Türken sind anders als Deutsche.
Das dürfte der Zugewinn an Erkenntnis sein, mit dem der Besucher dieses Filmes das Kino verlässt – für den, der es noch nicht wusste. Dass ein Zuschauer beim Verlassen des Kinos murmelt, da sieht man mal wie dumm die Türken sind, dürfte allerdings weder in der Absicht noch im Interesse der bemühten Filmemacherin gelegen haben, möglicherweise ist da etwas nicht ganz gelungen.
Es gibt sowas wie eine Hauptfigur in diesem Film, um die sich lose eine Einwanderer-Familien-Geschichte rankt, an deren sprunghaft wechselnden Stationen zwischen Türkei und Deutschland, zwischen den Sechzigern und dem Heute immer wieder die Unterschiede zwischen Türken und Deutschen ausgiebig dargestellt werden.
Die zentrale Figur ist eine junge Frau, Tochter des Millionsten (genau: des Eine-Million-und-Ersten) Gastarbeiters in Deutschland, die heute erwachsen und schwanger ist, die als Kind samt Mutter und zwei Brüdern vom Vater nach Deutschland nachgeholt worden ist. Der Vater des Kindes in ihrem Bauch ist noch dazu ein Engländer.
Die Ankunft des millionsten Gastarbeiters in Deutschland war ein kleines historisches Ereignis und wohldokumentiert. Das Ereignis kommt im Film vor.
Deutschland hat Arbeitskräfte geholt, aber Menschen waren gekommen; das dürfte ein Hintergrundsatz für diesen Film gewesen sein. Diese Menschen waren anders als die hiesigen Menschen. Das führt der Film in immer neuen Details vor.
Türken sind anders als Deutsche.
Allein wie die die Koffer packen. Da gibt es Inserts die genau zeigen, was die alles so reinstopfen, wenn die nach Almanya ausreisen. Der Inhalt sei jedoch nicht verraten, eine Restspannung muss erhalten bleiben.
Türken sind anders als Deutsche.
Sie sprechen alle perfekt dieses Synchron-Deutsch, während die Deutschen kehlige, unverständliche Urlaute von sich geben. Auch eine Methode, auf Unterschiede hinzuweisen, eine Methode, die sich vermutlich für besonders raffiniert und pädagogisch wertvoll hält.
Türken sind anders als Deutsche.
Sie leeren ihren Darm und die Blase stehend über Abflüssen, die mitten in der Scheiße zwei Keramik-Sockel in Schuhsohlenform für die Füsse haben. Während die Deutschen diese Sitzklos benutzen, die die Türkenfrau nach der Ankunft in Deutschland von der Scheiße der Deutschen reinigen muss. (Der Zuschauer darf gerne Popcorn naschen dazu oder Eis schlecken).
Türken sind anders als Deutsche.
Wenn die Lehrerin in der Schule in Deutschland fragt, woher die Kinder kommen, dann sagt der kleine Cem „aus Anatolien“ und das ist gar nicht mehr drauf auf der Landkarte (Türken sind also wie Außerirdische).
Wenn die Türkenfamilie mit dem inzwischen in Deutschland eingebürgerten, millionsten Gastarbeiter, in die Türkei fährt, wo dieser ein Haus gekauft hat, und das Haus besteht aus nichts als einer einzigen Hauswand mit Tür (in der Türkei ist eben alles anders als in Almanya) so picknicken sie einfach, als ob nichts wäre, hinter dieser Wand. Türken sind deutlich anders als Deutsche. Deutsche würden in dieser Situation sofort zum Anwalt rennen, vermutlich.
Verschärfend kommt in dieser Situation hinzu, dasss der Familienvater auf dieser Türkeireise inzwischen gestorben ist, da er aber kein Türke mehr ist, kann er nicht in der Türkei begraben werden. In der Türkei ist eben alles anders.
Türken sind anders als Deutsche.
Wenn die einwandernde Türkenfamilie auf dem deutschen Flughafen ankommt, kann der Türkenjunge bereits in makellosem Hochdeutsch feststellen, dass die deutschen Zöllner keinen Schnauzer haben. Deutsche sind eben auch anders als Türken.
Türken sind anders als Deutsche.
Wenn der Türke seine Familie nachholt nach Deutschland, dann nur, das folgt aus der Logik dieses Filmes, um uns zu zeigen, dass Türken eben anders sind als Deutsche. Und wenn die türkische Familie in die Türkei reist, dann muss es dort Stromausälle geben, um zu zeigen, dass die Türkei anders ist als Deutschland (ätsch, stimmt nicht – zwei Tage bevor dieser Film ins Kino kommt, hat ein Stromausfall den halben deutschen Bundestag lahmgelegt!).
Türken sind anders als Deutsche.
Dass es in diesem Film um das Anderssein von Türken und Deutschen geht, wird schon in einer sehr frühen Szene manifest. Das alte Ehepaar, dessen männliche Hälfte dieser million-und-erste Gastarbeiter war, will die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen. Zu diesem Behufe legt Herr Axel Milberg, ein deutlich deutscher Schauspieler, wie ein Kindskopf, der nicht weiss, was er tut, ein Stempelnummer hin (spielt er einen deutschen Beamten-Schauspieler, der einen deutschen Beamten spielt oder der einen deutschen Beamten zu karikieren versucht oder spielt er einen Schauspieler, der einen deutschen Beamtenschauspieler zu spielen versucht, der einen deutschen Beamten zu spielen hat, der aber nie einen deutschen Beamten beobachtet hat?), um dann Nasenbohr-Fragen zur Leitkultur zu stellen, also: einmal die Woche Schweinebraten essen, Schützenverein, alle zwei Jahre Urlaub auf Mallorca, alle Clichées über die Piefkes erfüllen und dann nimmt er aus dem Aktenschrank dreimal fett Schweinebraten mit Gabel drin – kann mir jemand erklären, was daran lustig sein soll? Und der alte Mann will nicht, aber seine Frau will und das wird ein Problem, siehe oben, die Türkeireise und der Tod. Türken und Deutsche sind eben anders.
Türken sind anders als Deutsche.
Es scheint, dass dieser Sachverhalt hier komödiantisch aufgezeigt werden soll.
Mag sein, dass die absichtsvolle Filmemacherin einfach nicht daran gedacht hat oder dass es ihr nicht aufgefallen ist, dass eigentlich nie jemand nach Deutschland gekommen ist, nur um offenbar werden zu lassen, dass er anders ist als die Deutschen. Den Eindruck erweckt jedoch dieser Film, ich habs schon erwähnt. Irgendwie hat die Filmemacherin den Zusammenhang ausgeblendet, der wirklich der Grund für die Emigration war, nämlich der, Geld zu verdienen, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Aus der misslichen Lage im Heimatland rauszukommen. Dass das ein verbindendes Element zwischen Deutschen und Türken ist, das Ziel, ein gutes Leben zu führen, und dass sowas Verbindendes möglicherweise für eine intelligente Komödie, die die Filmemacherin gewiss beabsichtigte, sehr nützlich sein könnte, ja sogar unentbehrlich ist, um die Unterschiede umso krasser und komischer und nicht so krampfig wirksam werden zu lassen, soweit scheint die Fimemacherin aber nicht gedacht zu haben. Durch das gemeinsame Nachrennen nach Geld, also aus gleichen Handlungszielen vor verschiedenem Background, da könnten die Differenzen komödienwirksam werden. So wie es hier gemacht ist, wirkt es nur tölpelhaft belehrend. Vergleiche im Gegensatz dazu die dramaturgische Struktur des parallel anlaufenden Biutiful, auf die ich dort eingehe.
Deutschland hat Arbeitskräfte geholt, aber Menschen waren gekommen. Daran möchte dieser Film bestimmt erinnern, das dürfte die löbliche Absicht gewesen sein. Löbliche Absichten sind jedoch nicht zwingend identisch mit Komödienhandwerk, was man knallhart studieren und lernen muss, wenn man es nicht von Natur aus intus hat und wenn man/frau offenbar dazu neigt, möglichst niemandem weh zu tun. Vielleicht möchte der Film die Zuschauer politisch korrekt amüsieren, nur leider will kein Mensch sich im Kino politisch korrekt unterhalten lassen, das nimmt der Unterhaltung doch gerade jede Würze.
(Der Film bietet sogar eine Geschichte an, unter der er vielleicht richtig spannend hätte erzählt werden können, aber auch die wird leider verschenkt: der Vater dieser Familie, der dann in der Türkei stirbt, soll anlässlich eines Jahrestages zur Feier des millionsten Gastarbeiters bei einer Veranstaltung in Berlin in Anwesenheit der Bundeskanzlerin eine kleine Rede halten; eine für ihn sicher keine leichte Aufgabe, The King’s Speech hat so eine vergleichsweise kleine Aufgabe, nämlich eine Rede zu halten, zum Anlass für einen grossen Film genommen. In Almanya wollen die Autorinnen anhand einer einzigen Familie den ganzen Culture-Clash Türk-Deutsch und noch die Geschichte der Gastarbeiterbewegung dazu in einem einzigen Aufwasch erledigen – da kommen die Kleidungsstücke vollkomen verschrumpelt, geschrumpft und verfilzt raus!).
Türken sind anders als Deutsche. Das dürfte der Zugewinn an Erkenntnis sein, mit dem der Besucher dieses Filmes das Kino verlässt – für den, der es noch nicht wusste. Dass...