Das traumatische Kindheitserlebnis für Roman Kogler dürfte das gewesen sein, dass seine alleinerziehende und überforderte Mutter ihn eines nachts, weil er weinte, mit einem Kopfkissen zu ersticken versuchte, und wie er sich nicht mehr bewegte und sie glaubte, er sei tot, hat sie mit Wiederbelebungsversuchen begonnen und ihn umgehend in ein Heim gegeben. Seither hat er nie mehr Kontakt zu ihr gehabt. Mit 14 wurde er des Totschlages an Martin Stappeck zu acht Jahren Jugendknast verurteilt. Wenig verwunderlich, dass er verhaltensgestört und introvertiert, mithin schwer zugänglich und unberechenbar ist, dass es ihn an keiner Lehrstelle lange hält, weil seine plötzlichen Wutausbrüche für seine Umgebung unerträglich sind. Soweit das Soziogramm der Hauptfigur, das sich weitgehend mit den Erkenntnissen moderner Menschen- und Verhaltenswissenschaft decken dürfte.
So weit so nachvollziehbar. Es wird schnell klar, wir haben es mit einem hoffnungslosen Fall zu tun. Aber da die Hoffnung zuletzt stirbt und wir außerdem in Wien sind, dem ein gewisser Hang zu Schabernack und Morbidität nachgesagt wird, und wie eh der Tod auf einen Totschläger vermutlich ein besondere Anziehungskraft ausüben dürfte, so bewirbt Roman Kogler sich als Lehrling beim städtischen Bestattungsdienst und wird dort tatsächlich auf Probe genommen.
Vor Leichen zeigt er keinen Abscheu, eher Faszination. Es gibt anfangs brenzlige Situationen, in denen zu befürchten ist, dass er die Kontrolle über sich verliert, aber sie werden gemeistert. Und wie der Bestatteralltag anfänglich geschildert wird, wenn man noch die leicht jazzige Musik dazu berücksichtigt, so entsteht der Eindruck, ein Wiener Filmer macht sich hier auch einen Schmäh aus der ganzen Bestatterei, nimmt sie nicht so tragisch. Das bekommt dem Film durchaus, nimmt ihm aber auch einen gewissen Ernst, bewahrt ihn andererseits vor dem Abgleiten in den Sozialkitsch.
Die Entwicklung, die Roman Kogler macht, wie aus ihm plötzlich ein braver, junger Mann durchschimmert, das geschieht dann allerdings mehr theroretisch als systematisch cinematographisch durchdacht. Das dürfte der Grund sein, warum ich diesen Film eher in die Kategorie sehr sorgfältig gearbeitetes Fernsehspiel mit einem sozialen Problem im Mittelpunkt einordnen würde. Auch weil Romans Konflikt nicht als treibendes Element zur Erzeugung der Spannung genutzt wurde.
Der Film ist langsam und bedächtig. Nur alle paar Minuten streut er wieder eine neue Info rein, bis wir überhaupt wissen, was mit Roman los ist; Knast, das sehen wir schnell. Dass wieder eine Stelle nicht funktioniert hat auch. Auch lernen wir die Ganzkkörperkontrolle bei der Rückkehr in die Jugendstrafanstalt kennen, wie minutiös inklusive Körperöffnungen alles durchsucht wird.
Über die Gespräche mit dem Betreuer erreichen uns ein paar weitere Informationen. Dann die ersten Touren mit den Bestattern. Auch das wird langsam angegangen. Wie er erst nur dabei ist. Wie er einen Rolltisch an seinen Platz zurückstellen soll. Wie er dann das erste Mal bei einem Sarg mit anfasst. Die ersten Leichen, aus dem Kühlfach, in der Pathologie, tote Frau im Wohnzimmer, da hilft er bereits beim Waschen und Ankleiden, das tut er sehr sensibel, dann die Leiche von Christine Kogler. Das berührt ihn innerlich. Es könnte seine Mutter sein. Aber ein Anruf bei ihr, er hat die Adresse vom Helfer, bestätigt, dass sie es nicht sein kann, denn sie lebt. Dann der Tote beim Verkehrsunfall, eine Beinahauseinandersetzung mit einem Polizisten.
Es ist ein extensives Movie. Es gibt eine Szene früh im Film, wie Roman die Leichenwannen desinfiziert, da ist ein Vogel im Raum, den lässt er ins Freie fliegen, ein poetischer Moment. Filmbeliebte Symbolik.
Dann sucht er seine Mutter auf. Er geht mit ihr Matratzen kaufen. Dort treffen sie den Bewährungshelfer mit seinem Töchterchen, der scheint auch von der Mutter des Kindes getrennt zu leben, das ist alles wunderbar durchdacht als Beispiel, als ein Vorzeigefall, der hier mit filmischen Mitteln demonstriert wird.
Dann trifft Kogler im Zug ein englischsprechendes Girlie. Die verleitet ihn zum Biertrinken. Kurz entsteht der Eindruck, der sei noch nie in einem Zug mit Getränkeservice und Abteilwagen gefahren. Dann der Alkoholtest in der Anstalt, das Wohlwollen des Wärters, der ihn nicht verpfeift am Vorabend zum Urlaub. Das stösst mir an diesem Film auf: er will zeigen, dass auch für solche Menschen Hoffnung besteht, das entfremdet ihn aber dem Kino, dem Kinodenken, der Kinoweltsicht. Irgendwie ist die Haltung im Film zu engagiert für die Unterdrückten, die Outsider, die vom Schicksal Gebeutelten, will quasi schützend seine Hand über den unglücklichen Buben legen. Eine für eine Kinoleinwand ungeeignete Eigenschaft. Verständnisheischendes Kino widerspricht der Idee vom Kino als Klarsichtfolie. Später besucht Roman das Grab seines Opfers, die Stelle hat er sich im Bestattungsamt, wo er arbeitet, geben lassen. Zu seiner eigenen Rechtfertigung meint Roman übrigens, das Opfer sei erst im Spital gestorben.
Zwischendrin sind immer wieder Szenen vom Schwimmbassin der Strafanstalt, wiie die Jungs schwimmen. Wozu diese Szenen gut sind, kann ich nur raten. Vielleicht Aufzeigen von Symbolik: wie Roman auf den Boden des Bassins taucht und bleibt und bleibt und bleibt; die Unterwasserkamera weidet sich an den Beinen von einem halben Dutzend anderer junger Männer, irgendwann sind die beunruhigt, lassen sich ganz ins Wasser fallen. Doch da taucht Roman schon wieder auf. Schöne Szene, aber was will sie uns erzählen? Das Haupthandicap des Filmes dürfte sein, dass er „gut gemeint“ ist. Das ist leider immer der Tod des Kinos und verdonnert es zwangsläufig ins Fernsehen.
Oder man müsste dem Buch vorwerfen (es stammt von Karl Markovics, der auch die Regie besorgt hat), es sei zu oberflächlich und zu leichtsinnig geschrieben worden, ja, ja, das kriegen wir schon hin, wir zeigen ein paar signifikante Stationen und erst muss der Junge ein bisschen verschlossen sein, dann brauchen wir zwei bis drei bedrohliche Situationen, dann eine Palette von Bestattungssituationen, das ist auch schnell gemacht; hat aber leider mit den inneren Konflikten von Roman wenig zu tun, insofern kam mir die Assoziation vom Schmäh, vom Leichenschabernack, den hier einer treibt.
Das Buch hat es auch unterlassen, Roman so einzuführen, dass man Empathie für ihn empfinden kann; es ist eine äußerliche Verschlossenheit, die er spielt und die alles andere als konsequent durchgehalten wird; denn so schnell wie hier, so schnell wandelt sich ein abgrundtief verletzter Mensch nie, nie, nie. Auch ist die soziale Situation im Knast nur oberflächlich dargestellt und vermutlich entsprechend flüchtig recherchiert worden. Dadurch wird der Eindruck erweckt, es handle sich bei diesem Jugendknast, gerade auch wegen der Schwimmbassinszenen, die nicht wenige sind, um eine Art Hochsicherheitshotel, ohne dass die Gäste Hierarchien und Machtsysteme untereinander hätten (zum Vergleich ziehe man „Un Prophète“ heran, wie minutiös das dort dargestellt wird). Das wirkt im Kino sofort lasch. Insofern ist auch die „Roman“Figur, die hier entworfen wird, entsprechend unpräzise vom Buch her geschrieben, verschlossen für einen geschädigten Menschen ist eben nur der Ausdruck der tiefen inneren Verletzung, und wie die wurmt und wuselt und tut, das wäre die Voraussetzung, um einen spannenden Film zu machen, um das Medium Film angemessen einzusetzen.
Hier geht ein netter Schauspieler und sehr bemüht durch die verschiedenen Situationen der Rolle hindurch, lässt sich dabei ablichten und sieht in einigen Szenen sehr überzeugend aus, dann aber wieder nicht; das liegt aber wie gesagt am Buch, das sich nicht um die Konflikte des Protagonisten kümmert, das ist eigentlich das Schlimmste, was man einem jungen Schauspieler antun kann, ihn mit einer schlecht analysierten Rolle zu betrauen. Er wird gewiss genügend Höflichkeitskomplimente ernten, wie gut er das mache, weil man die Bemühung und eben auch ungute Stellen sieht, aber keiner wird sagen, hey, den Film musst du sehen, dieser junge Darsteller, das ist unglaublich, ich glaube, ich habe da was über solche gestrauchelten, kaputten Menschen kapiert.
Der moralisch korrekte Bürger wird diesen Film, weil er moralisch korrekt ist, Grundaussage: die Jugendstrafanstalten taugen was, gut finden. Aber ob sie den Film freiwillig im Kino anschauen, das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.