Archiv der Kategorie: Filmfest

Fünf Seen Filmfestival 2024 vom 3. bis 12. September 2024

Wollte man dem sympathischen Fünf Seen Filmfestival schmeicheln, so könnte man es das Locarno Bayerns nennen. Stefe konnte vorab die Filme aus der Sektion Dach Panorama schauen, nämlich jene 7 Filme, die um den Perspektive Spielfilmpreis konkurrieren.

Es sind Filme aus den Alpenländern Deutschland, Österreich und der Schweiz, was aber nicht gleichbedeutend ist, dass sie auch dort spielen. Man ist weltoffen, erweitert den Horizont, die Spielorte erstrecken sich von Griechenland, Spanien, Italien, der Schweiz, Thailand bis in die Neuen Bundesländer.

Die Jury wird die Qual der Wahl haben zwischen sieben reizvoll individuellen Nachwuchsfilmen unterschiedlichster Genres aus der Alpenregion.

ANIMAL
Ein Animateur hat’s schwör, er muss das Tier in (oder auf) sich haben.

ANTIER NOCHE
Von dieser Gegend ließ sich schon Bunuel inspirieren – inzwischen sind 90 Jahre verflossen.

DIE ÄNGSTLICHE VERKEHRSTEILNEHMERIN
Der heterosexuelle Knoten ist der gordische, der hier so mediterran wie feministisch gelöst werden soll.

ELECTRIC FIELDS
Am Alpennordrand zeigen sich erstaunlich übersinnlich-zwischenmenschliche Phänomene.

GOOD NEWS
Für einen Journalisten ist ein Scoop begehrenswert, ja essentiell. Die Verführung zum Nachhelfen ist groß.

ANOTHER GERMAN TANK STORY
Wenn Hollywood in Wiesenwalde einfällt.

JENSEITS DER BLAUEN GRENZE
Eine DDR-Fluchtgeschichte, eine Literaturverfilmung

Another German Tank Story (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Der Mond über Wiesenwalde –
eine dörfliche Posse

Für Freunde des feinen Films erzählt Jannis Alexander Kiefer, der mit Theresa Weiniger auch das exzellente Drehbuch geschrieben hat, eine Wundergeschichte aus dem Dorf Wiesenwalde.

Es sei sein Dorf, behauptet er. Er versammelt seine Zuhörer und Zuschauer um den Teleman-Brunnen, ein Prunkstück in seinem Dorf. Der wurde errichtet, weil der berühmte Komponist in diesem Dorf krank und dann aber auch wieder gesund geworden sei. Er habe ein Wunder erlebt in dem Dorf, das seit der deutschen Wiedervereinigung ein Mauerblümchenleben fristete.

Der Glaube an Wunder – als Game-Changer – aber ist geblieben. Und tatsächlich, Hollywood hat sich gemeldet. Eine amerikanische Filmproduktion will hier mit einem Weltstar Szenen für einen Weltkriegsfilm drehen. Aufregung im Dorfe.

Ein bisschen erinnert das Szenario an das Lustspiel „ Die deutschen Kleinstädter“ von August von Kotzebue. Dort taucht Besuch aus der Stadt auf. Hier im Dorf ist es gar Hollywood. Das macht das Gefälle größer.

Jannis Alexander Kiefer reiht herrliche Miniaturen um diesen Hollywood-Dreh im Dorf aneinander, alle mit hervorragend gearbeiteten Dialogen, ausgehend von der Beobachtung auch der Charaktere und mit ebenso wundervollen Darstellern.

Das Corpus Delicti in der Posse ist ein Reststück aus dem zweiten Weltkrieg. So schon grotesk genug. Aber die Amis fahren ihrerseits einen Panzer auf. Den möchten sie gut bewacht wissen. Das tut die Bürgermeisterin Susanne Pauli (Meike Droste) auch pflichtbewusst, obwohl sie besseres zu tun hätte.

Alle im Dorf profitieren von dem Dreh. Der Sohn von Susanne, Tobias (Johannes Scheidweiler), weiß noch nicht so recht, was anfangen im Leben, liebt Videogames und seinen weißen Hasen Falco. Er wird Fahrer für die Crew. Obwohl er nicht mal den Führerschein hat und mit diesen modernen Sprintern nicht zurechtkommt.

So fährt Tobias immer nur im ersten Gang. Das gibt Zeit für Gespräche mit Jojo (Philipp Karner), der das Lichtdouble des berühmten Stars spielt. Vom Heimkehrer Bert (Roland Bonjour), der behauptet, Journalist zu sein, wird er für das Original gehalten.

Jede Figur in dem Film ist liebenswert gezeichnet. Jede scheint ihre eigene Geschichte zu haben. Selbst die chronischen Fenstergucker hinterlassen einen Eindruck, besonders die Fensterfrau Silke (Friederike Frerichs), die, schönes Inszenierungsdetail, nach dem Gucken die Kissen wieder von der Fensterbank entfernt, auf die sie ihre Arme aufzustützen pflegt.

Dann ist da der Sohn Wolfs (Alexander Schuster) von der eindrücklichen Wirtin Jenny (Gisa Flaker), der als Komparse einen Nazi spielen darf und direkt vernarrt ist in seine maßgeschneiderte Uniform.

Die hier liebevoll entworfene und gezeichnete Welt ist in ihrer Präzision und Klarheit auch in die Nähe der Filme eines Roy Andersson zu rücken.

Ein Stromausfall ist ein weiterer Gamemaker. Und erinnert an den geschichtlichen Hintergrund, nicht nur die Wartezeiten, die zum Film genau so gehören wie in der Provinz offenbar. Und wenn es nur das Warten auf den Tod ist wie das von Rosi (Monika Lennartz). Ein Kino, das wegen seiner Genauigkeit auch in die Nähe der Kunst der Kupferstecherei platziert werden könnte.

Jenseits der blauen Grenze (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Diktatur und Sport.

Scheiße,

das ist das erste Wort, das in diesem Film von Sarah Neumann fällt. Aber ansonsten ist der Film eine faszinierende Fingerübung in filmischem Erzählen.

Es ist die Verfilmung des Romans „Jenseits der blauen Grenze“ von Dorit Linke, einer Fluchtgeschichte aus der DDR.

Der Film erinnert in seiner Kargheit und Einfachheit an das schnörkellose Kino der DDR.

Er erzählt die Geschichte von den drei Jugendfreunden Hanna Klein (Lena Urzendowsky), Andreas Kuschwitz (Willi Geitmann) und Jens (Jannis Veihelmann). Sie sind um die 16. Andreas und Hanna sind schon Buddelkastenfreunde gewesen. Der Pastorensohn Jens ist ein Neuzuzug.

Hanna ist eine exzellente Schwimmerin und wird an der Schule entsprechend gefördert. Sie ist eine Medaillenhoffnung und über ihr schwebt das Damoklesschwert einer Sportschule, was den Wegzug und das Ende der Freundschaften bedeuten würde.

Andreas hat ein lockeres Mundwerk, macht sich so bei den Lehrkräften und Funktionären nicht beliebt; die Verhältnisse bei ihm zuhause sind nicht berauschend; sein Vater ist gewalttätig. Während der Vater von Hanna bettlägrig ist. Ihm liest sie ab und an vor.

Der Druck auf die Sportlerin wird stärker. Man denkt an den Film Tatami, bei dem die Beziehung zwischen Sport und Diktatur ins Extrem getrieben wird.

Auch für Hanna wird es schwierig. Freund Jens zieht in den Westen, die Eltern haben die Ausreise bewilligt bekommen. Andreas schmiedet Fluchtpläne, weiht Hanna ein. Sie will auch mit auf die Flucht.

Es wird eine lange Flucht, schwimmend über die Ostsee im Neopren-Anzug und bepackt mit Überlebensutensilien. Eine Schnur verbindet die beiden.

Die Flucht selber schneidet Sarah Neumann immer wieder zwischen die Zeit davor, in der die Idee dazu gedeiht und die Vorbereitungen getroffen werden. Pointiert zeichnen die Dialoge das Bild des peinlich-ideologisch organisierten Staates. Aber die drei Freunde habe auch ihren Freiraum. Güterwaggons an einem verlassenen Bahnhof sind ihr Treffpunkt. Auch diese Jugend hat ihre romantische Seite.

Good News (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Ein Mann in einem Hotelzimmer in Asien,

das erinnert an die Ausgangslage von Apokalypse Now. Dort ist es ein US-Soldat in Vietnam. Im Abschlussfilm von Hannes Schilling, der mit Ghiath Al Mhitawi auch das Drehbuch geschrieben hat, ist es ein deutscher Journalist in Thailand. Beider Wege werden in den Dschungel führen.

Der von Leo (Ilja Stahl) geht in Richtung Pattani in Südthailand, einem ehemaligen Königreich das1768 von Thailand erobert worden sei, teilt der Film im Antext mit.

Weiteres zur realen Geschichte hinter diesem Film findet sich bei Wikipedia, wenn man die Stichwörter Pattani und Rebellen eingibt.

Diesen Konflikt benutzt der wunderschön in Schwarz-Weiß gedrehte Film für ein Journalisten-Porträt bei gleichzeitigem Reflektieren von journalistischer Arbeit und deren Ethos. Denn Leo ist der Überzeugung, dass Berichte und damit Öffentlichkeit für die Rebellen nützlich seien. Andererseits sind diese offenbar nicht an PR interessiert, es ist kaum an sie ranzukommen.

So behilft sich Leo mit Andeutungen und Fantasie. Das erscheint der Redaktion in Deutschland vielversprechend, so sehr, dass es für den Journalisten einen Durchbruch bedeuten könnte. Sie schickt dem halbscharigen Leo den Fotografen Julian (Dennis Scheuermann) zur Unterstützung. Leo ist nicht begeistert, da seine Kontakte mehr geflunkert als Realität sind.

Es sind zwei wunderbar konträre Schauspielertypen, beide filmaffin. Der wie von einer KI gesteuerte Leo, der mit seinem Töchterchen skypt, gleichzeitig Flirts mit Thailänderinnen nicht abgeneigt ist; ein Mix aus Karrierist und nicht so richtig konsequent. Während Fotograf Julian sein Herz auf der Zunge trägt, sehr direkt sogar.

Der Film erfindet nun den nicht so richtig eskalierenden Konflikt der beiden und baut ihn aus. Julian will unbedingt Fotos. Leo laviert herum. Er hat einen besonderen Draht zum Einheimischen Mawar (Sabree Matming), dem er das Blaue vom Himmel verspricht mit einer Zukunft in Deutschland; gleichzeitig soll er ihm zu Kontakten mit den Rebellen verhelfen. Alles nicht so ganz koscher, alles nicht so ganz einfach. Die Versuchung zu tricksen ist enorm.

Der Film überzeugt durch seine Erzählschönheit; wirkt aber in der Erzählung selbst zusehends konstruiert.

Electric Fields (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Alpenrand-Surrealismus
und knarzende Holzbohlen

Dieser Film von Lisa Gertsch ist eine hübsche Kollektion kurzer Schwarz-Weiß-Studien menschlicher Begegnungen mit mehr oder weniger surrealem Touch, mit einem Entgleiten der menschlichen Herrschaft über die Situation, mit einem Eingreifen des Unerklärlich-Übersinnlichen, mit gelegentlichen Zweifeln an der von uns behaupteten Realität.

Die knarzende Töne, die bereits die Titeltexte untermalen, sind vielleicht als schönes Symbol dafür zu verstehen; nicht so ganz klar, woher sie kommen, wer sie verursacht, wohin sie führen.

Die Grade des Absurdismus sind unterschiedlich. Dem Titel des Filmes am nächsten kommen die ersten zwei Episoden. Grotesk, wie Michael Neuenschwander als Kurt am Todesbett seines Vaters (Hans-Rudolf Twerenbold) mit Wiederauferstehungsfantasien kämpft und mit der Unerklärlichkeit, was die mit der Musik aus dem portablen Radio zu tun haben.

Oder Manni, der Tüftler in seiner Werkstatt. Er hat es mit einer ungewöhnlichen Kundin zu tun. Sie will Erklärungen, die es nicht gibt, über eine Glühlampe, die unabhängig von Stromzufuhr und Anknipsschalter leuchtet.

Realistischer wird es bei der Vertragsunterzeichnung, die Julia Jentsch als Chefin Chloe zu bewältigen hat. Dass die neue Mitarbeiterin eine Auszeit hatte, die nicht schwangerschaftsbedingt war, irritiert sie, sehr, sehr. Da kann schon mal ein Pfeifen statt eines Textes kommen.

Besonders rätselhaft bleiben die Folgen, wie ein Mann ins Wasser geht und was mit den von ihm auf dem Bootssteg zurückgelassenen Schuhen passiert.

In Rom wiederum faszinieren Naturphänomene wie Vogelschwärme, die in einer Bewusstseinüberblendung zwischen Rom und einer Schweizer Stadt passieren; hier geht es um Literatur.

Zu dem Film fallen einem Begriffe ein wie Alpenrand-Slapstick, Alpenrand-Surrealismus; Begegnungsminiaturen mit unerwarteten/unerklärlichen Einschlüssen.

Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Wild-aufsäßig-feministisches Poem

Anhand der Eintragungen in ein Oktavheft in ungebundener Schrift und begleitet von kindhaften Zeichnungen von Selma Schulte-Frohlinde ventiliert Martha Mechow, die auch das Drehbuch geschrieben hat (Dramaturgie: Charlotte Brandhorst), grundsätzlich feministisches Gedankengut einer modernen Frau in essayistischer Form.

Es gibt eine Spielhandlung.

Hauptlocation ist Barraconi auf Sardinien, eine Mutter-Kind-Kurstätte. Hierher folgt Flippa (Lisa Schulte-Frohlinde) ihrer Schwester Furia (Ann Göbel). Ihre Mutter hat sie früh verlassen. Von hier wird Flippa mit ihrem Macker Vicky (Max Grosse Majench) und ihrem Buben sich in einem lottrigen Kleinwagen zur Fähre nach Korsika begeben.

Es sind die urfeministischen Themen. Sie werden reflektiert vom kapitalistischen Standpunkt aus, dass die Frauen die Kur ja nur machen, damit sie nachher wieder arbeiten, lieben, pflegen können, dass sie wieder funktionieren im kapitalistischen Kreislauf.

Es gibt Musik zwischendrin und Party. Es gibt fesche Männer, die auch zu Wort kommen. Der Begriff von der Frau als trojanischem Pferd fällt oder derjenige des heterosexuellen Knotens der Männer. Und dann weiß doch niemand, was damit gemeint ist.

Der Tour d‘ horizon du feminisme fängt mit der Bibel und der christlich-abendländischen Ikonographie an. Mit der Verwunderung darüber, dass Maria nichts von der unbefleckten Empfängnis bemerkt haben will; die Darstellung der Maria in der bildenden Kunst als ein Häuflein Elend. Mit einer Kettensäge wird einer Marienskulptur das Heilige Kind abgetrennt.

Die Frage der wahren, nicht von der Gesellschaft arrangierten Liebe rückt ins Zentrum. Jane Austin wird diskutiert, dass die Gefühle der Frau von den Umständen diktiert werden. Was ist freie Liebe? Was ist bedingungslose Liebe? Kleiner Gag dabei: die Frau trägt zum Sprechen eine Art Zahnspange.

Der Film sprüht nur so vor Ideen auch zur leichten, spontan wirkenden Illustration seines elmentaren Themas. Der Erzeuger des Buben von Flippa tauch unangemeldet auf. Und ein wunderbares Ensemble an Darstellern.

Antier Noche (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Sich faszinieren lassen
und ein bisschen inszenieren,

das scheint das Dokumotto von Alberto Marín Menacho gewesen zu sein, um die Ortschaft Salvaléon in der Extremadura in Spanien zu porträtieren.

Schon Bunuel war von der Extremadura fasziniert. Er inszenierte dort den Film Las Hurdes als ein Beispiel für extreme Armut im ländlichen Spanien. Ein Spielfilm, der so tat, als sei er eine Dokumentation.

Alberto Marín Menacho ist da offener in seiner Vorgehensweise. Er fängt den Film mit einer Castingsituation an. Der elfjährige Juan Francisco erzählt, dass er noch nie in einem Film gespielt habe, dass er noch kein Casting gemacht habe und warum er die Haare wachsen lässt. Das hat einen ganz persönlichen Hintergrund. Er wird einer der Protagonisten sein.

Der Dokumentarist bekommt auch Juans Schwester und Mutter vor die Linse. Und viele weitere Bewohner des Dorfes, das vielleicht 1600 oder 1700 Einwohner hat. Es ist ein Dorf unserer Zeit. Hier trifft die Moderne auf Ländlichkeit, auf Weite, Abgeschiedenheit, Ärmlichkeit, Vergessenheit, Verlorenheit. Es sind Sehnsuchtslandschaften für die ins Internet und die Mobiltelefonie eingespannten, eingestrickten Großsädter. Aber um die Moderne ist nicht herumzukommen.

Im Dorf gibt es eine Fleischfabrik. Aber auch die Landwirtschaft mit Kühen, Schweinemast, Obstanbau, Oliven, Korkeichen. Die Jugend fährt Mofa, geht in die Disco und spielt Videogames. Das Mobilphon ist ein untentbehrliches Kommunikationsmittel, nicht nur für die Verwandte, die im Krankenhaus ist, auch zum Festhalten von Waldbränden oder dem Löschhelikopter, um sich selbst im Spiegel zu fotografieren.

Es ist ein ungezwungenes Betrachten des Dorfes, ein Film für Müssiggänger und für Leute, die zu bequem zum selber Erkunden sind. Es ist ein Film, der gar nicht erst Systematik und Vollständigkeit vorgibt. Es lässt die Dinge auf sich zu kommenen.

Der Film ist dabei, wenn die Dörfler mit ihren Windhunden jagen, wenn sie Falken trainieren, aber auch bei der Jugend in der Turnhalle oder beim rauschenden Bach, wenn die Leute schwimmen. Er lässt den Jungen durch einen herrlichen Farnwald gehen; Naturidylle pur. Wenn Gelegenheit ist, setzt er die Leute mit innerem Monolog vor die Kamera oder inszeniert auch mal ein Gespräch über das Leben im Dorf, das Auswandern, die Liebe. Oder er wirft einen Blick auf die Geschichte rund um einen entlaufenen Esel.

Animal (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Die Welt der Animateure

Der Film von Sofia Exarchou taucht ein in die Welt der Animateure auf einer griechischen Urlaubsinsel.

Das Hauptaugenmerk gilt der Tänzerin und Karaoke-Sängerin Kalia (Dimitra Vlagopoulou). Um sie herum sind die rätselhafte Eva aus Polen (Flomaria Papadaki) und weitere Animateure wie Simos (Ahilleas Hariskos), Thomas (Chronis Barbarian), Jonas (Voodoo Jürgens), Sergey (Kristof Lamp).

Der Film lässt sich vor allem vom Milieu faszinieren. Dieser Enthusiasmus, diese Stimmung, die Sorglosigkeit der Lebensentwürfe der Gaukler (ein ganz fernes Echo an die Welt aus „Abendstunde der Gaukler“ oder „La Strada“, oder auch Rimini)

Der Film kümmert sich wenig um die Ortung. Dass er in Griechenland auf einer Insel spielt, wird dezidiert erst kurz vor Schluss sozusagen amtlich. Darum scheint es der Filmemacherin nicht zu gehen. Sie mag den Strand, das Meer, wenn dort nicht Betrieb herrscht, die Barackensiedlung, die Atmosphäre im Club Apollo oder im feinen Hotel. Sie mag die Show-Nummern, die Künstler hinter der Bühne. Ein kleines Mädchen lebt mit den Künstlern, darf auch mal auftreten.

Es gibt Momente, die etwas unter die Oberfläche schauen lassen, aber der Film hütet sich vorm Drama oder vor der großen Liebesgeschichte. Alles ist vergänglich. Nur der Tag zählt.

Es gibt eine Verletzung, die darauf hinweist, auf wie dünnem Eis solche Künstlerleben gebaut sind. Es gibt Liebesgeplänkel unter Kollegen oder mit Gästen. Die Atmosphäre ist erotikgeschwängert. Es gibt den Moment der Überstrapaze, in dem Kalia in eine Krise schlittert.

Generell gilt: Lächeln, die Lust am Leben wird propagiert, der Elan der Jugend. Das kommt so glaubwürdig rüber, dass der Eindruck entsteht, es handle sich teils um einen Exploitation-Film, der einen realen Club mit realen Animateuren als Hintergrund für die Szenen benutzt, in denen er tiefer in die Akteure hineinhorcht. Hier tauchen Fragen auf, warum man das mache, wie lange schon.

Es gibt auch zwei, ja sogar drei Erklärungen für den Titel. Die eine ist bereits in der grafischen Gestaltung des Titels enthalten. Hier fällt nach ein paar Sekunden das „l“ am Schluss weg. Es bleibt die Anima, die Seele, was sicher auch als Zugeneigtheit des Filmes zu seinem Objekt – oder gar Subjekt – gelesen werden kann.

Einmal erzählt Kalia von einem Auftritt bei ätzender Hitze in Griechenland. Die Tänzerinnen trugen über den Bodys in den Farben Russlands schwere Pelze. Diese „Tiere“ lasteten auf ihnen, seien über ihnen gewesen. Die Last des Unterhaltungsgewerbes. Eva erzählt von einem Traum, der mit ihrer Herkunft zu tun hatte, da haben die alle geschaut mit großen Augen wie Tiere.

Im Rosengarten ( Nachtrag zum Filmfest München 2024)

Winter auf dem Lande
oder: Deutschland im Winter

Die Eifel. Der Schwarzwald. Weihnachtszeit.

Kostja Ullmann spielt Yak, einen erfolgreichen Rock-Pop-Sänger. Seine Mutter ist Deutsche aus dem Schwarzwald. Die hat sich vor 20 Jahren das Leben genommen. Sein Vater (Husam Chadat) ist Syrer. Zu dem hat er seit Jahren keinen Kontakt. Jetzt ist Yak in die Krise als Sänger, bricht einen Auftritt ab. Er erfährt, dass es seinem Vater nicht gut geht. Der liegt in einer Klinik in Berlin.

Dort findet Yak sich plötzlich in Gesellschaft von Latifa (Safinaz Sattar), einer 16-jährigen Tochter seines Vaters, also einer Schwester, von der Yak nichts wusste. Sie spricht kein Wort Deutsch, scheint kriegstraumatisiert. Ganz genau wird ihr Weg nicht klar, nur dass sie eine andere Mutter hat.

Yak und Latifa bilden nun das Tramp-Paar, das entwurzelt durch den deutschen Winter sich durchschlägt – Yaks Kreditkarte ist gesperrt von seinem Manager.

Erst besuchen sie in der Eifel einen früheren Kumpel von Yak, der einst Schriftsteller werden wollte. Jetzt lebt er eremitsch in einem Häuschen im Wald, zieht Gemüse heran und hat eine Ziege, die er nicht schert und nicht melkt. Das ist so ein Symbol, das zeigt, dass der Autor und Regisseur dieses Filmes, Leis Bagdach (Drehbuchmitarbeit bei Die Besucher), nicht ohne Humor arbeitet.

Dann landen die beiden Existenzreisenden im Schwarzwald bei Yaks deutschen Großeltern. Hier kommt es zu einer fremdenfeindlichen Auseinandersetzung in der Dorfkneipe, die das Klischee des üblichen deutschen Subventionsfilm bravourös unterläuft.

Die große Liebe von Yak war Fee (Verena Altenberger). Auch hier findet eine konfliktgeladene Wiederbegegnung statt in einem Luxushotel im Schwarzwald bei Fees Hochzeit mit einem anderen.

Die Geschichte im Film von Leis Bagdach ist ein recht geschicktes Konstrukt zum Thema von Migration, Heimat, Identität, Deutschsein, Menschsein, Familie, Beziehung, Verwurzelung, Treue und sie wird so richtig deutsch vorgetragen im Sinne der vielfältigen Filmförderer und Fernsehredakteure, die in Deutschland weitgehend bestimmen, welche Filme gemacht werden und welche nicht. Aber sie wirkt emotionaler und wärmer. Man hat den Eindruck, der Filmemacher wollte seinen Finanziers keinen Grund zu Einwänden liefern.

Allerdings ist die Exposition der Geschichte zu kompliziert, es bleibt von Anfang zu vieles unklar (stefe behauptet gerne, der Zuschauer müsse vom ersten Moment an wissen, worum es geht, wenn er denn dabei bleiben soll. Hier geht es weder darum, dass Yak ein Rockstar sei noch darum, dass ihm übel wird; just das aber sind in etwa die ersten Infos, mit denen der Film den Zuschauer versorgt). Mehr Klarheit und Einfachheit täte der Schönheit, Anmut und dem Sog der Geschichte keinen Abbruch und dürfte einem Erfolg im regulären Kinobetrieb nicht im Wege stehen; förderlich für einen solchen wäre auch mehr Kühnheit im Einfangen und Montieren der an sich schönen Bilder.

Detail: üblicherweise beten in deutschen Themen-Filmen zur Migration immer nur die Muslime, hier beten auch Christen. Und poetische Einsprengsel in den Dialogen haben eh ihren unbestreitbaren Reiz.

Achilles (Cinema Iran 2024)

Mensch und System

Systemsprenger gibt es allerorten, weil Systeme Menschen einengen, jedes System auf seine Art.

Im Film von Farhad Delaram, der im Abspann gar nicht erst so tut, als ob der Film für den Hausgebrauch im Iran gemacht sei, sind Farid Achill (Mirsaeed Molavian) und Hedieh (Behdokht Valian), inszeniert als ein Kinotraumpaar, wie man es sich nur wünschen kann, die mit dem System, für das symbolisch die Wände (die reden oder horchen, wie man es nimmt) stehen, die Nicht-Angepassten, die Nicht-Anpassungfähigen oder die sich nicht anpassen wollen. So sind die Konflikte vorprogrammiert.

Farid, der eigentlich Filmemacher ist, hat alles hinter sich gelassen, Familie, Job und arbeitet in der Orthopädie-Abteilung eines Krankenhauses. Die Alternative wäre gewesen, auszuwandern. Oder in seinem Job, den er, wie er offen gesteht, dank Vitamin B durch einen Freund, der Arzt ist, bekommen hat, unauffälig zu bleiben, sich im System einzurichten.

In der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie trifft er auf die Patientin Hedieh. Die braucht eine Schiene für den Arm, denn sie hat sich eine Verletzung zugezogen, weil sie ständig gegen die Wand geschlagen hat. Ihre Begründung und die ihrer Zimmermitbewohnerin, die Wände würden ständig reden.

Seinen Nonkonformismus beweist Achill, indem er über die Wände Klebband klebt, eine filmisch gut erinnerliche Aktion, die beiden Patientinnen beteiligen sich daran. Hedieh hat als Mensch sein Interesse geweckt. Es muss dieses Systemsprengerische sein, das er in ihr spürt. Er überredet sie zur Flucht. So kommen die Roadmovieelemente in Gang.

Es gibt eine Zwischenstation bei Achills Vater, der ihn das erste Mal umarmt und der selber eine Migrationsgeschichte hinter sich hat. Die Geschichte von Hedieh wird nach und nach aufgeblättert oder von Farid recherchiert, es gibt ja heute Internet.

Von der Stadt wechselt der Film aufs Land in die Nähe vom Meer. Idylle pur ist das leerstehende Haus von Oma, das vorerst als Zufluchtsort dient. Denn längst sind die Häscher hinter ihnen her. Aber auch da zeigt sich, dass das Korn des Systemsprengertums noch nicht ausgestorben ist. Auf so einer Flucht finden sich immer auch überraschende Helfer.

Mit minamlinvasiver Kamera bringt der Filmemacher uns die Geschichte, die weit über simple Kritik an einem totalitären, schariagesteuerten System hinaus geht, für das große Kino näher, anknüpfend an die Tradition weltbekannter iranischer Filmemacher wie Abbas Kiarostami, Farah Pahlavi, Asghar Farhadi, Mohsen Makhmalbar, Mohammad Rasoulof.

Der Filmemacher selbst lässt seinem Double eine Verbitterung zuschreiben, wobei dessen faszinierendes Spiel eher das eines Zweiflers ist, der an Gott sowieso schon lange nicht mehr glaubt. Dagegen singt ein Chanson vom Glück mitten im Film an.

Es gibt ein paar raffinierte Kunstkniffe, einmal ziehen die Träume Farid aus dem Bett, ein ander Mal wird am Meer ein Film auf eine Leinwand projiziert, in dem eine Frau mit dem Säbel gegen die Gischt ankämpft.