Filmisch fängt es spannend an, ganz geheimnisvoll, zwei Jungs probieren einen Bruch in eine Villa, erst beobachten sie, wie das Licht offenbar mit Zeituhr gesteuert an- und ausgeht, was darauf schließen lässt, dass niemand zuhause ist. Ganz gedeckt unterhalten sich die beiden über diesen Sachverhalt. Dann pirschen sie sich über eine Hecke und den Garten an eine Tür ran. Die ist mit einem Bohrer, der etwas zu laut ist, schnell geöffnet. Sie dringen ein, bedienen sich an den Besitztümern, freuen sich über den ihnen zufallenden Reichtum. Da erscheint der Hausherr und die beiden hauen ab. Man sieht das Gesicht des Hausherrn allerdings nur kurz.
Einer der Jungs war Mike. Der wird tags drauf von Konrad Böhm in einer schwarzen Limousine verfolgt. Nun fragt man sich, ist dieser Konrad Böhm derselbe, den man abends zuvor ganz kurz im Morgenmantel in der Villa hat auftauchen und die Jungs in die Flucht schlagen sehen? Mike jedenfalls versucht in einen Hof zu fliehen, aber das Auto fährt um den Block herum und verstellt ihm den Weg. Wer ist Böhm und wieso macht er das? Ein Einführungsproblem einer der wichtigsten Figuren in diesem Film.
Wer ist Böhm? Und wie ist er auf Mike aufmerksam geworden? Jedenfalls will er ihn aus seinem Kleindiebleben in Rostock herausholen, das ist der Ort wo dieser Film, der möglicherweise ein Vatersuchefilm wird, spielt. Mike wohnt bei seiner Mutter, einer Frau, die in einer Betriebsküche arbeitet und davon träumt, einen eigenen kleinen Laden aufzumachen, aber es fehlt dazu noch ein Bankkredit. Böhm jedenfalls nimmt Mike unter seine Fittiche. Böhm scheint involviert in den Bau der Ostseepipeline. Als erstes besorgt er für Mike einen Anzug. Mike zieht ihn sich auf der Seepromenande an. Nach und nach kommt Mike hinter die Vergangenheit von Böhm, auch dessen Verhältnis zu seiner Mutter; der leibliche Vater ist unter ungeklärten Umständen zu DDR-Zeiten bei einer Schiffahrt verunglückt; das dicke Freundschaftsverhältnis zwischen Böhm und seinem Vater, aber auch, dass die alle drei für die Stasi gearbeitet haben; Mike entdeckt ein Stasi-Archiv in einem als Datsche getarnten Bunker, wo er viel aufschlussreiches Material über seinen Vater vermutet. Das wird im Film nicht weniger kompliziert exponiert, als hier nachzuererzählen versucht wird.
Die im Film vorkommenden Fakten und Dokumente, die alle, wie bereits im Vorspann erwähnt, reine Fiktion seien, die mit der Realität nichts und rein gar nichts zu tun habe, ergeben eine reiche Materialiensammlung. Die zu einer spannenden Geschichte aufzubereiten scheint mir den Autorinnen Dörte Franke und Khyana El Bitar vom Kinostandpunkt aus gesehen nicht so recht gelungen zu sein. Gerade die Unklarheit am Anfang, wie Böhm auf Mike gestossen ist, ist recht verwirrend. Und dass man so gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Dann ist die Geschichte zwar auf Mike als Hauptfigur geschrieben. Jacob Matschenz, der ihn spielt ist ein interessanter junger Schauspieler; aber dadurch, dass das Drehbuch sich ihn nicht voll und ganz als mit seinem Grundproblem vornimmt, denn ein solches scheint er so wie es hier gezeigt wird, gar nicht zu haben, er macht mit seinem Kumpel die Brüche, träumt vage davon, wegzukommen aus Rostock, vielleicht auch von seiner Mutter, der Alkoholikerin, aber was er will, wird nie richtig klar, seine Eigenschaften, die zu seinem Ziele förderlich oder hinderlich sind, die werden gar nicht erst vorgestellt. Er gerät einfach so in die Geschichte hinein; es gibt keinen Rahmen, der ihn dabei pusht oder hindert; er gerät zufällig in die Geschichte hinein, weil der Filmemacher Marc Bauder einen Film über das Weiterwirken von DDR-Seilschaften bis heute machen wollte.
Dadurch verzichten der Regisseur und seine Autorinnen auf das größte Kapital des Kinos, eine Geschichte als eine subjektive Geschichte, nämlich die von Mike zu erzählen. So bleibt der Zuschauer sachlich distanziert, freut sich allenfalls über den wunderschönen Kinoatem, von dem die Bilder, die auch ein schönes Bild von Rostock abgeben, durchweht sind, freut sich über die locker jazzige Begleitmusik die oft auch den Bass zupfen lässt; aber Mike bleibt ihm relativ egal. Es dürfte allenfalls für Festivals reichen, weil ja doch Substanz, geschichtliche, menschliche versammelt ist, aber eben nicht für den unbefangenen Zuschauer aufgedröselt. Für den bleibt die Geschichte so, wie sie erzählt wird, zu wirr.
Vermutlich wegen des Mangels einer klaren subjektiven Leitlinie, eines subjektiven Handlaufes genannt Hauptfigur. Wenn mir Mike gefällt, so tue ich mich schon schwerer mit seinem Gegenspieler resp. Protektor, mit der Besetzung von Böhm. Das scheint mir nun eine viel zu wenig gründlich studierte Rolle zu sein, besetzt mit einem Schauspieler, der, was in Deutschland nicht selten ist, Rollenarbeit bereits damit abgedeckt zu sehen scheint, wenn die Sprache einigermassen verständlich gearbeitet ist bei vollkommenem Verzicht aufs Studium der Abgründe, Eigenarten und Physis einer doch sehr zwiespältigen Figur wie dieser.
Allerdings ist das Drehbuch wenig hilfreich für die Rollenarbeit, versucht viel zu korrekt, ein Bild von Fakten, Einsicht in Seilschaften zu bieten. Thematisch orientiert, wie das Fernsehen es wünscht und liebt. Auch nicht ganz verständlich sind die dreimaligen Disco-Szenen, da habe ich keinen Grund dafür gesehen; da ist mir in keiner die Notwendigkeit klar geworden. Oder sind die unter den an sich angenehmen Art von Szenen zu sehen, die Mike im inneren Monolog zeigen sollten? Das wär kinohaft.
Der als Datsche getarnte Bunker mit dem Stasi-Archiv des revolutionären Antifaschisten am Stock.
Hotelklotz Neptun. Noch Einrichtung aus DDR-Zeiten. Schön nostalgisch.
Insegsamt kommt mir der Fall, der Sachverhalt sehr papieren vor. Er ist nicht in einen klaren Handlungsfaden eingebaut worden. Die Eigenart der Rezeption des Kinozuschauers, die additiv passiert, die die Handlung aufgrund der Informationen, die nacheinander geliefert werden, aufbaut, die wurde nicht berücksichtig.
Lob der alten DDR: „Wir haben hier Globalisierung betrieben, da gabs das Wort noch gar nicht“ . Kommentar zu Foto mit Strauss, Honecker und dem Vater von Mike.
Merkwürdige Szene: die Schießübung mit dem Apfel im Garten eines herrschaftlichen Gebäudes, auch so eine bedeutungsvolle Szene mit einem Schiller-Zitat betreffend die hohle Gasse von Küssnacht.
Hinweis, warum Mike immer Bewährung erhalten hat, obwohl er offenbar ein großes Vorstrafenegister hat, auch so eine theoretische Info, die als Hinweis auf die Seilschaften gilt, die aber nicht cineastisch erfahrbar wird. Theoretisch, nicht szenisch. Das Drehbuch hat sich in der Theorie verhakelt.
Konrad halte ich für eine vollkommene Fehlbesettzung (da kann der Schauspieler nichts dafür, da scheint es sich um eine Fehleinschätzung der besetzenden Person zu handeln).
„Übermorgen ist Schluss mit Regionalliga für uns beide“, auch das so ein rein theoretischer Satz.
Dann die moralinische Frage, was ist schief gelaufen in der DDR. Die Frage mag man sich in Seminaren stellen, aber in einem Spielfilm bräuchte sie schon eine ganz besondere Szene, um Brisanz zu entwickeln und nicht als Gesülz zu wirken wie hier.
Die Frage war, wer hatte die schnellsten Kaulquappen.
In welchem Zusammenhang war jetzt der Super-8-Film aus der Kindheit von Mike wichtig?
Verfilmung einer Stoffsammlung. Ein Wust-Film, der die Stoffsammlung in keinen cineastisch einsichtigen Zusammenhang zu bringen vermag.
Eine Szene mit Heinz Hoenig in einem Hotelzimmer. Wie aus einem anderen Kino, der Koloss, den man auch noch aus einem Swimming-Pool steigen sieht. Er darf ein paar Phrasen dreschen, die die Handlung auch nicht weiter bringen und in keinem direkten Handlungszusammenhang stehen, oder zumindest so wirken. Der Hoenig, der schnauft wenigstens merklich, der hat eine physische Präsenz trotz Papierdrehbuch, das scheint vielleicht der Unterschied zwischen einem Star seines Kalibers und den anderen, die auch nichts dafür können. Da müsste die Casting-Abteilung mehr geistige Energie auf ihren Job verwenden, falls ihr das Papierene dieses Drehbuches überhaupt aufgefallen ist.
Es gibt im Buch bestenfalls einen Argumentations- und einen Explikations-, aber leider, bitter fürs Kino, keinen Handlungsfaden.
Dann findet Mike und sein Kumpel im DDR-Archiv den Auftrag zur Liquidierung seines Vaters, in dem Moment werden sie überrascht, können aber abhauen.
Problem für die Mutter, sie kriegt das kalte Kotzen, dass Tieschke den Kredit gegeben hat.
Dann wird’s etwas sentimentaler. Ein großes Schiff von SCANDLINES fährt vorbei. Mutter und Sohn sitzen an der Mole.
Vielleicht haben auch die vielen Förderer diesem Film zum frühen Kindstod mitverholfen, weil wieder einmal keiner gemerkt hat, dass vieles nur gut gedacht, aber leider nicht in eine spannende Spielhandlung gebracht worden ist.
Mutter: Ich geh zur Polizei, ich werde alles erzählen.
Dann leicht sein wollende Standbein-, Spielbeinmusik.
Irgendwann schießt Mike noch ein Fickfoto im Hotel, nicht ganz klar von wem und zum Beweis wofür.
Filmisch fängt es spannend an, ganz geheimnisvoll, zwei Jungs probieren einen Bruch in eine Villa, erst beobachten sie, wie das Licht offenbar mit Zeituhr gesteuert an- und ausgeht, was darauf...