaber oder Betreiber der Progammkinos ihre eigenen Schwerpunkte setzen, ihre eigenen Highlights anbieten. Und sie sind nun wahrlich Filmfreaks, Filmliebhaber und Idealisten dazu, also nicht die schlechtesten Ratgeber für ein Festival, das für manche dazu dient, Bildungslücken zu schließen, jüngere Filme nachzuholen, das Sommerloch intelligent und unterhaltsam zu füllen, Juwelen aus der Filmgeschichte zu entdecken oder sich an ein Genre zu wagen, wovor man bislang vielleicht zurückgeschreckt ist, zu Beispiel bei Creepy Crypt im City.

Das Programm kann nicht annähernd angemessen referiert werden, deshalb hier der Link dazu.

Und hier Tipps zu Filmen, die stefe gesehen und reviewisiert hat – ein Tipp dabei ist von Julian:

VENUS IM PELZ
Roman Polanski wundert sich, was die Frauen aus ihm gemacht haben.

OFFENES GEHEIMNIS – TODOS LOS SABEN
Der Iraner Asghar Farhadi praktiziert sein gelobtes Regiehandwerk auf spanischem Boden.

LADY BIRD
Hier spielt Greta Gerwig Autobiographisches aus.

AUGENBLICKE – GESICHTER EINER REISE
Agnès Varda klopft auf einer fotogenen Reise durch Frankreich erfolglos bei Godard am Genfer See an.

NOMADLAND
Immer haarscharf am amerikanischen Traum vorbei (Amazone bei Amazon). Glanzrolle für Francis McDorman.

AMERICAN HONEY
Energievolle, amerikanische Jugend zwischen Freiheitsdrang und ökonomischer Abhängigkeit (mit Zeitschriftenverkäufern unterwegs).

ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED
Das ist der Oberhammer: Milliarden mit tödlichen Medikamenten verdienen und dann den Kunstmäzen spielen. Zwei Frauen sind der üblen Tour auf die Schliche gekommen.

INCEPTION
„Neckische Gedankenspielereien um das Infektiöse und die Wirksamkeit von Ideen … aus dem Fundus der Untiefen des amerikanischen Actionkinos neu verschnürt“ (stefe)

DUNKIRK
Die Schlacht von Dünkirchen als Vorwand für eine grandiose Fotostrecke mit hübschen Jungs.

TENET
Christopher Nolan, die Zeitreise und Opas Paradox

FANTASTIC MR. FOX
Julians Empfehlung dieses Wes Anderson-Filmes

MOONRISE KINGDOM
Wes Anderson bettet eine präpubertäre Liebe ein in einen größeren gesellschaftlich-naturhaften Kosmos.

THE GRAND BUDAPEST HOTEL
Liebevoll ausgeklügelte Miniaturwelt

ISLE OF DOGS
Und nochmal Wes Anderson, diesmal auf Japanisch und animiert: ein Junge, sein Hund und eine hilflos zwischen Verboten und Umweltzerstörung agierende Politik.

JULIETA
Almodovar berührt und fasziniert stärker denn je und ist näher an schmerzhaften menschlichen Beziehungen denn je.

Nix wie hin!

DOK.fest 2023

Das DOK.fest 2023 hat eine breite Palette hochinteressanter Themen aus aller Welt zu bieten.

Wie es sich eh lohnt, öfter mal einen Dokfilm im Kino anzuschauen. Generell unterscheidet sich so einer doch mächtig von einer schnellen Fernsehdoku, bei der ein Team in kurzer Zeit über etwas berichten muss oder einem deutschen Themenfilm mit erfundenen Menschen.

Ein Kino-Dokfilm greift generell auf eine gründliche Vorbereitung zurück, versucht womöglich ein Thema plastisch zu formen, begnügt sich lange nicht immer mit der Perspektive des Mäuschens, das im Leben eines Protagonisten einfach dabei sein darf und im übrigen so tut, als sei es nicht vorhanden und macht es sich auch nicht billig mit Talking Heads, die allzu gerne zu Laber-Heads werden.

stefe hatte die Möglichkeit, vor Beginn des DOK.festes 2023 einige Filme zu sichten. Bei der Auswahl spielt eine gewisse Willkür oder der Zufall eine Rolle: es handelt sich um Filme, die ihm einerseits vom DOK.fest selber zur Sichtung angeboten wurden, teils auch um Filme, bei denen die Presse-Agenturen dieses Angebot abgaben.

Gemeinsam ist den Filmen, dass nicht einer dabei ist, den zu schauen sich nicht lohnen würde; hängt natürlich immer auch von der Interessenlage des Zuschauers ab. In dem Mix, den stefe vorab sehen konnte, gibt es eine gewisse Häufung von Filmen, die sozusagen als Ausfaltung des geistreichen filmischen Essays über Feminism WTF gelesen werden können; das allein schon eine hochspannende Strömung bei der diesjährigen Ausgabe des DOK.festes.

FEMINISM WTF
Könnte als theoretische Fundierung für eine ganze Reihe von Feminismus-Filmen am DOK.fest durchgehen.

DORPIE
Gelebter Feminismus in Bredasdorp, Südafrika.

EREN
Gelebter Feminismus gegen das türkische „Rechts“system

TANJA – TAGEBUCH EINER GUERILLERA
Gelebter Feminismus bei den Guerilleros im kolumbianischen Dschungel

SHE CHEF
Gelebter Feminismus in der Machobranche der internationalen Spitzenköche

SEVEN WINTERS IN TEHRAN
Feminismus, der es schwer hat gegen die Mullahs und ihr unterdrückerisches System.

ETILAAT ROZ
Das ist freie Presse!

CLOSE TO VERMEER
Bei aller Distanz zu solchen Dokus: hier springt einen der Vermeer direkt an! Ein Exklusiv-Erlebnis, da die Ausstellung in Amsterdam längst ausverkauft ist.

IN THE COURT OF CRIMSON KING
In den Sphären von Musik, die ihre Freiheit widerspruchsfrei im Perfektionismus findet

MY NAME IS ALFRED HITCHCOCK
Geister-Seance mit Alfred

She Chef (DOK.fest 2023)

Du musst tanzen können,

meint Protagonistin Agnes darüber, wie man sich als Koch oder Köchin in dem engen Gewusel von Sterneküchen zu bewegen hat.

Warum sich das jemand antut, so beengte Arbeitsverhältnisse, dieser Stress ständig, aber es gibt im Gegenzug den Adrenalin-Kick, wenn wieder eine Platte die Küche verlässt.

Lecker schauen sie alle aus diese Gerichte, das verbindet die Dokumentationen über Sterneköche, das edle Ambiente, die edle Architektur, das Gewusel, die durch den Raum gerufenen Gerichte, die Besprechungen bevor die Gäste kommen, ob Allergiker dabei seien, Vegetarier oder Veganer. Da fällt auch mal ein Fluch ab über solche Spezialgäste. Aber zu viel davon darf natürlich nicht einfließen in eine solche begleitende Dokumentation. Sie sind ja immer auch als Aushängeschilder für die jeweils porträtierten Locations gedacht.

Was die Dokumentation von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel von anderen unterscheidet, ist der Blick auf die Branche durch die Protagonistin Agnes, eine faszinierende Persönlichkeit, die genau weiß, wo sie hinwill.

Agnes hat eine Kochlehre hinter sich, keine Sterneküche; aber wer kein Gulasch kochen kann, ist auch bei den Sternen falsch, bekommt sie zu hören. Selbst meint sie, wenn sie mit 16/17 in der Elitebranche angefangen hätte, dass sie es wohl nicht lange ausgehalten hätte bei dem Stress, der Radikalität, dem Dauerdruck der Kreativität und eben auch dem Fluchen.

Durch Agnes gewinnt der Film die Perspektive der Neulingin, die durch verschiedene Restaurants geht, nach dem Vendome ist Spanien, Barcelona, ihr Ziel. Hier kommt Corona ins Spiel mit den ersten Lockdowns. Insofern auch eine Corona-Dokumentation.

Ihr Glück gefunden zu haben scheint Agnes auf den Färöer-Inseln im Koks, sie mag die Natur, die Abgelegenheit, vor allem den Teamgeist, der auch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen macht und es ist da ja auch noch ein Mann, der bald mehr wird als nur ein Kollege. Der Zuschauer lernt zudem ein besonders exotisches Sternelokal kennen.

Tanja – Tagebuch einer Guerillera (DOK.fest 2023)

Dschungelkämpferin

Jahrzehntelang hat die FARC Kolumbien in einem kriegerisch-unversönlich instabilen Zustand gehalten mit über 200′ 000 Todesopfern und Millionen von Flüchtenden.

Der Grund für die Etablierung dieser Guerillo-Truppe war die Ungleichheit im Lande, war, dass die Bauern zu den Verlierern der Entwicklungen gehörten und keine andere Möglichkeit sahen, als in den bewaffneten Untergrund zu gehen.

Tanja Nijmeijer ging anfangs des Jahrtausends nach Kolumbien als junge Idealistin, der das holländische Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, zu eng wurde. Sie arbeitete in Kolumbien als Übersetzerin, kam so anfangs des 2. Jahrtausends auch mit der FARC in Kontakt, schloss sich denen an, in der vollen Überzeugung, dass nur so eine bessere Gesellschaft in Kolumbien möglich sei. Sie erwirbt sich das Vertrauen der FARC, lebt in einer ihrer Gemeinschaften im Dschungel.

Marcel Mettelsiefen zeichnet aus heutiger Sicht das Porträt dieser Idealistin nach mit Archivmaterial, mit wenigen illustrierend inszenierten Szenen, mit Heute-Interviews.

Anfangs war Tanja, sie hatte wie alle anderen einen Tarnnamen, unauffälllig. Erst bei einem Interview mit drei amerikanischen Gefangenen war sie als Übersetzerin bemerkbar. Bei einer Razzia ihres Camps etwa 2007 fielen den Behörden ihre Tagebücher in die Hände. Das waren nie abgeschickte Briefe an ihre beste Freundin. Darin beschreibt sie auch ihre Distanz zur FARC, stört sich am Machismo und der Korruption der Führungselite, hält aber Ziele und Methoden für berechtigt.

Ihre Texte gelangen an die Öffentlichkeit und lösen Fehlspekulationen aus, beispielsweise, dass sie eine Gefangene, eine Geisel sei; sie kommt auf die Terrorfahndungslisten.

Der Film lässt Journalisten zu Wort kommen, Freundinnen von ihr, Ex-FARC-Mitglieder. 2016 ist sie die entscheidende Verhandlungsführerin auf Kuba bei den Gesprächen zwischen Kolumbien und der FARC, die schließlich in einem Friedensabkommen und Übergabe der Waffen münden.

Heute herrscht eher Ernüchterung, dass sich nämlich gar nichts geändert habe, auch durch über 50 Jahre bewaffneten Kampf nicht. Wie die Welt zu einer friedlicheren und besseren, gerechteren zu machen sei, ist wieder vollkommen offen.

Eren (DOK.fest 2023)

„Gesundheit Ihren Füßen,
beehren Sie uns bald wieder!“
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das meint die Mutter der Protagonistin dieses Filmes von Maria Binder zu dem Sonder-Einsatz-Kommando, das die Wohnung von Eren Keskin in deren Abwesenheit durchsucht. Darin oszilliert bereits der Geist der bekannten türkischen Menschenrechtsanwältin. Ihre politische Wachheit sei durch ihre Mutter und deren Mutter gefördert worden.

Was sie denn genau sind von ihrer Geschichte her, da schwanken sie selbst, ob Tscherkessen, Armenier, Kurden, Muslime. Die Geschichte, zB der Völkermord an den Armeniern, zwang zu Identitätsveränderungen und zu einem wachen Bewusstsein.

Vor allem setzt sich Eren Keskin für Kurden ein, denen der türkische Staat seinen unfairen Kampf angesagt hat. Weshalb es wiederum eine Unzahl von Verfahren gegen die Anwältin gibt, die seit etwa der Jahrtausendwende in Istanbul ihr eigenes Büro hat.

Ständig schwebt über Eren das Damoklesschwert der Verhaftung. Sie muss sich überlegen, wie es in diesem Falle mit der Kanzlei weitergeht; ins Ausland zu fliehen, daran denkt sie nicht, obwohl sie von verschiedenen Staaten Asylangebote bekommen hat.

Dieses ansprechende Porträt der kämpferischen und emanzipierten Frau ist eine Mischung aus Homestory und Infotainment. Die Dokumentaristin begleitet ihre Protagonistin auf Reisen und bei Terminen in der Türkei, bei Demos, Gerichtsterminen.

Es gibt das Privatleben, die Mutter, die Katzen, beim Kochen, bei der Schneiderin, mit Freundinnen. Auf dem Balkon bei einem Gläschen kurdischen Zitronenliquörs kommt es zu den persönlichsten Statements von Eren Keskin.