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Nader und Simin – Eine Trennung

Ein Iranfilm. Im Vorspann läuft sehr mechanisch ein Kopierer, der Dokumente ablichtet. Die erste Szene spielt vorm Scheidungsrichter. Simin möchte sich von ihrem Mann Nader trennen, damit sie mit ihrer Tochter ins Ausland ziehen kann, weil diese dort eine bessere Zukunft haben soll. Nader willigt nicht in die Scheidung ein. Das führt zur räumlichen Trennung der beiden. Simin zieht bei ihren Eltern ein. Nader bleibt mit dem 11 jährigem Mädchen allein zuhause. Auch sein dementer Vater wohnt bei ihm, der intensiver Betreuung bedarf. Dafür engagiert Nader ein Hilfe.

Diese Hilfe heisst Razieh. Sie ist Mutter und schwanger dazu. Ausserdem ist sie die Frau eines Bankkunden von Nader, dem dieser eine Kreditverlängerung verweigert. Ihm ist aber im Moment der Kreditverweigerung nicht klar, dass es sich um den Mann seiner Zugeh-Frau handelt. Ob Nader weiss, dass Razieh schwanger ist, wird später im Film eine wichtige Rolle spielen. Ihr Mann ist hochverschuldet und jähzornig. Zur Hausarbeit bei Nader nimmt sie ihr kleines Töchterchen mit.

Ein iranisches Scheidungsdrama. Nader, Simin und deren Töchterchen dürften eine gut bürgerliche Familie gewesen sein. Sie wohnen in einem besseren Viertel und sie haben ein Auto. Nader arbeitet bei einer Bank. Kleine Szene am Rande. Der Vater lässt an der Tankstelle das Auto durch die Tochter betanken. Die Tochter gibt dem Tankstellenmitarbeiter ein Trinkgeld. Der Vater fordert die Tochter auf, das Trinkgeld zurückzuverlangen, denn sie habe ja selbst getankt. Ein peinliche Situation für die Tochter

Das Drama nimmt seinen Lauf. Schon am ersten Arbeitstag von Razieh bei Nader haut dessen Vater ab. Razieh sucht ihn vorm Haus, sie entdeckt ihn auf der Strasse mitten im pulsierenden Verkehr. Sie will zu ihm hin. Hier wird die Szene geschnitten. Erst später erfahren wir, dass sie in diesem Moment von einem Auto angefahren worden ist und dass sie nachts Schmerzen hatte.

Anderntags sucht sie während der Arbeit einen Arzt auf, davor bindet sie den Alten am Bett fest, damit er nicht abhaut. Während sie außer Haus ist, kehrt Nader zurück, findet den Vater, der aus dem Bett gefallen ist, aber noch lebt. Heftige Szene mit Razieh, Rausschmiss und der Vorwurf, sie habe auch Geld entnommen. Damit sie nicht wieder rein kann, schubst er sie. Kurz darauf gibt’s Lärm im Treppenhaus, sie scheint runtergefallen zu sein. Auch diese Szene wird später nachgestellt.

Razieh verliert ihr Kind. Nader wird dafür verantwortlich gemacht. Nader weist diese Verantwortung von sich. Das ergibt Anlass, einen Blick ins iranische Gerichtswesen zu werfen.

Beinah wäre uns das Drama erspart geblieben, Razieh wollte den Job bald schon aufgeben, weil der Alte nämlich in die Hose gemacht hatte und das war doch sehr genant für eine iranische Frau, einem dementen Alten die Intimteile sauber zu machen. Statt ihrer sollte ihr Mann den Job übernehmen. Aber der war ja der Kunde von Nader mit der Kreditverweigerung und sowieso nicht geeignet. So kommt Razieh doch wieder, denn sie braucht dringend Geld.

In vielen Gerichts-Szenen wird nun der Versuch unternommen, zu eruieren, wie die Sache abgelaufen sei, der eine lügt, die andere lügt, wie das so ist im Leben allerorten, denn die Wahrheit könnte gravierende Folgen haben, sogar das kleine Töchterchen von Nader wird vom eigenen Vater zur Lüge angehalten, mit der Begründung, sie wolle ihren Vater bestimmt nicht ein bis drei Jahre im Knast sehen.

Am Schluss gibt es eine grosse Verhandlung in einer Stube mit Weisen, bei der es darum geht, dass der Schuldige den Opfern eine größere Summe bezahlt, falls er also die Schecks ausfüllt, dann würden die anderen die Anklage fallen lassen. Inzwischen hat aber Simin erfahren, dass alles eben war wie es war und nicht wie behauptet wurde und so verlangt denn Nader noch eine Aussage des vorgeblichen Opfers, sie solle über dem Koran schwören, dass ihre Aussage stimme; das zu tun weigert sie sich. Das setzt vorher eine heftig geflüsterte Auseinandersetzung in der Küche.

Dann treffen wir Nader und Simin vor dem Scheidungsrichter. Das Kind soll entscheiden zum wem es will. Statt der Entscheidung des Kindes kommt jetzt der Abspann.

Was ist hier zu sehen. Sehr Menschliches, wie es bei uns kaum viel anders ablaufen düfte. Menschen, die ihr Alltag auffrisst, wie er sie in Beengung und Krisen bringt, diese Auseinandersetzungen absorbieren sie vollkommen: es gibt hier nur Ämter, Gerichte, gelegentlich Strasse, keine Ausblicke, keine Musse, kein Picnic, keinen Sex. Erzählt wird nur, wie dieser Alltag, der alle Beteiligten überfordernde, bewältigt wird, wie sie sich durchkämpfen, durchtricksen, durchmogeln. Leute, die nicht zurecht kommen mit den Anforderungen, die das Leben an sie stellt, sind die Personae dramatis. Sie tun und machen und kommen nicht vom Fleck.

Das ist fast eine Komödie, ja es ist eine Komödie. Aber der Regisseur Asgar Fahadi sieht das vermutlich anders. Ich bin mir nicht ganz sicher, für wen er den Film gemacht hat. Iranische Menschen, die selbst in so einem beschwerlichen Leben stecken, dürften kaum die Adressaten sein. Die feine Teheraner Gesellschaft genau so wenig. Die persische Geistlichkeit? Stark reagiert auf den Film hat die Berlinale. Die hat ihm den Goldenen Bären verliehen. Ist das ein Kulturgefälle-Bär gewesen? Beruhigt es den Westen zu sehen, wie beschwerlich das Leben in Iran ist. Der Film ist vom Handwerklichen aus gesehen gewiss ordentlich gemacht. Es tut sich immer was, die Kamera geht überall mit und dazwischen, die Akteure stehen praktisch ständig unter Stress. Sie sind in Handlungszwänge eingespannt.

Es gibt keinen Platz für Gefühle, ok Geweine schon mal, aber nicht etwa der Art, dass Nader sich auch nur einen Moment seine Frau zurückwünschte oder sie eine Sehnsucht nach ihm oder der Tochter hat, also das mögen sie schon haben, das wird aber hier in der Erzählung als unwesentlich ausgeklammert.

Vermutlich hätte der Film sogar eine Erfolgschance bei uns im Kino, wenn der Macher den Film wirklich bewusst als Komödie inszeniert hätte, es hätte wohl nur weniger Änderungen bedurft, vor allem eine Änderung der Einstellung, was ihm wichtig ist; oder der Distanz zu den Figuren; ihm war aber offenbar wichtiger, das Leiden an den Umständen deutlich zu zeigen, die Seite des Geleides und des Unglücklichseins in der Lebensbewältigung, wie beschwerlich das Leben doch im Iran sei. Das nimmt der Komödie den Pep. Hätte er mehr auf das Allgemeine solcher Lebensbewältigungsaktivitäten geachtet, dann könnte sich auch unsereins in der einen oder anderen Figur gespiegelt sehen. Aber weil der Subtext, wie mir scheint, eher der ist: schaut wie schwer es in Iran ist, dürfte sich das Interesse hier in Grenzen halten.

Was du nicht siehst

Ein in die Länge gezogener Kurzfilm. Er fängt immerhin gleich mit dem Thema an. Meer. Wucht. Wellen. Ein Kopf von hinten über dem Küstenabbruch. Dann von vorne. Ein junges Gesicht. Springt er oder springt er nicht. Es geht um eine dieser pubertären Existenzfragen. Aber welche. Ob er schwul ist? Ober er die Liebe überhaupt kann. Dieser delikate, empfindsame Moment des Coming-of-Age wird hier sehr ausführlich in mit viel Bedacht und Geschmack eingefangenen Kinobildern für die Leinwand präpariert.

Anton, so heisst der Junge, ist mit seiner leiblichen Mutter und deren Freund, der Vater ist schon gestorben, im Auto unterwegs nach Frankreich ans Meer. Dort haben sie einen Bungalow gemietet.

Unterwegs bei einem Tankhalt geht Anton kurz pinkeln. Aus dem WC hört er jemanden pfeifen. Wie er die Hände wäscht, kommt David, so heisst dieser andere junge Mann, das erfahren wir aber erst später, oder so heisst er in seinem Traum, aus dem Clo, wäscht die Hände neben ihn und kneift ihn beim Rausgehen in den Po. So was fährt besonders in diesem Alter und in dieser Situation ein.

Die Begegnung mit David, die noch real gewesen sein mag, oder eine Begegnung wie die mit David, könnte die Initialzündung für die folgenden den Film anfüllenden Urlaubsfantasien gewesen sein. Denn ein Junge in diesem Alter allein mit seinen sterilen Eltern in einem einsamen sterilen Bungalow irgendwo in Frankreich an der Küste, das ist nicht auszuhalten. In so einem Jungen drängen Themen und Sehnsüchte und Neugiereden. Und wenn sie nicht real passieren können, dann müssen sie es umso mehr in einer sich erhitzenden Fantasie.

Diese Fantasien malen diverse Begegnungen mit David und seiner Freundin aus, die sich ganz in der Nähe in einem Haus eingerichtet haben. Das erste Mal trifft er David allein, sie begegnen Franzosen, auch alles junge Männer, es kommt zu einer Auseinandersetzung, einer greift Anton an und Anton soll diesen, wie er auf dem Boden liegt treten, das die Anweisung von David. Das ist schönes Jugendtheater, was da geboten wird.

Es gibt eine Begegnung zu Dritt im Walde, jetzt ist auch die Freundin oder Begleiterin, so genau ist das auf Anhieb nicht zu eruieren, von David mit dabei. Der Wald ist immer schön als mythisch-irrealer Wald beleuchtet. Symbolismus am See, drin liegt ein totes Reh. Das Mädel schubst Anton ins Wasser. Dann er sie. Dann springt auch David. Dann sind alle drei im Wasser. Das Übliche halt, was jeder aus Jugendfreizeiten kennt.

Katja bringt daraufhin kurz Panik in die Geschichte, indem sie nicht mehr auftaucht und David ganz verzweifelt ruft.

Das ist alles schön gedacht kann man sagen, aber es liesse sich in einem Kurzfilm abhandeln. Bald schon scheint der Film sehr gestreckt wie dünnster Pizzateig mit kaum Belag. Es gibt weitere Begegnunen. Zuhause fragt die ungläubige Mutter, die wohl übersehen haben muss, dass ihr Sohn in der Pubertät steckt, was er denn mache, wo er gewesen sei. Sie duscht ihn mit dem Schlauch ab. Es folgt ein kurzes Echo auf die Dreier-See-Geschichte als Mama-Sohn-Stiefvater-Schlauchspritzerei.

In einer späteren Szene fragt Paul die Mutter von Anton, ob sie nicht heiraten wollen. Und auch eine Kussszene von Anton mit der Schwester von David kommt vor. Die Szenen bleiben sehr reduziert, theroetisch skizzenhaft, schon sehr anaemisch inszeniert. Die Figuren gewinnen kaum Fleisch, was über einen Strichmännchencharakter hinaus ginge. Ihre Sätze sagen sie knapp und abgehackt und es sind nie persönliche Sätze. Man sieht ihnen zu deutlich an, dass der Autor nicht in Figuren, sondern in Konstellationen gedacht hat in dem Versuch, eben diesen delikaten Moment der Jugend auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Geschlechtsleben festzuhalten.

Es gibt Gespräche. Anton erzählt vom Tod seines Vaters. Die genau gleich traurige Geschichte tischen ihm die Geschwister auf, die von ihrem Verhalten weder als Geschwister, noch als Liebespaar rüberkommen. Es fehlt sozusagen der menschliche Kitt, die kleinen menschlichen Blicke und Gesten, die solche Verhältnisse glaubwürdig und damit auch die theoretische Konstruktion, der sie doch dienen sollten, wassserdicht machen könnten. Aber es sind ja Fantasiefiguren. Wobei bei Anton von einer sehr ruhigen, nicht allzu angeregten Fantasie auszugehen ist. Abstrakte Liebesszene auch zwischen Antons Mutter und dem Freund. Sie stehen sich in der Küche gegenüber, kurz vor einer Auseinandersetzung, dann sagt die Mutter: es ist vielleicht besser, wenn Du jetzt nichts sagst, denn wenn Du was sagst… und dann geht sie auf ihn zu und küsst ihn. Schnitt.

Eine Hundetod-Orgie. David muss Anton unbedingt sprechen. Er führt ihn in den Bunker. Dort liegt der schwarze Hund, der bis jetzt gerade mal an einem Spaziergang am Meer dabei war und einmal neben Anton im Bett lag und ihn abgeschlabbert hat, bis er ihn hinauskomplimentiert hat. Sonst hat der Hund bisher keine Rolle gespielt. Jetzt liegt er in den letzten Zügen am Boden und David befördert ihn ins Jenseits, während Anton schon vor dem Bunker steht. Es bestehe ein Zusammenhang mit Rattengift. Nächtens gibt es eine grosse Hundesuchaktion im Wald LOMO LOMO LOMO von gewaltiger Trauermusik begleitet. Eine Auseinandersetzung zwischen Anton und Mutters Freund wegen dem Hund. Anton schlägt Mutters Freund von hinten.

Später, das Geschwisterpaar ist bereits abgereist, kurbelt Anton die Abedeckplane des Bassins zurück, drunter liegt kopfunter und tot: Paul. Es folgt eine kleine Polizeivernehmungsszene. Die Gendarmen gehen von einem natürlichen Tod aus, er hätte viel Alkohol im Blut gehabt und sei wohl gestürzt, was zwar bei dem Schlag auf den Rücken nicht gerade plausibel ist, auch dass Paul viel Alkohol getrunken habe, da gab es zwar eine Szene, sehr deutlich, wie er sich einen Whisky einschenkt und in dem Moment habe ich mich noch gefragt, wozu die Überdeutlichkeit, weil sonst davon nie die Rede war. Wirklich höchst abstrakt und theoretisch alles gedacht.

Wenig ergiebige Dialoge wie beim hechelnden Hund: Was ist passiert, was hast du getan, wir müssen was tun, wir müssen zu Paul, er hat Rattengift. Wiederholung des immer Gleichen mit wenig Reiz. Vielleicht ist der Film als Röntgenaufnahme der Bilderwelt des Kopfes von Anton gedacht. Denn Anton kann Dinge sehen, die andere nicht sehen. Diese Dinge will der Film uns zeigen. Aneinanderreihung der Röntgenaufnahmen. Dadurch wird auf eine enorme Möglichkeit des Kinos verzichtet: Spannung und Emotion und auch Glaubwürdigkeit der Handlung, die als Anker für die Zuschauerbindung dient, zu erzeugen. Immerhin: diese Röntgenaufnahmen sind schön anzuschauen.

Parallel zu den Röntgenaufnahmen gibt es noch die Tonaufnahmen von den Einflüsterungen, die Anton hört: wenn Du alles machen kannst, was Du willst, dann bist Du frei, dann kannst du fliegen, ich habs für Dich getan (David). Das Kino sollte jetzt vielleicht vom Praxistext solcher Ideen berichten, das dürfte zu kinospannungerzeugenden Konflikten führen.

Kleine Wahre Lügen

Währschafte bürgerliche Küche, Sommerkost mit vielen Pointen nach bewährten Rezepten speziell für Leute, die in Paarbeziehungen stecken und das Gefühl kennen, sie können darin nicht die ganze Wahrheit sagen. Oder auch: ein Cliquenfilm. Eine Clique von Freunden, Paaren, trifft sich allsömmerlich bei Max, der in der Nähe von Bordeaux ein Restaurant betreibt, auf seiner Datsche am Meer, um dort einige gemeinsame Tage zu verbringen.

Dieses Jahr liegen gleich mehrere Schatten über den Urlaubs- und Vergnügungstagen. Freund Ludo ist nach einem Treffen in Paris kurz vorher mit dem Motorrad von einem LKW erfasst worden und liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Vincent, selbst verheiratet mit drei Kindern, hat Max seine Liebe und Verliebtheit offenbart und Antoine kommt nicht über seine Ex hinweg, um nur einige zu erwähnen.

Man beschliesst, den Urlaub trotzdem zu machen. Das Filmrezept geht nun so. Anfänglich wird in schnellen Szenen die ganze Oberflächlichkeit der Truppe gezeichnet, wie sie essen, Blabla reden, einkaufen und mit dem Motorboot rausfahren, Strandleben. Wie sie sich halt belügen über die wahren Verhältnisse, wie sie sich einen vormachen.

Nach einiger Zeit melden sich die verdrängten Dinge, die Lügen tragen nicht mehr, beschwören Konflikte. Es bleibt viel Zeit für Läuterung, für Gefühl und Musik, auch mit der Gitarre begleitet; ein Gitarrist stösst nämlich zur Gruppe: Dann stirbt Ludo; das ergibt eine ausgiebige Beerdigungszeremonie, wo einige auch reden, läuternd reden und Geheule und Geweine und dann raufen sie sich zu einem Gruppenbild zusammen. Und Freeze.

Es ist hier die rationalistische Seite Frankreichs, die zum Zuge kommt, es knistert nicht vor Erotik, es wird darüber hinweg gespielt. Max zum Beispiel ist meistens stur, verbohrt, überhaupt nicht anziehend, man versteht die Zuneigung von Vincent nicht. Aber das muss man wahrscheinlich gar nicht, es handelt sich hier eher um ein Abhandlungsstück, was gegen Ende eine grosse Emotion drübergiesst („I did it my way“). Es kommt zu einem Gespräch mit dem ausserhalb der Clique stehenden Bootsverleiher, den sie alle kennen und der in diesem Moment als eine Art psychologischer Moderator fungiert: er zeiht sie alle der Lüge, er habe das jetzt zwei Wochen beobachtet. Die Beerdigung in Paris, die gibt Anlass zur Katharsis.

Besonders in den ersten zwei Dritteln gibt’s Grund für viele Pointen die Paare und ihre Lügen betreffend. Die Regie von Guillaume Canet, der auch das Buch schrieb, scheint die Schauspieler bei ihrer Rollengestaltung weitgehend ihren Routinen überlassen und mehr auf die Verzahnung der Dialoge geachtet zu haben. Dadurch mag sich ein Wettbewerb unter den Schauspielern ergeben haben (wer holt mehr Lacher), jeder möchte seine Rolle möglichst gut und interessant gestalten, ein Wettbewerb, der der Intensität und der Lebendigkeit des Spieles förderlich war. Wehe, wenn die Mimen losgelassen. Es geht um Schlagabtausch von Positionen, Herausstellen von Verdrängungsmechanismen (der Kampf gegen den Marder) und nicht um Feinheiten.

Das Canet wollte, das scheint er sehr cool und mit einem begeisternd mittuenden Ensemble auf die Leinwand gebracht zu haben: Sommerkost wie eingangs erwähnt.

The Company Men

Hier versuchen die Stars Menschen wie Du und ich zu spielen, Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, versuchen Hoffnung und Mut zu verbreiten für Menschen in unverschuldeter Arbeitslosigkeit. Es sind alles Menschen, die in recht schicken Einfamilienhäusern und kleinen Villen in der Nähe von Boston an der Ostküste wohnen. Die Hauptfigur ist Bobby Walker, den Ben Affleck darstellt. Er wohnt mit seiner Familie in einem grosszügigen Haus, er fährt einen Sportwagen, sie den Familienwagen, die Kinder sind am Heranwachsen und mit allen guten Gaben einer modernen Wohlstands-Gesellschaft gesegnet.

Dann passiert das Unfassliche, das womit niemand gerechnet hätte. Der Firma geht es schlecht. Sie baut radikal Stellen ab. Auch solche, von denen es hiess, sie seinen nicht gefährdet. Sally Wilcox heisst die resulute Stellenstreicherin, sie verschont niemanden.

Auch Bobby Walker verliert seinen Job, noch eine Übergangszeit, in der er was verdient, dann ist Sense. Man sieht die Angestellten, wie sie meist mit einem Karton mit ihren persönlichen Habseligkeiten vom Arbeitsplatz zu ihren Autos sich schleppen, dieses Schleppen ist eher psychisch zu verstehen, Rhapsodie der Mutlosigkeit.

Es folgen Beratungen und Hilfen zur Wiedereingliederung, eigenartige Jobangebote und eines Tages ist zuhause nicht mehr genügend Geld da. Walker will gerade zum Golfspielen gehen und noch auf dem Weg zum Green, den er gerade mit drei Kollegen betritt, wird er vom Golfclubmanager zu Seite gebeten und höflich hinauskomplimentiert, denn die Gebühr ist nicht mehr bezahlt worden.

Das führt zu einem Ehestreit mit seiner hübschen Frau. Aber sie sagt, sie kann mit ihrem Job nicht den ganzen Haushalt aufrecht erhalten. Es werden noch zwei drei weitere Jobverlierer portraitiert, einer wird sich später in der Garage mit laufendem Motor umbringen, er verkraftet es nicht.

Der Tenor der Szenen, die entfernt an die Art der Spielszenen aus der ehemaligen ZDF-Reihe „Ehen vor Gericht“ erinnern, Alltagsszenen mit Alltagsproblemen, hier mit den Problemen, die sich aus der Arbeitslosigkeit ergeben, also der Tenor ist der des Mitfühlens, des Mitleidens mit den Opfern, der Tenor ist auch: ein Job macht das Glück des Lebens, eine tiefere Definition wird nicht gesucht im Film.

Es sind harte Zeiten für die Betroffenen. Selbst für den Manager mit dem grosszügigen Landhaus direkt am Meer. Es sind kleine Soziodramen, die sich hier abspielen, aber die Musik behauptet, wir wollen sie Euch nur schonungsvoll vorführen, immer mit einem Ton in Moll, der mit einem Ton in Dur abwechselt. Ganz weiche Musik ist es und ganz diskrete. Ja das war noch schön, als man jeden Morgen die Zeitung erhielt.

Eine Ballade oder eine Symphonie zur Arbeitslosigkeit der amerikanischen Upper-Middle-Class im Rahmen der Finanzkrise. Immerhin will Walker, wie er dann in ein kleineres Haus gezogen ist, plötzlich wieder mit seinem Sohn vor der Garage Basketball spielen. Das schafft Optimismus.

Der Film will Optimismus vermitteln, denn am Schluss packen die Helden es an, sie lassen sich nicht runterkriegen, Walker hatte zwischendrin gelegentlich einem Kollegen, gespielt von Kevin Costner, beim Hausbau geholfen. Dann finden sie die leerstehende Werft und fangen ganz klein an, wieder zu produzieren. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, das ist die Botschaft dieses Filmes, die mit grosser Hingabe und grosser filmischer Professionalität aller Beteiligten vermittelt werden soll.

Das Schlussbild verspricht Hoffnung und Zukunft, ein neues Schiff verlässt die Werft und fährt in das gleissende Licht der Meeresoberfläche einer Bucht hinein. Alles wird gut werden.

Herzensbrecher

Improvisationen und Impressionen zum Musset-Satz „Nichts ist wahrer als die Unvernunft der Liebe“ anhand der Verliebtheit von Francis und Marie in den blonden Engel Nicolas, der, das zeigt eine Überblendung in einer Trance-Sequenz, nach dem David vom Michelangelo kommt.

Von der Machart her von Godard inspiriert, nebst einer sehr freien Montage gibt es Literaturzitate, was es allerdings bei Xavier Dolan im Gegensatz zu Godard nicht gibt, das ist eine im Leben fundierte Rahmenhandlung. Mit anderen Worten, ein Konflikt der gelöst werden müsste oder der zumindest über allem schwebt, wie es beim ersten Film von Dolan „I killed my mother“ noch der Fall war: der Konflikt zwischen schwulem Sohn und alleinerziehender Mutter.

Da ein Handlungsskelett praktisch fehlt, würde ich von einem Molluskenfilm sprechen. Film ohne Skelett. Die Montage reiht aneinander und zwischeneinander Interviews frontal zur Kamera mit jungen Menschen, die über ihre unglücklichen Verliebtheiten sprechen. Diese Interviews sind mit Kameraspielereien versehen, immer mitten im Text die Nähe neu justieren oder bei Spielszenen gibt es impulsive schnelle Schwenks zu den Füssen oder zum Nachbarn. Auch Spielereien mit Farbfiltern, Liebesszenen in rot und grün, Bettszenen von Frau und Mann und Mann und Mann, immer sehr zart und erotisch oder auch weniger erotisch.

Die Männerliebe verklärter gezeichnet. Es geht um eine Ménage à trois. Marie und Francis entdecken auf einer Party Nico und verlieben sich in der Sekunde in ihn oder vielleicht sollte man eher so formulieren, in das Schönheitsdeal von Mann, das er verkörpert. Das ist der Spannungsreiz des Filmes, ob Nico sich für Marie oder für Francis entscheiden wird, wessen Verlockungen er erliegen würde, wenn und ob überhaupt.

Die Auflösung der Geschichte ganz am Schluss, die ist hart und überraschend und macht mir deutlich, dass dieser Film vielleicht in der Arbeit von Xavier Dolan ein Zwischenfilm bleiben wird (es war auch ein Verlegenheitsfilm für Zwischendrin, weil sein nächster Film nicht wie geplant voran kam) zwischen I KILLED MY MOTHER und einem allfälligen Film, der womöglich genau dieses Schlusstableau, das die Veränderung von Marie und Francis krass zeigt – nachdem ihr Engel sich für fast ein Jahr nach Australien abgemeldet hat und wieder auftaucht – zum thesenhaften Ausgangspunkt haben könnte, diesmal geballt mit Konflikten. Herzensbrecher als das Weichstück dazwischen.

In loser Reihenfolge werden verschiedene Begegnungs-Szenen aneinandergeschnitten.

Zu Dritt liegen sie im Bett. Erst will keiner in der Mitte schlafen. Dann opfert sich Nico, der nicht durchblicken lässt, was er will, er hat vorher beide geküsst und geherzt und sagt er liebe sie, aber das klingt schablonenhaft, formelhaft, das macht vielleicht den Reiz seiner leeren Schönheit aus und die Kamera schwenkt zu den Männerfüssen, die sich zart berühren.

Sie haben die Idee eines Wochenendes zu Dritt im Haus der Tante am Meer. Dort dreht Marie fast durch, wie Nico sich Francis zuwendet. Oder es gibt eine Einladung zum Essen, man trifft sich verabredet, man trifft sich zufällig. Man beobachtet sich gegenseitig mit Argusaugen. Man spricht auch über Style und Kleidung. Man geht zu Parties. Aufs Land fahren sie zu Dritt im Auto.

Einmal kommt die Mutter von Nico zu Besuch, bringt einige Infos über ihn in den Film; sie ist eine eher exzentrische Figur. Dann ist wieder Francis allein, hockt in Embryonlastellung am Boden, ist betrübt, verzweifelt, oder hat sich ein Poloshirt von Nico geschnappt, riecht daran und holt sich an der Schmerz-Lustgrenze einen runter.

So plätschert die Beziehung dahin ohne Höhepunkte, immer nur aus neuen Perspektiven, in wieder anderen Gruppierungen. Aber aus Nico ist nichts rauszukriegen. Selbst wie Francis ihm wörtlich die Liebe erklärt, nimmt Nico das scheinbar vollkommen verwundert zur Kenntnis, fragt ihn warum er glaube, er sei schwul. Francis erzählt ihm darauf von seiner Statistik an der Badezimmerwand, in welchen Farben er Striche für welche Antworten auf diese Frage mache. Die Strichliste hat man vorher schon mehrfach gesehen.

Im Interviewzyklus werden verschiedene Varianten der Schwulität benannt, ganz schwul, teil, homo-hetero etc..

Eine schöne Szene, eine der ersten Begegnunen der drei ist eine Szene im Café. Cerise oder chocolat, Kirsche oder Schockolade, das ist hier die Frage und ganz spontan füttert Nico Francis mit einer Kirsche; später wird das mit Marshmellows wiederholt: Francis nimmt das todernst, für Nico ist es ein Spiel. Einmal kauft sich Francis in der Einsamkeit eine ganz Packung Marshmellows.

Oder es gibt die Geschichte mit dem lapin blanc, mit dem weißen Hasen. .

Xavier Dolan schöpft in der Schilderung schwuler Welten aus dem Vollen und geizt nicht damit; die Dinge schauen immer sehr glaubwürdig aus und die Darsteller spielen gut; ein zusätzlicher Reiz geht von diesem schrägen kanadischen Französisch aus, was die Darsteller sprechen und einen nicht zu vernachlässigenden Teil des Charmes des Filmes ausmacht.
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Der Contents sind viele, über die geredet wird, über ein Theaterstück mit dem Titel „SCHMERZ MIGRÄNE & SOLDAT“, über Wildbeere und Sodomie, über die biologische Uhr, den Briefwechsel von Musset und George Sande, Audrey Hepburn wird zitiert, man schwelgt in Kunst- und Filmvorbildern, die Musik könnte aus der Plattensammlung eines Menschen stammen, der besonders populäre, bekannte anspruchsvollere Werke sammelt. Io spero. Oder die Frage, was ist der Traumtyp. Es gibt schöne schwule Zärtlichkeiten zwischen zwei Freunden. Bang Bang song. Ein Strohhut als Geschenk auf der Party. Die Idee My Fair Lady zu schauen.

Und immer wieder suhlt Dolan sich in schwülstiger Malerei, in Bildern schwuler Sehnsucht, schöne Männerkörper oder nur der Bauch. Schwelgen in Jugend und Schönheit. Insofern wohl doch eher ein Zielpublikumsfilm.

Ein Tick anders

Ein Sachthemenfilm, Aufklärung über das Tourette-Syndrom, vermutlich besonders an Kinder gewandt. Der Film kommt in hellen, lichten Farben, in weichen Bildern und mit sanfter Musik begleitet daher und zeigt viele Tourette-Verrücktheiten. Das war jedenfalls der Eindruck, dass der Film selbst versucht, die Weltwahrnehmung eines Menschen zu zeichnen, der unter dem Tourette-Syndrom leidet, sogar extrem darunter leidet, nicht nur unter den heftigen unkontrollierbaren Zuckungen sondern auch aus die Schwelle des Anständigen weit unterschreitenden Wortschwällen, die oft sexistisch und beleidigend für die Empfänger der Worte sind.

Zitat als Erklärung für das Syndrom: ich habe Schluckauf im Gehirn. Eva, so heisst die Hauptfigur, zur Oma: Freche Sau. Oder zu Spaziergängern im Wald: Kinderficker. Auch „Heil Hitler“ und „Tote ficken“ hat sich im Tourette-Syndrom-Hirn in einen nicht zu stoppenden Schluckauf verwandelt.

Dafür will genau dieser Film Aufklärung leisten. Er dürfte vor allem für den Schulunterricht oder für thematisch interessierte Gruppen in Frage kommen. Er ist praktisch ein Monolog der hübschen Hauptdarstellerin, die von dieser Krankheit geplagt wird, sie heisst im Film Eva Strumpf. Sie spricht oft voice-over, dann aber ohne jede Macke, über ihre Krankheit. Sie gibt zuerst sogar einen kurzen historischen Abriss und die Regie bebildert diesen auch. Eine franzöische Adelige war die erste, bei der die Krankheit im 18. Jahrhundert festgestellt worden ist. Sie wurde damit zur Namensgeberin. Eine Einführung, wie es sich für eine ordentliche Schullektion gehört.

Die Spielszenen wirken meist so, als seien die Schauspieler zusammengekommen, um eben diese vorzuspielen und zwar im Zusammenhang mit der Erklärung dieser Krankheit. Sie sind als Charaktere vom Autor und Regisseur praktisch nicht entwickelt. Auch das ein Hinweis darauf, dass wir es hier mit einem Erklärfilm oder einem Aufklärungsfilm zu tun haben.

Es gibt eine ganze Reihe von Szenen, in denen modellhaft vorgeführt wird, wie Eva bei Bewerbungen um eine Stelle Absagen kriegt.

Oder es gibt eine Szene, wo sie im Privathaus des Bankdirektors unter seinem Pult kauert, während er dran sitzt und telefoniert und nicht weiss, dass Eva sich in sein Haus geschlichen hat und sich genau unter seinem Pult versteckt hält, wo sie gegen einen Anfall des Syndroms kämpft und der Filmemacher bebildert ihre ganzen Angstträume, die sie unter dem Pult hat.

Es kommt auch eine kleinkindhafte Banküberfallsgeschichte drin vor. Das hat indirekt mit einer Leiche zu tun, die Eva ganz am Anfang, an ihrem Lieblingsort, einem Teich, wo sie mit Molchen spielt und redet, gefunden hat und wie sie dann Familienmitglieder und Nachbarn alarmieren wollte. Alle haben das für einen Anfall von ihr gehalten und keiner hat ihr geglaubt.

Erst am nächsten Tag haben Pilzsucher die Leiche gefunden. Wichtiger Satz fürs spätere Geschehen und eine Erkenntnis von Eva: die Pilzsucher finden immer die Leichen.

Die Leiche könnte mit Unregelmässigkeiten beim Bankdirektor zu tun haben. Eva hat noch einen Vater und eine Mutter und eine Oma und einen Onkel. Der Vater ist ein erfolgloser Autoverkäufer, sucht erfolglos einen neuen Job, darum möchte der Vater eventuell nach Berlin ziehen und Eva möchte das nicht, sie möchte nicht aus ihrer vertrauten Umgebung heraus. Um den Wegzug zu verhindern sieht sie als einzige Lösung einen Banküberfall. Denn sie bräuchten Geld, um hier zu bleiben.

Auf den Bankdirektor Herrn Kühne, dargestellt von einem Sprecherschauspieler, ist sie eh sauer, weil er den Kredit für den Vater nicht verlängert hat. Mit Hilfe eines abgestürzten Onkels und eines Gitarrenspielers, der sich als Pressemensch verkleidet hat und unter dem Vorwand ein PR-Foto für die Bank mit dem Direktor machen zu wollen, nun ja das kommt schon irgendwie wie hinterm Bügeltisch erfunden daher, schaffen sie den Zutritt zum Tresorraum und erreichen sogar, dass er diesen aus Eitelkeit wegen des PF-Fotos öffnet. Die Kinderbuchfabulierwelt lässt nun den Bankraub gelingen. Denn jede Menge Johnnys, einer heisst Johnny Blaubeermarmelade, einer Johnny Zukunftsangst, einer Johnny Arbeitslos (und in der IMDb fungiert der Film unter dem Titel „Johnny Kühlissen“), also die lenken den Direktor ab und Eva kann einen Koffer klauen, da ist aber nichts Gescheites drin, ausser dem Hinweis auf Ungereimtheiten beim Direktor, darum dringt sie in des Direktors Privathaus ein und entdeckt, dass er im Wald einen Sack mit Geld vergraben hat und dann sucht sie mit Johnny den Geldsack und sie finden ihn nicht und dann – mei das hat jetzt lange gedauert, vielleicht eine der Pointen in der Filmgeschichte mit dem längsten Anlauf, da fällt Eva der Satz vom Anfang des Filmes ein, „Immer die Pilzsucher finden die Leichen“ und also gehen sie am nächsten Tag in besagtem Waldstück Pilze suchen und finden den Sack mit dem Geld.

Der Sack mit dem Geld wird bei der Oma unterm Bett versteckt. Es sind genau 1,7 Millionen Euro. Dann stirbt die Oma, sie wird bei ihrer Beerdigung vom Tourette-Syndrom als auf einem Ast auf dem Baum sitzend wahrgenommen. Das Geld ist in der Wohnung aber nicht zu finden. Es gibt eine Testamentseröffnung und siehe da, die 1, 7 Millionen Euro sind auf ein Sparbuch für Eva einbezahlt worden.

Und wer jetzt noch nicht begriffen hat, was das Tourette-Syndrom ist, der hat auch den Film von Andi Rogenhagen nicht verstanden.

Der Zoowärter

Die Macher dieses Filmes haben sich für ein solides Modell an Geschichte entschieden, um dem kugeligen Komiker Kevin James eine sichere Plattform zu geben, sein Publikum mit den Nöten der Einsamkeit, des Missachtetwerdens, mit Sprüngen und Klettereien und mit Umfallen und Auf-den-Boden-fallen zu unterhalten. Er ist der Zoowärter Griffin im Franklin Park Zoo, lebt allein, fühlt sich allein und ist blind verliebt in eine Blondine, die kein Klischee auslässt und nach kurzweiligen, teils tierischen etwa 90 Minuten findet er dann doch noch die Richtige wie es sich in einem Kino, das gute Gefühle vermitteln will, gehört.

Der Film fängt mit einer überraschenden Szene an, so dass man erst glaubt im falschen Kino zu sitzen; Meeresstrand, Stimmung wie für eine Kinowerbung, ein Pferd mit einem Reiter und einer Reiterin kommt aus Richtung Sonnenuntergang daher. Eine Flaschenpost wird im Sand entdeckt. Drin steckt die Frage von Kevin, dem Reiter, an Stephanie, die Blondine an seiner Seite, ob sie ihn heiraten wolle. Sie tut ernsthaft überrascht ob solchem Begehr. Und sagt nein. Es ist aber zu spät, das aufwändig und präzise geplante Brautwerbungsevent noch zu stoppen. Schon tauchen die bestellten Mariaccis auf und lassen sich in ihrer Gratulationsmusik nicht mehr bremsen, durch kein Nein der Braut nicht. Und am Horizont wird ein riesiges Feuerwerk abgeschossen von und aus Herzen. Alles recht kostspielig für einen Tierwärter aus dem Zoo. Aber was soll der blöde Realismus, wenn es der Unterhaltung dient.

Die Tiere wollen ihren Wärter nicht verlieren. Sie können allesamt sprechen – das ist immer ein besonderes Vergnügen, amerikanische Stars Tiere sprechen zu hören, Löwe, Stachelschwein, Gorilla, Giraffe, Krähe, Affe. Die Zootiere, die ihren Wärter mögen, gehen davon aus, dass er bei ihnen bleibt, wenn er die Blondine kriegt. Die ist jedoch wieder mit ihrem Ex Gale zugange. Der bescheidene, tierfreundliche Griffin soll nun von den Tieren in mehreren Lektion das Imponiergehabe lernen, um bei der Blondinen Eindruck zu schinden und sie zu kriegen. Sie sind überzeugt, dann würde er sie heiraten und ihnen erhalten bleiben.

Das füllt das Gros der Filmzeit, diese Lektionen und das daraus resultierende Brautwerbegehabe, Auftritte auf einer Hochzeit oder in Restaurants, auch mit mit dem Gorilla im T-Shirt, der behauptet, ein verkleideter Mensch zu sein. Dann noch der Trick mit der anderen Frau. Dafür gibt sich schliesslich Kate, die Kollegin von Griffin her. Und siehe da, mit einem anarchistischen Auftritt bei einer Hochzeit mit einer verrückten Tanznummer und diversem Zerstörungswerk schafft Griffin es, für die Blondine attraktiv zu werden. Sie möchte aber, dass er den Zoojob aufgibt und Autoverkäufer wird im Laden ihres Bruders, der Nobelkarrossen verkauft. Den Job macht er einige Zeit. Ist auch erfolgreich. Aber es ist nicht sein Glück. So kehrt er schliesslich zu den Tieren im Zoo zurück. Und in letzter Minute schaffte er es auch noch, Kate, die schon auf dem Weg zu einem neuen Job in Nairobi ist, aufzuhalten und zum Bleiben zu bewegen.

Als Zückerchen für den deutschen Markt haben die Produzenten Thomas Gottschalk für einen Auftritt als tuntigen Oma-Kopf, wie er von Griffin tituliert wird, besetzt. Griffin ruft ihm hinterher, bringt den Esel zurück in die Scheune.

Naokos Lächeln

Liebesgeschichte um eine komplizierte Frau und zwei Selbstmorde. Verfilmung eines weltweit erfolgreichen Romans von Haruki Murakami. Der Film ist ein nahrhaftes Werk auch für jemanden, der den Roman nicht kennt. Insofern dürften seine Erfolgschancen noch größer sein, als wenn er insiderisch verfilmt worden wäre. Tran Anh Hung hat den Film gemacht. Er ist mit DER DUFT DER GRÜNEN PAPAYA bekannt geworden.

Der Film  spielt in Tokio und Umgebung in den 60ern, fängt an im Studentenmilieu, wo Protestaktionen In sind, aber unser Hauptdarsteller Watanabe hat andere Probleme. Er liebt Naoko. Sie ist in der deutschen Übersetzung die Titelfigur, im Original heißt der Film: Norwegian Wood und das ist was für Musikkenner.

An der Uni will der Professor gerade über ANDROMACHE referieren, die Frauengestalt aus der griechischen Mythologie, die männerbekämpfende, wie es heißt; aber der Professor wird unterbrochen von protestierenden Studenten, die ihre politischen Statements abzugeben wünschen. Der Professor findet jedoch, es gebe nichts Spannenderes als die griechische Mythologie und das dürfte sich mit der Meinung des Filmemachers decken, der sich nicht den Studentenprotesten, sondern der Geschichte der komplizierten Frau Naoko, die Kizuki in den Selbstmord treibt, zuwendet. Andromache – oder Naoko? – die Männer Bekämpfende.

Watanabe, der Student, der sich mehr für Naoko als für die Studentenproteste interessiert, fragt Naoko später, ob sie mit Kizuki geschlafen habe; sie sagt, ja einmal, aber sie sei nicht feucht geworden; sie hat Watanabe somit noch eine gewisse Exklusivität zu bieten. Sie bleibt für ihn verlockend. Denn die Spinne muss ihr Opfer ins Netz locken.

Wie Naoko nun versucht, Watanabe in ihr Netz einzuspinnen, dieser Versuch, dessen Erfolg nie plump absehbar ist, füllt den Hauptteil des Filmes. Sie kann ihn mit dem Exklusivitätsversprechen jetzt beliebig an seinem Begehren nach ihr und seinem Drang nach sexueller Befriedigung gängeln. Das tut sie lust- und kunstvoll.

Bei einem langen Gespräche im Gehen der beiden hatte Watanabe ihr seine Liebe gestanden, obwohl vor allem sie geredet hat und ihre eigene Kompliziertheit dargestellt hatte, aber irgendwie hatte sie wohl in Watanabe dadurch die Disposition geschaffen, dass er sich auf ihr Spiel, hoffnungsvoll, einlässt.

Dabei ist Krankheit eines der besonders raffinierten Gängelinstrumente. Denn krankheitshalber sucht Naoko Zuflucht auf dem Lande. Dort sucht Watanabe sie immer wieder auf, fühlt sich unwiderstehlich angezogen. Sie reden auch über Liebe und Sex; sie kann sehr direkt fragen, als ob sie das weiter nicht berühre, ob sich denn die Studenten im Wohnheim alle selber befriedigten und ob sie dabei an Frauen dächten oder wie das denn mit dem Ständer sei, ob das weh tue und ob er einen habe und sie könne es ihm mit der Hand besorgen und wie sie damit anfängt, schwenkt die Kamera diskret nach oben. Logisch, dass das Lust auf mehr, auf weitere Besuche macht.

Eine solche Frau ist für einen Liebeshungrigen zum Verzweifeln, umso mehr als sie in ihrem Asyl immer Reiko um sich hat, die auch gleich zu Anfang beim ersten Besuch von Watanabe klar stellt, dass Naoko besondere Aufmerksamkeit brauche und sie sie nie aus den Augen lassen werde. Über Andromache wird geschrieben, dass sie lesbisch gewesen sei. Unangenehm für Watanbe. So haut Naoko nachts ab. Bei dieser Exkursion dürfte sie das einzige Mal Sex mit Watanabe gehabt haben, Sex, bei dem sie feucht geworden ist.

Jetzt könnte die Beziehung ernsthafter mit garantierter Intimität werden. Denkste. Das war schon wieder too much für Naoko. Viele Briefe wechseln hin und her; Entschuldigungen ihrerseits über ihre Kompliziertheit und dass sie noch eine Weile brauche, aber nie ein definitives Schlusswort.

In der Zeit lernt Watanabe in einem einsamen Moment Midori kennen. Auch sie ist nicht einfach; sie möchte ihn ganz für sich und keine andere neben sich haben. Er muss sich Midori also aufsparen, bis Naoko sich aufgehängt hat am Meer; was er natürlich nicht voraussehen kann. Daraufhin macht er wilde Trauertage und Nächte am Strand. Tran Anh Hung haut eine heftige Musik drauf, lässt ihn heulen wie ein Wolf, aber seine Stimme hört man in diesem Moment nicht, der Geifer läuft ihm in einem langen Faden aus dem Mund und wabert hin und her und der Bart ist ihm gewachsen, wie er überhaupt im Laufe des Filmes vom Milchbuben zum Mann wird.

Schließlich hatte er ja noch jenes Erlebnis vom Partnertausch mit seinem Kumpel, wie sie beide eine Frau aufgerissen hatten und mitten in der Nacht, jeder ins Zimmer des anderen sei und mit der dort vorhandenen Frau weitergemacht habe; so richtig Lust habe das aber nicht bereitet.

Ist das jetzt mehr ein Film über die Komplikationen der Mannwerdung oder über die Kompliziertheiten des Frauseins?

Mein Freund Knerten

Was Fantasie alles zu leisten imstande ist, das vermittelt uns Lillebroer, der kleine Bruder. Er ist der jüngste in einer Familie mit Papa, Mama und älterem Bruder, der schon groß ist. Die Familie muss von der Stadt aus einem lebhaften Wohnblock aufs Land ziehen. So ein Umzug aus einer heimatwerdenden Umgebung, in die ein Kind eben am  Hineinwachsen ist, ist normalerweise ein großes Problem, das sich leicht zur Katastrophe, Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten, Identitätsverlust oder gravierenden Entwicklungsstörungen auswachsen kann, wenn die Freunde nicht mehr da sind, wenn das was sich  ein Kind an Umgebung angeeignet hat, plötzlich wegfällt. Aber der Mensch ist mit der Gabe der Fantasie ausgerüstet; die kann in so einem Fall die Kraft entwickeln, die der Mensch braucht, um sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Elend zu ziehen. Dazu bedarf es wenig, Es reicht, wie zur Bildung eines Regentropfens ein Staubkorn genügt, ein kleines Astgäbelchen, das vom Baum fällt und wie ein Männlein aussieht. Es ist vom Baum gefallen, weil der Vater sich am Baum zu schaffen gemacht hat. Es springt Lillebroer gleich an. Liebe auf den ersten Blick. Namensgebung auf den ersten Blick. Knerten heisst der neue Freund, der auch gleich selbst spricht und denkt (wie umständlich, schwerfällig und witzlos wurde das gleiche Thema dagegen bei DER BIBER behandelt!).

Knerten begleitet Lillebroer nun auf sämtlichen Abenteuer- und Entdeckungsreisen durch die neue Umgebung.  Dank Freund Knerten ist alles viel mehr aufregend und interessant als beängstigend und einengend. Diese Reise mit Lillebroer und Knerten im Kino zu tun, macht umso mehr Spass, als die Geschichte konsequent auf Augenhöhe und aus der Sichtweise des Buben erzählt wird. Einem Erwachsenen mögen dabei so manche Erinnerungen kommen. Und das Kind ums Lillebroer-Alter herum, schätzungsweise bis zur ersten, zweiten Schulklasse, ich bin kein Pädagoge, dürfte sich von so einem Film sowieos voll und ganz verstanden und ernstgenommen fühlen.

Es kommen also vor: ein Vater, der erfolglos Unterwäsche verkauft, ein grosser Bruder, der schon gross ist, aber immer noch zur Schule gehen muss und den man beim ersten Kuss beobachten und in Verlegenheit bringen kann, eine Traumprinzessin im Wald,  hoch zu Pferd und begleitet von einem Knecht, zwei böse Mädchen, die Knerten frech stehlen, als den ihren betrachten  und in Frauenkleider stecken, ein Sakrileg ist das, ein grosser Autoreifen wird die Situation wieder bereinigen. Es kommt ferner vor ein wunderschöner Kastenwagen aus den 50er Jahren, in dem die Fensterrahmen noch aus Holz gearbeitet sind, ein alter Schreiner, der weiss, dass auch Holzstücke eine Seele haben, ein alter Kramladen, in dem Kindern der Zutritt verboten ist und der von einem skurrilen Junggesellen geführt wird, der in eine Spanierin verliebt ist und bei dem  Lillebroers Mutter arbeiten kann; Pfandflaschen, die Lillebroer gleich mehrfach zurückgeben kann, eine Tante Malhierundmalda, die Lillebroer pflegt, wenn er krank ist und gleich noch ein nettes Mädchen mitbringt; ein Kamel, das Cigaretten spendet (deshalb ist Rauchen Kacke) oder ein roter Sportwagen mit einer weiblichen Showgrösse drin, die dem Vater die farbigen Strümpfe, die auf dem Lande keiner will, abkauft und so einen Boom in Gang setzt und am Ende gibt’s noch eine wunderbares Fest.

Alles koscher! – The Infidel

Ein rundlicher, glatzköpfiger, fester Mann mittleren Alters mit prinzipiell grimmigem Blick ist die zentrale Figur in diesem Film, der die religiösen Vorurteile in der Tradition des jüdischen Witzes auf die Schippe nehmen will.

Mahmud, so heißt unsere Hauptfigur, er hat bereits einen herangewachsenen Sohn, der irgendwie nicht zu ihm passt, genau so wenig wie seine Frau, aber das ist vielleicht teil der vorgeblichen Komödienkunst, solche Besetzungen zu machen.

Sein Sohn jedenfalls will heiraten und zwar ausgerechnet die Tochter eines islamischen Hasspredigers. Außerdem ist dem Mahmud seine Mutter gestorben. Es gilt ihre Hinterlassenschaft zu ordnen. Dabei stößt Mahmud auf eine Urkunde, die belegt, dass er gar nicht das leibliche Kind seiner islamischen Eltern ist, sondern adoptiert wurde und sein wahrer Name ein jüdischer ist. Dem geht er nach und findet seinen leiblichen Vater in einem Spital.

Die Komödie, so wie sie gespielt und geschrieben ist, wird hier gut vorgetragen. Das Problem scheint mir aber ein grundsätzlicheres: einerseits, wen wollen die Macher damit erreichen, denn mit Filmen über Toleranz, resp. Intoleranz und Vorurteile möchte man etwas bewirken und garantiert nicht reine Kunst machen. Überhaupt scheint mir der Rahmen oder das Tablett, auf dem die Macher ihre Fähigkeit, diese Art Komödie zu inszenieren und zu spielen ganz gut präsentieren, sehr wacklig.

Was ich zum Beispiel überhaupt nicht nachvollziehen kann, dass Mahmud, kaum hat er erfahren, dass er Jude ist, gleich zum Judentum übertreten will, so ganz ohne jeden Konflikt, wobei er ein eher nachlässiger islamischer Gläubiger war. Ausgerechnet ihm gegenüber wohnt ein jüdischer Taxifahrer, der einen siebenarmigen Leuchter im Fenster stehen hat. Von diesem Nachbarn will sich Mahmud die jüdischen Bräuche und Rituale beibringen lassen, auch diese Lern-Szenen scheinen mir arg auf die Gunst des hoffentlich dankbar kapierenden Publikums hin spekuliert.

Das Problem mit dieser Art jüdischen Witzes, wie er ja weltberühmt wurde, seine Beschlagenheit und auch die Selbstverarsche, das ist, dass er seine Qualität und Stärke aus der Diaspora- und teils Ghetto-Existenz bezogen hat; daraus seine Schlagkraft, seine kreative Überzeugungskraft schöpfend. Heute ist dies so nicht mehr gegeben. Es gibt den Staat Israel, und wo Juden in der westlichen Welt leben, da sind sie in keinerlei Ghetto gezwungen. Es ist diesem jüdischen Humor und Witz ein gutes Stück weit der Boden entzogen. Insofern scheint dessen Anwendung wie in diesem Film praktiziert, doch arg museal, nicht auf die heute Lebenden gerichtet zu sein, wenn auch mit aktuellem Bezug ausgestattet.

Als aktualisierende Zurechtbiegung der Situation kommt zum Erlernen der äusseren Formalitäten des Judentums hinzu, dass der künftige Schwiegervater, also der Hassprediger, der von Vertrauten umgeben ist, deren einer ein Haken statt einer Hand hat, soll wohl lustig sein, dass also der Hassprediger, um die Tochter dem Sohn von Mahmud zu geben, diesen auch auf seine Religiosität hin prüfen will, ein Vorgang, der mir nicht so wichtig und plausibel erscheint, ohne den aber die Komödie jeglichen Grund verlöre.

Mahmud wird jetzt von der Regie zwischen der Welt des Judentums und der des Islam atemlos hin und her geschickt.  In der Hektik vergisst er einmal die Kippa unter seiner arabischen Kopfbedeckung.   Prompt nimmt er beim Empfang des Hasspredigers vor viel Publikum sein Araberkäppi ab und darunter kommt die Kippa zum Vorschein. Worauf er eine öffentliche Verbrennung derselben veranstaltet, die im Fernsehen zu sehen sein wird und auch auf Youtube verbreitet wird; für diesen Preis hat  er vorerst seine Haut gerettet. Aber da seine Doppelgläubigkeit nun offenbar ist, setzt dies eine Kettenreaktion an Komplikationen in Gang, wie sie allein insofern schon erwartbar ist, weil ihre Voraussetzung so deutlich konstruiert  worden ist: Trennung von der Familie, Heirat des Sohnes ausser Sichtweite, Versammlung mit dem Hassprediger, Mahmud unter Burka verkleidet, Entlarvung des Hasspredigers. Konstrukt. Konstrukt der Lustigkeit halber zur zwanghaften Erzeugung von sollkomischen Situationen. Wozu sonst der Film gemacht worden sein soll, wird aber nicht deutlich.