Mit dem Brief an die Zukunft hört diese Langzeitdoku über die Familie Torres aus Havanna, Kuba, auf. Der Enkel von Miriam Torres, Diego, schreibt ihn. Er beherzigt darin die Lehre von seiner Oma. Dass eben noch nicht alles erreicht sei in der sozialistischen Revolution Kubas.
Der brasilianische Filmemacher Renato Martins ist bei einem Filmfest in Kuba bei den Torres zu Gast gewesen und war fasziniert von ihrer engagierten, reflektierten Art, mit wieviel Bewusstsein sie ihr wirtschaftlich armseliges Leben ganz ohne Jammern verbringen. Sicher trägt der Filmemacher mit seinen Fragen dazu bei, dass der Eindruck einer Familie entsteht, die sich ihren Stand und Status und auch den der Revolution von Fidel Castro immer wieder bewusst macht, immer wieder überlegt. Die Mutter ist Jahrgang 1944 und ihr Vater Pipo, die haben Fidels Revolution bewusst erlebt, bewusst mitgemacht, das ist eine Geschichte, die sie immer noch bewegt und umtreibt. Man könnte auch sagen, sie haben sich nicht irgendwie dem Schicksal ergeben, denn es ist eben noch nicht alles erreicht.
Im Jahr 2003 fing Martins an und der Brief, den Diego schreibt, datiert von 2010. Martins hat aber nicht nur selbst gedreht, er hat auch Archivfootage, Amateurmaterial geschickt in die Bildfolgen eingebunden, gerade die unterschiedlichen Qualitäten wirken sich hier bereichernd aus. So wie Miriam, die einmal ihren Sohn in Miami besuchen durfte, diese Reise als Bereicherung empfunden hat, es aber für das größte Glück hielt, wie sie wieder da war und wie ihr Enkel sie freudig begrüßt hat und wie der wiederum voller Freude seine Mutter gerufen habe.
Die Torres lassen sich die Würde nicht nehmen von der wirtschaftliche Armut, und von einer solchen kann bestimmt gesprochen werden; sie wird auch direkt angesprochen: seit Jahrzehnten dieselbe Wohnung, dieselben Möbel, dieselben Kleider, dasselbe Auto. Man stammt ja nicht aus proletarischen Verhältnissen. Es sind Leute, die bei uns zum Bildungsbürgertum zählen dürften.
Miriam war Chemielehrerin, ihr Vater Pipo, der dann im Laufe der Dreharbeiten 90jährig verstorben ist, war aktiver Revolutionär. Der Gedanke der Revolution wurzelt also tief in der Familie Torres, die fast alle dieses prägnante schmale Gesicht haben und auch die Art, wie Miriam spricht, dieses kurze, knappe, präzise Dinge-auf-den-Punkt-bringen, ohne je einen jammernden oder anklagenden Unterton, das imponiert, schafft Verbindlichkeit der Aussagen.
Vielleicht wären die Torres, wenn sie in unserem Wohlstand lebten auch vor allem damit beschäftigt, sich darin einzurichten, ihn zu mehren, wir wissen es nicht. Klarer Geist auf Havanna. Diego der Sohn, der gegen Ende des Filmes in die Pubertät eintritt, der erste Abend, den er allein weg war von zuhause, am Strand und es ist nichts passiert, der möchte Journalist werden. Sicher ist im Film zu hören, „immer das gleiche Brot essen“, “seit 40 Jahren das gleiche Brot“. Oder die Frage wird gestellt, wo denn Fidel Castro abgeblieben sei. Oder Miriam schildert das Privileg ihres Mannes, der sich mit Fidel und Raul Castro ablichten lassen durfte, während ihr Privileg darin bestanden hatte, ein Kind zur Welt zu bringen, ihre erste Tochter.
Eine lustige Szene findet sich sehr früh im Film, wie der noch kleine Diego den Opa, der nicht mehr selbständig gehen kann, sondern zwei rohe, holzgezimmerte Gehhilfen benutzt, als Bush-Freund und Dussel bezeichnet. Dass Armut und Mangel an Wasser solidarisch machen kann, zeigt die problematische Wasserversorgung, die wird dann zwar im Laufe des Filmes wirklich besser, aber anfangs müssen improvisierte Aktionen unter Nachbarn helfen, dass das Wasser überall fließt, wenn es denn überhaupt fließt.
Die Begründung für den Sozialismus besteht aus Liebe und Solidarität. Lustige Szene dazu, wie Diego ein Gedicht über den verehrten Che vollkommen auswendig, lustlos und sinnfrei runterrattert und wie die Oma ihn dazu bringt, es gehaltvoller vorzutragen.
In unserer Himmelsgegend müsste man wahrscheinlich weit gehen, bis man jemanden findet, der vor lauter Wohlstand sich noch ein so klares Denken wie die Torres bewahrt hat.
Die Vorteile des kubanischen Sozialismus werden gelobt, die Abgabe von Medikamenten, die gratis ist, (darauf hat Michael Moore in seinem Film über das Gesundheitswesen hingewiesen, wie er mit dem Schiff vor Guantanamo und mit Megaphon darum gebeten hat) oder auch die Bildung, die gratis ist. Das Bruttosozialprodukt, das interessiert Miriam nun überhaupt nicht, das ist ihr egal. Sie meint aber auch, nach 40 Jahren sollten die simplen Dinge nun endlich gelöst sein
Einmal gibt’s einen Einblick in die Cigarrenfabrikation. Einer aus der Familie, der Arbeiter ist, beklagt sich über die immer gleiche Arbeit, die kaputt macht, andererseits ist die Arbeitssuche schwierig. Über die Monotonie der Arbeit. Kein Entkommen. Andererseits ist es aber schwer, überhaupt einen Job zu kriegen.
Miriam heißt nicht alles gut, denn nur Widerspruch bringt Entwicklung. (Der gute Marx, der Hegel und die Dialektik, könnte man hinzufügen). Nach der Miami-Reise meint Miriam: wir hätten das Gute am Kapitalismus bewahren sollen. Miami war schön, aber irgendwann kam der Punkt, da wollte sie wieder nach Hause. Der Sohn in Miami ist pummelig geworden. Mit der Revolution ist es wie mit der Liebe: kein Mann ist perfekt. Ich habe mich verliebt und ich bin treu. Auch das ein sicher ungewöhnliches Merkmal von Miriam. Ein Geradeaus-Mensch, Ohne Arg und List. Es muss besser werden, die Zukunft muss besser werden.
Auf der Tonspur: Lieder, die von Corazon (dem Herzen) und von declaracion d’amor (Liebeserklärung) erzählen.
Mit dem Brief an die Zukunft hört diese Langzeitdoku über die Familie Torres aus Havanna, Kuba, auf. Der Enkel von Miriam Torres, Diego, schreibt ihn. Er beherzigt darin die Lehre...