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The Deep

Seemannsgarn aus Island, düster, verwunderlich, unglaublich, das seine Glaubwürdigkeit nicht nur dadurch reklamiert, dass es im Vorspann heißt „nach wahren Begebenheiten“, sondern, dass im Abspann die Original-Hauptfigur, die das Unwahrscheinliche durchlebt, durchlitten und überlebt hat, in einer nachgedrehten Aufnahme noch so jung wie 1984 erscheint, und offenbar immer noch im Bett liegt, wenn das kein Beweis für die Glaubwürdigkeit ist, dass ein Mensch mehrere Stunden bei Minustemperaturen im Meereswasser überleben kann, dann werde ich anfangen, den Möwen Witze zu erzählen.

Baltasar Kormákur, der mit Jón Atli Jónasson auch das Buch geschrieben hat, geht die Horror- und Wunderstory beiläufig alltäglich an. Wir befinden uns im Jahre 1984 auf der Vulkaninsel Westmänner im Atlantik. Der Vorabend einer Ausfahrt des Fischkutters Brek. Ein junger Koch wird an Bord kommen, von dem nicht sicher ist, ob er sowohl kochen als auch die Seefahrt ertragen kann, denn er kommt vom Festland.

Es ist Gulli, ein sympathischer Isländer, der schnell Palli kennen lernt, einer von der Sorte rundlicher Männer, wie sie leicht jedermanns Freund oder Liebling sein können, an denen die Weltgeschichte abzuperlen scheint, obwohl sie doch mitten drin stehen.

Es gibt eine Bar, sich einen anzutrinken, für Gulli die Gelegenheit schnell eine Frau zu küssen, in eine Schlägerei mit dem Liebhaber dieser Frau verwickelt zu werden, die Palli souverän für Gulli entscheidet. Der Rest der Nacht wird im Alkohol ertrinken, wie es sich für vulkanisländische Seemänner gehört.

Der Trawler fährt aus, das Schleppnetz hinterher. Der Filmemacher taucht schon ab und an in die Tiefe, um die es hier gehen soll. Und wer die unglaubliche Geschichte nicht verraten haben will, der darf jetzt nicht mehr weiter lesen.

Die Tiefe des Meeres sieht nicht angenehm aus, nicht einladend, eher wie ein kaltes, nasses Grab. Das Netz bleibt hängen. Mit einem leichten Zurücksetzen kommt das Schiff wieder los. Der Koch hat bereits gelernt, wie er den Kaffee für den Kapitän kochen muss, ein halbe Packung für eine Tasse. Harte Tatsachen, die das Fischerleben schreibt.

Das Netz bleibt erneut an einem Felsen hängen. Diesmal kommt das Schiff nicht los. Ganz ohne Sperenzien, ganz unspektakulär lässt der Regisseur es sinken. Innert weniger Minuten. So unspektakulär wie es wahrscheinlich in Wirklichkeit nur allzu oft vorkommt. Da ist ein Schiff, Minuten später erinnert nichts mehr daran.

Drei Männer können sich noch an einer Planke festhalten. Sie wollen das Rettungsboot lösen. Es gelingt nicht. Jetzt sind es noch zwei. Gulli und Palli. Sie sehen ein Schiff in der Ferne. Schwimmen drauf los. Die Viertelstunde oder zwanzig Minuten, die ein Mensch bei solchen Minustemperaturen im Wasser überleben kann, sind schon vorbei. Gulli schläft ins Jenseits hinüber. Auch das völlig unspektakulär, wie der Tod sicher viel öfter ist, als wir glauben.

Jetzt schwimmt noch Palli. Allein. Und schwimmt. Und sieht, wie man es oft von Leuten hört, die dem Tode nahe sind, nochmal in großem Tempo Bilder aus seinem Leben vor sich ablaufen. Bei Palli läuft dieser Bilderstrom in Super-8 ab. Und er schwimmt. Und schwimmt. Und wieder ein Schiff. Keine Chance gesehen zu werden. Der Filmemacher blendet die Luft- und Wassertemperatur ein. Da friert und schlottert einen. Vielleicht macht Kormákur hier etwas zu viel auf Realismus. Der Eindruck entsteht, die Aufnahmen seien teilweise in einem Studiobecken entstanden. Aber das Pressematerial behauptet, alles sei on location gedreht worden ohne Tricks.

Für die Anlandung von Pulli in der felsigen Gischt der Vulkaninsel muss er gut gepolstert gewesen sein. Von da schleppt er sich noch zwei Stunden bis zum ersten Haus. Jetzt wird die Geschichte noch unglaublicher. Denn die Welt will seine Geschichte nicht glauben. Weil ein Mensch so lange in kaltem Wasser nicht aushalten kann. Also wird er die wissenschaftlichen Kapazitätsstufen hochgeschubst, erst fliegen die Doctores ein zur Begutachtung des Wunders, das Robbenfett haben muss, dann nehmen sie ihm mit nach Reykjavik zu Tests und schließlich nach London. Und überall bestätigt er seine Sonderstellung. Er selbst aber hält es für das Normalste von der Welt. So wie der Regisseur seine Geschichte auch. Denn Seemannsgarn gehört so selbstverständlich zu einer Seefahrernation wie der Alkohol.

Papadopoulos & Söhne

Marcus Markou, ein in England naturalisierter Grieche, erzählt in seinem ersten Spielfilm die unschuldige Geschichte von einem ehrlichen Griechen, der es zwar in London zu einer Traumkarriere vom Imbissbuden- bis zum Großkettenbetreiber gebracht hat, und der, weil er ehrlich war und keine Gewinne in dubiose Steuersparländer transferiert hat, von der Finanzkrise hart erwischt wird.

Markou kommt vom Theater und dürfte Talent zum Geschichten erzählen haben. Er nimmt sich Zeit für die Figuren. In ruhigen Szenen wird die Familie von Harry Papadopoulos vorgestellt. Harry ist nicht der gestresste Manager. Eher wirken er und seine Kinder blasiert vor Reichtum. Man fährt Rolls Royce. Die Mutter ist vor einiger Zeit gestorben. Mrs. P hat sie ersetzt.

Die drei Kinder sind Katie, die älteste, die interessiert sich vor allem für ihren Freund, ist in der Familie schnippisch bis rotzfrech, James hat die Pubertät auch schon hinter sich, träumt von umweltfreundlichem Leben und hegt Pflanzen, während der Kleinste, Theo, nur hinter dem Computer hockt und sich für Börsenkurse interessiert, frühreifes Kerlchen.

Eben wird Harry zum „European Entrepreneur des Jahres“ gewählt. Die Familie kommt mit zu dieser festlichen Verleihung. Kaum zuhause bricht die Börsenkrise aus. Die Bank will dringend Kredite zurück, die er sich hat für ein Einkaufszentrum geben lassen, von welchem aber erst ein großer Bauplatz zu sehen ist. Die Familie wird gepfändet, alles wird ihr genommen, sie muss aus der feinen Villa raus.

Nicht gepfändet wird allerdings der kleine Fish&Chips-Shop der „3 Brüder“, den Harry einst mit seinem Bruder Spiros betrieben hat. Der dritte der Brüder ist vor langer Zeit bei einem Brand ums Leben gekommen. Unter tatkräftiger Mithilfe von Spiros überwindet sich die blasierte Familie, Hand anzulegen, den Imbiss wieder flott zu bekommen.

Parallel laufen die Gespräche mit der Finanzberatern, denn noch möchte Harry sein bisheriges Lebenswerk nicht aufgeben. Aber die gemeinsame Arbeit am Imbiss, das enge Zusammenwohnen in den kleinen Zimmern verändert die Lebenseinstellung aller Beteiligten. Die Frage ist nämlich, woran sich der Begriff Glück bemisst, ob an absoluten Umsatz- und Gewinnzahlen oder daran, ob man bei dem, was man tut, zufrieden ist. Das ist in etwa die Botschaft dieses ruhigen Filmes, in dem noch Platz für zwei Liebesgeschichten ist und bei dem das griechische Temperament und die griechische Lebensfreude, die zwar schon gelegentlich in Songs zum Ausdruck kam, erst richtig ausbrechen in der kleinen Straße vor dem Imbiss.

Sympathisch und gewinnend an dem Film ist auch die große Nähe, die Markou durch die Arbeit an den Figuren herstellt, und zu denen man sofort ein Beziehung entwickeln kann, wobei das in einer Phase des Filmes leicht ins Melodramatische abzurutschen droht.

Die Frage die explizit im Film gestellt wird: was ist Erfolg? (the joy you feel)

Laurence Anyways

Schon mit seinen Vorgängerfilmen „I killed my mother“ und „Herzensbrecher“ hat Xavier Dolan gezeigt, was für ein extraordinäres Händchen fürs Filmemachen er hat, wie genial seine Montage ist. Das Grundthema könnte vielleicht formuliert werden als ein Leiden unter der Fixiertheit der menschlichen Liebeskommunikation über die fixe Idee klarer, eindeutiger und unbeweglicher Geschlechtsidentitäten. Ein Thema, was die Menschen umtreibt, so lange sie fühlen und sehnen und lieben wollen.

Zwei Dinge, die über diesen Film von Dolan zu sagen sind. Das eine ist die herausragende Kunst der Montage, die er inzwischen so weit entwickelt und perfektioniert hat (ich könnte mir vorstellen, dass er durch die Methode Godard inspiriert ist), dass mein Eindruck bei diesem Film der war, er würde mich mehr umfangen, mehr hineinziehen als 3D es bislang je vermocht hat. Was wiederum beweisen würde, dass 3D (und es gibt schöne Erlebnisse dabei von „Findet Nemo“ über „Life of Pi“ bis „Pina“) gar nichts nützt, wenn nicht entsprechend qualitative Geschichten da sind.

Zur Montage zählt in diesem Falle nicht nur das Aneinanderpeppen von einzelnen Bildern und Szenen und der Tonspur drüber; dazu zählt schon die Bereitstellung des Materials: die Ausstattung, bis ins Detail lässt jedes Interieur meist eine stilvolle Frauensperson voller Gefühle (oder ausnahmsweise bei Fred eine deprimierte oder enttäuschte Frau) erahnen; genau so ist es mit den Kostümen, bei deren Konzeption auch die Hand von Dolan spürbar wird; erst recht, wenn in einzelnen Bildern Mäntel zu tollem Faltenwurf traumhaft sich aufblasen; dazu kommen die gespielten Szenen, die gerne dialogisch sind, die Heftigkeit, die Lebendigkeit der Inszenierung dieser Dialoge, ferner: Dialoge, die auf der Tonspur laufen, während im Bild eine Szene sich abspielt, die gerade dadurch spannend wird, dass nicht banal illustrierend gewichtet wird. Nehmen wir die Dialoge des Protagonisten Laurence mit seiner Freundin Fred anfangs des Filmes, wie das ein Hin und Her und eine Dialektik und ein Humor und ein Sich-nichts-Bieten-Lassen ist bei vollem Respekt für den anderen.

Das zweite ist die Geschichte. Es geht um Laurence. Der unterrichtet an einem College Literatur, wir erleben eine Stunde, in der es um Proust geht. Er hat schreiberische Ambitionen und lebt mit Fred zusammen, die er liebt. Eben hat er den Berthiaume-Preis gewonnen, den er selber bescheiden als Folge davon ableitet, dass wohl in einer kleinen Zeitung jemand gewesen sei, der seine Gedichte gemocht habe.

Er ist anfangs des Filmes Mitte Dreißig. Der Film wird einen Zeitraum von zehn Jahren abstecken, nach welchen er als erfolgreiche Schriftstellerin mit Verlag in Frankreich und Lesereise nach Vermont dasteht.

Eine Geschlechtsumwandlung ist der zentrale Vorgang, wobei die physiologischen Details hier wenig kümmern. Die schneidenste Pointe zu diesem Thema, zum unsicheren Umgang der Gesellschaft damit, liefert die Interviewerin, die sie in der letzten Phase des Filmes zum Gespräch gebeten hat, mit zum Teil dümmlichen Fragen, und die am Schluss auf Französisch fragt, ob sie guter Dinge sei – wäre interessant zu sehen, wie das in einer allfälligen deutschen Synchronbearbeitung bewerkstelligt würde – also die Journalistin fragt, ob die Schriftstellerin confiant sei, was, wenn man eine Frau fragt, heißen muss: confiante, wobei das -te am Ende als „T“ ausgesprochen wird, während in der männlichen Form, wenn man also einen Mann fragt, das T nicht ausgesprochen wird, die Interviewerin fragt also ob sie confian sei und fügt nach einer Schreck-Sekunde noch das T bei. Eine wunderbare Subtilität.

Nach der Preisverleihung offenbart sich Laurence seiner Freundin, dass er sich als im falschen Körper lebend fühle. Die Aussprache macht Laurence insofern frei, als die Freundin zuerst recht vernünftig reagiert und vorschlägt, mit ihm einkaufen zu gehen, was so Frauendinge sind. Dann wollen sie seine „Premiere“ als Frau feiern. Sie träumen von der Schwarzen Insel.

Eine Szene zum Atemanhalten, wie Laurence wieder in die Schule geht, sein Auftritt vor der Klasse als Frau, apart und geschmackvoll hergerichtet, nicht ein Hauch von Tuntigkeit. Eine lange Stille. Aber es kommt, wie es kommen muss, die Umwelt kann nicht umgehen mit so einer Geschlechtsumwandlung, auch wenn alle treu und herzig beteuern, ihnen komme es nur auf den Menschen an.

Denn es gibt da ein paar Paragraphen, die Transsexualität als psychische Störung auflisten und es gibt besorgte Eltern. Das führt dazu dass Dolan eine Szene wie liebloses, festgefahrenes Fernsehen inszeniert: die Versammlung der Verantwortlichen der Schule, die ihm nach viel Salbaderei den Rausschmiss aus seiner Position bekannt geben. Er schreibt nur noch wortlos „ecce home“ an die Wandtafel und geht. Was so ein Jobverlust für Folgen, auch viele, viele, positive, aber auch bis zur blutigen Nase haben kann, was für Welten sich ihm erschließen dadurch, das wird im Weiteren gezeigt.

Seine Freundin Fred, die Schauspielerin ist und tolerant reagiert hat, bekommt in der Folge allerdings Depressionen und trennt sich von Laurence; sie zieht mit einem anderen Mann zusammen nach Trois-Rivières. Laurence zieht mit einer verständnisvollen Charlotte zusammen. Im weiteren belügen sich unsere Figuren, die gedacht und sich vorgemacht haben sie seien durch die Fährnisse und das Outing geläutert, munter weiter.

Englisch für Anfänger

Ein Film wie mit einer musterhaften Schrift in einem Schulschreibheft mit einem Schriftzug wie aus indischen Schriftzeichen, die alle weich und gewunden sind, nie eine Kante, nie eine Ecke, wie ein einziges Endloszeichen. So fügt Gauri Shinde, der Autor und Regisseur, die Bilder zu einem schmeichelnden Bindfaden einer Geschichte zusammen, einer ganz einfachen Geschichte, die ihre oberflächliche Verbindlichkeit aus der ausführlichen Beschreibung der für die Geschichte nötigen Vorgänge bezieht.

Der Titel gibt das Thema vor. In Indien wird zwar offiziell Hindi gesprochen, aber das indische Englisch, das Vinglish, wie die Inder es parodistisch nennen, nimmt einen immer größeren Raum ein. Wer diese Sprache nicht beherrscht, wird zum gesellschaftlichen Außenseiter. Wer das nicht bleiben will, das ist die Moral von der über zweistündigen Geschichte, der muss Englisch lernen.

Was aber macht nun eine gegen das mittlere Lebensalter vorrückende indische Frau und Mutter, die mit einem Geschäftsmann verheiratet ist, einen Buben und ein Mädchen hat, die Englisch können oder es am Lernen sind, im Gegensatz zu ihr, die für die Familie Geld verdient, indem sie Laddu, eine Süßigkeitenspezialität, herstellt und verkauft; die aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit von ihren Kindern blöd angemacht wird, dass sie kein Englisch könne?

Ihre Schwester lebt in New York und will heiraten. Für die Hochzeit soll die indische Verwandtschaft selbstverständlich anreisen. Die Umstände wollen es, dass Familie Gdbole entscheidet, dass die Mutter, Shashi, die kein Englisch kann, allein vorausreist und einige Zeit bei ihrer Schwester in New York verbringt.

Ein paar Sätze für die Passkontrolle hat sie gelernt. Aber sie verhält sich schüchtern, stellt ihr Unwissen und die entsprechende Hilflosigkeit aus. Im Flugzeug versucht ein Sitznachbar ihr einen englischen Film zu übersetzen, was die übrigen Passagiere aufregt.

In New York fängt sie heimlich an, einen Englischkurs zu besuchen. Sie fängt an, ihre Selbständigkeit zu entdecken. Sie macht eine Entwicklung durch. Sie lockt sogar einen französischen Verehrer, Laurent, an.

Wie ihre Familie zu früh nachreist, gilt es, den Englischkurs nicht auffliegen zu lassen, andererseits die Hochzeit nicht zu gefährden, denn just am Hochzeitstag wäre der Abschlusstest der köstlichen Englischklasse. Hier gibt es auf Sicht einige Komplikationen, die aber weich und sanft gelöst werden.

Die Darstellerin der Hauptrolle der Shashi spielt Sridevi Kapoor, ein Midlife-Star, die in ihren Bewegungen viel von einer indischen Tänzerin hat, was besonders deutlich rüberkommt, wenn sie perfekt beherrschte Tanzbewegungen vorführt; so ist aber auch ihre berechtigte Szenendominanz wie die einer Primadonna, durch und durch kontrolliert, jedes Gefühl fast tanzmimisch ausgestellt und gesetzt, dadurch gelegentlich etwas sperrig wirkend, was aber der Süßlichkeit der Erzählung, die immer wieder von Gesangsnummern mit dem Refrain English-Vinglish unterbrochen wird, sogar ganz gut tut.

Die Gefahr dieses Erzählens an der bildlichen Oberfläche ist die des Abgleitens in Weich-Schwammiges; so kann etwas Draht nur hilfreich sein. Um Shisha herum bildet sich die Erzählung wie ein Kristall heraus. Eine Grundaussage solch indischen Startums scheint mir: schön zu sein, große Augen machen, schön, perfekt gekleidet, perfekt in der Bewegung, es darf keine Irritationen geben, es darf nichts Unvorhergesehenes passieren, keine Improvisation; Film wie eine strenge Choreographie; diesem Gesetz ordnet sich auch die Erzählung unter, die genau überlegt, was sie zur Illustration des thematischen Problems der Sprache alles anführen soll, welche Scherze auch, welche Ansätze zu Intoleranz, wobei gut nebenher das Thema Toleranz auch auf Schwulität ausgeweitet werden kann, denn den Teacher in New York hat gerade sein Freund sitzen lassen, was zu einer aufgeregten Diskussion über den Topos führt, selbstverständlich wird die Hauptdarstellerin, die selber unter dem Sprachdefizit leidet, das Toleranzargument so verteidigen, dass klar ist, Widerspruch wird nicht geduldet.

Ein Witz in der U-Bahn, wie Shashi von ihrem Verehrer Laurent begleitet wird und er sich lustig macht über eine fette, weiß gekleidete und mit weißer Perücke ausstaffierte Dame, sie würde aussehen wie ein Knoblauch.

In einem kurzen Kinobesuch-Ausschnitt aus „Damals in Paris“, einem Film von 1954, ist Liz Talyor zu sehen; da wird der Unterschied zwischen indischer und Hollywoodfilmstarperformance drastisch deutlich. Ein Thema, was hier sicher ausgiebig vertieft werden könnte zur Eruierung eminenter Differenzen zwischen Bollywood und Hollywood – und warum uns Hollywood denn doch immer noch näher liegt.

Promised Land

Hier wird ein brisantes Thema, das umstrittene, umweltzerstörende Fracking, in der umsichtig-behaglichen Atmosphäre, die ein Matt Damon ausstrahlt, behandelt.

Matt Damon hat mit John Krasinski auch das Buch geschrieben und Gus Van Sant hat die Regie geführt. Als spannendes Kontrastprogramm empfiehlt es sich die Dokumentation „Gasland“ von Josh Fox anzuschauen (Review: https://www.filmjournalisten.de/2011/12/09/gasland-dvd-start-und-verlosung/ ).

Matt Damon spielt Steve Butler, den Vertreter der 7-Milliarden-Fracking-Gesellschaft „Global Crosspower Solutions“, der zusammen mit seiner Mitarbeiterin Su Thomason, atemberaubend lebensnah von Frances McDormand dargestellt, in Kleinstädten in der Region von Iowa den Bewohnern Bohrrechte viel zu billig abkaufen soll. Und obwohl er hier den Bad Guy spielt, also denjenigen, der nicht nur die Bewohner für die große Company über die Ohren haut, sondern mit den Bohrrechten nach Gas auch für die Zerstörung ihres Lebensraumes sorgen wird, schafft er es mit einem allerdings ziemlich halblauen dramaturgischen Trick, den aufrechten, ehrlichen Zeitgenossen zu mimen, der sich „um etwas kümmert“, der „ein feiner Kerl“ sei, „ich bin kein schlechter Mensch“, der innerhalb dieses Filmes sein Bild des Bad Guys zum Good Guy reinwaschen kann. Denn noch vor der Rettung der Natur und des Menschen vorm Fracking steht doch die Rettung des Images des Schauspielers.

Die Regiehand von Gus Van Sant ist sensibel, oft untermalt er die Szenen mit ebenso sensibler Musik, ein paar Saitenzupfer da, ein Lied dort. Und immerhin bekommt das leidige Thema Fracking eine prominente Bühne. Steve Butler verteidigt die zerstörerische Gasfördermethode vehement. Es gibt Auseinandersetzungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, nachdem Butler erst den Bürgermeister mit getürkten Zahlen über den Tisch gezogen zu haben glaubt; was aber bei der Gemeindeversammlung auffliegt. Denn ein Lehrer, Hal Holbrook als Frank Yates, der entfernt eine Ähnlichkeit mit dem Knautschgesicht eines Joschka Fischer hat, ergreift das Wort; er lässt sich von Butler nicht irritieren, er hat hervorragend recherchiert und die Info, dass der Wert des Gases, das hier rauszufracken wäre, ein Mehrfaches dessen beträgt, was Butler vorgelogen hat. Das führt immerhin dazu, dass es in einigen Wochen eine Abstimmung geben wird. Die Zeit nutzt der Film, einige weitere Positionen zum Thema zu vertiefen. Denn plötzlich taucht ein Öko auf, Dustin Noble, überzeugend gespielt von John Krasinski, gegen dessen Argumente und Bilder von toten Kühen in der Landschaft von Nebraska kein Kraut gewachsen ist.

So müssen Butler und seine Mitarbeiterin mühsam versuchen, einzelne, klamme Landbesitzer zu überzeugen. Oder in der Bar „Bodys Place Tavern“ Männer zu überzeugen, wie es sei, wenn man Geld habe (einer kauft später einen Luxussportwagen), wie es sei, wenn sie „einen Arsch voll Geld“ hätten.

Um Lebensnähe glaubwürdig darzustellen, kommen weitere Komponenten ins Spiel:
der Kaufmannsladen mit dem sportlich scheinenden Verkäufer, hier besorgt Butler sich ein Flanell-Hemd wegen dem landschaftlichen Touch (er kann auch treuherzig erzählen, dass er selbst aus einer ähnlichen Gegend stamme und es geschafft habe zu studieren; dass das aber nicht geht, wenn die Leute kein Geld haben).
Oder wenn Butler einen Rummel-Fracking-PR-Event plant, fragt er Sue, ob er was vergessen habe, sie fügt trocken an: die Hüpfburg.
Oder wie Sue mit ihrem Sohn, der mit seinem Vater in Huston ist, skypt.
Oder, nette Pointe: Biosprit, das ist wie Frittenfett; dürfte mindestens für einen Kicherer im Zuschauerraum gut sein.
Oder der kleine Running-Gag, dass Butler keine Autos mit Gangschaltung fahren kann. Darum muss immer Sue ans Steuer. Einmal setzt er sich ans Steuer. Das ist gut für eine kleine von oben aufgenommene Parkplatz-Anfahr-Ruckel-Nummer. Oder Karaoke-Singen in der Bar. Oder das Trinkspiel „absoluter Wahnsinn“.
Oder der Satz von der Lehrerin Alice, zu der Butler ein Verhältnis entwickelt: du hast mich geküsst bevor du gekotzt hast. Lebensnähe.

Matt Damon ist sicher kein Querdenker, aber er versucht immerhin mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ein hochbrisantes Thema (zur Zeit des Filmes Gasland wurden in Washington die katastrophalen Auswirkungen des Frackings weitgehend unter Verschluss gehalten und es gab kaum eine Chance für eine umweltbewusste, umweltschützende Gesetzgebung) zu behandeln, allerdings ohne es mit jemandem verderben zu wollen, ohne jemandem weh zu tun, ohne eindeutig Partei ergreifen zu wollen. So wird daraus eine nette Familienkomödie, die immerhin einem brisanten Thema Öffentlichkeit gibt.

Die deutsche Synchro verpasst dem eh schon sehr zum Behaglichen Neigenden dieses Filmes zusätzlich einen Touch von Biederkeit.

The Sapphires

Ein sympathisches Agit-Prop-Movie für die Sache der australischen Aborigines durchsetzt mit antörnenden Soul-Klängen.

Es wird die Geschichte von vier Aborigines-Sängerinnen erzählt, die zur Zeit des Vietnamkrieges für die amerikanischen Soldaten an der Front gesungen haben. Dem Film voran stellen Tony Briggs und Keith Thompson, die Drehbuchautoren, ein paar nüchterne Infos über die Behandlung der Aborigines in Australien durch die Weißen. Dass diese jene zuerst noch zu Fauna und Flora gezählt hätten und dann ein Hinweis auf die grauenhafte Politik, Kinder den Aborigines wegzunehmen und sie zu weißen Familien zu bringen, damit sie den „white way“ kennen lernen und auf diese Art erzogen würden. Man spricht von einer „lost generation“. Ihrem Andenken ist dieser Film von Wayne Blair gewidmet.

Die Geschichte fängt 1958 an mit vier munteren Mädels, die in weißen Röckchen im Reservat „Cummeragunja“ vor Publikum auftreten und Lieder schmettern. 1958 sind von den vier Mädels noch drei im Reservat geblieben. Das vierte war Opfer einer dieser Kindersammelaktionen und lebt nun in Melbourne, spricht einen gehobenen Akzent.

Die drei zuhause gebliebenen Geschwister lesen von einem Song-Contest in ihrer Nähe. Sie machen sich auf den Weg mit einer Gitarre. Vor Ort lernen sie den abgestürzten und alkoholisierten Musiker Dave kennen, der den Wettbewerb musikalisch begleitet und ansagt. Dass die perlenbehangene weiße Lady die unbegabteste Wettbewerbsteilnehmerin zur Siegerin krönt, das ärgert ihn. Das äußert er lautstark. Denn die Mädels aus Cummeragunja, ein Wort, das er nie auf Anhieb aussprechen kann, falls er überhaupt damit zu Ende kommt, die seien eindeutig die Besten gewesen. Dadurch kommen sie ins Gespräch.

Die Mädels haben ein Zeitungsinserat in der Hand, dass Frontsänger/innen für Vietnam gesucht würden. Wie Dave Lovelace von der Gage hört, wird er wacher und aktiver. Gleich hat er sich und die Gruppe zum Casting angemeldet. In Melbourne treiben die 3 Mädels ihre Halbschwester auf, deren Vater Ire sei, und nach einigem Hin und Her schließt diese sich an. Dave ist jetzt plötzlich hellwach, schneller Wandel von der Absturzfigur zum Erfolgsmanager. Er erklärt den Mädels klar, wer die Lead-Sängerin ist, und auch den Unterschied zwischen Country-Music und Soul; dass dieser nämlich das Thema Verlust nicht nachhängend, sondern kämpferisch angehe.

Bis die Mädels in Vietnam eintreffen ist knapp eine Filmstunde vergangen. Ab da sind sie längst eine perfekte Gruppe, die uns nun viele wunderbare Songs in den verschiedensten Vietnam-Dekors und Kostümen bieten. Dazwischen erwartbare Liebes-Geschichten, die gar nicht erst versuchen, durch Originalität aufzufallen. Aber mit Gefühl nicht sparen.

Sollte auf den australischen Film zutreffen, was auch schon mein Eindruck war, dass er ungemein lässig sich auf die Leinwand fläzt, so trifft das hier sicher zu; ganz unskrupulös keine Energien für unnötige Details verschwendend. Von der Ermordung von Martin Luther King erfahren wir in Vietnam am Fernsehen. Ein Film, der weniger darauf achtet, eine auf Erfolg gebürstete Story mit möglichst vielen Zuschauern zu werden, sondern der viel eher von Herzen kommt, dem das Anliegen der Aborigines wichtig ist; und der den Messagegehalt des Filmes mit tollen Songs mehr als wett macht.

Man of Steel

Wieder ein perfekter HIN-Film, ein Film perfekt nach Hollywood-Industrie-Norm. Eine solide Story, stabil tragfähig um einen Besitzstreitkonflikt herum gebaut, der in einem Vorspiel ausgebreitet wird.

Klassisch der Konflikt, klassisch die theatrale Inszenierung dieses Vorspiels, schön gesprochen wie bei Shakespeare; Eröffnungstehpartie in einem Bühnenbild in einer Stilmischung von anthroposophisch (alles Rundungen) bis zu Art Deco, Hokuspokus-Brimobrium an Ranken und Verzierungen und Pflanzenknollen- bis Vaginaelementen und einem Schuss Archaik. In diesem Wust-Wulst wird erzählt, dass auf dem fernen Planeten Krypton seit Jahrhunderten wieder ein biologisches gezeugtes Kind zur Welt gekommen ist, Kal-El als Sohn des Forschers Jor-El. General Zod ist nun scharf auf den Gen-Kodex dieses natürlichen Menschen. Aber der biologische Vater schickt den Säugling in einer knollenförmigen Kapsel ins Weltall, um sie vor dem Untergang von Krypton zu retten. Der General schwört, den Säugling zu finden und ihn für den Wiederaufbau von Krypton nutzbar zu machen.

Schnitt. Kal-El ist inzwischen auf der Erde gelandet, in Kansas und wird hier als Clark Kent von biederen Farmern auf dem Land, wie Amerika nur ländlich schön und paradiesisch sein kann, aufgezogen.

Von der Etablierung des Verfolgungs- und Kodexbeschaffungskonfliktes bis zum Endkampf zwischen dem General und dem längst erwachsenen Kal-El, bleibt nun viel Filmzeit zu füllen vor allem mit Schlachten (dadurch Überlänge des Filmes erreichend; dies und ein vollkommen überflüssiges 3D sollen für erhöhten Umsatz an den Kassen sorgen und damit für eine bessere Positionierung in den Charts, auch das eine sich für clever haltende HIN-Norm-Kalkulation), und weiteres Füllmaterial aus Rückblenden und einem absolut stereotypen (nach HIN-Norm) Ansatz zu einer Liebesgeschichte mit einer Reporterin.

Die Schauspieler selbst sind auch nach Norm besetzt, Talent ist nicht die Frage, mehr die Proportionen des Gesichtes, Weichheit und Härte je nach Geschlecht und beim Mann allenfalls, wenn er der große, starke Held ist, für ein paar Bilder noch der Muskelbau des Oberkörpers für einige sparsam eingesetzte Halbnackt-Aufnahmen, wirkungsvoll, wenn er einen aus Brandgründen einstürzenden Ölbohrtum mit seinem Oberkörper solange stützt, bis der Rettungshelikopter mit überlebenden Arbeitern noch abfliegen kann, zwar nicht Weltenträger wie Atlas, aber immerhin Ölplattform-Eisengestänge-Stützer.

Einmal sieht unser Hauptheld mit Bart und schwarzem Haupthaar ähnlich aus wie das Klischee vom islamistischen Terroristen. Weiteres Füllmaterial in diesem Film sind Rückblenden auf die irdische Kindheit von Kal-El als Clark Kent. Amerikanischer Landbub und glücklich. Aber wie einige Beispiele zeigen, mit außerordentlichen Kräften ausgestattet. Und, das wäre vielleicht ein wirklich spannendes, zeitnahes Problem, wie die Menschen umgehen mit einem, der nicht so ist wie sie, der über einige extravagante Eigenschaften, heldische, supermanhafte, verfügt; sozusagen die Herausforderung der Herrschaft der Mediokrität, das wäre ein Thema, wird hier allerdings mit dem Halbsatz abgetan, dass es nicht gut für die Menschen sei, davon zu erfahren. Also im Moment, wo der Film auf ein Thema stößt, was leicht innovativ behandelt werden könnte und sicher einen Zeitgeist träfe, wendet er sich ängstlich ab und seiner alt-vertrauten HIN-Norm-Alität zu. Die einem alles in allem hinlänglich und bis zur Reizlosigkeit bekannt und wiedergekäut vorkommt, mag der eine oder andere Fan vielleicht eine neue Ranke in dem Deko- und später Schlachtenwust entdecken.

Ein Schulbusunfall lässt eine dieser hervorragenden Eigenschaften sichtbar werden. Retten – und dafür schräg angeschaut werden; kein Wunder, wenn ein etwa zehnjähriger Schulbub einen abgesoffenen Schulbus von Hand aus den Tiefen des Wassers ans Ufer schiebt. Talente, die besser verborgen bleiben. Nicht anders wird es auf einer Station im Eis der Armee passieren. Dort will eine Bildjournalistin Fotos machen und entdeckt dabei Sensationen, die keiner wahrhaben oder dokumentiert haben will.

Auch ein Hurrikan kann zu so einer Herausforderung werden. Wobei die Macher dieses Filmes, es sind Zack Snyder als Regisseur und David S. Goyer und Christopher Nolan als Drehbuchautoren, die die Comics von Jerry Siegel und Joe Shuster als Recyclingmaterial benutzen durften, weniger an den Reaktionen der Mitmenschen auf tollkühne Heldenaktionen, als auf Ausmalung der Folgen eines Hurrikans wert legen; was der Erzählspannung nicht sonderlich förderlich ist. Um das auszugleichen wird ein melodramatisches Moment hineingezwängt, wie es darum geht – der böse General ist inzwischen auf der Erde aufgetaucht – den entdeckten Krypton-Flüchtling gefangen zu nehmen, und die Fotografin sich freiwillig als Mitgeisel meldet. Herzlichkeit aus der Kommandoschublade.

Dass General Zod es also geschafft hat, aus der Verbannung in der Phantom-Zone zu entkommen, öffnet das Ventil zu unendlich vielen Schlachtenbildern, laut, lauter am lautesten, rettungslos und zu vielen post-9/11 Hochhauseinsturzreminiszenzen.

Der Satz „he did it“ bringt leider noch keine Erlösung. Erst mit dem Satz: nur einer von uns zweien kann diesen Kampf überleben und ich war erzogen, ein Krieger zu sein, das zum braven Bub aus Kansas gesagt, nähert sich dem Zuschauer allmählich die Erlösung von der 3D-Brille, während die computeranimierte Effektmaschinerie nochmal auf Hochtouren zur definitiven Agonie sich aufbäumt.

Gambit

Schach wird in diesem Film von Michael Hoffman, zu dem Ethan und Joel Coen das Buch geschrieben haben, nicht gespielt. Obwohl der Titel auf eine berühmte Eröffnung beim Schachspiel referiert, bei dem der Spieler ein kalkuliertes Bauernopfer bringt.

Das Spiel, das Machtspiel, das Rachespiel, was hier stattfindet, ist eines des Kunstkurators Harry Deane, der von Colin Firth gespielt wird, gegen den ihn kujonierenden Boss Shabandar, gespielt von Alan Rickman. In der Fantasie von Colin Firth ist Shabandar ein grobschlächtiger Engländer, der gerne als Nudist im Büro sitzt und mit breit aufgerissenem Mund und derber Sprache seine Mitarbeiter wie Schweine behandelt. Ein wahrer „shitbag“. Diese Träume im Film zu illustrieren setzt Alan Rickman gewaltige Theatermittel und -stimme ein.

Shanbandar ist ein bedeutender Medienunternehmer, superreich und Kunstsammler dazu. Ein wichtiges Stück in seiner Sammlung ist ein Bild von Monet, „Heuschober in der Morgendämmerung“, das Shabandar vor Jahren für 11 Millionen britische Pfund ersteigert hat. Zu diesem Bild existiert ein Pendant, „Heuschober in der Abenddämmerung“, da sind die Schatten der beiden Heuhaufen deutlich länger. Dieses Bild gilt als verschollen. Mit der vermeintlichen Wiederentdeckung des Bildes will Deane seinen Chef ködern und ihm 20 Millionen Pfund abknöpfen; denn Deane kennt einen Hobbymaler, der ein genialer Bildfälscher ist.

Beim Versuch, den Plot nachzuerzählen, wird sofort klar, dass die Schreiber, die Coen-Brüder also, Vollprofis in ihrem Beruf sind, die das Komödienhandwerk aus dem Effeff kennen und beherrschen. Hier schien ihnen das offenbar allzu leicht; also machten sie es sich doppelt schwer. Einmal mit der Eingangssequenz, die sich dezidiert an Peter Sellers und dem rosaroten Panther orientiert, indem sie in ähnlicher Weise eine animierte ist und auch der Sound dazu als Referenz an die bekannte Melodie. Aber sie machten es sich auch schwer mit der Figurzeichnung des Harry Deane. Der scheint in manchen Dingen so tapsig, so ungeschickt – ihm wurde aber nicht das Gegengewicht, jene Peter Sellers-Eigenschaft, die diesen so großartig das Unglück immer wieder überstehen lässt, zugeschrieben, ein forsches, beherzt-naives Draufgängertum nämlich, nein Deane ist ein Frustrierter, weil er von seinem Chef so wenig Anerkennung genießt, eine humorlose Figur, die noch dazu allzu plump selber den Chef auf das Bild aufmerksam macht.

Deane hat nämlich mit seinem Hobby-Maler-Freund (der dürfte gerade dabei sein, einen Gerhard Richter zu fälschen) ausgeheckt, dass dem Bild eine Vorgeschichte mit dem dritten Reich, was filmisch längst nicht mehr zündet, mit Hermann Göring und einem amerikanischen Befreiungssoldaten angedichtet wird. So können sie erklären, dass dieser echte Monet in einem abgewrackten Wohnwagen irgendwo in Texas gelandet ist. Auch die Idee mit der sexy Frau, die ihn besitzt, ist ungefähr so originell, wie auf einem Autosalon eine Blondine vor ein neues Automodell zu stellen. Alles nur, um den Fisch zu ködern.

Zu schnell fängt leider in diesem Film das Gefühl des Déja-Vus an. Deane und sein Maler reisen nach Texas, um die Blondine aufzutreiben. Die reitet grade ein Rodeo. Aus der amerikanischen Filmtrickkiste, zum Beispiel Affe auf Pferd. Wobei es dramaturgisch voll in Ordnung ist, zuerst den Traum von Deane zu inszenieren, wie er sich vorstellt, wie alles reibungslos beim Chef abläuft, um dann die Realität dagegen zu stellen. Erstmals die texanische Realität. Zu dieser gehört die amerikanische, gespensterbahnhafte Filminventar-Alte, hier Variante: in Windeln. Mit der Blonden und der Alten wird ein Portrait im Wohnwagen gemacht, dahinter der Fake-Monet. Das Bild wird in einer Reportage in einer Pferdezeitschrift von Shabandar platziert.

Jetzt fängt es an sehr plump zu werden. Deane sucht extra seinen Chef auf, wundert sich bescheuert noch über dessen Anzug, weil er ihn aus seiner Wutfantasie als Nudisten im Chefbüro in Erinnerung hat, und macht ihn, schwerfüßiger geht es nicht, auf das Bild aufmerksam. Der Chef wundert sich, seit wann Deane sich für Pferdezeitschriften interessiere. Tut das Bild sogleich als Fälschung ab. Vermutlich hat der Chef seinen Kurator schon in diesem Moment durchschaut. Das macht es nicht spannender. Er pflückt stattdessen die blonde Blüte, die, weil er sich scheinbar darauf einlässt, diese samt Bild nach England zu holen, setzt diese in eine geschäftliche Auseinandersetzung mit Japanern ein, wie wir sie auch nur als Déja-Vu sehen können.

Die Charakterisierung von Dean ist auch in vielen Slapstick-Szenen schwerfällig, wenn sie auch alle gut inszeniert sind. Sein Problem mit einer Sitzgelegenheit beim Chef, mit einem Konservenglas in seiner Wohnung, mit einer von innen genässten Hose, alles nicht sehr originell, alles schon x-fach gesehen, wenn auch gründlich und ich würde sagen mit großer Leinwandpräsenz und -klarheit dargeboten; schließlich die Fassadenkletterei am Savoy-Hotel mit der chinesischen Vase (und die Dame im Zimmer, in das er sich flüchtet, die knalllaut eine dämliche Flatulenz ablässt, ha ha, dann er ohne Hose, ha ha). Da kommt die Idee auf, hier sind Schuljungs am Werk, die schon viele Filme gesehen, aber vom Leben keine Ahnung haben und von der heutigen Welt und was die Menschen darin beschäftigt und die jetzt auf dem Dachboden diesen Film entwickeln.

Spannend finde ich die Besetzung von Shahbandar mit Alan Rickman, der in vielen Moment an den fast 100-jährigen Berthold Beitz erinnert, der immer noch die Geschicke von Krupp lenkt. Aber Colin Firth ist kein Cromme. War ja auch nicht die Absicht. Und wenn Deutsche im amerikanischen Film vorkommen, dann doch lieber als Nazis. Halt, es kommt noch einer vor, der muss mindestens einen jüdischen Namen haben, Stanley Tucci als Martin Zaidenweber, der einen grausamen Dialekt aufbietet, der in Amerika wohl als Deutsch verscherbelt werden soll. Zaidenweber war Kurator in der Kunstsammlung Köln und bei der Sammlung Thyssen-Bornemisza.

Das größte Defizit dieses Filmes dürfte sein, dass sich die Autoren zu sehr bepisst haben vor Vergnügen, wenn sie Versatzstücke aus der Filmgeschichte gefunden haben. Darob scheinen sie vergessen zu haben, dass für das Funktionieren einer Komödie ein genaues Studium der Charaktereigenschaften der Figuren und vor allem der konsequente Einsatz dieser Eigenschaften in die Dynamik der Handlungsentwicklung nötig ist; dass es nicht reicht, es köstlich zu finden, weil einem die Hose nass wird vor Angst vorm Chef. Denn so einer ist nun garantiert nicht der Typ für einen Streich, wie derjenige, den Deane hier ausheckt. Sellers war nie eine frustrierte Figur, oder wenn, dann hat er mit Lust gegen den Frust gehalten. Das fehlt hier. Dieser bunten Suppe aus Slapstick- und Comedy-Versatzstücken fehlt die Würze eines antreibenden, umtriebigen Charakters. Colin Firth ist nun bei Gott kein Peter Sellers. Aber das ist nicht sein Fehler.

Die Monster Uni

Furchtbar, wenn einer einfach anderen keine Angst einjagen kann, wenn keiner Angst vor einem hat. Das ist das Problem von unserem grünen Einauge mit der Zahnspange, Mike Wazowski. Darum möchte er unbedingt auf die Monster-Uni aufgenommen werden. Denn dass, wer keine Angst einflößt, keinen Respekt genießt in unserer Gesellschaft, das ist der subtile Untertext dieser Animation aus den Disney Studios, der verschafft unserer Gesellschaft auch keine Energie. Das Buch stammt von Robert L. Baird, für die Regie zeichnet Dan Scanion.

Wir erhalten einen Einblick in das Funktionieren dieser Energie-Industrie. Das sind riesige Fabrikhallen. Hier gibt es keine Arbeiter, sondern Monster. Sie gehen durch die Monstertüren, landen in nächtlichen Kinderzimmern und versuchen die Schlafenden zu erschrecken. Je besser dies gelingt, desto stärkere Energieimpulse werden in das Stromnetz eingespeist und der Laden oder die Gesellschaft wird am Laufen gehalten. Wer also die Fähigkeit andere zu erschrecken nicht hat, der kann in dieser Hinsicht auch kein nützliches Glied unserer Gesellschaft werden.

An die Monster-Universität zu kommen, ist ein heiß begehrtes Ziel, denn der Andrang ist groß. Das gelingt Mike noch irgendwie. Aber um in die speziellen Kurse aufgenommen zu werden, die der Heranbildung wirkungsvoller Monster dienen, müssen Prüfungen bestanden werden. Es findet ein richtiger Wettbewerb statt um die Aufnahme in den begehrten Studiengang. Teams müssen gegeneinander antreten und bei jeder Runde fällt der Verlier raus. Am Schluss bleibt nur eine Gruppe übrig, die das begehrte Studium antreten darf.

Klar ist, sonst wäre es keine schöne Geschichte, dass unser Nicht-Monster-Monster Mike, den keiner Ernst nimmt, am Schluss das Obermonster werden wird. Um Mike bildet sich die Gruppe „OK“, alles köstliche, eher biedere Figuren, wie eine Familie Gartenzwerge, teils 5-äugig, teils zweiköpfig-je-einäugig und dreibeinig, dreitentakelig. Und dann ist da noch James P.Sullivan, der aus einer berühmten Monsterfamilie stammt, doch der Spross ist nicht ganz so tauglich. Wird sich aber widerwillig in die Gruppe integrieren und kann als der Erfahrenere dem Grünhorn Mike entscheidende Tipps und Ratschläge geben.

Es sind verrückte Bildwelten mit einer reizvollen Differenz zum realen Leben aber mit verblüffender Ähnlichkeit. Zum Beispiel die Szene in der Bibliothek, in der die Gruppen einen Wimpel mit ihrem Namen drauf von eine Büste hoch oben in der Wand holen müssen, ohne dass die Dinosaurier-Schlangen-Figur von Bibliotheksaufseherin aufmerksam wird, allein wie die OK-Truppe ganz leise, Schritt für Schritt in Einerreihe einmarschiert – tja, Bibliotheken sind eben heilige Orte. Und wehe, es knarzt. Dann wächst die graue Bibliothekseminenz ins Unermessliche, ihre Tentakeln greifen aus, umschlingen die Ruhestörer und schleudern sie in hohem Bogen aus der Bibliothek in einen Teich zum Gaudium der dort wartenden Massen.

Oder die erste Probe: ein Hindernislauf praktisch im Dunkeln durch eine Art Tunnel, überall liegen rot leuchtende Stachelkugeln, die furchtbar pieksen können; so dass nach dem Lauf unsere Truppe vollkommen deformiert und aufgequollen dasteht und dazu noch die letzten sind, die eigentlich damit aus dem Rennen raus wären. Konjunktiv.

Angenehm war, den Film in 2D schauen zu können; im Gegensatz zu anderen Animationen wird hier nicht versucht, das Bild mit Figuren so voll wie möglich zu stellen oder die Figuren ständig im Überschalltempo durchs Bild rasen zu lassen, es wurde auf eine klare Handlung, klares Vorstellen der Figuren wert gelegt, was die Geschichte leicht und mit großem Vergnügen verdaulich werden lässt und unentwegt diese merkwürdige Folie zu unseren konventionellen Schulen und Lehrstätten abgibt. Was die Realität sozusagen verrückt verrückt und in eine neues Licht zu setzen vermag. Das ist doch für einen Film ganz schön viel. Und dass die Art Story höchst konventionell ist, wird darüber fast aus dem Auge verloren. Dass es auch nur darum geht, sich gegen Vorurteile durchzusetzen. Ein Thema, was seine Aktualität leider wohl kaum je verlieren dürfte.

Wie immer ist es ein großes Vergnügen in der Originalversion die britischen oder amerikanischen Schauspieler solchen Figuren ihre Stimme leihen zu hören, Billy Cristal, John Goodman, Helen Mirren (ihr Stimme ist jene von Dean Hardscrabble, der Chefin der Monsteruni, einer Mischung aus Giraffe (nicht ganz) und Kackerlacke mit enorm viel Würde und nun wirklich nicht leicht zu erschrecken).

Interessant ist vielleicht auch zu sehen, wie sich ein Konventionalismus der Schreckensverbreitung einstellt und dass die wahrlich kreativen Lösungen auf sich warten lassen und nach Erfindern verlangen, denen man das nicht ansieht. So doch auch ein Film über Konvention, die nicht das A und O sein kann, sich aber so aufführt.

An der Monster-Uni lernen die Studenten genau das, was an realen Unis nirgends gelehrt wird, das Sich-Durchsetzen im Leben, paradox dabei, dass sie es genau mit den gleichen Methoden lernen und pauken wie jeder Student sein normales Fach, ob Jura, Medizin oder Germanistik. Das Lernbare. Das Lehrbare. Die Monster-Uni gibt vor, das Unlehrbare lehren zu können. Fürs Leben lernen wir und nicht für die Schule.

Die Musik macht Stimmung in den Varianten von fetziger Marschmusik über Studentliedermusik bis zum Zirkustusch, fröhlich, unbesorgte Gruppenmusik zu einem nicht ganz unernsten Thema, das Gespenstergehabe, das der Mensch wohl auf einem Weg zu einer Karriere einsetzen muss, auf dem Weg zum Ernstgenommen werden. Ein bisschen eine verkehrte Welt, in der das Nichtverkehrte recht verkehrt ausschaut.

Die mit dem Bauch tanzen

So spontan die Regisseurin Carolin Genreith aus „Der mit dem Wolf tanzt“ „die mit dem Bauch tanzen“ assoziiert hat, vermutlich des Klanges wegen, garantiert ohne gründliche Recherche oder gar Absicht der Referenz auf den berühmten Film, genau so spontan dürfte ihr die Idee gekommen sein, die Bauchtranzgruppe in einem Dorf in der Eifel zu portraitieren, in der ihre Mutter mitmacht. Das charakterisiert schon ganz gut die spontane Haltung.

Die Dokumentaristin selber ist sei über acht Jahren aus dem Dorf ihrer Jugend ausgewandert nach Berlin. Ihre Haltung zu der Gruppe vor allem älterer Frauen, die sich mittwochs zum Bauchtanz treffen und die einmal im Jahr eine Parisreise unternehmen, um dort ein Wochenende lang in Bars und auf Plätzen aus Freude zu tanzen, ist anfangs skeptisch bis zwiespältig. Das zeigt eines der ersten Bilder. Eine Kuhherde irgendwo in der Eifel, braungeflecktes Vieh, das glotzt nach vorn, alle in einer Richtung. Da ist eine Steinmauer. Über die kommen plötzlich die Frauen in ihren Bauchtanzkostümen in einer Reihe angetanzt. Ein groteskes Bild. Ein köstliches Bild.

Aber die Filmemacherin ist eigensinnig, so wie sich auch ihre Mutter herausstellen wird. Sie bleibt dran an ihrem Objekt. Ihre Neugier wird der Leitfaden ihres Berichtes. Drei Frauen beschreibt sie näher. Selbstverständlich ihre Mutter (und auch sich selbst, als dreißigjährige, beziehungslose Frau ohne geregelten Alltag), die davon erzählt, wie sie sich von ihrem Mann gelöst hat, wie sie nach reiflicher Überlegung ausgezogen ist und sich einen feschen, großen, jüngeren Mann mit Pferdeschwanz geangelt hat. Der scheint ganz happy, denn sie macht auch die Wäsche für ihn und schenkt ihm zum Martinitag einen Baum mit bunten Kreppbändern, was ihn schon verblüfft, so etwas hat er noch nie erhalten.

Marita ist die Leiterin der Gruppe, groß gewachsen, künstlich blonder Lockenkopf, seit ewig mit dem gleichen Mann verheiratet. Eine Frau, die nichts aus ihrer Heimat weg bringen könnte, die sogar zu ihrem Studium in Köln von zuhause aus gefahren ist. Sie arbeitet mit Behinderten. Das macht ihr Spaß. In ihrer Familie, die Tochter und die zwei Söhne sind jetzt erwachsen, gabs immer Struktur übers Jahr von Fasching und dem Wegfahren mit dem Wohnwagen an Pfingsten bis zu den Festen des Dorfes.

Ferner die Malerin, die forsche Bilder auf die Leinwand bringt, die allein ist und nicht so richtig darüber reden will, aber die auch Mühe hätte sich ein anderes Leben vorzustellen, denn sie kann machen, was sie will. Mit ihr erleben wir die Vernissage einer Ausstellung mit Bildern von ihr in einem Schloss, was hier ein öffentliches Gebäude ist.

Dann die Fahrt nach Paris, da war es unserer Filmemacherin anfänglich gar nicht so wohl im TGV, wie die Frauen mit leicht forcierter Fröhlichkeit ihre Brotzeit auspacken und mit Sekt sich zuprosten und dann die Stimmung in Paris.

Ein Film, der fürs Fernsehen gemacht worden ist, insofern von sich aus keine Kinoambition, an der er gemessen werden müsste, vorweist; der aber sicher besonders für Frauengruppen eine anregende Unterhaltung sein dürfte und Diskussionen über das Leben in der Stadt, oder so luxuriös, wie es dem Städter scheint, auf dem Lande, und sowieso über die Befindlichkeiten von Frauen im Zusammenhang mit dem Älterwerden und natürlich dem Bauchtanz ermuntern könnte. Weil es sich hier um einen sehr persönlichen, sympathischen Bericht aus dem Dorf handelt, dessen Qualitäten nicht zuletzt darauf beruhen, dass die Dokumentaristin diesen persönlichen Zugang zu den Menschen hat und offenbar die Filmemacherin überhaupt nicht hat raushängen lassen.