Archiv der Kategorie: Film

Sudoeste / Southwest (Filmfest München)

Film als ein Kunstwerk, als ein Werk voller Kunst, als ein kunstvolles Filmwerk. Ganz in Schwarzweiß auf breiter Leinwand. Die Körnigkeit des Filmes als Struktur, als Maserung von Holzlatten und gekalkten Wänden. Dahinter ist nichts. Es gibt hier keinen Tiefsinn zu analysieren. Aber darüber einen Ton, eine Musik, die das Werk in die Sphäre der Kunst, großartig enigmatischer Kunst erhebt. An der man sich weiden, in die man versinken kann.

Es geht um das alte Thema Frau, Hexe oder Engel, Nutte oder Mutter. Der Film spielt in fototechnisch ergiebiger Region am Meer, mit baumumsäumten Wegen am Wasser entlang und durchs Wasser hindurch, mit Salzgewinnungsfeldern, einer Windmühle, einem Pfahlhaus, in dem angeblich die Hexe wohnen soll. Diese Dame, Mulattin und recht als Zauberin aufgemacht fährt anfangs des Filmes auf einem Eselskarren zu einer toten Frau, die hochschwanger starb. (Ein Bild, was in ähnlicher Weise im neuen Film von Bela Tarr, „Das Turiner Pferd“, wichtig vorkommt).

Ist alles Fantasie? Ist alles Fantasmagorie. Ein Kette mit einer Muschel dran hielt die Tote in der Hand. Mit einer Art Mob fährt die Voodoo-Priesterin der weißgewandeten schwanger Toten über den Bauch und die Glieder.

Auf ihrer Rückfahrt hat sie plötzlich einen Säugling dabei. Fährt mit ihm zum Pfahlhaus. Ein paar Jungs nähern sich mit dem Boot dem Pfahlbau. Wette um Stärke und Mut? Jedenfalls bleibt Joao allein am Pfahlhaus zurück. Klettert die Pfähle hoch. Im Haus ist aber nicht die Hexe. Da ist Clarice, das Mädchen. Es hat eine Kette mit einer Muschel dran. Sie springt, auch dieses Motiv wird im Film noch mehrfach vorkommen, aus dem Fenster, um Joao, der gerade dabei ist, die Läden aufzureißen, zu entkommen, springt ins Boot mit dem schwarzen Hund drauf. Rudert. Der Wind treibt das Boot an den Sandstrand, hinter welchem Salz aus Meerwasser gewonnen wird. Das Mädchen kommt zu den Arbeitern. Es erzählt von seinem Hund. Die Arbeiter lachen. Denn für sie ist der Hund eine irrlichternde Erfindung des Mädchens. Darin kann sich der Zuschauer wiedererkennen, denn er fragt sich auch, was sind in diesem Film Einbildungen, wie steht es mit den Zeitebenen? Die Leinwand wehrt sich nicht dagegen, Bilder aus verschiedenen Zeitebenen durcheinander gemixt auf sie projiziert zu bekommen. Sie ermöglicht das geradezu.

Allerdings, wenn das alles rational erklärbar wäre, dann wäre es wohl keine Kunst mehr, dann könnte man gerade so gut ein wissenschaftliche Abhandlung studieren über Befindlichkeiten und Irritationen in der Frauwerdung, im Weibsein, Muttersein, Hexesein, Nuttesein, alle Varianten kommen in diese Film vor.

Die Salinenarbeiter fangen also einen Fische, interessanterweise aus dem salzigen Wasser, stecken ihn mit einem Dolch in den Boden, für den Hund des Mädchens.
Ein Film, der mit Visionen arbeitet, mit Symbolismen, der vielleicht einen Neoxistenzialismus verkünden will, der die Konstruktion unserer Realität nicht als simpel gegeben hält, unsere Realität ist vor allem Bewusstsein und das konstituiert sich aus Bildern der verschiedensten Phasen einer Geschichte.

In den anfänglichen Szenen in dem Haus mit der toten jungen Frau, wie die Voodoo-Priesterin und ihre Begleitung in den ersten Stock gehen, spielt die Begleiterin wie in einem Tschechow-Drama, brasilianischer Neoexistenzialismus mit Tschechow-Touch.
Ein Fotografiefilm, kunstvoll in jedem Augenblick.
Der Bub: Joao. Und Clarice, das Mädchen.

Momentweise erinnert der Film in seiner ruhigen Aneinandereihung der Bilder an eine japanisches Rollbild.
Satz der Mutter, der Junge soll ein gutes Leben haben, das ist doch der Wunsch aller Mütter.
Das Feuer muss natürlich auch vorkommen, der Pfahlbau brennt lichterloh. Und dann schliess die Augen, Regenprasseln.
Verlust von Ur-Beziehungen, Verlustängste.
Visionen, Imaginationen, was ist Realität, menschliche Realität? Sind es die Bilder, die unsere Realität machen?

Die Regie bei diesem meisterhaften Film führte Eduardo Nunes, das Buch schrieb er zusammen mit Guilheme Sarmiento.

Staub auf unseren Herzen (Filmfest München)

Lebenstheorie und Schaupielerempirie gehen hier eine Symbiose ein, der man gerne und gut zuschauen kann, die aber mehr Wert auf das „how to do“ zu legen scheint – und somit sich von den Professoren der dffb beste Noten verdientermassen erwarten darf, die jedoch leider keinen Wert darauf zu legen scheint, dem Kinozuschauer eine ungewöhnliche Geschichte oder eine gewöhnliche Geschichte ungewöhnlich erzählt zu bieten.

Um ein zentrales Mutter-Tochter-Verhältnis (plus kleiner Bruder, kleiner Sohn der Tochter Katia, abgängiger Vater und neu auftauchender Puppenspieler) herum versammelt Hanna Doose, die Autorin und Regisseurin, lauter banalste Alltagssituationen ohne jeden Handlungszusammenhang von erstklassigen Darstellern und Darstellerinnen (Susanne Lothar, Stephanie Stremler, Michael Kind) in der Schauspielermanier gespielt, wie sie, was im Film auch vorkommt, von Casting-Gurus gerne gesehen werden und wie sie in kollegialer Hingabe an den Gesprächspartner so im Leben kaum je vorkommen, wo aber jeder erkennen kann, darum die Klassifizierung, dass es sich um erstklassige Darsteller handelt. Untertext: wir machen das mit erstklassiger Hingabe und erstklassigem Understatement.

Gediegene Hingabe an Spiel, Text, Situation und Partner. Humor ist dabei eher dünn gesät.

Kati, die Tochter ist Schauspielerin, hat einen kleinen Bruder und einen kleinen Sohn. Sie macht Sprechübungen, tingelt von Casting zu Casting, knutscht sogar mit dem Regisseur und kriegt die Rolle doch nicht. Sie hat ein enges Verhältnis zur Mutter. Die ist Psychiatrin und sagt der Tochter gerne, wenn sie jammert, sie habe davon genügend in ihrer Praxis. Einmal spielt die Tochter in einem fingierten Gespräch eine Patientin, die unter ihrer Mutter leide.

Immer treffen sich die Figuren in den unterschiedlichsten Konstellationen zu Beziehungsgesprächen. Mal wird dabei eine Wand gemalt, mal Spargel aufgetischt, mal Gitarre gezupft, mal Geschirr gespült, mal Spaghetti gekocht, mal ein Kartenspiel gespielt und das Wort „Bannane“ kann zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter führen. Für den Kinoanspruch könnte man die Sache nett und vollkommen harmlos nennen.

Ach ja, der Titel, „Staub auf unseren Herzen“, der wird am Schluss auch gesungen und mit der Gitarre begleitet und erinnert an christliche Jugendbewegungen. Nichts ist gefährlicher für unser Herz als der Staub. Und welcher Staub ist gefährlich fürs Kino?

People Mountain People Sea (Filmfest München)

Rache auf Chinesisch.

Ties jüngerer Bruder ist von einem Anhalter, den er in seiner bergigen Heimat auf dem Motorroller mitgenommen hat, auf einem steinigen, einsamen Platz hinterrücks erdolcht worden. Die Polizei findet heraus, wer der Täter ist, kann seiner aber nicht habhaft werden, denn der hat das Weite gesucht.

Tie macht sich also auf den beschwerlichen aber über China sicher informativen Weg zur Selbstjustiz. Rache auf Chinesisch, das heißt im Kino von CAI Shanguin, dem beim Schreiben des Buches GU Xiobai und GU Zheng zur Seite standen, den Rächer in langen, epischen Bildern portraitieren, Rache auf Chinesisch heißt, sich in Geduld üben. So ergeben sich Bilder, die in kurzen Momenten an die Wartesituationen in „High Noon“ denken lassen. Rache auf Chinesisch heißt bei CAI Shangiun vorerst wenig Action.

Zuerst heißt es Warten, Essen, Warten, Warten bei der Familie des Gesuchten, in einer einfachen Behausung, Hühner stolzieren über den Hof, Wartesituation, aber der Sohn werde gewiss nicht so schnell wieder kommen, meint die Mutter.

Und Rache auf Chinesisch heißt hier weiter: Roadmovie. Denn der Gesuchte befinde sich, so war zu erfahren, in Chongqing, der Millionenstadt; hier gibt es Anhaltspunkte, aber der Gesuchte ist schon weiter. Er befinde sich in einer Kleinstadt am Yangtse, ist jetzt zu vernehmen. Dort gibt es den Hinweise auf eine vermutlich illegale Kohlemine.

War der Film bisher ein nicht allzu beschwerliches, teils für uns Europäer fast ethnologisches Kino über das Leben in China, die einfachen Verhältnisse auf dem Lande, die ungeteerten Straßen, so ändert sich das mit der Kohlemine radikal.

Was sich nicht ändert, sind die ruhigen, langen Einstellungen, praktisch ohne Schnitt-Gegenschnitttechnik, die dem Film epische Stärke verleihen. Was sich aber brutal ändert mit der Kohlemine, das sind die Farben, das ist das Gefühl der Enge, das Gefängnisgefühl, vermutlich von Cai Shangiun durchaus beabsichtigt als Schilderung eines Teiles chinesischer Lebenswirklichkeit, die uns Europäer zu erschüttern vermag, selten ist es mehr als ein paar Wochen her, dass man wieder über ein Grubenunglück in China gelesen hat, wegen rücksichtloser Ausbeutung und mangelnder Sicherheitsvorkehrungen.

Was sich aber unten in der Grube tut, wie da mit einem Widerspenstigen umgegangen wird – nun, viel anders dürfte es das Regime in China mit seinen Gegnern auch nicht halten. Die Grube als Gefangenenlager. Und wie Tie sich hier rächt, auch das dürften zumindest viele von uns in verzweifelten Lebenslagen sich schon mal ausgemalt haben, wenn ich schon keine Aussicht mehr habe, dann soll es andere auch treffen. Mittels Armbrechen wird einem Einzigen, dem Jüngsten, der noch nicht mal den Stimmbruch hat, das Überleben ermöglicht. Ein Funken Hoffnung muss bei all dem Leid, der Ungerechtigkeit noch sein.

Eine epische Erzählung in einer Aneinanderreihung von ruhigen Bildern, die eher Stilleben aus dem chinesischen Alltag gleichen.

Der Darsteller des Tie ist eine elementare Kinomännerfigur, wie sie in unseren westlichen Breiten als Protagonisten längst ausgestorben sind oder nicht vermittelbar, weil hier ein anders Männertum „in“ ist. Tie ist eine beinah archaisch zu nennende Männerfigur. Vielleicht denkt man entfernt an einen Typen wie Anthony Quinn als Alexis Zorbas. Der sicher nicht dumm ist, aber auch nicht gebildet, der einen instinktiven Gerechtigkeitssinn hat und dem Staat nicht vertraut. Von der intellektuellen Einsicht her dürfte ein solcher Rächertypus allerdings doch eher beschränkt sein.

O Le Tulafele / The Orator (Filmfest Münche)

Ethnokino aus Samoa, dies sei der erste und bisher einzige Kinofilm aus Samoa – so sei denn der Ethnotouch verziehen.

Es wird darin ernsthaft um Ehre und Beleidigung und Vergebung gerungen, auch handgreiflich gelegentlich. Die Grundsituation entbehrt nicht des Grotesken. Ein Zwerg sieht sich als Chef eines leeren Hauses, in dem nur ein von ihrer Familie und ihrem Clan ausgestoßene Frau mit ihrer erwachsenen Tochter lebt. Die Gräber der Ahnen, die pflegt er, aber Nachbarn wollen das Grundstück und drohen ihm, wenn er dort weiter Pflanzen aushacke. Die Frau, seine Frau, wie er sagt, sie macht aus getrockneten Blättern Matten, bestickt diese auch. Es gibt immer Auseinandersetzungen mit den Dorfältesten. Der Chef fragt den Zwerg, ob er denn Eier habe und entblösst sich dabei, sich ihm zeigend, der Zwerg aber bleibt sitzen. Bleibt reglos. Das macht ihn verdächtig. Wie die Frau stirbt, will er sie begraben, aber die Verwandten klauen die Leiche. Es kommt zu großen, langatmigen, statuarischen, statisch gesprochenen Verhandlungen. Staatstragender Sprechduktus. Und am Schluss kommt es zu einer befriedigenden und gewaltfreien Lösung.

Regie und Buch: Tusi Tamasese.

Là-Bàs: A Criminal Education (Filmfest München)

In epischen, gelegentlich fast poetischen Bildern erzählt Guido Lombardi ein Stück aus der Geschichte von Youssef, der nach Italien geflogen ist, um dort zu arbeiten und 40’000 Euro für eine Maschine zu verdienen, die er als Künstler zur Herstellung von Plastiken benötigt. Insofern ist er ständig dabei, seine Umgebung in sein Notizbüchlein zu skizzieren, wenn immer er einen Moment von der Handlung nicht allzu belastet ist; sein Skizzenbuch gibt einen schönen „Elenco“ (also eine Besetzungliste) der Beteiligten an diesem Drama.

Denn Europa ist natürlich nicht so, wie es ihm sein Onkel Moses vorgeschwärmt hat. Der lebt zwar sehr erfolgreich in der Nähe von Neapel. Aber wovon er lebt, das weiß Youssef nicht. Er trifft als erstes auf Germain, der ihm hilft, der ihn in eine Unterkunft für Illegale bringt, die sie nur das Kerzen-Haus nennen, denn immer wenn der Strom ausfällt, werden Kerzen angezündet. Man lebt da auf engem Raum, Matratze an Matratze.

Morgens geht es los an eine bestimmte Straßenkreuzung, da kommen Unternehmer oder Bauern, die billige Arbeitskräfte benötigen. Aber Youssef wird nicht genommen. Germain nimmt ihn mit auf eine Kreuzung, wo sie Tempo-Taschentücher an die haltenden Autofahrer verkaufen. Aber damit sind in einem ganzen Leben keine 40’000Euro zusammenzukriegen. Genau so wenig, wie mit dem nächsten Job in einer Garage zum Autowaschen. Das gibt grade mal schäbige 150 Euro in zwei Wochen, aussichtslos.

Einmal fragt Youssef: und wo leben die reichen Afrikaner? Im Gefängnis, lautet die Antwort. Den Autowaschjob hat er übrigens bereits durch seinen Onkel erhalten, den er inzwischen ausfindig gemacht hat (der war da gerade an einem Bein und am Hals bandagiert, wer kann ahnen warum). Der betreibt Handel mit Schuhen und anderen, kostbareren Dingen, sagt aber nicht womit. Wie ihm Youssef sein Problem schildert, kann ihm der Onkel durchaus auch einträglichere Jobs anbieten. Die sind nicht ohne Risiko. Das lernt er bald kennen.

Eine Frau, die als Koks-Kurier gearbeitet hat, finden sie tot vor. Die muss entsorgt werden. Aber vorher müssen noch die 68 geschluckten Päckchen herauspräpariert werden aus dem Darm. Youssef sitzt daneben. Wir wissen nicht, was in ihm vorgeht. Er erinnert in diesem Moment an den Hauptdarsteller aus „Ein Prophet“, wie ihm die Machtstruktur im Gefängnis anfängt klar zu werden.

Youssef gleitet langsam in die Welt des Verbrechens hinein, widerstandslos, wie es scheint, immer tiefer, bis zu dem Punkt, wo es ihm dann doch zuviel wird. Denn je tiefer er reinrutscht, um so mehr wird er hineingezogen in die Konfrontation seines Onkels mit der Nigeria-Connection und mit der italienischen Camorra. Die Mittel der Auseinandersetzung werden immer robuster. Irgenwann ist es für einen Künstler dann doch zuviel.

Ein Mafiafilm, der das Kunststück schafft, die Mafia fast ganz außen vor zu lassen, der aber dadurch ein viel erkennbareres Röntgenbild jener Grauzone irgendwo am Rande Europas bietet, in der das Verbrechen gedeihen kann, das wir sonst fast nur von Außen und als inzwischen oft abgegriffenes Klischee kennen lernen. Hinzu kommt die erstklassige Besetzung vor allem des Hauptdarstellers, der egal wie er handelt, nie den beobachtenden Blick verliert, immer sein Skizzenbuch bereit hält, der nie armseliges Opfer oder nur brutalen Schläger spielt, der auch das Haus der Kerzen bereits mit hellem Verstand wahrnimmt, nie als erbarmungswürdiger Flüchtling.

L‘ Ultimo Terrestre (Fimfest München)

Nach dem Screening dieses Filmes habe ich mich kurzfristig gefragt, ob ich hier auf einem Filmfest oder auf einem Flohmarkt mich befinde, auf einem Flohmarkt, wo ein wahlloses Kuddelmuddel zu finden ist an einzigartigen, abartigen, fremdartigen und auch nur Gewohnheitsdingen. Nein, wir sind auf einem Filmfest.

Warum dieser Film hier aber gezeigt werden muss, erschließt sich mir nicht. Er hat anfänglich durchaus gewinnende Momente: die Hauptfigur ist ein Kellner, eine eher abstrakte Figur am Rande zum Komiker, der manchmal so schiach schaugt, wie die Bayern sagen würden, der einen verschlossenen Eindruck macht, der seit drei Jahren in einer rein geometrisch anonymen Siedlung wohnt und der in einem Bingo-Lokal arbeitet, wo die Kellner sich einbilden, sie seien hervorragende Kellner à l’Américaine.

In einem anonymen Industriequartier geht unser Kellner aus, er telefoniert, es ist Nacht, kein Mensch unterwegs, man hat den Eindruck, er befinde sich in einer leeren Studiolandschaft oder in einem Bild von Edward Hopper. Aus dem Handygespräch wird klar, dass er mit einer Nutte telefoniert. Sonderbar, ungewöhnlich ist einzig die Räumlichkeit, in der sie ihre Dienste anbietet und wie sie stur seinen Beruf wissen will und das auch mehrfach wiederholt: sie residiert in einem Möbelgeschäft und erzählt auch, wie diese Möbel von ihrem Vater alle einzeln hergestellt worden seien, obwohl das Geschäft doch eher wie so ein Billigmöbelanbieter ausschaut.

Der Geschlechtsverkehr, der Zuschauer bekommt die Vorbereitungen des partiellen Ausziehens bis zur Unterwäsche des Kellners mit und wie er sich dann neben die Dame setzt, findet in einem der Ausstellungsbetten statt. Und das war vorher auch eine Diskussion, in welchem Stil man es treiben wolle. Tja, das war jetzt originell, spleenig, italienisch oder was?

Unser Kellner beobachtet von seinem Reihenhaus aus auch seine Nachbarn. Eine Nachbarin gegenüber hat einen Kerl zu Besuch und nachher ist die weiße Katze tot. Diese in eine Plastiktüte gepackt klingelt der Kellner, der offenbar seine Nachbarn kaum kennt, obwohl er schon drei Jahre hier wohnt, bei einigen und fragt, ob sie eine Katz vermissen. Aber bei der Frau klingelt er nicht.

Unvermutet stellt sich auch heraus, dass der Kellner aus ganz irdischen Verhältnissen kommt – obwohl schon am Radio von einer Landung von Außerirdischen gesprochen worden ist – denn er besucht seinen Vater auf dem Lande, der in einer ungraphischen, uncleanen Umgebung wohnt, entlegenes Einzelgebäude mit viel halbverwahrlostem Umschwung. Der Vater wird bald Besuch von einem Außerirdischen erhalten. Und der oder die wird auch bei ihm schlafen und kochen und servieren.

Und weil der Kellner eine Freundschaft zu einem Transvestiten hat, wollen seine Kollegen dem Americano mit diesem Transvestiten, von dem sie ihn als von einer Nutte erzählen, einem Kollegen einen Streich spielen, den sie auch mit Handykamera filmen. Dieser Streich wird sehr irdisch, sehr blutig enden. Aber am Schluss dann gibt’s doch keine Leiche. Denn eine Gruppe der Außerirdischen hat sich des Opfers angenommen.

Ich weiß nicht recht, vermutlich ist dieser Film ein Liebhaberprojekt von Gian Alfonso Pacionotti, der das Buch nach einer eigenen „Graphic Novel“ geschrieben und dann inszeniert hat; er ist sonst Comic-Autor mit dem Künstlernamen Gipi. Vielleicht muss man Comic- oder Italien-Kenner sein, um diesem Film etwas abgewinnen zu können.

An einem Filmfest und in einer Demokratie steht es natürlich jedem/jeder frei, sich an so einem Film zu ergötzen.

Ende der Schonzeit (Filmfest München)

Flüchtiger Jude soll auf Schwarzwaldhof die Bäuerin besamen, so würde mindestens der tumbe Bauer es sagen, der sich für unfruchtbar hält, wobei das nicht verwunderlich ist, wenn man ihn in der Leibwäsche sein Weib besteigen sieht.

An diesem Film macht schon der Vorspann deutlich, dass es sich um ein Funktionärs-Planwirtschaft-Produkt handelt, denn als Erstes kommen groß die fördernden Anstalten, die diese Story gut fanden, sie glauben offenbar nicht, dass sie sich damit blamieren könnten, dann erscheinen die Produzenten. Solche Wichtigtuerei von Funktionären verdirbt einem gleich schon mal den Einstieg in den Film.

Denn wir interessieren uns für die Künstler, in erster Linie für die Darsteller, dann vielleicht noch für die Regie, in diesem Falle von Franziska Schlotterer, die mit Gwendolyn Ballmann auch das Buch geschrieben hat, als ob die Nazizeit nicht längst schon ausgemolken sei, wie die Resi an diesem Schwarzwaldhof, die immer weniger Milch gibt.

Der Film fängt allerdings nicht im Schwarzwald an, sondern im Israel von 1970. In einem alten Bus reist ein etwa 20jähriger Mann zu einem Kibbuz, stellt schroff den einzigen Menschen, den er gleich beim Misten antrifft zu Sprache, der allerdings, als wüsste er genau, was auf ihn zukommt, ganz schroff erst den Taubstummen spielt und dann nichts vom Besuch wissen will. Er war der Samenspender von damals in Schwarzwald. Der Sohn hatte eine Hinterlassenschaft der Mutter, einen Brief, den er nach ihrem Tod nun nach Israel brachte.

Bald geht’s zurück nach 1942, ein Schuss in der Nähe der Schweizer Grenze, ein Flüchtling, ein Bauer, der ein Reh geschossen hat und den Flüchtling als Trägergehilfen benutzt, Grenzer, die glauben, sich verhört zu haben.

Der Flüchtling wird auf den Hof gebracht, wo nur der Bauer mit seiner Frau lebt. Die sprechen im Schwarzwald ein merkwürdig farbloses Hochdeutsch, was immer in solchen Filmen ein zusätzlicher Stimmungskiller ist und auch die Besetzung geht mal wieder hinten und vorne nicht zusammen.

Der Bauer ist ein Säufer und bräuchte bei aller Unfruchtbarkeit einen Erben. Den soll der Flüchtling nun zeugen, was er nach anfänglichem Zögern nur allzu gern tut. Und man fragt sich, wie es diese Frau, die doch was Kultiviertes und so gar nichts Bodenständiges hat, auf diesen Hof verschlagen konnte, und warum sie nicht die erstbeste Möglichkeit für eine Flucht vor dem groben, Hochdeutsch sprechenden Bauern ergreift, der menschlichen Sex nicht anders sieht als tierischen, was ja im Sinne der Fortpflanzung nicht ganz abwegig ist, was aber hier auch nicht vertieft wird.

Der Hof scheint mir übrigens für zwei Personen viel zu groß. War sicher in der Zeit ein Unikum mit nur zwei Menschen drauf; der Bauer dabei auch noch ein Wilderer. Er hat einen Bruder im Dorf, ein strammer Nazi. Dass der Bauer mit seiner Frau einmal zur Hochzeit vom Kappeler Herbert und der Meisinger Anneliese oder ähnlich fährt, wenn eine solche nicht vorkäme, wäre der Film vollkommen unerträglich, das dürfte selbst die Autorin gemerkt haben, bringt aber die Geschichte überhaupt nicht vorwärts, wird einzig eingeführt, um den Flüchtling als literarisch interessiert zu zeigen, die haben eine Bibel am Hof. Später radelt die Frau dann wie wild ins Dorf, so dass alle glauben, es habe endlich mit der Schwangerschaft geklappt, aber sie will nur Lektüre für den ihr von ihrem Mann verschriebenen Besamer besorgen.

Es ist nie ganz klar, ob diese Personen überhaupt Handlungen machen, oder ob sie nur unüberlegt, rein vegetativ agieren. Das reduzierte Menschenbild, das der deutschen Filmplanwirtschaft so entgegen kommt. Die Figuren selbst sind wieder lediglich Funktionsträger um dieses Thema hier zu postieren, Jude begattet deutsche Frau im Schwarzwald.

Was solls. Mehr ist nicht, mehr erzählt der Film nicht, er erzählt die Geschichte nicht so, dass man das Gefühl hat, das sei eine Geschichte, die unbedingt erzählt werden müsste, weil sie zum Beispiel eine Seite in der Diskussion um Samenspender zum Erklingen bringen könnte. Er erzählt die Geschichte leider so, dass man eher denkt, die könnte einem wirklich gestohlen bleiben, denn auch die Verhältnisse der Figuren untereinander sind ohne jede Tiefe geblieben. Es sind Schauspieler, die aus irgendwelchen Gründen die Rollen zugesagt haben, und schier daran verzweifeln, dass das Drehbuch ihnen absolut kein Futter gibt, und darum vermutlich weit hinter ihren Möglichkeiten bleiben, wenn sie sich nicht sogar schlecht verkaufen. Weil es wieder Figuren ohne Geschichte, ohne Konflikte sind,

Aber fürs „Gasthaus zum Rössel“, da hat die Requisiten-Abteilung ein fein schönes Schild organisiert.

Der Verdingbub (Filmfest München)

Einen harten Stoff hat sich Markus Imboden für diesen Schweizer Kinofilm ausgesucht, zu dem Plinio Bachmann das Buch geschrieben hat.

Verdingbuben waren Waisenkinder oder Kinder aus sozial zerrütteten Familien, die sich bei Bauern verdingen mussten. Sie wurden fast wie Leibeigene gehalten. Sie mussten auf dem Hof mithelfen, erhielten dafür ein Dach über dem Kopf, auch wenn es im Stall oder ein schäbiges Abstellkämmerelein war und auch zu Essen und wie in unserem Fall, der vom Verdingbub Max handelt, noch ein regelmässiges Haushaltsgeld für den Bauern vom Pfarrer dazu.

Wie die Kinder gehalten worden sind auf den Höfen, die von merkwürdigen Schweizer Zombies bewirtschaftet wurden, das interessierte keinen, niemand kümmerte sich darum, welchen Schikanen sie ausgesetzt waren, ja die sehr wohl wissende Öffentlichkeit (Bürgermeister, Pfarrer) ignorierten das schreiende Unrecht geflissentlich, deckten es sogar.

Bei Bachmann/Imboden muss der Bub Max gleich bei der Ankunft auf dem Bauernhof die guten Schuhe ausziehen und auf dem Hof barfuß gehen, das verlangt die Bäuerin, Katja Riemann in einer Glanzrolle als vierschrötiges Weib mit schwerem bäuerischen Schuhwerk, die noch dazu wunderbar auf Schweizerdeutsch nachsynchronisiert worden ist.

Max ist anfänglich überglücklich ein eigenes „Zimmer“ zu erhalten, was aber mehr ein Verschlag im Stall ist. Warum er das zuerst schön findet, ist nachvollziehbar, denn wir haben vorher einen Einblick in den Schlafsaal des Waisenhauses erhalten, fröstelnde Gestalten zwischen unfreundlichen Eisenbetten.

Max hat etwas Besonderes dabei: das ist ein Akkordeon, und er ist ein begabter Akkordeon-Spieler. Sein Traum ist, wie er das erste Mal am Radio ein argentinisches Bandaneon hört, nach Argentinien auszureisen und dort als Musiker zu leben. Die Hauptfigur, die durch grauenhaftes Unrecht und Misshandlung gehen wird, mit einer solchen Musikneigung auszustatten, ist sicher ein geschickter Schachzug des Autors. Das macht eine Figur interessant, gibt ihr ein Gegengewicht zu den Brutalitäten, die sie erleben wird.

Auf dem Hof gibt es keinerlei menschliche Zuneigung, gar Zärtlichkeit oder Verständnis. Der Vater ist ein brutaler Alkoholiker (obwohl gerade ihm der Max anfänglich ganz gut gefällt), der Sohn kommt aus dem Militär zurück, scheint auch ziemlich dumpf, die Großmutter liegt bald schon im Sterben und es kommt noch ein Verdingmädchen dazu, eines der Töchterchen einer Fleischerfamilie im Dorf, deren Vater gestorben und die Mutter mit den drei Mädchen überfordert ist. So hat der Bub denn wenigstens eine solidarische Person auf dem Hof.

Zur Schule müssen und dürfen sie immerhin gehen, ein Rest Zivilisation bleibt auch für die Verdingkinder erhalten. Die Lehrerin bemerkt schnell das Musiktalent von Max, setzt es in der Schule und beim Fest der Ringer ein. Aber weil der Sohn des Bauern beim Schwingen verloren hat, besäuft er sich, legt sich mit Max an, verbrennt ihm sein Musikinstrument.

Auch auf dem Hof wird Max jetzt brutal geschlagen mit Gürtel und Berteli, das Mädchen, muss sich auf die spitze Kante eines Holzscheites knien und wird drauf niedergedrückt. Es kommt ferner zu einer tierischen Vergewaltigung durch den Bauernsohn und im Gefolge dessen zu einem nicht weniger scheußlichen Abtreibungsversuch mit Rizinusöl und in dessen Gefolge zu einem zweiten Gang der Bestatter auf den Hof mit dem düsteren Namen „Dunkelmatte“, denn bevor Max dort ankam, ist uns gezeigt worden, wie sein Vorgänger in der Holzkiste weggetragen worden ist, kein Mensch hat sich für die Todesursache interessiert und wie der Pfarrer, der der Kirche nun nicht gerade zur Ehre gereicht in dieser und seinen weitere Handlungen, den Max abliefert, hofft er, dass es mit diesem ein bisschen länger anhalte.

Sachverhalte, die der ach so humanen, ach so neutralen Schweiz mit dem Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, ans Eingemachte gehen, weshalb der Film dort auch sehr gut angekommen ist.

Zur cineastischen Umsetzung dieses dunklen Kapitels der fast sklavenmässigen Haltung von Menschen in der Schweiz bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wäre anzumerken, dass schon die Nennung der vielen Produzenten inklusive Degeto in den Vorspanntiteln ärgerlich ist und den Film gleich zu Beginn eher als einen funktionärshaften Verwaltungsakt denn einen universellen Kinofilm erscheinen lässt. Fürs Publikum sind doch vor allem die Darsteller, der Autor und je nachdem noch der Regisseur von Interesse aber doch nicht Produktionsfirmen oder Filmförderer, die beim Kinoerlebnis bittschön im Hintergrund zu bleiben haben.

Ein Problem scheint für mich die zeitliche Einordnung zu sein. Der Schlafsaal am Anfang, der lässt einen weit zurück im letzten bis ins vorletzte Jahrhundert denken. Andererseits ist im Dorf unverhältnismässig viel Boden zugeteert, versiegelt. Vermutlich ist es in der reichen Schweiz schwierig noch Höfe zu finden, die nicht modernisiert sind.

Was fürs große Kinoerlebnis fehlt, für ein international vermittelbares, das ist die Weite, das wären landschaftliche Zwischenschnitte, die gibt es zwar, aber nur allzu hastig, als hätten die Macher Angst, es könnte irgendwo ein Handymast oder dergleichen entdeckt werden. Überhaupt arbeitet der Film fernsehmässig mit viel zu vielen Close-Ups, den etwas geübteren Zuschauer ständig vermuten lassend, da sollte vermieden werden, dass gewisse Dinge, die nicht in die Zeit passen, zu sehen sind.

Auch der Bauernhof der dunklen Matte scheint aus verschiedenen Locations zusammengestückelt zu sein – oder wieso wurde auf eine orientierende Gesamtansicht verzichtet?

Dann das Buch: macht den typisch deutschen und offenbar auch schweizerischen Fernsehfehler, dass es thematisch vorgeht und nicht personifiziert, wobei die mit Max Hubacher einen wunderbaren Hauptdarsteller haben und diesen mit der Besonderheit des Musikalität und der Freude am Akkordeon mit einem wichtigen charakterisierenden und auch künstlerisch dankbaren Merkmal ausgestattet haben, das nicht nur schöne Gegengewichte gegen die oft schier unerträgliche Brutalität auf dem Hof setzt, sondern auch noch die Chance für einen richtig schön sentimentalen Schluss gibt. Das wiegt zum Teil auf, dass das Buch nicht konsequent aus der Perspektive der spannungserzeugenden Konflikte von Max geschrieben worden ist, sondern doch primär unter der Prämisse, einen Film zu machen, der dieses verschwiegene Kapitel der Schweizer Gesellschaft aufdeckt, ein Film der „aufzeigt“ wie brutal und menschenverachtend mit diesen Verdingkindern ohne Besitz und Lobby umgegangen worden ist. Auf andere zeigen.

So bleibt das Kino doch vor allem thematisches Aufzeigekino, was meines Erachtens den Wirkradius doch sehr auf die Betroffenen, in diesem Falle also die Schweizer, einengt. Schaut her, so brutal ist es in unserem Lande bis vor nicht allzu lange Zeit noch zugegangen. Den Zuschauer Brutalitäten aussetzen, gegen die er nichts unternehmen kann. Nicht das exklusivste Kinoprinzip.

Zum Casting: was den alten und den jungen Bauern betrifft, scheint in der Zombie-Kartei (die Bäuerin sagt ja im Drehbuch, ihr Mann sei ein Vieh, es gibt auch eine eher linkische Sexszene im Bauernbett, die das belegen soll), gewühlt worden zu sein; im übrigen stellt sich das Gefühl einer Gemeinschaft, wie sie bei allem Streit, bei allen Brutalitäten über kurz oder lang auf so einem Hof wie hier bei den Bösigers zwangsweise entsteht, überhaupt nicht ein; das mag einerseits am Casting, aber auch an der Regie gelegen zu haben.

Brisant an diesem Film ist das Thema und das vor allem für die Schweiz, brisant ist nicht die Machtart.

Fazit: Ein TV-degetohaft-verkürztes Verständnis von Kino serviert uns Schweizer Zombies mit deftigen Schweizer Brutalitäten, zeigt auf ein dunkles, inhumanes Kapitel der Schweiz.

Verano (Filmfest München)

Film-, Filmmaterial- und Menschenentdeckerfreude pur aus Chile.

José Luis Torres Leiva hat eine Kamera (in Wahrheit hat er natürlich einen Kameramann, Inti Briones) und macht sich in einer bergig-waldigen Ecke Chiles auf die Suche nach Menschen (die vielleicht das Menschliche suchen), aber natürlich hat er Schauspieler und die hat er auch inszeniert. So inszeniert, dass man sich unwillkürlich nach so einer Welt sehnt, in der man noch Zeit hat, in der man nicht ständig in Angst gehalten wird, die eigene Währung könnte im nächsten Moment auseinanderbrechen, wenn die Bürger nicht weitere Milliarden in marode Banken stecken. Solche Gedanken kommen einem im Chile von José Luis Torres Leiva nicht.

Eine Frau ist schwanger, sie lässt sich von einem Freund in das Hotel in der bergigen Gegend fahren. Sie will aber nicht, dass der Vater des Kindes die Sache erfährt, sie will sowie mal allein Urlaub verbringen und wenn sie eine Familie beobachtet, die ganzen Zwänge der Bewirtschaftung einer solchen Institution, dann weiß sie nur eines, dass sie das nicht möchte. Das große Hotel ist nicht besonders gut besetzt. Beim Frühstück auf der Terrasse ist nur ein Mann mit weißem Strohhut zu beobachten, wie er Wurstscheiben von seinem Gedeck in eine der Stoffservietten einpackt und das Paket im Hosensack verschwinden lässt. Er hat einen Hund dabei. Der wird der später auf einem Spaziergang der Nutznießer dieser Aktion sein.

Vorher war im Hotel zu beobachten, wie der Chef einer Bedienung beizubringen versucht, Stoffservietten zu falten, so dass sie am Schluss als Fächer auf den Teller gestellt werden können. Später wird die Bedienung zuhause die Kunst ihrer Schwester beibringen wollen. Vorher aber noch war eine Fahrt mit dem Fahrrad über eine beliebig lange Waldstrecke mit Teerstrasse nötig, um einen Staubsauger zu besorgen. Die Mutter der beiden Schwestern möchte die Wände in der Wohnung frisch malen. Überhaupt gäbe es noch dies und das zu reparieren. Aber alles kostet Geld.

Der Film ist in einem Format (vor allem aber der Hingabe!) gedreht, das an alte Schmalfilme erinnert. In manchen Momenten hat es den Filmemacher einfach gejuckt, mit einem Element rumzuspielen, wenn jemand zum Schwimmen geht, so lassen sich ganz wunderbare Bildeffekte gestalten oder man kann eine Szene auch mal bei fortlaufender Geräuschkulisse in lauter „Stills“ also Fotos aneinanderreihen. Mit solchen wunderschönen Spielereien wird man immer wieder daran erinnert, dass es sich hier keinesfalls um einen Tatsachenbericht handelt, sondern um pure Wonne des Erzählens.

Wenn sich jemand schneidet, so ist das und vor allem das nachfolgende Verbinden für eine wache Kamera eine ergiebige Situation. Sowieso natürlich wenn Mann und Frau sich plötzlich näher kommen, oder wenn sie nur so dasitzen, zum Beispiel in einem verwahrlosten Buswartehäuschen und die Beine baumeln lassen und versuchen gegenseitig etwas über einander in Erfahrung zu bringen. Wenn sogar von der Frau wie um einen kleinen Gefallen um einen Kuss gebeten wird, der dann nach dem Einwand des Mannes, aber er sei ja verheiratet, auch bereitwillig gewährt wird und für den dann artig sich bedankt wird, Gracias, de nada, schon gut.

Wenn aber der Mann unter der Dusche ist, da kann die Frau soviel erzählen wie sie will und so Dramatisches wie sie will, er hört nichts.

Der Filmemacher schein hingerissen zu sein von den einfachsten Tätigkeiten, die die Menschen so ganz selbstverständlich ausführen. Ein Glühbirne herausschrauben – damit man drum herum malen kann. Oder jemand erzählt eine sonderbare Geschichte von einem Motorradfahrer. So einer kommt aber auch in dieser Geschichte hier vor. Die Menschen in diesem Film tun sich nicht Böses. Sie kalkulieren nichts, sie wollen keinen übers Ohr hauen. In einer Familie ist auch ein kleines Kind, Muriel, ein göttliches Bild, wenn es die Flasche kriegt und wir sehen nur fast leinwandgroß den Kopf, die Flasche und lauter es umsorgende Hände. Geborgenheit. Raphael hätte das sicher nicht schöner hingekriegt.

Für José Luis Torres Leiva ist Film Spielmaterial, das er mit hohem Respekt und aus immer wieder unverhofften Blick- und formpositionen behandelt und den Zuschauer bereitwillig daran teilhaben lässt und ihm so viel zu erzählen hat. Aus Chile. Aber überhaupt: aus der Spähre der Menschen.

De Jueves a Domingo (Filmfest München)

Glaubwürdigkeit der Darstellung macht es hier möglich, das andere Gesicht des sich selbst vorgegaukelten Familienglücks hart und rücksichtslos zu entlarven.

Dominga Sotomayor, Autorin und Regisseurin dieses Filmes, begleitet schön chronologisch und in gutem Fluss eine vierköpfige Familie, Vater, Mutter, 15 jähriges Töchterlein und etwa halt so alten Buben auf einen Ausflug im Auto, der von Santiago aus in Richtung nördlicher Wüsteneien Chiles führt.

So wie der Titel heisst, von Donnerstag bis Sonntag, also mit drei Übernachtungen, die erste in einer Hosteria, die zweite mit Freunden campend und die dritte dann noch irgendwo am Straßenrand im Auto schlafend. Da ist das Familienglück schon ziemlich ruiniert. Natürlich war es das vorher schon. Aber diese ewige Autofahrerei, die zehrt an den Nerven. Irgendwie kommt man nie an den Strand, an den der Junge so sehnlichst möchte, denn er hat einen Magnetstab dabei, mit dem er Münzen finden könnte; das sei vor allem gut, wenn es geregnet hat, der spült dann vieles an den Tag.

Am ersten Tag nimmt die Familie ein Stück weit zwei Tramperinnen mit, die freunden sich sofort mit dem Töchterchen an, tauschen auch die e-mail-Adressen aus. Töchterchen möchte auch Autofahren lernen. So eine Gelegenheit gibt es nach der zweiten Nacht. Mit vereinten Kräften schiebt die Familie das Auto, der Motor ist abgestellt und das Mädel sitzt am Steuer und muss dann rechtzeitig die Bremse ziehen. Hier arbeitet die Familie sozusagen mit vereinten Kräften an einer Sache.

Kurz vorher hat das Mädel aber beobachtet, wie die Mutter nachts aus dem Zelt eines anderen jungen Mannes gekommen ist, auch wie die beiden sich am Vormittag auf einem Stein im Wasser angeregt und sich emotional sehr zugetan unterhalten haben.

Je arider und trockener die Landschaft wird, die die Familie durchfährt, desto spröder wird ihr Glück, bis die Mutter einmal sogar Reissaus nimmt und einfach der Straße nach geht. Es lebt halt jeder seinen Träumen. Und die Familie, die die Regisseurin hier zusammengestellt hat, natürlich, bewusst zusammengestellt hat, ist doch vor allem eien Zweckgemeinschaft von auseinanderdriftenden Individuen. Wer das mal erlebt hat, kann das hier sehr gut nachempfinden, mir sind da sogar Gerüche aus so Situationen wieder in den Sinn gekommen.

Der Bub heisst Manuel und das Mädchen, Lucie, wird Chini gerufen. Der Vater will Klettern gehen. Aber vorher noch sucht er ein Stück Land, was ihm gehört, wo er vielleicht Avocados anpflanzen will. Auf dem Stück Land treffen sie Verwandte oder Bekannte und am Abend gibt es ein rundum gelungenes Lagefeuer mit Gitarrenbegleitung zu Liedern.

Sinniges Bild auch für diesen Familienausflug, wie die Familie den Panoramaweg der Küste entlang erreicht, ist es bereits Nacht, zappeduster und kein Panorama nirgends zu sehen. Es gibt die typischen Pausen, zum Essen, zum Pinkeln oder um mal auf einen Hügel raufzusteigen.

Einmal wird auch an einem Fluss halt gemacht. Der Vater steigt im Taucheranzug mit Schnorchel in das nicht ganz blaue Wasser. Dort kommt auf der anderen Seite ein junger Motorradfahrer. Von dem wird später am Radio in den Nachrichten berichtet oder die Familie glaubt, dass es sich um ihn handle, eine Negativnachricht auf jeden Fall.

Die Regisseurin bleibt so nah an der Familie, mit der Kamera oft im Wagen, dass wirklich dieses beengende Familiengefühl, das das Individuum brutal unterdrücken kann, voll durchschlägt, was man vielleicht nicht primär als einen Kinogenuss empfinden wird. Denn sie verzichtet auf jegliche erleichternde Andeutung darauf, dass es sich ja nur um eine filmische Erfindung, um eine Geschichte handle und keineswegs um eine reale Dokumentation. So eine ist jedoch nun mal irgendwie auch dröge, so eine Urlaubsrealität einer Mittelstandsfamilie.

Wobei doch verwundert, dass nicht einmal das Bett des Kindes gemacht wird, was am Anfang des Filmes noch im Dunkeln und schlafend in das abfahrtsbereite Auto gebracht wird. Typisch vielleicht auch, dass Manuel zwar einmal im Supermanmantel rumrennt, aber hauptsächlich möchte er der Sklave von seiner Schwester oder anderen Kindern sein, wenn sie spielen.

Auf was für gefährliches Terrain sich diese Familie begibt, ist aus dem Rat eines Truckerfahrers an ein Familienmitglied zu entnehmen, sie möchten vorsichtig fahren, die LKWs und die Trucks hier, die würden hier ziemlich schnell (Untertext = erbarmungslos) unterwegs sein.