Archiv der Kategorie: Film

Das Ende ist mein Anfang

Tiziano Terzani, der ein berühmter Autor und langjähriger Südostasien-Korrespondent des SPIEGEL war, hat in Absehbarkeit des eigenen Todes seinen Sohn Folco zu sich gebeten und ihm aus seinem Leben erzählt, besonders über seine spirituellen Erfahrungen der letzten Jahre; der Sohn hat das ab Tonband aufgeschrieben und unter dem Titel, den jetzt auch der Film trägt, veröffentlicht.

Jo Baier weist mit der Besetzung von Bruno Ganz als Terzani auf die Verlogenheit der Figur hin.

Er inszeniert ihn mit einer bemerkenswerten Widersprüchlichkeit zwischen Text und Geste, zwischen Geist und Machthaltung, zwischen Bescheidenheit und eitlem Startum. Im Text behauptet Terzani, er möchte ein ANNAM, ein Namenloser werden, also loslassen von Individuum und Machtanspruch, auch dem über seinen Sohn. In der Manieriertheit seiner Gestik, die schon an die Gebärdensprache der Gehörlosen grenzt (und wohin sich ganz offensichtlich Ganz’ früherer sprecherischer Manierismus transformiert hat; in der Sprache versucht er den direkten Ton) behauptet er indes das Gegenteil, nämlich nachdrücklich seinen irdischen Machtanspruch und sein darstellerisches Alleinstellungsmerkmal; durch die Festlegung in Details hinein, wie seine Asche zerstreut werden soll, will er auch über den Tod hinaus bestimmend bleiben.

Da die Inszenierung aber auf einen Angelpunkt verzichtet, an dem die Diskrepanz zwischen Behauptung durch Text und Behauptung durch Gestik als gewollt erkennbar wird, bleibt die Bilanz „Star/Terzani gegen Annam“ unentschieden und dito der Eindruck vom Film.

Adèle und das Geheimnis des Pharaos

So könnte es gewesen sein, aber so war es natürlich nicht. Papa Besson spaziert mit seinen Blagen am Louvre vorbei. Sie sehen die Glaspyramide davor. Fragt eines der Blagen, Papa, qu-est-que-c’est? Darauf fängt Papa Besson an zu flunkern, zu fabulieren und zu fantasieren was das Zeugs hält von ägyptischen Pyramiden und von Mumien und davon, dass es einen Professor gebe, der solche Mumien wieder auferwecken könne, aber nicht nur dies, er könne auch Dinosaurier-Eier, die über 100 Millionen Jahre alt seien, zum Ausbrüten bringen und Besson erfindet eine unerschrockene, taffe junge Frau Adèle (und engagiert dafür die imponierende Louise Bourgoin), die Forscherin ist und die unbedingt das medizinische Wissen einer der Mumien braucht, denn ihre Schwester ist beim Tennis-Spielen unglücklich gestürzt und …  Papa Besson kommt vom Hundertsten ins Tausendste und spinnt ein Märchengarn  bis er schließlich die junge Frau für ihre Verdienste auf eine bekannt luxuriöse Abschiedsreise schickt – und lässt uns mit offenem Mund zurück.

Hochzeitspolka

Vermutlich einer weiterer dieser gar nicht seltenen deutschen Filme, bei denen selbst die Produzenten schon bei Drehbeginn hinter vorgehaltener Hand geflüstert haben dürften, „den Schmarren“ werde sich bestimmt niemand im Kino antun, denn besoffene Westler, die in Polen auf einer Hochzeit „ein belegtes Brot mit Schinken, ein belegtes Brot mit Ei“ grölen, reißen heutzutage niemanden vom Hocker und schon gar nicht ins Kino.

Man müsste also fragen, warum der Film dann trotzdem – überflüssigerweise – produziert worden ist. Die Antwort dürfte ganz simpel die sein, weil es nämlich die Förderstruktur gibt. Und diese „Struktur“, die tickt vielleicht in etwas so: deutsch-polnisch ist immer gut, da gibt es auch Geld aus Polen und ist politisch gut wegen Versöhnung. Dem Jessen sein bisheriger Erfolg war überschaubar, wir kennen ihn und der wird uns nicht gefährlich werden. Dann kennen die Förderer vielleicht die Produzenten. Und schließlich spielt ja Ulmen mit, und der hat noch kein Geschirr zerdeppert, der ist nett, der ist politisch und auch TV-korrekt. Und ein polnischer Star ist ebenfalls dabei. Die „Förderstruktur“, die denkt nämlich in ungefähr allen Kategorien nur in einer garantiert nicht, nämlich der Kategorie, was ein guter und spannender Kinofilm sei. Weil eine Struktur sowas möglicherweise per definitionem gar nicht kann.

Hier noch aus meinen Notizen zum Film: „… für ältere Semster, in denen noch Lagerfeuerromantik nachglüht … Klampfe … eisgekühlter Bommerlunder …  man sollte ein Bedürfnis zum Wiederaufleben solcher Stimmungen haben, die des unkritischen Pseuoaufbruches, dann ist man beim Jugendfreizeitregisseur Lars Jessen richtig. Wenn man dann auch noch den für Südländer schwer zu dechiffrierenden Fischköppehumor versteht, da wird man sich möglicherweise sogar kaputt lachen in dieser Komödie, die ihr Handwerk nur sehr klapprig bis gar nicht versteht, jedenfalls nicht so versteht, dass ihr Fördergelder zustehen dürften … Kino von einer Strahlkraft nicht über die Ebbegrenze hinaus … Dramaturgie von einer Dürftigkeit, die selbst fürs Fernsehen kümmerliches Niveau … Auf eine Charakterisierung der Hauptfigur, ein Frieder gespielt von Christian Ulmen, wird gänzlich verzichtet. Man setzt auf den Ulmen-Effekt; der kommt jedoch abgenutzt daher. … Am Set des endlos ausufernden Gegröles, Gejohles, Gebrülles auf der Hochzeit, da dürfte Jessen für ihn glaubwürdig das Gefühl beschlichen haben, ein mächtiger Kinoregisseur zu sein …“

Der letzte Exorzismus

Der Film fängt ausgezeichnet an mit einem Schauspieler, Patrick Fabian, der den fake-dokumentarischen Charakter seiner Exorzisten-Pfarrer-Figur brilliant rüberbringt, indem er fürs Fernsehen einen letzten Exorzismus durchführen und seine Tricks offenlegen und damit Abschied von diesem zwielichtigen Handwerk nehmen will. Als dann die Chose außer Kontrolle gerät, verliert er den pseudodokumentarischen Charakter seiner Figur, den Mitspielern ergeht es nicht anders, sie spielen jetzt nur noch überdrehte Hysterie statt glaubwürdigem Schock und machen damit den guten Anfang zunichte.

Die Entbehrlichen

Ein schönes Prekariats-Exploitation-Movie. Eine hingebungsvolle Sentimentalität mit einem bleichen Jungen mit dunkel geschminkten Augenrändern im Mittelpunkt. Eine engagierte Illustration zur aktuellen HartzIV-Debatte.

Jud Süss – Film ohne Gewissen

Einmal mehr ein deutscher Film, bei dem mich vorrangig beschäftigt, warum der mich so gar nicht „anspringt“.

Vielleicht das Gute vorneweg, es gibt wirklich eine schöne „Röhler“-Szene, das ist die Fickszene bei Gewitter und Fliegeralarm unterm offenen Dachfenster nach der Berlin-Premiere des Propaganda-Filmes. Die hat diesen abgefuckten Röhler-Charme, der mich in früheren Filmen angetörnt hat.

Das war aber auch fast die einzige Szene. Sonst schien Röhler zu viel Respekt vor der heißen Kartoffel gehabt zu haben, die er  leider nur mit spitzem Fingern angefasst hat.

Mir war der Untertext, wir machen hier einen Film, der mit unserer Gegenwart nichts zu tun hat, das alles war einmal, viel zu laut und deutlich. Ich erwarte von einem lebenden Filmemacher, dass er Filme für uns Heutigen und nicht für Vergangene macht.

Wenn dieser Verdrängungsuntertext nicht so stark gewesen wäre, hätten mich andere Dinge weit weniger gestört. Dass Moritz Bleibtreu offenbar einen fatal fehlbesetzten Sprachcoach gehabt haben muss, wodurch er sich nur noch auf den Akzent statt auf die Rolle zu konzentrieren schien. Dass Tobias Morettis primäres Interesse der Verdeckung der privaten Karriere-Wohlstandswampe galt, denn mit einer so gesättigten Figur ist schwer zu vermitteln, warum ein erfolgreicher Schauspieler wie Marian (immerhin spielte der den Jago auf einer grossen Bühne) mit einer Durchbruchsrolle noch gezöckelt werden konnte; privater Ersatzkonflikt des zentralen Rollenträgers. Dass mir nicht plausibel wurde, warum Armin Rohde in den nachgestellten Jud-Süss-Film-Szenen viel attraktiver und origineller schmiert als in den Drumherum-Szenen. Dass Hans Moser, der zwar den Moserton anständig imitiert, den Irren mimt.

Angenehm wirkt immerhin, dass das Historische nicht auf übertriebenen Kostümeffekt hin präsentiert wird –  wie sonst so oft schon geschehen.

Ein zentrales Problem dürfte einmal mehr das Buch sein. Die Autoren heissen laut IMDb Klaus Richter und Michael Esser. Sie haben, scheint mir, bei der Hauptperson, dem Schauspieler Marian, der den Jud Süss spielen soll, nicht tief genug gebohrt, um das Interessante an der Figur zu finden und herauszuarbeiten – irgendwo muss da eine abgrundtiefe Verletzung ortbar sein, die die Annahme der Rolle plausibel macht, eine abgrundtiefe Verletzung, die wohl jeden Zwangssschauspieler ausmacht und ihn eben zwingt aus bestimmten Gründen gewisse Rollen anzunehmen. Gerade wenn man bedenkt, wieviel Mist die heutigen Schauspieler spielen und wie sie es begründen. Das erzählen die chronischen Interviews, die jede Filmpremiere und jede Erstausstrahlung eines Fernsehspiels begleiten bis zum Geht-nicht-mehr. Hier fehlt mir viel zu sehr der Bezug zum Heute. Film wird ja nicht wirkungsvoll dadurch, dass er die Vergangenheit kritisiert, sondern er muss den Finger auf wunde Punkte des Heute legen, wenn er wichtig werden will, auch wenn dies im Gewande der Vergangenheit passiert.

Dagegen versucht das Drehbuch pseudosachliche Diskussionen über die Rollenbesetzung zwischen Goebbels und Harlan, da ist der Schrumpfkopfgag vielleicht als Röhlerscher „Einfall“ zu sehen, oder zwischen Frau Marian und Herr Deutscher (die einzige Figur, die mir glaubwürdig scheint, weil sie in einer existenziell bedrohlichen Situation steckt), oder zwischen Marian (der das Buch nicht gelesen haben will)  und seiner Frau. Hier wird immer ein Sachthema abgehandelt wie fürs Schulbuch, tödlich für die Spannung eines Spielfilms. Der belehrte Zuschauer. „Alles nur Bla Bla“ findet Moretti zurecht. Und damit der Zuschauer nicht vergisst, in welcher Zeit, also weit weg von uns  das alles spielt, darf das Töchterchen der Marians noch das Gedicht von der Judenbrut aufsagen und Moretti darf das zur Rettung seiner Schauspielerehre „schrecklich“ finden, nur das hilft der Spannung wenig. (Die Intention dieses „schrecklich“ kommt leider schwammig rüber, ist es der Kommentar von Herrn Moretti oder von Herrn Marian oder gar der der Autoren?).

Undsoweiter.

Richter-Esser-Röhlers Versuch kommt mir vor wie ein Versuch, der mit dem Eifer und der Sorgfalt betrieben wird, die ein Bastler zum Bau eines Modell-Hauses aus Streichhölzern verwendet, zur Herstellung einer minutiös imaginierten historischen Realität ohne jeden Bezug zum Heute. Also bestenfalls geeignet für ein Nazizeit-Filmmuseum.

Zu fragen wäre, was hielten die Autoren für das zentrale Thema ihres Filmes? Sind es die Machtmechanismen, die um die Besetzung prominenter Rollen wirksam werden? Da liegt doch auch heute einiges im Dunkeln. Der NDR-Heinze-Skandal als Indiz dafür. Da gäbe es Dinge ans Licht zu bringen. Subtile Gespinste von Macht und Abhängigkeit. So wie diese in diesem Film präsentiert werden, sind sie doch recht schematisch ausgedacht statt erforscht und untersucht. Mir scheint, da ist eben gebastelt und nicht geschürft worden. Oder war es das Thema Propagandafilm? Oder sollte einmal mehr nur gezeigt werden, wie schlimm doch die Nazis waren? (Und wie leicht man damit Filmgelder locker machen kann?) Mir scheint, da haben sich die Macher um einige entscheidende Fragen und Entscheidungen gedrückt.

Dinner für Spinner

Es gibt gut zu Lachen in diesem Dinner für Spinner, aber zwischen den Einschlagsorten der Pointen und dem Nerv unserer Zeit bleibt eine beachtliche Spanne Spielraum, denn die Pointen scheinen mit zuviel Ehrfurcht vorm Vorbild vorgetragen, das bremst die Komödie, die vielleicht so ist, wie sie in komplizierten Etagen mehr oder weniger geldiger Produzenten gedacht und abgesegnet wird.

Mammuth

Der langlockige Gérard Depardieu auf der titelgebenden MÜNCH Mammuth 1970 ohne Scham sein Fett raushängend ist in jedem einzelnen Bild dieser belgisch angehauchten surreal-naiven Gemäldegalerie prächtig leinwandfüllend.

Groupies bleiben nicht zum Frühstück

Junge Frau, die Hysterie und Idolaterie ihrer Mit-Teenies verschnarcht, tappt auf das Marzipantörtchen von angesagtem Teeniestar. Sie verlieben sich. Aber die Schnarcherin bleibt nicht zum Frühstück. Auch Groupies bleiben nicht. Aschenputtels sowieso nicht. So ist das halt nun mal – so viel zur geistigen Ebene des Werkes.

Auf der Macherebene ist ein herrlicher Vorgang, wie die Nachricht von der Liebesnacht von Teeniestar und Schnarcherin unter dem Siegel der Verschwiegenheit rasend schnell über das Handykommunikationsnetz weiterversiegelt wird und die kalten Köche des heißen Teenie-Idols zum Kochen bringt, ein Slapstick moderner Kommunikationswege.

Pianomania

Ob der Titel eins zu eins passt, ob es sich wirklich um Pianomanie handelt, das sei dahingestellt. Ob es sich um Cinemanie handelt ebenso. Was zu sehen ist, ist eine jedenfalls ungewöhnlich unterhaltsame Dokumentation über Vorgänge am Rande des grossen klassischen Klavierkonzert-Geschäftes mit Stars wie Pierre-Laurent Aimard, Alfred Brendel, Lang Lang, Till Fellner, Igudesmann & Joo aus der Perspektive des erstklassig entertainenden Klavierstimmers Stefan Knüpfer, eines Mannes aus der zweiten Reihe, der sich nur bückt, wenn er  sich   den Klaviersaiten zuneigt.