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DOK.fest 2023

Das DOK.fest 2023 hat eine breite Palette hochinteressanter Themen aus aller Welt zu bieten.

Wie es sich eh lohnt, öfter mal einen Dokfilm im Kino anzuschauen. Generell unterscheidet sich so einer doch mächtig von einer schnellen Fernsehdoku, bei der ein Team in kurzer Zeit über etwas berichten muss oder einem deutschen Themenfilm mit erfundenen Menschen.

Ein Kino-Dokfilm greift generell auf eine gründliche Vorbereitung zurück, versucht womöglich ein Thema plastisch zu formen, begnügt sich lange nicht immer mit der Perspektive des Mäuschens, das im Leben eines Protagonisten einfach dabei sein darf und im übrigen so tut, als sei es nicht vorhanden und macht es sich auch nicht billig mit Talking Heads, die allzu gerne zu Laber-Heads werden.

stefe hatte die Möglichkeit, vor Beginn des DOK.festes 2023 einige Filme zu sichten. Bei der Auswahl spielt eine gewisse Willkür oder der Zufall eine Rolle: es handelt sich um Filme, die ihm einerseits vom DOK.fest selber zur Sichtung angeboten wurden, teils auch um Filme, bei denen die Presse-Agenturen dieses Angebot abgaben.

Gemeinsam ist den Filmen, dass nicht einer dabei ist, den zu schauen sich nicht lohnen würde; hängt natürlich immer auch von der Interessenlage des Zuschauers ab. In dem Mix, den stefe vorab sehen konnte, gibt es eine gewisse Häufung von Filmen, die sozusagen als Ausfaltung des geistreichen filmischen Essays über Feminism WTF gelesen werden können; das allein schon eine hochspannende Strömung bei der diesjährigen Ausgabe des DOK.festes.

FEMINISM WTF
Könnte als theoretische Fundierung für eine ganze Reihe von Feminismus-Filmen am DOK.fest durchgehen.

DORPIE
Gelebter Feminismus in Bredasdorp, Südafrika.

EREN
Gelebter Feminismus gegen das türkische „Rechts“system

TANJA – TAGEBUCH EINER GUERILLERA
Gelebter Feminismus bei den Guerilleros im kolumbianischen Dschungel

SHE CHEF
Gelebter Feminismus in der Machobranche der internationalen Spitzenköche

SEVEN WINTERS IN TEHRAN
Feminismus, der es schwer hat gegen die Mullahs und ihr unterdrückerisches System.

ETILAAT ROZ
Das ist freie Presse!

CLOSE TO VERMEER
Bei aller Distanz zu solchen Dokus: hier springt einen der Vermeer direkt an! Ein Exklusiv-Erlebnis, da die Ausstellung in Amsterdam längst ausverkauft ist.

IN THE COURT OF CRIMSON KING
In den Sphären von Musik, die ihre Freiheit widerspruchsfrei im Perfektionismus findet

MY NAME IS ALFRED HITCHCOCK
Geister-Seance mit Alfred

She Chef (DOK.fest 2023)

Du musst tanzen können,

meint Protagonistin Agnes darüber, wie man sich als Koch oder Köchin in dem engen Gewusel von Sterneküchen zu bewegen hat.

Warum sich das jemand antut, so beengte Arbeitsverhältnisse, dieser Stress ständig, aber es gibt im Gegenzug den Adrenalin-Kick, wenn wieder eine Platte die Küche verlässt.

Lecker schauen sie alle aus diese Gerichte, das verbindet die Dokumentationen über Sterneköche, das edle Ambiente, die edle Architektur, das Gewusel, die durch den Raum gerufenen Gerichte, die Besprechungen bevor die Gäste kommen, ob Allergiker dabei seien, Vegetarier oder Veganer. Da fällt auch mal ein Fluch ab über solche Spezialgäste. Aber zu viel davon darf natürlich nicht einfließen in eine solche begleitende Dokumentation. Sie sind ja immer auch als Aushängeschilder für die jeweils porträtierten Locations gedacht.

Was die Dokumentation von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel von anderen unterscheidet, ist der Blick auf die Branche durch die Protagonistin Agnes, eine faszinierende Persönlichkeit, die genau weiß, wo sie hinwill.

Agnes hat eine Kochlehre hinter sich, keine Sterneküche; aber wer kein Gulasch kochen kann, ist auch bei den Sternen falsch, bekommt sie zu hören. Selbst meint sie, wenn sie mit 16/17 in der Elitebranche angefangen hätte, dass sie es wohl nicht lange ausgehalten hätte bei dem Stress, der Radikalität, dem Dauerdruck der Kreativität und eben auch dem Fluchen.

Durch Agnes gewinnt der Film die Perspektive der Neulingin, die durch verschiedene Restaurants geht, nach dem Vendome ist Spanien, Barcelona, ihr Ziel. Hier kommt Corona ins Spiel mit den ersten Lockdowns. Insofern auch eine Corona-Dokumentation.

Ihr Glück gefunden zu haben scheint Agnes auf den Färöer-Inseln im Koks, sie mag die Natur, die Abgelegenheit, vor allem den Teamgeist, der auch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen macht und es ist da ja auch noch ein Mann, der bald mehr wird als nur ein Kollege. Der Zuschauer lernt zudem ein besonders exotisches Sternelokal kennen.

Tanja – Tagebuch einer Guerillera (DOK.fest 2023)

Dschungelkämpferin

Jahrzehntelang hat die FARC Kolumbien in einem kriegerisch-unversönlich instabilen Zustand gehalten mit über 200′ 000 Todesopfern und Millionen von Flüchtenden.

Der Grund für die Etablierung dieser Guerillo-Truppe war die Ungleichheit im Lande, war, dass die Bauern zu den Verlierern der Entwicklungen gehörten und keine andere Möglichkeit sahen, als in den bewaffneten Untergrund zu gehen.

Tanja Nijmeijer ging anfangs des Jahrtausends nach Kolumbien als junge Idealistin, der das holländische Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, zu eng wurde. Sie arbeitete in Kolumbien als Übersetzerin, kam so anfangs des 2. Jahrtausends auch mit der FARC in Kontakt, schloss sich denen an, in der vollen Überzeugung, dass nur so eine bessere Gesellschaft in Kolumbien möglich sei. Sie erwirbt sich das Vertrauen der FARC, lebt in einer ihrer Gemeinschaften im Dschungel.

Marcel Mettelsiefen zeichnet aus heutiger Sicht das Porträt dieser Idealistin nach mit Archivmaterial, mit wenigen illustrierend inszenierten Szenen, mit Heute-Interviews.

Anfangs war Tanja, sie hatte wie alle anderen einen Tarnnamen, unauffälllig. Erst bei einem Interview mit drei amerikanischen Gefangenen war sie als Übersetzerin bemerkbar. Bei einer Razzia ihres Camps etwa 2007 fielen den Behörden ihre Tagebücher in die Hände. Das waren nie abgeschickte Briefe an ihre beste Freundin. Darin beschreibt sie auch ihre Distanz zur FARC, stört sich am Machismo und der Korruption der Führungselite, hält aber Ziele und Methoden für berechtigt.

Ihre Texte gelangen an die Öffentlichkeit und lösen Fehlspekulationen aus, beispielsweise, dass sie eine Gefangene, eine Geisel sei; sie kommt auf die Terrorfahndungslisten.

Der Film lässt Journalisten zu Wort kommen, Freundinnen von ihr, Ex-FARC-Mitglieder. 2016 ist sie die entscheidende Verhandlungsführerin auf Kuba bei den Gesprächen zwischen Kolumbien und der FARC, die schließlich in einem Friedensabkommen und Übergabe der Waffen münden.

Heute herrscht eher Ernüchterung, dass sich nämlich gar nichts geändert habe, auch durch über 50 Jahre bewaffneten Kampf nicht. Wie die Welt zu einer friedlicheren und besseren, gerechteren zu machen sei, ist wieder vollkommen offen.

Eren (DOK.fest 2023)

„Gesundheit Ihren Füßen,
beehren Sie uns bald wieder!“
,

das meint die Mutter der Protagonistin dieses Filmes von Maria Binder zu dem Sonder-Einsatz-Kommando, das die Wohnung von Eren Keskin in deren Abwesenheit durchsucht. Darin oszilliert bereits der Geist der bekannten türkischen Menschenrechtsanwältin. Ihre politische Wachheit sei durch ihre Mutter und deren Mutter gefördert worden.

Was sie denn genau sind von ihrer Geschichte her, da schwanken sie selbst, ob Tscherkessen, Armenier, Kurden, Muslime. Die Geschichte, zB der Völkermord an den Armeniern, zwang zu Identitätsveränderungen und zu einem wachen Bewusstsein.

Vor allem setzt sich Eren Keskin für Kurden ein, denen der türkische Staat seinen unfairen Kampf angesagt hat. Weshalb es wiederum eine Unzahl von Verfahren gegen die Anwältin gibt, die seit etwa der Jahrtausendwende in Istanbul ihr eigenes Büro hat.

Ständig schwebt über Eren das Damoklesschwert der Verhaftung. Sie muss sich überlegen, wie es in diesem Falle mit der Kanzlei weitergeht; ins Ausland zu fliehen, daran denkt sie nicht, obwohl sie von verschiedenen Staaten Asylangebote bekommen hat.

Dieses ansprechende Porträt der kämpferischen und emanzipierten Frau ist eine Mischung aus Homestory und Infotainment. Die Dokumentaristin begleitet ihre Protagonistin auf Reisen und bei Terminen in der Türkei, bei Demos, Gerichtsterminen.

Es gibt das Privatleben, die Mutter, die Katzen, beim Kochen, bei der Schneiderin, mit Freundinnen. Auf dem Balkon bei einem Gläschen kurdischen Zitronenliquörs kommt es zu den persönlichsten Statements von Eren Keskin.

Seven Winters in Tehran (DOK.fest 2023)

Folter

wurde laut Amnesty International in der Zeit zwischen 2009 bis 2014 in 141 Ländern dokumentiert. In Dokumentarfilmen besonders gut vertreten ist der Iran: Born in Evin, The Green Wave, Mitra,
Doch das Böse gibt es nicht, The Unseen; aber auch Syrien The Lost Souls of Syria ist dokumentarfilmerisch bekannt. Ebenfalls hier am DOK.fest zu sehen ist der türkische Film Eren über die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin.

Der Film von Steffi Niederzoll berichtet von der gut bürgerlichen Iranerin Reyhaneh, die mit 19 einen Mann mit Beziehungen zum politischen Establishment im Iran („Big-Shot Sarabandi“) aus Notwehr ersticht, weil dieser sie vergewaltigen will.

Das war um 2006 herum. Das Establishment versucht nun mit allen Mitteln, die Umkehr der Schuld, um das Image des Typen und seiner Familie sauber zu halten. Anfänglich gesteht Reyhaneh unter Folterdrohung auch, was immer gewünscht ist. Nach ewigen Zeiten kommt es zu einem Prozess.

Es gibt sogar einen Richter, der sich wundert, dass der unbescholtene Herr sich allein in einer Wohnung mit einer jungen Frau trifft, das sei doch verdächtig. Der Richter wird schnell versetzt.

Nach Jahren gibt es den Entscheid zur Blutrache. Das bedeutet, dass die Familie des Opfers der Täterin vergeben kann oder im anderen Falle, den Stuhl, auf dem sie mit dem Strick um den Hals steht, wegkicken.

Das Verfahren, die Verhandlungen zwischen den beiden Familien zieht sich hin bis Mitte der 2010er Jahre. Es ist einer der wenigen Fälle, der ein internationales Medienecho auslöst und der hier mit geschmuggeltem Footage nachgzeichnet wird. Es dürfte sich um die berühmte Spitze des Eisberges an schreiender Ungerechtigkeit handeln speziell im Fokus der Vergewaltigung von Frauen durch Männer, die wohl täglich weit verbreitet passiert; 141 Länder, die Folter anwenden. Und von wie vielen erfahren wir?

Dorpie (DOK.fest 2023)

Aunty Lana

nennen ihre Schützlinge und Mitarbeiter die Initiatorin und ehrenamtliche Betreiberin eines Safe Houses, eines Frauenhauses, im südafrikanischen Ort Bredasdorp. Hier gibt es Townships, in denen Missbrauch und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind, immer wieder auch mit Todesfolge.

Dagegen kämpft Lana, selbst Missbrauchsopfer, passioniert und engagiert, mit kühlem Kopf und tiefer Menschenkenntnis. Es ist zum Verzweifeln, wie wenig Interesse die Politik an diesen NGO-Aktivitäten zeigt, obwohl der Ort doch einen schlechten Ruf genießt.

Julia Jaki hat frontberichterstatterisch Lana begleitet, hat ihr über die Schultern geguckt und gibt so einen Einblick in deren pragmatische, menschennahe Arbeit.

Lana wird auch politisch aktiv, organisiert eine Demo, ringt der Politik Versprechen ab, die zu halten diese sich keine große Mühe gibt. Immerhin schlägt eines Tages die Gerichtsbarkeit in Bredasorp auf mit eigenen Räumlichkeiten und einer Staatsanwältin, die sich die ungeklärten Morde an Mädchen und jungen Frauen der letzten Jahre vornehmen will.

Lana bietet im umgitterten Safe House Frauen Aufklärung, Hygieneunterricht, ermuntert die jungen Frauen, bei ihr in Ruhe zu lernen und zu studieren; Lana ist eine beeindruckende, unbestechliche Persönlichkeit, die dadurch das Vertrauen der jungen Frauen gewinnt, aber auch die Politik beeindruckt.

Der Film kann gesehen werden als Beschreibung eines konkreten Beispiels exzellenter Ausformung eines modernen Feminismus‘, wie er essayhaft im Film Feminism WTF hier am DOK.fest gefordert wird.

Etilaat Roz (DOK.fest 2023)

20 Jahre lang

haben die Westmächte unter Federführung der USA, und Deutschland brav mittrottend, mit der Operation Enduring-Freedom, ISAF und Resolute-Support als Strafe für die synchronisierten Attentate von 9/11 Afghanistan bombardiert, haben dort getötet, geherrscht, haben Unmengen Geld hineingepumpt, die Korruption genährt und sich dabei vorgemacht (vor allem die Deutschen), sie würden Entwicklungshilfe leisten und beim Aufbau eines demokratischen Staates, der innerlich gegen die Taliban gefestigt wäre, helfen – derweil der Flüchtlingsstrom aus Afghanistan nie abriss.

Mit dem überstürzten Abzug der Amerikaner – und in deren Gefolge auch der Deutschen und der anderen – aus Afghanistan, brach dieser vorgeblich demokratische Staat zusammen wie ein Kartenhaus und in die Hände der Taliban.

Abbas Rezaie war vor Ort in Kabul, die Tage, bevor die Taliban dort einfielen. Er war hautnah dabei bei den Entwicklungen um die tägliche und renommierte Kabuler Zeitung „Etilaat Roz“ und deren Chefredakteur Zaki Daryabi.

Diese Zeitung hat über Korruption berichtet, hat sich als urdemokratisch verstanden. Über die Redaktionsräume wiederum spiegelt sich die Gesamtentwicklung dieses chaotischen politischen Übergangs zur Herrschaft der Taliban .

Die Überlebensfragen der Mitarbeiter der Zeitung, ausreisen oder bleiben? Weiterarbeiten oder aufhören? Zunächst bleibt vor allem Untätigkeit, denn erscheinen kann die Zeitung praktisch nicht mehr.

Nach üblen, tätlichen Übergriffen auf einige der Journalisten der Zeitung durch den Geheimdienst kommt es zu Gesprächen mit den neuen Herrschern. Die Überlegung, ob man als Feigenblatt für diese weitermachen soll, oder lieber ganz aufhören.

Nach und nach reisen Mitarbeiter aus. Andere haben keinen Pässe. Vieles geschieht hektisch, vieles urplötzlich und zwischendrin herrscht wieder Ruhe und die Frage, was mit der teuren Kaffeemaschine passieren soll.

Im Oktober, etwa zwei Monate nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul, haben sich die Dinge für die Zeitung soweit geklärt, dass sie von Kabul aus nicht mehr weitermachen kann.

Der Film ist ein aufregendes Dokument über verantwortungsvollen Journalismus.

„During his six years of unsteday presidency, Shraf Chani had destroyed all the infrastructure within the Islamic Republic of Afghanistan as well as the capacities of its defense forces.“

„Etilaat Roz was recognized to be the most widely read daily newspaper in Kabul.
Zaki Daryabi, the editor-in-chief of this newspaper and the Etilaat Roz institute was selected as the champion of transparency and fight against structural corruption by the Transparency International in 2020.“

My Name is Alfred Hitchcock (DOK.fest 2023)

Nichts Tödlicheres als Autoren, die ihr Werk erklären

Genau das macht Mark Cousins mit den modernen Mitteln von KI. Er lässt Alfred Hitchcock 40 Jahre nach seinem Tod sein Werk Revue passieren und erklären. So wirkt es zumindest – ist aber etwas anders (Aufklärung folgt am Schluss, ha, ha, Suspense).

Dieser Rückblick auf Hitchcocks Werk passiert nach Themen wie ESCAPE; ein Mottofilm; es ist eine mit enorm viel Fleiß zusammengestellte Schnipsel-Collage aus computeraufgefrischtem Footage. Und alle paar Sekunden ein Hitchcock-Foto dazwischen.

Nach 37 Minuten Schnipselei folgt Thema DESIRE. Darwin und Van Gogh als Referenzen.
Auch seiner Kamera schreibt der auferstandene Hitchcock Desire zu.

Die Filmschnipsel sind oben links oder auch mal unten rechts oder woanders kurzzeitig markiert mit Filmtitel (mit Jahresangabe in Klammern), „dir: Alfred Hitchcock“ und dann sind noch der oder die Produktionsfirmen angegeben; diese letztere Angabe dürfte nur den geringsten Teil eines möglichen Publikums dieses Filmes interessieren.

Die Filmschnipsel selbst sind kunterbunt durcheinandergewürfelt: aus Stummfilm, Schwarz-Weiß-Film, Farbfilm, Tonfilm.

Nach einer Stunde und einem kurzen Hinweis auf sein soziales Leben und Parties folgt LONELINESS. Da sitzt Hitchcock dann allein auf einem aufgetürmten Teppich in seiner Discomfortzone. Hier macht er unsinniges Zeugs, lässt ein ihm kostbares Feuerzeug in den Gulli fallen (ein Hinweis auf einen seiner Filme). Aber ihn faszinieren auch lonely women. Ebenso die Faszination durch empty Californian spaces.

Nach einer Stunde und 10 Minuten fängt das Kapitel TIME mit einem Einstein-Bild an. Herzschrittmacher mit 47, anno 1947.

Dann 1.26 h FULFILMENT: der reanimierte Hitchcock erzählt, dass Filmemachen ihn erfüllte. Plus Hinweise auf sein Privatleben, seine Frau, seine Häuser und Wohnungen.

Dann 1.38 HEIGHT: Gebirgslandschaft; die Alpen. Und auch Kamerafahrten in die Höhe. Height is good at loneliness. Die dünne Schicht der Zivilisation.
Erweckungserlebnis Friedrich Wilhelm Murnau 1922 in Deutschland: die Trickserei mit Film und sein Spaß daran.

Nichtsdestotrotz: ein hammerharter Schnelldurchlauf durch eine erstklassige Kompilation präzise gesetzter Filmszenen über eine wichtige Phase der Film-Geschichte.

Die von Mark Cousins geschriebenen vermeintlichen Hitchcock-Texte werden von Alistair McGowan in einer erstaunlich schmalen Ausdruckspalette chargiert gesprochen; auf eine Art Hitchcock-Ton festgelegt; was auf Dauer für die Ohren nicht allzu erfreulich ist.

In the Court of Crimson King (DOK.fest 2023)

Diese Perfektion

ist es, die die Rock-Band King Crimson bis heute attraktiv macht und am Leben hält.

Es ist der Perfektionsbegriff von Robert Fripp, dem Mastermind der Gruppe, die seit über 50 Jahren besteht. Perfektion ist einerseits das nie erreichbare Ideal, das ständig die Spannung aufrechterhält, das begründet, warum die Band immer noch spielt, warum sie aber auch ständig üben müssen, um dem Ideal näher zu kommen.

Perfektion bedeutet auch, der Band ein Gesicht zu geben, aus dem Universum der Töne Unvergleichliches und Einmaliges herauszuarbeiten, frei interpretiert. Dieser Perfektionsbegriff beinhaltet aber gleichzeitig auch das einmalige Fest der Performance („let’s have a party!“), vermutlich eine Vorstellung von Freiheit, bei gleichzeitiger Nähe zur Absurdität. Der Perfektionsbegriff in diesem Sinne bedeutet auch, dass Altern schön ist.

Aus den Fragen, die Filmemacher Toby Amies den Bandmitgliedern und Roadies stellt, ist aber auch herauszuhören, dass so ein Unternehmen einem wie ein Stabilitätsanker mitten in einem Sturm vorkomme. Das ist eindeutig Robert Fripp, der als perfekter Gentlemen gekleidet seine Gitarre spielt und das Bandgeschehen im Auge hat, der sich bei Fragen des Dokumentaristen aufregen kann, ja der sich richtig gestört fühlt und überhaupt nur einverstanden war mit der Doku wegen dem 50-jährigen Bestehen der Band.

Crimson King hat enorm viele Wechsel an Musikern überstanden. Toby Amies entwirft das Bild dieser Band mit schnellen Impressionen von Konzerthallen, von Hotelfluren, von Blicken hinter die Kulissen als auch von den Konzerten selber genau so wie vom Publikum. So kommt wunderbar rüber, dasss ein klarer Geist hinter der Idee dieser wandelfähigen Band steckt, dass hier einer weiß, was er will, der auch klar seine Mitspieler darnach aussucht, ob sie nicht nur Topmusiker sind, sondern auch persönliche Präsenz haben, um der Band dieses Gesicht zu geben, das so faszinierend altert und sich dafür nicht zu schämen braucht; ja das durch dieses Altern nur noch interessanter wird.

Feminism WTF (DOK.fest 2023)

Anregender Filmessay aus Lectures von künstlerisch in Szene gesetzten Fachleuten unterschiedlichster Provenienz und integriert in geschmackvolle, abstrakte Rauminstallationen mit Tanzperformances; ein Film von Katharina Mückstein, die mit Ina Freudenschuss auch die Idee dazu hatte.

Was ist Feminismus? Was bewirkt er? Er ist ein Reizthema, weil er die gesellschaftliche Ordnung gewollt in die Krise bringt. Es gibt eine bunte Palette an Feminismen. Das einfache Schubladendenken, Männlein, Weiblein, dabei sind die Unterschiede vielfältiger – there is no such thing as binary. Dazu gibt es das Bild von Skulpturen variierender männlicher bis weiblicher Geschlechtsteilen mit fließendem Übergang.

Das Schachteldenken ist die Norm. Von der abzuweichen hat der Mensch Angst. Es gibt das Beispiel der crossdressed Kinder, mit denen Erwachsene spielen. Wenn Pink dominiert, wird unabhängig vom Geschlecht, mit Stoffen und Pferdchen gespielt, wenn das Kind männlich wirkt, geht es um Bewegung und Bauklötze; offenbar gezielt suggeriert von den Erwachsenen, die in den entsprechenen Schablonen denken.

Es geht um die These von der Biologie als Schicksal und Gedanken dazu bis zurück zu Kant. Andererseits kostet es Kraft, ständig in den lediglich zwei Kategorien zu schachteln. Dabei sind wir nicht nur Mann oder Frau, dabei sind wir alle viel.

Die Kategorisierung wird vom Kapitalismus ausgenutzt mittels der nicht oder schlecht bezahlten Sorgearbeit der Frauen. Aus Gewinngründen hat der Kapitalismus ein Interesse daran, diese binäre Ordnung aufrechtzuerhalten. Genau so wie er ein Interesse an Privilegierung hat. Das Denaturalisierungsmoment ist ein wichtiger Motor für politischen Protest.

Thema Gewalt gegen Frauen, dass Nein Nein heißt, männlicher Gewalt Frauen gegenüber. Dass diese überwiegend im privaten, häuslichen Umfeld, der Nachbarschaft oder im Beruf passiert. Gewalt unter dem Schutz der Nähe.

Werden wir in 100 Jahren eine gerechtere Welt haben?
Ernst Bloch wird zitiert: dass Hoffnung immer wieder enttäuscht werden müsse, weil wir sonst totalitär werden.

Englische Thesensätze werden in fetten Lettern dazwischengeschnitten. Und noch eine Hoffnung: Vielleicht sind die aktuellen massiven Gegenreaktionen gegen den Feminismus die letzten Zuckungen des Patriarchats?
Desiderat: eine Caring Democracy!