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The Roommate

Das ist eine ganz furchtbare Sache, wenn ein Mensch versucht, einen anderen Menschen ganz für sich zu haben, ihn von den Mitmenschen zu isolieren, ihn zu beherrschen, wenn ein Mensch versucht, dem Mitbewohner oder der Mitbewohnerin die sozialen Kontakte zu kappen und dem dazu die miesesten und hässlichsten Mittel vom Anfauchen übers Denunzieren und Intrigieren bis hin zum Mord grad gut genug sind.

Um einen solchen Fall handelt es sich beim amerikanischen Film The Roommate. Psychisch restlos gestörte junge Frau aus superreichem Hause und abhängig von Psychopharmaka, will die Kommilitonin, mit der sie das Zimmer teilt, einem Landei aus Des Moines, neu in der Stadt, neugierig, weltoffen und erlebnishungrig, immer enger in ihr Spinnennetz einweben. Beide studieren Mode-Design in L.A.

Die Macher dieses Filmes exerzieren uns diesen Casus nun mit schier wissenschaftlich-analytischer Präzision physisch auf die Leinwand: jede Geste, jeder Blick, jede Bewegung hält der Nachfrage nach Absicht, Ziel und Motivation stand. Die Intentionen von Hoffnung, Neid, Eifersucht, Verliebtheit, Abenteuerlust, Bestrafung und Verbot sind jeweils eindeutig. Subtilitäten, Zwischentöne, Aufscheinen von Verletzlichkeit sind bei dieser Methode nicht gefragt.

Die Macher dieses Filmes haben sich entschieden, den Casus als Casus vorzuführen, gewissermassen die Mechanik einer solchen Besitznahme nachzuzeichnen. Dieser Methode zuliebe verzichten sie darauf, sich für eine der beiden Protagonistinnen als subjektivem Erzählstandpunkt zu entscheiden, was den Zuschauer in eine sachlich distanzierte und nicht in eine emphatische Position bringt. Sie verzichten damit auf den psychologischen Thrill.

Dieser Entscheid des Verzichtes auf einen subjektiven Erzählstandpunkt hat zur Folge, dass beim Zuschauer der Eindruck entsteht, die beiden Protagonistinnen betreten ihr Zimmer und damit ihr Leben als Zimmergenossinnen (Roommates) quasi als eine Bühne, um uns dort die Entwicklung dieser Inbesitznahme vorzuspielen und zwar step-by step, Szene um Szene.

Die Macher des Filmes verzichten durch den Entscheid für diese Methode auf die Spannung, die entstehen würde, wenn sie eine Exposition der Figuren, zumindest der einen der beiden, vornehmen würden. Zum Beispiel von Sara, die aus der Provinz kommt, was ihre Erwartungen, ihre Hoffnung, ihre Ängste sind, auch ihre Verletzlichkeit, ihre Anfälligkeit für eine Figur wie Rebecca. Nichts davon hier; Sara lernen wir kennen, wie sie im Studentenheim eincheckt als ob das nichts besonderes wäre, als ob sie nicht erste wichtige Schritte in ein Leben fern vom schützenden Zuhause, fern der Provinz unternimmt.

Es fehlt dem Zuschauer auch die Information darüber, dass so eine Besitznahme eben nicht zwischen zwei x-beliebigen Menschen passieren kann; dass dazu wohl eine Art Wahlverwandtschaft gehört. Wenn der Zuschauer eine solche Information hätte, würde er bestimmt ganz anders mitfiebern, wie weit und ob überhaupt Sara nun in die Rebecca-Falle läuft, resp. wie weit es Rebeccas Mechanismus gelingen wird, Sara zu verschlingen. Nichts davon in The Roommate.

Der Entscheid für die analytische Vorführmethode hat auch zur Konsequenz, dass als Protagonistinnen zwei junge Darstellerinnen gebucht werden konnten, die nicht durch Eigenwilligkeiten wie krumme Nasen oder unebenmäßige oder dünne Lippen auffielen, deren Gesichtszüge weg von der Individualität in Richtung eines modischen Schönheitsideals verändert worden sein dürften. Der Zuschauer soll auf Distanz gehalten werden. Dadurch tut ihm die Geschichte auch nicht sonderlich weh. Er erfährt halt, zu welcher Perfidie Menschen fähig sind. Die Horrorszenen gegen Ende des Filmes wirken dadurch nicht bedrohlich, eben aus dem Grunde, weil auf eine fundierte Exposition der Figuren verzichtet worden ist. Ob sich die Macher durch solche Entscheidungen einen größeren Erfolg versprechen?

Gnomeo & Juliet

Wenn Gnomeo & Juliet eines beweist, dann dies: 3D muss für Zwerge erfunden worden sein, für Gartenzwerge, nie kamen sie niedlicher zur Geltung.

Auch Zwerge haben klein angefangen, hiess es vor einiger Zeit. In Gnomeo & Juliet fangen sie gleich ganz groß an. Weltliteratur. Sie beziehen sich in einem kurzen Prolog vor einem Bühnenvorhang auf Shakespeare, auf die Geschichte von Romeo und Julia, die schon so oft erzählt worden sei, und die sie völlig neu und völlig frisch erzählen wollen. Ui, da haben sie sich gleich den Fallstrick für den künstlerischen Tod geknüpft. Denn statt alles völlig neu und völlig frisch zu erzählen, hat sie vor allem der Ehrgeiz getrietzt, jede Szene auf äußerliche Tricks und Einfälle abzuklopfen, damit es ja alle paar Bilder lang was zum Lachen geben soll, Lustigkeit per se, Gag um des Gags willen (von Wetterhähnen, die sich drehen, wenn einer das Haus betritt oder verlässt, von Rasenmäherrennen und dem weiterführenden Gag des Mega-Terminator-Rasenmähers, der übers Internet bestellt werden kann, bis zum hässlichen schleimigen Köter auf der Gasse oder Gärten wie Hochsicherheitstrakten oder Tonscherben als die traurigen Überreste eines überfahrenen Zwergenkumpanen) – so kann das Lachen auf der Strecke bleiben, weil die Geschichte in ihrer Shakespeare-Dimension trotz 3D auf Simpeldimension geschrumpft daher kommt.

Das Schmuckstück

In 8 Frauen hat Francois Ozon gezeigt, wie leicht er mit weiblichen Stars Komödie inszenieren kann. Das Talent dürfte ihm hier zum Verhängnis geworden sein, nicht etwa aus Starmangel, Catherine Deneuve ist ein Schmuckstück par excellence! Und dann spielt auch Gérard Depardieu mit, das Problem dürfte viel eher in der Wahl des Stoffes begründet liegen, einem Theaterstück aus den 70er Jahren von Barillet und Grédy, Meistern des Boulevards von annodunnemals. Das Stück ist verstaubt, das ist mein Eindruck, und dank Ozons sauberer Inszenierung kommt die Verstaubtheit nur noch deutlicher zum Tragen. In der Frauenemanzipation hat sich seither eben doch was bewegt, selbst wenn Frauen auch heute noch in führenden Positionen unterrepräsentiert sind und im Durchschnitt weniger Lohn erhalten.

Aber dass eine Frau das Gefühl hat, sie führe zuhause ein schnuckeliges, zierendes Schmuckstück-Dasein, der französische Titel lautet Potiche, was Porzellanvase bedeutet, das kommt mir heute so, wie es in diesem Stück dargestellt wird, altbacken vor. Und die liebevolle Rekonstruktion der Siebziger bei Ausstattung und Kostüm trägt noch das ihre zum Eindruck der Verstaubtheit bei, weil durch diese Anstrengung und Mühe dem historischen Faktor viel zu viel Gewicht beigemessen wird, das möglicherweise Zeitlose am Stück hinter Ausstattung und Kostüm verschwindet.

Die Emanzipation im Stück, die damals aufregend gewesen sein muss, ging folgendermaßen, Frau Deneuve, das Schmuckstück, das bisher ein hausfrauliches Schmuckstück-Dasein zuhause geführt hat, übernimmt nach einem Herzanfall ihres Gatten den Familienbetrieb, eine Schirmfabrikation (apropos Schirme: schöne Erinnerung: Les parapluies de Cherbourg von Jacques Demy mit Catherine Deneuve!) und wie sich innerfamiliäre Querelen einstellen, steigt sie, definitiv ihrem Potiche-Dasein entfleucht, in die Politik ein und tritt gegen Bürgermeister Depardieu an (mit dem sie ein früheres Verhältnis verbindet).

Das Problem fängt schon beim Titel an: ein Schmuckstück ist ein Gegenstand, der wird vielleicht aufbewahrt in einer Schatulle oder angeboten in Rubriken wie „Kunstmarkt und Auktionen“, den kann man besichtigen hinter Glasvitrinen, wenn er besonders kostbar ist wie hier und noch dazu liebevoll restauriert.

Das Ritual

Hier scheint es sich um den Versuch zu handeln, in der Art eines katechetischen Lehrfilmes im Interesse der römisch-katholischen Kirche und ihrer aktuellen Theologie dem modernen vatikanischen Exorzismus-Ritual die Weihen der Seriosität zu verleihen.

La Yuma

Ein publikumsfreundlicher Film, der von Yuma, der jungen Frau erzählt, der Unbezähmbaren, die sich mit Boxen aus dem Elendsviertel von Managua in ein gutes Leben kämpfen will. Ein kraftvoller Film, der im Untertext auch zu verstehen gibt, dass mit Lateinamerika und dessen Kino zu rechnen sein wird.

In einer besseren Welt

Welche Geschichte will uns Susanne Bier hier erzählen?
Die von Christian, dessen Mutter stirbt und der vom Vater, der oft in London ist, zur Oma gebracht wird, was einem problematischen Orts- und Schulwechsel mit bereits genügend Konfliktstoff gleichkommt?
Die des Jungen, mit dem sich Christian in der neuen Schule anfreundet und der gerade die Scheidung seiner Eltern erleidet, auch eine allein schon problematische Sache?
Die des Vaters des Jungen, eines Arztes, der regelmässig einige Monate im Jahr in Afrika als Nothelfer bei Flüchtlingen tätig ist? (Hier gibt es eigene Geschichten zu erzählen, zum Beispiel über die Gewissensbisse bei der Versorgung eines verletzten, kriegsverbrecherischen Warlordes).

Als ob das nicht schon fette Geschichten genug wären, haben die beiden Jungs eine eigene Geschichte auf der Straße vor ihrem Lieblingsrückzugsort, einem leerstehenden Siloturm am Hafen, mit einem Proleten von Gewalttypen. Da spielt später der Vater als quasi-professioneller Konfliktschlichter eine Rolle. Auch das wäre wieder eine eigene Geschichte: wie umgehen mit roher Gewalt? Gut, dieses Thema flacktert auch im erwähnten Fall in Afrika auf.

Dann gibt es noch die Geschichte mit der Schuld durch die Verursachung eines Unglückes durch die beiden Jungs mit einer selbstgebastelten Rakete und dem Racheversuch am Proleten und einer unglücklich dazwischenjoggenden Mutter mit Tochter.
Das führt später zu einer privatfernsehmässigen Wiedersehensszene vom Vater mit der geschiedenen Mutter am Krankenbett des verletzten Jungen.

Susanne Bier führt ihre Figuren recht gut und recht glaubwürdig, schneidet auch geschmeidig, kann sich aber offenbar nicht für ein Problem, einen Grundkonflikt entscheiden, den sie verfolgen und ergründen und dem Zuschauer nahe bringen möchte, sie packt ihren Film schlicht zu voll mit anerzählten Geschichten; um dieses Defizit auszugleichen versucht sie jede einzelne Szene auf einen sich steigernden Konflikt hin zuzuspitzen, das wirkt dann schnell schematisch und gekünstelt.

Aus dieser Methode und aus den vielen Geschichten raus kommt sie nur, scheint sie zu glauben, mit einem Abspann, der aus Insekten und Gräsern und Wolken und einer aus dem Dunst erscheinenden Gnuherde besteht.

Betty Anne Waters

Neue Variante des amerikanischen Justizfilms: die Geschichte einer schier unglaublichen Hartnäckigkeit und Geduld, die nach Jahren zur Gerechtigkeit führt, ganz unprätentiös erzählt, intellektuell nicht überfordernd und mit genügend Platz fürs Gefühl. (Kenny Waters wird von einer lausigen Justiz, der eine lausige Polizei zugearbeitet hat, wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Damit will sich seine Schwester, Betty Anne Waters, eine Rolle wie massgeschneidert für Hilary Swank, nicht abfinden: sie studiert Jura, um den Fall selbst wieder aufrollen zu können; nach Jahren des Nicht-Aufgebens kommt ihr schließlich nicht nur der Zufall, sondern die noch ganz junge Methode des Unschuldsbeweises mittels DNS zuhilfe.)

Almanya – Willkommen in Deutschland

Türken sind anders als Deutsche.
Das dürfte der Zugewinn an Erkenntnis sein, mit dem der Besucher dieses Filmes das Kino verlässt – für den, der es noch nicht wusste. Dass ein Zuschauer beim Verlassen des Kinos murmelt, da sieht man mal wie dumm die Türken sind, dürfte allerdings weder in der Absicht noch im Interesse der bemühten Filmemacherin gelegen haben, möglicherweise ist da etwas nicht ganz gelungen.

Es gibt sowas wie eine Hauptfigur in diesem Film, um die sich lose eine Einwanderer-Familien-Geschichte rankt, an deren sprunghaft wechselnden Stationen zwischen Türkei und Deutschland, zwischen den Sechzigern und dem Heute immer wieder die Unterschiede zwischen Türken und Deutschen ausgiebig dargestellt werden.

Die zentrale Figur ist eine junge Frau, Tochter des Millionsten (genau: des Eine-Million-und-Ersten) Gastarbeiters in Deutschland, die heute erwachsen und schwanger ist, die als Kind samt Mutter und zwei Brüdern vom Vater nach Deutschland nachgeholt worden ist. Der Vater des Kindes in ihrem Bauch ist noch dazu ein Engländer.

Die Ankunft des millionsten Gastarbeiters in Deutschland war ein kleines historisches Ereignis und wohldokumentiert. Das Ereignis kommt im Film vor.

Deutschland hat Arbeitskräfte geholt, aber Menschen waren gekommen; das dürfte ein Hintergrundsatz für diesen Film gewesen sein. Diese Menschen waren anders als die hiesigen Menschen. Das führt der Film in immer neuen Details vor.

Türken sind anders als Deutsche.
Allein wie die die Koffer packen. Da gibt es Inserts die genau zeigen, was die alles so reinstopfen, wenn die nach Almanya ausreisen. Der Inhalt sei jedoch nicht verraten, eine Restspannung muss erhalten bleiben.

Türken sind anders als Deutsche.
Sie sprechen alle perfekt dieses Synchron-Deutsch, während die Deutschen kehlige, unverständliche Urlaute von sich geben. Auch eine Methode, auf Unterschiede hinzuweisen, eine Methode, die sich vermutlich für besonders raffiniert und pädagogisch wertvoll hält.

Türken sind anders als Deutsche.
Sie leeren ihren Darm und die Blase stehend über Abflüssen, die mitten in der Scheiße zwei Keramik-Sockel in Schuhsohlenform für die Füsse haben. Während die Deutschen diese Sitzklos benutzen, die die Türkenfrau nach der Ankunft in Deutschland von der Scheiße der Deutschen reinigen muss. (Der Zuschauer darf gerne Popcorn naschen dazu oder Eis schlecken).

Türken sind anders als Deutsche.
Wenn die Lehrerin in der Schule in Deutschland fragt, woher die Kinder kommen, dann sagt der kleine Cem „aus Anatolien“ und das ist gar nicht mehr drauf auf der Landkarte (Türken sind also wie Außerirdische).
Wenn die Türkenfamilie mit dem inzwischen in Deutschland eingebürgerten, millionsten Gastarbeiter, in die Türkei fährt, wo dieser ein Haus gekauft hat, und das Haus besteht aus nichts als einer einzigen Hauswand mit Tür (in der Türkei ist eben alles anders als in Almanya) so picknicken sie einfach, als ob nichts wäre, hinter dieser Wand. Türken sind deutlich anders als Deutsche. Deutsche würden in dieser Situation sofort zum Anwalt rennen, vermutlich.
Verschärfend kommt in dieser Situation hinzu, dasss der Familienvater auf dieser Türkeireise inzwischen gestorben ist, da er aber kein Türke mehr ist, kann er nicht in der Türkei begraben werden. In der Türkei ist eben alles anders.

Türken sind anders als Deutsche.
Wenn die einwandernde Türkenfamilie auf dem deutschen Flughafen ankommt, kann der Türkenjunge bereits in makellosem Hochdeutsch feststellen, dass die deutschen Zöllner keinen Schnauzer haben. Deutsche sind eben auch anders als Türken.

Türken sind anders als Deutsche.
Wenn der Türke seine Familie nachholt nach Deutschland, dann nur, das folgt aus der Logik dieses Filmes, um uns zu zeigen, dass Türken eben anders sind als Deutsche. Und wenn die türkische Familie in die Türkei reist, dann muss es dort Stromausälle geben, um zu zeigen, dass die Türkei anders ist als Deutschland  (ätsch, stimmt nicht – zwei Tage bevor dieser Film ins Kino kommt, hat ein Stromausfall den halben deutschen Bundestag lahmgelegt!).

Türken sind anders als Deutsche.
Dass es in diesem Film um das Anderssein von Türken und Deutschen geht, wird schon in einer sehr frühen Szene manifest. Das alte Ehepaar, dessen männliche Hälfte dieser million-und-erste Gastarbeiter war, will die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen. Zu diesem Behufe legt Herr Axel Milberg, ein deutlich deutscher Schauspieler, wie ein Kindskopf, der nicht weiss, was er tut, ein Stempelnummer hin (spielt er einen deutschen Beamten-Schauspieler, der einen deutschen Beamten spielt oder der einen deutschen Beamten zu karikieren versucht oder spielt er einen Schauspieler, der einen deutschen Beamtenschauspieler zu spielen versucht, der einen deutschen Beamten zu spielen hat, der aber nie einen deutschen Beamten beobachtet hat?), um dann Nasenbohr-Fragen zur Leitkultur zu stellen, also: einmal die Woche Schweinebraten essen, Schützenverein, alle zwei Jahre Urlaub auf Mallorca, alle Clichées über die Piefkes erfüllen und dann nimmt er aus dem Aktenschrank dreimal fett Schweinebraten mit Gabel drin – kann mir jemand erklären, was daran lustig sein soll?  Und der alte Mann will nicht, aber seine Frau will und das wird ein Problem, siehe oben, die Türkeireise und der Tod. Türken und Deutsche sind eben anders.

Türken sind anders als Deutsche.
Es scheint, dass dieser Sachverhalt hier komödiantisch aufgezeigt werden soll.
Mag sein, dass die absichtsvolle Filmemacherin einfach nicht daran gedacht hat oder dass es ihr nicht aufgefallen ist, dass eigentlich nie jemand nach Deutschland gekommen ist, nur um offenbar werden zu lassen, dass er anders ist als die Deutschen. Den Eindruck erweckt jedoch dieser Film, ich habs schon erwähnt. Irgendwie hat die Filmemacherin den Zusammenhang ausgeblendet, der wirklich der Grund für die Emigration war, nämlich der, Geld zu verdienen, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Aus der misslichen Lage im Heimatland rauszukommen. Dass das ein verbindendes Element zwischen Deutschen und Türken ist, das Ziel, ein gutes Leben zu führen, und dass sowas Verbindendes möglicherweise für eine intelligente Komödie, die die Filmemacherin gewiss beabsichtigte, sehr nützlich sein könnte, ja sogar unentbehrlich ist, um die Unterschiede umso krasser und komischer und nicht so krampfig wirksam werden zu lassen, soweit scheint die Fimemacherin aber nicht gedacht zu haben. Durch das gemeinsame Nachrennen nach Geld, also aus gleichen Handlungszielen vor verschiedenem Background, da könnten die Differenzen komödienwirksam werden. So wie es hier gemacht ist, wirkt es nur tölpelhaft belehrend. Vergleiche im Gegensatz dazu die dramaturgische Struktur des parallel anlaufenden Biutiful, auf die ich dort eingehe.

Deutschland hat Arbeitskräfte geholt, aber Menschen waren gekommen. Daran möchte dieser Film bestimmt erinnern, das dürfte die löbliche Absicht gewesen sein. Löbliche Absichten sind jedoch nicht zwingend identisch mit Komödienhandwerk, was man knallhart studieren und lernen muss, wenn man es nicht von Natur aus intus hat und wenn man/frau offenbar dazu neigt, möglichst niemandem weh zu tun. Vielleicht möchte der Film die Zuschauer politisch korrekt amüsieren, nur leider will kein Mensch sich im Kino politisch korrekt unterhalten lassen, das nimmt der Unterhaltung doch gerade jede Würze.

(Der Film bietet sogar eine Geschichte an, unter der er vielleicht richtig spannend hätte erzählt werden können, aber auch die wird leider verschenkt: der Vater dieser Familie, der dann in der Türkei stirbt, soll anlässlich eines Jahrestages zur Feier des millionsten Gastarbeiters bei einer Veranstaltung in Berlin in Anwesenheit der Bundeskanzlerin eine kleine Rede halten; eine für ihn sicher keine leichte Aufgabe, The King’s Speech hat so eine vergleichsweise kleine Aufgabe, nämlich eine Rede zu halten,  zum Anlass für einen grossen Film genommen. In Almanya wollen die Autorinnen anhand einer einzigen Familie den ganzen Culture-Clash Türk-Deutsch und noch die Geschichte der Gastarbeiterbewegung dazu in einem einzigen Aufwasch erledigen – da kommen die Kleidungsstücke vollkomen verschrumpelt, geschrumpft und verfilzt raus!).

Biutiful

Alejandro Gonzáles Inárritu schwelgt cinematographisch grandios in einem jener Bodensätze (konkret in demjenigen von Barcelona), auf welchem Europas Wohlstand nicht schlecht gedeiht. Er durchpflügt dieses Substrat an Kollaboration mit der Polizei, der Beschäftigung Illegaler, der Prostitution und des Drogenhandels dicht an seinem Helden Uxbal, Javier Bardem, der bereits an einer der Zivilisationskrankheiten leidet und zwar schon recht fortgeschritten, an Prostatakrebs.

Wer noch frustriert ist vom deutschen Prostratakrebs-Film, den Bruno Ganz vor kurzem zelebrierte, der kann jetzt cineastisch Luft holen. Auch Bardem ist ein gebrochener Held. Der zwar noch ein Familienleben versucht und zärtlich an diesem hängt mit seinem kleinen Buben Mateo, dem grösseren Mädchen Ana und einer Nutte als Mutter, Marambra, die er zurück haben will.

Zur engeren Familie gehört auch sein Bruder Tito. Ein eher makabres Geschäft zur Geldbeschaffung ist das Auflassen der Sargnische ihres Vaters, welcher in einem Zinksarg von Mexiko nach Spanien transportiert worden ist. Dieser Vater ist auch der Anlass für die ganz kleine, fast poetische Rahmenhandlung, zwei Männer im Wald, der eine dürfte der Großvater sein und Bardem, also surrealistisch sowieso, und die Erzählung von der Eule, die, kurz bevor sie stirbt, noch ein Gewölle fallen lässt und der andere soll doch seinen Pferdeschwanz aufmachen. Ein bisschen rätselhaft bis symbolistisch darf die Geschichte um einen schönen Film sein.

Was den Film vielleicht so eindrücklich und spannend macht ist nebst der Cinematographie sicher auch der simple dramaturgische Trick, dass Inárritu sich auf die Hauptfigur Uxbal konzentriert (fast so erpicht auf sein Objekt und nah dran wie die Brüder Dardennes es mit ihren Protagonisten halten). Uxbal, geht aus der Not heraus allen möglichen Arten der Geldbeschaffung nach, um seine kleine non-intakte Familie am Leben zu erhalten (aus Uxbals pädagogischer Aktivität, seinen Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen, entstammt der Titel, BIUTIFUL, so versteht und schreibt Ana das englische Wort für „schön“); denn der Weg des Geldes kann einen Menschen und den ihn verfolgenden Filmer ganz easy durch einen riesigen barcelonischen Mikrokosmos führen und Dinge aufdecken, die sonst bessser im Dunkeln blieben, zum Beispiel die beiden verliebten Asiaten, die in einem Keller etwa 30 Illegale unterbringen und die daraus sich entwickelnde Horrorgeschichte; oder die Szene mit den drei Särgen mit den toten Kindern, aber der Sarg mit dem Opa muss wieder aufgemacht werden, der ist jedoch mumifiziert wegen dem Transport, da dauert die Verbrennung länger.

Und immer wieder ist Uxbal in den engen Strassen und Gassen von Barcelona unterwegs, er will auch die Mutter seiner Kinder zurück: kurze Ausblicke auf die Gaudí-Kirche oder die Torre Agbar dann Vogelflug zur kurzen Entspannung zwischen den vielen vollgestellten Innenräumen, in denen wir ihn immer wieder finden. In der Unterkunft der Illegalen krabbeln Myriaden von Insekten. Da ist wenig Platz für Freiheit. Wenig Platz zum Atmen. Selbst wenn mal Platz auf einem öffentlichen Platz wäre, dann findet sicher eine Polizeirazzia statt gegen schwarze Straßenhändler. Oder Uxbal prallt selbst auf die Polizei.

Die Krankheit.
Eine der ersten Szenen zeigt ihm beim Arzt. Eine Schwester will ihm Blut abnehmen. Seine Adern sind schwer zu treffen. Da sticht er selber. Woher er das könne. Später sieht man ihn einmal mit Windeln. Dann pisst er Blut. Früh im Film sieht man nur, wie er einige Blutstropfen von der Klobrille wegwischt, später sieht man dann den Blutstrahl. Gegen Ende kann er sich kaum mehr bewegen.

Mit diesem Film legt Inárritu mit einem Kino, das einen nicht kühl lassen kann, den Finger auf eine schwärende Wunde an der Wurzel des Wohlstandes von Europa und liefert zugleich einen hochaktuellen Film in Hinblick auf die zu erwartenden Flüchtlingsströme aus den nordafrikanischen Umbruchs-Ländern.

BIUTIFUL ist ein beispielhaft europäischer Film, der durch den mexikanischen Ursprung seines Autors/Regisseurs nichts an seiner Europizität einbüsst, im Gegenteil: ir a mirar!