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Atmen

Das traumatische Kindheitserlebnis für Roman Kogler dürfte das gewesen sein, dass seine alleinerziehende und überforderte Mutter ihn eines nachts, weil er weinte, mit einem Kopfkissen zu ersticken versuchte, und wie er sich nicht mehr bewegte und sie glaubte, er sei tot, hat sie mit Wiederbelebungsversuchen begonnen und ihn umgehend in ein Heim gegeben. Seither hat er nie mehr Kontakt zu ihr gehabt. Mit 14 wurde er des Totschlages an Martin Stappeck zu acht Jahren Jugendknast verurteilt. Wenig verwunderlich, dass er verhaltensgestört und introvertiert, mithin schwer zugänglich und unberechenbar ist, dass es ihn an keiner Lehrstelle lange hält, weil seine plötzlichen Wutausbrüche für seine Umgebung unerträglich sind. Soweit das Soziogramm der Hauptfigur, das sich weitgehend mit den Erkenntnissen moderner Menschen- und Verhaltenswissenschaft decken dürfte.

So weit so nachvollziehbar. Es wird schnell klar, wir haben es mit einem hoffnungslosen Fall zu tun. Aber da die Hoffnung zuletzt stirbt und wir außerdem in Wien sind, dem ein gewisser Hang zu Schabernack und Morbidität nachgesagt wird, und wie eh der Tod auf einen Totschläger vermutlich ein besondere Anziehungskraft ausüben dürfte, so bewirbt Roman Kogler sich als Lehrling beim städtischen Bestattungsdienst und wird dort tatsächlich auf Probe genommen.

Vor Leichen zeigt er keinen Abscheu, eher Faszination. Es gibt anfangs brenzlige Situationen, in denen zu befürchten ist, dass er die Kontrolle über sich verliert, aber sie werden gemeistert. Und wie der Bestatteralltag anfänglich geschildert wird, wenn man noch die leicht jazzige Musik dazu berücksichtigt, so entsteht der Eindruck, ein Wiener Filmer macht sich hier auch einen Schmäh aus der ganzen Bestatterei, nimmt sie nicht so tragisch. Das bekommt dem Film durchaus, nimmt ihm aber auch einen gewissen Ernst, bewahrt ihn andererseits vor dem Abgleiten in den Sozialkitsch.

Die Entwicklung, die Roman Kogler macht, wie aus ihm plötzlich ein braver, junger Mann durchschimmert, das geschieht dann allerdings mehr theroretisch als systematisch cinematographisch durchdacht. Das dürfte der Grund sein, warum ich diesen Film eher in die Kategorie sehr sorgfältig gearbeitetes Fernsehspiel mit einem sozialen Problem im Mittelpunkt einordnen würde. Auch weil Romans Konflikt nicht als treibendes Element zur Erzeugung der Spannung genutzt wurde.

Der Film ist langsam und bedächtig. Nur alle paar Minuten streut er wieder eine neue Info rein, bis wir überhaupt wissen, was mit Roman los ist; Knast, das sehen wir schnell. Dass wieder eine Stelle nicht funktioniert hat auch. Auch lernen wir die Ganzkkörperkontrolle bei der Rückkehr in die Jugendstrafanstalt kennen, wie minutiös inklusive Körperöffnungen alles durchsucht wird.

Über die Gespräche mit dem Betreuer erreichen uns ein paar weitere Informationen. Dann die ersten Touren mit den Bestattern. Auch das wird langsam angegangen. Wie er erst nur dabei ist. Wie er einen Rolltisch an seinen Platz zurückstellen soll. Wie er dann das erste Mal bei einem Sarg mit anfasst. Die ersten Leichen, aus dem Kühlfach, in der Pathologie, tote Frau im Wohnzimmer, da hilft er bereits beim Waschen und Ankleiden, das tut er sehr sensibel, dann die Leiche von Christine Kogler. Das berührt ihn innerlich. Es könnte seine Mutter sein. Aber ein Anruf bei ihr, er hat die Adresse vom Helfer, bestätigt, dass sie es nicht sein kann, denn sie lebt. Dann der Tote beim Verkehrsunfall, eine Beinahauseinandersetzung mit einem Polizisten.

Es ist ein extensives Movie. Es gibt eine Szene früh im Film, wie Roman die Leichenwannen desinfiziert, da ist ein Vogel im Raum, den lässt er ins Freie fliegen, ein poetischer Moment. Filmbeliebte Symbolik.

Dann sucht er seine Mutter auf. Er geht mit ihr Matratzen kaufen. Dort treffen sie den Bewährungshelfer mit seinem Töchterchen, der scheint auch von der Mutter des Kindes getrennt zu leben, das ist alles wunderbar durchdacht als Beispiel, als ein Vorzeigefall, der hier mit filmischen Mitteln demonstriert wird.

Dann trifft Kogler im Zug ein englischsprechendes Girlie. Die verleitet ihn zum Biertrinken. Kurz entsteht der Eindruck, der sei noch nie in einem Zug mit Getränkeservice und Abteilwagen gefahren. Dann der Alkoholtest in der Anstalt, das Wohlwollen des Wärters, der ihn nicht verpfeift am Vorabend zum Urlaub. Das stösst mir an diesem Film auf: er will zeigen, dass auch für solche Menschen Hoffnung besteht, das entfremdet ihn aber dem Kino, dem Kinodenken, der Kinoweltsicht. Irgendwie ist die Haltung im Film zu engagiert für die Unterdrückten, die Outsider, die vom Schicksal Gebeutelten, will quasi schützend seine Hand über den unglücklichen Buben legen. Eine für eine Kinoleinwand ungeeignete Eigenschaft. Verständnisheischendes Kino widerspricht der Idee vom Kino als Klarsichtfolie. Später besucht Roman das Grab seines Opfers, die Stelle hat er sich im Bestattungsamt, wo er arbeitet, geben lassen. Zu seiner eigenen Rechtfertigung meint Roman übrigens, das Opfer sei erst im Spital gestorben.

Zwischendrin sind immer wieder Szenen vom Schwimmbassin der Strafanstalt, wiie die Jungs schwimmen. Wozu diese Szenen gut sind, kann ich nur raten. Vielleicht Aufzeigen von Symbolik: wie Roman auf den Boden des Bassins taucht und bleibt und bleibt und bleibt; die Unterwasserkamera weidet sich an den Beinen von einem halben Dutzend anderer junger Männer, irgendwann sind die beunruhigt, lassen sich ganz ins Wasser fallen. Doch da taucht Roman schon wieder auf. Schöne Szene, aber was will sie uns erzählen? Das Haupthandicap des Filmes dürfte sein, dass er „gut gemeint“ ist. Das ist leider immer der Tod des Kinos und verdonnert es zwangsläufig ins Fernsehen.

Oder man müsste dem Buch vorwerfen (es stammt von Karl Markovics, der auch die Regie besorgt hat), es sei zu oberflächlich und zu leichtsinnig geschrieben worden, ja, ja, das kriegen wir schon hin, wir zeigen ein paar signifikante Stationen und erst muss der Junge ein bisschen verschlossen sein, dann brauchen wir zwei bis drei bedrohliche Situationen, dann eine Palette von Bestattungssituationen, das ist auch schnell gemacht; hat aber leider mit den inneren Konflikten von Roman wenig zu tun, insofern kam mir die Assoziation vom Schmäh, vom Leichenschabernack, den hier einer treibt.

Das Buch hat es auch unterlassen, Roman so einzuführen, dass man Empathie für ihn empfinden kann; es ist eine äußerliche Verschlossenheit, die er spielt und die alles andere als konsequent durchgehalten wird; denn so schnell wie hier, so schnell wandelt sich ein abgrundtief verletzter Mensch nie, nie, nie. Auch ist die soziale Situation im Knast nur oberflächlich dargestellt und vermutlich entsprechend flüchtig recherchiert worden. Dadurch wird der Eindruck erweckt, es handle sich bei diesem Jugendknast, gerade auch wegen der Schwimmbassinszenen, die nicht wenige sind, um eine Art Hochsicherheitshotel, ohne dass die Gäste Hierarchien und Machtsysteme untereinander hätten (zum Vergleich ziehe man „Un Prophète“ heran, wie minutiös das dort dargestellt wird). Das wirkt im Kino sofort lasch. Insofern ist auch die „Roman“Figur, die hier entworfen wird, entsprechend unpräzise vom Buch her geschrieben, verschlossen für einen geschädigten Menschen ist eben nur der Ausdruck der tiefen inneren Verletzung, und wie die wurmt und wuselt und tut, das wäre die Voraussetzung, um einen spannenden Film zu machen, um das Medium Film angemessen einzusetzen.

Hier geht ein netter Schauspieler und sehr bemüht durch die verschiedenen Situationen der Rolle hindurch, lässt sich dabei ablichten und sieht in einigen Szenen sehr überzeugend aus, dann aber wieder nicht; das liegt aber wie gesagt am Buch, das sich nicht um die Konflikte des Protagonisten kümmert, das ist eigentlich das Schlimmste, was man einem jungen Schauspieler antun kann, ihn mit einer schlecht analysierten Rolle zu betrauen. Er wird gewiss genügend Höflichkeitskomplimente ernten, wie gut er das mache, weil man die Bemühung und eben auch ungute Stellen sieht, aber keiner wird sagen, hey, den Film musst du sehen, dieser junge Darsteller, das ist unglaublich, ich glaube, ich habe da was über solche gestrauchelten, kaputten Menschen kapiert.

Der moralisch korrekte Bürger wird diesen Film, weil er moralisch korrekt ist, Grundaussage: die Jugendstrafanstalten taugen was, gut finden. Aber ob sie den Film freiwillig im Kino anschauen, das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Bessere Zeiten

Hier versucht sich wieder einmal eine Schauspielerin, Pernilla August, an Drehbucharbeit und Regie. Pernilla August ist sehr erfolgreich als Schauspielerin, hat schon mit Ingmar Bergman gearbeitet. Der Roman, den sie hier verfilmt, stammt von Susanna Alakoski, war deren Erstling und wurde ein Verkaufshit in Schweden. Dass der Film es bis Deutschland geschafft hat, dürfte dem Umstand zu verdanken sein, dass die Hauptrolle von Noomi Rapace gespielt wird, die hierzulande in der „Millenium-Trilogie“ bekannt geworden ist.

Die Geschichte ist die einer Frau, Leena, die in richtig verkommenen familiären Verhältnissen aufgewachsen ist, der Vater ein Trunkenbold und Grobian und die Mutter auch total überfordert mit diesem Mann und den beiden hübschen Mädchen. Was Leena am Leben erhalten hat, war das Schwimmen, der Sport, die Leistung. Sie hat dann mit ihrer Mutter gebrochen und ein eigenes Familienleben, das hier als glücklich geschildert wird, begonnen, sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Der Anruf, dass die Mutter im Sterben liege, bringt die Geschichte in Gang und so fahren Leena und ihre Familie los. Die Vergangenheit holt Leena ein. Schon auf der Fahrt zur Mutter und dann auch während des Besuches werden heftig Rückblenden an ihre eigene Kindheit eingearbeitet. Wie der Vater den Weihnachtsbaum umwirft, wie die Küche verwahrlost ist, wie ihr Bruder nur noch Haut und Knochen ist und kaum was essen mag. Erstaunlich, dass das Töchterchen trotzdem immer aussah wie aus gutem Hause und sehr ruhig und beherrscht war und versucht hat, sich um das Brüderchen zu kümmern. Das ist dann aber gestorben. Der Vater auch irgendwann. Leena macht sich heute noch Gewissensbisse wegen dem toten Brüderchen. Und sie kompensiert die familiäre Katastrophe mit sportlichen Anstrengungen beim Schwimmen.

Der Besuch bei der alten Frau ist, wie zu erwarten, nicht sehr erfreulich. Sie liegt mit Schläuchen im Spital und äußert den Wunsch, sie möchte mit der Urne ihres Schlägers und Alkoholikers von Mann begraben werden. Es kommt zu Diskussionen. Das wird sehr gefühlig geschildert. Es scheint, als wolle die Regisseurin unser Mitgefühl für diese furchtbaren sozialen Verhältnisse gewinnen. Es wird viel geweint und geschluchzt und geschrieen und auch gestritten.

Es ist eine schwer zu spielende Situation, so wie der Film anfängt, Leena und ihr Mann liegen im Bett, lieben sich, da aber die Kinder reinkommen, soll er sich schlafend stellen und dann kommt der Anruf. Erst das Glück und dann die Erstarrung. Hier zu zeigen, wie eine vollkommen verdrängte Vergangenheit in ein vorgespieltes oder gar vorgelogenes Glück hineinbricht. Später wird es auch darum gehen, was die Mutter sich alles vorgemacht habe. Aber es ist schwierig, scheint mir für die Hauptdarstellerin, die eine sehr hübsche Person ist, und wenn sie mit dem Anorak im Krankenzimmer ihrer Mutter auftaucht fast eher an eine Tatort-Kommissarin erinnert, sie ist kein kaputter Typ und außerdem müssen Frauen im Kino schön sein, es fehlt dann doch die Kaputtheit bei dieser Besetzung, die versucht diesen Mangel auszugleichen, indem sie oft bedrückt oder bedröppelt schaut. Das ist bei solchen Figuren sowieso immer schwierig, nicht alles schon vorweg zu nehmen; aber auch die anfängliche Phase der Verdrängung zu spielen, die muss eine Art Verschlossenheit sein; aber das ist, so wie das Drehbuch bearbeitet worden ist, schier unmöglich. Man hätte vielleicht besser eine andere Szene zur Einführung der Figur gewählt.

Auf intellektuelle Durchdringung des Stoffes wurde weitgehend verzichtet, es wird auf Gefühl und Mitleid gesetzt. Zuhause findet Leena dann ihr Wörterbuch, was sie als Mädchen geschrieben hat und ab und an liest sie daraus Passagen vor. Sie ist überzeugt, dass es auch schöne Dinge gegeben hat in ihrer Jugend; wenn die Familie zusammen war, wobei gerade vorher die widerliche Weihnachtsszene gezeigt worden ist mit dem arg chargiert spielenden Vater, der nur den Holzklotz-Suffkopp gibt, der nicht einen Moment der Zuneigung und der Liebe zeigen kann.

Der Film kommt mir vor, als ob eine bessere Dame der Welt zeigen will, wie dreckig diese doch sein kann, resp. wie dreckig die dreckige Welt in der Fantasie einer besseren Dame erscheinen kann. Es gibt eine ganze Menge recht ordinärer Flüche, die auch aufgetischt werden, Flüche auf dem Silbertablett, igitt.
Es gibt allerdings auch ein Spannungsmoment, das zwischen Finnland und Schweden, vielleicht ein Koproduktionsding, aber mir sind keine Vorurteile dieser beiden skandinavischen Völker gegeneindander bekannt. Der finnische Ekel möchte aufwühlen, die Regisseruin möchte den Zuschauer aufwühlen, das ist mein Eindruck, dabei lullt sie ihn eher ein, da er geistig nicht gefordert wird. Sie möchte tabulos das Grauen zeigen.
Ein Kino mit bewegen sollendem Moll, das dem Stoff Schwere und Bedeutsamkeit verleihen sollen.

In diesem Film kommen Fragen vor wie: „Wisst Ihr, wie man Gläser spült?“.

Der gestiefelte Kater

Wie sprüht dieser Film doch vor Leben, vor kindgerechter Freiheit und Frechheit, sich bei den Gebrüdern Grimm, beim Western, beim Hiberischen zu bedienen, wie sprüht dieser Film doch vor Spaß, diese animierten Figuren waghalsige Wettrennen mit Kutschen und Pferden liefern zu lassen, Western Saloon Atmosphäre zu zaubern, spanischen Tanz und Rhyhtmus in die Knochen fahren zu lassen. Wie sprüht dieser Film vor Freude, die Geschichte des gestiefelten Katers zu erzählen mit wohlgesetzten Pointen und Gags, so kann auch mal mit einer Degenspitze eine Hose ihres Sitzes beraubt werden. Wie sprüht dieser Film vor Tempo und Action und Witz und dosiert doch alles so, dass man es mitkriegt und nicht von einem Übermaß an Griff in die Computeranimationskiste überrollt wird.

Die Geschichte immer im Vordergrund. Der Kater mit den Stiefeln, die ihm alleweil wieder abhanden kommen, begibt sich auf Rachefeldzug, denn eine Freundschaft aus dem Waisenhaus, die mit dem eikugeligen Humapty Dumpty, die ist, so meint er, zerbrochen und das muss mit den Mitteln der Männlichkeit, des Mutes, des Western und auch der Mantel- und Degenkomödie furchtlos angegangen werden. Und dann ist da noch Kitty Samtpfote in der Zorro-Maske. Die drei finden zusammen und versuchen die Gans zu steheln, die goldene Eier legt.

Die gute Kinostimmung, die sehr an den Spaß früherer Disney-Animationen erinnert, wird zusätzlich angeheizt mit Rhythem aus Western und Tango und weiterer spanischer Tanzmusik. Das Ganze ist in nicht weiter gewöhnungsbedürftigem 3D – die Animierer lernen. Auch wenn die Brille nach wie vor lästig ist und es wirklich interessant wäre, den Film in 2D zu sehen, ob da auch nur ein Deut des Vergnügens weniger wäre, oder ob es sogar noch größer würde.

Jedenfalls fährt einen dieser Film mit einer Rasanz durch den Kopf, dass man sich gar nicht allzu sehr bei der deutschen Synchronisation aufhalten sollte, wobei die vielleicht auch Geschmackssache ist. Bei der Katerstimme von Benno Fürmann, da ist schon viel Schönes dran, auch dieser Akzent, aber ob das die optimale Lösung ist, er ist mir zu eindimensional, die Schlauheit der Figur, der Schalk, das Schelmische wird der Künstlichkeit eines ausländischen Akzentes geopfert.

Und die Eierstimme für Humpty Dumpty von Elton, die hört sich sehr ungeschält an, auch wenn das Ei mal kurz mit Wolkenbart und Schnauz auftaucht. Vielleicht wäre da eine Stimme, die eher einen Kontrast bietet zu einem gepellten Ei witziger gewesen.

Die haben sich bestimmt Mühe gegeben bei der Vertonung, aber meiner Meinung nach ist, was die Charakterisierung der Figuren und die Beherrschung des Spiels mit der Sprache anlangt, deutlich Spielraum übrig, sowohl im Aufwand, was die Suche nach den  Stimmen betrifft als auch im Aufwand, den Charakteren das Optimum an Stimme zu verleihen. Man darf nicht vergessen, dass Kinder den Film, sobald er auf DVD erhältlich ist, bestimmt wieder und wieder anschauen werden; er mithin auf die Sprachbildung Einfluss nimmt.

Aber Bild und Buch sind in diesem Film so stark, so voller Tempo und Abenteuer, dass ohngeachtet der Sprache bestimmt viel gelacht und aufgejuchzt werden wird in den Kinos, die das Glück haben, diesen Film zeigen zu können.

Habemus Papam – Ein Papst büxt aus

Nanni Moretti schafft es nicht, den Papst zu therapieren, das ist eine filmendogene Erkenntnis, denn sie betrifft Nanni Moretti als Schauspieler, der in seinem eigenen Film einen Psychoanalytiker spielt und den Papst, den neugewählten, der nicht auf den Balkon treten will, in der dadurch bedingten Verlängerung des Konklaves therapieren soll.

Der Satz trifft aber in gewisser Weise auch filmexogen zu, denn Nanni Moretti führt ebenfalls die Regie und hat mit Francesco Piccolo und Federica Pontremoli zudem das Buch geschrieben, aber auch damit gelingt es ihm nicht, die katholische Kirche qua Vatikan vom pompösen Auftritt als geistlicher Macht zu kurieren, falls er solches überhaupt intendiert hat.

Es gibt durchaus Hinweise, dass er das möglicherweise versucht hat, denn den Übergang am Anfang des Filmes vom realen Vatikan mit den prächtigen Aufzügen der Geistlichkeit und den gläubigen Massen zum fiktionalen Konklave inklusive Einzug der Kardinäle in dasselbe; die Kardinalsgesichter sind nur ein Tick zu grob geraten, ihr Gang ist nur ein Tick zu schwankend und zu wenig feierlich und ihre Stimmen sind nur ein Tick zu laut. Sonst ist die Kontinuität vom Realen ins Fiktionale Moretti wunderbar gelungen, wie ihm sowieso alle Szenen wunderbar gelingen.

Er zeigt überzeugend, was für einen Sog solch Aufwand an Kostümen, Choreographie, Rhyhtmus, Menschen, Massen und Gewändern entwickelt, welche Unwiderstehlichkeit; die lässt er den Zuschauer spüren, gibt ihm sogar das Privileg, im Innersten des Konklaves Mäuschen spielen zu dürfen. Indem er dem Zuschauer dieses exklusive Geheimnis eröffnet, macht er ihn zum verschworenen Genossen.

Es sind alte Tricks, aber immer wieder bewährt, wie man Szenen, die man nie im Leben gesehen haben kann, fiktional glaubwürdig erfindet, und Moretti beherrscht sie aus dem Effeff; wie die Kardinäle bei jedem Wahlgang mit einem eigens bereit gelegten Füller einen Namen auf ein Kärtchen schreiben, wie einer zu erhaschen versucht, was der andere schreibt, wie die Zettel abgegeben werden; dann die Auszählung der Stimmen, wie es dem Buchführer mit der Verlesung der einzelnen Stimmen zu schnell geht und er beinah die Übersicht verliert; draußen die Reporter, der eine, der vom Bildschirm her gar nicht dechiffrieren kann, ob der Rauch jetzt weiß (habemus) oder schwarz ist (vom Verbrennen der Zettel, was auch absurd ist, denn auch für den weißen Rauch müssen die Zettel verbrannt werden, denke ich). Wie sich dann beim dritten Wahlgang der Überraschungskandidat Melville, gespielt vom alten grandiosen Schauspieler Michel Piccoli, herauskristallisiert (eine filmgeschichtliche Anspielung oder Setzen einer filmhistorischen Latte mit dieser Namensgebung oder bloß ein kleines Witzchen?). Wie Piccoli alsbald die Krise kriegt. Wie er kurz bevor er mit seiner Entourage den berühmten Balkon hoch über dem Petersplatz betreten soll, sich auf einem Stuhl niederlässt, dann ganz kurz und mit Links einen Ausbruch mimt, den er mit seiner jahrzehntelangen Schauspielererfahrung nullkommanichts aus dem Ärmel schüttelt, die langen Gesichter auf dem Balkon, die Erwartungshaltung der Menge, die Triumphrufe, dann das Abebben, wie Piccoli sich entfernt, durch lange Gänge irrt, in einem Zimmer landet.

Bis dahin ist es spannend, immer die Frage, was nun. Dann verspielt sich leider das Thema; Piccoli mimt großartig einen alten Mann, der halb vielleicht Alzheimer haben könnte, der verunsichert ist, der sich das Papstamt nicht zutraut, der also mit seinem ganzen Verhalten das pompöse Protzenspiel der Kirche ins Wanken bringt, der in der Stadt vor seinen Bewachern abhaut. Ein Schweizer Gardist darf inzwischen in den Papstgemächern den Papst mimen mit gelegentlichem Zupfen an den Vorhängen oder Vorbeigehen als schnelle Silhouette, um ein Geraune bei den Beobachtern auszulösen. Piccoli sucht derweil seine Psychiatrin auf, landet in einer Pension, stößt auf eine Theatertruppe, die Tschechows Möve spielt, in ihm kommt die alte Schauspielerleidenschaft hoch (der Vorgängerpapast zum jetzigen, der hatte in seiner Jugend ein Theaterstück geschrieben) und der päpstliche Sprecher ist ein Pole, dargestellt vom polnischen Star Jerzy Stur. Die Kardinäle, die im Konklave verharren müssen, vertreiben sich die Zeit, bis der Name des neuen Papstes verkündet werden soll, mit Karten- und mit Ballspielen im Hof, da wird’s dann arg zügig.

Die Qualität des Papstes, „der ausbüxt“, wie es im deutschen Titel erklärend heißt, ist sicher die immer noch exzellente Schauspielerei von Michel Piccoli, der fasziniert, egal was er spielt und es bereitet eine Weile lang durchaus ein Vergnügen, zu wissen, hier im Bus, hier im Cafe, hier im Hotel, dieser leicht verwirrt scheinende Alte, das ist der eben gewählte Papst und keiner weiß das, aber dieser Gag erschöpft sich schnell; Michel Piccoli trägt eine Weile; aber mit reiner Schauspielerei kann so eine dünne sich wiederholende Situation nicht aufgewogen werden, was mir das Hauptproblem am Buch von Moretti scheint, als Koautoren werden in der IMDb noch Francesco Piccolo und Federica Pontremoli angeführt, nämlich dass er uns den exakten Konflikt, der den Papast dazu veranlasstt, das Amt nicht anzunehmen, vorenthält.

Es gibt zwar thearpeutische Sitzungen, sowohl mit dem amtlich bestallten Moretti als auch mit Piccolis bisheriger Psychiatrin und da gibt es Fragen nach der Jugend. Da uns aber der Hauptkonflikt, warum er das Amt nicht annehmen kann, nicht eröffnet wird, was natürlich, wenn man das schon vor dem Konklave wüsste, die Spannung potenzieren könnte, so entsteht der doch recht flache Eindruck, dass Moretti mit uns ein wenig Floss fahren will auf dem Kitzel des Reizes kirchlich-pompöser Macht und eines Spieles mit dieser.

Michel Petrucciani – Leben Gegen die Zeit

Dafür, dass es sich um eine der üblichen Dokumentationen über einen unüblichen Menschen handelt, ist sie recht al Dente geraten, gut genißbar und man kann was haben davon. Michel Petrucciani war ein legendärer Jazzpianist, ein Zwerg kaum größer als ein Meter und mit der Glasknochenkrankheit geboren worden.

Michael Radford fängt seine Dokumentation mit Röntgenbildern von den verbogenen Knochen an und auch mit der Uhr, die unweigerlich tickt, die wird auch immer wieder eingeblendet, denn Petruccianis Lebenserwartung war zum vornherein weit unter dem Durchschnitt. Das war vielleicht der Grund für ein außerordentlich exzessives Leben. Letzteres wurde mehr durch die in solchen Dokumentationen üblichen Interviews vermittelt als durch Live-Berichterstattung, denn Petrucchiani hat unser Jahrtausend nicht mehr erlebt. Eine Doku post mortem.

Er wurde in den Sechzigern in Frankreich geboren. Sein Vater hatte ein Musikgeschäft. Er und seine Brüder sind mit Instrumenten aufgewachsen und Michel wusste schon ganz früh, dass ihn nur das Piano und nur das Piano interessiert. Am Piano verbrachte er seine Jugend und auch den größten Teil seines erwachsenen Lebens. Was ihn faszinierend machte und was auch der Film wunderbar rüberbringt, das ist seine Lebensenergie, sein Willen, auch sein Humor, sein Umgang mit seiner für uns doch furchtbaren Krankheit; man durfte ihm kaum auf die Schultern klopfen, denn es bestand immer die Gefahr von Knochenbrüchen.

Selbst wenn er seine Hände kaum mehr bewegen konnte, spielte er Konzerte, als ob nichts wäre. Der künstlerische Raum, der Wunder vollbringt. Er wurde zu einem populären Weltstar mit riesigen Plattenauflagen. Er gab bis zu 220 Konzerte im Jahr; andere Jazzer sind zufrieden, wenn sie es auf 40 bringen. Und da Italien als Koproduzentenland firmiert, muss selbstverständlich auch ein Konzert mit dem Papst rein. Der wollte ihn in die Arme nehmen auf seinem Thron, aber Petrucciani verbeugte sich artig unten an den Stufen und drehte ab.

Ein eigenes Kapitel sind die Frauen. Er sei stets „horny“ gewesen erzählt er. Und er hatte einen großen Verschleiß an Frauen. Von einem Tag auf den anderen ließ er die eine fallen, weil ihm die nächste, die ihm besser passte über den Weg gelaufen ist. Solche Exen kommen genügend zu Wort. Wobei Radford auf eine Vertiefung der Problematik einer solchen Beziehung verzichtet, die durch das Startum des Kleinwuchspartners bestimmt noch schwieriger wird.

Die Tonspur hält viel feinste Jazzmusik bereit, viele Mitschnitte von Auftritten Petruccianis. Er hat auch einen Sohn gezeugt und es war früh klar, dass der auch die Krankheit hat, der kommt auch ein paar Mal zu Wort, ist aber nicht sonderlich ergiebig. Köstliche und besonders leicht genießbare Kost sind Anekdoten, wie die, die Roger Willemsen berichtet, der ihn näher kannte, dass er einmal nachts aus Paris bei ihm in Hamburg angerufen habe, ob er nicht was unternehmen könne, seine Frau habe ihn in der Wohnung eingeschlossen, weil sie es nicht gerne sehe, wenn er mit anderen Frauen unterwegs sei und er solle doch was unternehmen, um die Wohnung aufzukriegen und Willemsen hätte das dann tatsächlich geschafft.

Die Klammer im Film ist konsequent, kurz vor Schluss ertönt das Martinshorn und eine Röntgenaufnahme von den verbogenen Knochen ist zu sehen. Ein bisschen grausam wollte der Filmemacher schon sein.

Romeos

Der Film erweckt durch die Besetzung des Hauptakteurs mit einem Schauspieler ganz offensichtlich im Übergang von Frau zu Mann (oder die Maske müsste unwahrscheinlich gut Brüste und Barthaare simuliert haben) – und da er das auch thematisiert – einen semidokumentarischen Eindruck. Der Faszination einer Figur zwischen den Geschlechtern ist schwer sich zu entziehen. Andererseits kommt einem der Film, gerade weil er die Transsexualität thematisiert, eher vor wie ein Ausflug in eine verschworene Familie, die uns ihre intimsten Geheimnisse preisgeben will und wenig wie ein Ausflug ins Kino, das uns freier entlassen sollte, als wir reingegangen sind. So wie das Thema hier angegangen wird, scheint der Film auch viel eher aus der Szene für die Szene gemacht. Unglaublich emotional, wie wir uns ein solches Minderheitenmilieu generell auch vorstellen.

Der Film geht auch nicht gleich in medias res. Er lässt Lukas, den Protagonisten, zuerst für sein soziales Jahr in ein Mädchenheim einziehen. Der Zuschauer muss sich vorerst mit der Info begnügen, bei den Jungen sei gerade kein Platz. Der Zuschauer hat als allererstes immerhin mitgekriegt, dass sich Lukas was spritzt, aber wer sich da nicht auskennt, konnte jedenfalls nicht erkennen, dass es sich um Präparate zum Aufbau von Männlichkeit und Muskeln handelt.

Lukas spricht oft in die Kamera und nimmt das selber auf oder chattet übers Internet, oft schaut er auch in den Spiegel und in dieser ersten Sequenz hat er sich gerade die 25fache Tagesration in den Oberschenkel gespritz. Wie er die Spritze füllt und sie sich reinhaut, das sieht hundertprozentig so aus, als hätte er dies nicht speziell für den Film gelernt, als beherrsche er das aus langer Erfahrung. Das macht zum Beispiel das kleine Fingerschnippen an die Spritze, wenn die Flüssigkeit drin ist, deutlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Schauspieler, der sich mit sowas nicht auskennt, auf so eine Idee käme und falls der Regisseur sie hat, sie so überzeugend ausführen würde.

Der Einstieg wäre leichter gewesen, wenn der Zuschauer gleich die volle Info über Lukas erhalten hätte. Dann hätte der Film nicht erst eine Weile rumdrucksen müssen, hätte sich so selbst besser auf die Story konzentrieren können. Wie es ist in so einem „Erklär“-Film, müssen jetzt lauter Situationen gezeigt werden, die für Lukas brenzlig sind, denn wie gesagt, er hat noch einen Busen, er trägt einen Gummipimmel in der Hose, zwengs der Wölbung und ausgerechnet den schnappt sich einer, während er bei einer Party auf der Toilette sitzt, einer, der sich in der Badewanne hinterm Vorhang versteckt hat, schnappt sich das Teil und es wird zum Gaudium der Fete.

Eine Freundin von Lukas, Ine, hat ihm den Zivi-Job verschafft. Sehr deutlich werden auch die ganzen behördlichen Schwierigkeiten gezeigt, die eine sexuelle Transformation mit sich bringt. Vor allem zum Zeitpunkt, wo der Mann zwar schon Barthaar und Muckis und tiefe Stimme hat (darauf macht uns Ine aufmerksam beim ersten Treffen).

Dann die ständige Angst vor Entdeckung. Denn Lukas ist auf dem Weg von der Frau zum schwulen Mann und verliebt sich weiter in Männer. Sein Traum ist Fabio, ein recht smarter junger Darsteller, schwarzhaarig und mit allen Insignien einer klaren männlichen Jugendlichkeit ausgestattet. Diese Liebe ist so der lose geschlagene Handlungsfaden, immer wieder unterbrochen von Szenen, die auf die Schwierigkeiten der Lebenssituation von Lukas aufmerksam machen. Man sieht ihn auch nur einmal bei der Arbeit, wie er einige Plastikeimer in die Küche wuchtet. Es ist mehr eine Anhäufung von Verständnisweckszenen. Und erst am Schluss nach vielem Auf und Ab, denn auch Fabio kommt dahinter, wer Lukas ist, behilft sich der Film mit einem rührenden und zu Herzen gehenden Romantic-Comedy-Ende.

Identitätsproblemfilm.
Anziehproblemfilm.
Das Problem mit den weggeschnürten Brüsten.
Die Hände immer vor der Brust verschränkt.
Das Problem beim Baden.

Das ist vielleicht das Problem dieser Art von Problemfilmen. Kein Mensch interessiert sich doch für die Probleme anderer, schon gar nicht im Kino, behaupte ich gerne. Im Kino möchte der Zuschauer Spannung, Abenteuer, Unterhaltung; wenn die dann geschickt das Thema Transgender einbaut, tant mieux! Wenn aber ein Film um ein Problem herum gebaut wird, wird er immer, wie hier, ein reiner Insiderfilm bleiben, mag er noch so sorgfältig und gefühlvoll gemacht sein. Gut gemeint. Aber vielleicht wäre es spannender, wenn Lukas ein Tatort-Kommissar wäre, und ab und an damit konfrontiert, seine Geschlechtssituation nicht auffliegen zu lassen.

Die Freude über den ersten Männerschweiß, wen interessiert das sonst.
Frau Lennart (Lukas). Er ist FTM, female to male. Eigentlich müsste es heißen, FTG, female to Gay. Erste Geschichte mit Fabio: die Lederjacke.
Diese Liebesgeschichte leider nur randständig behandelt. Es wäre für die breitere Wirkung des Filmes sicher sinnvoller gewesen, sich voll und ganz dieser Liebesgeschichte mit all ihren Komplikationen zu widmen. Vorbild: Brokeback Mountain. Romeos ist aber weit davon entfernt, so universell erzählt zu werden. Er hängt eher leicht triefend im zähen Saft des Semidokumentarischen.

Drum muss doppelt unterstrichen und gesperrt gedruckt werden, das Recht, Spass zu haben. Insofern sogar Agit-Prop-Film, aber eben das auch nicht dezidiert. Ein Aufschrei-Film, das wäre sowas. Die Haltung der Macherin Sabine Bernardi ist vielleicht die aus Faszination, Mitleid, Wohlgesonnenheit, eine Melange aus diffusen Gefühlshaltungen und schon gar keine klare Haltung zum Geschichtenerzählen außer der, dass es gefühlvoll bis zum Rande der Schwülstigkeit sein müsse.

Teils sogar Hygienproblemfilm.
Dann Lehrfilm: die OP-Infos, die sich Lukas vom Netz runterlädt.
Antrag abgelehnt, Frau Seidel.
Auch sehr inensiv gefilmt: Anbandel- und Schmachtblicke in der Disco genau so wie beim Billiard.
Der Witz mit der Nudel, wie er zu den Männern zieht.
Sicher ist Transgender ein großes Problem für den Betroffenen, macht ihn vermutlich überdimensional narzisstisch nur mit sich selber beschäftigt. Umso mehr hätte der Film die Distanz schaffen sollen. Und nicht sich hergeben als Medium, diese Selbstbeschäftigung noch zu überhöhen.

The Big Eden

Hilfreich für die Betrachtung dieses Filmes waren mir im Hinterkopf Otto Dix und mehr vielleicht noch George Grosz. Diese pointierten Zeichnungen und Gemälde von Menschen quasi am Rande der Menschlichkeit oder auch karikaturhafte Auswüchse der Großstadt. So konnte ich diesem Film im Nachhinein ungeahnten Reiz entlocken. Denn sein Objekt, es handelt sich hier um eine Dokumenttion von Peter Dörfler, der mit „Achterbahn“ schon ein sehr extremes Schicksal nachgezeichnet hat, ist hier der Playboy Rolf Eden, eines Juden, der den Weltkrieg dank Emigration der Eltern nach Israel überlebte und der dann über Paris zurückkam, um in Berlin mit Clubs Geld zu verdienen und mit schönen Frauen das Leben und den Sex zu genießen.

Wenn Film überhaupt sowas wie karikaturistische Malerei leisten kann, dann vielleicht mit solchen Portraits von Figuren, die sich selbst gerne darstellen, die ein Bedürfnis haben, sich vor der Kamera zu exponieren. Das tut Rolf Eden gern. Die Schlüsselszene ist insofern vielleicht diejenige am Rande eines Konzertes in einer Pause, da sitzt der alte Playboy mit seiner jungen, deutlich gelifteten Frau auf einer ruhig gelegenen Pausenbank, in sich zusammengesunken, fertig, fast reglos, konversationslos sitzen die beiden da, leer, hohl, nippen Wein. Da entdeckt sie ein Fotograf und wie ein Wildbach schießt das Leben in die beiden leblos geglaubten Figuren, sie recken sich, strecken sich, posieren wie junge Vögelchen, die auf die Fütterung warten, prosten sich zu fürs Bild.

Die erste Frage nach Verlassen des Kinos war allerdings die, muss ich mir das bieten lassen, muss ich mich wirklich dichte 93 Minuten lang dieser Selbstdarstellerei aussetzen? Ist es so spannend oder nicht sogar abgeschmackt, anderen Menschen beim vorgeblichen Glücklichsein zuzuschauen? Oder war es vielleicht purer Neid, nicht ein solches Leben führen zu können? War es die Erkenntnis darüber, dass ein glücklicher Mensch resp. einer, der sich zumindest ein Leben lang das Glück vorspielt, mit einigem materiellem Erfolg immerhin – fürs Kino nicht allzu ergiebig ist, ein Mensch, der auch von sich selbst sagt, er habe einfach Glück gehabt, der den Film einleitet mit einem Statement, dass es nach dem Tod nichts mehr gebe und dass er deshalb bis dahin jede Sekunde ein schönes Leben führen möchte.

Das überraschendste an dieser Dokumentation ist, dass vielleicht so alle zehn Minuten ein weiteres Kind von Eden samt Mutter präsentiert wird. Diese Kinder haben ein Alter von etwa 12 bis über 60. Eden selbst feiert im Film seinen 80. Geburtstag. Doch der Gesichtschirurg in Paris findet, dass er vor zehn Jahren gute Arbeit geleistet habe und es im Moment nichts zu liften gebe. Man könnte über Schönheit philosophieren bei einem solchen Film. Über die Schönheit der Frauen. Denn denen gilt sein Leben. Er sieht sich als hauptberuflichen Playboy. Sein Geld hat er mit Clubs im Berliner Nachtleben gemacht. Seine Eltern sind schon 1933 nach Jerusalem ausgewandert. Er hat dort in der Armee gedient. Hat sich nichts gedacht dabei. Wollte unbedingt nach Amerika. Das hat nicht funktioniert. So landete er über Paris schließlich nach dem Krieg in Berlin, weil dort Rückkehrern 6000 Mark Empfangsgeld winkte.

Ausblenden des Negativen. Eden will nichts Negatives hören, er will keine Besuche in Krankenhäusern machen, er will die Menschen erfreuen. Aber dafür müssen sie blechen. Die Kunden der Clubs mit ihren Eintrittgeldern und der Konsumation. Seine Frauen, indem sie sich von ihm zum Schönheitschirurgen schicken lassen, der ihre Gesichtszüge in Richtung Harmonie verändert, wie Eden sie sich vorstellt. Das war vielleicht der spannendste Punkt bei einer Diskussion in Israel, wie ein Freund von ihm das Thema Opfer und Judentum hinsichtlich Deutschland ansprach. Dass Eden wohl der einzige Jude sei, der in Deutschland lebe und sich nicht als Opfer sehe. Das wäre ein vertiefbares Thema.

Dörfler lässt Eden in einer immer wieder zwischen das Archivmaterial geschnittenen Szene sich selbst vor einem White Screen produzieren. Hier kommt die Angelegenheit der Malerei und damit Grosz und Dix am nächsten oder in der anfangs erwähnten Fotografenszene im Pausenfoyer oder auch wie sie zuhause in den weißen Morgenmänteln beim Frühstückstisch sitzen und Zeitungen darauf hin absuchen, ob sie drin stehen oder nicht. Elementare Einsamkeit könnte als Text unter der Szene stehen.

Er liebte es auch, Insturmente zu spielen oder singend aufzutreten. Musikalisch allzu ergötzlich sind diese Auftritte nicht. Auch seine Lache, die oft einen Kommentar oder einen Satz von ihm begleitet, hat etwas Stereotypes.

Wyssozki – Danke, für mein Leben

Ein russisches Biopic über einen Abschnitt im Leben des Sängers Vladimir Wyssozki.

Russland ist ein großes Land, hat also genügend Platz für breite Leinwand, ausdauerndes Erzählen und somit lange Filme. Es geht in diesem Film um eine Phase im Leben von Vladimir Wyssozki. Er war in den siebziger Jahren in der UdSSR einer der bekanntesten Sänger, aber immer halb- bis illegal. Insofern dürfte er in Russland nach wie vor bekannt sein und ein Film über ihn zu machen sich lohnen.

Wie die Resonanz auf dieses Biopic bei uns sein wird, dürfte eher skeptisch beurteilt werden. Zum einen wird es an der fehlenden Kenntnis und Verehrung Wyssozkis hierzulande liegen.

Zum anderen würde ich diese Skepsis mit der Machart des Filmes begründen. Schon das Drehbuch, das offenbar von einem Verwandten von Vladimir geschrieben worden ist, er heißt Nikita Wyssozki, macht es Zuschauern, die Wyssozki nicht kennen, nicht leicht. Es setzt die Kenntnis des Werdeganges und seines kulturellen Gewichtes als selbstverständlich voraus. Es behandelt die Phase, wie die russische Obrigkeit ihn wieder einmal einsperren wollte, eine Phase, ein Jahr vor seinem Tod, wie im Abspann zu lesen ist, also 1979.

Das Problem bei den illegalen Konzerten war, das wird hier recht genau geschildert, dass als Beleg nur die Reste der Blocks der nicht verkauften Eintrittskarten galten; die aber haben Vladimir und sein Team immer geschickt zu entsorgen gewusst.

Der Film handelt von der Zeit, in der ein zwielichtiger Kumpel von Vladimir, Friedmann, auf ihn angesetzt wird, bei einem Konzert in Taschkent diese Belege sicherzustellen, um Vladimir endlich überführen zu können. Natürlich ist das mit vielen Hindernissen nach allen Regeln der dramaturgischen Kunst verbunden, so dass ein sehr langer Film draus geworden ist.

Hinzu kommt, dass Vladimir drogenabhängig ist. Und dass ihm in Taschkent, resp. in Bacharach, einige Autostunden von Taschkent entfernt, die Drogen ausgegangen sind. Er hatte immer seinen Arzt dabei, der als eine sehr schräge Figur gezeichnet wird und der ständig Arztanekdoten zum Besten gibt, sich selbst dabei kaputt lacht und in Taschkent zeigt, dass er auch ein begnadeter Säufer vor dem Herrn ist.

Der Geheimdienst will, wie in Taschkent die Dinge sicht nicht so entwickeln wie sie sollen, die Freundin von Vladimir als Pfand nehmen (weil es Vladimir beschissen geht, sagt er das zweite Konzert vor den Granden der Kader und der Partei ab; für seine Jäger ein Flop!). Das führt dann kurz vorm Schluss zu einem ernsthaften Gespräch zwischen seinem Hauptgegner von der Staatssicherheit, wo es darum geht, sein eigenes Leben zu retten oder das der Freundin, da offenbart sich erst explizit Vladimirs Charakterzug einer unbedingten Geradheit in Dingen der Gerechtigkeit und gegen jeden Opportunismus, der ihn wohl gerade in der Sowjetunion so beliebt gemacht haben dürfte.

Damit kommen wir zu einem weiteren Problem, was die Rezeption hier in Deutschland schwierig machen dürfte. Der Film ist vom Buch her nicht aufgebaut als ein Biopic, was den Charakter von Vladimir Wyssozki zum Dreh- und Angelpunkt nimmt, die daraus sich entwickelnde Karriere als auch die daraus resultierenden Schwierigkeiten und dramatischen Verläufe, er ist eher wie für ein Museum für den Sänger illustrierend aufgrund biographischer Begebenheiten. Dadurch wird sehr viel vorausgesetzt, was uns hier kaum oder gar nicht bekannt sein dürfte. Wie wenig sich wohl auch heute noch Leute vorstellen können, wie strikt die Atmosphäre in der UDSSR war, einem Spitzelstaat, einer Diktatur. Den Film könnte ich mir wirklich am besten in einem Museum über die UdSSR oder zu Ehren von Vladimir Wyssozki vorstellen.

Und als Drittes, was die Rezeption hier erheblich erschweren dürfte oder was allenfalls ausgefuchste Cinemaniacs ins Kino zu locken vermöchte, das ist die Machart der Inszenierung, dieses allzu deutliche Demonstrieren der Beherrschung des Filmhandwerks. Das tut Pyotr Buslov, der Regisseur, durchgängig, das wäre an tausend Details zu belegen. Film als Handwerk. Regie als Handwerk. Kein Schauspieler, der nicht in jedem Moment ein klares Verhältnis zur Situation, eine deutliche Reaktion auf die Vorgänge ausdrückt. Das steigert sich im Moment, wo Vladimir mit Herzstillstand auf einem Teppich im Hotelzimmer in Bacharach liegt, zu expressiv exaltierter Verzweiflung und Schreien. Führt aber genau so zu kleinen, so ganz nebenbei inszenierten, Schrägheiten, wenn der Arzt einen Wassermelonenschnitz isst und das Telefon klingelt, eine Boulevardtheaternummer wie er mit Melone und Telefon hantiert und kämpft, aber nur ganz kurz. Gekonnt auch, wie sichs für einen Breitwand-Film gehört, dazwischen immer wieder unendliche Landschaft um Taschkent oder imposante Aeroflot-Starts und –Landungen und dann noch schnell ein rote untergehende Sonne dazwischengeknallt und im Gegenschuss den Rotfilter rein. Oder der kurze Zwischenschnitt nach dem Herzstillstand über den unbeweglichen Ventilator an der Decke zu den Flashbacks in der Jugend, wie die Karre mit der ganzen Familie im Niemandsland im Dreck stecken bleibt.

Und was wäre ein russischer Film ohne eine weibliche russische Schönheit; die verstehen es dort halt immer noch den Star zu spielen. In jeder Sekunde perfekt gekleidet und geschminkt, egal ob im Theater, im feinen Hotel oder an der Bushaltestelle an einer Kreuzung in der Wüste. Für uns wirkt es aber doch etwas altmodisch. Auch so eine Szene, die Könnerschaft zeigt, wie das Team um Vladimir von Taschkent aus mit zwei Personenwagen durch die Wüste nach Bacharach fährt, wo das illegale Konzert stattfinden und die Falle zuschnappen soll, da wird im Fond des Wagens lautstark und minutenlang über die Prozentverteilung der Einnahmen gestritten. Aber es wird gut, es wird herrlich gestritten. Auch ein Verwanzaktion kann ausführlich gezeigt werden und Abhörbänder haben Geduld und drehen sich und drehen sich, immer filmschön. Die gaben noch was her fürs Bild damals.

Der letzte Punkt, der den Zuschauer hierzulande eher abhalten dürfte, diesen Film anzuschauen, das ist die brutal lieblose, industrielle, stoffunabhängig-routiniert runtergerotzte deutsche Allerwelts-Nach-Synchronisation.

Happy Feet 2

Dieser Film spielt verwegen auf den Tastaturen von Diskrepanz, Dissonanz und Discontinuity und kann dieses Disparate mit dem süßlichen Schlussbild einer Art „Heilige Familie“ („alles wird gut“) nur pseudomoralinisch verschweißen.

Diskrepanz zwischen der Perfektion der animierten Figuren, die Fische sind so perfekt, dass sie einem schier aus den Augen glitschen, und dem Konglomerat an Geschichten.
Diskrepanz von Geschichten der Macht der Massen (an Pinguinen, Seeelefanten, Raubvögeln oder Krillschwärmen), die eine beängstigende Massivität an den Tag legen können, und den minimalen Einzelschicksalen.
Diskrepanz zwischen Moral („alles wird gut“), Masse (Massen stampfen gnadenlos gegen die Naturgewalt; sind Massen eo ipso gut?) und Message (gegen den Strom schwimmen bringts nicht).
(Diskrepanz zwischen buntem Strickpullover und Pinguingefieder.)
Diskrepanz zwischen hemmungsloser graphischer Überzeichnung von Extremen, Höhenunterschieden, Gletscherabbrüchen und Massen einerseits, der Diskontinuität der Erzählung der einzelnen Geschichten andererseits, so dass sie eher für die ganz Kleinen, die noch nicht in Zusammenhängen denken können geeignet scheinen und andererseits dann wieder der Texte, die für die ganz Kleinen sicher wenig bringen und auch das undifferenzierte Lob des Volkes.

Discontinuity, indem dieser Film mindestens drei Geschichten ineinander verschneidet, die vom kleinen Pinguin Erik, der abhaut von zuhause, weil er nicht tanzen kann, und der dadurch dem fliegenden Pinguin Sven begegnet, die des Volkes der Königspinguine, die durch massive Eisverschiebungen ein- und von der Nahrungszufuhr ausgesperrt werden und schließlich die der beiden Krills, die die Lektion lernen, doch besser mit als gegen den Strom zu schwimmen.

Dissonanz zwischen den berühmten Melodien und Arien und Songs und den für den Film dazu „gedichteten“ deutlich schwächeren Texten, nochmals merklich geschwächt durch die deutsche Übersetzung und Sprech- oder Gesangsperformance.

Regie: George Miller. Buch: George Miller, Warren Colman.

Day Is Done

Thomas Imbach sammelt wie vergiftet Stücke von Realität um ihn herum. Das sind Bilder, die er von seiner Wohnung in Zürich aus sieht und Töne und Wörter, die andere Menschen auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen haben und er bastelt daraus mit kindlicher Hingabe ein Portrait von sich selbst als eines Künstlers, der wenig Verantwortung für die Familie hat, als eines liederlichen Vaters, als eines Menschen, der nicht gerne das Telefon abnimmt; der nur die Bearbeitung seiner Bilder im Kopf hat, das Greifen derselben zu allen Tag- und Nachtzeiten im Zeitraffer und in Zeitlupe und mit vielen akustischen Tricks aufbereitet (wenn der Herr vor Tor 21 der Lagerhalle gegenüber mit einer Birke kämpft und diese ihm entgleitet, so legt Imbach einen Sound darunter, als ob eine riesige Tanne gefällt werde, oder wenn der Kranführer beim gegen Ende des Filmes plötzlich nicht allzuweit weg in den Himmel sprießenden Hochhauses die Leiter hochsteigt, so lässt er ihn beschleunigt laufen und legt ein lustiges Toc-Toc darunter).

Imbach entwirft das Portrait eines Künstlers ohne Verantwortung, denn auch der Film erhebt nirgendwo den Anspruch politisch oder bildend zu sein. Es sind die Bilder und Töne, die er fischen und angeln geht, die dieses Bild von ihm entwerfen, resp. mit denen er dieses Bild als eines kunstversessenen und familien- und freundschafts- und liebesvergessenen Künstlers entwirft.

Die Flugzeuge im Abflug von Kloten lässt er mal langsam mal irsinnig schnell gen Himmel kurven, genauso hält er es mit den Eisenbahnzügen; seine Wohnung ist in der Nähe des Bahnhofes unweit von vielen Gleisen und Brücken und direkt gegenüber einer Lagerhalle. Als Running Gag der Nachbarschaft hat er die schwarzhaarige junge Frau, die immer die Zeitungen über den Hof holt und die lässt er jedes Mal in grandios erotischer Zeitlupe zum Ausflippen schön über den Hof „wehen“ – sie altert über den ganzen Film, der Material aus einem Zeitraum von über zehn Jahren versammelt, nicht eine Minute.

Frauen gegenüber scheint der sich selbst portraitierende Künstler ein ziemlicher Stinkstiefel zu sein, lässt sie zappeln, geht nicht ans Telefon, versäumt seine Pflichten zu Zahlungen oder die als Vater. Der Sohn ruft auch immer wieder an.

Ein anderer Teil der Anrufe geben Hinweise auf seine Laufbahn als Filmemacher. Anrufe, die sich mit seinem Film „Ghetto“ beschäftigen, es geht um Vorausberichte zur Premiere in der Zürichsee-Zeitung. Ein ehemaliger Lehrer von ihm möchte eine Vorführung in der Schule, weil ein Mitwirkender jetzt an der Schule ist; es geht um einen dritten Filmpreis in Florenz, um die Solothurner Filmtage. Mitarbeiter rufen an, sie sind krank, machen sich sorgen, weil sie noch keinen Vertrag haben oder freuen sich auf einen Dreh.

Imbach spielt und verspielt sich mit Mondaufnahmen, der aufgehende Mond wunderbar wie ein Heißluftballon, der langsam vor Wolkenfeldern steigt und steigt. Unwetter und Schnee, Gewitter und Blüten, Neujahrsfeuerwerk, der Vater, dem es nicht gut geht, die bevorstehende Geburt von Noah, seinem Sohn, parallel dazu die Eintrübung des Verhältnisses zu dessen Mutter; eine Immobilienagentin bietet teure Wohnungen an. Frau Rübisstübis war die erste Anruferin, also das dürfte eine Geliebte gewesen sein, die sich so nannte. Vogelflug und Rauch, Crash eines Mottoradfahrers auf der Straße vor seinem Haus, ein Brand in einem Container und die Feuerwehr, ein Event in einer Lagerhalle, Liebespaare, die schmusen wie wild. Imbach gibt sich verspielt und kindisch. Dabei war er in seinem Bankerfilm „I was a Swiss Banker“ zumindest vom Thema her dezidiert kapitalismuskritisch, aber auch dort sehr verspielt. Der Künstler will nicht das Rationale, er will das Wilde, das Ungezügelte, das Leben wie es sich gibt – und trotzdem dran rumspielen.

Ein eigenes zu untersuchendes Thema wären noch die lyrischen Songs, die er auf die Tonspur legt.

Eine Dampflok mit riesigem Qualm. Und immer wieder die Eisenbahn in allen Richtungen und in allen Geschwindigkeiten. Behandlung von Alteisen bei einer Firma gegenüber. Die Weinhandlung in einer der Lagerhallen, La Casa del Vino; feine Leute, die Kartons mit Wein einladen. Auch mal ein Blick in seine Wohnung oder immer wieder sein Kopf, den man auf einer Seite der fest positionierten Kamera am Fenster hinausschauen sieht, also nur von hinten und nur ganz schnell, als schaue er nur rasch nach dem Wetter. Oder ob die Spaghettis noch köcheln.

Diese Art persönlicher und persönlichster Selbstbiographie oder Entwurf von Selbstportrait scheint ein Trend unserer Tage zu sein. Wobei das, was Kim-Ki Duk diesen Sommer mit „Arirang“ geliefert hat, wiederum ein ganz anders garstiges Produkt war. Aber ein Künstler der sich selbst als nett darstellen würde ohne jede Hintergründigkeit, der wäre vermutlich nur langweilig.

Eine Art Elfenbeinturmsicht, der Künstler selbstironisch als in seinem Elfenbeintrum, von dem er immer wieder rausschauen muss, dargestellt. Die Welt um ihn herum, das sind lediglich Bilder und Töne mit denen das Künstlerkind spielen will.

Das Haus, den Elfenbeinturm also, den sieht man nie von außen. Den Künstler nur von hinten. Ganz seltene Aufnahmen, Super-8-Familienaufnahmen, wo er einmal mit seinem Buben und er ganz in Weiß spielt.

Frauen haben am Samstagabend nichts vor und finden es nicht ermutigend, die Vorstellung, den Abend allein in Zürich verbringen zu müssen.

Fassungslosigkeit des Künstlers über den scheinbaren und lustigen Leerlauf des Seins, darüber, was sich so tut an einer unhistorischen Stelle, an einer Stelle, über die er eine gänzlich unhistorische, unpolitische Chronik zusammenstellt, die praktisch eine Chronik des (geistigen) Stillstandes ist, auch wenn vieles sich bewegt oder eben sogar ein Hochhaus aus dem Boden schießt.

Ist es eine skeptische Weltsicht, die Imhof mit seiner Sammelleidenschaft, einer unkommentierten Präsentation seiner Sammlerergebnisse, ausdrückt? Oder die des Verwunderteins (das wäre ja Skeptizismus) oder des Nichterkennens von Sinn sondern nur eines schönes Leerlaufes, mit unendlich vielen Wiederholungen, auch wenn der Himmel niemals zweimal gleich aussieht und kein Zug zweimal gleich vorbeifährt.

Kino, das sich die Realität greifen will, um damit eine neue Fiktion, die behauptet ein Abbild von Realität zu sein, formuliert, zu formulieren versucht, dabei dem Auge und dem Hirn des Zuschauers gleichermaßen ein Vergnügen bereitet.

Ein Film für Träumer, Philsophen, Müßiggäner, für Leute, die mit Wartezeiten umgehen können, die gerade Warte- und Zuschauzeiten als die fruchtbaren Zeiten entdecken, in denen sie Dinge wahrnehmen, an denen sie sonst achtlos vorbeigehen.

Wie der Sohn zu Weihnachten eine Playstation bekommt und der Vater ihn filmt, während er mit der Mutter telefoniert, da wird klar, dass dieser Künstler auch seinen eigenen Sohn für den Film instrumentalisiert.

Die letzte Aufnahme im Film, da ist der Sohn schon halbwüchsig, die könnte eventuell den Titel erschliessen, DAY IS DONE, Imbach hat sein Tagwerk getan, er hat sich fortgepflanzt, gut den Baum, die Birke an Tor 21, die konnte nicht gepflanzt werden, dafür hat er ein Hochhaus vor seinen Augen wachsen sehen und einen Film hat er auch gemacht. Oder: der Künstler ist nochmal davon gekommen.

Im Abpann zeigt sich, wie sich alles um den Künstler T dreht, wie er sich mit der Initiale seines Vornamens Thomas nennt, die ganzen erwähnten Darsteller, sind alle T’s Ex, T’s Bruder, T’s Schwester, T’s Sohn, T’s Vater, T’s… nun ja, dieser Anflug von Egomanie (als Schweizer Understatement; augenzwinkernd) sei ihm nachgesehen, nachdem er uns mit seinem Film doch zwei Stunden anregend unterhalten hat.